Lehrbuch Differenzen in der Schule - Tanja Sturm - E-Book

Lehrbuch Differenzen in der Schule E-Book

Tanja Sturm

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  • Herausgeber: UTB
  • Kategorie: Bildung
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2024
Beschreibung

Aktuelles Thema für Lehramtsstudierende Differenzen in der Schule werden den Schüler:innen häufig anhand individueller Merkmale zugeschrieben, z. B. ihrer sozio-ökonomischen und / oder ethnischen Herkunft, des ihnen zugeschriebenen Geschlechts und / oder eines sonderpädagogischen Förderbedarfs. Dieses Buch eröffnet eine andere Perspektive: Differenzen werden als gesellschaftliche und schulische Konstruktionen vorgestellt, die Ungleichheit hervorbringen. Anschließend wird danach gefragt, wie diese abgebaut und überwunden werden können. utb+: Leser:innen erhalten zusätzlich Lösungsvorschläge zu den Übungsaufgaben aus dem Buch um den Lernstoff zu vertiefen. Ein kostenpflichtiger Prüfungstrainer ist im Brainyoo-Shop verfügbar.

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Seitenzahl: 310

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Tanja Sturm

Lehrbuch Differenzen in der Schule

3., vollständig überarbeitete Auflage

Mit 14 Abbildungen

Ernst Reinhardt Verlag München

Prof.in Dr.inTanja Sturm ist Professorin für Erziehungswissenschaft, insbesondere Grundschulpädagogik mit dem Schwerpunkt des Diversitätsspektrums im Vor- und Grundschulalter, an der Universität Hamburg.

Die 1. und 2. Auflage erschienen unter dem Titel „Lehrbuch Heterogenität in der Schule“.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

UTB-Band-Nr.: 3893

ISBN 978-3-8252-6000-2 (Print)

ISBN 978-3-8385-6000-7 (PDF-E-Book)

ISBN 978-3-8463-6000-2 (EPUB)

3., vollständig überarbeitete Auflage

© 2024 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München

Dieses Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung der Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, München, unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen in andere Sprachen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.Der Verlag Ernst Reinhardt GmbH & Co KG behält sich eine Nutzung seiner Inhalte für Text- und Data-Mining i.S.v. § 44b UrhG einschließlich Einspeisung / Nutzung in KI-Systemen ausdrücklich vor.

Printed in EU

Einbandgestaltung: siegel konzeption | gestaltung, Stuttgart

Covermotiv: ©istockphoto.com / Kudryashka

Satz: ew print & medien service gmbh

Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639 München

Net: www.reinhardt-verlag.de E-Mail: [email protected]

Inhalt

1  Einleitung

2  Differenzen in Schule und Unterricht

2.1  (Differente) Milieus - Perspektive der Praxeologischen Wissenssoziologie

2.1.1 Milieus

2.1.2 Milieus im sozialen Raum

2.2  Milieus in Schule und Unterricht

2.3  Übungsaufgaben

2.4  Literaturempfehlungen

3  Schule: Institutionelle Herstellung und Bearbeitung von Differenzen

3.1  Aufgaben der Schule in der und für die Gesellschaft

3.2  Differenzkonstruktionen durch die Schule im Wandel der Zeit

3.2.1 Umbruch: Lösung vom Ständeprinzip und Einführung des Leistungsprinzips

3.2.2 Ausweitung formaler Gleichheit, bestehende Ungleichheit

3.2.3 Entwicklungen und Diskurse seit 2000

3.3  Differenzkonstruktionen durch Schule am Beispiel schulischer Leistungsbewertung

3.4  Übungsaufgaben

3.5  Literaturempfehlungen

4  Schüler:innen mit differenten, milieuspezifischen Erfahrungen in Schule und Unterricht

4.1  Leistung und Leistungsdifferenzen in Schule und Unterricht

4.2  Sozio-ökonomische Differenzen im Kontext von Schule und Unterricht

4.2.1 Sozio-ökonomische Ungleichheit

4.2.2 Benachteiligungen und Schlechterstellung in Schule und Unterricht

4.3  Geschlechterbezogene Differenzen im Kontext von Schule und Unterricht

4.3.1 Geschlechtsbedingte Ungleichheit

4.3.2 Benachteiligungen und Schlechterstellung in Schule und Unterricht

4.4  Migrationsbedingte Differenzen im Kontext von Schule und Unterricht

4.4.1 Migrationsbezogene Differenzen

4.4.2 Benachteiligungen und Schlechterstellung in Schule und Unterricht

4.5  Behinderungsbedingte Differenzen im Kontext von Schule und Unterricht

4.5.1 Behinderungsbezogene Differenzen

4.5.2 Benachteiligungen und Schlechterstellung in Schule und Unterricht

4.6  Übungsaufgaben

4.7  Literatur- und Websiteempfehlungen

5  Inklusion als Perspektive schulischer und unterrichtlicher Bearbeitung von Differenzen

5.1  Inklusion als institutionelles und pädagogisches Rahmenkonzept

5.2  Lern- und Bildungsprozesse

5.3  Diagnostik: systematische Annäherung an Lern- und Bildungsprozesse

5.4  Unterricht: Anforderungen an die Initiierung von Lern- und Bildungsprozessen

5.4.1 Didaktik – eine Definition

5.4.2 Unterricht als Milieu

5.4.3 Unterrichtliche Herausforderung: Vermittlung zwischen widersprüchlichen Erwartungen

5.5  Übungsaufgaben

5.6  Literatur- und Websiteempfehlungen

Literatur

Sachregister

Hinweise zur Benutzung dieses Lehrbuches

Zur schnelleren Orientierung werden in den Randspalten Piktogramme benutzt, die folgende Bedeutung haben:

Merksatz

Fallbeispiel

Literaturtipps

Websiteempfehlungen

Übungsaufgaben

Für die Inhalte dieses Buches gibt es zwei Formen der Lernzielkontrolle:

1  Am Ende jedes Kapitels gibt es Übungsaufgaben mit offenen Fragen. Musterlösungen zu diesen Fragen finden Sie auf der Homepage des Ernst Reinhardt Verlages und der UTB GmbH bei der Darstellung dieses Titels: www.reinhardt-verlag.de, www.utb.de

2  Direkt passend zum Buch ist darüber hinaus eine Lern-App erhältlich, die weitere Lernaufgaben in Form von Multiple-Choice-Fragen, Single-Choice-Fragen sowie Lückentexten u. a. enthält. So können Sie sich optimal auf Ihre Prüfung vorbereiten!

Vorwort zur dritten Auflage

Das „Lehrbuch Differenzen in der Schule“ erscheint – elf Jahre nach der ersten Veröffentlichung – 2024 in der dritten Auflage. In den vergangenen elf Jahren hat sich der erziehungswissenschaftliche Fachdiskurs zu dem Themenfeld, das in dem Buch bearbeitet wird, differenziert und verändert. Das Themenfeld Heterogenität resp. Differenzen wird heute unmittelbar mit Schule und Unterricht in Verbindung gebracht und alle angehenden Lehrpersonen sind gefordert, sich im Rahmen ihres Studiums damit auseinanderzusetzen.

