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"Liebe ist, wenn er mich ohne Worte versteht" ist genauso falsch wie "Beim nächsten Mann wird alles anders" oder "Glückliche Paare haben zweimal die Woche Sex". Überhöhte Erwartungen machen beiden Geschlechtern das (Liebes-)Leben schwer. Die erfahrene Paartherapeutin Sandra Konrad zeigt anhand vieler Fallbeispiele aus ihrer Praxis typische falsche Überzeugungen und Missverständnisse: warum Mr. Right im Laufe der Beziehung immer falscher wird, aber trotzdem der Richtige sein kann, warum Seitensprünge nicht immer das Ende bedeuten müssen, sondern sogar beziehungsrettend sein können, und wann wirklich Schluss ist mit der Liebe. Denn je klarer wir erkennen, was wir selbst zur Liebe beitragen können, und an welchen Stellen wir sie überfordern, umso glücklicher werden wir leben und lieben.
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Die in dem Buch beschriebenen Fallbeispiele wurden anonymisiert und verfremdet.
Für Patrick
You and I are more than you and I Because it’s we.
E.E. CUMMINGS
ISBN 978-3-492-96970-3
März 2015
© Piper Verlag GmbH, München/Berlin 2015
Litho: Lorenz & Zeller, Inning am Ammersee
Covergestaltung: Rothfos & Gabler, Hamburg
Covermotiv: fotolia
Datenkonvertierung: Kösel Media GmbH, Krugzell
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»Gib (ein bisschen) mehr
acht auf die Liebe
als auf alles andre.«
E.E. CUMMINGS
Menschen sind gierige Wesen. Wir wollen alles und noch viel mehr, auch in der Liebe. Unsere Liebe soll einzigartig sein, tief und lodernd. Sie soll leidenschaftlich und sicher zugleich sein. Sie soll uns erfüllen. Unser Partner soll uns vervollständigen, uns herausfordern und auf allen Wegen begleiten. Unsere Beziehung soll ein Ort der Geborgenheit sein und gleichzeitig spannend, bis dass der Tod uns scheidet.
Wenn Sie diese Zeilen lesen, geht es Ihnen wahrscheinlich wie mir: Ein Teil in Ihnen stimmt entschieden zu und der andere winkt ab: Das geht doch gar nicht. Wir sind uns durchaus darüber im Klaren, dass die Liebe und unser Partner uns nicht alles geben können. Aber trotzdem fallen wir immer wieder auf unsere Sehnsüchte und uralte Mythen, die schon längst widerlegt sind, herein. Selbst ich, die es nach vielen Jahren aus eigener Beziehungserfahrung und besonders aufgrund meiner Arbeit als Paartherapeutin eigentlich besser wissen sollte. Ein zweistündiger Hollywood-Film genügt, um meine Vernunft aus- und all meine Prinz-Prinzessin-weißes-Pferd-Sehnsüchte anzuschalten. Wenn ich so einen Film gesehen habe, bin ich erst einmal sauer auf meinen Mann. Wieso hat er mir nicht so einen spektakulären Heiratsantrag gemacht? Wieso überrascht er mich nach einem Streit nicht mit einer Schnitzeljagd rund um den Globus? Wieso backt er mir keine Liebesbriefe in Soufflé-Törtchen ein?
Es ist verflixt: Frauen wissen meist theoretisch ziemlich gut, wie Beziehungen funktionieren, wenden ihr Wissen aber nicht an. Sie vergessen wichtige Weisheiten und am eigenen Leib gemachte Erfahrungen und steigern sich in Phantasien hinein, die sich in der Realität nie erfüllen werden: »Ich bin seit zehn Jahren seine Geliebte. Er hat mir versprochen, dass er seine Frau bald für mich verlassen wird.« Oder: »Wahre Liebe ist, wenn er mich ohne Worte versteht und mir die Wünsche von den Augen abliest.« Diese Sätze werden nicht wahrer, so oft Sie sie auch denken oder aussprechen.
Die typischsten – nachvollziehbaren – aber dennoch leider falschen Überzeugungen werden in diesem Buch thematisiert und anhand vieler Fallbeispiele beschrieben und aufgelöst. Mythen und Missverständnisse über die Liebe und Beziehungen fangen bei der Partnerwahl an, spiegeln sich in den schlechten Tagen des Beziehungsalltags und münden leider oft genug in eine Trennung – und so gibt dieses Buch in gewissem Sinne eine Chronologie der Liebesdenkfehler wieder.
