Lia Sturmgold – Das Geheimnis der Meereselfe - Aniela Ley - E-Book

Lia Sturmgold – Das Geheimnis der Meereselfe E-Book

Aniela Ley

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Beschreibung

Wasserzauber und Elfenmagie So wie die Dinge stehen, muss Lia noch eine Weile im Elfeninternat Springwasser bleiben und die Luftprinzessin spielen. Aber wenn sie ehrlich ist: Sie steht auf ihr neues Leben in dieser zauberhaften Schule, an der sie so viel über Elfenmagie lernt, und fühlt sich unter ihren neuen Elfenfreundinnen immer wohler. Umso entsetzter ist sie, als ihre Schule von magischen Wasserfluten bedroht wird und ausgerechnet ihre Freundin Serafina – die einzige Meereselfe auf Springwasser – unter Verdacht gerät. Um herauszufinden, wer oder was wirklich dahintersteckt, heckt Lia einen Plan aus und macht sich mit ihren besten Freundinnen auf eine riskante Suche …

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Aniela Ley

Lia Sturmgold

Das Geheimnis der Meereselfe

Roman

dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München

1. Traumseifenblasen

Das erste Dämmerlicht fiel bereits durch den Vorhang, doch das Gesicht des schlafenden Mädchens lag noch im Schatten. Da löste sich etwas von seiner Stirn: ein feiner Streifen Mondlicht, der langsam aufstieg und zu einer fußballgroßen Seifenblase anschwoll. Träge waberte sie durch die Luft. In ihrem Inneren war das Mädchen inmitten einer pinkgoldenen Funkenfontäne zu sehen. Rund um sie herum flogen wild klatschende Hände und dazwischen flatterten Banner mit der Aufschrift KnallGirrrlz. Im bunten Schimmer der Seifenblase war nun auch das Gesicht der Schlafenden zu erkennen: Sie lächelte, so breit sie konnte.

»Wow. Ich kann echt von einem Ohr zum anderen grinsen«, sagte Lia, die neben dem Bett stand und die glücklich schlummernde Asalia betrachtete.

»Dein Mund ist der Knaller, erinnert mich irgendwie an ein bestimmtes Tier. Ich komm nur gerade nicht drauf.« Dorient, der neben Lia stand, tippte nachdenklich gegen sein Kinn.

»Sag jetzt ja nichts über Breitmaulfrösche«, warnte Lia den Elfenjungen.

Dorient hob abwehrend die Hände. »Käme ich im Traum nicht drauf. Apropos Traum: Asalia feiert ihr erstes Spiel bei den KnallGirrrlz sogar im Schlaf. Das Hockeyspielen scheint es ihr echt angetan zu haben.«

Lia nickte. »Ich hätte keinen Moos-Kristall-Pop drauf verwettet, dass sich ausgerechnet dieses verwöhnte Luftprinzesschen in so ein krasses Spiel wie Hockey verlieben würde.«

Es war wirklich nicht vorherzusehen gewesen, dass Dorients kleine Schwester Asalia, ihres Zeichens hochwohlgeborene Prinzessin der Himmelsreiche, in Lias Menschenkörper tatsächlich derart Spaß haben würde. Zumal Lia zugeben musste, dass im Vergleich dazu so ein Elfenkörper der pure Wahnsinn war! Besonders, wenn er obendrein Asalia Laliala Pergusta von Silberhaar gehörte und mit den tollsten kristallblau schimmernden Flügeln überhaupt ausgestattet war.

Ein netter Nebeneffekt des Körpertausches war, dass Lia, die als Einzelkind aufgewachsen war, plötzlich einen großen Bruder hatte. Allein für die Freundschaft mit dem zwei Jahre älteren Dorient mit seinem Sturmhaar und dem frechen Grinsen hatte sich das Abenteuer, an Asalias Stelle die Elfenschule Springwasser zu besuchen, schon gelohnt.

Aber das war noch nicht alles: Seit Lia nach einem missglückten Körpertauschzauber aussah wie Asalia, hatte sie ihr Talent für die Blitzkunst entdeckt, weshalb sie jetzt den Ehrentitel Sturmgold trug. Diese Neuigkeit hatte sogar Asalia von den Socken gehauen, obwohl sich das Elfenmädchen ansonsten nur für Menschenkram interessierte. Mit den Händen Blitze abzuschießen war sogar unter den magisch begabten Elfen der Hit … auch wenn es sich momentan eher um Miniblitze handelte, die ihr Eigenleben führten. Meist entluden sich die kleinen Energiebündel, wenn Lia es gerade überhaupt nicht gebrauchen konnte. Immer wieder kokelte sie unbeabsichtigt die edlen Holzfußböden von Springwasser, Lehrerroben oder die eigenen Fingernägel an.

Ansonsten genossen es die beiden Mädchen nach einigen Anlaufschwierigkeiten, in der Haut der jeweils anderen zu stecken. Während Lia ihren Plantling Ludmilla, eine Efeuranke, voller Begeisterung hegte und pflegte, hielt Asalia Kaugummi mit Zimtgeschmack für die abgefahrenste Errungenschaft der Menschheit. Es hatte mehrere Telefonate mit dem Fendrill, einem verschnörkelten Oval auf Lias Unterarm, gebraucht, um Asalia beizubringen, wie man Kaugummi kaut, ohne sich den Mund zu verkleben. Und dass, wenn das Zeug erst mal in den Haaren gelandet war (wie auch immer einer Elfjährigen ein solches Missgeschick passieren konnte), nur noch ein beherzter Schnitt mit der Schere half. Deshalb trug Asalia jetzt einen Pony, was überraschend gut aussah.

