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Es wird die Rede sein von Hotels und Küchentischen, von Krankenhäusern und Schlachtfeldern. Die Liebe ist allgegenwärtig. Und doch erkennt sie nicht jeder, denn manchmal macht sie sich unsichtbar und wird ganz still, manchmal erlischt sie von heute auf morgen, oder sie nimmt von allen unbemerkt eine neue Gestalt an. Wie die Liebe zwischen Eltern und ihren Kindern. Oder die Zuneigung zu geliebten Gegenständen, die Liebe zu alten Freunden. Sie lässt sich nicht erklären, wohl aber kartografieren - und so widmet sich Annette Pehnt der Liebe in all ihren Formen, schreibt von Schmerz und Glück, Ungewissheit, Lust, Auf- und Hingabe, Verzweiflung und Ritual.
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ISBN 978-3-492-97768-5
Oktober 2017
© Piper Verlag GmbH, München 2017
Covergestaltung: Kornelia Rumberg, www.rumberdesign.de
Datenkonvertierung: Kösel Media GmbH, Krugzell
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Cover & Impressum
A
Ahnung
B
Balkon
Band
Boden
Butter
D
Dämmerung
F
Finger
Flecken
Form
G
Gast
Gemurmel
Griff
H
Hunger
I
Igel
J
Jasmin
K
Knie
Knöpfe
L
Landstraße
Lächeln
Lagenwechsel
M
Maschinen
Mitbringsel
Matsch
Mirabellen
Mutter
N
Nagelschere
Nagetiere
Namen
Namensschild
Nuss
O
Ohne
P
Parkplätze
Phrase
Postbus
Punkt
R
Richtig
Ruhe
S
Salz
Stacheln
T
Taxi
Trotzig
U
Unter
V
Verständlich
Viele
Vielleicht
W
Wetterwechsel
Wirbeln
Wund
Y
Yoghurt
Z
Zittern
Ahnung Sie hat einen kleinen Jungen, der ist anders als die drei großen. Er kam hinterher, Jahre später, und sie wusste gleich, dies war ihr Sternenlicht. Er hatte Augen wie frisches Wasser und feste Locken, die später lang wuchsen und sein Gesicht umkringelten, alle zupften daran und lächelten ihn an.
Immer noch ist es so, er ist höflich, ohne dass sie es ihm beigebracht hätte, er bittet die Leute herein, auch wenn es die Nachbarin ist, die immer nach gebratenen Zwiebeln riecht und niemanden grüßt, oder die Frau vom Amt, die kaum Zeit hat und ihn immer das Gleiche fragt, nach dem Vater und nach der Schule. Für ihn hat jeder Zeit, und alle schenken ihm, was sie gerade parat haben, ein paar Cent oder eine Sportzeitschrift oder eine Cola. Er hat auch schon Laufschuhe von dem Kerl eine Etage höher bekommen und ein Waveboard von einem Mädchen auf der Straße, einfach so. Mit ein wenig Geschäftssinn könnte er damit richtig Umsatz machen, aber er hebt die Sachen auf und schaut sie immer wieder an, und weil er kein Regal hat, legt er alles in Stapeln auf den Teppich, nur die Cola trinkt er immer gleich aus.
Mit seinen Locken und seinen weichen runden Fingern hat er sicher auch den Lehrer herumgekriegt, der neulich zum ersten Mal vor der Tür stand, so was hat sie noch nie erlebt. Sofort befürchtete sie, der Junge hätte etwas angestellt, und wollte den Lehrer erst gar nicht hereinlassen, aber da kam der Junge schon und lachte den Lehrer an, wie es eben seine Art ist. Sie wusste nicht, was der Lehrer im Sinn hatte, auf jeden Fall hatte er eine Gitarre dabei, die er dem Jungen ausleihen wollte. Keine Ahnung, wie er auf die Gitarre gekommen war, davon hatte der Junge noch nie gesprochen, aber sie schälten sie gleich aus der Hülle und saßen beieinander auf dem Sofa, so beschäftigt, dass sie sich kaum traute, dazwischenzufragen, und lieber auf den Balkon ging, um eine zu rauchen. Aus dem Wohnzimmer hörte sie die dröhnende, warme Stimme des Lehrers und ein paar jämmerliche gezupfte Töne. Was das jetzt wohl werden sollte.
