Lia Sturmgold – Die verzauberte Mitternacht - Aniela Ley - E-Book

Lia Sturmgold – Die verzauberte Mitternacht E-Book

Aniela Ley

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Beschreibung

Lia steckt noch immer im Körper der Luftprinzessin Asalia und besucht das Elfeninternat Springwasser. Allzu sehr stört sie das nicht, denn das Leben im Internat ist spannend – abgesehen vielleicht vom schnarchigsten Unterrichtsfach aller Zeiten, Morphologie Elfonica, bei dem es um magische Verwandlungen geht. Aber so langsam wird es Zeit, mal wieder einen Abstecher in die Menschenwelt zu machen. Dazu muss Lia es zu den magischen Wasserfällen schaffen, um an die versteckten Tau-Kristalle zu kommen. Ohne diese kann sie niemals mehr in die Menschenwelt zurückkehren. Doch der Weg dorthin ist schwieriger als gedacht ...

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Aniela Ley

Lia Sturmgold

Mit Vignetten von Isabelle Hirtz

dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München

1.Ab durch die Erde!

Im Prinzip ist Fliegen etwas ganz Tolles, besonders wenn man eine Luftelfe ist. Dann heißt es: Flügel öffnen und schon geht’s himmelwärts!

Das gab auch Lia gerne zu, obwohl sie an Höhenangst litt. Und zwar so schlimm, dass ihr schon schwummerig wurde, wenn sie bloß auf einen Stuhl stieg. Daran änderten auch die wunderschönen Flügel nichts, die sozusagen das Sahnehäubchen auf dem Elfenkörper der Luftprinzessin Asalia Laliala Pergusta von Silberhaar waren. Eben jenem Elfenkörper, in dem Lia Dornmeier nach einem missglückten Tauschzauber immer noch feststeckte. Seitdem amüsierte sich Prinzessin Asalia in der Menschenwelt, machte einen auf Mädchen und stellte Lias stinknormales Leben gründlich auf den Kopf.

Und Lia? Die fühlte sich nach anfänglichem Heimweh auf dem Elfeninternat Springwasser immer wohler. Zumindest solange kein Flugunterricht auf dem Stundenplan stand.

So wie heute.

Doch diesmal ging es nicht um das Erlernen »superfixer Ausweichmanöver im steilen Rückwärtsflug«, sondern um etwas tausendfach Schlimmeres: den Ausflug an die Zaarz-Wasserfälle.

Okay, stimmt. Das war genau der Ausflug, auf den Lia seit ihrem ersten Tag in Andersreich sehnlichst wartete. An den Rändern der sagenhaften Wasserfälle wuchsen nämlich die Taukristalle, die ein Hauptbestandteil des Tauschzaubers waren. Nur noch dieser Ausflug und Lia würde ihr Rückreiseticket in ihren Menschenkörper in den Händen halten. Unter der Voraussetzung, dass sie vorher nicht die Nerven verlor und schreiend davonlief.

Wonach es augenblicklich leider aussah …

»Bei allen grünen Schimmelpilzen, ich steige nicht in dieses Ding, damit es mich ins Erdreich schießt und bei den Wasserfällen wieder ausspuckt. Das ist die verrückteste Art zu reisen, von der ich je gehört habe. Lieber lasse ich mich mit der Luftpost verschicken«, verkündete Lia mit zitternder Stimme.

Die angebliche Luftprinzessin stand zusammen mit den anderen Elflingen des Kurses auf der Wiese, auf der normalerweise der Flugunterricht abgehalten wurde. Doch anstelle des Blauen Diamanten, in dem sie sonst trainierten, befand sich dort eine wohnwagengroße Patronenhülse aus poliertem Messing.

Eine sogenannte Reiserakete.

An ihrer Spitze war ein Gewinde angebracht, mit dem sie sich in Höchstgeschwindigkeit durch die Erdkruste bohren würde. Als wäre das nicht schon übel genug, knatterte und zischte am anderen Ende eindeutig neonblaue Magie aus dem Auspuff. In der Mitte des Gefährts befand sich eine Einstiegsluke. Es gab jedoch keine Fenster.

Lia wusste nicht, ob sie das Fehlen von Fenstern gut finden sollte, aber immerhin bekam sie so wenigstens nicht mit, was draußen alles Furchtbares passierte. Andernfalls würde ihre Fantasie mit ihr durchgehen. Und die gaukelte ihr jetzt schon Grauenhaftes vor. Etwa, dass die Reiserakete direkt im Maul eines gigantischen Regenwurms landete, der nur einmal zu schlucken brauchte – und das war’s dann mit der Truppe reisefreudiger Flugelfen.

Lias Freundin Blo, eine handgroße Pixie und angehende Walküre, schmiss sich lässig eine Blütenpolle in den Mund.

»Das ist kein ›Ding‹, wie du es nennst«, sagte sie. »Sondern eine von der Zwergenwerkstatt ausgetüftelte Hochleistungs-Reiserakete der neusten Klasse mit einem megastarken Schrumpfgenerator, der die Rakete mit allem, was sich in ihr befindet, von null auf nichts auf die Größe eines Tannenzapfens verkleinert. Und, als ob das noch nicht klatschmohnblütenmäßig genug wäre, hat die Rakete noch einen integrierten Wirbelsturm-Antrieb, der auf Luftelfenmagie beruht. Anstatt mit den Zähnen zu klappern, solltest du mächtig stolz sein. Schließlich ist es das erste Mal in der Geschichte von Andersreich, dass die Wirbelwind-Energie zielgerichtet eingesetzt werden kann.«

»Woran ich so meine Zweifel habe, denn Wirbelwinde machen ausschließlich das, was sie wollen«, murmelte Lia.

