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Was macht man, wenn man in den Freund seines jüngeren Bruders verliebt ist? Wenn dieser Freund gleichzeitig der beste Kumpel ist? Was macht man, wenn noch jemand auf der Bildfläche erscheint, der das eigene - sowieso schon völlig gestörte - Seelenleben noch mehr durcheinander bringt? Und was macht man, wenn dieser jemand der Bruder der unerreichbaren großen Liebe ist?
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Veröffentlichungsjahr: 2016
Ich stöhnte leicht genervt und drückte die Zimmertür hinter mir ins Schloss.
Das ständige Geplapper meines zwei Jahre jüngeren, vierundzwanzigjährigen Bruders ging mir auf die Nerven. Wo nahm er nur immer seine Energie her? Da war er den ganzen Tag bei der Arbeit und packte sich den Abend auch noch mit irgendwelchen Aktivitäten voll. Und ich?
Ich hatte den Tag an der Uni verbracht, mit ausgedehnter Mittagspause und einem Nachmittag, der lediglich eine Vorlesung enthielt und war jetzt trotzdem einfach nur froh, eine Tür zwischen mich und die Welt schieben zu können. Und zwischen mich und meinen Bruder.
Ich liebe ihn, wirklich, aber ich hatte gerne meine Ruhe. In diesem Punkt waren wir beide überhaupt nicht kompatibel, obwohl wir uns sonst eigentlich gut ergänzten. Wir waren vor einigen Jahren zusammen in eine WG gezogen. Ich wegen meines Studiums, er wegen seiner Ausbildung. Wir hatten die elterliche Nestwärme gegen eine leicht zugige, hellhörige und uralte Zweizimmerwohnung eingetauscht und fanden es meistens klasse.
Blöd war eigentlich nur die dämliche Putzerei, die ich auch noch für wichtig erachtete, während mein Bruder es immer ewig vor sich herschob, bis ich kurz vorm Ausrasten stand. Dies war ein Punkt, in dem wir uns nicht wirklich einig wurden und der schon so manches Mal in einem handfesten Streit geendet hatte. Jetzt, nach knapp vier Jahren des Zusammenlebens, hatten wir endlich einen Putzplan eingeführt. Meistens funktionierte das mit der Einteilung sogar. Meistens.
Mein Bruder schien im Nachbarzimmer in eine hitzige Diskussion verstrickt zu werden, denn seine Stimme wurde immer lauter und vor allem sprach er immer schneller und legte nur gelegentlich kurze Sprechpausen ein. Anscheinend war sein Telefonpartner genauso geschwätzig wie er.
Ich verdrehte nur kurz die Augen. Das kannte ich schon und war inzwischen ein regelrechter Meister des Ausblendens geworden. Ich schmiss meine Tasche mit dem Unikram in eine Ecke und tauschte meine Jeans gegen eine gemütliche und völlig ausgeleierte, alte Jogginghose, bevor ich es mir mit meinem Buch auf dem Bett gemütlich machte.
Auf das Teemachen verzichtete ich in weiser Voraussicht. Solange mein Bruder im Sprechmodus und ganz offensichtlich nicht so gut gelaunt war, würde ich meine kleine, sechzehn Quadratmeter Höhle bestimmt nicht mehr verlassen. Wer brauchte schon Tee?
Ich zuckte kurz zusammen, als Davids Zimmertür vernehmlich zugeknallt wurde und dann seine Schritte auf dem Flur erklangen.
Oh, bitte nicht! Bitte nicht! Bitte…
Meine Zimmertür wurde schwungvoll geöffnet und der dunkelblonde Haarschopf meines Bruders spähte herein. Mist!
„Noah, ich gehe nochmal kurz weg“, verkündete er und hatte sein attraktives Gesicht ärgerlich verzogen.
„Alles klar!“ Ich wedelte unbestimmt mit meinem Buch und war heilfroh, dass er sich seinen Gesprächsbedarf nicht bei mir holte.
„Ich bin dann mal weg. Warte nicht auf mich. Adrian ist so ein Vollidiot.“ Damit knallte er meine Tür zu und gleich darauf auch noch die Wohnungstür. Und ich saß mit meinem Buch auf dem Bett und konnte mich jetzt doch nicht mehr richtig aufs Lesen konzentrieren. Adrian also. Ich verfluchte mich dafür, dass sich irgendetwas in mir schmerzhaft zusammenballte.
War doch eigentlich klar, dass der sich David ausgesucht hatte. Wenn man die Auswahl zwischen zwei schwulen Brüdern hatte, wählte man natürlich den attraktiveren, sozialeren und lustigeren aus. Nicht den älteren, ruhigen und eher verschlossenen Bruder. Dabei war ich nach außen hin gar nicht so verschlossen. Ich machte Späße, redete viel – ja, das konnte ich auch – hatte einen festen Freundeskreis, aber wie es in mir drin aussah, wusste eigentlich niemand. Wirklich niemand.
Das Ironische war nur, dass Adrian zu meinem Freundeskreis gehörte und meine beste Freundin die Idee hatte, ihn meinem Bruder vorzustellen, weil der genau Adrians Typ entsprach. Und was tat ich? Anstatt nein zu sagen, ihr zu erklären, dass ich Adrian lieber für mich selbst haben wollte, nickte ich grinsend und zwei Tage später waren sie ein Paar.
Okay, das war jetzt übertrieben. Es hatte fast einen Monat gedauert, denn mein Bruder war kein Flittchen. Er war Romantiker. Suchte den Einen, mit dem er alt werden konnte. Mit dem er sich in kalten Winternächten vor den Kamin kuscheln konnte. Er war in dieser Beziehung sehr wählerisch und prüfte jeden auf Herz und Nieren und hüpfte mit niemandem einfach so in die Kiste, obwohl er die freie Auswahl hatte.