Bevor der Lehrer ging, brachten sie ihr noch ein Ständchen, sie solle sich auf den Sessel setzen und die Ohren spitzen, sagte der Lehrer, der erhitzt aussah, und dann sangen die beiden, der Junge hoch und der Lehrer tief, und als sie fertig waren, verbeugten sie sich, als hätten sie das alles schon öfters gemacht, und vielleicht war es ja so. Sie lobte den Jungen und dankte dem Lehrer, aber ob sie das Richtige gesagt hatte, war ihr nicht klar. Es ging ihr immer so mit den Lehrern des Jungen, die sie geduldig anschauten, als wäre sie selbst noch eine Schülerin, die Blicke machten sie aufgeregt, sodass sie sich ständig versprach, was das Mitleid der Lehrer vertiefte, oder es fiel ihr einfach nichts mehr ein, das sie hätte sagen können.
Mitleidig sah dieser Lehrer aber nicht aus, eher schien er stolz zu sein auf den Jungen und das magere Liedchen, das sie eben geträllert hatten, es hatte ihr ja gefallen, aber das Strahlen des Lehrers war eine Nummer zu groß, als hätte er etwas Unbezahlbares geschenkt bekommen. Im Treppenhaus bot er ihr noch an, für den Jungen einen Schreibtisch zu kaufen. Das war Unsinn, der Junge hat noch nie an einem Schreibtisch Schulaufgaben gemacht, sondern immer auf dem Sofa oder am Küchentisch, geschadet hat es ihm nicht, jedenfalls ist er bisher sehr gut in der Schule, besser als sie jemals war. Zum Glück lässt der Vater ihn meistens in Ruhe; nach den wenigen Tagen, die der Junge bei ihm verbracht hat, ist er unruhig und zappelig zurückgekommen und hat dort alles Mögliche liegen lassen, und der Vater hat ihm eine neongelbe Schirmmütze gekauft, die lächerlich aussieht. Da ist ihr die Gitarre lieber.
Aber das mit dem Schreibtisch ging zu weit, dieser Lehrer tut ja beinahe so, als könne sie nicht für ihren Jungen sorgen, ihr Sternenlicht, und sie geht langsam durch die Wohnung und stellt sich vor, wie sie aussehen müsste, damit sie dem Lehrer gefiele. Auf einmal kommen ihr die Wände fleckig vor, die Poster über dem Sofa sind auch schon eingerissen, und das Zimmer des Jungen sieht mit all den Stapeln und Haufen und dem zerwühlten Sperrholzbett aus wie ein Lagerraum.
Wie bestellt und nicht abgeholt, murmelt sie, da kommt der Junge angelaufen und will ihr noch einmal die neuen Gitarrengriffe zeigen, und sie fährt ihm durch die Haare, etwas fester als sonst, und drückt seinen Kopf kurz an ihre Brust.
Von nun an mischt sich der Lehrer immer öfter in ihr Leben ein. Er ruft an und fragt, ob der Junge in die Musik-AG kommen wolle, die er jeden Donnerstag nach der Schule anbiete.
Fragen Sie ihn, drängt er, bitte. Sie legt eine Hand über das Telefon und fragt den Jungen, ob er donnerstags länger Schule haben will. Fragend schaut der Junge sie an und schüttelt dann den Kopf.
Tut mir leid, sagt sie ins Telefon, er hat eben keine Zeit.
Bald steht der Lehrer dann schon wieder vor der Tür, fast könnte man meinen, er hätte komische Absichten, wenn er nicht gerade der Lehrer wäre.
Ich möchte Ihren Sohn ermutigen, sagt er, mit Ihrer Zustimmung könnten wir zusammen in die Stadt fahren, dort gibt es ein Konzert, Gitarre, Klassik, wissen Sie. Das wird ihm gefallen.
