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Beschreibung

Die Literaturzeitschrift Lichtungen erscheint vier Mal im Jahr und hat ihren Redaktionssitz seit 1979 in Graz. Nahezu jede Ausgabe widmet sich einem internationalen Schwerpunkt und zeitgenössischer Literatur. Würde man den Schwerpunkt in diesem Heft zur Gegenwartsliteratur aus Korsika auf die gegenwärtig in Verlagsprogrammen so beliebten paar wenigen Schlagwörter herunterbrechen, so könnten diese lauten: Sommerhitze und Schicksal, Landschaft und Literatursprache, Brutalität und Brüchigkeit. Die von Helmut Moysich stringent komponierte Zusammenschau macht genau das, was wir uns in der Redaktion von einem Schwerpunkt erwarten, und bietet anhand der Literatur neue und unerwartete Einblicke in eine Region und die Lebensweisen ihrer Bewohner:innen. Danke an die beitragenden Autor:innen Elena Piacentini, Marc Biancarelli, Stefanu Cesari und Philippa Santoni! Unser Literaturteil wird dem nahenden Sommer gerecht wie auch unserer Hoffnung, dass Sie dann vielleicht Zeit und Muße zum Lesen finden. Von Clemens J. Setz’ mittlerweile 19. Teil seiner „Poesie an unvermuteten Stellen“ über einen Gustomacher zu Ulrike Haidachers neuem Roman ‚Malibu Orange‘, von einem Text der frischgebackenen Stipendiatin für innovative Schreibtechniken des Landes Steiermark Julia Knaß bis Lyrik und Prosa und einfach guten Texten reicht die Auswahl, worin Sie sicher etwas finden, das Begeisterung rechtfertigt.

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178

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EDITORIAL

Würde man unseren Schwerpunkt zur Gegenwartsliteratur aus Korsika auf die gegenwärtig in Verlagsprogrammen so beliebten paar wenigen Schlagwörter herunterbrechen, so könnten diese lauten: Sommerhitze und Schicksal, Landschaft und Literatursprache, Brutalität und Brüchigkeit. Die von Helmut Moysich stringent komponierte Zusammenschau macht genau das, was wir uns in der Redaktion von einem Schwerpunkt erwarten, und bietet anhand der Literatur neue und unerwartete Einblicke in eine Region und die Lebensweisen ihrer Bewohner:innen. Danke an die beitragenden Autor:innen Elena Piacentini, Marc Biancarelli, Stefanu Cesari und Philippa Santoni!

Unser Literaturteil wird dem nahenden Sommer gerecht wie auch unserer Hoffnung, dass Sie dann vielleicht Zeit und Muße zum Lesen finden. Von Clemens J. Setz’ mittlerweile 19. Teil seiner „Poesie an unvermuteten Stellen“ über einen Gustomacher zu Ulrike Haidachers neuem Roman Malibu Orange, von einem Text der frischgebackenen Stipendiatin für innovative Schreibtechniken des Landes Steiermark Julia Knaß bis Lyrik und Prosa und einfach guten Texten reicht die Auswahl, worin Sie sicher etwas finden, das Begeisterung rechtfertigt. Und, falls der Reisekoffer zu schwer wird: Die Lichtungen gibt es seit drei Ausgaben auch als E-Book. Einen schönen Sommer und:

Wir hoffen, Sie haben an dieser Ausgabe genauso viel Freude wie wir!