Der Titel des Bandes, der in der ersten und auch in der zweiten Auflage „Heterogenität in der Schule“ lautete, greift die Veränderungen auf, die sich – wie in sozialwissenschaftlichen Zusammenhängen und Diskursen nicht unüblich – auch in den verwendeten Begriffen ausdrücken. Der neue Titel des Buchs lautet „Differenzen in der Schule“. Anders als Heterogenität, ein Begriff, der insofern vage bleibt, als er eine „Streuung um eine Norm“ impliziert (Gomolla 2009, 22), eröffnet der Differenzbegriff eine deskriptiv-analytische Betrachtung (siehe auch Kapitel 2). Dabei steht die Verwendung des Begriffs Differenzen auch in theoretischer Kontinuität zu dem der Heterogenität. Neben diesen begrifflichen Aktualisierungen unterscheidet sich die dritte Auflage gegenüber der vorherigen durch weitere Änderungen. Diese ergeben sich wesentlich durch die theoretisch und empirisch fundierten neuen Erkenntnisse, die seit der vorherigen Auflage in der Erziehungswissenschaft, v. a. den schul- und inklusionspädagogischen Diskursen, generiert wurden.

1 Einleitung

Differenzen und Heterogenität, z. T. auch Diversity stellen zentrale Begriffe des schulpädagogischen Diskurses dar. Ihnen ist gemeinsam, dass sie auf Unterschiede zwischen Schüler:innen verweisen. Vorwiegend werden sie im Zusammenhang mit Ungleichheit in Schule und Unterricht genannt, also mit Benachteiligungen, die Kinder und Jugendliche im schulischen und unterrichtlichen Kontext erfahren. Dieser Fokus wird auch hier gesetzt.

Alle drei Begriffe – Heterogenität, Differenz und Diversity – finden sich in aktuellen erziehungswissenschaftlichen Diskussionen und schulbezogenen Dokumenten. Sie werden z. T. synonym, also gleichbedeutend beschrieben (vgl. z. B. Prengel 2013), andere unterscheiden sie voneinander (Emmerich / Hormel 2013); vielfach werden sie als „Leitkategorien“ (Schroeder 2007), „Leitbegriffe“ (Wenning 2004) oder „buzzwords“ (Baader 2013), also Modewörter, beschrieben und kritisiert. Die damit verbundene Vielfalt mag Menschen, die beginnen, sich mit den Fachbegriffen und der Fachsprache auseinanderzusetzen, zunächst verwirren. Dies kann dazu verleiten, nach dem „richtigen“ oder „angemessenen“ Begriff zu suchen, der der weiteren Auseinandersetzung zugrunde gelegt wird. Solche Suchbewegungen bergen zwar das Risiko zu kurz zu greifen, indem die Begriffe losgelöst von den theoretischen Bezügen, in denen sie verankert sind, abstrahiert werden; die Suche eröffnet aber auch die Möglichkeit, sich mit den hinter den Begriffen liegenden theoretischen Konzepten und Verständnissen auseinanderzusetzen und so einen vertieften Einblick in erziehungswissenschaftliche Zusammenhänge zu erlangen.

Nachfolgend soll ein Verständnis von Differenzen verwendet werden – der nicht synonym zu den anderen verstanden wird. Heterogenität ist ein Begriff, der v. a. in deutschsprachigen schulpädagogischen Überlegungen zu finden ist. Seine Verwendung und die Bedeutung sind ebenso vielfältig wie die zunehmende kritische Auseinandersetzung mit ihm (vgl. z. B. Emmerich / Hormel 2013; Walgenbach 2017). Die starke Zunahme der Verwendung des Begriffs im erziehungswissenschaftlichen Kontext nach der Jahrtausendwende geht wesentlich auf die Veröffentlichung der ersten PISA-Studie der OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, zurück. Diese Studie bezeichnet Katharina Walgenbach als „Gründungsnarrativ“ (Walgenbach 2017, 14), da – aus den unterschiedlichsten programmatischen und theoretischen Überlegungen heraus – auf sie rekurriert wird, wenn Heterogenität im Kontext von Schule und Unterricht thematisiert und problematisiert wird. Die erziehungswissenschaftliche Auseinandersetzung erscheint dabei eher reaktiv als aktiv zu sein. Dies kommt auch in der vielfach gebräuchlichen Wendung des „Umgangs mit Heterogenität“ zum Ausdruck; eine Formulierung, die impliziert, dass Heterogenität von außen an die Schule und den Unterricht herangetragen wird, und nun ein didaktischer Umgang, eine Bearbeitungsform mit dieser (neuen) Situation zu gestalten sei. Sauter und Schroeder (2007) folgend, stellt eine solche pädagogisch-programmatische Perspektive nur einen Teil des deutlich breiter geführten Diskurses zu Inklusion dar. Dieser umfasst v.a. deskriptiv-analytische Perspektiven sowie die, dass Unterschiede auch in der Schule und dem Unterricht selbst hervorgebracht und bearbeitet bzw. konstruiert werden. Unterschiede werden also nicht nur von außen an die Schule und den Unterricht herangetragen, sondern in den Interaktionen der beteiligten Akteur:innen, v. a. der der Lehrpersonen und Schüler:innen, selbst generiert. Diese Perspektiven lassen sich v. a. mit den Begriffen der Differenzen und der Differenzkonstruktionen fassen. Sie sollen in den weiteren Ausführungen verwendet werden.

Differenzen werden vielfach in Kategorien gefasst, die soziale Gruppen umschreiben. Diese Beschreibungen bringen das Dilemma mit sich, einerseits auf einzelne soziale Dimensionen fokussierende Zugehörigkeit zu erzeugen, fortzuschreiben und zu bestätigen und andererseits zum Erkennen und Beschreiben systematischer, gruppenbezogener Benachteiligungen notwendig zu sein.

Die Diskussion um Heterogenität resp. Differenzen wird in Bildungspolitik und Erziehungswissenschaft mit der Erwartung verknüpft, aktuell bestehende Ungleichheiten der Partizipation an den unterschiedlichen schulischen Bildungsgängen zwischen verschiedenen Gruppen zu überwinden. Die bestehende Chancengleichheit im Zugang zu Bildungsgängen liegt lediglich formal vor (vgl. Helbig / Nickolai 2015), was sich beispielsweise darin zeigt, dass Kinder und Jugendliche aus sozio-ökonomisch nicht privilegierten Familien im Vergleich zu privilegierten Gleichaltrigen deutlich seltener das Gymnasium besuchen und deutlich häufiger sonderpädagogischen Förderbedarf attestiert bekommen. Von der Realisierung des demokratischen Anspruchs, einen von der familiären Sozialisation unabhängigen Zugang zu Bildung zu ermöglichen, ist die Schule in Deutschland, Österreich und der Schweiz weit entfernt. Benachteiligung besteht über den Zugang zu schulischen Bildungsgängen hinaus auch hinsichtlich des fachlichen Kompetenzerwerbs. So weisen Schüler:innen mit familiärer Migrationsgeschichte niedrigere Kompetenzwerte im Lesen auf als ihre Peers ohne eine solche. Die Schule nimmt bei der Reproduktion sozialer Ungleichheiten in struktureller und kultureller Hinsicht insofern eine Schlüsselstellung ein, als sie die Legitimationsgrundlage für den weiteren Schulbesuch sowie berufliche Perspektiven schafft und legitimiert. Dies bezieht sich auf alle Schulformen und Schulstufen der Bildungsinstitution Schule.