Während über Asalias Kopf immer noch die Seifenblase mit ihrem »Applaus, Applaus!«-Traum waberte, schob ihr Lia vorsichtig ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht.

»Seit wann habe ich lila Augenbrauen?«

Dorient zuckte mit den Schultern. »Lila ist doch deine Lieblingsfarbe.«

»Aber doch nicht in meinem Gesicht! Wenn ich könnte, würde ich jetzt sofort sämtliche verrückten Ideen aus deiner Schwester rausschütteln. Als ob es nicht reichen würde, dass sie innerhalb von ein paar Tagen mein Zimmer in einen Saustall verwandelt hat …«

Dorient winkte ab. »Du weißt doch, dass Asalia so chaotisch ist wie ein Wirbelwind-Fresser. Ihre Zofe ist regelmäßig in ihrem Kleiderschrank verloren gegangen, das arme Ding. Und du bist jetzt schon seit drei Wochen in Springwasser und findest dich in der von Asalia gepackten Truhe immer noch nicht zurecht.«

Das stimmte. Allerdings war das gute Stück aus Immertreu-Esche in ihrem Inneren auch groß wie ein ganzes Haus, ach was, wie eine riesige Lagerhalle. Und Asalia hatte alles reingeworfen, was ihr im elterlichen Glaspalast vor ihrer Abreise nach Springwasser unter die Finger gekommen war. Neulich hatte Lia sogar einen Vorrat an Hagelschauer in konzentriertem Wolkenformat herausgeholt. Sie hatte ihn gerade noch rechtzeitig auf den Balkon geschoben, bevor er die Nachtflugwabe verwüsten konnte.

»Sind deine Haare eigentlich auch gefärbt?«, erkundigte sich Dorient, der sich gerade über die schlafende Asalia beugte und sie eingehend musterte.

Lia schüttelte den Kopf. »Daran hat deine Schwester ausnahmsweise mal nicht rumgepfuscht. Mit diesem Allerweltsbraun laufe ich schon mein ganzes Leben lang rum.«

»Von wegen normalo. So eine Haarfarbe habe ich noch nie zuvor gesehen.« Dorient versuchte, eine der braunen Locken anzufassen, doch seine Finger glitten hindurch, als wären sie Luft.

»Klar«, sagte Lia. »Weil ihr Elfen eben tausendfach coolere Haarfarben habt als wir Menschen. Zum Beispiel Sonnenaufgangsrot, Rabenfederblau oder metallisch glänzend.« Sie deutete auf ihr eigenes silbriges Haar, das dem Familiennamen Silberhaar alle Ehre machte.

Nachdenklich knabberte Dorient an seiner Unterlippe. »Alles regenbogenmäßig«, stimmte er Lia zu. »Aber mir gefällt dieses Braun, es sieht so ganz anders aus als die vielen bunten Elfenschöpfe in Andersreich.«

Eigentlich wollte Lia sofort widersprechen – Hallo? Seit wann ist ein langweiliges Braun abgefahrener als Silber oder Dorients Sturmhaar? Doch dann hielt sie die Luft an. Dorient mochte ihr Haar, also ihr wirkliches Haar! Das träumte sie wohl, oder?

Ein lautes »Peng!« riss Lia aus ihrer Verwunderung.

Die schimmernde Traumblase war zerplatzt.

Einen Moment später setzte Asalia sich im Bett auf und rieb sich die Augen. »Muss ich schon aufstehen? Mag nicht«, nuschelte sie und ließ sich zurück in die Kissen plumpsen. Nur um sofort wieder hochzuschnellen und sich die Steppdecke bis ans Kinn zu ziehen. »Einbrecher!«

»Psst«, machte Dorient. »Das sind doch nur Lia und ich.«

Sofort entspannte sich Asalia, griff nach Lias Brille auf dem Nachttisch und setzte sie so routiniert auf ihre Nase, als würde sie das nicht erst seit Kurzem tun. Genervt blinzelte sie die beiden Elfen vor ihrem Bett an. »Sagt doch gleich, dass ihr beiden Nervelfen das seid. Ich hab einen halben Herzschnappfakt bekommen.«

»Herzinfarkt«, korrigierte sie Lia automatisch.

Asalia zeigte ihr einen Vogel. »Wer von uns hat donnerstags Fünfte und Sechste Bio bei Frau Finsterlein? Ich oder du? Das Herz schnappt und dann ist es hin, Fakt.« Ihr Ausdruck bekam etwas Verträumtes. »Ich finde Bio übrigens super! Total verrückt, wie eure Menschenkörper funktionieren. Trotzdem würde euch eine Prise Elfenzauber manchmal ganz guttun. Wenn ihr euch zum Beispiel mal ein bisschen aufhübschen wollt. Bei uns reicht da ein Döschen Famoses Glamourium. Bei euch Menschen saut man gleich das ganze Badzimmer ein, nur weil man seine Augenbrauen einen Hauch interessanter macht. Und anschließend bekommt man von Mama Dornmeier eine Ansprache, dass einem die Ohren klingen. Ich hab ja immer gedacht, dass die Frau Mama Königin laut werden kann … aber dagegen hat sie ein zartes Vogelstimmchen.«

»Meine Mutter ist sauer auf mich?« Lias Magen verwandelte sich in einen Eisklumpen.