Blo ignorierte ihre Freundin. »Als Prinzessin der Himmelsreiche solltest du dich vordrängeln und als Erste einsteigen. Das verlangt allein schon die Tiara auf deinem Kopf.«

Lia winkte ab. »Eben weil ich mich mit den Himmelsreichen auskenne, schlägt ja mein Fluchtinstinkt an. Ich durfte mit der Power von Wirbelstürmen bereits im Windkanal ausreichend Erfahrung machen. Selbst wenn die berühmte Windbändigerin Flugtosa Krawumms persönlich eine Rakete mit diesem Antrieb steuern würde, wäre das Ganze immer noch ein unkalkulierbares Risiko. Mal davon abgesehen, dass die Zwergenwerkstatt für dieses Ungetüm verantwortlich zeichnet. Die kleinen Kerle sind waschechte Nerds, bestimmt ist ihr Ehrgeiz mit ihnen durchgegangen. Jeder weiß, dass Zwerge ständig alles verschlimmbessern. Wahrscheinlich ist der Wirbelsturm-Antrieb so heftig, dass wir auf der anderen Seite von Andersreich rauskommen und so lange beschleunigen, bis wir diese Galaxis hinter uns gelassen haben.«

»Blumige Vorstellung! Hinter Andersreich liegt nämlich die Heimat der Walküren. Die würde ich furchtbar gern mal besuchen.« Blo schmatzte verträumt auf ihrer Polle herum.

Eigentlich war Lia froh darüber, dass Blo nichts so schnell aus der Ruhe brachte. Aber heute stand sie kurz davor, komplett auszuflippen. Da half eine coole Blo genauso wenig wie die Tatsache, dass sich auch alle anderen aus ihrer Flugklasse keine Sorgen zu machen schienen. Gut gelaunt standen sie mit ihren Rucksäcken voller Picknickdecken und Lunchpaketen herum, als würden sie sich jeden Tag in einer Metallrakete unangespitzt in den Boden rammen lassen.

Seufzend schob Lia ihre Tiara aus der Stirn. »Vielleicht sollte ich zu Frau Flatterfein gehen und ihr sagen, dass ich unter einer Zwergentechnik-Allergie leide.«

Mit einem »Glup« schluckte Blo die Blütenpolle. »Nun mach mal halblang, du willst doch nicht wegen ein bisschen Fracksausen auf den tollsten Ausflug des Schuljahres verzichten. Du redest seit Wochen von den Wasserfällen und hast sogar die Zusatzprüfung im Windkanal mit Bravour bestanden, um mitzudürfen. Und das willst du jetzt alles kippen, nur weil du den Zwergentechnikern nicht über den Weg traust? Was übrigens niemand tut, der bei klarem Verstand ist. Diese wandelnden Bärte sind nicht bloß Nerds, sondern Größenwahnsinnige. Dass mit ihren verrückten Erfindungen trotzdem immer alles klappt, liegt nicht an ihrem Können, sondern an der Magie von Andersreich. Darauf solltest du genauso vertrauen wie ich.«

Lia verschränkte ihre Arme vor ihrer Flugtunika, damit sie nicht so stark zitterte. »Das ist ja nicht alles«, gab sie zu. »Meinem Luftelfenkörper ist die Vorstellung nicht geheuer, durchs Erdreich zu reisen. Was ist, wenn wir plötzlich feststecken und stundenlang auf ein Rettungskommando aus Kobolden warten müssen, damit sie uns wieder ausbuddeln? Allein bei der Vorstellung mache ich einen Knoten in Ludmilla.«

Tatsächlich sah ihr Plantling, eine Efeuranke, schon ganz schön zerdrückt aus. Vorsichtshalber legte Lia sich Ludmilla um den Hals, wo der Plantling sie gleich mit ihren Blättern kitzelte. Die Aufmunterung half ein kleines bisschen.

Nachdenklich ließ Blo ihre Flügel im Standflug vor Lias Nase klirren. »Dass du als Luftelfe unterhalb der Erde Schnappatmung bekommst, ist ja kein Geheimnis. Aber das ist doch schon sehr viel besser geworden, seitdem du regelmäßig mit Merla in den unterirdischen Stollen von Springwasser unterwegs bist.«

»Das stimmt«, gab Lia zu. »Unsere Erdelfe kann einem ihr Element durchaus schmackhaft machen. Aber es ist was anderes, mit seinen besten Freundinnen durch die Gänge der Marmorvögel zu spazieren, als mit vom Wirbelwind angetriebenem Zwergenwahnsinn durch Schichten aus Granit und Sandgestein zu schießen.«

Blo verdrehte ihre Augen. »Du bist keine Luftprinzessin, sondern eine Dramaqueen. Eigentlich wollte ich drauf verzichten, aber du zwingst mich, härtere Maßnahmen zu ergreifen. Siehst du, wer dort drüben steht, du Zitterpappel?«

Lia blickte dem ausgestreckten Zeigefinger der Pixie nach. »Meine Lieblingsfeindin Valmariana«, sagte sie seufzend. »Aufgerüscht wie für eine Tanzveranstaltung und kurz davor, allein von ihrem riesigen Ego in die Höhe gehoben zu werden. Danke, dass du mich auf diese spezielle Luftelfe hingewiesen hast. Jetzt habe ich nicht nur Panik, sondern verspüre auch den dringenden Wunsch, Valmariana meinen Rucksack über den Kopf zu stülpen, damit ich mir ihr aufgesetztes Dauergrinsen nicht länger ansehen muss.«

»Genau darum geht es.« Blo unterstrich ihre Worte mit einem Looping aus dem Stand.

»Ich soll Valmariana unter meinem Rucksack verschwinden lassen?«, versicherte Lia sich ungläubig.

