Silvercliff Hall – Vom Zauber geküsst - Aniela Ley - E-Book

Silvercliff Hall – Vom Zauber geküsst E-Book

Aniela Ley

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Beschreibung

Für alle Romantasy-Leserinnen und solche, die es noch werden Eigentlich wollte Nathan nur in die Bibliothek – doch dann rennt die hübsche, aber auch exzentrische Emilia in ihn rein. Alles an Emilia ist aus der Zeit gefallen: ihre Garderobe, ihre Ausdrucksweise, ihre Ansichten. Nichts möchte Nathan daher lieber, als dieses Mädchen schnell wieder zu vergessen. Doch bei ihrem ersten Aufeinandertreffen ist zwischen ihnen eine magische Verbindung entstanden und Nathan ist nun wohl oder übel an Emilia gebunden. An ein Mädchen, das nicht nur genauso nervtötend wie niedlich ist, sondern auch aus einer ihm unbekannten magischen Welt stammt, die im 19. Jahrhundert stecken geblieben ist. Gemeinsam müssen sie nun die magische Akademie Silvercliff Hall retten, während zwischen ihnen die Fetzen und die Funken fliegen.

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Seitenzahl: 413

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Über das Buch

Wer glaubt schon an Liebe auf den ersten Blick?

 

Eigentlich wollte Nathan nur kurz in die Bibliothek von Oxford – doch dann stößt er mit der ungewöhnlichen Emilia zusammen. Alles an diesem Mädchen ist aus der Zeit gefallen, von ihrem Kleid bis hin zu ihrer vornehmen Art. Nichts möchte Nathan lieber, als Emilia möglichst schnell zu vergessen. Doch nach ihrem Zusammenstoß sind die beiden auf eine magische Weise miteinander verbunden. Denn Emilia ist eine Magierin und stammt aus einer Welt, die im 19. Jahrhundert steckengeblieben ist. Gemeinsam müssen sie nun die zauberhafte Akademie Silvercliff Hall retten, während zwischen ihnen die Fetzen – und die Funken fliegen.

 

Gegenwart und Vergangenheit. Wissenschaft und Magie. Nathan und Emilia. Gegensätze ziehen sich nicht nur an – sie gehören zusammen.

 

 

Von Aniela Ley ist bei dtv außerdem lieferbar:

Lia Sturmgold – Die Macht der Kristalle (Band 1)

Lia Sturmgold – Das Geheimnis der Meereselfe (Band 2)

Lia Sturmgold – Unsichtbarer Elfenzauber (Band 3)

Lia Sturmgold – Die verzauberte Mitternacht (Band 4)

Lia Sturmgold – Im Reich der Schnee-Elfen (EBook)

Lia Sturmgold und die Zwillingsinsel – Ein Sommerabenteuer (EBook)

#London Whisper – Als Zofe ist man selten online (Band 1)

#London Whisper – Als Zofe tanzt man selten (aus der Reihe) (Band 2)

#London Whisper – Als Zofe küsst man selten den Traumprinz (oder doch?) (Band 3)

Aniela Ley

Silvercliff Hall

Vom Zauber geküsst

Band 1

Roman

Prolog

Es ist wie in einem Traum, völlig surreal.

Genauer gesagt ist es ein Albtraum. Und ich erlebe ihn mit offenen Augen, jetzt, da die Katastrophe eingetreten ist, vor der ich mich schon so lange gefürchtet habe.

Nun bleibt mir als Spross dieser geschichtsträchtigen und überaus wichtigen Familie nichts anderes übrig, als meine Pflicht zu tun. Denn so, wie die Dinge stehen, bin ich die Einzige, die sich einer solchen Herausforderung stellen kann. Alle anderen sind … sagen wir mal »indisponiert«. Das gilt besonders für meinen Herrn Papa, das Oberhaupt von uns Vandercoulds. Aber das ist eine andere Geschichte und muss warten, bis ich nach Blissful Highbury zurückkehre. Denn schlussendlich riskiere ich alles nur für ihn, auch wenn er dafür bloß ein »Braves Mädchen« übrig haben wird.

Bevor es losgeht, streife ich mir meine Spitzenhandschuhe über und überprüfe noch rasch im Spiegel, ob meine Haube richtig sitzt. Ein Blick auf mein Gesicht verrät meine Angst, aber auch meine Entschlossenheit. Und das ist es, worauf es ankommt.

Ich bin so weit.

Eine Hand legt sich auf meine Schulter. »Mylady, bitte geht nicht, es ist viel zu gefährlich. Außerdem könnt Ihr uns in dieser verfahrenen Situation doch nicht allein zurücklassen … Wir brauchen Euch.«

Ich hatte fast vergessen, dass ich eben noch eine erregte Diskussion mit meiner Zofe Missy geführt habe. Offenbar hat sie die Hoffnung, mich zum Bleiben überreden zu können, noch nicht aufgegeben. Manchmal ist es halt ein Kreuz, die beste aller Zofen zu haben.

Doch ich kann Missy, meiner einzigen Vertrauten in diesem Chaos, nicht in die Augen sehen. Zu groß ist das Risiko, dass ich mich dann doch noch umentscheide. Denn auch wenn ich es mir nicht eingestehen mag, möchte ich mich trotz meines Pflichtbewusstseins am liebsten zu einem kleinen Ball zusammenrollen und tot stellen.

Aber das werde ich nicht tun. Ich werde die Ehre meiner Familie verteidigen. Oder zumindest das, was davon noch übrig ist.

Und, das schwöre ich, dafür werde ich alles geben.

Alles.

Dame mit Locken — komplett im Weg

Nathan

Eigentlich hätte das mit Oxford und mir eine Liebesgeschichte sein müssen. Aber auch nach ein paar Wochen in der berühmten Universitätsstadt war ich immer noch kein Fan. Oxford schmeckte im Sommer nicht nur nach abgestandener Luft, sondern stand für alles, was mich als Siebzehnjährigen nur mäßig interessierte: Es war steinalt, stolz auf seine traditionsreiche Geschichte und protzte mit seinem Image als Bildungsolymp. Passend dazu waren die Studierenden lauter intellektuelle Heißbrenner, aufleuchtende Sterne am Firmament der Wissenschaft. Sehr beeindruckend. Es sei denn, man hat wegen eines Stipendiums schon sehr viel Zeit mit dem Geistesadel verbringen dürfen und ist daher eher abgetörnt, wenn jemand sein Superleistungshirn für das Geschenk an die Menschheit hält.

Ich durfte das sagen, weil … tja, weil ich die Summer School für chronische Besserwisser besuchte, Schwerpunkt Astrophysik. Theoretische Astrophysik, was ich meist nur nuschelnd zugab, um gewisse Vorurteile über Menschen mit Spezialinteressen zu vermeiden. Stephen Hawking war zwar mein Held, aber ich vergaß vor lauter Begeisterung für das Konzept der Hawking-Strahlung nicht, morgens meine Hosen anzuziehen. Und bislang weigerte ich mich auch erfolgreich, als wandelndes Klischee von einem Nerd mit offenem Mund durch die berühmte »Stadt der träumenden Türme« zu laufen. Hier gab es schon genug Leute, die es kaum fassen konnten, ganz real an diesem angeblich magischen Ort zu sein.

Gut, völlig kalt ließ Oxford mich dann auch wieder nicht. Gelegentlich erwischte ich mich dabei, wie ich mir die Augen rieb, weil es an jeder Ecke so wahnsinnig historisch aussah.

So erging es mir auch an jenem Samstagnachmittag, als ich auf die Radcliffe Camera, den Lesesaal der Bodleian Library, zusteuerte. Das Gebäude war ein überdimensionaler Turm im Ringellook mit einem Kuppeldach wie aus dem Bilderbuch. Eingebettet zwischen lauter anderen Baukunstwerken der Bibliothek, bei denen man sich automatisch fragte: Gingen noch mehr Säulen, Torbögen und Prunk? In dieser Stadt nahm man Bücher wirklich ernst.