»Keine Ahnung, ob sie auch was gegen dich auf der Pfanne hat«, sagte Asalia. »Aber ich musste mir ganz schön was anhören, nur weil das Badezimmer jetzt einen hübschen lila Tupfenlook hat. Und dann hat Mama Dornmeier doch ernsthaft von mir verlangt, dass ich alles mit einem Schwamm und eklig riechendem Putzzeug sauber mache. Dabei habe ich in meinem ganzen Leben noch nie sauber gemacht. Eine Prinzessin fabriziert vieles, aber niemals, wirklich niemals Schmutz!« Es klang, als hätte sie nicht bloß das Waschbecken von lila Farbspritzern reinigen, sondern, lediglich mit einer Zahnbürste ausgestattet, die gesamte Kanalisation schrubben müssen.

»Unser Beileid«, sagte Dorient nüchtern.

»Pfff«, machte Asalia. »Was macht ihr beiden eigentlich hier? Solltet ihr nicht brav in euren Internatsbetten dösen, zusammen in einer Wabe mit dusseligen Feuerelfen und griesgrämigen Undinen?«

Dorient und Lia wechselten einen raschen Blick und beschlossen, gar nicht erst darauf einzugehen. Dorients Kumpel, der Feuerelf Lofi, war nicht unbedingt die hellste Kerze auf der Torte, aber dafür hatte er das Herz am rechten Fleck. Und die Wasserelfe Serafina, mit der Lia seit dem letzten Mondscheintanz befreundet war, war tatsächlich ganz schön oft griesgrämig. Manchmal auch kratzbürstig und zickig. Tja, und fast immer hatte Serafina einen seeigelpiksigen Kommentar auf den Lippen. Aber ansonsten war sie ein echter Schatz.

»Es ist so …«, startete Dorient eine Erklärung. »Wir sind gar nicht wirklich hier.«

»Dann träume ich von euch?« Asalia sah verwirrt aus. »Na, das würde euren feschen Pyjamalook erklären und dass ihr so durchsichtig seid wie Nebelelfen.«

»Nicht du träumst uns, Plapperguste«, sagte Dorient. »Lia und ich träumen. Genauer gesagt, haben wir uns zu dir geträumt. Ich bin nämlich seit Neuestem Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft Traumwandlerei.« Dorient war sein Stolz an der Nasenspitze abzulesen, aber seine Schwester Asalia blieb unbeeindruckt.

»Ja, und?«, fragte sie.

Dorient tat Lia ein bisschen leid, obwohl er eigentlich wissen sollte, dass seine Schwester nur Applaus für sich selbst übrighatte. »Dein Bruder ist im Traumwandeln sogar so gut, dass er heute Nacht in meinen Traum gekommen ist und mich mitgenommen hat. Deshalb sind wir gar nicht richtig hier, unsere Körper liegen schnorchelnd in Springwasser.« Zum Beweis tat Lia so, als wolle sie Asalia durchkitzeln. Doch ihre Finger glitten geisterhaft durch das Nachthemd der Luftprinzessin hindurch.

Erschrocken wich Asalia zurück. »He, lass das!« Nachdem sie überprüft hatte, dass die Geisterfinger keinen Schaden angerichtet hatten, funkelte sie ihre beiden Besucher an. »Verstehe, ihr seid bloß Traumgestalten. Aber warum seid ihr überhaupt gekommen und bringt mich um meinen wohlverdienten Schönheitsschlaf?«

Dorient zuckte mit der Schulter. »Du hast uns seit Tagen nicht mehr mit Anrufen bombardiert, um uns so sensationelle Neuigkeiten mitzuteilen wie: ›Heilige Windschneise! Ich habe eben eigenhändig das Küchenradio angestellt und es kam ungelogen Musik raus‹, oder: ›Mit Zahnpasta kann man auf dem Spiegel Nachrichten für Mama Dornmeier hinterlassen. Wahnsinn, was?‹ Nicht zu vergessen die Topnachricht: ›Ich hab den Weg ins Klassenzimmer heute auf Anhieb gefunden und sogar meine Klassenlehrerin wiedererkannt, obwohl diese erwachsenen Menschen alle gleich aussehen. Ich bin ja so was von gut!‹ Bei so langem Schweigen von deiner Seite haben wir uns halt Sorgen gemacht und wollten mal nachschauen, wie es dir beim Menschspielen so ergeht.«

Und ich wollte unbedingt mein Zuhause wiedersehen, fügte Lia in Gedanken hinzu. Sie glaubte nicht, dass Dorient die Traumreise vorgeschlagen hatte, weil er sich Sorgen um Asalia machte. Warum auch? Asalia war wie eine Katze, die immer auf ihre Pfoten fiel. Für die Luftprinzessin war ihr Ausflug in die Menschenwelt die reinste Party. Sie hatte an allem Spaß, sogar an einem Becher Kakao, der seine Runden in der Mikrowelle drehte. Der wahre Grund, warum Dorient Lia mitgenommen hatte, war ihr immer wieder aufflackerndes Heimweh. Nur ein bisschen, für mehr ließ ihr ihr aufregendes Leben in Springwasser keine Zeit. Allein ihre neuen Elfenfreundinnen, die schüchterne Erdelfe Merla, durch deren Adern Wildlingsblut floss und die sich deshalb in einen Pelzball verwandeln konnte, die Pixie Blo mit ihrem Akaziendornschwert und die mürrische Undine Serafina sorgten ständig für Ablenkung.