»Love is all you need«, singen die Beatles und obwohl man ihnen nur zu gern Glauben schenken würde – es gehört noch ein bisschen mehr dazu, um in einer Beziehung glücklich zu werden. Denn während Verliebtheit einfach so, ganz ohne unser Zutun passiert, ist eine Liebesbeziehung eine Aktivität, deren Verlauf neben unserer Persönlichkeit und der unseres Partners auch von unserer Bindungsfähigkeit, vielen unserer Entscheidungen und von unserem Verhalten abhängt. Eben davon, was wir in oder aus einer Beziehung machen. Von diesen Liebesaktivitäten – und den zugrundeliegenden Missverständnissen, was Liebe ist oder sein sollte – handelt dieses Buch. Sie werden erfahren:
• Wie Verlieben und Partnerwahl funktionieren, warum wir denken, dass es »den Richtigen« gibt, obwohl er im Verlauf einer Beziehung immer falscher wird, wie Seelenverwandtschaft zu erklären ist und warum unsere Eltern unsere Partnerwahl mitbestimmen, ohne dass sie ein Wörtchen darüber verlieren müssen.
• Wie Beziehungen idealerweise, realistisch oder schlimmstenfalls gestaltet werden können und welche Enttäuschungen in gängigen Überzeugungen lauern wie beispielsweise: »Unsere Liebe soll bedingungslos sein«, »Er wird sich noch ändern (oder ich ihn)«, »Die Heirat ist die Krönung unserer Liebe« oder »Mit einem Kind wird unsere Beziehung vollkommen«.
• Warum Treue kein Gefühl, sondern eine Entscheidung ist, was Männer und Frauen beim Thema Sexualität und Liebe unterscheidet, warum Untreue die größte Verletzung oder das größte Geschenk sein kann, und wie ein Paar einen Seitensprung gemeinsam überleben und die Beziehung letztlich sogar davon profitieren kann.
• Warum Trennungen sich oft wie ein Versagen anfühlen, auch wenn zwei Menschen alles in ihrer Macht Stehende getan haben, um ihre Beziehung zu retten, welche falschen Gründe es gibt, zusammenzubleiben, wieso Trennungen so schmerzhaft sein können, wie lohnenswert Liebeskummer ist und was wir brauchen, damit beim nächsten Partner wirklich alles besser wird.
Wahrscheinlich werden Sie sich in einigen Passagen wiedererkennen. Vielleicht werden Sie sich über manche Aussagen in diesem Buch ärgern. Mir selbst ist auch nicht alles recht, was ich hier geschrieben habe. Es ist und bleibt trotzdem wahr. Wissenschaftliche Studien, Beobachtungen aus meiner therapeutischen Praxis und Feldstudien legen nahe: Die Realität von Liebesbeziehungen ist nicht immer magisch, romantisch und sexy. Stattdessen fordert uns die Liebe immer wieder heraus, sie weckt Sehnsüchte und Ängste, Kampfgeist und Verzweiflung. Sie treibt uns in die falschen Arme und bricht uns bei einer Trennung das Herz. Liebe kommt und geht, wie es ihr beliebt. Sie bewegt sich für jeden Einzelnen von uns zwischen Mangel und Magie.
»Es gibt kaum eine Aktivität, kaum ein Unterfangen, das mit so ungeheuren Hoffnungen und Erwartungen begonnen wird und das mit einer solchen Regelmäßigkeit fehlschlägt wie die Liebe«, schrieb Erich Fromm in »Die Kunst des Liebens«. Aber die Liebe muss nicht scheitern. Je klarer wir erkennen, was wir zu einer gelingenden Beziehung beitragen können und auch, an welchen Stellen wir die Liebe und unsere Partner überfordern, desto eher können wir in Liebe und mit Liebe leben. Denn wie der Psychologe Fritz Riemann ein wenig überspitzt, aber dennoch treffend sagte: »Die Liebe ist kein Zustand, sondern ein Tun.«
In diesem Sinne: Suchen Sie, finden Sie, irren Sie, träumen Sie, glauben Sie, geben Sie, nehmen Sie, vertrauen Sie – machen Sie Liebe.