Kichernd winkte Blo ab. »Wäre schon witzig, aber nee. Ich meinte doch ihr Dauergrinsen. Fällt dir da nix auf?«

Erneut warf Lia ihrer Erzrivalin einen Blick zu. Was sie zu sehen bekam, war halt das klassische Valmariana-Bild: das Glitzertrikot über der Tunika, auf dem Flug-Ass stand, die mit Schleifen und Kristallen versehenen Stiefelchen zur Leggins und ihre sonnenuntergangsfarbene Haarmähne, die heute zu zwei Zöpfen geflochten war. Wie üblich redete sie am lautesten und fuchtelte dabei wild mit den Händen herum, damit sie auch ja von allen beachtet wurde.

So weit, so Valmariana.

Aber dann bemerkte Lia noch etwas anderes: Valmarianas Stimme überschlug sich geradezu. Und fuchtelte sie nicht extra viel herum, damit keiner sah, dass ihre Hände zitterten?

»Valmariana hat auch die Hosen voll wegen der Reise durch Andersreichs Erdkruste«, stellte Lia staunend fest.

»Genauso ist es«, stimmte Blo zu. Die Pixie hatte sich auf Lias Schulter gesetzt und kraulte Ludmilla am Stängel. »Im Gegensatz zu dir hat diese Luftverpesterin ersten Grades jedoch nicht vor hinzuschmeißen, nur weil sie Bammel vor ein bisschen Erde hat. Im Gegenteil, Valmariana tut alles dafür, damit ihr niemand anmerkt, dass sie sich am liebsten unter ihrer Freundin Quadrophenia verstecken würde.«

Die Vorstellung, wie Valmariana platt unter der Gebirgselfe lag, die zufrieden an einem Stinkekäse kaute, ließ Lia lächeln. Aber nur ganz kurz. »Ist mir egal, wenn Valmariana eine Schau abzieht. Ich will nicht zum Fossil versteinern, weil die Berechnungen der Zwergenwerkstatt fehlerhaft waren. Und das sage ich Frau Flatterfein jetzt auch. Es muss doch eine andere Möglichkeit geben, um zu den Wasserfällen zu kommen.«

Entschlossen machte Lia auf der Stelle kehrt – und blieb dann Knall auf Fall stehen.

Direkt vor ihr stand nämlich ein Elfenjunge.

Und zwar nicht irgendeiner, sondern Dorient, ihr großer Bruder und Prinz der Lüfte. Auch bekannt als unverbesserlicher Trickser von Springwasser, der mehr Unsinn im Kopf hatte als eine ganze Horde Pixies im Blütenrausch. Allein, dass der zwei Jahre ältere Schüler der Amethyst-Liga sich zwischen lauter Kids aus der ersten Klasse herumtrieb – oder, wie es in Springwasser hieß, aus der Bergkristall-Liga –, war hochverdächtig.

»Was machst du denn hier?«, fragte Lia. »Bekomm es nicht in den falschen Hals, aber ich kann deine Gags jetzt wirklich nicht gebrauchen. Meine Nerven flattern stärker als eine Fahne im Westwind. Also sei ein lieber großer Bruder und spiel deine Streiche woanders.«

Extra entspannt legte Dorient seinen Arm um Lias Schultern. Blo, die dort gesessen hatte, flog mit einem empörten Schnauben davon. »So misstrauisch, mein herzallerliebstes Schwesterlein? Das liegt doch hoffentlich nicht daran, dass dir neulich jemand Blaukraut-Kapseln in deinen morgendlichen Wolkenpudding gemischt hat?«

Lia stieß Dorient ihren spitzen Ellbogen in die Seite. »Nicht irgendwer, sondern du, du Komiker. Und das ausgerechnet an dem Tag, an dem die Klassengemälde gemalt worden sind. Dank dir wurde ich mit einem Lächeln voller blauer Zähne verewigt.«

»Du hast nie besser ausgesehen, wenn du mich fragst.« Dorient rieb sich grinsend die Stelle, wo Lias Ellbogen ihn getroffen hatte. »Allerdings bin ich gar nicht in meiner Funktion als Vertreter der edlen Trickser-Vereinigung da, sondern weil ich mir meine Flugerlaubnis zurückholen will.«

»Wirklich? Die Schulleitung will dich wieder fliegen lassen?!« Lia jubelte, was dafür sorgte, dass sämtliche Köpfe sich in ihre Richtung drehten. Doch die Aussicht, dass Dorient nach langem Flugverbot endlich wieder in die Luft steigen durfte, war zu großartig. Nicht nur, weil Dorient es liebte zu fliegen. Nein, er hatte auch ganz außergewöhnliche Flügel, die Lia nur zu gern mal wiedergesehen hätte.

»Du freust dich ja fast mehr als ich.« Dorient lief rot an. »Jedenfalls meinte Madame Map Nachtalbe, ich hätte mich in letzter Zeit gut geschlagen. Sie musste fast keine Briefe mehr an meine Eltern schicken. Tatsächlich vermutet unsere Schulleiterin sogar, dass meine Besserung damit zusammenhängt, dass du jetzt in Springwasser bist. Du sollst wohl einen guten Einfluss auf mich haben. Bevor sie das Flugverbot allerdings aufhebt, muss ich beweisen, dass ich jetzt tatsächlich verantwortungsvoller bin. Deshalb komme ich heute als Begleitperson mit und passe auf, dass keine von euch Bergkristall-Pfeifen versehentlich in die Wasserfälle plumpst. Übrigens werdet ihr Wichte nicht nur von mir gehütet, sondern auch von meinem Kumpel Lofi.«

Lofi stand ein Stück abseits, kam jetzt aber sofort angelaufen, die Flammenhaare lodernd vor Aufregung.

Lias Augenbrauen fuhren automatisch zusammen. »Lofi weiß aber schon, dass er ein Feuerelf ist?«, erkundigte sie sich.

