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Chag Sameach! Frohes Fest! »Sie wollten uns töten. Wir haben gewonnen. Lasst uns essen!« Dieses nicht allzu ernst gemeinte Motto schwebt über vielen jüdischen Feiertagen. Die meisten erinnern an einschneidende Ereignisse der jüdischen Geschichte – und werden dennoch freudig und genussvoll gefeiert. So gibt es neben strengem Fasten und Gebeten ausgelassene Familienfeiern, Tanz und Verkleidung, Geschenke und Süßigkeiten. Warum das jüdische Neujahr schon im Herbst gefeiert wird, Gläubige zu Sukkot in eine Laubhütte ziehen oder an einem bestimmten Feiertag in der Synagoge laut mit den Füßen gestampft wird, erzählt Danielle Spera in dieser sehr persönlich bebilderten Reise durch das jüdische Jahr, angereichert mit besonderen Feiertagserlebnissen ihrer Familie und ihren Lieblingsrezepten. Auf das Leben – Le Chaim! Mit zahlreichen Fotos & Rezepten sowie einem Glossar wichtiger Begriffe des Judentums
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Seitenzahl: 171
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Mit DANIELLE SPERAdurch das jüdische Jahr
Wenn ich nicht für mich bin, wer ist für mich,
und bin ich nur für mich, was bin ich,
und wenn nicht jetzt, wann dann?
Rabbi Hillel(Pirkei Avot 1, 14)
Zur Einstimmung
Der jüdische Kalender – einfach kompliziert
Der jüdische Kalender im Überblick
Das hebräische Alphabet (Alef Bet) mit Zahlenwerten
Vor dem Essen, nach dem Essen
Das rituelle Händewaschen
Shabbat Shalom!
Der wöchentliche Feiertag Shabbat
Rezepte für Shabbat
Le Chaim – auf die Bäume und auf Königin Esther
Tu bi Shwat
Purim
Rezepte für Tu bi Shwat und Purim
Le Dor wa Dor – von Generation zu Generation
Das Pessachfest
Rezepte für Pessach
Geschenke Gottes
Lag ba Omer
Shawuot
Rezepte für Lag ba Omer und Shawuot
Lehren für Gegenwart und Zukunft
Tisha be Aw und weitere Fasttage
Die hohen Feiertage im Herbst
Rosh haShana
Jom Kippur
Sukkot
Simchat Tora
Rezepte für Rosh haShana
Licht ins Dunkel
Das Ölwunder und das Lichterfest Chanukka
Rezepte für Chanukka
Erinnerung, Gedenken und der jüdische Valentinstag
Von Jahrzeit bis Tu be Aw
Jeder Topf findet seinen Deckel
Hochzeit
Bar Mitzwa/Bat Mitzwa
Brit Mila
Fragen wird man wohl dürfen
Die koscheren Speisegesetze
Rezept für Goldene Joich
Auf Reisen
Zum Abschluss
Glossar
Weitere wichtige Begriffe des Judentums
Literaturverzeichnis
Bildnachweis
Die Autorin
Sie wollten uns töten. Wir haben gewonnen. Lasst uns essen! Dieses nicht allzu ernst gemeinte Motto wird oft für jüdische Feiertage angewandt. Im Mittelpunkt aller jüdischen Feiertage stehen Erinnerung und Gedenken an historische Ereignisse, die von Generation zu Generation weitergegeben werden sollen. Gleichzeitig wird besonders freudig und genussvoll gefeiert. Freilich gibt es im jüdischen Jahreskreis auch zahlreiche Fasttage, an denen besinnliche Einkehr gehalten wird.
Einer der wichtigsten Grundsätze im Judentum ist, das Leben und alles, was einem gegeben wurde, auf das Beste zu nützen. Am Ende der Tage werden wir gefragt, ob wir dieses Leben, das uns überantwortet wurde, auch gelebt haben.
»Erfülle die Welt und erobere sie«, heißt es in der Tora, der Bibel (1. Buch Mose 1, 22). Die Wertschätzung des Lebens stellt im Judentum ein wichtiges Prinzip dar. Es ist ein Gebot, sich gesund zu halten, auf andere Menschen zu achten und für sie zu sorgen. Die Rettung des Lebens eines Mitmenschen setzt sogar alle Gebote außer Kraft. Daher ist es kein Zufall, wenn wir einander an jüdischen Feiertagen »Le Chaim« wünschen. Auf das Leben! Wobei auch hier – wie bei allem anderen im Judentum – bereits eine Diskussion darüber entsteht, was der Spruch »Le Chaim« beinhalten könnte und welche verschiedenen Aspekte darin zu finden sind.