Hamburg im Dezember 2014
Sandra Konrad
PS. Weil ich davon ausgehe, dass Beziehungsbücher und Bücher über die Liebe eher von Frauen als von Männern gelesen werden, spreche ich bevorzugt das weibliche Geschlecht an. Sollte sich diese Annahme als Mythos entpuppen, lassen Sie es mich bitte wissen, liebe männliche Leser. Die Aussagen sind dennoch größtenteils geschlechtsunabhängig, gelten also ebenso für Männer wie für Frauen.
You’ve got to give a little, take a little,
And let your poor heart break a little.
That’s the story of, that’s the glory of love.
You’ve got to laugh a little, cry a little,
Until the clouds roll by a little.
That’s the story of, that’s the glory of love.
You’ve got to win a little, lose a little,
Yes, and always have the blues a little.
That’s the story of, that’s the glory of love.
That’s the story of, that’s the glory of love.
AUS DEM SONG »THE GLORY OF LOVE«
Was wir von Profis über die Liebe lernen können
Vor ein paar Jahren machten mein Mann und ich Urlaub in Kalifornien. Eines Abends gingen wir in dem kleinen Küstenort Cambria in ein Restaurant. Neben uns saß ein Paar, das zum Dessert ein großes Stück Kuchen bekam, auf dem eine Kerze brannte. Sie lächelten sich an und pusteten die Kerze aus. Dann hoben sie ihre Weingläser und prosteten erst einander und anschließend uns zu. »Wir feiern heute unseren 54. Hochzeitstag«, erklärte die Frau. »Sind Sie auch verheiratet?«
Wir nickten. »Wir sind beide fast 100, wenn wir unseren 54. Hochzeitstag feiern. Das wird ein Fest!«, flüsterte mein Mann mir zu. Wir gratulierten den beiden, die sich als Sue und Frank vorstellten.
»54 Jahre! Das ist großartig. Würden Sie uns das Geheimnis Ihrer Ehe verraten?«, fragte ich. Als Paartherapeutin, die sich berufsbedingt eher mit den Schattenseiten der Liebe befasst, höre ich mir sehr gern gelungene Liebesgeschichten an.
»Erst einmal muss man den richtigen Partner finden«, sagte Frank. Er toastete Sue noch einmal zu. »Liebe heißt Geben und Nehmen und ich habe viel Glück gehabt, dass ich mehr bekommen habe, als ich überhaupt geben konnte.«
Sue lächelte und nahm seine Hand. »Das hat sich nach seiner Rente geändert. Nun gibt er mehr und verwöhnt mich.«
»Ich habe im Laufe der Jahre immer mehr gelernt, wie wichtig es ist, zuzuhören. Das fiel mir nicht immer leicht«, gestand Frank. »Aufeinander eingehen und versuchen, die Dinge aus den Augen des anderen zu sehen − das ist schwer, aber es hilft auf Dauer.« Er überlegte einen Moment. »Wenn man in einer Sache völlig verschiedener Meinung ist, sollte man sich nicht bis aufs Blut streiten, sondern lieber rechtzeitig eine Pause machen. Ich hab mir dann entweder die Kinder geschnappt und mit ihnen im Garten gespielt oder bin mit dem Hund eine Runde um den Block gelaufen. In dieser Zeit ist mir dann meist auch klar geworden, dass ich ein Trottel war. Und dann hab ich mich bei meiner Frau entschuldigt. Man sollte sich immer entschuldigen, wenn man einen Fehler gemacht hat. Wichtige Entscheidungen gemeinsam treffen. Zusammenhalten. Durchhalten, auch, wenn es mal Schwierigkeiten gibt. Einfach weitermachen.« Sue nickte, schlug einmal leicht mit der Hand auf den Tisch und sagte energisch: »Und ganz wichtig – nicht an den Schwachsinn glauben, der einem erzählt wird. Liebe ist nicht nur Sonnenschein. Man wird nicht täglich und für immer auf Rosen gebettet. Wir sind beide bodenständige Menschen. Wir wussten, dass es auch mal schwierig wird.«
Die 72-jährige Sue und der 75-jährige Frank gehören zu den etwa 50 Prozent Amerikanern, denen es gelungen ist, in erster Ehe verheiratet zu bleiben.1 Sie hatten sicherlich nicht nur rosige Zeiten miteinander. Aber sie haben in ihrer Beziehung vieles richtig gemacht und einiges beherzigt, was wissenschaftliche Studien über langjährige Partnerschaften und Eheglück herausgefunden haben.