»Ein Feuerelf, der das Wasserelement liebt und damit umzugehen weiß«, behauptete Lofi. »Könntest du das bitte nach dem Ausflug deiner Undinen-Freundin Serafina erzählen?«

»Hängt davon ab, wie die Stimmung bei unserer Miesmuschel ist«, wich Lia aus.

Wenn es um ihren glühenden Verehrer ging, war die Wasserelfe noch miesmuscheliger als üblich – was Lofi nur noch mehr in Liebe zu ihr entbrennen ließ. Jetzt schaute er jedoch so bedröppelt drein, dass es Lia sofort leidtat.

»Was hast du denn da für einen blauen Ball an deinem Gürtel hängen? Sieht aus wie ein Flummi«, wechselte sie rasch das Thema.

»Das ist ein Feuerelfen-Wasserschutz, auch Plopp genannt«, erklärte der ältere Feuerelf voll Stolz. »Vor Urzeiten soll mal jedes Mitglied meines Volkes einen Plopp besessen haben für den Fall, dem nassen Element einen Besuch abstatten zu wollen. So, wie wir es auf den Wandgemälden der Berghalle gesehen haben. Seit sich unsere Völker auseinandergelebt haben, ist der Plopp leider aus der Mode gekommen. Den hier hat mir Hochmeister Frizulle El Bo’Regatz für den Ausflug geliehen. Unser Alchimist benutzt ihn als Sicherheitsanzug, wenn er bei einem seiner Experimente mit sich exorbitant ausbreitende Flüssigkeiten hantiert. Warte, ich zeig dir, wie der Plopp aufploppt.«

Lofi nestelte an dem Bällchen herum, doch es wollte sich nicht vom Gürtel lösen lassen, so sehr er auch daran herumriss.

Eine Truppe Elflinge, die mit Dorient und Lofi im Alten Turm wohnten, wich aus Gewohnheit zurück. Lofi hatte einen gewissen Ruf als Tollpatsch.

Lia hob beschwichtigend die Hände. »Schon gut, du kannst mir deinen Plopp ja später vorführen.«

»Achtung, akute Lofi-Gefahr!« Dorient, der die Ungeschicklichkeit seines Freundes besser als jeder andere kannte, trat ebenfalls einen Schritt zurück und zog Lia gleich mit aus der Gefahrenzone.

Gerade noch rechtzeitig, im nächsten Moment ertönte nämlich schon ein ohrenbetäubendes »Plopp«.

»Guckt mal, Lofi hat sich in eine Kugel verwandelt«, rief eine Blätterelfe (Lia beneidete die Blätterelfen darum, dass sie sich ihre eigenen Klamotten wachsen lassen konnten, auch wenn ihre Sachen immer nur grün waren).

»Entwarnung! Lofi hat sich nicht verwandelt, er steckt nur bis zum Hals in einer bläulich schimmernden Blase.« Vorsichtig stupste Lia die glänzende Hülle mit dem Finger an, woraufhin sie sanft waberte. Dummerweise befand sich nur Lofis Kopf außerhalb des Plopps, während seine Arme und Beine in der Blase steckten. Deshalb konnte er nichts dagegen tun, als sein Schutzballon in eine Schräglage kugelte.

Lia schaute dem rumeiernden Lofi mit gerunzelter Stirn zu. »Mit dem Plopp stimmt doch was nicht. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Hochmeister Frizulle El Bo’Regatz Experimente ohne die Zuhilfenahme seiner Hände durchführt.«

»Natürlich nicht. Im Gegensatz zu unserem lieben Lofi weiß der Hochmeister mit dem Schutzballon umzugehen.« Dorient verdrehte die Augen. »Du hast den Rundumschutz aktiviert, du Pinsel«, sagte er zu seinem Freund. Dann gab er der Bubble, in der Lofi steckte, einen Knuff, woraufhin sie erst so richtig in Bewegung kam.

»Erkaltete Glut noch mal, was soll der Blödsinn?«, regte Lofi sich auf. »Dorient, du musst mir helfen, sonst bremse ich gleich mit meiner Nase.«

Demonstrativ verschränkte Dorient die Arme vor der Brust. »Sieht irgendwie lustig aus. Außerdem hättest du Lia und mich überrollt, wenn wir nicht rechtzeitig in Deckung gegangen wären.«

»Das wollte ich doch gar nicht«, jammerte Lofi, der in seinem Plopp immer stärker herumkreiselte.

Einige Schüler mussten zur Seite springen, aber es fanden sich auch Schaulustige ein, die dem Plopp den einen oder anderen Schups verpassten.

»Ich wollte deiner Schwester nur … Oje, wenn sich alles so dreht, wird mir ganz …« Lofi stöhnte.

»Das ist jetzt aber nicht besonders verantwortungsvoll, dabei zuzusehen, wie Lofi sein Frühstück retour kommt«, hielt Lia Dorient vor. »Hilfst du deinem Freund jetzt oder soll ich das machen?«

Dorient rümpfte seine Himmelfahrtsnase. »Schon gut, Eure Durchlauchtheit. Euer Euch treu ergebener Diener eilt bereits los. Obwohl mein Job als Aufsichtsperson eigentlich nicht das Retten von anderen Aufsichtspersonen vor ihrer eigenen Dusseligkeit beinhaltet.«

Es stellte sich allerdings heraus, dass es gar nicht so einfach war, den Plopp anzuhalten. Als Dorient sich auf die Bubble warf, rutschte er gleich wieder mit einem fiesen Quietschen runter. Und als er in die Hocke ging und sich gegen den aufgeblasenen Schutzball stemmte, wurde er fast überrollt. Kurzum, es war ein top Unterhaltungsprogramm, das die beiden Aufsichtselfen aus der Amethyst-Liga boten.