Trotzdem gab es Momente, in denen sich Lias Brust zusammenzog und sie an ihr Zuhause in der Menschenwelt dachte. Besonders vermisste sie ihre Mutter, die ausgedehnten Wochenendfrühstücke mit ihr oder die Abende, an denen sie sich zusammen Kochshows ansahen und alles so laut kommentierten, dass man den Moderator nicht mehr hören konnte. Lia und ihre Mutter waren ein eingeschworenes Team, denn sie waren ja nur zu zweit, und nach den vielen Umzügen, die sie wegen Andrea Dornmeiers Job als Unidozentin hatten machen müssen, war bei Lia auch keine richtige Freundin hängen geblieben.

»Ich bin kein Baby, das man betüddeln muss«, riss Asalia Lia aus ihren Gedanken.

»Du führst dich aber auf wie eins«, hielt Dorient dagegen. »Moment, ich korrigiere: Du führst dich auf wie zwei Babys.«

Offenbar hatte Lia nichts verpasst, die beiden Elfengeschwister lagen sich mal wieder in den Haaren. Das schafften sie immer in Rekordgeschwindigkeit. So weit, so normal.

»Ich statte meiner Mutter mal einen Besuch ab«, verkündete Lia.

»Viel Spaß«, sagte Dorient, während Asalia aus dem Bett sprang und versuchte, ihm mit dem Zeigefinger in die Brust zu piksen – was wegen seines Zustands natürlich nicht klappte.

»Das mit den Babys sagst du mir noch mal ins Gesicht, wenn du wirklich vor mir stehst, du Feigling«, knurrte Asalia ihren Bruder an.

Dorient verdrehte die Augen. »Und dann machst du was, Schwesterlein? Vor Wut in deine Windel?«

Asalias Antwort hörte Lia nicht mehr. Sie schlich bereits über den Flur zu dem Zimmer, in dem ihre Mutter schlief.

2. Mama Dornmeier träumt

Das Erste, was Lia auffiel, war der vertraute Duft von Rosen und einem Hauch Vanille. Klar, das lag an Mamas Lieblingsparfüm, mit dem sie sich vorm Schlafengehen gern noch mal einsprühte. »Dann fühle ich mich wie verzaubert«, sagte sie immer. Für Lia duftete es weniger nach Zauberei als nach Liebe und Zuhause.

Im Schlafzimmer ihrer Mutter war es deutlich heller als in ihrem Zimmer. Es gab nur einen Stoffvorhang und ihre Mutter ließ das Fenster gekippt, weil sie gern mit Vogelgezwitscher aufwachte. Vorsichtig tastete sich Lia zum Bett vor. Dabei machten ihre Füße keinerlei Geräusche, denn sie schwebte mehr, als dass sie ging. Man könne sich auf der Traumreise auch einfach ans nächste Ziel denken, hatte Dorient gesagt, das ginge schneller als einmal blinzeln. Aber das sei für Anfänger wohl nicht zu empfehlen, den meisten würde bei einem so plötzlichen Ortswechsel speiübel. Das glaubte Lia sofort, ihr wurde ja auch beim Durchqueren eines Reiseportals schummerig.

Während Lia durchs Zimmer huschte, regte sich eine Grünpflanze auf der Kommode und winkte ihr schüchtern mit ihren Blättern zu. Als Lia zurückwinkte, zitterte die Pflanze vor Aufregung und verbeugte sich tief. Hastig half Lia der Grünpflanze, sich aufzurichten, bevor sie sich vor lauter Höflichkeit den Stängel abknickte. Dann trat sie ans Bett ihrer Mutter.

»Hallo, Mama«, flüsterte Lia.

Keine Antwort außer einem gehauchten »Rapüh« – Mama Dornmeier, wie Asalia sie nannte, schlief tief und selig.

Für eine Sekunde spielte Lia mit dem Gedanken, ihre Mutter zu wecken, aber vermutlich würde sie das Mädchen mit den langen Silberhaaren, in denen eine Tiara steckte, den blauen Kristallaugen und den spitzen Ohren bloß für einen Traum halten. Falls sie sie überhaupt sah. Die meisten Menschen konnten Elfen nämlich nicht sehen.

Nein, da war es besser, den Moment zu genießen.

»Du siehst richtig happy aus«, wisperte Lia, um ihre Mutter nicht zu wecken. »Läuft bei dir, ja? Dabei habe ich fest damit gerechnet, dass dich Asalia mit ihrer Gaga-Art schon nach einem Tag zur Verzweiflung bringt. Diese Luftelfe ist echt eine Nummer für sich, aber sie macht das gut mit meinem Leben. Bestimmt bist du froh, dass ich jetzt Mitglied bei den KnallGirrrlz bin und dort sogar Freundinnen habe. Das habe ich mir ja auch total gewünscht. Na ja, und bestimmt schmunzelst du, weil ich plötzlich jeden Alltagskram zum Ausflippen toll finde und seltsame Sachen sage wie: ›Dieses kleine Piepgerät zaubert ständig bunte Bilder, die voll echt aussehen. Es sollte Bilderschaffer und nicht Handy heißen. Menschen haben keine Ahnung, wie man etwas passend benennt.‹« Vermutlich dachte ihre Mutter, dass sie total im Teeniefieber war. Lia musste grinsen. »Okay, Mama. Du hast eine schöne Zeit mit Asalia – und darüber freue ich mich. Dann bin ich nicht mehr ganz so besorgt, dass diese verrückte Elfe dir den letzten Nerv raubt. Außerdem muss ich zugeben … also, nicht, dass du das falsch verstehst, ich vermisse dich nämlich sehr, … aber: Ich stehe ganz krass auf Springwasser!«

Jetzt war es raus – und das Geständnis fühlte sich gut an.