Er bemerkt ihr Zögern und fährt schnell fort, natürlich würde ich ihn einladen. Der Junge steht schon in der Tür und lacht vor Freude, sie machen nie Ausflüge, und mit dem schnellen Auto des Lehrers in die Stadt zu fahren würde ihm gefallen, klar, und der Lehrer würde ihm sicher eine Cola kaufen und vielleicht sogar schöne Kleider für das Konzert, und mit all den fremden Sachen würde er zurück nach Hause kommen und in der fleckigen Wohnung herumlaufen wie ein Angorakätzchen auf der Müllkippe.
Das können wir nicht annehmen, sagt sie schnell. Der Lehrer schaut zwischen ihr und dem Jungen hin und her, ach kommen Sie, das Kind wird viel davon haben, es ist gut für ihn. Einen Moment noch zögert sie, er hat das stärkste Argument gefunden, ihr eigenes, und wie soll sie dem Jungen erklären, dass sie ihm aus Liebe etwas verbieten muss, das ihn so lockt. Sie legt ihm einen Arm um die Schulter und zieht ihn zu sich.
Es geht einfach nicht.
Der Lehrer starrt sie an. Er kann wohl nicht fassen, dass sie ihn zurückweist, den großen Retter, aber da liegt er völlig falsch, ihren Jungen muss niemand retten, und wenn, dann tut sie es ganz allein, dafür ist sie schließlich da.
Und die Gitarre wollten wir Ihnen auch zurückgeben, sagt sie langsam, während der Junge anfängt, leise zu heulen. Der Lehrer hebt die Hände, als wolle er sich vor ihr schützen, und weicht zurück. Als sie die Tür hinter ihm zudrückt, schluchzt der Junge so heftig auf, dass sie ihn an sich presst und ihn in die Küche schiebt. Dort macht sie ihm erst einmal einen Kakao und sich selbst einen Kaffee.
Schließlich wollen sie es schön haben, der Junge und sie.
Balkon Nachmittags im Hotel, so ist es ausgemacht. Sie kommen aus verschiedenen Richtungen, in hellen Sommermänteln und mit staubigen Schuhen, er mit einem hohen Ton im Ohr, sie mit einem Ziehen im Rücken, beide noch eingesponnen in ein Netz aus Ausreden und erfundenen Terminen. Schon während sie sich im Foyer umarmen, streifen sie die Anstrengungen ab, die sie dieser freie Nachmittag gekostet hat, es ist gleichgültig, wen sie belogen haben und wie lang die Fahrt war, später ist Zeit für Erschöpfung und Magenschmerzen. Die Umarmung genügt, um sie wieder zum Paar zu machen, und dass es sie nicht geben darf, ist ein Grund zum Feiern, denn es gibt sie ja. Hier stehen sie, hineingelehnt in einen Duft aus Zahnpasta und Limettenspray, rasch noch im Zug frisch geputzt und durchgekämmt, in der schwankenden Toilettenkabine sich die Achseln mit Papiertüchern abgetupft und die Zähne gebleckt, die Nasenlöcher und die Fingernägel geprüft, es gehört dazu, sich vorher nach Kräften herzurichten für diese wenigen Stunden, die sie nicht mit Duschen verbringen und nicht mit Reden, sondern im Bett, dem immer gleichen Bett mit der festen Matratze und einem Blick über fremde Dächer.
Auf einem der Balkone könnte jemand stehen und sie beobachten, sie schließen nie die Vorhänge und lassen immer den Fernseher laufen, so war es beim ersten Mal, und so soll es bleiben. Sie müssen zwar lügen, um sich zu sehen, aber ansonsten haben sie nichts zu verstecken, sie umarmen sich glühend in der hellen Luft, und wer ihnen dabei zuschauen will, ist eingeladen, sich an ihnen zu verbrennen. Sie decken sich nicht zu und verbergen nichts. Sie sind nicht mehr jung, etwas angeschlagen, von den Kleidern zwar elegant zusammengehalten, doch darunter die Bäuche überreif, ihre Brüste ausgehangen, seine Oberschenkel breit gesessen. Deswegen ziehen sie sich immer erst kurz vorher aus, wenn sie es kaum noch erwarten können und die Blicke so gierig sind wie die Hände und für Scham keine Zeit bleibt.