Immer wieder werde ich auf jüdische Feste, Rituale oder Bräuche angesprochen und darauf, dass alles aus der Distanz vielleicht etwas komplex erscheint. Wenn man aber jemals an einem der Feste teilnimmt, gelingt es rasch, in die Atmosphäre einzutauchen. Ziel dieses Buches ist es, einen Einblick in das jüdische Jahr, die jüdischen Feiertage und Feste zu geben, gepaart mit meinen persönlichen Erlebnissen, beziehungsweise – weil es im Judentum essenziell ist, gut zu essen – Ihnen auch einige meiner Lieblingsrezepte zu den verschiedenen Feiertagen ans Herz zu legen. Vielleicht haben Sie ja einmal Lust, das eine oder andere auszuprobieren? Selbstverständlich darf auch der augenzwinkernde Blick mit Humor nicht fehlen.
Was mir am Judentum wichtig ist, sind die Grundsätze, nach denen eigentlich jeder Mensch leben sollte. Ganz abgesehen von den zehn Geboten, die es in leicht veränderter Form auch im Christentum gibt und die meiner Meinung nach als Richtschnur für ein friedliches Zusammenleben aller Menschen dienen sollten, sind es im Judentum Gerechtigkeit und Wohltätigkeit, die geübt werden sollen, sowie das Einstehen füreinander.
Das Judentum sagt uns nicht, was wir tun müssen, sondern was wir tun sollen. Wir haben den freien Willen, uns zu entscheiden, denn wir haben die Fähigkeit zum Guten wie zum Bösen mit auf den Weg bekommen. Wir sind für all unsere Taten selbst verantwortlich und können mit jeder Entscheidung zu einer besseren Welt beitragen. Die Bibel gibt uns dafür die Richtlinien und unsere Rabbiner sorgen für die diversesten Auslegungen. Hier ist auch anzumerken, dass das Judentum sehr pluralistisch ist und sich aus vielen verschiedenen Traditionen und Strömungen zusammensetzt, die ein spannendes und vielseitiges Mosaik ergeben.
Im sechsten Jahrhundert v. d. Z. wurden die beiden Reiche Juda und Israel zerstört, es entstanden große jüdische Gemeinden in Ägypten und in Babylonien, und es gab bereits erste Wanderungen nach Südeuropa. Im ersten und zweiten Jahrhundert n. d. Z. erweiterte sich die Zerstreuung der Jüdinnen und Juden auf viele Länder, auch auf den Spuren der römischen Armee. Später bildeten sich jüdische Zentren in Spanien heraus. Die dortigen Gemeinden wurden als Sefardim bezeichnet. In Deutschland siedelten sich Jüdinnen und Juden vor allem in Worms, Speyer und Mainz an. Sie wurden nach der Bezeichnung für Deutschland Ashkenasim genannt. Während die Sefardim 1492 aus Spanien vertrieben wurden und sich daraufhin im Osmanischen Reich, in Griechenland oder Nordafrika neu ansiedelten, verbreiteten sich die ashkenasischen Gemeinden in Richtung Osten bis nach Russland. Durch die meist unfreiwilligen Migrationen über die Jahrhunderte und die dadurch erfolgte Anbindung an lokale Bräuche entwickelten sich hier verschiedene Gewohnheiten und Rituale (Minhagim), die sich zum Teil in unterschiedlichen Melodien für die Lieder zu Shabbat und den Feiertagen oder in den Rezepten manifestieren, die je nach Gemeinde anders zubereitet werden. So schmeckt der Gefilte Fisch nach polnischer Tradition bis heute eher süß, in Ungarn wiederum wird und wurde er mit Paprika zubereitet. In unserer Familie zum Beispiel hat sich der polnischtschechisch inspirierte Hintergrund unserer Vorfahren (die aus Krakau, Lemberg und Goltsch-Jenikau stammten) erhalten, das heißt, die Speisen, die ich hier vorstelle, kommen fast alle aus dieser Tradition, die wir aber an die heutigen Essgewohnheiten anpassen.
Entzünden der Shabbatkerzen in Miami Beach: Vor Sonnenuntergang zünden die Frauen im Haus die Kerzen an.
