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Unternehmen sind heute mehr denn je von funktionierenden Lieferketten abhängig und können Risiken, die sich aus komplexen Beschaffungswegen ergeben, nicht mehr ignorieren. Dieses Buch beschreibt, wie ein systematisches Lieferkettencontrolling aufgebaut sein muss und benennt die Kennzahlen für ein modernes Lieferkettencontrolling. Es erläutert, wie Lieferketten nach tatsächlichen Kosten und Risiken beurteilt werden und eine mögliche Versorgungsbedrohung frühzeitig festgestellt wird. Zudem zeigt es, wie vorhandene Lieferketten überwacht, optimiert und gestaltet werden und bietet somit Entscheidungsvorlagen für die Beurteilung aktueller und den Aufbau neuer Lieferketten. Der Autor Reinhard Bleiber verwendet bestehende Instrumente aus dem Controlling, vernetzt zudem neue Verfahren und zusätzliche Datenquellen miteinander, um so die wachsende Komplexität, steigende Abhängigkeiten und erhöhte Risiken berücksichtigen zu können. Inhalte: - Die Bedeutung von Lieferketten - Lieferketten identifizieren, dokumentieren und darstellen - Risiken feststellen, Chancen beurteilen, Maßnahmen definieren - Steuern von Lieferketten: überwachen, warnen, reagieren - Start des Controllings mit den ersten Lieferketten - Lieferkettencontrolling vervollständigenDie digitale und kostenfreie Ergänzung zu Ihrem Buch auf myBook+: - E-Book direkt online lesen im Browser - Persönliche Fachbibliothek mit Ihren BüchernJetzt nutzen auf mybookplus.de.
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Reinhard Bleiber
Lieferkettencontrolling
1. Auflage, Juni 2023
© 2023 Haufe-Lexware GmbH & Co. KG, Freiburg
www.haufe.de
Bildnachweis (Cover): © Chunyip Wong, iStock
Produktmanagement: Dipl.-Kfm. Kathrin Menzel-Salpietro
Lektorat: Helmut Haunreiter
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Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird bei Personenbezeichnungen und personenbezogenen Hauptwörtern entsprechend den Empfehlungen des Rats für Deutsche Rechtschreibung und gemäß dem Amtlichen Regelwerk der deutschen Rechtschreibung in diesem Buch die männliche Form im Sinne des generischen Maskulinums verwendet. Entsprechende Begriffe beziehen sich ausdrücklich auf Personen jeglichen Geschlechts. Die verkürzte Sprachform hat nur redaktionelle Gründe und beinhaltet keine Wertung
Lieferketten waren lange Zeit ein Thema vor allem für große Unternehmen, Konzerne und Gesellschaften. In kleinen und mittleren Unternehmen hingegen wird heute noch oft die Sicherung der Wege, die die benötigten Rohstoffe, Werkstoffe, Bauteile und Produkte bis zum Unternehmen zurücklegen, allein der Einkaufsabteilung überlassen. Das war lange Jahre auch ausreichend. Die Entwicklungen der letzten Monate haben aber gezeigt, dass dies heute nicht mehr genügt.
Bewährte Beziehungen zu wichtigen Lieferanten sind zerbrochen, Container mit dringend benötigten Waren für die Unternehmen sind auf den Transportwegen blockiert, unkalkulierbare Lieferzeiten werden zur Normalität. Die Ursachen sind bekannt: Die Coronapandemie führte und führt noch immer zu Personalengpässen in den liefernden Unternehmen und auf den Transportwegen. Hinzu kommen die politisch entschiedenen Lockdowns, die in vielen Lieferländern, vor allem in China, zu wesentlichen Störungen geführt haben. Darauf trafen dann die faktischen Einschränkungen durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine mit den damit verbundenen politisch durchgesetzten Sanktionen.