In meiner therapeutischen Praxis treffe ich meist Menschen, die weniger glücklich in ihren Beziehungen sind als Sue und Frank. Menschen, die an sich, an ihrem Partner oder gar grundsätzlich an der Liebe zweifeln. Menschen, die über Trennung nachdenken oder sich gerade in der Auflösung einer ehemals intensiven Partnerschaft befinden. Menschen, die die Liebe suchen, sie aber nicht finden. Von ihnen höre ich oft Gedanken und Überzeugungen, die ich im Folgenden als Mythen der Liebe bezeichne und hinterfrage. Denn Liebe ist oft viel mehr als wir denken, aber manchmal eben auch weniger als wir erhoffen.
Jeder Mensch hängt gelegentlich unrealistischen und schlichtweg falschen Vorstellungen nach. Die Kunst ist, sie loszulassen und sich auf das, was das Leben und die Liebe uns bietet, wirklich einzulassen. Verantwortung zu übernehmen für unser Verhalten und unser eigenes Glück. So wie Sue und Frank, die von Anfang an wussten, dass es in ihrer Beziehung nicht immer leicht sein würde und die sich trotzdem vorgenommen hatten, nicht aufzugeben. Weder sich selbst, noch ihre Beziehung, noch die Liebe, die sie nach 54 Jahren immer noch verbindet.
Warum aus Hollywood schöne Filme und schlechte Ratschläge kommen
Sara und Jon lernen sich im Dezember beim Weihnachtseinkauf zufällig kennen. Obwohl beide in festen Beziehungen leben, verbringen sie den Nachmittag zusammen und verlieben sich ineinander. Jon möchte Sara wiedersehen, aber Sara will, dass das Schicksal über ihre Zukunft entscheidet: Sie bittet Jon, seine Telefonnummer auf einen Geldschein zu schreiben, den sie sogleich ausgibt. Sara schreibt ihre Telefonnummer in ein Buch, das sie am nächsten Tag in einem Antiquariat verkauft. Sie ist überzeugt: Wenn er das Buch und sie den Geldschein findet, sind sie füreinander bestimmt.
Hat Sara recht und ist Liebe Schicksal? Finden zwei Menschen auch unter schwierigsten Bedingungen (zu-)einander? Und ist es nicht undankbar, das Schicksal herauszufordern, wenn man jemanden getroffen hat, zu dem man sich so hingezogen fühlt? Sara und Jon haben Glück. Ein paar Jahre später − kurz bevor sie andere Partner heiraten − finden sie sich wieder und werden endlich ein Paar.
Warnung an alle Romantiker: Diese Geschichte ist nicht wahr. Weil es dich gibt ist ein Hollywood-Märchen mit einem Drehbuch, wie es unrealistischer nicht sein könnte. Ob wir die Liebe unseres Lebens finden – vorausgesetzt, es gibt sie – hängt im wahren Leben nicht vom Schicksal oder ausschließlich vom Glück ab.
Es hängt davon ab, ob wir überhaupt lieben können. Ob wir bereit sind, uns zu binden. Ob wir genug Vertrauen in uns selbst und das Leben haben, uns in dieses Abenteuer zu stürzen. Viele Menschen haben große Sehnsucht nach einer Liebesbeziehung. Aber sie haben auch Angst davor: »Diese erste Phase des Kennenlernens ist immer so anstrengend! Was ist, wenn meine Gefühle nicht erwidert werden? Was, wenn er sich nachher als der Falsche entpuppt und ich wieder meine Zeit verschwendet habe? Wenn es nicht klappt, wird es mir wehtun!«
Natürlich gehen wir mit jeder Begegnung/Beziehung auch das Risiko ein, enttäuscht zu werden. Zurückgewiesen zu werden. Aber wir geben uns auch die Chance, unser Glück zu finden, wenn wir uns diesem Risiko aussetzen. »Das Leben ist gefährlich und endet mit dem Tod«, heißt ein Sprichwort, was uns immer wieder vor Augen führen kann, dass wir die begrenzte Zeit zwischen Geburt und Tod nutzen müssen, um sie zu füllen.