Als Valmariana neben Lia trat, war Dorient gerade wieder auf den Plopp gesprungen. Mit ein paar Hopsern wollte er dafür sorgen, dass dem Schutzballon die Luft entwich. Stattdessen wurde das Ganze zu einer Trampolinnummer mit einem langsam sauer werdenden Luftprinzen in der Hauptrolle, dessen Sturmhaare gefährlich zu Berge standen.

Valmariana, Enkeltochter der Großfürstin des Monsuns, schob genervt ihre Unterlippe vor. »Dein Bruder ist ein echter Clown, es macht ihm nichts aus, sich vor aller Augen zum Popanz zu machen. Und dabei habe ich immer behauptet, dass du es bist, die mit ihrem unköniglichen Verhalten Schande über unser Volk bringt. Nun ja, Dorient ist noch schlimmer. Kaum zu glauben, dass Luftmagie durch eure Adern fließt.«

Glücklicherweise waren alle gerade mit Summen beschäftigt, weil Dorient einen unfreiwilligen Salto hingelegt hatte und mit wackligen Beinen wieder auf dem Plopp gelandet war. So hörte niemand außer Lia Valmarianas Gemeinheit.

Anstatt der Giftspritze ein für alle Mal klarzumachen, wer hier die Sternentiara auf dem Kopf hat, kam Lia eine Idee. »Dann ist es dir also eine Herzensangelegenheit, dieses Schauspiel zu beenden?«, fragte sie zuckersüß. Dabei breitete sie unauffällig ihre kristallblauen Flügel aus.

»Natürlich«, zischte Valmariana.

»Dann mach dich mal nützlich«, sagte Lia – und schlang Valmariana ihre Efeuranke um die Taille.

Ludmilla, der sportliche Plantling, liebte es, Lasso zu spielen. Als Lia ihr die Gelegenheit bot, zog sie die Schlinge um Valmariana sofort zu.

Prompt wirkte Valmariana nicht mehr ganz so aufgeblasen. »He, was soll das? Dein Plantling soll mich sofort loslassen. Diese Ranke kann mit wem anders Lasso spielen.«

»Aber das gehört doch zu unserem tollen Rettungsplan, bei dem du unbedingt mitmachen wolltest«, flötete Lia, damit es auch alle hören konnten.

Dann stieg Lia mit Ludmilla in die Luft.

Mit ein paar Flügelschlägen war sie bei Dorient, der immer noch auf dem Plopp stand. Dorient begriff ihren Plan sofort und hielt sich an Ludmilla wie an einer Sicherungsleine fest. Valmariana, an der Ludmilla befestigt war, schrie auf, als die Efeuranke sich um ihre Taille zuzog. Doch Lia kümmerte sich nicht um die Luftelfe, sondern schwang sich auf die andere Seite des Plopps. Kaum war sie dort gelandet, rammte sie ihre Fersen fest in den Boden und stellte ihre Flügel auf Brems-Modus. Auf der gegenüberliegenden Seite stand eine verwirrt aussehende Valmariana und nestelte an Ludmillas Knoten.

»Keine Sorge, der Knoten sitzt bombenfest. Ludmilla hat fleißig geübt«, rief Lia ihr zu. »Sieh lieber zu, dass du deinen Stand festigst, denn jetzt sichern wir mit Ludmilla den Plopp.«

»Ich versteh kein Wort«, beschwerte sich Valmariana.

»Na, du wirst schon gleich herausfinden, was Lia plant«, sagte Dorient. Sorgfältig platzierte er oben auf dem Plopp die Ludmilla-Sicherungsleine. »Kannst jetzt anziehen, Lia!«

Lia checkte noch mal ihren Stand, dann zog sie Ludmilla straff, damit der Plopp endlich stillstand.

Den Tipp hätte auch Valmariana gebrauchen können. Als Lia das Efeulasso anzog, stolperte sie nämlich auf den Plopp zu.

»Uff.«

Valmariana wurde gegen die Hülle des Schutzballons gepresst, sodass Lia ihr plattgedrücktes Gesicht von der anderen Seite aus sehen konnte. Ehrlich, das war besser als jede Grimasse, die sie selbst je gegen das Duschglas bei sich zu Hause gemacht hatte. Auch die Zuschauer fanden Valmarianas Fischgesicht so gut, dass sie es mit einem Extrasummen belohnten. Valmariana klebte zur allgemeinen Belustigung noch eine Weile an der Blase. Dann setzte sie ebenfalls ihre Flügel ein, damit die Efeuleine ganz gespannt und der Plopp gesichert war, festgezurrt zwischen Lia und Valmariana.

»Na, was ist denn hier los?«, ertönte die stets gut gelaunte Stimme der Fluglehrerin Frau Flatterfein. »Da befürchte ich, lauter lange Gesichter anzutreffen, weil ich euch so lange habe warten lassen. Stattdessen amüsiert ihr euch bestens mit einer Zirkusnummer.«

Dorient, dessen Haare in alle Richtungen abstanden, räusperte sich. »Wenn ich als oberste Aufsichtselfe Bericht über dieses ungewöhnliche Ereignis erstatten dürfte?«

»Nur zu«, ermunterte ihn Frau Flatterfein. »Die Geschichten, mit denen du deine Tricksereien verschleierst, sind immer besonders fantasievoll ausgeschmückt, Dorient Fenris von Silberhaar.«

»Ganz ehrlich, das war keine Trickserei, sondern bloß eine ungewöhnliche Aneinanderreihung von noch ungewöhnlicheren Ereignissen«, beteuerte Dorient.

Nur leider sah Frau Flatterfein kein Stück überzeugt aus.

Das hatte Dorient von seinem Ruf als Meister der dummen Streiche: Er wurde selbst dann verdächtigt, wenn er überhaupt nichts gemacht hatte.