Das vorliegende Buch möchte einen Beitrag dazu leisten, die strukturellen und kulturellen Herstellungs- und Bearbeitungsformen von Differenzen in Schule und Unterricht sowie die dabei hervorgebrachten Praktiken von systematischer Benachteiligung sozialer Milieus zu beschreiben und zu reflektieren. Es wird eine theoretische Folie bereitgestellt, um Normen und Praktiken, die zu Ausgrenzung und Marginalisierung in Schule und Unterricht führen (im Kontext ihres gesellschaftlichen Zusammenhangs), zu erkennen und eigene unterrichtliche Planungen hieran zu kontrastieren. Mit anderen Worten, Differenzen werden nicht allein als von außen an Schule und Unterricht herangetragen verstanden, sondern auch in ihnen selbst hervorgebracht.

Dass Schule und Unterricht und ihre Akteur:innen selbst als Produzierende von Differenzen agieren, ist eine zentrale Linie dieses Buches. Die Akzeptanz des Beteiligtseins an Prozessen von Differenzerzeugung und Benachteiligung ist die Grundlage für einen reflektierten Umgang mit den widersprüchlichen An- und Herausforderungen in Schule und Unterricht. Dies erfolgt hier mithilfe der wissenssoziologisch fundierten Begriffe der „Pädagogik kollektiver Zugehörigkeiten“ (Nohl 2014, 137 ff.). Diese Begriffe werden für den Kontext der gesellschaftlichen Institution Schule aufgegriffen, um Überlegungen zur Einbindung von Milieus in gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse erweitert und in einem Ansatz inklusiver Pädagogik spezifiziert. Dies erfolgt mit einem doppelten Anspruch: Die aktuelle Situation der Benachteiligungen in Schule und Unterricht in ihrer Entstehung nachvollziehbar zu machen und Perspektiven für zukünftige Gestaltungsformen und Praktiken aufzuwerfen. Beides orientiert sich am Abbau bestehender Bildungsungleichheit als Voraussetzung und Notwendigkeit für ein demokratisches Miteinander in einer pluralen Gesellschaft.

Die Ausführungen sollen es ermöglichen, kodifizierte Normen, (Entscheidungs-)Erwartungen und Praktiken mithilfe des begrifflich-theoretischen Werkzeugs zu betrachten, einzuordnen und zu reflektieren. Es wird eine begrifflich-theoretische Perspektive eingenommen, die entsprechend exemplarisch bleiben muss, wenn es um spezifische Formen von Differenzen in Schule und Unterricht geht. Dies erfolgt entlang darzustellender Möglichkeiten einer Bearbeitung, welche die pädagogischen Professionen zwar herausfordern, nicht aber überfordern oder als alleinig verantwortlich verstehen. Vielmehr werden Differenzen als wünschenswerter und zugleich notwendiger Teil einer demokratischen Gesellschaft gesehen. In Schule und Unterricht treffen Menschen vielfältiger Milieus aufeinander, die sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht haben und hier in Austausch miteinander gelangen. Dieser eröffnet die Möglichkeit eines pädagogisch reflektierten Miteinanders unterschiedlicher Personen resp. Milieus.

Vornehmlich adressiert das Buch Studierende, deren Ziel es ist, als Lehrer:innen bzw. in anderen pädagogischen Professionen in der Schule zu arbeiten. Es richtet sich gleichermaßen an interessierte Personen, die bereits im schulischen Feld tätig oder mit der (Aus-)Bildung von Lehrkräften betraut sind, sei es in der ersten, der zweiten oder der dritten Phase der Lehrer:innenbildung.

Die vorliegende Einführung bietet eine wissenschaftlich fundierte Form der Auseinandersetzung mit der Praxis und ihrer Reflexion. Dennoch ist hervorzuheben, dass es sich um ein Studienbuch handelt, das als solches nur einen begrenzten Umfang hat, sodass nur ausgewählte Themen platziert werden und Darstellungen keine vergleichbare Tiefe aufweisen können, wie dies in spezifischer Fachliteratur möglich ist; auf entsprechende Fachliteratur wird jeweils am Ende der Kapitel verwiesen. Mit dieser Einführung möchte ich zur Auseinandersetzung mit dem komplexen Themenfeld „Differenzkonstruktionen in Schule und Unterricht“ einladen und neugierig machen, sich anschließend mit der Thematik weiter und tiefgehender auseinanderzusetzen.

Meine eigene berufliche Tätigkeit, in Form von Forschung und Lehre an Universitäten und Hochschulen in Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie in Kanada, verdeutlicht mir in mehrfacher Hinsicht, dass der schulgesetzliche ebenso wie der schulstrukturelle Kontext und die Gestaltung der Lehrer:innenbildung erheblichen Einfluss auf die Praxis der Differenzherstellung und -bearbeitung im Unterricht haben. Dass diese Punkte nicht in allen Einzelheiten in diesem Buch diskutiert und miteinander verglichen werden können, gibt der begrenzte Rahmen einer grundlegenden Einführung vor. Zugleich fordert eben dieser zu einer abstrakteren Betrachtung heraus, in der Gemeinsamkeiten deutlich werden. An jenen Stellen, an denen die konkreten Rahmenbedingungen ausgeführt werden, wird dies explizit angeführt.

Das Ziel des Buches, Reflexionsebenen und -inhalte darzustellen und in ihrem Zusammenspiel vorzustellen, findet sich in seinem strukturellen Aufbau wieder, der in aufeinander aufbauenden Einheiten konzipiert ist: Im Anschluss an diese Einleitung wird im zweiten Kapitel eine allgemeine Definition von Differenzen gegeben, die auf die Perspektive der Praxeologischen Wissenssoziologie aufbaut, und um die Theorie sozialer Felder erweitert wird. Gemeinsamkeiten und Unterschiede werden entsprechend von Milieus gedacht, deren Angehörige bei der Strukturierung ihres Alltags auf vergleichbare Erfahrungen zurückgreifen. Das Kapitel endet mit der Einführung in die Spezifität, mit der sich Milieus in gesellschaftlichen Organisationen begegnen und ihre gemeinsame Praxis gestalten.

Im dritten Kapitel wird dies für die gesellschaftliche Institution Schule konkretisiert. Die Aufgaben, die Schulen in der Gesellschaft übernehmen, werden vorgestellt, ebenso der historische Prozess, in dem sich diese in ihrer heutigen Konkretheit herausgebildet haben. Diese Betrachtung der formalen Seite der Schule nimmt deren strukturelle Verfasstheit in den Blick, die eine Rahmenbedingung innerschulischer Herstellung und Bearbeitung von Differenzen darstellt. An der Vergabe von Noten wird dies konkretisiert.