Klienten, die sich in ihren Sehnsüchten und dazugehörigen Ängsten verlieren, erzähle ich gern folgende Geschichte:
Ein Mann betet jeden Tag zu Gott: »Lieber Gott, ich brauche dringend Geld, bitte lass mich einmal eine große Summe im Lotto gewinnen.« Über ein Jahr lang bittet er Gott inständig um einen Lottogewinn, bis Gott der Kragen platzt und er vom Himmel herabschreit: »Ja, Herrschaftszeiten, dann kauf dir doch endlich ein Los!«
Wer einen Hirsch erlegen will, muss in den Wald gehen. Wer einen Partner finden will, muss sich aus seinem Schneckenhaus bewegen, die Wohnung verlassen, unter Menschen gehen oder sich in einer Partnerschaftsbörse anmelden, sich der Welt zeigen und offen sein für Begegnungen. Ob aus einem Kennenlernen ein zweites Treffen, ob aus einem Flirt die große Liebe, ob aus der großen Liebe eine verbindliche Beziehung wird, dafür gibt es keine Garantie. Aber zumindest versuchen Sie, Ihrem Ziel etwas näher zu kommen.
Die Liebe ist nicht vom Schicksal abhängig, sondern zu großen Teilen »selbstgemacht«. Wenn Sie weiterhin an Schicksal und Fügung glauben möchten, bitte. Aber vergessen Sie nicht, dass Sie sehr viel dazu beitragen können, dass das Schicksal Sie auch findet und bedenkt. Ohne Los kein Lottogewinn. Ohne offen für einen Partner zu sein, ohne der Liebe eine Chance zu geben, keine Beziehung.
»Ich will doch nur einen netten, liebenswerten, gut aussehenden, witzigen, wahnsinnig tollen Typen.«
CHARLOTTE IN DER SERIE »SEX AND THE CITY«
Warum wir uns am Anfang belügen und der Richtige mit der Zeit immer falscher wird
Das Wort sagt alles: Eine Traumfrau ist nicht real. Ein Traummann ist der Mann, den wir uns erträumen. Also ein perfekter Mann. Einer, der uns alles gibt, was wir wünschen. Eigentlich so, wie die meisten Männer am Beginn einer Beziehung sind. Sie sagen die richtigen Dinge. Sie tun alles für uns. Männer werden zu enthusiastischen Spaziergängern, Katzenliebhabern oder Vegetariern, um die Dame ihres Herzens zu gewinnen. Als ich meinen Mann kennenlernte, erwähnte ich beiläufig, dass ich Filme gern in der englischen Originalversion sehe. Er wollte Zeit mit mir verbringen, also sagte er: »Ich liebe Filme im Original. Ruf mich bitte jederzeit an, wenn du ins Kino gehen möchtest.« Ein paar Monate später – als wir ein Paar geworden waren – fand ich heraus, dass er es furchtbar anstrengend findet, Filme auf Englisch zu schauen. Wir diskutieren heute – Jahre später – noch darüber, ob wir eine DVD auf Englisch oder Deutsch schauen.
Sollte man nicht immer ehrlich miteinander sein? Wer nicht ehrlich ist, täuscht etwas vor und womöglich verliebt sich der Partner in eine Illusion. In eine Lüge womöglich. Aber genauso verhält es sich beim Kennenlernen und Verlieben: Das, was wir am Anfang von und in unseren potenziellen Partnern sehen, ist meist nicht die Realität. Nicht nur, weil wir alle versuchen, uns anfänglich von unserer Schokoladenseite zu zeigen, sondern auch, weil unsere eigene Phantasie mit uns durchgeht. Wir sind »blind vor Liebe«, wir sehen den anderen durch eine rosarote Brille: Er ist der attraktivste, lustigste, anziehendste Mann, den wir jemals kennengelernt haben. Wir wollen unbedingt, dass es diesmal perfekt ist. Wir lieben es, verliebt zu sein und dazu gehört auch, den anderen zu idealisieren und das Gefühl zu genießen, selbst idealisiert zu werden. Diese im wahrsten Sinne des Wortes phantastische Phase hält erfahrungsgemäß zwischen drei Monaten und zwei Jahren an, je nachdem, wie schnell man sich näherkommt, wie schnell die Realität der Phantasie dazwischenfunkt oder wie schnell unser Hormonhaushalt sich wieder auf ein normales Maß herunterregelt. Dann fangen wir an, erste Ecken und Kanten an unserem Partner wahrzunehmen und er an uns. Die Anfangslügen und kognitiven Verzerrungen werden offenbar und je nach Dimension und Wichtigkeit führen sie zu Konflikten oder gar zur Trennung.