Warum sollten auch nicht zwei Herzen gleichzeitig in Lias Brust schlagen? Sie konnte doch ihr Zuhause samt Mama lieben und ihre Zeit in Springwasser trotzdem genießen.

Lia setzte sich zu ihrer Mutter auf die Bettkante, wobei sie achtgeben musste, nicht durch den Rahmen zu sinken. Als Traumreisende war sie aus viel feinerem Material als die zarten Daunenfedern der Bettdecke.

»Ich erzähl dir mal ein bisschen was über mein Leben in Andersreich.« Aus den Augenwinkeln nahm Lia wahr, wie sich die Grünpflanze, soweit es ging, aus ihrem Topf lehnte, um besser zuhören zu können. Was wohl ihre Efeuranke Ludmilla, die gerade zusammengerollt auf ihrem Bauch in der Nachtflugwabe schlief, zu ihrer neuen beblätterten Freundin sagen würde? Vermutlich würde Ludmilla ihr prompt ein paar von ihren Kunststückchen als Lasso oder schicker Gürtel vorführen, wie sie es zusammen eingeübt hatten.

»Also … Wo fange ich am besten an? Erst mal muss ich zugeben, dass ich es spannend finde, jetzt in Asalias Körper zu stecken. Ich mag mein Silberhaar mit den blauen Strähnchen, auch wenn es die Pest ist, als Prinzessin ständig diese rutschige Tiara tragen zu müssen. Außerdem kann ich jetzt mit den Händen Blitze abschießen. Wobei ›können‹ nicht ganz stimmt, oft passiert es von selbst und dann kokle ich alles Mögliche an. Aber da arbeite ich an meiner Technik. Das mit der Blitzkunst ist übrigens was richtig Besonderes, ich habe deshalb sogar den Titel ›Sturmgold‹ verliehen bekommen. Eine große Sache für die Himmelsreiche, aus denen Asalia stammt.«

Lia erinnerte sich, dass bei ihrem ersten Blitz alle ganz aus dem Häuschen gewesen waren – sogar Asalia. »Absolut fantastiös«, hatte die Luftprinzessin auf Urlaub gesagt. »Wenn ich wieder in meinem Körper bin, werde ich als Erstes Dorient ’nen Blitz überbraten, weil er immer so den großen Bruder raushängen lässt. Nun aber zu den wirklich wichtigen Dingen: Wie viele Gummibärchen kann ich essen, bis mir übel wird?«

»Was kann ich dir noch Spannendes erzählen?«, überlegte Lia, während ihre Mutter im Schlaf leise schmatzte. Offenbar war das Wort Gummibärchen bis in ihre Träume vorgedrungen. »Ach ja, ich habe Flügel! Ausgerechnet ich mit meiner Höhenangst, völlig verrückt. Und ich habe Freundinnen. Richtige Freundinnen, die mit mir durch dick und dünn gehen. Darüber würdest du dich bestimmt freuen. Gut, dass die Zeit in Andersreich viel schneller vergeht als hier in der Menschenwelt. Dann habe ich nicht so ein schlechtes Gewissen, weil ich schon seit Wochen in Springwasser zur Schule gehe. Für dich sind nur ein paar Tage vergangen, und bevor du dich versiehst, habe ich die Kristalle für den Körpertausch bei den Wasserfällen im Zaarz-Tal gesammelt und bin wieder zurück. Der Ausflug ist schon bald, ich muss nur noch eine Flugprüfung bestehen, um mitkommen zu dürfen.«

Trotz der rosigen Aussichten stieg in Lia auf einmal die vertraute Schwere auf und sie konnte sich kaum vorstellen, ihre Mutter gleich wieder zu verlassen. In diesem Moment wollte sie nichts sehnlicher, als wieder Lia Dornmeier zu sein, mit einer Brille auf der Nase und nichts als Hockey im Kopf.

Während Lia verschämt die Nase hochzog und die Grünpflanze teilnahmsvoll mit den Blättern raschelte, bewegte sich etwas in Andrea Dornmeiers Gesicht und auch von ihrer Stirn löste sich eine silbrige Traumseifenblase, die schnell größer wurde und mit einer Art Nebel gefüllt war. Aus ihrem Inneren war Gelächter zu hören. Langsam setzte sich der weiße Staub, der sich als Mehl entpuppte, und eine fünf Jahre alte Lia wurde sichtbar. Sie veranstaltete gerade eine Megasauerei beim Keksebacken, weil sie es offenbar witzig fand, mit der flachen Hand auf die mehlige Arbeitsplatte zu hauen. Andrea lachte trotz der Sauerei und begann, mit dem Zeigefinger Gespenster ins Mehl zu zeichnen. Die kleine Lia staunte nicht schlecht. Dann schrieb sie ihren Namen in Druckbuchstaben über das kleine Gespenst und über ein größeres Mama.

Plötzlich veränderte sich das Bild in der Traumblase und zeigte Lias Mutter, wie sie über einem riesigen Haufen Papiere saß, den sie mit ernster Miene sortierte. Ein Arbeitstraum, so viel stand fest.

Lia war trotzdem glücklich – und beruhigt. Ihre Mutter dachte an sie, während sie in Springwasser spannende Elfen-Abenteuer erlebte. Asalia hatte sie zwar ohne ihre Zustimmung in eine Elfe verzaubert, aber böse war sie der quirligen Luftprinzessin deshalb nicht mehr. Ganz im Gegenteil.

3. Zum Aufwachen schrecklich!

Lia hauchte ihrer Mutter noch einen Kuss auf die Wange, verabschiedete sich von der Grünpflanze und kehrte zu ihrem Zimmer zurück. Gerade als sie die Tür öffnete, kam ein Sockenknäul angesaust und flog durch ihre Brust hindurch. Vor Schreck rutschte ihr die Tiara über die Augen.