Das vierte Kapitel zeigt entlang von fünf ausgewählten Differenzdimensionen auf, wie sich Benachteiligungen in Schule und Unterricht zeigen. Das Zusammenspiel struktureller und kultureller Bearbeitung wird entlang der gesellschaftlichen Differenzkategorien sozio-ökonomisch-, migrations-, geschlechts- und behinderungsbezogener Differenzen konkretisiert, unter besonderer Berücksichtigung von Benachteiligungen, die mit ihnen einhergehen. Diese vier Kategorien wurden ausgewählt, da sie besonders aussagekräftig in der Reproduktion von Ungleichheit in und durch Schule und Unterricht sind, und folgen der Beschreibung der schuleigenen Kategorie der Leistung. Letztere stellt eine schul- und unterrichtsspezifische Form von Differenz dar, die für die Konstruktion der anderen Differenzen in Schule und Unterricht bedeutsam ist.

Das fünfte Kapitel widmet sich einer perspektivisch ausgerichteten Zusammenfassung, indem Inklusion als Möglichkeit für Reflexion von Differenzen und die Bearbeitung von Differenzen in Schule und Unterricht insgesamt aufgeworfen wird. Das Konzept der Inklusion wird anhand erziehungswissenschaftlicher Konzepte veranschaulicht. Eine konkrete Reflexionsfolie für das Erkennen und die Bearbeitung von Differenzen und Differenzkonstruktionen im Unterricht, die an der Überwindung von Benachteiligung orientiert sind, werden aufgegriffen. In dem Kapitel fließen die Darstellungen der vorangegangenen Kapitel zusammen, da Unterricht jener Interaktionsraum ist, in dem die sozialen Milieus der Schüler:innen und Lehrpersonen aufeinandertreffen – mit dem Ziel von Erziehung und Bildung im organisatorischen Kontext der Schule. Entlang dieses Ziels wird zunächst zusammengefasst vorgestellt, was Lern- und Bildungsprozesse charakterisiert. Anschließend wird deren Spezifität im schulischen Kontext beleuchtet und schließlich vorgestellt, wie sich Lehrpersonen diesen Prozessen systematisch annähern können. Darauf aufbauend werden Bezüge für die Reflexion von Differenz im Unterricht, aus der Perspektive von Lehrkräften, betrachtet.

Die Gestaltung einer inklusiven Schule, die perspektivisch formuliert wird, stellt zugleich die Chance und Herausforderung für angehende Lehrer:innen dar, diesen Prozess aktiv mitzugestalten. Die Möglichkeit besteht, eine schulische Lehr-Lernkultur zu gestalten, die zwar im Spannungsfeld von Inklusion und Exklusion angesiedelt ist, jedoch die Mitgliedschaft und Verteilung von Privilegien nicht in vergleichbarer Weise reproduziert, wie es aktuell zu beobachten ist. Ziel dieses Buches ist es, einzuladen, an dieser Gestaltungsaufgabe zu partizipieren.

Mit diesem Vorhaben möchte dieses Buch dazu anregen, Differenzen als Ausgangspunkt für Bildungs- und Erziehungsprozesse sowie für Schul- und Unterrichtsentwicklung zu begreifen, ihren Anteil an der systematischen Benachteiligung sozialer Gruppen zu erkennen und Alternativen zu entwickeln. Dies erfordert, dass die Leser:innen sich zuweilen darauf einlassen, ihre bisherigen Vorstellungen von Schule und Unterricht irritieren zu lassen. Es sollen Perspektiven aufgeworfen und Neugierde geweckt werden, sich weitergehend mit der Thematik auseinanderzusetzen; hierfür werden Literaturhinweise gegeben und Übungsaufgaben bereitgestellt. Letztere sollen zum Diskutieren anregen und so gleichermaßen eine vertiefte Auseinandersetzung herausfordern. Das Buch möchte einen Anlass für eine reflektierte Auseinandersetzung und Bearbeitung von Differenzen in Schule und Unterricht schaffen.

Hamburg, im Herbst 2023

2 Differenzen in Schule und Unterricht

Differenzen stellen seit Beginn der 1990er Jahre zentrale Bezüge dar, wenn es um die Beschreibung schulischer und unterrichtlicher Realität geht (Mecheril / Plößer 2009). Dieser Abschnitt möchte in das Verständnis von Differenz und Gleichheit einführen. Ziel dieser einleitenden Überlegung ist es, eine Analysefolie bereitzustellen für pädagogische, v. a. für unterrichtliche Zusammenhänge, zu denen Bildungs-, Lern-, Erziehungs- und Sozialisationsprozesse zählen. Die aufzuführenden theoretischen Konzepte sollen dabei helfen, den Blick für Differenzen sowie Ungleichheit in Schule und Unterricht zu schärfen.

Im ersten Abschnitt wird eine allgemeine Definition von Differenz bzw. differenten Milieus vorgenommen. Diese Perspektive wird im darauffolgenden Abschnitt um eine sozialkonstruktivistische und praxeologisch-wissenschaftssoziologische Perspektive (vgl. Bohnsack 2017), die wesentlich auf der Konzeption der „Pädagogik kollektiver Zugehörigkeiten“ Arnd-Michael Nohls (2014, 137) aufbaut, differenziert und anhand der Überlegungen zu Milieus als Felder im sozialen Raum erweitert.

2.1 (Differente) Milieus - Perspektive der Praxeologischen Wissenssoziologie

Die dargelegten Ausführungen der Praxeologischen Wissenssoziologie (vgl. Bohnsack 2017) und der „Pädagogik kollektiver Zugehörigkeiten“ von Arnd-Michael Nohl (2010), die um die Ausführungen zum sozialen Raum der Gesellschaft von Bourdieu (1987, 2009) ergänzt sind, sollen das Verständnis von Differenzen konkretisieren. Arnd-Michael Nohl hat seine Ausführungen an die Überlegungen zur Praxeologischen Wissenssoziologie von Karl Mannheim (1980) und Ralf Bohnsack (2021) aufgebaut.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede bzw. Differenzen werden in dieser theoretischen Position mithilfe eines kultursoziologischen Milieubegriffs erklärt. Zunächst soll jedoch der Grundbegriff der Perspektivität von Milieus (siehe Kapitel 2.2.1) besprochen werden. Anschließend werden Bourdieus (1992) Überlegungen zum relationalen Zusammenhang von Milieu und sozialem Feld im sozialen Raum der Gesellschaft beschrieben (siehe Kapitel 2.2.2). Abschließend werden differente Milieus in Schule und Unterricht vorgestellt.

2.1.1 Milieus

zwei Wissensformen

Um Differenzen aus der Perspektive der Praxeologischen Wissenssoziologie heraus zu betrachten, ist es notwendig, zwischen zwei unterschiedlichen Logiken zu unterscheiden, die die menschlichen Interaktionen auszeichnen: die propositionale und die performative Logik.