Was mich jedoch noch viel mehr beschäftigte, war die Frage, was zur Hölle ausgerechnet ich hier machte. Ich, Nathan Hamsworth, der im achten Stock eines Wohnhauses mit Aussicht auf jede Menge ähnlicher Wohnhäuser aufgewachsen war. In meinem T-Shirt, das schon ein paar Waschmaschinengänge zu viel mitgemacht hatte, in Cargoshorts und Sneakers, die ich am liebsten ausgezogen hätte, weil es an diesem Julitag höllisch warm war. Ich fühlte mich wie ein Fremdkörper zwischen den imposanten Bauwerken mit ihren unzähligen Türmchen und Zierornamenten, wo man unwillkürlich jeden Augenblick damit rechnete, dass einen gleich ein Zauberschüler in wehendem Mantel überholte. Oder sich wenigstens ein Drache auf dem Kuppeldach des Lesesaals rekelte. Das Kopfkino lief ganz automatisch ab.

Ich passte einfach nicht ins Bild. Nicht nur, weil ich für so etwas völlig unpassend gekleidet war, sondern auch, weil ich ausgesprochen gern in der Gegenwart lebte. Ich brauchte keine Magie, um die Welt aufregend zu finden. Sie war auch so abgefahren genug, jedenfalls wenn man sich mit Physik befasste.

Leider sahen das in dieser Stadt viele anders, es wimmelte nur so von Besuchern, die ihr Fantum feierten. Stichwort Cosplay. Nicht genug damit, dass Oxford wirkte, als habe es sich für eine Teestunde im 19. Jahrhundert hübsch gemacht, traf man auch noch ständig auf Möchtegern-Lords mit Zylindern auf dem Kopf, die einen mit »Fürwahr, mein Bester« anquatschten. Oder Mädchencliquen in altmodischen Kleidern, die am Bootssteg saßen und sich gegenseitig ihre Lieblingsstellen aus »Sturmhöhe« vorlasen.

Oxford steckte halt voller Überraschungen.

Das durfte ich persönlich erfahren, als ich gerade die Treppen zum Eingang des Lesesaals hochsteigen wollte. Ein feines, sehr hohes Geräusch wie von springendem Glas ließ mich innehalten.

Irritiert drehte ich mich um, aber auf dem Vorhof war niemand außer mir.

Kein Wunder bei der Hitze. Alle anderen waren schlau genug und hatten bereits einen kühlen Unterschlupf aufgesucht.

Genau aus dem Grund war auch ich hergekommen. Die Kammer, die man mir im Magdalen College für die Zeit meines Besuchs der Summer School zur Verfügung stellte, hatte sich nämlich in eine Sauna verwandelt. Unmöglich, dort einen klaren Gedanken zu fassen. Allerdings sah es sehr danach aus, dass sich mein Gehirn jetzt schon wegen Überhitzung verabschiedete.

Denn wo eben noch der leere Hof gewesen war, zeichnete sich plötzlich ein bläulich leuchtender Längsriss mitten in der Luft ab.

Definitiv eine optische Täuschung, das Licht spielt dir einen Streich, versicherte ich mir. Es gibt keine gezackten Zwei-Meter-Risse, die einfach so vor einem rumschweben. Zumindest nicht in unserer Dimension.

Ich kniff für einen Moment die Augen zu und hoffte, auf diese Weise das seltsame Bild loszuwerden.

Doch statt sich wie eine Halluzination aufzulösen, öffnete sich der Spalt und ein besonders schwerer Fall von Cosplay-Manie trat hindurch und stürmte auf den Hof. Es war ein vielleicht sechzehn Jahre altes Mädchen. Ihr Look war original 19. Jahrhundert, als wäre die Lady durch ein Zeitentor geschlüpft, um der Bibliothek einen Besuch abzustatten.

Klingt schräg? War es auch. Und zwar in so mancher Hinsicht.

Denn trotz der Sommerhitze trug das Mädchen ein bodenlanges Kleid, dessen Saum sich unter ihrem Samtmantel im Empire-Look mit komplizierten Raffungen an Schultern und Ärmeln kräuselte. Lady Cosplay musste ihre Röcke heben, weil sie es so eilig hatte. Dabei zeigte sie ein Paar Schnürstiefeletten, wie man sie sonst nur bei Verfilmungen von »Stolz und Vorurteil« zu sehen bekommt. Doch damit nicht genug, saß auf ihrem Kopf eine seltsame Haube, unter der honigblonde Korkenzieherlocken hervorschauten. Das Beste war jedoch ihr zu allem entschlossener Gesichtsausdruck, während sie so zielgerichtet auf mich zuhielt, als würde ich mich schon rechtzeitig in Luft auflösen. Ein eins neunzig großer Typ, der Wettkampfschwimmen als Ausgleich für zu viel Nerdkram machte.

»Sorry, aber du bist hier verkehrt«, rief ich, bevor sie mich noch über den Haufen rannte. »Der Rest der Jane-Austen-Fan-Girls trifft sich heute im Botanischen Garten zum High Tea.«

Lady Cosplay verengte ihre auffallend blauen Augen zu Schlitzen. In ihrem Universum existierte ich offensichtlich höchstens als Trugbild. Dann hob sie ihre in weiße Spitze gehüllte Hand (ungelogen! Im Juli!) und fuchtelte damit in der Luft herum, während sie noch einen Zahn zulegte.

Gleich würde sie – bäm! – mit mir zusammenstoßen.

Nein, dachte ich, so verrückt ist sie nicht. Die verarscht dich, Nathan. Die tut nur so, als ob, und wenn du vor Schreck wegspringst, lacht sie dich aus. Ihre Rache dafür, dass du sie behandelt hast, als hätte sie nicht alle Tassen im Schrank.

Also blieb ich einfach stehen. Ganz lässig und ohne den geringsten Ansatz einer Abwehrhaltung.

Und Lady Cosplay?

Lief ungebremst in mich rein.

Für den Bruchteil einer Sekunde konnte ich die Überraschung in ihren Augen aufblitzen sehen. Als wäre es gegen jedes Naturgesetz, dass ich ihr im Weg stand. Ein Mensch aus Fleisch und Blut, gut durchtrainiert und locker einen Kopf größer.

Dann prallten wir so heftig zusammen, dass wir im Duett nach Luft schnappten.

Meine Sonnenbrille, die ich mir ins Haar geschoben hatte, machte einen Abgang, und ich gönnte mir ein Stoßgebet, dass sie nicht zu Bruch ging. Sonst würde ich mich durch den Rest des Sommers blinzeln müssen.

So wie schon im nächsten Moment, in dem zwischen mir und Lady Cosplay etwas derart hell gleißte, dass ich kurzzeitig blind war. Als hätte Lady Cosplay eine Leuchtrakete unter ihrem Mantel gezündet. Ich taumelte nach hinten und griff gerade noch nach ihrer Schulter.

»Was erlauben Sie sich? Nehmen Sie gefälligst Ihre Finger weg«, fauchte die Lady mich an. Warum auch nicht? Schließlich besaß ich die Frechheit, sie ungefragt in ein kleines Techtelmechtel zu verwickeln. War ja auch dreist von mir, mich nicht rechtzeitig in Luft aufgelöst zu haben.

Doch ich hatte gerade andere Sorgen.

Ich sah immer noch Sterne von der unerklärlichen Lichtexplosion und versuchte verzweifelt, mein Gleichgewicht wiederzufinden. Das Letzte, das ich wollte, war, meinen Oxford-Aufenthalt mit gebrochenen Rippen zu verbringen.

Irgendwie gelang mir ein rettender Sprung auf die erste Treppenstufe. Dummerweise hielt ich mich aber immer noch an Lady Cosplay fest, sodass sie zu kippen drohte. Als ich meinen Fehler erkannte, ließ ich ihre Schulter los. Und ganz der feine Kerl, der ich bin, verpasste ich ihr zusätzlich noch einen kleinen Schubs, damit sie wieder in die Aufrechte fand.

Was sich als weiterer Fehler herausstellte.

Lady Cosplay stieß einen Schreckensschrei aus und krallte ihre Finger in mein T-Shirt. Bevor der fadenscheinige Stoff nachgab und sie sich nach hinten verabschiedete, beugte ich mich vor und schlang einen Arm um ihre Taille. Dabei achtete ich auf einen gewissen Sicherheitsabstand zwischen uns. Etwas an ihrer Attitüde verriet mir, dass sie noch mehr Nähe ohne Verlobungsring nicht dulden würde.