Danach liegen sie beieinander, der Nachmittag draußen noch immer in vollem Gange, man hört Verkehr und das Klirren einer Straßenbahn weit unten auf der Straße. Da unten sind die anderen, zu denen sie bald wieder stoßen werden, die, die keine Ahnung haben, mit ihren regelmäßigen Lieben und ihren offen geführten Tagen. Sie dagegen sind Verbündete, nicht nur im Bett, sie lachen leise, die Heimlichkeit tut ihnen gut, alle sollten so leben.
Beim Anziehen glühen die Körper noch nach, sie wenden sich ab, streifen die Kleider über, Socken allein im Bad anziehen, diese Regeln halten sie immer ein. Dann erst kommen Gespräche auf, sie sind umstellt von ihren Familien, und es gibt weniges, worüber sie sprechen können, Bücher vielleicht, die Arbeit, Reisen, und doch hören sie sich gern zu, mehr den Stimmen als den Worten.
Darf ich dich etwas fragen, sagt er einmal.
Sie schüttelt den Kopf. Lächelnd blickt er auf ihre verschränkten Hände.
Schade.
Als es dann herauskommt, sind sie nicht überrascht. Sie sitzen mit gesenkten Köpfen in ihren Zügen, wie bestrafte Kinder, fest verzurrt in ihren Kleidern, um sich ein letztes Mal zu treffen. Endlos erschöpft halten sie sich die Tür auf, ziehen die Schuhe aus und liegen still in den Laken.
Jetzt darfst du mich fragen, sagt sie.
Er stützt sich auf die Ellbogen und starrt aus dem Fenster. Im Wohnblock gegenüber sieht er einen Mann an der Balkonbrüstung lehnen. Er raucht und schaut, unverwandt, direkt zu ihnen herüber.
Und, fragt sie nach, den Tränen nahe.
Er schließt die Augen und lässt sich zurückfallen.
Ich weiß nicht, murmelt er, ich habe es vergessen.
Band Als Kind fällt es ihr leicht, Gott zu lieben. Alle tun es, jedenfalls dann, wenn es darauf ankommt. Sonntags steht sie neben den Eltern und faltet die Hände zu einem fest geflochtenen Knoten. Jeder Tag endet mit Gott, die Mutter spricht mit ihr ein Nachtgebet, und die auswendig gelernten Wörter sind eine schöne Melodie, die sie für Gott singt, worauf sie meistens gut einschläft. Verhandlungen führt sie direkt mit Gott, und oft bekommt sie, was sie erbeten hat: den lockigen braunen Hasen aus der Zoohandlung, dass ihre beste Freundin auf die gleiche Schule kommt wie sie und dass der Vater nicht merkt, dass sie schon wieder ihren Sportbeutel verloren hat. Sie holt sich einfach neue Turnschuhe aus der Fundkiste, die passen genauso gut. Dafür bietet sie Gott eine ordentliche Gegenleistung, jede Menge Gebete und gute Taten. Sie schenkt einem Mädchen auf der Straße einen Tintenkiller, einfach so, sie jagt die anderen weg, wenn sie den Jungen mit den krummen Beinen mit Sand bewerfen, sie beerdigt das überfahrene Eichhörnchen, das starr am Straßenrand liegt, und auch sonst kämpft sie für die Schwachen. Sie hat sogar schon Geld auf den Altar gelegt, als es besonders dringend war, aber ob Gott damit etwas anfangen konnte, weiß sie nicht, jedenfalls war es am nächsten Sonntag weg. Immer wenn ihr etwas gelingt, bedankt sie sich bei Gott, und er sendet ihr Zeichen, Regenbögen, Sonnenstrahlen und den ersten Schnee, und so bleiben sie im Gespräch.