Die Praxeologische Wissenssoziologie stellt eine Grundlagentheorie dar, mit deren Kategorien – oder Begriffen – der Sinn von Handlungspraxen sozialer Akteur:innen in spezifischen sozialen und materialen Verhältnissen (vergleichend) beschrieben wird. Vergleiche von Praxen oder Milieus, die in unterschiedlichen sozialen und materialen Kontexten generiert werden (z. B. ein- und mehrgliedrige Schulsysteme), können erklären, wie die Praxen hervorgebracht werden. Die Begriffe der Praxeologischen Wissenssoziologie gehen auf die Arbeiten zur Wissenssoziologie von Karl Mannheim (1964; 1980) zurück. Vor dem Hintergrund seiner Kritik am Rationalismus – einem Verständnis, dass die soziale Welt nach logischen und gesetzmäßigen Mechanismen erfolgt, ähnlich der Mathematik, versteht – entwickelte Karl Mannheim die analytische Unterscheidung von zwei Wissensformen: das kommunikative und das konjunktive Wissen. Seine Ausführungen beziehen sich dabei v. a. auf gesellschaftliche Milieus, also auf geteilte oder gleiche Handlungspraxen von Akteur:innen. Diese können entlang von Generation und Geschlecht – die entlang unterschiedlicher sozialer und materialer Bedingungen generiert sind – differieren. Ralf Bohnsack (2017) hat Karl Mannheims Leitdifferenz von kommunikativem und konjunktivem Wissen zur Unterscheidung von propositionaler und performativer Logik weiterentwickelt. Kommunikatives Wissen bzw. Wissen, das einer „propositionalen Logik“ (ebd. 2017, 63) folgt, wird auch als Common-Sense Wissen verstanden. Es zeichnet sich durch einen zweckrationalen Charakter aus und findet sich u. a. in Normen bzw. Regeln sowie Rollen- und Identitätserwartungen (vgl. ebd.). Das konjunktive Wissen bzw. Wissen, das einer „performativen Logik“ (ebd., 63) folgt, wird als habitualisiertes bzw. „atheoretisches“ (Mannheim 1980, 211 ff.) verstanden. Es fungiert in der Handlungspraxis implizit und stellt zugleich orientierendes – also handlungsleitendes – Wissen dar, das in der gemeinsamen Erfahrung, im „konjunktiven Erfahrungsraum“ (ebd.), erworben wird und als „Orientierungsrahmen im engeren Sinne“ (Bohnsack 2017) bezeichnet wird. Beide Logiken, die proponierte bzw. die der Norm und die performative resp. die des Habitus, stehen in einem „Spannungsverhältnis“ (ebd., 103) zueinander. Diese „notorische Diskrepanz“ (ebd.) zwischen beiden wird in der Alltagspraxis von den Akteur:innen explizit, v. a. aber implizit oder habituell, reflektiert und entsprechend handlungspraktisch bearbeitet. Erfolgt die Bearbeitung dieses Spannungsverhältnisses in habitualisierter Form beschreibt Ralf Bohnsack (ebd., 103) dies als „Orientierungsrahmen im weiteren Sinne“.

Das handlungspraktische Wissen, das einer performativen Logik folgt, stellt Erfahrungswissen dar, das einzelne durch die Beziehung zu anderen Personen und / oder zu Gegenständen gemacht haben; so beispielsweise die Kindheitserfahrung, aus Büchern vorgelesen zu bekommen. In der je konkreten Situation wird die Erfahrung der Beziehung, gemeinsam eine Geschichte zu verfolgen, einer „Kontagion“ (Mannheim 1980, 208), gemacht – einer existenziellen Bezogenheit auf den Gegenstand „Buch“, der diese bereithält. Derartige Erfahrungen, die Mannheim als „konjunktive“ Erfahrungen (Mannheim 1984) bezeichnet (einander existenziell verbindende Erfahrungen), stehen nicht notwendigerweise begrifflich reflexiv zur Verfügung. Sie machen jedoch einen wesentlichen Teil menschlichen Wissens aus und sind zugleich orientierende Grundlage für Praktiken und Handlungen, in die sie einfließen.

Definition:

Das handlungspraktische Erfahrungswissen, das einer performativen Logik folgt, ist jenes, das in der Auseinandersetzung mit der sozialen und materialen Welt gesammelt wird. Aus dieser Erfahrung ergibt sich ein praktisches Verhältnis der Menschen zur Welt, das vorbegrifflich zur Verfügung steht. Dieses Praxiswissen steht nicht unmittelbar reflexiv zur Verfügung (Mannheim 1980, 205 ff.). Das in eigener Handlungspraxis erworbene Erfahrungswissen wird in Handlungssituationen reaktualisiert.

Folglich fungiert es als „Praxissinn“ (Bourdieu 1998), also aus selbst erfahrener Handlungspraxis heraus wird die Praxis generiert.

Praxis

Dass Menschen über unterschiedliche Erfahrungen verfügen, zeigt sich in ihren je verschiedenen alltäglichen Praktiken. Die Gestaltung des Alltags umfasst jegliche Bereiche menschlichen Lebens, u. a. sich zu ernähren, sich zu kleiden, einer Arbeit nachzugehen, die Freizeit zu gestalten. Für und in den unterschiedlichen Bereichen haben Menschen Praktiken entwickelt, die sie nicht notwendigerweise explizit beschreiben können, da diese körperlicher und performativer Art sind. Die Orientierung erfolgt auf der Erfahrungsgrundlage entlang des inkorporierten Wissens, das den Praktiken zugrunde liegt und in konkreten Erlebniszusammenhängen generiert wurde (Bohnsack 2021, 46). Innerhalb pluraler Gesellschaften finden sich unterschiedliche Formen der Lebenspraxis, die als „Milieus“ (Nohl 2014, 140) bezeichnet werden.

Definition:

Milieus stellen Kulturen der praktischen Lebensführung und der Alltagsgestaltung dar, die auf der Grundlage kollektiver Erfahrungen basieren (Nohl 2014).

Verstehen

Milieus stellen gelebte Praxis innerhalb kollektiver Zugehörigkeiten dar, welche die Angehörigen durch Einbindung in vergleichbare, homologe, soziale Lebenszusammenhänge erwerben. Diese strukturidentischen oder gemeinsam gemachten Erfahrungen fungieren als eine Art Brille, durch die der Alltag betrachtet und Partizipation daran eröffnet wird. Die milieubezogenen Erfahrungen, die „kollektiven Erlebnisschichtungen“ (Bohnsack 2021, 66), müssen nicht in konkreten, gemeinsamen Erlebnissen gemacht werden, sondern lediglich gleichartig sein. Die Erfahrungen verbinden die Angehörigen eines Milieus miteinander, sie stellen die „Konjunktion“, eine Verbindung, zwischen ihnen her und dar. Das geteilte Erfahrungs- und Orientierungswissen wird auch als „konjunktives“, also verbindendes Erfahrungswissen bezeichnet. Es ermöglicht den Angehörigen eines Milieus, sich untereinander unmittelbar zu verstehen (Mannheim 1980, 217 ff.).

Erfahrungen zwischen den Angehörigen unterschiedlicher generationeller Milieus, beispielsweise in Bezug auf die Nutzung von und den selbstverständlichen Zugang zu digitalen Medien, können sich unterscheiden. Die generationelle Differenz kann sprachlich zum Ausdruck kommen, in der Nutzung von Fachtermini und / oder handlungspraktisch, wie die Medien im Alltag gebraucht und herangezogen werden.