Während ich an diesem Buch arbeite, steckt die Menschheit gerade in der x-ten Welle der Covid-Pandemie. Die zahlreichen Einschränkungen des öffentlichen, aber auch des privaten Lebens durch die immer wieder verhängten Lockdowns hatten und haben bedauerlicherweise einen großen Einfluss auf das religiöse Leben, auf die Abhaltung der Gottesdienste und die traditionellerweise danach stattfindenden gemeinsamen Essen, besonders die großen Familienfeste. Das gemeinsame Essen erfährt im Judentum einen speziellen Stellenwert und verstärkt das Gefühl der Zusammengehörigkeit in der Familie.
Früh übt sich: Samuel Engelberg beim Lesen von Chanukka-Liedern
Trotz der Covid-Beschränkungen versuchte man, das Beste aus der Situation zu machen. So verlagerten unsere Rabbiner ihre Shiurim (Lehreinheiten) in den virtuellen Raum. An vielen jüdischen Feiertagen ist es verboten, elektronische Geräte zu verwenden, daher gab es in diesen Fällen die Möglichkeit, Ansprachen zu den verschiedenen Festen zeitversetzt vor oder nach der aktuellen Zeit virtuell mitzuerleben. Und auch Rabbiner, die sonst das Internet verbieten, boten plötzlich ihre Services online an.
Für viele Gebete im Judentum braucht man ein sogenanntes Minjan, eine Gruppe von zehn erwachsenen Juden (das orthodoxe Judentum sieht hier ausschließlich Männer vor, in den Reformgemeinden werden auch Frauen dazugezählt). Das Judentum ist also eine Religion, die auf Gemeinschaft aufgebaut ist, und Humor ist hier immer ein guter Weg, um sich in einer schwierigen Situation gegenseitig abzulenken und zu motivieren. So entstand innerhalb von kürzester Zeit eine Fülle an Covid-Witzen, wobei dieser mein Lieblingswitz ist:
Kippot zur Bat Mitzwa von Deborah Engelberg
Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg
Apropos Rabbiner: Viele Informationen, die ich Ihnen in diesem Buch weitergeben darf, habe ich in den unzähligen Unterrichtsstunden bei Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg erhalten, die ich bis zum Ausbruch der Pandemie wöchentlich besuchen durfte. Er ist eine Quelle unerschöpflicher Anekdoten und Geschichten. Sein Nachfolger Yaron Engelmayer bietet jeden Freitag anregende Gedanken zum Wochenabschnitt der Tora auf seinem Youtube-Kanal an. Auch dafür bin ich dankbar. Auch Botschafter Mordechai Rodgold hat mir wertvolle Tipps gegeben.
Aus der Einhaltung der Tradition schöpfe ich jedenfalls viel Kraft, auch wenn die Vorbereitung eines jeden jüdischen Feiertages eine gewisse Anstrengung erfordert. Doch wenn die ganze Familie und Freunde am feierlich gedeckten Tisch beisammen sind und den Abend genießen, ist das mehr als eine Belohnung.
In diesem Sinne bedanke ich mich bei Katarzyna Lutecka für die Idee zu diesem Buch und dem gesamten Team des Amalthea Verlags für die Unterstützung. Danken möchte ich den Fotografen, die mir ihre Bilder zur Verfügung gestellt haben: Harry Weber (1921–2007), Ouriel Morgensztern, Josef Polleross, Peter Rigaud, Svetlana und André Wanne, meiner lieben Freundin Gabriele Seethaler. Dankbar bin ich für die Karikaturen von Ben Gershon.
Familie Engelberg-Spera beim Frühstück
Mein besonderer Dank gilt auch Theresa Absolon – ohne sie wäre dieses Buch vermutlich viel später erschienen – und Manuel Butschek. Meinem Mann bin ich zuallererst dankbar für unser herrliches gemeinsames Leben und für die wunderbaren Feiertage, die wir gemeinsam verbringen. Durch seine außergewöhnlich umfangreiche Kenntnis über die jüdische Religion (er begann mit drei Jahren zu lernen) wird jeder Feiertag, besonders der wöchentliche Shabbat, zu einem außerordentlichen Ereignis, bei dem er sein Wissen über die religiöse Weisheit mit aktuellen Begebenheiten verknüpft. Ihm und unseren Kindern sowie meiner Schwägerin Liliane Kipperman und ihrer Familie, wie auch Dorothea und Deni Gros danke ich für ihre Ideen. Meinem Mann und den Kindern danke ich vor allem für ihre Geduld, wenn ich mich immer wieder zurückziehen musste, um an diesem Buch zu arbeiten. Auch von meiner früh verstorbenen Schwägerin Marlene Eltes stammen einige meiner Lieblingsrezepte, sowie von meiner Schwiegermutter Dr. Dorothea Engelberg (1925–1980), der langjährigen Präsidentin der WIZO-Österreich (einer internationalen zionistischen Frauenorganisation). Und von meiner unvergesslichen Mutter Edith Spera (1935–2019) stammt das beste Rezept für Latkes (Kartoffelpuffer) aller Zeiten (behaupten jedenfalls meine Kinder).
