Lektüreschlüssel. Peter Stamm: Agnes - Peter Stamm - E-Book

Lektüreschlüssel. Peter Stamm: Agnes E-Book

Peter Stamm

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Beschreibung

Der Lektüreschlüssel erschließt Peter Stamms "Agnes". Um eine Interpretation als Zentrum gruppieren sich 10 wichtige Verständniszugänge: * Erstinformation zum Werk * Inhaltsangabe * Personen (Konstellationen) * Werk-Aufbau (Strukturskizze) * Wortkommentar * Interpretation * Autor und Zeit * Rezeption * "Checkliste" zur Verständniskontrolle * Lektüretipps mit Filmempfehlungen

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Seitenzahl: 70

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LEKTÜRESCHLÜSSELFÜR SCHÜLERINNEN UND SCHÜLER

Peter Stamm

Agnes

Von Wolfgang Pütz

Reclam

Dieser Lektüreschlüssel bezieht sich auf folgende Textausgabe: Peter Stamm: Agnes. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag, 32010.

Alle Rechte vorbehalten© 2011, 2013 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, StuttgartGesamtherstellung: Reclam, DitzingenMade in Germany 2013RECLAM, UNIVERSAL-BIBLIOTHEK und RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene Marken der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, StuttgartISBN 978-3-15-960218-9ISBN der Buchausgabe 978-3-15-015434-2

www.reclam.de

Inhalt

1. Erstinformation zum Werk

2. Inhalt

3. Personen

4. Aufbau und Erzählform

5. Wort- und Sacherläuterungen

6. Interpretation

7. Autor und Zeit

8. Rezeption

9. Checkliste

10. Lektüretipps / Medienempfehlungen

Anmerkungen

1. Erstinformation zum Werk

Den literarischen Texten Peter Stamms wird wiederholt das Merkmal der inhaltlichen und stilistischen ›Einfachheit‹ zugesprochen. So erscheint Dagmar Leupold der Agnes-Roman als »ein bestürzend einfaches Buch«1. Ulrich Greiner meint in einer paradoxen Formulierung, dass das »Schwierige an den Büchern des Schweizer Schriftstellers Peter Stamm« darin liege, »dass sie so einfach«2 seien.

Tatsächlich handelt Agnes bei oberflächlicher Betrachtung von der im Grunde alltäglichen Liebesgeschichte eines ungleichen Paares. Die vordergründig auffällige Besonderheit der Erzählung besteht ›lediglich‹ – wie etwa in Goethes Werther auch – in der Tragik des in ihr dargestellten Gefühlskonflikts und seines tödlichen Endes.

Bei genauem Hinsehen jedoch erweist sich diese Erzählung sehr rasch als ein literarischer Gegenstand, der in spezifischer Weise die existenzielle Problematik des modernen Individuums und seiner gesellschaftlichen Situation veranschaulicht. Die Romanhandlung illustriert eine Reihe von psychosozialen Phänomenen, die heute allgegenwärtig sind. Sie lassen sich mit Begriffen wie Vereinzelung und Vereinsamung, Verdinglichung und Selbstentfremdung, Bindungsunfähigkeit und Sinnverlust des Menschen nur grob umschreiben. Die beiden Romanhelden wirken bereits zu Beginn wie hoffnungslose Figuren einer hermetischen Welt, in der die Beziehung zu anderen Menschen an der Brüchigkeit der eigenen Identität, an der Angst vor dem Leben mit seinen natürlichen Implikationen und im Zweifels- oder Konfliktfall am Rückzug in die eigene Innerlichkeit scheitert.