Amelie lernt abends in einer Bar einen Mann kennen. Sie trinken und tanzen gemeinsam. Es prickelt. »Ich bin so verliebt«, erzählt sie ihren Freundinnen am nächsten Tag. Der Mann schickt ihr tagsüber romantische SMS. Abends kommt er zu ihr, sie tanzen und trinken und landen bald im Bett. Die darauffolgenden Wochen vergehen wie im Flug. Amelie ist beruflich viel unterwegs und schwebt weiterhin über den Wolken. Bis ihr Traummann beginnt, von sich und seinem Leben zu erzählen. Er hat zwei Kinder aus einer früheren Beziehung. Er war vor Amelie unglücklich verliebt. Er macht gern Musik und arbeitet viel. Er kümmert sich am Wochenende um seine Kinder, die er über alles liebt. »Er ist plötzlich so komisch«, findet Amelie. Sie fängt an, ihn zu kritisieren. Sein Job sei nicht ernst zu nehmen. Toll, dass er sich so um seine Kinder kümmert, aber wo bleibt sie denn da? In dem Alter noch so schräge Musik machen, das ist irgendwie peinlich. Die Gemeinsamkeiten schwinden mit dem wirklichen Kennenlernen, der Zauber der Verliebtheit auch. Nach einer Weile hat Amelie sich entliebt. Ihr Freund auch. Die Wahrheit ist: Sie waren nicht verliebt ineinander, sondern in den Zustand des Verliebtseins.
Manchmal ist die Beziehung schon richtig ernst, bis wir feststellen, dass wir uns im anderen geirrt haben. Je gravierender die Täuschung, desto schlimmer auch die Ent-täuschung.
Oft sind es aber auch genau die Wesenszüge, in die wir uns ursprünglich verliebt haben, die uns später stören. Hier geht es nicht um eine Illusion oder Verherrlichung des anderen, sondern oft um Anteile, die uns selber fehlen und die wir deshalb anziehend finden, nach dem Motto: Gegensätze ziehen sich an. Aber Gegensätze ziehen sich in Beziehungen erfahrungsgemäß nur am Anfang an, später stoßen sie sich ab. Aus der anfänglichen Attraktion wird eine fatale Attraktion, die zur Trennung führt. Aus »Er ist so lustig!« wird nach einer Weile »Er ist so oberflächlich, er kann nie ernst sein. Er ist richtig peinlich und unreif.« Aus »Er ist so stark, endlich mal ein Mann, bei dem ich mich anlehnen kann« wird »Er ist ein Diktator, alles will er bestimmen, wie mein Vater.« Und aus »Er ist so spontan und lebensfroh« wird schließlich »Ich kann mich einfach nicht auf ihn verlassen. Er übernimmt keine Verantwortung und ich weiß nie, woran ich mit ihm bin.«
In jeder Beziehung werden aus Phantasien über den anderen realere Wahrnehmungen – jeder Idealisierung muss zwangsläufig eine Enttäuschung folgen. Aber diese Ent-Idealisierung führt bestenfalls nicht zum Ende der Beziehung, sondern zur wahren Liebe: Wir lieben den anderen trotz seiner Makel, trotz seiner Unperfektion. So, wie wir selbst ja auch (trotz allem) geliebt werden wollen.2 Wenn es uns gelingt, die Enttäuschung als sinnvolle Fortführung und Ergänzung des Verliebtseins zu verstehen, dann lösen sich die Traummänner und Traumfrauen nach dem Aufwachen nicht in Luft auf, sondern werden zu echten Lebenspartnern.