Die Erfahrungen erlauben es den Angehörigen eines Milieus, in vergleichbarer Weise materiale und soziale Gegenstände bzw. Zusammenhänge zu betrachten und so auf sie in ihrem Alltag Bezug zu nehmen, da sie in gemeinsamen oder vergleichbaren Erlebniszusammenhängen gewonnen wurden. Die Zusammenhänge müssen nicht weiter expliziert werden, sie werden verstanden, da sie in ihrer Existenz verstanden werden, die innerhalb des konjunktiven Erfahrungsraums besteht. Die Zugehörigkeit zu Milieus kann zwar reflexiv zugänglich sein, ist es jedoch im Alltag üblicherweise nicht (Bohnsack 2021, 66).

In diese Milieus werden Menschen hineingeboren bzw. einsozialisiert. Milieus sind entsprechend der Individualität der / des Einzelnen vorgeordnet, da sich Individualität nur innerhalb von Milieus entfalten kann. Das konjunktive Wissen, über das ein Milieu zur Bearbeitung des Lebensalltags verfügt, wird v. a. in mimetischer Hinsicht sowie durch Beobachten und Aushandeln erlernt und zur Bearbeitung der eigenen Lebenspraxis herangezogen. Dabei determiniert ein Milieu die Handlungen und Praxen einzelner Personen nicht derart, dass konkrete Handlungen vorgegeben wären. Vielmehr eröffnen Milieus Optionen und Variationen. Die individuellen Spielräume ergeben sich auch durch und für die Zugehörigkeit von Menschen zu mehreren Milieus, die sich in je spezifischer Art überlagern (Nohl 2014, 157). Nohl nennt sie „gesellschaftlich etablierten Dimensionen von Heterogenität“ (Nohl 2013, 55), zu denen beispielsweise Geschlecht bzw. Gender und die sozial-ökonomische Situation zählen. Dass entsprechende Milieuerfahrungen mit unterschiedlichen Handlungspraktiken einhergehen, konnte empirisch-rekonstruktiv nachgewiesen werden (z. B. Bohnsack et al. 1995; Schittenhelm 2005). Von diesen zu unterscheiden sind Milieus, die noch im Entstehen sind und / oder die noch nicht rekonstruiert wurden (Nohl 2013, 60).

Die Mehrdimensionalität von Milieus ergibt sich aus der Überlappung unterschiedlicher Erfahrungsdimensionen, wie beispielsweise der genderbezogenen Erfahrungsdimension mit der des sozio-kulturellen Milieus.

Mehrdimensionalität von Milieus

Folglich ist nicht von einem eindimensionalen – und totalen – Verständnis von Milieu auszugehen, vielmehr überlagern sich Milieudimensionen. Die unterschiedlichen Erfahrungen, aus denen sich das handlungsleitende Wissen einzelner speist, können in Konflikt oder Widerspruch miteinander stehen. In diesen Konflikten liegt das Potenzial für bildende Entwicklung und Neugestaltung von Milieus. Die Überlappung der Milieus in einer konkreten Person führen ebenso zur Individualität resp. zu einem individuellen oder persönlichen Habitus wie die unterschiedlichen Lösungs- und Bearbeitungsformen des Alltags, die Milieus aufgrund ihrer Vielschichtigkeit und Mehrdimensionalität inhärent sind (Nohl 2014, 156).

Milieus sind weder einheitlich noch statisch, sondern vielfältig, dynamisch und damit wandelbar. Unterschiedliche Erfahrungen überlagern sich, sodass verschiedene Erfahrungsdimensionen zusammenkommen. Einen Menschen auf die Zugehörigkeit zu nur einem Milieu zu reduzieren, wäre eine Verkürzung seiner Realität (Nohl 2014, 164). Derartige Reduktionen auf eine Milieuzugehörigkeit werden häufig praktiziert. Auch Forschung und Wissenschaft sind hiervon nicht frei.

Die Mehrdimensionalität von Milieus eröffnet eine Perspektive der Betrachtung von Differenzen, die über eindimensionale Zuschreibungen hinausgeht. Dennoch finden in der Gesellschaft häufig eindimensionale Betrachtungen und Zuschreibungen statt, bis hin zu einer kategorialen Verfestigung, wie sie z. B. in „die Männer“ zum Ausdruck kommt. Dass dieser einseitige Blick auf Differenzdimensionen häufig eingenommen wird, lässt sich mithilfe der „Übersetzung“ konjunktiven Erfahrungswissens in kommunikativ generalisiertes Wissen erklären (Nohl 2014, 159 f.), die häufig dann und dort erfolgt, wenn die Angehörigen unterschiedlicher Milieus sich einander erklären.

Konjunktion und Distinktion

Es bestehen Differenzen zwischen unterschiedlichen und innerhalb erfahrungsbezogener Milieus. Sie fußen auf den verschiedenartigen Erfahrungen, die Menschen machen, und bieten Zugehörigkeit zu einer Lebenspraxis, also zu Konjunktionen, die es erlauben, den komplexen Alltag zu bewältigen. In den Konjunktionen sind zugleich Distinktionen enthalten, da die Zugehörigkeit zu einem Milieu immer auf Abgrenzung gegenüber anderen Milieus verweist (Nohl 2014, 139).

überkonjunktiver Zusammenhang

Der praxeologisch-wissenssoziologischen Perspektive folgend, besteht neben dem Praxiswissen, den konjunktiven Erfahrungen und ihren Gehalten, die nur innerhalb der Milieus verständlich sind, also in der existenziellen Gemeinschaft, in der sie generiert wurden (Nohl 2014, 140),wörtlich-begriffliches und nonverbales, symbolisches Wissen über die soziale wie materiale Welt und somit auch über die Milieus selbst. Anders als konjunktives Erfahrungswissen, das auf unmittelbarem Verstehen (Bohnsack 2010, 55 ff.) basiert, ist das kommunikativ-generalisierte auf Interpretationen angewiesen. Dort, wo über die Grenzen von Milieus und geteilten konjunktiven Erfahrungen hinweg kommuniziert wird, wird kommunikatives Verstehen notwendig. Die Verständigung ist darauf angewiesen, dass milieugebundene Selbstverständlichkeiten überkonjunktiv expliziert werden. Um die Bedeutung von etwas zu erklären, ist es erforderlich, konkrete Erfahrungen in abstrakte Sprachlichkeit zu übersetzen. Hierfür bedarf es der Kommunikation auf explizit-begrifflicher Ebene, die auf Abstraktionen von der milieugebundenen Perspektive angewiesen ist (Nohl 2014, 142).

kulturelle Repräsentationen

Neben verbalen Formen liegt dieses auf der Ebene kultureller Repräsentationen vor (Nohl 2014, 137 ff.). Sie korrespondieren mit kommunikativ-generalisierten Bedeutungen, sind in sprachlicher und in symbolischer sowie nonverbaler Hinsicht vorhanden. Wörter und Begriffe der sprachlichen Ebene finden als explizite Äußerungen ihr Äquivalent auf nonverbaler symbolischer Ebenein materialer und sozialer Hinsicht. Sie bestehen aus Selbst- und Fremdzuschreibungen der Zugehörigkeit zu kulturellen Gruppen. Die Kleidung stellt eine solche kulturelle Repräsentation dar, die uns Hinweise z. B. auf das Geschlecht resp. der geschlechtlichen Identität im jeweiligen Kulturkreis einer Person gibt.