»Es war wirklich kein Streich«, beteuerte Lia. »Lofi wollte mir nur seinen Wasserschutz zeigen und hat dabei etwas falsch gemacht. Wir mussten den außer Kontrolle geratenen Plopp sichern, bevor Lofi die Erde küsste. Dank Valmarianas tatkräftiger Unterstützung und meinem gut trainierten Plantling ist uns das gelungen.«

»Und du bist tatsächlich freiwillig Teil dieses Teams, Valmariana?«, erkundigte sich Frau Flatterfein. Dass zwischen der Luftelfe mit den sonnenuntergangsfarbenen Haaren und Lia eine ausgemachte Anti-Freundschaft herrschte, war der Lehrerin nämlich nicht entgangen.

Der innere Kampf, der in Valmariana tobte, war ihr vom Gesicht abzulesen. Das war ihre Chance, Lia als Lügnerin dastehen zu lassen, die sie ganz hinterhältig in eine Falle gelockt und gegen ihren Willen mit dieser Efeuranke gefesselt hatte. Andererseits liebte Valmariana es auch, bejubelt und angehimmelt zu werden. Vermutlich würde Lia nur eine Strafpredigt von Frau Flatterfein bekommen, während sie als Spielverderberin dastehen würde. In Windeseile traf sie eine Entscheidung.

»Ehrlich gesagt war die Rettungsaktion meine Idee«, behauptete Valmariana rotzfrech. »Aufsichtself Dorient wusste sich nicht zu helfen und wäre fast selbst Opfer des Plopps geworden, während Prinzessin Lia bloß dumm rumstand. Ein Team ist eben nur so gut wie seine Anführerin. Nachdem ich den Job übernommen habe, lief es ja auch wie am Schnürchen.« Damit schmiss sie sich ihre Haarmähne über die Schulter und genoss das Summen ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler.

»So ist das also gewesen. Valmariana ist der führende Kopf dieser Sicherungsaktion, oder?«, sagte Frau Flatterfein mit hochgezogener Augenbraue.

Lia und Dorient wechselten einen Blick.

Wir lassen uns von dieser lauen Brise doch nicht in die Pfanne hauen, war in Dorients Augen zu lesen.

Doch Lia zuckte bloß die Schultern, sollte Valmariana doch ihren Applaus haben. Dann gab sie Ludmilla ein Zeichen, die Schlaufe um Valmariana aufzulösen und sich wieder einzurollen.

Ergeben half Dorient Frau Flatterfein, die nach einer Möglichkeit suchte, die Luft aus dem Sicherheitsballon abzulassen. Lofi war dabei keine große Hilfe, nach dem ganzen Rumgeeiere litt er nämlich unter akuter Seekrankheit.

Während Ludmilla sich an Lia hochschlängelte, wobei sie vor lauter Stolz mit den Blättern raschelte, kam Blo angeflogen. Die Blumenelfe hatte sich das Spektakel aus der Luft angesehen. Offenbar hatte es ihr gefallen, denn sie smilte immer noch von einem Ohr zum anderen.

»Herzlichen Glückwunsch zu deiner neuen Busenfreundin, ihr seid ein wahres Dream-Team«, stichelte Blo.

Lia grinste. »Freut mich, dass du deinen Spaß hattest. Aber egal, wie wichtig sich Valmariana macht, der Star der Rettungsaktion war und ist Ludmilla. Man muss weit gehen, um eine Efeuranke zu finden, die solche Hammertricks auf Lager hat. Dafür hat sie sich eine Extratube Blätterglanz verdient.«

Blo nickte anerkennend. »Ludmillas Lasso-Tricks werden immer beeindruckender. Wie gut, dass du sie ständig Düngekugeln naschen lässt, das macht einen kräftigen Stängel. Wie sieht es übrigens aus: Willst du dich immer noch absetzen, weil du Muffensausen wegen des kleinen Trips durchs Erdreich hast?«

Lia schaute zur Reiserakete hinüber, die in ihren Augen nach wie vor nicht sonderlich einladend aussah. Da gefiel ihr das Spektakel, das gerade vor dem messingfarbenen Vehikel stattfand, deutlich besser. Trotz vereinter Kräfte war es nämlich noch nicht gelungen, die Luft aus dem Plopp abzulassen. Dafür schauten Lofis Füße jetzt wenigstens unten raus, sodass er stehen und auch vorwärtstippeln konnte. Bei seinem Versuch, durch die Einstiegsluke der Reiserakete zu steigen, verkeilte sich der Plopp. Frau Flatterfein und Dorient schoben und drückten wie die Weltmeister, aber erst als der Kugelblitzelf Sumelum mit den Antriebsdüsen unter seinen Sohlen für die nötige Schubkraft sorgte, ploppte Lofi durch die Luke.

Frau Flatterfein wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Nachdem das erledigt wäre, könntet ihr anderen nun auch endlich einsteigen. Ein Elfling nach dem anderen, bitte. Flügel werden während der Reise geschlossen gehalten und sämtliche Antriebe und Schwebeaggregate bleiben abgeschaltet.«

Jetzt galt es, eine Entscheidung zu treffen.

Lia schob trotzig das Kinn vor, als Blo sie fragend anschaute. »Ich habe wirklich keine Lust aufs Erdreich und traue den Experimenten der Zwerge null über den Weg. Aber stimmt schon, Blo: In Andersreich geht letztendlich immer alles gut aus. Und das wird es bestimmt auch heute, obwohl ich Magengrimmen der Stufe ›Krasser geht es nicht‹ habe.«

»Dann kommt Eure Durchluftetheit also mit?«, versicherte sich Blo.