Andrea Stift-Laube

POESIE AN UNVERMUTETEN STELLEN

Clemens J. Setz

Folge 19: Kenward Elmslie (1929–2022)

LITERATUR

Ulrike Haidacher

Malibu Orange

Avy Gdańsk

Gedichte

Helwig Brunner

Der Tagebau

Mira Magdalena Sickinger

psalm und lamentation

Cordula Simon

Ein Geweih

Julia Knaß

Mein Kopf will ohne mich sein

Denis Škofič

Das Leben ist anderswo Aus dem Slowenischen von Zuzana Finger

Tara Meister

danieder

Berken Bereh

Des Sonnenuntergangs Hall Aus dem Kurdischen von Abdullah Încekan

Sophie Reyer

Haut

Martin Peichl

Rituale, die uns am Leben halten

SCHWERPUNKT: MELANCHOLISCHE LEICHTIGKEIT UND AUFRÜHRERISCHER GEIST. LITERATUR AUS KORSIKA

Helmut Moysich

Einleitung

Stefanu Cesari

Aus dem Gedichtband Soleil en maison 5

Philippa Santoni

Aus dem Roman Da Parighji sin’à tè / De Paris jusqu’à toi

Marc Biancarelli

Après les transhumances / Nach den Almauftrieben

Elena Piacentini

Aus dem Roman Les Silences d’Ogliano

ZEITKRITIK

Bettina Erasmy

Von der Vergangenheit befreien, aber nicht von der Erinnerung daran

ABSPANN

Ingrid Zebinger-Jacobi

Viele Bären, sieben Fische: The Bear

KURZBIOGRAFIEN

& Impressum

POESIE AN UNVERMUTETEN STELLEN – EINE SERIE

Clemens J. Setz

Folge 19: Kenward Elmslie (1929–2022)

Selbst sein Name ist so ausgefallen, dass das hilflose Autokorrekt ständig Kernwaffen Elfteilig daraus zu machen versucht. Ich bin in meinem Leben nie jemandem begegnet, der von ihm gehört hat. Falls die Person, die diesen Artikel liest, ebenfalls ein Fan des großen Kenward Elmslie ist, dann möge sie mir bitte schreiben, am besten auf Instagram. Es kann doch nicht sein, dass ich der einzige Mensch im deutschen Sprachraum bin, der seine Musicaltexte liebt und verehrt und seit Jahren vor sich hin singt.

Ja, Musicals – und das, obwohl ich mit Musicals überhaupt nichts anfangen kann. Nicht einmal mit denen von Sondheim oder dem Book of Mormon. Ich weiß nicht genau, woran das liegt, aber wahrscheinlich ist mir das Musical, verglichen mit der Oper, einfach als Form zu wenig künstlich. In der Oper, ja, da wird zum Beispiel eine Frage gestellt und die Antwort dauert dann drei Minuten lang und kommt sieben Mal hintereinander, während die Leute starr gestikulierend voreinanderstehen, das ist wunderbar, aber beim Musical versteht man meist alle Texte auf Anhieb und der normale Rhythmus eines Alltagsgesprächs wird musikalisch mehr oder weniger beibehalten – wie soll man sowas ernst nehmen? Und dennoch liebe ich dieses ausgefuchste Genie Kenward Elmslie, der vollkommen in der Welt der Musicals zu Hause war. Er schrieb die Texte zu Musicals nach Vorlagen von Strindberg, Tschechow, Capote, eines sogar über die Mörderin Lizzie Borden. Und niemand kennt diese Werke! Ja, man kann nicht einmal leicht vollständige Aufnahmen davon finden, bloß obskure, teure LPs auf eBay und zwei spätere Sammlungen einzelner Nummern. Was Bob Dylan für den amerikanischen Folksong ist, das war Elmslie für das Musical. In dieser streng begrenzten musikalischen Welt drückte er die moderne Sensibilität und ihre Paradoxien auf eine reiche und vollkommene Weise aus, mit einer frechen, erfrischenden Reimvirtuosität, wie man sie sonst nur bei Ogden Nash oder Peter Rühmkorf1 findet:

Sympathy? Hah! No one thinks my blues real.

I feel like a zeppelin I once saw in a newsreel.

Mein Lieblingslied ist die welterklärende Musical-Nummer They, die von dem Erscheinen einer sonderbaren neuen Außerirdischenart unter den Menschen handelt. Sie sind dem Sprecher nur als They bekannt, zeichnen sich durch höchst bizarres Alltagsverhalten aus und ersetzen nach und nach alle normalen Menschen:

They stand by a movie house, stare at the line.