In diesem Traumwandel-Zustand war Lia vielleicht nicht mehr als Mondschein, aber es war trotzdem eklig, wenn etwas durch einen durchzischte wie eine Rakete.

»Sagt mal, geht’s noch?«, beschwerte sich Lia.

Das hätte sie sich auch sparen können, niemand achtete auf sie.

»Asalia Laliala Pergusta, du bist der totale Sprühnebelkopf«, schimpfte Dorient. »Mich mit Socken zu beschmeißen, als ob das was bringen würde. In diesem Zustand bin ich nicht dichter als Luft.«

Asalia stand in Lias Flauschhausschuhen mit Hasenöhrchen vor ihm und stemmte die Hände in die Hüften. Vermutlich sollte das megaselbstbewusst aussehen, wenn da nicht die Lockenexplosion auf ihrem Kopf und ihr falsch zugeknöpftes Pyjamaoberteil gewesen wären. »Etwas nach dir Wichtigtuer zu werfen ist sehr befriedigend, wenn du es genau wissen willst. Ob die müffelnden Socken in deinem Gesicht landen oder nicht, ist dabei nebensächlich.«

»Das klingt genauso dusslig, wie du dich aufführst«, hielt Dorient dagegen. Im Gegensatz zu Asalia machte er nicht einen auf bedrohlich. Er wirkte auch so schon einschüchternd mit seinem aufgepeitschten Sturmhaar und seinen funkelnden Augen. Wenn in seinen Augen ein Unwetter aufzog, bekam Lia sofort feuchte Hände vor Aufregung. Sogar im Traumwandler-Zustand.

»Warum zankt ihr Pappelfen euch denn schon wieder?«, fragte Lia.

»Weil Asalia halt durch und durch Nervensäge ist, da geht es nicht anders«, sagte Dorient.

»Weil er immer, immer, immer was zu nörgeln hat«, beschwerte sich Asalia über ihren Bruder. »Färb dir nicht die Augenbrauen, es sind nämlich nicht deine. Ruf ab heute zur fest verabredeten Zeit an und mach dann mal eine Plapperpause, damit Lia auch was sagen kann. Iss dieses Zeug namens Klebstoff nicht, wenn du nicht sicher bist, dass es etwas Essbares ist.«

»Moment«, unterbrach Lia ihren Redefluss. »Du hast Klebstoff gegessen?«

Asalia winkte ab. »Schnee von gestern. Es geht hier darum, dass Dorient mich ständig rumkommandieren will. Macht er das mit dir eigentlich auch?«

Lia trat von einem Fuß auf den anderen. Was sollte sie dazu sagen? Zu mir ist Dorient voll nett? Ich wünschte, ich hätte auch so einen tollen großen Bruder in der Menschenwelt? Ich treibe ihn nicht in den Wahnsinn mit meiner Prinzessin-über-alles-Tour, so wie du?

Dorient kam ihr zu Hilfe, indem er sagte: »Ich muss auf Lia nicht aufpassen. Sie kommt in Springwasser nämlich besser zurecht als ich. Mit dir wäre das ganz klar anders gelaufen.«

»Jetzt reicht’s mit den Unverschämtheiten!«, rief Asalia. »Höchste Zeit für einen Abflug, Brüderchen.« Blindlings packte sie etwas vom Nachtschrank und warf es nach Dorient.

Der Gegenstand sauste durch Dorients Brust – und hinterließ dort ein Loch.

Ungläubig deutete Lia darauf. »Urgs. Das sieht nicht richtig aus.«

Dorient betastete den ausgefransten Rand des Lochs. »Es fühlt sich auch nicht richtig an. Heiliger Donnerhall, es breitet sich aus.« Tatsächlich reichte das Loch bereits dorthin, wo eigentlich Dorients Herz sitzen sollte.

»Was hast du nach ihm geworfen?«, fragte Lia die plötzlich verängstigt aussehende Asalia.

»So eine Kugel, ein hässliches Ding.«

Lia schlug sich mit der Hand vor die Stirn. »Das war eine Zierkugel aus unserem alten Garten. Sie ist aus Eisen.«

»Kann nicht sein«, behauptete Asalia. »Dann hätte die Kugel fies in meiner Hand gekribbelt. Wir Elfen vertragen Eisen nämlich überhaupt nicht, du Schlaubiumpf.«

»Schlaubi Schlumpf meinst du wohl«, verbesserte Lia. »Außerdem hast du offenbar vergessen, dass du in einem Menschenkörper steckst – und der hat kein Problem mit Eisen.« Lia legte Dorient eine Hand auf die Schulter. »Wir müssen sofort gehen. Hoffentlich ist dein schlafender Körper nicht von der Eisenverletzung betroffen.«

Dorient schüttelte den Kopf, die Sorge hatte er scheinbar nicht. Als er jedoch etwas sagen wollte, kam aus seinem Mund kein einziger Laut. Seine Gestalt wurde von Sekunde zu Sekunde durchsichtiger. Er streckte die Hände nach Lia aus, aber als sie versuchte, sie zu packen, griff sie ins Leere. Im nächsten Augenblick löste sich Dorient auf wie Nebel im Sonnenlicht.

»Au Backe«, sagte Lia.