Wer nie über die erste Verliebtheitsphase hinauskommt, auch mit verschiedenen Partnern nicht, ist entweder unter 20 oder hat ein Problem. So wie der 38-jährige Oliver aus dem wunderbaren Liebesfilm Beginners, dem es nicht gelingt, sich auf eine Beziehung wirklich einzulassen. Sein Vater Hal erzählt ihm kurz vor seinem Tod eine Geschichte über die Liebe: »Seit du klein warst, hast du immer davon geträumt, dass du eines Tages einen Löwen kennenlernst. Und du wartest und wartest und wartest, aber der Löwe kommt nicht vorbei. Und dann kommt irgendwann eine Giraffe. Du kannst allein bleiben, oder du kannst es mit der Giraffe versuchen.«
Oliver antwortet ohne zu überlegen: »Ich würde weiter auf den Löwen warten.«
»Deshalb mache ich mir Sorgen um dich«, sagt Hal und er hat recht, denn Oliver hat sich im Laufe der Jahre emotional so verpanzert, dass er den Löwen nicht mal mehr erkennt, als er schließlich (in Form der sensiblen Anna) vor ihm steht.
In der Jugendzeit ist es wichtig, sich auszuprobieren und langsam ein Gefühl für die eigenen Bedürfnisse in einer Partnerschaft zu entwickeln. Wer auch im fortgeschrittenen Alter von einer Verliebtheit zur nächsten stürzt, kann sich folgende Fragen stellen: Will ich überhaupt eine Beziehung? Möchte ich mich wirklich an eine einzige Person binden? Was befürchte ich, wenn ich mich auf eine Person und eine Beziehung einlassen würde? Oft sind es unbewusste Ängste vor Nähe und Verbindlichkeit, die unsere Sehnsucht in engen Bahnen halten und uns nicht erlauben, eine Beziehung auszuprobieren.
Manche Singles sind allerdings auch davon überzeugt, dass sie noch nicht den Richtigen gefunden haben. Aber was ist das – und gibt es ihn überhaupt: den »richtigen« Partner?
Warum ein bisschen Prinzessin okay ist und zu wilde Träume einsam machen
»Faaabian, meinst du, ich werde irgendwann den Passenden für mich finden?«, fragt Claire, eine bildschöne Brasilianerin, die seit ein paar Jahren in Hamburg wohnt und genauso lange Single ist, ihren Mitbewohner. Er schaut sie kurz zweifelnd an und murmelt dann: »Jeder Topf findet einen Deckel.« Claire überlegt eine Weile, wie das Sprichwort zu verstehen ist und kreischt dann: »Und was, wenn ich eine Pfanne bin?«
Claire war keine Pfanne, sie hat nun seit ein paar Jahren einen festen Freund. Woran liegt es aber, wenn Frauen lange Single sind – ohne dies zu wollen? »Du hast zu hohe Erwartungen« ist ein typischer Vorwurf, der Single-Frauen gern gemacht wird. »Du suchst nicht richtig« ein weiterer. »Die guten Männer sind ab einem bestimmten Alter alle vergeben« ist eine Erklärung, der sowohl alleinstehende als auch gebundene Frauen gerne zustimmen. Überprüfen wir diese Annahmen.3
Es war einmal ein König, der wollte seine Tochter vermählen und lud alle standesgemäßen Junggesellen ins Schloss ein. Die stolze Prinzessin jedoch wollte gar nicht heiraten und verhöhnte ihre Bewerber. Als sie den letzten Freier wegen seines krummen Kinns als »König Drosselbart« verlachte, verlor ihr Vater die Geduld. Als Strafe für ihren Hochmut verfügte er, dass sie den erstbesten Bettler zum Mann nehmen sollte, der am Hofe erschien. Ein paar Tage später machte der Vater seine Drohung wahr: Die Prinzessin wurde mit einem Bettler verheiratet, musste mit ihm in eine ärmliche Hütte ziehen und dort niedere Dienste verrichten. Sie bereute schnell, dass sie nicht den wohlhabendsten ihrer Verehrer − König Drosselbart − gewählt hatte und nun stattdessen ein Leben an der Seite eines armen Spielmanns fristen musste. Nachdem die Prinzessin viele Demütigungen über sich ergehen lassen musste, gab sich der Bettler als König Drosselbart zu erkennen und führte die mittlerweile geläuterte Prinzessin als rechtmäßige Braut in sein Schloss ein. Die Moral von der Geschicht’: Als Mädchen schön gehorsam und bescheiden sein, sonst bekommt man als Strafe den Staub auf der Straße.
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