Samuel Engelberg und seine Omi Edith Spera
Von meinen Eltern habe ich viele Lebensweisheiten mitbekommen. Mein Vater Dr. Kurt Spera (1928–2019), den ich hier auch nicht unerwähnt lassen möchte, hat mich gelehrt, auf jede Veränderung in meinem Leben mit Gelassenheit und Flexibilität zu reagieren.
»Der Mensch tracht und Gott lacht.« Dieser Ausspruch kommt in den Psalmen der Tora mehrmals vor. Die Pläne, die wir machen, quittiert der »Oberste« (jiddisch: Ojberschter in Himl) mit Lachen, denn in Wirklichkeit macht er die Pläne für uns. In diesem Sinn habe ich auch mein Lebensmotto gewählt, es stammt von Rabbi Nachman von Breslaw (1772–1810): »Kol haolam kulo gesher tzar meod, we ha’ikar lo lefached klal.«1 – frei übersetzt: Das Leben ist eine schmale Brücke und das Wichtigste ist, keine Angst zu haben. Furchtlos durch das Leben zu gehen und alles, was uns entgegenkommt mit einem positiven Engagement zu meistern, das habe ich auch meinen Kindern mitgegeben. In diesem Sinn hoffe ich, dass ich Ihnen mit diesem Buch neue Perspektiven und interessante Einblicke ermöglichen und Ihnen vor allem auch die Freude an der jüdischen Tradition und Kultur vermitteln kann.
Danielle Spera und ihr Verwandter Wolf Erich Eckstein vor der Synagoge in Goltsch-Jenikau
1Nachman von Breslaw: Likutei Moharan, Teil 2, 48, 2.
Wer glaubt, dass die Vorbereitungen für das wichtige christliche Weihnachtsfest stressig sein können, der weiß nicht, welche Herausforderung das jüdische Jahr darstellt. Denn der jüdische Jahreskreis ist durch zahlreiche Feiertage gekennzeichnet, die unterschiedliche und oft auch nicht unaufwendige Vorbereitungen benötigen. Dafür wird man dann mit angenehmen, besinnlichen, vereinenden Momenten im Familienkreis belohnt.
Einige dieser Feiertage sind bereits in der Bibel vorgegeben. Im dritten Buch Mose heißt es: »Sage den Israeliten und sprich zu ihnen: Dies sind die Feste des Herrn, die ihr ausrufen sollt als heilige Versammlungen; dies sind meine Feste« (3. Buch Mose 23, 2). Nachfolgend sind die Feste aufgelistet, sowie der wöchentliche Ruhetag, der Shabbat, der auch in den zehn Geboten genannt wird: die Hohen FeiertageRosh haShana (Neujahr) und Jom Kippur (Versöhnungs- und Fasttag), sowie die WallfahrtsfestePessach, Sukkot und Shawuot, drei Erntefeste, an denen die Jüdinnen und Juden nach Jerusalem pilgerten, um Erntegaben als Opfer darzubringen. Für diese in der Bibel genannten Feste gilt ein strenges Arbeitsverbot. An den sogenannten rabbinischen FeiertagenChanukka und Purim, die erst später eingeführt wurden, darf gearbeitet werden, ebenso an den neueren rabbinischen Feiertagen, zum Beispiel dem israelischen Unabhängigkeitstag Jom haAtzma’ut. Heute gibt es zusätzliche Trauertage wie den Jom haShoa, der dem Gedenken an die Opfer des Holocaust gewidmet ist, und den Jom haSikaron, dem Gedenktag an die gefallenen israelischen Soldaten und die Opfer von Terroranschlägen. Diese Feste sind im jüdischen Kalender festgehalten – ein Kalender, der viele Besonderheiten und Unterschiede zum in Österreich gebräuchlichen gregorianischen Kalender beinhaltet. So leben Jüdinnen und Juden bereits im sechsten Jahrtausend und manche Jahre haben nicht zwölf, sondern 13 Monate.