Um den Schwung auszugleichen, zog ich sie zu mir auf die erste Stufe. Dabei rutschte ihr die seltsame Haube vom Kopf, wofür ich durchaus dankbar war. Wir sahen bestimmt auch so schon peinlich genug aus mit unserer Slapsticknummer. Wie um noch einen draufzusetzen, rutschte sie von der Treppenkante. Notgedrungen schlang ich meinen zweiten Arm um sie und zog sie ohne Rücksicht auf ihre persönliche Komfortzone an mich. So nah, dass ich die Sommersprossen auf ihrer Stupsnase zählen konnte. Sieben Stück, um genau zu sein.

Dieses Mal flammte bei unserem Zusammenstoß kein Lichtblitz auf.

Dafür ertönte ein mächtiger Gongschlag.

Wobei ich ihn weniger hörte, als dass ich ihn spürte. Eine Schallwelle durchfuhr meinen Körper. Und als würde sich eine Tür in mir öffnen, strömte etwas, das bislang tief in meinem Inneren verborgen gewesen war, dem Mädchen in meinen Armen entgegen. Eine Verbindung, zart – und doch, als würden wir miteinander verschmelzen. Ein Kribbeln fuhr über meine Haut. Passierte das wirklich? Alles lief in einem solchen Wahnsinnstempo ab, dass ich es mir vielleicht auch bloß einbildete. Und doch fühlte sich plötzlich alles so vertraut an. Als wären wir keine Fremden, die gegen ihren Willen gerade erschreckend viele Details übereinander herausfanden, Details, die sonst unter der Kleidung verborgen blieben. Eigentlich sollte ich nur wegwollen … aber dafür fühlte es sich zu gut an.

Auch Lady Cosplays Augen funkelten und und es schien fast, als hätte keiner von uns beiden etwas gegen diese Überdosis Körperkontakt. Ganz im Gegenteil, sie schmiegte sich sogar an meine Brust. Allerdings nur kurz, dann wurde der träumerische Ausdruck abgelöst von einem »Himmel, gehe ich gerade wirklich mit einem wildfremden Kerl auf Tuchfühlung?«.

Es war ja auch seltsam, doch das änderte nichts daran, dass es sich richtig anfühlte.

Lady Cosplay schätzte das anders ein. »Magischer Moment hin oder her, jetzt reicht es«, murmelte sie. Dann presste sie ihre Hände gegen meine Schultern, um mich auf Abstand zu bringen.

»Schon gut, alles halb so wild«, beruhigte ich sie. »Ich habe dich nur in die Arme geschlossen, damit du nicht fällst.«

Zum Beweis gab ich meine Umarmung auf.

Das hätte das Ende unseres kurzen, aber verblüffend innigen Zusammenstoßes sein müssen. Doch egal wie sehr Lady Cosplay gegen meine Schultern drückte, es brachte nichts. Als steckten zwei Magneten in unserer Brust, deren Anziehungskraft nicht zu brechen war.

Ich unterdrückte ein verzweifeltes Lachen. »Wir kommen nicht voneinander los – und das meine ich nicht im übertragenen Sinn. Irgendwie muss sich unsere Kleidung verhakt haben.«

»Wenn es doch nur das wäre«, seufzte Lady Cosplay. »Wie auch immer, dafür habe ich jetzt wirklich keine Zeit! Ich muss mich um eine dringende Familienangelegenheit kümmern. Ein Extraktions-Impuls wird es schon richten. Bitte kurz mal die Zähne zusammenbeißen, gleich ist es vorbei.«

Bevor ich nachhaken konnte, streckte sie eine Hand aus und bewegte kunstvoll ihre Finger. Ich glaubte sogar, ein Glitzern zu sehen, das mich von meinem Protest ablenkte. Dann fuhr auch schon ein Windstoß zwischen uns.

»Na bitte.« Zufrieden grinste Lady Cosplay mich an.

Offenbar glaubte sie, der Wind habe die Verbindung zwischen uns aufgelöst, denn sie setzte einen Schritt zurück.

»Nicht!«, rief ich, aber da war es schon zu spät.

Sie trat ins Leere.

Um es kurz zu machen: Im Kampf gegen die Schwerkraft zog Lady Cosplay den Kürzeren, kippte nach hinten und riss mich mit. So legten wir zu guter Letzt doch noch einen Sturz im Doppelpack hin. Wobei wir zum Glück auf den Steinplatten vor den Treppen landeten, sodass wir uns nicht alle Knochen brachen. Nur meine Umhängetasche, in der mein Smartphone steckte, schlug mit einem verdächtigen Knack auf.

Das nahm ich jedoch nur am Rande wahr, ich war viel zu sehr damit beschäftigt, Lady Cosplay nicht plattzumachen. Ich fiel nämlich der Länge nach auf sie. Dabei versuchte ich, so gut es ging, mein Gewicht mit den Unterarmen abzufangen. So zauberhaft das zwischen uns eben auch gewesen war, bestimmt hatte sie kein Interesse daran, herauszufinden, wie es sich anfühlte, unter mir zu liegen. Das war dann doch zu viel des Guten. Nicht dass mir mein gentlemanlikes Benehmen Pluspunkte einbrachte. Ganz im Gegenteil. Während ich einen Schmerzensschrei unterdrückte, zerbrach sich Lady Cosplay den Kopf darüber, warum nichts nach ihren Vorstellungen lief.

»Theoretisch hätte es mit dem Extraktions-Impuls funktionieren müssen«, grübelte sie. »Es sei denn, das Schwingungsfeld eines Ordinarys ist zu träge und er ist deshalb abgeprallt.«

»Moment mal«, fuhr ich dazwischen, den Schmerz in meinen Knochen vergessend. »Wie hast du mich eben genannt?«

Lady Cosplay blinzelte mich erschrocken an, beinahe so, als würde sie mich zum ersten Mal richtig wahrnehmen. Ja, verdammt, ich war echt und kein Trugbild! Das bewies doch allein schon ihr Hüftknochen, der mit meinem kollidierte, sobald sie sich auch nur ein kleines bisschen bewegte.

Verwirrt blinzelte ich ihn an. »Wie bitte?«

»Ich habe gefragt, ob du mich eben wirklich einen Ordinary, also einen Gewöhnlichen, genannt hast.«

»Nun ja.« Lady Cosplay zuckte mit den Schultern, was kitzelte. »Sie sind nun mal ein Ordinary, nicht wahr?«

Ungläubig richtete ich mich über ihr auf.

Das heißt, ich versuchte es, kam aber nicht weit. Wenn ich mich hochstemmte, zog ich sie automatisch mit – und das, obwohl ich nach dieser schrägen Ansage eben gern ein bisschen mehr Luft zwischen uns gebracht hätte. Unsere beiden Oberkörper drängten sich nämlich dichter aneinander als bei der leidenschaftlichsten Umarmung. Ganz ehrlich, bei unserem Tanz auf den Treppen musste sie heimlich eine Tube Sekundenkleber zwischen uns verteilt haben. Ich spürte ihren schnell gehenden Herzschlag so krass, dass es sich kaum ausblenden ließ. Außerdem konnte ich unmöglich ihren anziehenden Duft ignorieren. Rosen, wenn ich mich nicht irrte. Es war ein ganz schwacher Duft, den man nur aus nächster Nähe mitbekam – und somit nichts, was mich etwas anging.

Es gab wohl kaum eine unpassendere Situation als diese, um romantische Gefühle aufkommen zu lassen. Zumal sie mich für einen Schwachkopf hielt, einen Ordinary, wie sie es nannte.

Ich riss mich zusammen. »Warum beschimpfen wir uns nicht in aller Ruhe, nachdem wir rausgefunden haben, warum wir uns so heillos ineinander verheddert haben. Einverstanden?«

»Als ob das so einfach wäre. Das Problem ist doch nicht unsere Garderobe.« Lady Cosplay seufzte. »Vermutlich ging es damit los, dass der Vandercould-Ruf das Feld verzerrt hat. Eigentlich hätte ich damit rechnen müssen, dass es nach der Materialisierung zu Folgewirkungen kommen könnte. Aber ich war mit meinen Gedanken schon in der Academy und bin davon ausgegangen, dass ein im Weg stehender Ordinary kein Thema sein dürfte. Womit ich leider falschlag.«

Da war es wieder, dieses ziemlich herablassend klingende Wort. Und nicht nur das. »Du weißt schon, dass du einen Haufen wirres Zeug redest? Hast du dir vielleicht beim Sturz den Kopf angeschlagen?«

»Mit meinem Kopf ist alles bestens, danke der Nachfrage. Aber falls es Sie interessiert, da ist eine recht unangenehme Sache …« Lady Cosplay wand sich hin und her, was dazu führte, dass ich mich unfreiwillig mitbewegte. Echt, dabei nichts zu empfinden, war eine geradezu unlösbare Herausforderung. Zumal ich keine Chance hatte, mich ihr zu entziehen.