Tell me, who’s ever seen them go in?

They don’t eat, They don’t drink, but They swallow tiny pellets.

They get nourishment through their skin.

When you answer a telephone, “Hello… Hello…”

And there’s only a click,

It’s one of them getting to know you better,

And not a trick.

Auch jene bekannte urbane Verwirrung, wenn man jemandem, der einem auf der Straße entgegenkommt, ausweichen will und der weicht in dieselbe Richtung aus, also weicht man wieder aus, worauf die Person wiederum in dieselbe Richtung ausweicht und einen blockiert etc. ad inf., dieser absurde Tanz zweier plötzlich ineinander unsichtbar verhedderter Wesen unter freiem Himmel – auch das sind sie, They.

Elmslie füllte seine Musicaltexte mit unzähligen poetischen Details. Ob es die unerwarteten Ehrfurchtsgefühle beim unabsichtlichen Eintauchen in einen Waldtümpel sind oder die sonderbar hebende Empfindung im Unterbauch, wenn ein schnell fahrendes Auto über einen kleinen Hügel fährt, oder der Anblick eines ausgefallenen Milchzahns im Frühstückssalat oder das gedankenlose Wiederaufrichten eines im Wind umgekippten Verkehrsschildes oder die folgende in einer wunderschönen Arie (aus dem Musical City Junket) gestellte Frage, wer uns dereinst, wenn wir tot sind, stützen bzw. aufbauen („to prop up“) wird:

Used to be

I’d find skulls with giant jaws.

I’d find porcupines of bone, and old turkey buzzard claws.

Prowling in the backwoods,

Through a dark ravine,

Naked as a jaybird,

Back when I was green.

What I want to know is:

When I’m dead and gone,

Who’ll prop me up in the dawn?

Und immer wieder diese herrlichen Reime in Versen wie:

Fields unfenced

Tomato plants to brush against

Oder:

A whiff tease

From the Fifties

Oder dieses entzückende Lied aus The Grass Harp (nach dem Roman von Truman Capote), in dem sich Catherine Creek die Frage stellt, welcher Bill es wohl war, der ihr den Brief mit dem Inhalt „Marry with me, Love Bill“ geschickt hat. Denn sie hat so viele Bills gekannt in ihrem Leben.

I wonder if he was the Bill

Who had a tattoo on his chest –

A hussy all undressed.

He was a plumber.

Came to fix my faucet.

Didn’t have the tools to find the leak.

He lasted out the week

And stayed the summer.

Played the ukulele.

Miss him daily

When I hear a drip.

In seinem langen und produktiven Leben hat Elmslie alle abseitigen Literaturformen – Musical-Lyrics, Postkarten-Text-Collagen, experimentelle Restaurantführer für imaginäre Lokale – mit so unerhörtem Leben erfüllt, dass selbst die bedauerliche und unerklärliche Unbekanntheit seines Werks ein bisschen weniger schmerzt. Aber hinnehmen will ich sie dennoch nicht.

1 Etwa:

Melk – Sankt Pölten – Wien,

the world was magic,

und die Donau floß mir durch den Sinn –

S l i b o w i t z !

das ganze Tal roch zwetschig,

und ich mittendrin.

Oder:

Zum Gaukler fehlt mir die Handvoll Glück,

zum Jeremias die Weitsicht;

und der Kummer bewirkt diesen bösen Blick,

vor dem sich die Unschuld bekreuzigt.

Das wird immer sichtbarer least not last,

daß ich mich verlustreich zermartre.

Viel lieber blickte ich bleiverglast

und blöd in den Domchor zu Chartres.