»Wird schon alles gut sein«, winkte Asalia ab. In Wahrheit war sie jedoch ganz schön blass um die Nase. »Dorient ist nicht kaputt zu bekommen. Ich weiß das, weil ich es schon ein paarmal versucht habe. Bestimmt wacht mein Bruder gerade, lauthals meinen Namen verfluchend, in Springwasser auf.«

»Das mag ja sein, aber wie komme ich jetzt zurück?« Lia stand kurz davor, ihre babyblauen Fingernägel abzuknabbern. »Man braucht ein Passwort, um die Traumreise zu beenden. Ich habe keine Ahnung, wie es lautet.«

»Dann bleibst du hier?« Asalias Augen begannen zu glänzen. »Abgefahren, dann habe ich eine unsichtbare Freundin. Die Mädels in meiner Klasse werden sterben vor Neid. Wir können alles zusammen machen … Na ja, machen ist für dich ja schwierig mit deinen Lufthänden. Aber du kannst mir dabei zugucken, wie ich was mache. Das wird super!«

Die Reaktion war so typisch Asalia, dass Lia nicht einmal den Kopf schüttelte. Sie hatte wirklich andere Probleme. Inzwischen würde die Dämmerung auch schon in Andersreich angebrochen sein, sodass es nur noch eine Frage von Minuten war, bis die Hausmutter, Frau Boskoop, zum Weckdienst auftauchte. Es würde zweifelsohne auffallen, wenn Lia trotz Frau Boskoops dröhnender Stimme selig weiterschlief.

»Ich muss unbedingt sofort aufwachen«, sagte Lia. »Mach was, schrei mich an, erschreck mich oder so.«

»Du meinst, ich soll was sagen, damit du dich so richtig albtraummäßig aufregst?«, vergewisserte sich Asalia. »Okay, aber das mache ich nur, weil du drauf bestehst und weil es ein Notfall ist. Du darfst mir deswegen später keinen Vorwurf machen. Abgemacht?«

In Lias Bauch breitete sich ein flaues Gefühl aus. Andererseits würde zu dem flauen Gefühl noch eine ordentliche Standpauke hinzukommen, wenn herauskäme, dass sie als Schülerin der Bergkristall-Liga auf einer Traumreise hängen geblieben war, obwohl sie noch nicht einmal wissen durfte, dass es Traumreisen überhaupt gab. Wahrscheinlich war es nur eine Frage der Zeit, bis jemand Dorient befragte und alles rauskam. Nein, sie musste sofort zurück nach Springwasser!

»Egal, was du angestellt hast, Asalia, sag es mir.«

Asalia verknotete ihre Finger. »Nur, wenn du mir versprichst, kein bisschen böse zu sein.«

Lia hielt ihre Finger zum feierlichen Schwur hoch. »Versprochen, du hast einen Freischein für sämtliche Dummheiten.«

Asalia schaute immer noch verlegen drein. Kein gutes Zeichen. »Es war eine Mutprobe«, fing sie zögerlich an. »Antonia hatte die Idee.«

»Sekündchen. Sprichst du von Antonia Boltenstein?« In Gedanken fügte Lia hinzu: dem coolsten Mädchen in meiner Schulklasse.

»Ja, genau«, bestätigte Asalia. »Die ist ganz nett, hängt sich in den Pausen immer an mich dran. Jedenfalls ging es darum, wer sich traut, diesem Leon aus der 8. Klasse, für den alle schwärmen, einen Liebesbrief zuzustecken.« Sie verdrehte die Augen. »Von wegen Mutprobe, das war hypereinfach. Dieser Leon steht immer mit seinen Freunden voll langweilig in der Gegend rum und man muss nur hingehen, Hallo sagen und ihm den Brief in die Hand drücken. So leicht wie Pixie-Wegschnippen. Die Mädchen müssen mir jetzt die ganze Woche in jeder Pause Zimtkaugummis ausgeben, weil ich die Mutprobe gewonnen habe.«

Lia kämpfte gegen eine sich ankündigende Schnappatmung an. »Und wer hatte den Liebesbrief unterzeichnet? Antonia doch wohl hoffentlich.«

Asalia winkte ab. »Von wegen. Jede hat ihren eignen Liebesbrief geschrieben – aber nur ich habe mich getraut, meinen abzugeben. In Schönschrift unterschrieben mit ›Deine Dir absolut und für immer ergebene Lia D.‹. Wie gesagt: hypereinfach.«

Krampfhaft sog Lia Luft ein. »Und was hat Leon mit dem Brief gemacht?«

Inzwischen wirkte Asalia kein bisschen mehr verlegen, sondern so stolz, als habe sie bei den KnallGirrrlz die Kapitänsbinde bekommen. »Er hat den Brief seinen Freunden vorgelesen. Die waren alle ganz aus dem Häuschen und haben mich angestarrt, als wäre ich eine Sternschnuppe am Silvesterabend. Jungs eben.« Sie winkte verächtlich ab.

Jetzt war es so weit: Lias Kehle schnürte sich endgültig zu. Falls sie jemals in ihren Menschenkörper zurückkehren sollte, würde sie ihre Mutter davon überzeugen müssen, sofort umzuziehen. Am besten auf einen anderen Kontinent. Aber vorher würde sie Asalia so viele Zimtkaugummis essen lassen, bis sie ihr zu den Ohren rauskämen!