»Könntest du bitte damit aufhören?«, fragte ich. »Das fühlt sich nämlich ziemlich seltsam an, was du da unter mir veranstaltest.«

»Tut mir leid, aber ich kann nicht still liegen. Mich zwickt etwas.« Wie zum Beweis kniff Lady Cosplay ihre Augen zusammen. Vermutlich wünschte sie sich an einen anderen Ort, vorzugweise an einen, an dem sie nicht unter einem Haufen Nathan-Lebendgewicht begraben war. »Es pikst ganz unangenehm in eine private Stelle, über die ich nicht reden möchte.«

Ich erstarrte. »Etwas … von mir?«

»Nein, etwas, auf das ich gefallen bin. Mit Ihrer Erlaubnis würde ich mich gerne des Problems entledigen. Ich bitte schon mal um Entschuldigung für die Umstände. Tun Sie einfach so, als würden Sie vom Hals abwärts nichts spüren.«

Als ob das möglich wäre!Doch Lady Cosplay drückte bereits ihren Rücken durch, winkelte eins ihrer Beine an und hob ihre Hüfte. Meine Aufmerksamkeit war blitzschnell woanders, das war selbst für meinen Geschmack eindeutig zu viel Körperkontakt. Doch nicht einmal das bekam sie mit. Dafür war sie zu sehr damit beschäftigt, etwas unter sich hervorzuziehen, das sie offenbar in ihren Po stach. Oder die »private Stelle«, wie sie es so nett umschrieben hatte.

Kurz bevor ich Probleme mit eigenen privaten Stellen bekam, entspannten sich ihre Gesichtszüge und sie glitt sichtlich erleichtert zurück aufs Pflaster – und ich mit ihr.

Zufrieden hielt Lady Cosplay ein schwarzes Dingsda hoch. »Da haben wir ja den Übeltäter. Himmel, was für eine Erleichterung.«

Ich war weniger begeistert. »Das war meine Sonnenbrille. Betonung auf war.« Jetzt ging meine Flohmarkt-Ray-Ban nur noch als Plastikmüll durch.

Mir blieb jedoch keine Zeit für Wehklagen. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich nämlich einen Schatten.

Es war mein Kumpel Ben, mit dem ich zum Abhängen im kühlen Lesesaal verabredet war. Und für den die schräge Situation, in der ich steckte, definitiv ein Fest sein würde.

Doch anstatt dass Ben sich grinsend zu mir runterbeugte und fragte, ob ich vielleicht Unterstützung in dieser delikaten Stellung bräuchte, ging der Kerl an uns vorbei, ohne uns eines Blickes zu würdigen. Die Spitze seiner Chucks stieß sogar gegen meine Tasche, in der die Bruchstücke meines Smartphones klapperten. Aber auch das löste bei ihm keine Reaktion aus.

Ben hatte mich und Miss 19. Jahrhundert in einer eindeutig heiklen Lage übersehen.

Einfach so.

Das war … unmöglich!

»Ben, komm sofort wieder zurück! Ich brauche deine Hilfe, Mann!«

Ich rief das nicht nur laut, ich brüllte es. Und wenn ich eins nicht habe, dann ist das ein zartes Stimmchen.

Doch Ben schlenderte unbeirrt die Treppe hinauf und wischte dabei auf seinem Smartphone herum.

»Ihr Freund hat Sie nicht bemerkt«, bestätigte Lady Cosplay das Offensichtliche, mir jedoch völlig Schleierhafte.

»Aber warum nicht? Wir liegen hier doch wie auf dem Präsentierteller.«

Das sah offenbar auch ein altertümlich gekleideter Gentleman mit Zylinder so, der kopfschüttelnd an uns vorbeieilte.

»Ah, Sir Curtisfield, wenn ich mich recht entsinne«, grüßte Lady Cosplay aus der Rückenlage.

Der gute Sir Curtisfield verzog angewidert sein Gesicht. »Wie unangenehm«, näselte er. Dann bewegte er seine Finger vor seiner Brust, als male er ein Ornament in die Luft.

Und schwups – war der Mann verschwunden.

»Das ist eben nicht wirklich passiert, der Kerl hat sich nicht wie bei einem Zaubertrick in Luft aufgelöst«, flüsterte ich entgeistert.

»Doch, genau das hat dieser Schuft getan. Eine solche Unverschämtheit! Ob Magister des völlig überbewerteten Fachs ›Magische Urströmungen‹ oder nicht – wie kann er es wagen, mich zu ignorieren?« Lady Cosplay wurde vor Empörung ganz blass unter ihrer ohnehin schon hellen Porzellanhaut. »Niemand übersieht Emilia Albertine Vandercould, selbst wenn sie unter einem Ordinary begraben liegt.«

»Sehr charmant. Ich kann wirklich nicht verstehen, warum der magische Strömungsfachmann dich hat links liegen lassen, wo du dich doch so liebenswert und herzerfrischend aufführst.«

Hilfe! Ich ging ernsthaft auf diesen ganzen Wahnsinn ein. Ich musste dringend einen Schlussstrich unter diese Episode ziehen.

»Du heißt Emilia, richtig?«, fragte ich. »Also, weltbeste Emilia aus der superwichtigen Familie Vandercould, könntest du bitte aufhören, so einen Nonsens zu verbreiten, und dir stattdessen überlegen, wie wir wieder voneinander loskommen? Ich für meinen Teil würde es zumindest bevorzugen, wenn wir nicht länger zusammenhängen würden wie siamesische Zwillinge. Wahrscheinlich hat sich der Gurt meiner Tasche mit deinem Mantel verheddert. Wir müssen nur einen Weg finden, ein bisschen Abstand zwischen uns zu bringen, und dann klären sich bestimmt all die seltsamen Dinge von ganz allein.« Am besten, indem sie ebenfalls – schwups – verschwanden.

Emilia kräuselte ihre Nase. »Ich fürchte, so wird es nicht gehen. Wir haben es leider nicht mit einer einfachen Verbindung unserer Auren zu tun. Dank der Schallwelle bei unserem zweiten Zusammenstoß sind die zuvor durcheinandergeratenen Auren-Teilchen miteinander verschmolzen. Es wird mehr als eine Prise Ordnungsmagie brauchen, damit unsere Auren sich wieder trennen.«

»Unsere … was?«, unterbrach ich sie.

»Unsere Auren. Sie wissen wirklich nicht, was das ist?« Emilia musterte mich nachdenklich. Damit sank ich in ihrer Wahrnehmung vermutlich vom Niveau eines Ordinarys auf das eines Einzellers. »Bei einer Aura handelt es sich um das hochkomplexe und individuelle Energiefeld eines Menschen, über das zivilisierte Kulturen selbstredend Bescheid wissen.«

»Und ich jetzt auch. Vielen herzlichen Dank, dass du mich über diesen Bullshit aufgeklärt hast.« Ja, ich konnte auch ätzend sein, meine Leidensfähigkeit kannte Grenzen. »Okay, du willst mir weismachen, dass wir es mit Magie und nicht mit einem unglücklichen Zufall zu tun haben. Nehmen wir das ausnahmsweise für einen Moment an, auch wenn ich klarstellen möchte, dass ich sehr überzeugt bin von unserer auf Naturgesetzen basierenden Welt. Falls dir also ein Zaubertrick danebengegangen sein sollte, wäre jetzt der ideale Zeitpunkt, um es zuzugeben. Ich werde dir deswegen auch keinen Vorwurf machen. Pfadfinderehrenwort.«

Angesäuert presste Emilia ihre Lippen zusammen. »Bitte? Sehe ich ernsthaft so armselig aus, als würde ich mich mit Zauberei abgeben? Wie gesagt, hat es wegen der Störfrequenzen durch den Vandercould-Ruf Probleme gegeben. Aus diesem Grund ist bei meiner Materialisierung etwas schiefgegangen und ich bin mit Ihnen zusammengestoßen. Dabei ist es bedauerlicherweise zu einer Auren-Verbindung gekommen. Die daraus resultierende Orgon-Entladung müssten doch selbst Sie bemerkt haben.«

»Du meinst diese Explosion aus gleißendem Licht? Das kann nichts mit irgendwelchen Orgons zu tun haben, weil es die überhaupt nicht gibt. Ich interessiere mich für Physik, und deshalb weiß ich, dass diese Form von Energie purer Unfug ist. Das gilt übrigens auch fürs Materialisieren, Dimensionsrisse mitten in der Luft und …« Ich brach überfordert ab.