Zuschreibungsprozesse finden überwiegend auf der Grundlage kultureller Repräsentationen statt, die aufgrund der Eindeutigkeit, mit der sie von allen erkannt werden können und sollen zugleich von der Vielfalt abstrahieren, die in Milieus anzutreffen ist (Nohl 2014, 139 f.). Dabei wird die Vielfalt der milieuspezifischen Repräsentation häufig verdichtet und es werden eindimensionale Reduktionen vorgenommen, die sich in stereotypisierenden Zuschreibungen zuspitzen können. Durch die Reaktualisierung der eigenen kollektiven Zugehörigkeit, durch Abgrenzungen und Distinktionen in der Beschreibung verstärken sich diese (Nohl 2014, 158 f.).

Sozialisation

Zugehörigkeit zu Milieus: Milieus bestehen durch die und in den Lebenspraxen ihrer Angehörigen. Die Aktualisierung und Weitergabe milieuspezifischen Wissens an die nächste Generation mittels Sozialisation und Erziehung erfolgt durch die Reaktualisierung in Alltagspraktiken. Sozialisation und Erziehung verlaufen dabei nicht linear; Milieus sind weder statisch noch eindimensional, sondern dynamisch und mehrdimensional, da mehrere Differenzdimensionen in ihnen aufgehen (Nohl 2014, 166). Folglich sind keine homogenen Milieus denkbar, in die Kinder und Jugendliche einsozialisiert werden. Die frühe familiäre und außerfamiliäre Sozialisation beschreibt jenen Prozess, in dem implizites Wissen eines Milieus an die jüngere Generation weitergegeben wird; ohne dass Sozialisation je als abgeschlossener Prozess verstanden werden kann, da eine kontinuierliche, erfahrungsbezogene Differenzierung im Laufe des Lebens stattfindet. Im Vergleich zu Erziehung ist Sozialisation, die in den unterschiedlichen gesellschaftlichen Institutionen und Organisationen wie Familie, Kita und Schule vollzogen wird, nicht bzw. nur selten intentional (Marotzki et al. 2006, 138 ff.).

schwach heterogene Milieus

Mehrdimensionalität findet sich auch in sogenannten „schwach heterogenen Milieus“ ebenso wie in „stark heterogenen“. Zu schwach heterogenen Milieus gehören in der aktuellen Gesellschaft jene, die lediglich in Bezug auf die Generation und – je nachdem – das Geschlecht verschiedenartig sind (Nohl 2014, 170). Für die Bewältigung einer generationsbezogenen Weitergabe handlungspraktischen Wissens, wie in der Adoleszenz, stellen die schwach heterogenen Milieus Vorbilder und Modelle bereit, an denen sich die Kinder bzw. Jugendlichen orientieren können. Milieus, die auf diese Weise tradiert werden, zeichnen sich durch biografische Dauerhaftigkeit und Kontinuität aus, auf die sich ihre Mitglieder beziehen können (Nohl 2014, 149, 168).

stark heterogene Milieus

Liegen keine derartigen Orientierungsmodelle und Vorbilder handlungspraktischen Wissens vor bzw. sind diese nicht mit den gesellschaftlichen Erwartungen zu vereinbaren, vor die die nachwachsende Generation gestellt ist, spricht man von „stark heterogenen Milieus“. Diese verweisen darauf, dass zwischen Erwachsenen und Kindern mehr als gender- und ggf. generationsspezifische Unterschiede bestehen. Dies kann beispielsweise durch die Erfahrung von Migration oder durch gesamtgesellschaftliche Umbrüche, wie dem „Fall der Berliner Mauer“ bedingt sein. Solche Ereignisse, die biografische Brüche oder Diskontinuitäten für die Betroffenen darstellen, können (so sie von mehreren Personen erfahren werden) die Entwicklung neuer Milieus eröffnen. Deren Genese findet dort statt, wo die ältere Generation praktisch anwendbare Vorbilder der Lebensbewältigung nicht an ihre Kinder weitergeben kann und die nachwachsende Generation individuelle Handlungsweisen hervorbringt (Nohl 2014, 169 ff.).

Aus der Erfahrung heraus, keine Rollenvorbilder oder Modelle zu haben, werden neue Orientierungen entwickelt, um den Alltag zu bewältigen. In diesen neuen Formen werden die differenten Erfahrungen, die unterschiedlichen Sphären (wie beispielsweise die der Familie und die der Schule), aufeinander bezogen und so ihre Bewältigung vorgenommen. Dies gelingt zunächst durch eine Trennung der Sphären und den in ihnen enthaltenen Erwartungen an die Akteur:innen. Die Abgrenzung eröffnet zum einen Handlungsfähigkeit und ermöglicht zum anderen die Entwicklung eigener neuer Bearbeitungsformen (Nohl 2014, 148). Neben den durchaus schwierigen Herausforderungen, welche die Gestaltung und Etablierung neuer Milieus für die davon betroffenen Menschen mit sich bringen, eröffnen sich zugleich Räume und Möglichkeiten für Kreativität und Entwicklung (Nohl 2014, 169 ff.).

Der Fall der Berliner Mauer stellt ein Beispiel hierfür dar: Die ehemaligen DDR-Bürger:innen sind in einem politischen und gesellschaftlichen System sozialisiert worden, vor dessen Hintergrund sie Praktiken zur Bewältigung des Alltags entwickelt haben. Zu DDR-Zeiten bestehende Selbstverständlichkeiten, entlang derer der Alltag organisiert wurde, unterschieden sich jedoch von denen der BRD. Die damalige Kinder- und heutige Erwachsenengeneration erhielt nicht in vergleichbarem Maße Modelle und Vorbilder, wie der Alltag praktisch bewältigt werden kann, wie ihre Peers aus der ehemaligen Bundesrepublik.

Die Gesellschaft ist an sich heterogen und besteht aus mehrdimensionalen Milieus (Nohl 2014, 150). Die Differenzierung der Gesellschaft in Milieus steht auch in Relation zu den unterschiedlichen Zugangsmöglichkeiten zu gesellschaftlichen Gütern.

2.1.2 Milieus im sozialen Raum

Milieus und Habitus

Die ausgeführten Überlegungen der Praxeologischen Wissenssoziologie zum Milieu werden mit den theoretischen Ausführungen Pierre Bourdieus (1982; 1998) zum Habitus verknüpft. Bourdieus empirische Annäherung an diesen (1982; 1998) erfolgt wesentlich über Kapitalien und ihre Zusammensetzung, die Akteur:innen zur Bewältigung ihres Lebensalltags zur Verfügung stehen. Kapitalkonfigurationen unterschiedlicher Milieus betrachtet er in Relation zueinander und anhand der Macht- und Herrschaftsverhältnisse, die darin enthalten sind.