Das ›Schwierige‹ des Romans Agnes beruht auf der Anstrengung, unter der Oberfläche zweier an sich eintöniger Lebensvollzüge die seelische Vielschichtigkeit von Menschen zu entdecken, die in der relativen Ereignislosigkeit ihrer Existenz nur schwer zugänglich sind. Der Schlüssel dazu liegt in der Auseinandersetzung mit den Formen poetischer Kodierung, welche der Erzählung Agnes erst ihre eigentliche Komplexität und Konsistenz verleihen. Im Unterricht gilt es daher in besonderem Maße, die Struktur des Ganzen zu erfassen, um zum Besonderen vorzudringen. »Das Geheimnisvolle«, so sagt Agnes bei der Betrachtung von Kristallgitter-Röntgenbildern, »ist die Leere in der Mitte« (45).

2. Inhalt

Der Roman handelt von der mehrmonatigen, im Verlauf unglücklichen und im Ergebnis tödlichen Liebesbeziehung eines aus der Schweiz stammenden und vorübergehend in Chicago lebenden Sachbuchautors mit einer US-amerikanischen Physikerin namens Agnes. Der einleitende Satz »Agnes ist tot« (9) verweist bereits auf das Ende der Erzählung, dessen Umstände zu der Vermutung Anlass geben, dass die Protagonistin sich in der Silvesternacht das Leben genommen hat, indem sie sich in einem städtischen Park der eisigen Winterkälte aussetzte.

Der Mann mittleren Alters und die deutlich jüngere Frau begegnen sich in einem Bibliothekssaal der Chicagoer Stadtbücherei, wo er an der Erstellung eines Manuskripts über amerikanische Luxuseisenbahnwagen und sie an ihrer Dissertation in Physik arbeitet. Nach zahlreichen, sich über mehrere Wochen erstreckenden Wiederbegegnungen bei Kaffee und Zigaretten sprechen sie im Verlauf eines ersten gemeinsamen Abendessens in einem Restaurant erstmals über persönliche Themen. Der Tag nach der folgenden Liebesnacht in der Wohnung des Mannes sowie ein späterer Aufenthalt in ihrer Wohnung geben Anlass zu intimen Gesprächen über den Tod und das Leben, über negative Erinnerungen an Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter sowie über Fragen des literarischen Schreibens.

Letztere führen schließlich zu Agnes’ Vorschlag, dass ihr Geliebter eine Geschichte über sie schreiben solle. Die Durchführung des Projekts erfolgt in zwei Phasen: Zunächst bringt der Erzähler die Ereignisse der gemeinsamen Vergangenheit in Erinnerung, bevor er schließlich nach Erreichen der Gegenwart zukünftige Geschehnisse und Handlungen fingiert. Dabei werden ursprünglich nur in der Phantasie imaginierte Szenarien wie etwa ein Umzug der Geliebten und eine eheähnliche Gemeinschaft in der Wohnung des Erzählers durch Formen des Rollenspiels direkt in die Wirklichkeit umgesetzt.

Allmählich jedoch verlieren der in der Manier eines Drehbuchautors schreibende Mann und die Frau als die Figur, welche die ›Regieanweisungen‹ mit ihm ausführt, das Interesse an den zumeist banalen Skripten der Fiktion. Sie führen zwar gezielt Unternehmungen im Sinne der Textvorlage durch (Museums- und Zoobesuche, Wanderungen), doch empfindet der Verfasser die konkrete Realisierung seiner Vorstellungen im wirklichen Leben bald als »Hohlweg« (80), der den Traum von einer idyllischen Zukunft in die Richtung eines Albtraums zwingt, in dem sich die Liebenden im Hass entzweien. Schließlich kommt es in der Beziehung tatsächlich zu Konflikten, als etwa der Ich-Erzähler seine Teilnahme an einer von Agnes freudig erwarteten Halloween-Party verweigert. Bald darauf vollzieht sich ein vorläufiger Bruch innerhalb der Partnerschaft. Ursache für Agnes’ Entscheidung, die gemeinsame Wohnung umgehend zu verlassen, ist ein heftiger Disput, bei dem der Ich-Erzähler Agnes veranlassen will, ihre Schwangerschaft durch eine Abtreibung zu beenden.