Emilia blickte verlegen drein. »Entschuldigen Sie bitte, das muss alles etwas viel für Sie sein. Da ich im Umgang mit Ordinarys völlig unerfahren bin, vermute ich mal, dass Ihre Reaktion auf meine Ausführungen angemessen ist. Aber keine Sorge, es gibt eine Auflösungsformel für unser Problem. Früher, als unsere Realität noch eine war, ist es nämlich regelmäßig zu solchen Zusammenstößen zwischen Ordinarys und uns Elevierten gekommen.«

Arghhhh! Das war mehr Weirdness, als ich ertragen konnte. Es fehlte nicht mehr viel und ich würde Emilia den Mund zuhalten. »Warum verzichten wir nicht auf die Hintergründe? Wende einfach diese Auflösungsformel an und dann kann jeder von uns wieder seiner eigenen Wege gehen. Ich in einer Welt, in der Auren etwas mit Migräne zu tun haben, und du in deiner Whatever-Welt.«

Es war Emilia an der Nasenspitze abzulesen, dass meine Forderung nur bewies, was für ein ahnungsloser Tropf ich war.

»Ich würde die Formel nur allzu gern anwenden«, sagte sie. »Diese Kunst gehört jedoch in die Sparte ›Formwerdung‹ – und mit dieser Alltagsmagie habe ich mich noch nie beschäftigt. Dafür ist meine Zeit zu wertvoll. In Silvercliff Hall besteht man allerdings auf einem umfassenden Basiswissen und gestattet es aus diesem Grund nicht, dass die Eleven aus besserem Haus ihre Bediensteten mitbringen. Jeder soll auch die niederen Künste selbst erlernen und anwenden. Dabei wüsste meine Zofe Missy ganz genau, was jetzt zu tun wäre.«

Dazu fiel mir nicht mehr ein, als ungläubig auf Emilias Mund zu starren, aus dem so unfassbar viel Rätselhaftes kam. Wenn ich sie richtig verstand, dann war sie eine Art verpeilte Upperclass-Zauberin, Pardon, Magierin. Oder auch Elevierte. Hochtrabender ging es nicht.

Emilia nahm mein Schweigen als Zustimmung. »Vielleicht hätte ich doch auf die liebe Missy hören und das ›Kleine Handbuch für Formwerdung‹ in meine Manteltasche stecken sollen. Dann hätten wir wenigstens eine Anleitung. Es ist aber auch zu unfair! Da bin ich zum ersten Mal allein außerhalb von Blissful Highbury unterwegs und prompt passiert mir so etwas Hochnotpeinliches mit dem erstbesten Ordinary.«

»Dermaßen demütigend«, stimmte ich zu. »Ich bereue es auch gerade, ohne meinen Zauberstab und die Pergamentrollen mit Beschwörungsrunen für dumme Zufälle unterwegs zu sein.«

Ich verstummte, weil ein Fahrradfahrer so knapp an uns vorbeiraste, dass ich den Windzug spürte. Vermutlich sollte ich dankbar sein, dass er nicht über uns drüberfuhr, weil er nur Pflastersteine sah, wo wir lagen.

Immer noch.

Vor lauter Magie-Geschwurbel hatte ich fast vergessen, dass ich der Länge nach auf einem mir unbekannten Mädchen lag. Und das in aller Öffentlichkeit. Mein Gesicht nur eine Handbreit von ihrem entfernt, sodass es unmöglich war, nicht ihren herzförmigen Mund zu bemerken. Dass mir diese Situation langsam normal vorkam, verriet, dass ich eindeutig nicht ganz bei Verstand war. Bestimmt war ich in Wahrheit auf der Treppe der Bodleian Library ausgerutscht und bitterböse mit dem Hinterkopf aufgeschlagen.

»Mir ist klar, dass unsere verzwickte Lage für dich als Ordinary verwirrend ist«, sagte Emilia. »Aber leider habe ich jetzt überhaupt keine Zeit, dir alles zu erklären. Es gibt eine überaus wichtige Aufgabe, der ich mich endlich annehmen muss. Deshalb …«

Emilia versuchte unter mir wegzurobben, schleifte mich aber bloß mit. Wodurch sich unsere Körper noch besser kennenlernten. Notgedrungen biss ich die Zähne fest aufeinander und war dankbar für ihre mehrteilige Garderobe, die sich zwischen uns befand. Hätte sie lediglich ein flatteriges Sommerkleid angehabt, wäre ich spätestens jetzt ausgeflippt.

»Emilia, hör auf, das bringt doch nichts.«

»Das ist mir bewusst. Es ist die reine Verzweiflung, die mich antreibt.« Emilia stiegen Tränen in die Augen, was mich sofort milder stimmte. »Mein Papa, also der ist … Entschuldigen Sie, aber darüber kann ich unmöglich reden. Jedenfalls wartet zu Hause eine wichtige Aufgabe auf mich – aber zuerst muss ich mich der Familienehre gehorchend um Silvercliff Hall kümmern. Die Academy steht seit ihrer Gründung unter unserem Schutz und ist allem Anschein nach in Gefahr! Der Vandercould-Ruf der Bibliothek wurde ausgelöst und der ist nur für uns Vandercoulds hörbar. Eigentlich ist es die Aufgabe meiner Großtante Octavia, der Leiterin von Silvercliff Hall, sich darum zu kümmern. Aber sie ist wie vom Erdboden verschluckt. Deshalb bleibt mir nichts anderes übrig, als mich der Sache persönlich anzunehmen, obwohl ich dafür möglicherweise nicht geeignet bin.«

»Verstehe, das klingt nach einer ziemlichen Ausnahmesituation.«

Moment mal, hatte ich eben wirklich »verstehe« gesagt? Wenn ich jetzt nicht achtgab, würde ich mich noch in diese verrückte Geschichte reinziehen lassen. Emilia hatte etwas an sich, das meinen inneren Ritter auf den Plan rief. Wenn ich ihr noch tiefer in ihre unglaublich blauen Augen schaute, verabschiedete sich mein Restverstand und ich folgte ihr fröhlich pfeifend ins Wi-Wa-Wunderland.

»Das mag ja alles sein mit dem Vandercould-Ruf und deiner verschwundenen Tante«, sagte ich. »Aber warum sieht uns niemand, obwohl wir das perfekte Fotomotiv abgeben mit unserer Sandwich-Position?«

Emilia pustete gegen eine meiner Ponysträhnen, die ihre Nasenspitze kitzelte. »Das ist keine Überraschung, Ihresgleichen sehen uns Elevierte normalerweise ja auch nicht. In meine Aura ist ein Schutz gegen den Blick der Ordinarys eingebaut – und der hat sich nun auch auf Sie übertragen. Nun sehen Sie meine Welt und sind für Ihre gleichzeitig unsichtbar geworden.«

Unmöglich! Ben war niemals an mir vorbeigelaufen, weil ich für ihn wortwörtlich Luft war, abgedriftet in eine Parallelwelt. Andererseits waren Parallelwelten in der Physik theoretisch gesehen durchaus möglich … Ich verdrängte schleunigst diesen völlig erschütternden Gedanken und hielt mich lieber ans Praktische.