Gemeinsam ist den theoretischen Positionen, dass sie davon ausgehen, dass die soziale Situation oder Lage von Menschen sich in ihren Handlungen und Orientierungen niederschlägt. Dies zeigt sich, davon wird ebenfalls in beiden Ansätzen ausgegangen, auch in der praktischen Seite des Handelns. Vor diesem Hintergrund ist es möglich, mit Hilfe der Ansätze die Dichotomie zwischen Mikro- und Makroebene zu überwinden. Ergebnisse und Resultate, die makroanalytisch betrachtet werden, wie z. B. die unterschiedliche Teilhabe von Schüler:innen mit / ohne Migrationshintergrund an den unterschiedlichen schulischen Bildungsgängen, finden sich in unterrichtlichen Interaktionen, also Praxen der Mikroebene wieder.

Die Verknüpfung beider theoretischer Perspektiven soll es ermöglichen, die Bedeutung der sozio-ökonomisch unterschiedlichen Lebenslagen, die Bourdieu fokussiert und denen innerhalb der erziehungs- und bildungswissenschaftlichen Forschung eine entscheidende Bedeutung im Zusammenhang mit (schulischem) Bildungserfolg zugeschrieben wird, in die bisherigen Überlegungen zu integrieren.

Die Bedingungen für die Gestaltung von Lebenspraxen unterscheiden sich und entwickeln zugleich eigene Dynamiken. Das, was Nohl (2007, 66) als „konjunktives Erfahrungswissen“ eines Milieus definiert, zeigt Parallelen zu Bourdieus Habituskonzept, insbesondere dem Praxissinn, der zwischen Feld und Habitus vermittelt. Dieser praktische Sinn, der Habitus, erlaubt es Menschen, in ihrem Alltag auf spezifische Art und Weise handlungsfähig zu sein (Bourdieu 2009, 139 ff.).

Die entwickelte Praxis eines Milieus sieht Bourdieu (1982) in engem Zusammenhang mit den Kapitalien, die den Menschen – zur Bewältigung ihres Alltags – zur Verfügung stehen. Diese werden in der Praxeologischen Wissenssoziologie als materiale – und damit verbundene – soziale Rahmenbedingungen verstanden. Mithin eröffnet und verschließt (immer in Relation zu anderen Gesellschaftsmitgliedern resp. Milieus gedacht) die Verfügung über Kapitalien Möglichkeiten der Lebensführung und Gestaltung.

Der Habitus fungiert somit als Muster, mit dem die Welt betrachtet wird und in dem gleichzeitig Praktiken begründet werden, ohne jedoch konkrete Handlungsschritte vorzuschreiben. Vielmehr werden Handlungsmöglichkeiten und -optionen eröffnet (Bourdieu 1987, 100 ff.). Die Ausprägung des Habitus ist eng an die Lebensbedingungen gebunden, die Bourdieu anhand des Kapitals, das zur Verfügung steht, beschreibt.

Definition:

Kapital meint akkumulierte Ar- beit, die in materieller oder imma- terieller – also in verinnerlichter oder inkorporierter – Hinsicht vorliegt (Bourdieu 1992, 49).

Kapital

Menschen investieren Arbeit und Zeit, um Kapitalien zu erwerben, dies gilt gleichermaßen für objektivierte wie für inkorporierte Formen. Der Besitz von viel Kapital eröffnet mehr Zugangsmöglichkeiten zu gesellschaftlich begehrten Positionen und Lebensstilen, als dies bei wenig Kapital der Fall ist. Unterschiedliche Kapitalien, also Ressourcen (ökonomischer, kultureller, sozialer und symbolischer Art), die sich durch ein spezifisches Verhältnis zueinander auszeichnen, sind gesamtgesellschaftlich vorhanden. Sie können gegeneinander getauscht werden, dadurch stehen sie in Relation und Abhängigkeit zu- und voneinander. Die je zur Verfügung stehenden Kapitalien und ihre Zusammensetzung eröffnen und / oder begrenzen den Erwerb spezifischer Werte, Vorstellungen und Lebenspraxen. Diese Optionen führen zu Erfahrungen, die ihrerseits ein Milieu ausmachen (Bourdieu 1992, 49 ff.).

inkorporiertes kulturelles Kapital

Kulturelles Kapital: Kulturelles Kapital kann in drei unterschiedlichen Formen vorliegen: inkorporiert, objektiviert und institutionalisiert. Inkorporiertes kulturelles Kapital ist körpergebunden, d. h. der Lernaufwand, der zu seiner Aneignung notwendig ist, muss von dem / der Träger:in selbst geleistet werden. Die Investition von Zeit in ein Studium und / oder in die Schulbildung setzt formal voraus, dass Personen sich lernend auseinandersetzen; dabei handelt es sich um eine Zeit, in der kein Geld verdient oder Freizeit genossen werden kann und die finanziert werden muss, da sie eben nicht für Arbeit aufgewendet werden kann (Bourdieu 1992, 55 ff.).

objektiviertes Kulturkapital

Materielle Träger wie Bücher, Gemälde und Musikinstrumente stellen das objektivierte Kulturkapital dar. Neben dem rein materiellen und ökonomischen Wert wohnt ihnen eine kulturelle Bedeutung inne, die nur dann erschlossen werden kann, wenn inkorporiertes Kulturkapital vorliegt, wie z. B. ein Instrument spielen zu können; oder der Einsatz eines technischen Hilfsmittels, wie eines Computers, und geht über den „reinen Besitz“ hinaus (Bourdieu 1992, 59 ff.).

institutionalisiertes Kulturkapital

Wie das inkorporierte ist auch das institutionalisierte Kulturkapital an den / die Träger:in gebunden. Hierzu zählen Bildungszertifikate und akademische Titel. Dieses Kulturkapital unterscheidet sich von (ausschließlich) inkorporiertem Wissen dadurch, dass es in der Regel einfacher umzutauschen und rechtsgültig anerkannt ist. So kann ein Zertifikat wie der „Master of Education“ genutzt / getauscht werden, um zunächst einen Referendariats- und später einen Arbeitsplatz als Lehrperson an einer Schule zu erhalten. Somit eröffnet sich die Option, durch Tausch ökonomisches Kapital zu erwerben. Inhalte, die sich Menschen autodidaktisch angeeignet haben, lassen sich nicht auf vergleichbare Weise transferieren (Bourdieu 1992, 61 ff.).

soziale Netzwerke

Soziales Kapital: Diese Kapitalform bezeichnet soziale Netzwerke zwischen Menschen. Sie können genutzt werden, um materielle und / oder immaterielle Tauschbeziehungen vorzunehmen. Derartiger Austausch setzt die gegenseitige Anerkennung der Akteur:innen eines Netzwerks voraus, das institutionalisiert vorliegen kann und / oder aus dem subjektiven Gefühl der Verpflichtung heraus besteht. Zum sozialen Kapital zählen neben Freundschaften auch die Familie oder eine Parteizugehörigkeit.