LITERATUR

Ulrike Haidacher

Malibu Orange

Es ist anders geworden mit der Zeit. Je länger Anja wieder zurück in ihrer alten Heimat war, je länger sie mit ihren dreißig Jahren wieder in ihrem Kinderzimmer gewohnt hat, desto mehr haben sich die Dinge verändert. Am Anfang, als Anja nur so zu Besuch gekommen ist, waren ihre Eltern ganz aufgeregt, dass sie da war, haben ihr Aufmerksamkeit geschenkt und sie direkt angeschaut bei jedem Gespräch, wollten so viel über ihr Leben wissen und haben das gute Bier statt dem billigen gekauft und Semmeln statt Brot und sogar einen Gabelbissen. Aber man hat, wenn man genau geschaut hat, genau merken können, wie sie sich an Anjas Anwesenheit gewöhnt haben und wie mit der Gewöhnung und dem Alltäglichwerden von Anja ihre erwachsene Anwesenheit nicht mehr so recht hineingepasst hat in die elterliche Wohnung. Das gute Bier war irgendwann ausgetrunken und die Semmeln aufgegessen, außerdem haben die Eltern auch wieder was anderes zu tun gehabt, als was aus Anjas Leben erfahren zu wollen, und haben vergessen, dass Anja zu alt dafür ist, um sie als Eltern gleich zu behandeln wie früher, als sie noch ein Kind war, was schwierig war, weil Anja jetzt wieder da gelebt hat, und alle Anwesenden haben diese Situation nur aus Anjas Kindheit gekannt, was hätten sie anderes machen können, als sich so zu verhalten, wie sie es von damals gekannt haben? Aber Anja hat genau die Blicke ihrer Mutter gesehen, die sie so von der Seite angeschaut hat, es waren nur ganz kurze Blicke im Vorbeigehen, die aber einiges beinhaltet haben, was nicht ausgesprochen wurde, vielleicht sowas wie „Wann gedenkt sie wieder arbeiten zu gehen?“ oder „Was genau ist eigentlich ihr Problem?“ oder „Sie ist auch eine von den Jungen, die nix aushalten“. Anjas Mutter hat sich nämlich nicht nur einmal beschwert über die Jungen, die jungen Kolleg:innen, die nicht sofort freiwillig einspringen, die zuerst darauf schauen, ob es ihnen gut geht, und erst dann, wenn überhaupt, also falls es ihnen in ihre Self-Care hineinpasst, tun, was das Team braucht, keinen Teamgeist mehr, die Jungen, die der Reihe nach kündigen und dann Achtsamkeitscoaches werden. „Wir haben das alles gemacht und uns nie beschwert“, hat sie immer stolz behauptet. Und Anjas Vater hat auch einige Fragen gehabt, jetzt gar nicht an Anja im Speziellen, sondern mehr so an ihre Generation im Allgemeinen. Gerne hat er solche Fragen dann beim familiären Abendessen gestellt, wie das denn jetzt genau gemeint ist mit dieser Work-Life-Balance, die jetzt alle so gern haben wollen und deswegen nur mehr halbtags arbeiten oder gar nicht arbeiten oder irgendwas Sinnloses arbeiten und das dann Arbeit nennen und sich dann beschweren, dass sie sich kein schönes Eigenheim leisten können. Womit werden die alle ihre Zukunft erbauen, die heutigen Jungen? Er, also er und Anjas Mutter, haben die schöne Eigentumswohnung auch nur durch langen, verlässlichen Gelderwerb erlangen können, was werden die jungen Menschen in materieller Hinsicht erlangen können, wenn sie davor kein Geld erlangen, von Luft und Liebe lebt man nicht, schön wär’s, ist aber nicht so. Überhaupt stellt er eine generelle Veränderung in Bezug auf Aushaltenkönnen fest, also er und seine Frau, Gattin könnte man auch sagen, Anjas Mutter, sie hat es vorhin schon erwähnt, aber er erwähnt es gern noch einmal, sie haben noch einiges ausgehalten, sind