Noch wusste Asalia nichts von ihrem Schicksal und quiekte vergnügt. »Es klappt, du wirst immer durchsichtiger. Dann wachst du bestimmt gleich vor lauter Ärger auf. Und nicht vergessen: Du bist mir dankbar wie ein Grottenmolch für ein bisschen Sonnenschein, weil ich dir von der Mutprobe erzählt habe. Ich habe dich gerettet. Denk dran! Und jetzt gute Reise, Lia!«

Lia hätte dieser verflixten Elfe gerne noch eine Gemeinheit zugerufen. Etwa, dass ein sehr verliebter Schlammblubberelf mit Eiterpusteln auf der Nase auf Asalia warten würde, um ihre Verlobung offiziell bekannt zu geben, wenn sie eines Tages wieder ihre Rolle in Springwasser übernehmen würde. Aber da löste sich Lia schon auf, wurde hineingezogen in einen Strudel aus glitzerndem Schlafsand – und landete ziemlich hart in ihrem schreckensstarren Körper.

Lia schlug die Augen auf. Über ihrem Kopf schwebte der silbrige Baldachin ihres Himmelbettes und auf ihrem Bauch schlief zusammengerollt die Efeuranke Ludmilla. Lia war eindeutig zurück in Springwasser.

»Ich hasse Asalia«, murrte sie mit schlaftrunkener Stimme.

»Scheint ja wirklich ein verrückter Traum gewesen zu sein, wenn du dich jetzt selbst hasst. Kein Wunder, dass du so laut geschrien hast.«

Lia zuckte zusammen, dann bemerkte sie im Dämmerlicht, dass Serafina auf ihrer Bettkante saß und ihre Hand hielt.

»Ich hab geschrien?«, vergewisserte sich Lia.

Serafina nickte. »Merla ist vor Schreck aus dem Bett gekugelt und seitdem nicht wieder aufgetaucht. Vermutlich schläft sie in ihren Pelz gehüllt unterm Lattenrost weiter. Und Blo hat kurz aus ihrer Hängematte rauskrakeelt, dass sie jeden mit ihrem Rosendorn erdolcht, der vor der offiziellen Weckzeit noch einen Pieps von sich gibt.«

»Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe«, sagte Lia im Flüsterton, zur Sicherheit einen Blick auf die Hängematte der unter akuter Morgenmuffeligkeit leidenden Pixie gerichtet.

Serafina winkte ab. »Meerschaumschwabbel. Ich stehe gern früh auf, dann habe ich den Badesalon für mich allein. Magst du mitkommen? Eine morgendliche Dusche unterm Zitrusnebel – und du vergisst jeden bösen Traum oder sonstigen Kummer. Vertrau mir, das wirkt Wunder.«

Das glaubte Lia der Undine sofort. Sie kannte sich nun wirklich mit schlechter Laune aus. Serafina war neben Lia die Einzige in der Wabe, die unter Heimweh litt. Aber da war oft noch mehr, ihr Unglück ging tiefer, auch wenn die Meereselfe das hinter einer großen Klappe versteckte: Serafina sehnte sich nicht bloß nach dem weiten Meer und ihrer Familie, manchmal umgab sie eine Traurigkeit wie ein Mantel aus gewobenen Schatten. Wenn jemand wusste, dass ein morgendlicher Besuch des Badesalons ein Heilmittel gegen Kummer jeder Art war, dann sie.

Mit Schwung stand Lia auf und half auch Serafina auf die Beine. »Dann können wir ja mal ein heißes Sprudelbad mit extravielen Luftbläschen nehmen«, schlug sie vor. »Das Becken ist sonst immer vollgestopft mit Winzelfen, für die das Reiten auf den Blubberblasen das reinste Abenteuer ist.«

Serafina verzog ihr von Natur aus grünlich schimmerndes Gesicht. »Blubberbläschen im Wasser? So etwas mögen auch wirklich nur Luftelfen, die zu viel Zugluft abbekommen haben.«

4. Blitzkunst für Anfänger

Als Lia im Morgenmantel und nach Zitrus duftend in die Wabe zurückkehrte, waren die Fensterläden bereits geöffnet und die ersten Sonnenstrahlen ließen die violett-samtigen Wände schimmern.

Merla stand vor dem Ankleidespiegel und bürstete ihren Pelz. »Guten Morgen, meine liebe Wabenmitbewohnerin. Hat Serafina dich zu einem Badesalon-Besuch in der Dämmerung überredet?«

Lia grinste. »Wenn unsere Undine könnte, würde sie die gesamte Nacht in einem der Wasserbehälter rumdümpeln. Eben konnte ich sie jedenfalls nicht dazu überreden, mit mir auf die Wabe zu kommen. Sie will unbedingt noch einen Tauchgang ins Schwarze Loch mit Algengrütze machen.«

»Serafina weiß ja nicht, was sie verpasst!« Merla drehte sich gut gelaunt um die eigene Achse. »Ich könnte schwören, dass ich bei Sonnenaufgang eine Schar Zwirbeldrosseln im Kanon habe zwitschern hören«, flötete sie.

Merla war morgens die gute Laune in Person – im Gegensatz zu Blo, von der nur ein gebrummtes »Ruhe! Es ist noch mitten in der Nacht!« zu hören war. Die Verschiedenheit ihrer Freundinnen war Lia inzwischen so vertraut, dass sie vermutlich Sehnsucht nach ihnen bekommen würde, sobald sie in ihr altes Leben in der Menschenwelt zurückkehrte. Aber bis dahin war ja noch Zeit!

»Bist du dir sicher, dass Vögel im Kanon singen?«, lachte Lia. »Bestimmt hast du das bloß geträumt, weil du gestern Abend über diesem Wälzer Die Vögel von Andersreich eingeschlafen bist. Ich wette …«

QUIETSCH!!

Das Geräusch rostiger Türangeln kratzte lautstark über Lias Trommelfeld, nur gab es in der Wabe keine Tür, die einen derartigen Krach machte.