»Wir machen jetzt Folgendes: Ich setzte mich auf und du machst mit, anstatt weiterhin planlos mit deinem Mantel den Boden zu wischen. Dann muss ich mir auch keine Sorgen mehr machen, dass ich einen Nackenkrampf bekomme und versehentlich mit meinem Mund auf deinem lande.«

Ich nahm Emilias Murren als Zustimmung und wälzte mich mit ihr im Arm auf die Seite. Damit ich meinen angewinkelten Oberschenkel unter sie schieben konnte, musste ich etwas ruckeln, was sie mit den Worten »Gut, dass meine Gouvernante das nicht sieht« bedachte. Mit einigen Verrenkungskünsten setzte ich mich auf, während Emilia auf meinen Schoß rutschte und die Beine notgedrungen um meine Hüften legte. In dieser Pose sitzen sonst nur frisch verliebte Paare am Strand, aber es war eine echte Erleichterung, endlich nicht mehr ausgestreckt auf dem Boden zu liegen. Als sie allerdings ihre Arme um meinen Rücken schlang, konnte ich einen Schauder nicht unterdrücken. Schon klar, wir schmiegten uns aneinander, weil uns nichts anderes übrig blieb. Das änderte jedoch nichts daran, dass es sich nice anfühlte. Und wenn ich mich nicht täuschte, nahm nicht nur ich das so wahr.

Emilia lächelte verlegen. »Schon verblüffend, dass wir uns auf diese Weise kennenlernen – und dann auch gleich aus nächster Nähe. Normalerweise wäre ich durch Sie hindurchgeschritten, ohne dass Sie auch nur gezuckt hätten. Für Ordinarys sind wir nicht mehr als ein kühler Wind, der sie streift.«

Ich widerstand gerade so dem Verlangen, sie zu zwicken. Es ging mir wirklich gegen den Strich, als jemand dargestellt zu werden, der wegen dieser Magie-Sache unter ihr stand. Dafür hatte ich schon zu oft erlebt, wie Leute mich wegen meiner Herkunft abstempeln wollten.

»Wenn du mich noch einmal Ordinary nennst, lasse ich mir einen Kosenamen für dich einfallen«, drohte ich. »Und ich garantiere, dass er dir nicht gefallen wird.«

»Sie dürfen das nicht falsch verstehen. Ordinary ist lediglich die Bezeichnung für Menschen ohne eine magisch gepolte Aura. Wir Elevierten hingegen haben einen natürlichen Zugang zur Welt der Magie. Es ist also keineswegs despektierlich gemeint«, versuchte Emilia die Sache schönzureden. »Aber wie Sie wünschen. Wie darf ich Sie sonst nennen?«

»Wie wäre es mit meinem Namen? Und da uns kein Hokuspokus zur Verfügung steht, machen wir es jetzt auf die schlichte, völlig unmagische Ordinary-Art«, entschied ich. »Wir kleben zusammen? Gleich nicht mehr.« Damit langte ich in meinen Nacken und zog an meinem T-Shirt-Kragen.

»Was machen Sie da?«, erkundigte sich Emilia mit deutlichem Unbehagen.

»Ich ziehe mein Shirt aus, dann ist Schluss mit der Kleberei.«

»Sie wollen sich ausziehen? Ich muss doch bitten, ein Herr zieht sich in Gegenwart einer Dame nicht aus!«

»Weil deine noble Erziehung das verbietet? Sorry, aber da, wo ich herkomme, sind wir nicht so etepetete unterwegs.«

Endlich hatte ich mein Shirt so weit hochgerafft, dass ich es mir über den Kopf ziehen konnte. Sollte die Vornehmheit in Person es behalten, ich wollte nur noch weg. Es stellte sich jedoch heraus, dass es egal war, was ich wollte. Unsere Vorderseiten blieben verfangen, T-Shirt hin oder her. Ich konnte den Stoff nicht einmal zwischen unseren Oberkörpern hervorziehen. Er blieb wie festgetackert an Ort und Stelle.

Emilia schenkte mir ein zuckersüßes Lächeln. »Ich sagte doch schon, dass unsere Auren an der zentralen Stelle im Brustbereich miteinander verschmolzen sind. Aber schön zu sehen, dass Sie so viel Eigeninitiative an den Tag legen.« Ihr Lächeln wurde breiter. »Hübsche Schultern übrigens.«

Ich zog das Shirt wieder über meinen Kopf. »Und nun?«

»Nun haben wir ein faustdickes Problem, mein lieber …« Emilia sah mich erwartungsvoll an.

Ich erwiderte ihren Blick. Mehr nicht.

»Verstehe. Sie wünschen eine Entschuldigung, weil Sie sich gekränkt fühlen, auch nachdem ich den Begriff Ordinary erklärt habe. Da ich wie gesagt unter Zeitdruck stehe, bitte ich Sie um Entschuldigung für alles, was ich Ihnen aus Ihrer Sicht angetan habe. Wir kommen aus zwei durch und durch verschiedenen Welten, da kann man doch ein bisschen Verständnis füreinander aufbringen. Ich sehe Ihnen Ihre unflätige Art ja auch nach, etwa wenn Sie mich unaufgefordert duzen.«

Diese angebliche Entschuldigung stimmte mich kein Stück nachsichtiger. »Dann gehört es in deiner Welt also zum guten Ton, andere über den Haufen zu rennen, sie wie Gegenstände zu behandeln und ihnen herabsetzende Bezeichnungen zu verpassen. Ganz reizend. Nur so nebenbei erwähnt: Ich habe eine Allergie gegen Hochnäsigkeit und Leute, die sich wegen ihrer Herkunft für etwas Besseres halten. Allerdings wären wir aus meiner Sicht quitt, wenn du endlich den Spuk mit meiner Aura beendest.« Ich dachte nach. »Und aufhörst, mich zu siezen. Das ist nämlich lächerlich, ich bin höchstens zwei Jahre älter als du.«

Emilia verzog das Gesicht. »Das ist doch noch lange kein Grund, einander wie die Kohlenjungen zu duzen.« Dann lenkte sie ein. »Unter anderen Umständen würde ich mich weigern, aber in diesem Fall … Wie du wünschst.«

Ich grinste. »Dann darfst du mich Nathan nennen. Nathan Hamsworth.«

»Nathan also …« Emilia sprach meinen Namen auf eine Weise aus, die mir eine Gänsehaut verursachte. Als würde sie mich plötzlich in einem völlig neuen Licht sehen. Ich hätte einiges dafür gegeben, dass sie ihn gleich noch einmal sagte, gern auch mehrfach.

Ich schluckte. »Wo wir jetzt per Du sind, brauchst du dich mit deiner Magie nicht länger zurückzuhalten. Meine Beine schlafen in dieser Position nämlich langsam ein.«

»So einfach ist das nicht«, sagte Emilia. »Obwohl ich natürlich mehr spektakuläre Techniken draufhabe, als die Academy dem durchschnittlichen Eleven anbietet.«

»Im Angeben bist du zumindest schon mal Weltklasse.«

»Das habe ich gar nicht nötig.« So überrascht, wie Emilia mich ansah, hielt sie tatsächlich viel auf ihre Fähigkeiten. Aus ihr sprach reines Selbstvertrauen. »Ich gehöre einer der angesehensten Familien im Kreis der Elevierten an. Schließlich beschäftigen wir uns seit Generationen mit der Kunst des Götterfunkens, dem Gral der magischen Welt. Es geht darum, den Zipfel vom Ursprungsmoment zu fassen zu bekommen. Wenn man den hat, kennt man die Grundformel der Realität. Wer danach forscht, hat natürlich keine Zeit für die niederen Künste.«

Daher wehte also der Wind. »Mit anderen Worten: Du bist so hoch spezialisiert, dass deine Fähigkeiten im real life zu nichts zu gebrauchen sind. Damit bist du genauso hilflos wie ich, obwohl du nicht nur eine Vandercould bist, sondern auch noch zur ach so tollen Gattung der Magier gehörst.«

»Wir nennen uns nicht Magier und schon gar nicht Zauberer, wir sind die Elevierten.«

»Was noch abgehobener ist, denn Elevierte bedeutet nichts anderes als die Erhabenen. Im Gegensatz zu uns Ordinarys, die dann so was wie der Bodensatz sind.« Emilia hatte sich das zwar nicht ausgedacht, aber mich nervte, dass sie diese Denkweise unhinterfragt übernahm. »Wenn das so ist, dann elevier dich doch mal von mir runter, ich spüre meine Unterschenkel nämlich nicht mehr.«

Peinlich berührt rutschte Emilia auf meinem Schoß herum.

Okay. Das bekam ich zumindest noch mit.

Aber das behielt ich lieber für mich.