»Genau das«, sagte Lia. »Ich komme mit, allein deshalb, weil ich keinen Ausflug mit dir und dem Rest der verrückten Bande verpassen möchte. Das ist das bisschen Fracksausen absolut wert.«

Während Blo vor Begeisterung eine Luftschraube hinlegte, bekam Lias Lächeln etwas Trauriges. Es stimmte, was sie ihrer Freundin gesagt hatte. Aber es gab auch einen anderen Grund, weshalb sie sich auf die Reise einließ: Sie brauchte die Taukristalle, wenn sie jemals wieder das Menschenmädchen Lia Dornmeier in der Menschenwelt sein wollte. Das bedeutete aber, dass dieser Ausflug vielleicht auch das letzte typisch Elfenhafte war, das sie unternahm. Und wenn sie erst einmal wieder ihr altes Leben zurückhatte, dann würde sie bestimmt mit einem Schmunzeln an die Reiserakete denken. Dann, wenn Andersreich nur noch eine ferne Erinnerung sein würde.

2.Was im Nebel haust

Im Inneren der soeben gelandeten Reiserakete herrschte absolute Ruhe.

Bis ein Wimmern die Stille durchbrach.

Behutsam tätschelte Lia den Rücken ihres Elfenbruders. »Armer, armer Dorient. Geht es wieder?«

Dorient saß auf einem der roten Plüschsessel und hatte den Kopf zwischen den Knien vergraben. »Zurück nach Springwasser kehre ich mit meinem Reisekristall. Danach ist mir zwar auch schlecht, aber dann weiß ich wenigstens noch, wo oben und unten ist. Mal ganz ehrlich, seitdem die Rakete aus der Erde geschossen ist und die Rück-Entschrumpfung aktiviert wurde, fühlt es sich an, als wären meine Füße jetzt auf meinem Kopf.« Vorwurfsvoll sah er Lia an. »Darf ich mal erfahren, warum du auf der Fahrt mit diesem völlig irren Gefährt weder nach Leibeskräften geschrien hast, noch grün um die Nase geworden bist?«

Das war eine gute Frage, die sich Lia auch schon gestellt hatte. »Ich war wohl zu sehr damit beschäftigt, Blo festzuhalten. Der Anschnallgurt in ihrem Sitz war zu groß für unsere Blumenelfe. Und so wild, wie sich die Reiserakete um die eigene Achse gedreht und aus allen Rohren geknattert hat, wäre sie sonst irgendwo gegengeknallt.«

Dorient fühlte sich trotzdem in seiner Ehre gekränkt. »Pah, du bist nicht mehr meine Schwester.«

»Dann habe ich ja noch mal Glück, dass ich das in Wirklichkeit ohnehin nicht bin«, neckte Lia den großen Elfenjungen. Da sie unter sich waren, konnten sie ungestört reden. Die anderen Elflinge waren, direkt nachdem die Öffnungsluke aufgesprungen war, ins Freie gestürmt, um endlich die berühmten Zaarz-Wasserfälle in Augenschein zu nehmen.

Dorient rang sich ein Lächeln ab. »Ich finde trotzdem, dass du den Job als meine kleine Schwester sehr viel besser machst als die Prinzessin der Nervensägen Asalia. Meinetwegen sammeln wir nicht einen einzigen Taukristall, sondern machen uns einen schönen Tag und du bleibst einfach in Springwasser.«

»Ich würde ja auch gern länger bleiben«, gab Lia zu. »Am Anfang dachte ich, ich halte in der Elfenwelt keine Stunde durch, weil alles so ganz anders ist als in der Menschenwelt. Aber jetzt … Ich stehe total auf den Unterricht, sogar die Flugstunden laufen gut, wenn ich nicht an meine Höhenangst denke. Und hier wird man ja ständig von irgendeinem Elfenschabernack abgelenkt. Solang ich in Springwasser bin, kann ich mich um Ludmilla kümmern, mit meinen Freundinnen aus der Wabe abhängen und … Na ja, und einen großen Bruder hab ich auch.«

»Hör auf, so nett zu sein, sonst verfärbt sich mein Gesicht von Grün zu Rot. Ich bin doch kein Chamäleon.« Auch wenn Dorient einen auf cool machte, war klar, dass er sich über Lias Geständnis freute. Jetzt lehnte er sich in seinem Plüschsessel zurück und machte eine gewichtige Miene. »Andererseits bin ich bekanntermaßen supernett. Deshalb betreue ich euch Schnullerelflinge aus der Bernstein-Liga auch freiwillig. Selbst wenn böse Stimmen behaupten, dass ich den Job nur wegen meiner Fluglizenz angenommen habe. Irgendwer muss dir ja schließlich mit den Taukristallen helfen. Nicht, dass sie dir zu guter Letzt wieder mal geklaut werden.«

»Nun komm mir doch nicht mit diesen alten Kamellen«, winkte Lia ab.

Tatsächlich waren die Kristalle, die sich für den Rückzauber in Lias Reisetruhe befunden hatten, gleich an ihrem ersten Tag in Springwasser stibitzt worden – allerdings für einen guten Zweck, wie sich später herausgestellt hatte. Ansonsten hätte sie sich so schnell wie möglich wieder in die Menschenwelt abgesetzt. So gesehen war der Diebstahl Glück im Unglück gewesen.

Dorient kratzte sich an der Stirn, als kitzele ihn ein Gedanke. »Wenn ich so darüber nachdenke, sollte ich eigentlich verhindern, dass du die Kristalle holst. Wenn du abreist, habe ich ja Asalia samt ihrem nervigen Mega-Ego am Hals, worauf ich lieber verzichten würde. Da muss ich noch mal drüber nachdenken …«

»Taukristalle hin oder her«, lenkte Lia den Luftelfen ab, bevor er noch auf dumme Ideen kam. »Es ist höchste Zeit, dass ich in der Menschenwelt nach dem Rechten schaue. Und zwar in meinem eigenen Körper. Falls der überhaupt noch funktioniert, so viel Unsinn, wie Asalia mit ihm anstellt. Wer Kleber nascht, Erdbeerpizza bäckt und Zimtkaugummis futtert wie andere Leute Popcorn, dem ist alles zuzutrauen.«

»Es ist egal, in was für einem Körper Asalia steckt, sie richtet aus Prinzip Chaos an«, verkündete Dorient düster. »Als kleines Mädchen hat sie im Glaspalast einmal darauf bestanden, in einer Sternschnuppennacht auf dem höchstgelegensten Balkon zu stehen. Niemand konnte es ihr ausreden. Wochenlang war sie danach voller klebrigem Sternenstaub, nieste, was das Zeug hielt, und schmierte alles voll. Aber sie fand es megaschick, weil glitzern in der Menschenwelt der letzte Schrei sei. Es war auch echt zum Schreien.« Allein bei der Erinnerung schüttelte er sich.