Den jüdischen Kalender, verschiedene jüdische Jahre und die Aufteilung der Monate könnte man also frei nach Thomas Bernhard als »einfach kompliziert«1 beschreiben. Der Kalender, auf Hebräisch Luach genannt, setzt sich aus verschiedenen Elementen zusammen, doch die Feiertage mussten ja bereits eingehalten werden, bevor es einen Kalender gab. Der Beginn eines Monats wurde in der Zeit, in der die Jüdinnen und Juden im sechsten Jahrhundert v. d. Z. im babylonischen Exil lebten, mit dem ersten Sichtbarwerden der Mondsichel nach Neumond festgelegt. Dazu wurden in Jerusalem Zeugen ausgeschickt, die auf Bergen oder Hügeln den Mond beobachteten. Sobald das erste Zeichen der Sichel des neuen Mondes sichtbar war, entzündeten die Zeugen weithin erkennbare Lagerfeuer. Manchmal sorgten Störfeuer für Verwirrung, weshalb zusätzlich auch Boten ausgesendet wurden. Durch die Diaspora, die Zerstreuung der Jüdinnen und Juden auf verschiedene Länder, kamen diese Boten oft nicht rechtzeitig an. Daher entstand die Idee, die Feiertage außerhalb Israels auf zwei Tage auszudehnen, um sicherzugehen, dass man den richtigen Tag erwischt hat. Ein Feiertag wurde allerdings auch in Israel auf zwei Tage erweitert: das jüdische Neujahrsfest, Rosh haShana, da Rosh haShana am ersten Tag des Monats Tishrei stattfindet und daher zu biblischen Zeiten nicht ganz sicher war, welcher Tag es ist. Als die Beobachtung des Mondes und die Verbreitung der Kunde über die erste Sichtung zu aufwendig und kompliziert wurde, wurden im vierten Jahrhundert von Patriarch Hillel II.2 zeitliche Regeln festgelegt, die überall dort gelten sollten, wo Jüdinnen und Juden lebten.
Der jüdische Kalender richtet sich allerdings nicht nur nach dem Mond, sondern auch nach der Sonne. Zunächst ist die Umkreisung des Mondes um die Erde für den Kalender entscheidend. Ein Monat dauert 29 oder 30 Tage. Das würde aber für das jüdische Jahr bedeuten, dass es nur 354 Tage zählt, daher bezieht sich der Kalender auch auf die Sonne: Die Erde umkreist die Sonne innerhalb von 365 Tagen. Um die Differenz von elf Tagen auszugleichen, werden im jüdischen Jahreskreis Schaltmonate eingesetzt. In einem Zyklus von 19 Jahren wird sieben Mal ein dreißigtägiger Schaltmonat eingefügt.
Omer-Kalender: Zwischen Pessach und Shawuot liegen 49 Tage, in denen Omer (Garben) gezählt werden.
Einen wichtigen zusätzlichen Aspekt gibt es noch im Kreislauf der Jahre: Alle sieben Jahre wird ein Ruhejahr für die Landwirtschaft eingeschoben, das sogenannte Shmitta-Jahr (heute gilt es als Vorbild für das Sabbatical, also ein Jahr Auszeit aus dem Beruf). Nach sechs Jahren Bewirtschaftung wird das Land nicht bestellt, denn es heißt in der Tora, den Fünf Büchern Mose des Alten Testaments: »Sechs Jahre kannst du in deinem Land säen und die Ernte einbringen; im siebten sollst du es brachliegen lassen und nicht bestellen.« (2. Buch Mose 23, 10–11). Das Shmitta-Jahr ist sozusagen wie ein Shabbat für das ganze Jahr. Es soll uns auch daran erinnern, dass wir die Erde nicht ausbeuten dürfen, um nicht alle Ressourcen zu verschwenden. Also eigentlich eine frühe Mahnung für den Umweltschutz.
Daran, dass wir auch die Arbeitskraft der Menschen nicht ausbeuten dürfen, erinnert das sogenannte Jobeljahr oder auch Jubeljahr.