nicht wegen jedem Husten daheimgeblieben oder wegen jedem Wasweißer, wegen jeder Lappalie eben, heutzutage hat jedes Wehwehchen einen Namen. Heutzutage ist das ja so, er ist gleich fertig, jaja, er weiß, er hat das schon öfter erwähnt, aber den Gedanken möchte er noch zu Ende bringen bitt schön, ob Anja noch einen Schluck Buttermilch will inzwischen, er teilt sich gern den Rest mit ihr, das Restlackerl, den letzten Rest vom Schützenfest, also heutzutage ist das ja so, da brauchen alle ihre neun Stunden Schlaf und ihre Me-Time und ihren Urlaub am Meer und achten auf ihren Biorhythmus. Anja versucht zu unterbrechen und ihrem Vater zu erklären, dass niemand mehr Biorhythmus sagt, in den 90ern haben die Leute vielleicht Biorhythmus gesagt, aber nicht jetzt, ja ist ja wurscht, unterbricht der Vater wieder, ist ja alles das Gleiche, dann halt ihren Schlafrhythmus, ihre Morgenroutine, müssen Journaling betreiben, Waldbaden, um ihre geleistete Care-Arbeit zu verkraften, Care-Arbeit! Der Biorhythmus von Anjas Mutter ist nach dreißig Jahren Nachtdienst komplett durcheinander, und sie hat das nie mit Tränen in den Augen der ganzen Welt erzählt, dass sie Schwangerschaft und Geburt und Arbeit durchgezogen hat, und niemand hat das dann CARE-ARBEIT genannt, sie hat sich kein einziges Mal beschwert, nein, sie macht ihren Job gern und war gern Mutter und leistet gern einen Dienst an der Gesellschaft, so gern wie er, Anjas Vater, er macht seinen Job auch gern und ist und war gern Vater, ob er will oder nicht, aber heutzutage ist es ja so, ui, ist das ein kleiner Schimmelpilz, der da in der Buttermilch schon drinnen schwimmt?, macht ja nix, die gehört weg und ist sicher noch gut, das ist ja auch sowas: Steht auf einem Lebensmittel ein Haltbarkeitsdatum, wird es heutzutage eine Woche vorher weggeschmissen, wegen der Sicherheit, wegen der Gesundheit, es könnte mir schaden, mir, mir, mir, so ein kleiner Schimmelpilz hat noch niemandem geschadet, also heutzutage ist es so, wenn du dir in der Früh denkst, ah, heute hab ich keine Lust zu arbeiten, dann hat das sicher irgendeinen Namen, es hat sicher irgendeinen englischen Namen, früher, zu seiner Zeit, zu seiner und Anjas Mutters Zeit, da hat nicht jedes Gefühl einen Namen gehabt, demnach haben die Menschen diese Gefühle auch nicht haben können und somit nicht gehabt und demnach haben alle mehr ausgehalten, sag einmal, ist den Leuten in der heutigen Zeit fad, oder was? Früher war man noch so viele Entbehrungen gewohnt, ja echt, in seiner Jugend war es so, kleines Beispiel: Da hat man gewusst, es war grad alles schlecht. Das war allgegenwärtig, dieses Wissen. Darum war man froh und dankbar, dass jetzt alles besser wird, es ist ständig alles bergauf gegangen, aber nur deshalb, weil die Menschen hart dafür gearbeitet haben, da hat niemand nach zwanzig Stunden Arbeit sagen können, „so, jetzt mag ich nicht mehr, jetzt mag ich Serien schauen, das brauch ich für meine Mental Health, mir wurscht“, ja so ist das Wirtschaftswunder nicht zustande gekommen, liebe heutige Generation, man war dankbar dafür, dass alles besser geworden ist, und hat hart dafür gearbeitet, dass es noch besser wird, und darum ist alles besser geworden, bis heute ist alles besser geworden, und damit kommen wir auch schon zu heute: Für die heutige Generation war von Anfang an alles gut, da hat es gar nicht besser werden können, die glauben