Die ersten Schwierigkeiten ergeben sich, als sie sich verliebt und Gottes Hand braucht, um dem Jungen die Augen zu öffnen. Sie weiß nicht, ob es an Gottes Hand liegt oder an der Verblendung des Jungen, der sich am Tag nach ihrem Gebet an ein Mädchen aus der Oberstufe schmiegt, aber seitdem beginnt sie zu zweifeln, ob Gott wirklich zuständig ist. Im Konfirmandenunterricht hört sie von der Ohnmacht Gottes und fragt sich, ob sie jemanden lieben soll, der nichts zu sagen hat. Aber als sie dann, edel gekleidet, wie auf dem Laufsteg durch den Mittelgang zum Altar läuft und die warme Hand des Pfarrers auf ihrem Kopf spürt, fühlt sie sich doch gesegnet.
Mit der Klasse besuchen sie ein Kloster, wo junge Nonnen ihnen von der Liebe erzählen, sie sind aufgekratzt wie Bräute und wollen den Kindern etwas erklären, das unbegreiflich ist. Sie erzählen von dem Band zwischen ihnen und Jesus, und wie er sie anspricht jeden Tag aufs Neue, und sie fragt sich, ob es einfacher wäre, Jesus zu lieben als Gott, oder ob es auf dasselbe hinausläuft. Den Nonnen wünscht sie die verschwitzte Umarmung eines Jungen, sie verpassen so viel, all die Haut und die Hitze, die Liebe zu Gott muss dagegen kühl sein und wie ein weit entfernter Stern, obwohl die Nonnen davon erzählen, als hätte Gott sie in der Nacht geküsst. Sie hat das Gefühl, sie müsse sich entscheiden, und ihre Wahl steht fest, Gott zieht den Kürzeren, und das sagt sie ihm auch, spöttisch faltet sie noch einmal die Hände wie früher und teilt ihm ihre Entscheidung mit.
Danach sorgt sie sich eine Weile, ob sie dafür zahlen muss oder ob sie das Glück verlässt, aber im Gegenteil trifft sie auf jeder Party neue Möglichkeiten, die Jungen drehen ihr Joints und erklären ihr den Abiturstoff, alles gelingt ihr.
Jahrelang vergisst sie Gott, nur bei den Prüfungen an der Uni schickt sie ihm Stoßgebete, gespickt mit Entschuldigungen, dass sie sich so selten meldet, und ob er sie nun erhört oder nicht, jedenfalls erntet sie gute Noten, und ihre Haare reichen bis zur Hüfte.
In ihrer Wohnung streicht sie die Wände dunkelrot und limettengrün. Manchmal steht sie abends nach der Arbeit am offenen Fenster und hört die Amsel in der Birke singen, oder sie geht mit Freunden rudern auf dem See und schaut über das Wasser, wo die Mückenschwärme zwischen dem Schilf zittern.
Als sie heiratet, führt der Pfarrer mit dem Paar ein Gespräch. Sie sollen sich Stellen aus der Bibel aussuchen, auf die Fragen des Pfarrers findet sie ungeschickte Worte, sie ist es nicht mehr gewöhnt, mit Gott zu tun zu haben, es ist sicher auch Übungssache.
Warum wollen Sie denn kirchlich heiraten, fragt der Pfarrer geduldig. Er sitzt leicht gekrümmt auf der sandfarbenen Sitzgarnitur im Gemeindebüro und sieht blass und sehr müde aus, und in ihrem Glück, mit ihrem schlaksigen, zärtlichen Freund an der Seite, würde sie ihm gern eine Freude machen mit einer guten Antwort, in ihrer Liebe ist ja Platz für andere, und wie das mit Gott zusammenhängt, weiß vielleicht der müde Pfarrer. Aber er sagt nicht viel, er nickt freundlich und schaut sie an, als wüsste er, dass vieles im Sande verläuft, wenn man nicht achtgibt.