Dieses findet nach siebenmal sieben Shmitta-Jahren statt und ist auch ein Gebot der Tora: »Und ihr sollt das Jahr des fünfzigsten Jahres heiligen und im Lande Freiheit ausrufen für all seine Bewohner. Ein Jubeljahr soll es euch sein, und ihr werdet ein jeder wieder zu seinem Eigentum kommen und ein jeder zurückkehren zu seinem Geschlecht.« (3. Buch Mose 25, 10). Es beginnt zu Jom Kippur. Alle 50 Jahre wurde im biblischen Judentum ein Schuldenerlass gewährt und die Sklaven mussten freigelassen werden. Später übernahm die Kirche dies als Idee für Ablassjahre, in denen Sünden aufgehoben wurden. Heute gilt in der katholischen Kirche jedes 25. Jahr als Heiliges Jahr.
Die Zeitrechnung des jüdischen Kalenders beginnt mit dem Zeitpunkt der Schöpfung, der auf das Jahr 3761 v. d. Z. festgelegt wurde. Daher befinden wir uns bereits im sechsten Jahrtausend.
Wann beginnt eigentlich das jüdische Jahr? Auch hier gibt es keine einfache Antwort. Die Erschaffung der Welt, vor allem die Schöpfung des Menschen, die im Tishrei (September/Oktober) stattgefunden haben soll, gilt als Anfang des neuen Jahres. Zu diesem Zeitpunkt wird auch Rosh haShana gefeiert, das Neujahrsfest – wörtlich übersetzt »Kopf des Jahres«. Gleichzeitig nennt die Bibel Nissan (März/April) als ersten Monat. Hier erinnern wir an den Auszug aus Ägypten und die Befreiung aus der Sklaverei und feiern das wichtige Fest Pessach, ein Freuden- und Familienfest.
Die Namen der Monate stammen aus der Zeit des babylonischen Exils (597–539 v. d. Z.) und sind aramäisch:
Tishrei
September/Oktober
30 Tage
Cheshwan
Oktober/November
29 bzw. 30 Tage
Kislew
November/Dezember
30 bzw. 29 Tage
Tewet
Dezember/Januar
29 Tage
Shwat
Januar/Februar
30 Tage
Adar
Februar/März
29 Tage; im Schaltjahr wird hier ein zweiter Adar eingefügt
Nissan
März/April
30 Tage
Ijar
April/Mai
29 Tage
Siwan
Mai/Juni
30 Tage
Tammus
Juni/Juli
29 Tage
Aw
Juli/August
30 Tage
Elul
August/September
29 Tage
Diese Monate bilden den jüdischen Kalender, der für die Gemeinden in aller Welt Gültigkeit hat, was vor allem für die Einhaltung der Feiertage wichtig ist. In Israel wird der jüdische Kalender seit der Staatsgründung 1948 eingesetzt; seit 2018 ist er der offizielle Staatskalender Israels. Viele Israelis verwenden neben dem jüdischen Kalender auch den international gültigen gregorianischen Kalender, vor allem im Tourismus.
Zu den Feiertagen ist prinzipiell anzumerken, dass sie immer am Vorabend beginnen. Das bedeutet, die Tage beginnen nicht um Mitternacht, beziehungsweise null Uhr, sondern jeweils mit Sonnenuntergang. Dies hat seinen Ursprung in der Schöpfungsgeschichte, wo es heißt: »Es wurde Abend und es wurde Morgen: erster Tag.« (1. Buch Mose 1, 5). Der Beginn des Feiertags wird mit dem Zusatz Erew (Abend) bezeichnet. Der Beginn der Feiertage, auch und vor allem des wöchentlichen Feiertags, des Shabbat, ist strikt einzuhalten. In der christlichen Tradition hat sich das übrigens auch beim Weihnachtsfest noch erhalten: Der Heilige Abend wird am Vorabend des Weihnachtstags begangen. Heute findet man die Beginnzeiten des Shabbat oder der Feiertage für den jeweiligen Ort, an dem man sich aufhält oder wohnt, ganz einfach online.
Der Dienstag gilt übrigens als besonderer Glückstag, da es in der Schöpfungsgeschichte zweimal heißt: »Gott sah, dass es gut war!« (1. Buch Mose 1, 10–12). Daher muss dieser Tag ja etwas Besonderes sein.
Mein Mann und ich haben uns deshalb einen Dienstag als den Tag unserer Hochzeit ausgesucht. Bis heute hat sich das in unserer Ehe auch als glückbringend bewahrheitet.