Und dann pickte er sich ausgerechnet Adrian heraus. Ausgerechnet. Und ich war zu feige zuzugeben, dass ich selber Interesse an ihm hätte. Interesse. Das war dann wohl die Untertreibung. Ich hatte mein Herz an diesen Kerl gehängt und niemand schien es zu merken. Und ich konnte einfach nicht aus meiner Haut.
Es gab nichts, das Noah Frick wirklich persönlich nahe ging. Nicht, wenn es um ihn und sein Herz ging. Er war der lockere, entspannte Typ, der immer einen Spruch auf Lager hatte und seine Freunde mit Belanglosigkeiten abspeiste.
Dabei liebte ich meine Freunde. Tina war meine beste Freundin seit dem ersten Semester, als wir beide wie die letzten Idioten in der Unibibliothek standen, weil wir unsere Gruppe aus den Augen verloren hatten. Es war wirklich kein Spaß, als unbeholfener Neuling in der Bibliothek zu stranden. Man konnte froh sein, wenn man den Ausgang wiederfand. Wir hatten ihn schließlich gefunden und waren Kaffeetrinken gegangen, statt uns zu unserer Gruppe durchzuschlagen.
Katha kam dann dazu, als wir eine Lerngruppe gebildet hatten, um die verflixte Klausur zu bestehen, genauso wie Adrian. Zu Anfang war Adrian gar nicht so auf meinem Schirm aufgetaucht. Irgendwie war das wohl ein schleichender Prozess gewesen, der sich in den letzten Jahren immer penetranter in meinen Gehirnwindungen festgesetzt hatte. Und jetzt war er mit meinem kleinen Bruder zusammen.
Seufzend ließ ich mich zurück in meine Kissen fallen und bedeckte meine Augen mit meinem Unterarm. Wieso tat es nur so höllisch weh? Ich musste diese Schwärmerei abschütteln. Schließlich war er seit fast einem halben Jahr nicht mehr auf dem Markt, weil mein Bruder ihn eingesackt hatte. Oder hatte Adrian ihn eingesackt? Keine Ahnung. Ich wollte jetzt auch nicht mehr darüber nachdenken. Stattdessen drehte ich mich auf den Bauch und tauchte in eine Welt ab, in der es keine Adrians, Davids und Noahs gab.
Irgendwann in der Nacht wachte ich auf. Meine Leselampe brannte immer noch und mein Gesicht lag auf der Kante meines aufgeschlagenen Buches. Na ganz toll. Das gab einen Abdruck. Der würde vermutlich ähnlich aussehen wie der, den die Leute in der Uni quer über der Wange hatten, wenn sie während der Vorlesung mit dem Kopf auf dem kleinen Tischchen eingenickt waren. Daran erkannte man immer die Unischläfer.
Ein Blick auf den Wecker sagte mir, dass es erst oder schon – je nachdem – ein Uhr war.
Gähnend rollte ich von meinem Bett und tappte leise ins Bad. Ich wollte die Naturgewalt schließlich nicht aufwecken. Wenn er denn schon wieder da war.
Mit der Zahnbürste im Mund stand ich schließlich vor dem Badezimmerspiegel und hing meinen Gedanken nach.
Wir waren uns eigentlich gar nicht so unähnlich. Vom Äußeren her. Brüder eben. Wir hatten die gleiche Haarfarbe, nur dass meine Haare nicht so glatt waren wie seine. Unsere Augen ähnelten sich, der Mund. Vielleicht plapperte ich auch nur irgendwelchen Tanten nach, die immer behaupteten, dass wir Frick-Geschwister uns so ähnlich waren. Meine Schwester war von dieser Diagnose überhaupt nicht angetan. Welche Frau mochte es auch schon, wenn sie mit ihren Brüdern verglichen wurde? Ob es ihr ein Trost war, dass wir schwul waren?
Vermutlich eher nicht. Immerhin bestand die Gefahr, dass wir ihr die Männer wegschnappten. Behauptete sie immer. Allerdings spaßeshalber. Wir würden uns nie ins Gehege kommen. Wenn sich einer von uns einen Typen rausgesucht hatte, war der tabu für die anderen.
„Hey, wenn du weiter so mit deiner Zahnbürste schrubbst, hast du bald keine Zähne mehr im Mund.“
Erschrocken fuhr ich zusammen und begegnete Adrians Blick im Spiegel.
Ich spuckte aus und spülte kurz nach, bevor ich mich zu ihm umdrehte.
„Hast du mich erschreckt, Mann.“ Ich zwang mir ein lässiges Grinsen ins Gesicht und versuchte mich nicht davon ablenken zu lassen, dass er nur in Boxershorts vor mir stand. Sein braunes Haar war vom Schlaf zerzaust – oder von etwas anderem – und hing ihm in die Stirn. Seinen Körper versuchte ich weitestgehend aus meinem Bewusstsein auszublenden. Da hatte ich ja schon Übung drin. Ansonsten würde ich jetzt wohl stierend vor mich hin sabbern.
„Kein Wunder. Wo warst du denn mit den Gedanken?“ Er griff ebenfalls nach seiner Zahnbürste, die er im Glas meines Bruders deponiert hatte.
„Wahrscheinlich noch im Halbschlaf.“ Ich zuckte die Achseln und versuchte nicht darüber nachzudenken, warum mich eine Zahnbürste so dermaßen stören konnte.
Ich griff mir mein Schlafzeug vom Haken hinter der Tür und nickte ihm kurz zu.
„Wir sehen uns morgen früh!“ Mein Gesicht tat schon weh von dem Dauergrinsen.