Leider bestätigte das nur Lias Befürchtungen. Aber noch etwas anderes beschäftigte sie. »Das letzte Mal, als ich Asalia über das Fendrill angerufen habe, hat sie mich angeranzt, ich solle sie nicht im Fünfminutentakt von enorm wichtigen Menschendingen abhalten. Mir ist schon klar, dass in der Menschenwelt nur ein paar Stunden verstreichen, während hier in Andersreich gleichzeitig Tage ins Land gehen. Wenn ich denke, ich muss dringend mal hören, was Asalia unter meinem Namen wieder Verrücktes anstellt, dann haben wir aus ihrer Sicht gerade erst miteinander gesprochen. Trotzdem finde ich es verdächtig, dass sie mich abgewimmelt hat. Bei unserem letzten richtigen Gespräch ist es nämlich andersherum gewesen. Da hatte sie mir unbedingt etwas ganz Wichtiges erzählen wollen und ich hatte keine Zeit. Und jetzt ist sie ständig zu beschäftigt, um mir auch nur Hallo zu sagen. Findest du das normal?«

»Bei Asalia schon, weil ich bei ihr immer mit dem Schlimmsten rechne.« Noch ein wenig unsicher auf den Beinen stand Dorient auf. »Aber jetzt sollten wir rausgehen, nicht, dass die anderen noch ohne uns abschwirren.« Er reichte Lia die Hand und zog sie aus dem Sessel.

Durch die Luke der Reiserakete flutete Sonnenlicht und als sie hinaustraten, wartete auf sie ein Anblick, der sie für die abenteuerliche Anreise belohnte. Vor ihnen breitete sich ein wunderschönes Tal zu Fuße eines Berges aus, von dem sich mehrere Wasserfälle funkelnd in einen See ergossen. Alles leuchtete in den schönsten Blau- und Grüntönen, die Sonne funkelte auf dem Wasser und auf dem Sprühregen rund um das brausende Wasser zeichneten sich Regenbögen ab.

Lia atmete tief ein. Sogar die Luft schmeckte nach Leben, Action und guter Laune. Und ein klitzekleines bisschen nach Taukristallen.

 

»Bitte stellt euch mit einem Elfling eurer Wahl in einer Reihe auf«, rief Frau Flatterfein. »Wie ihr wisst, hat es im Frühjahr einige Lawinen im Zaarz-Tal gegeben. Die Berghänge, von denen sich die Wasserfälle ins Tal ergießen, sind seitdem nicht ganz trittfest. Falls der Fels unter euch ins Rutschen kommt, geht ihr direkt in den Steigflug über. So, wie wir es geübt haben. Und falls jemand mit dem Fuß in einer Felsspalte hängen bleiben sollte, informiert sein Co-Elfling umgehend mich oder unser tapferes Aufsichtspersonal.«

Frau Flatterfein deutete auf Dorient und Lofi, die sich beide unter Gesumme verbeugten. Das heißt, Lofi versuchte es, aber der immer noch viel zu pralle Plopp ließ nur ein Nicken zu.

»Hier noch mal die Regeln«, fuhr Frau Flatterfein fort. »Die Regenbogen-Wasserfälle an den Seiten des Tals könnt ihr unbekümmert als Wasserrutschen benutzen, unter ihnen hinwegtauchen und die Grotten, die hinter ihnen verborgen liegen, erkunden. Natürlich lädt der See auch zum Baden ein, aber gebt acht auf die hier lebenden Nymphen. Sie sind nicht die hellsten Sterne am Himmel und immer auf der Suche nach jemandem zum Rumalbern. Wir haben früher mal versucht, sie als Bademeister einzusetzen, das ging jedoch voll nach hinten los. Die Nymphen sind absolut hilfsbereit, aber sie haben ein Gedächtnis mit Löchern wie ein Fischernetz. Sie brauchen nur einmal blinzeln, dann haben sie bereits vergessen, was sie gerade noch tun wollten und tauchen einem Schimmerflossen-Barsch nach. Heute werden wir deshalb Lofi in seinem wasserdichten Plopp als Wasserwacht einteilen.«

Lofi platzte fast vor Stolz. »Ein Feuerelf als Fachmann fürs nasse Element. Wenn das mal nicht gewisse Undinen beeindruckt, dann weiß ich auch nicht.«

»Wer den See lieber ohne nass zu werden erkunden will, kann sich ein Kanu nehmen.« Frau Flatterfein deutete auf eine Anlegestelle, an der es nur so wimmelte von Wasserfahrzeugen. »Es gibt auch Luftmatratzen für diejenigen, die lieber faulenzen wollen.«

»Davon träume ich schon seit meiner ersten Flugstunde: auf dem See treiben und ganz gechillt Löcher in die Luft starren«, gestand Lia einem zartgliedrigen Libellenflügelelf, der bereits seinen Badeanzug trug und eifrig nickte.

Währenddessen hatte Frau Flatterfein einige Mühe, die aufgekratzten Elflinge zusammenzuhalten. Alle wollten, dass es endlich losging mit dem Wasserspaß.