Während ich damit beschäftigt war, irgendwie klarzukommen, ging Emilia zu einer Verteidigungsrede über. »Ich bin nicht unnütz, sondern überqualifiziert«, erklärte sie. »Für die gewöhnlichen Dinge haben wir daheim auf unserem Familienwohnsitz Blissful Highbury geschultes Personal. Leider tummeln sich vorm Haupttor der Academy keine Bediensteten, die uns behilflich sein könnten. Die nehmen sicherlich nur den Hintereingang, so, wie es sich gehört.«

War es möglich, dass Emilia so privilegiert aufgewachsen war, dass sie gar nicht merkte, was sie da redete? Nicht nur ihre Klamotten waren aus der Zeit gefallen, sondern auch ihre Vorstellung von Arbeitsaufteilung. Wer hatte denn heute noch Personal, um sich die Nase putzen zu lassen?

Ich beschloss, lösungsorientiert vorzugehen. »Da von den hochwohlgeborenen Elevierten bislang nur dieser Curtisfield aufgetaucht ist, der uns offenbar für sich am Boden wälzenden Abschaum gehalten hat, sind wir auf uns allein gestellt. Also, was können wir tun, wenn wir beide nicht imstande sind zu zaubern?«

»Ich zaubere nicht, sondern verwende Magie auf allerhöchstem Niveau«, korrigierte mich Emilia.

Anstelle einer Antwort zog ich lediglich eine Augenbraue hoch.

Emilia seufzte ergeben. »Uns bleibt nur, es auf die altmodische Weise zu machen, auch wenn mir das äußerst unangenehm ist. Auren folgen ihren eigenen Gesetzen und wenn sie erst einmal eine Verbindung eingegangen sind … Dass wir so eng aneinander festhängen, kommt nur daher, dass wir dagegen ankämpfen – was unsere Auren dazu bringt, sich noch stärker zu verweben, weil sie glauben, dass sie ab jetzt zusammengehören.«

»Das klingt fast nach einer Liebesbeziehung«, sagte ich mit einem mulmigen Gefühl im Bauch.

Auch Emilia wirkte überfordert. »Wir müssen die Verbindung akzeptieren, egal wie verwirrend wir das finden, und unsere Zustimmung lautstark bestätigen. Das hat etwas mit Schwingungsangleichung zu tun, eine für Ordinarys kaum zu verstehende Kausalität.«

Sofort biss sie sich auf die Unterlippe, als meine Augenbraue noch ein Stück höher rutschte.

»Bestimmt würdest du es verstehen, wenn wir genug Zeit für Erläuterungen hätten, nachdem du zweifelsohne einer von der ganz hellen Sorte bist. Aber die haben wir nun mal nicht, weil ich schleunigst in die Bibliothek muss. Deshalb sagen wir zwei jetzt laut und deutlich, dass wir es hinnehmen, dass unsere Auren ab dem heutigen Tage miteinander verbunden sind. Dann kann sich das Gewebe, das sich gebildet hat, lockern.«

Das klang gut, warf aber eine entscheidende Frage auf. »Wenn ich das zu meiner eigenen Aura sage, von der ich bis eben noch nicht mal wusste, dass sie existiert, dann ist Schluss mit unserer unfreiwilligen Tuchfühlung? Oder hängen wir dann eben doch noch zusammen, halt nur nicht mehr so eng?« Echt, das war mir wichtig. Auch wenn ich es nicht grundverkehrt fand, mit diesem Mädchen aus einer anderen Epoche und Realität im wahrsten Sinne des Wortes abzuhängen.

»Tja … Das ist so eine Sache … Puhhh.«

Dass sie sich mit ihrer Antwort Zeit ließ, weckte Zweifel in mir. »Emilia, ich sage hier gar nichts, bevor dieser Punkt nicht geklärt ist. Ist die Sache zwischen uns beendet, wenn ich das mit dem Akzeptieren hinausposaune?«

»Beendet nicht direkt, ich wäre aber in der Lage, endlich zur Bibliothek zu gehen, ohne dich im Schlepptau zu haben. Aber die Verbindung bleibt wie ein Band, das nicht durchtrennt werden kann. Das lässt sich später jedoch leicht mit einer gezielten Dosis Ordnungsmagie beheben. Sobald die dringende Angelegenheit, wegen der ich hierhergekommen bin, aus der Welt ist, organisiere ich das. Bis dahin kannst du auf den Treppenstufen sitzen und den sonnigen Tag genießen.«

Aber sicher doch. Miss Wichtig vergaß bestimmt nicht, dass es mich gab, sobald ich aus ihrem Blickfeld verschwunden war. Der lästige Ordinary, der sie dumm dastehen ließ vor ihren Zauberfreunden.

»Ich werde nicht von deiner Seite weichen, bis das erledigt ist«, entschied ich. Das war mein Rückfahrschein in eine magiefreie Realität, da ging ich kein Risiko ein.

»Du kannst aber unmöglich die Academy betreten, dort haben Ordinar… Ich meine: Dort haben unmagische Personen nichts verloren. Offiziell ist es zwar nicht verboten, es wäre aber ein waschechter Fauxpas, dort ohne ausdrückliche Einladung aufzutauchen.« Emilia bekam bei der Vorstellung, wie ich in meinen Sneakers durch die heiligen Hallen der Academy latschte, fast Schnappatmung.

»Dann verraten wir den anderen eben nicht, dass ich keiner von eurer Sorte bin.« Ich blinzelte ihr zu, nur eine Spur verarschend. Aber sie hatte es echt gut drauf, mich zu reizen.

Mein Vorschlag überzeugte Emilia nicht. »Die anderen Elevierten werden deine wahre Herkunft auf den ersten Blick erkennen. Nicht nur wegen deiner verräterischen Aussprache, sondern auch wegen deiner viel zu kurzen Hosen. Keiner von uns würde jemals auch nur seine Fußknöchel zeigen, das ist höchst unanständig. Und dann noch dein fadenscheiniges Oberteil, von dem wohl niemand behaupten kann, es entspräche der adäquaten Oberbekleidung eines Gentlemans. Ganz zu schweigen von deinen Haaren …«

»Was ist mit meinen Haaren?«

Emilia machte eine vage Handbewegung.

Meine Haare waren dunkelbraun, neigten zu irgendwas zwischen Wellen und Locken, und der letzte Schnitt lag zugegeben etwas zurück, was im Sommer aber normal war. Fand ich jedenfalls.

»Mal davon abgesehen, dass du deine Haare nicht mit einem Hut bedeckst, sind sie zerzaust«, rückte Emilia endlich mit der Sprache raus. »Bei unseresgleichen reicht ein Fingerschnipsen, um die Haare in Form zu bringen.«

Nicht nur Snob, sondern auch noch Beautyexpertin. »Dann schnips doch mal für mich, damit ich am Kopf vorzeigbar aussehe.«

Damit hatte ich Emilias wunden Punkt getroffen. »Wie gesagt, durfte meine Zofe mich nicht begleiten – und solche Alltagsaufgaben fallen in Missys Bereich.«

Ich konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. »Dann sehen wir beide eine Spur derangiert aus. Deine Korkenzieherlocken hängen nämlich ziemlich durch nach dem wilden Tanz auf den Treppen.«

»O nein, wie entsetzlich«, hauchte Emilia und errötete zart.

Ich gab es nicht gern zu, aber sie war süß. Und ich eindeutig verrückt.

»Okay, was muss ich sagen, damit unsere Auren nicht länger ineinander verhakt sind?«, fragte ich.

»Eigentlich nur, dass du die Verbindung zu mir annimmst. Was – dessen bin ich mir bewusst – ausgesprochen merkwürdig klingt. Unter anderen Umständen würden wir vermutlich nicht einmal ein Wort miteinander wechseln, weil wir so unterschiedlich sind. Und jetzt gestehen wir eine Bindung ein, obwohl wir uns gerade mal ein paar Minuten kennen … Wobei die sehr intensiv und durchaus interessant waren.« Sofort schaute Emilia wieder verschämt drein. Das mit dem süß sagte ich schon?

So richtig überzeugt war ich noch immer nicht. »Klingt fast so, als würde ich dir meine Liebe gestehen. Unsere Auren sind danach aber nicht verlobt oder so?«

Ich lachte. Aber als Emilia nicht mit einstimmte, wurde mir klar, dass sie keinen Witz gemacht hatte. »Du hast keine Ahnung, was dann passiert?«, hakte ich nach.