ja, dass alles gut ist und immer besser wird, steht ihnen zu! Und wenn dann die ersten Probleme auftauchen, die, sorry, die zu einem Leben dazugehören, Probleme, Arbeiten, Leid, Krisen, das gehört zum Leben – weil, schau dir einmal die Geschichte an, wann war bitte alles so easy und wohlständig wie in den letzten Jahrzehnten? Genau! Nie, das war eine absolute Luxusausnahme – also wenn das dann auftaucht, wenn das echte Leben, das keine Zuckerwatte ist, auftaucht, wenn sie einmal nicht jedes Gehalt, jeden Luxus in den Arsch gesteckt kriegt, diese heutige Menschheit, dann müssen sie sich hinlegen mit einem nassen Tuch über dem Gesicht und können keine Kinder in die Welt setzen, weil in diese grauenhafte Welt setzen sie keine Kinder, das tun sie keiner zukünftigen Existenz an, so ein Existieren in unserem Luxusland, weil es gibt ja keine Lebensqualität mehr, die hat es vielleicht in den neunziger Jahren gegeben, aber nicht heute – so, als ob es in den neunziger Jahren nicht kompliziert war, nur kann diese heutige Generation sich nicht daran erinnern, weil sie entweder nuckelnd in einer Wiege gelegen ist oder noch gar nicht existiert hat, darum glauben sie sich ihre Social-Media-schwarz-weiß-gut-böse-Urteile und wollen dafür auch noch GESEHEN werden! Ihre ERSCHÖPFUNG muss GESEHEN WERDEN! WIR WOLLEN ENDLICH GESEHEN WERDEN! Die heutige Generation redet so, wie die Generation von Anjas Großmutter geredet hat, die sagt, „wir haben damals ja nix gehabt“, darüber machen sich bis heute ja noch alle lustig, über den Satz „wir haben damals ja nix gehabt“, nur der Unterschied ist, dass die Leute, die das früher gesagt haben, wirklich nix gehabt haben, die sind im Krieg aufgewachsen, haben ihre Männer verloren, ihr Bein oder ihr Kind und deswegen ihren Verstand, aber der heutigen Generation wachst das Brot aus dem Arsch raus, aber sie meinen, es nicht fressen zu dürfen, weil sonst ihre Darmzotten gereizt werden könnten, von dem für sie zu hurtig hergestellten Brot, weil sie haben nur ein über Tage handgegärtes Brot verdient, wenn überhaupt, wenn sie überhaupt Brot verdient haben, diese viel zu einfache Kost, sie essen ja kein Brot mehr, so ein einfaches Abendbrot, wie es Anjas Vater in seiner Kindheit gerngehabt hat und was ihm sicher nicht geschadet hat: ein gutes Marmeladebrot in der Früh, ein schmackhaftes Jausenbrot in der Jausenpause, ein knackiges Schwarzbrot als Beilage zum Mittagessen (oder ein Salzstangerl oder ein Kornspitz, wenn es was Feines sein darf), ein Brötchen als Nachmittagssnack und ein herzhaftes Pikantwurstbrot am Abend, dagegen war nie was einzuwenden, jahrzehntelang nicht, aber nein, der heutigen Generation ist das zu rustikal, sie braucht etwas auf ihren empfindsamen Magensaft individuell Abgestimmtes und muss kochen, darum kann sie auch nur Teilzeit arbeiten, weil sie ständig kochen muss, diese Generation, muss in der Früh kochen, eine Frühstückssuppe zum Beispiel, mh, die ist so mild, oder eine Hirse, muss zu Mittag kochen und am Abend erst recht, weil wer vertragt heute noch Rohkost am Abend, und erklärt dann Anjas Vater- und Anjas Mutter-Generation, dass sie ja nicht wissen, was wahre Probleme sind, weil früher hat es nicht so viele gereizte Darmzotten gegeben, also da stimmt ja irgendwas nicht, oder? Na, Entschuldigung, dass er sich da jetzt aufgeregt hat, hätt noch jemand gern ein Brot? Oder ein Semmerl? Ja? Gern!