In der Zwischenzeit lernt der Sachbuchautor Louise kennen, die Tochter eines französisch-amerikanischen Ehepaares und Angestellte einer auf die Vermietung von Güterwagen spezialisierten Firma. Wiederholt schläft er mit der unverheirateten Frau, die auf ihn eine große erotische Anziehungskraft ausübt. Während sie an einer dauerhaften Beziehung mit ihm interessiert ist, weist er ihre Avancen schließlich ab.

Eine Fehlgeburt bringt Agnes und den Ich-Erzähler wieder zueinander. Als er erfährt, dass es ihr schlecht geht, begibt er sich nach erstem Zögern zu ihrer Wohnung und versucht, sie zu trösten. Den Verlust des Kindes kompensiert Agnes durch die an den Erzähler herangetragene Bitte, die Niederschrift der gemeinsamen Geschichte fortzusetzen. Der Erzähler verändert die Gegebenheiten darin insofern, als er im Einverständnis mit Agnes so tut, als ob das Kind geboren worden wäre und noch leben würde. Eine andere Form der Verdrängung der Tragödie besteht in Einkäufen, bei denen Agnes der vermeintlich zur Welt gekommenen Tochter Margaret Kleidung und Spielzeug kauft.

Sehr rasch jedoch gelangt sie zu dem Bewusstsein, dass die Simulation von Szenen, in denen das Kind noch existiert, »krank« und »eine Lüge« (119) ist. Sie verlangt von dem Ich-Erzähler eine wirklichkeitsgemäße Darstellung ihres Lebens, vernichtet die Babyartikel und wirkt in ihrem Verhalten zunehmend distanziert, während sie zugleich mit sportlichen, musikalischen und beruflichen Aktivitäten zu den Routinen des Alltags zurückkehrt.

Der Ich-Erzähler entwickelt währenddessen eine ›realistische‹ Version vom Schluss der Geschichte, in der die Protagonistin in der Neujahrsnacht die Wohnung des Mannes verlässt und sich in einem städtischen Park auf den eisigen Waldboden legt. Obwohl er die düstere Darstellung vom Ende der Beziehung und vom Tod der Frau durch eine idealtypische Variante ersetzt, welche von der Fortsetzung des Liebesverhältnisses handelt, liest Agnes beim Einschalten des Computers den immer noch abgespeicherten Text, der sie beim Aufbruch in die Kälte der Nacht zeigt. Als der Ich-Erzähler vom Besuch einer Silvesterparty zurückkommt, während der er auch erneut mit Louise geschlafen hat, findet er eine leere Wohnung vor, aus der Agnes sich für immer entfernt hat, um das Handlungskonzept der ersten Version der Geschichte in die tödliche Tat umzusetzen.

3. Personen

Agnes

Der Roman schildert die letzten Lebensmonate einer jungen Frau aus der Perspektive eines Ich-Erzählers, so dass die Darstellung ihrer Person in der Begrenztheit der Außenwahrnehmung subjektiv gebrochen und bruchstückhaft bleibt. Darüber hinaus ist die Geschichte, in welcher der Ich-Erzähler die Geliebte zur Protagonistin einer privaten Fiktion macht, nur sehr bedingt als Quelle für biographische Informationen geeignet.

Der groben Skizze ihres äußeren Erscheinungsbildes (sie »war schlank und nicht sehr groß, ihr braunes Haar war schulterlang und dicht, ihr Gesicht war bleich und ungeschminkt«; 14) stellt der Beschreibende eine neutrale Bewertung ihrer Gesamtwirkung auf den Betrachter voran (»nicht auffallend«). Dieses pauschale Urteil wird jedoch abschließend durch den Hinweis auf ein besonderes physisches Merkmal positiv eingeschränkt (»Nur ihr Blick war außergewöhnlich«) und durch einen außergewöhnlichen synästhetischen Vergleich (»[…] als könne sie mit ihren Augen Worte übermitteln«; ebd.) in einem einzelnen Detail revidiert.