Emilia biss sich auf die Unterlippe, so fest, dass es bestimmt wehtat. »Ich weiß nicht genau, was es mit dieser Verbindung auf sich hat. Woher auch? Bislang habe ich bloß mal im ›Reiseführer in die Welt der Ordinarys‹ geblättert, es gab bisher keinen Grund, mich näher mit der Thematik zu beschäftigen. In Blissful Highbury gibt es keine Ordinarys, nicht einmal Jungen in meinem Alter. Und jetzt, da ich in einer Notsituation stecke …« Ihre Stimme brach.

Es ging nicht anders, sie tat mir leid. Sie war auf ihrer Rettungsmission völlig unerwartet in diesen Schlamassel geraten und musste sich jetzt mit einem Sturkopf wie mir rumplagen.

»Und nun«, nahm ich ihren abgebrochenen Satz auf, »da du auf meinem Schoß sitzt, im Glanz meiner Persönlichkeit schwelgst und immer wieder mal deinen Kopf hingebungsvoll an meine Schulter legst …«

»Auf deine gut aussehende Schulter«, alberte Emilia zurück und entspannte sich ein wenig in meinen Armen, was sich ausgesprochen gut anfühlte. »Es ist schon seltsam, jemand Fremdem so nah zu sein und ihm auch noch ins Gesicht zu sagen, dass man diese Nähe akzeptiert. Allerdings ist es nur vorübergehend und hat ja auch keine tiefere Bedeutung.«

»Wenn das so ist, dann mache ich doch mal den Anfang: Hiermit nehme ich laut und deutlich an, dass ich mit Emilia … Wie war noch mal dein Zweitname?«

»Albertine.«

»Echt? Ist ja scharf.« Ihr Augenfunkeln ließ mich schnell weiterreden. »Dass ich mit Emilia Albertine Vandercould verbunden bin, zumindest auratechnisch, was auch immer das bedeuten mag.«

Falls ich insgeheim erwartete, dass ein Donner grollte oder etwas anderes Dramatisches passierte, so blieb der Effekt aus.

»Und ich bekunde gleichfalls, dass ich die Verbindung zwischen meiner und Nathan Hamsworths Aura annehme.« Emilia schluckte sichtbar, offenbar ging diese kleine Zeremonie auch an ihr nicht spurlos vorüber.

»Das dürfte es dann wohl gewesen sein.« Vorsichtig lehnte ich mich zurück – und verspürte einen kleinen Stich der Enttäuschung, als Emilia meiner Bewegung nicht länger folgte.

Wir waren frei.

Allerdings spannten sich zwischen unseren Oberkörpern Silberfäden, die immer feiner wurden, je weiter ich mich von ihr entfernte.

»Was ist das?«

Emilia starrte sichtlich fasziniert auf die Fäden. »Unsere Aura-Schichten, die miteinander verschmolzen sind. Nun geben sie nach, damit wir physisch nicht länger aneinander gebunden sind. Daran muss man sich wohl erst einmal gewöhnen.« Ein Schaudern durchfuhr sie. »Es fühlt sich erschreckend intim an, als würden wir uns ganz zart aneinander festhalten. Spürst du das auch?«

»O Mann, ich wünschte mir aufrichtig, du würdest das nicht fragen.«

Wirklich, ich war kein schüchterner Typ, aber wie sollte man da cool bleiben, auch wenn es noch so dringend nötig war? Eigentlich hätten unsere Bekundungen der Freifahrtschein raus aus dieser Verbindung sein sollen. Stattdessen wurde ich das Gefühl nicht los, dass sie alles nur verschlimmert hatten. Als könnte ich mich unter keinen Umständen einfach umdrehen und dieses Mädchen in seiner historischen Aufmachung vergessen. Wir brauchten dringend Abstand zueinander.

Da Emilia immer noch sichtlich angetan die Silberfäden zwischen uns betrachtete, umfasste ich ihre Taille und zog sie mit mir auf die Beine, was eleganter klingt, als es war. Yoga gehörte nämlich nicht zu meinen heimlichen Hobbys. Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass sie sicher auf ihren Füßen stand, trat ich einen Schritt zurück.

Sie blieb stehen, während sich die Silberfäden zwischen uns auseinanderzogen und so fein wurden, dass sie wie ein Gespinst aus Nylonfäden im Sonnenlicht schimmerten.

»Alles okay bei dir?«, fragte ich.

Emilia blinzelte angestrengt. »So geht das nicht, ich kann keinen klaren Gedanken fassen, solange die Verbindung zwischen uns sichtbar ist. Ich werde sie verbergen. Das ist nur zu Beginn ein winziges bisschen unangenehm.«

Das klang gar nicht gut. »Du willst hier ernsthaft rumzaubern?«

»Es geht nur um einen Hauch von Magie. Vertrau mir einfach, ja?«

Aber sicher doch. »Ich soll dir vertrauen, nachdem du mich über den Haufen gerannt hast, weil du die Materialisierung nicht sauber über die Bühne bekommen hast und anschließend den Zauber nicht kennst, mit dem sich der Auren-Superkleber zwischen uns lösen lässt? Ehrlich gesagt ist dein Vertrauens-Kontostand aktuell im Minus, wenn es um Hokuspokus geht.«

Anstatt klein beizugeben, verdrehte Emilia die Augen. »Nun stell dich nicht so an, du erträgst es für einen guten Zweck. Es gilt schließlich den Ruf meiner Familie zu wahren.«

Bevor ich protestieren konnte, weil mir ihr Familienname ziemlich schnuppe war, machte Emilia bereits eine elegante Handbewegung.

Unzählige silbrige Ministerne tauchten aus dem Nichts auf und wanderten auf ihr Zeichen hin zu den Silberfäden, die sich zwischen uns spannten. Dort vollführten sie einen Tanz, es war ein einziges Funkeln und Glitzern, sie wippten und kippelten und sorgten für ein übles Gefühl in meiner Magengegend. Doch das kümmerte mich gerade herzlich wenig.

»Sind das winzige Spiegel?«, fragte ich ungläubig.

Emilia nickte nur kurz, vollauf damit beschäftigt, die kleinen Blendwerke zu dirigieren. Dann endlich hatte jedes Sternchen seinen Platz gefunden – und erlosch schlagartig. Mit ihnen verschwanden auch die Silberfäden der Auren-Verbindung – und meine linke Körperhälfte!

Sie war weg, unsichtbar, wie abgeschnitten, und fühlte sich eiskalt an.

»Verdammte Schei…«

»Schon gut, das ist nicht schlimm, das bekomme ich hin«, stellte Emilia klar. »Deine linke Seite ist nur von den Spiegelpartikeln bedeckt. Das meinte ich mit der Unannehmlichkeit, die Illusion muss erst perfekt ausgerichtet werden.« Erneut bewegten sich ihre Hände kunstvoll durch die Luft. Und genauso, wie ich plötzlich halbiert gewesen war, war ich wieder vollständig sichtbar.

»Siehst du, jetzt sitzt die Illusion.« Emilia wischte sich ein paar Schweißperlen von der Stirn. »Wobei ich zugeben muss, dass ich kurz in Versuchung war, deine Kleidung hinter den Spiegeln verschwinden zu lassen.«

»Sehr witzig«, murrte ich. Sicherheitshalber hielt ich meine Hände nebeneinander. Links und rechts – genau, wie es sein sollte. So weit alles in Ordnung. Wenn ich mich jetzt allerdings bewegte, glaubte ich ein leises Klirren der Minispiegel zu hören, was durchaus irritierend war.

Emilia schien weniger Anpassungsschwierigkeiten zu haben. »Nun, da diese Angelegenheit geklärt ist, würde ich gern in der Bibliothek nach dem Rechten sehen.«

Ich steckte meine Hände in die Hosentaschen, weil ich sonst mit dem Überprüfen nicht aufhören konnte. »Okay, ich bin auch so weit.«

Sofort schüttelte Emilia den Kopf. »Das ist sehr nett von dir, aber in dieser Angelegenheit gibt es kein wir. Ich regle das allein, so wie es die Pflicht als Vandercould von mir verlangt.«