Zu diesen tatsächlichen Störungen in den Lieferketten kommen neue politische Vorgaben, die aktuell in Form des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz deutsche (und europäische) Unternehmen für die Einhaltung von Menschenrechten und die Berücksichtigung von Umweltschutz in der gesamten Lieferkette verantwortlich machen. Die Entwicklungen im Klimaschutz, die Forderung der Verbraucher nach Nachhaltigkeit und die Sanktionen als politische Waffe gegen unliebsame Staaten, Unternehmen oder Unternehmer bieten ein weites Feld an Gründen, um die Verantwortung in den Unternehmen für das Funktionieren ihrer Lieferketten auf mehrere Schultern zu verteilen.
Gleichzeitig können sich auch kleine und mittlere Unternehmen der steigenden Komplexität der Lieferketten nicht entziehen. Der Preisdruck auf den Märkten zwingt zur Nutzung besonders preiswerter Lieferquellen, die sich meist nur im weit entfernten Ausland finden lassen. Immer mehr Stoffe oder Bauteile werden nur noch in wenigen Gegenden der Welt hergestellt und angeboten. Und selbst, wenn der Einkäufer einen Händler der begehrten Waren in Europa oder in Deutschland findet, bleibt die Lieferkette zum Hersteller in Asien, Afrika oder Lateinamerika bestehen. Denn der Händler selbst beschafft sich seine Produkte von dort, grundsätzliche Risiken bleiben also.
Hinzu kommt die wachsende Erkenntnis, dass sich in den Lieferketten wesentliches Potenzial versteckt. Durch intensive Arbeit an den Lieferketten können Kosten gesenkt, Verbesserungen in den Produkten und Verfahren erreicht und die Abläufe optimiert werden. Voraussetzung ist die Kenntnis der exakten Lieferkette auch für den Nachweis oder die Verbesserung des nachhaltigen Handelns des Unternehmens, ein für immer mehr Kunden und damit für die Marketingabteilungen wichtiger Punkt.
Der allseits beklagte Fachkräftemangel ist nur einer der sichtbaren Gründe dafür, dass Überlegungen zu Lieferketten nicht ausschließlich auf Waren bezogen werden dürfen. Genauso wichtig ist die Versorgung des Unternehmens mit Arbeitskräften und Dienstleistungen. Ebenso entspricht die geordnete Beschaffung von Kapital den Strukturen einer Lieferkette. Die Abhängigkeit der Unternehmen von dem Funktio[12]nieren der Lieferketten für alle benötigten Wirtschaftsfaktoren ist stark gestiegen. Die Risiken, die sich aus den komplexen Beschaffungswegen ergeben, können nicht mehr ignoriert werden. Es ist an der Zeit für ein systematisches Lieferkettencontrolling auch in kleinen und mittleren Unternehmen.
Und zum Schluss noch ein Hinweis: Lieferkettencontrolling ist komplex, weshalb sich die einzelnen Themenbereiche häufig gegenseitig durchdringen. Zahlreiche Aspekte spielen daher in unterschiedlichsten Bereichen eine Rolle. Ich habe es als sehr hilfreich erachtet, solche Aspekte nicht nur einmal zu erläutern, sondern sie überall dort, wo sie relevant sind, wiederholt kurz zu skizzieren. Das erleichtert es Ihnen, das Gelesene auch ohne mühsam hin und her blättern zu müssen richtig einzuordnen. Zudem hilft es, wenn Sie zu einem späteren Zeitpunkt lediglich bestimmte Themen nochmals punktuell vertiefen möchten.
Lengerich, März 2023
Reinhard Bleiber
Abb. 1:
Globale Beziehungen.
Abb. 2:
Kreislauf der Planung.
Abb. 3:
Zwei Listen mit Rangfolgen.
41Abb. 4:
Rangfolge mit errechnetem Bewertungswert.
Abb. 5:
Struktur entsteht durch Dokumentation.
Abb. 6:
Lieferkette als Text (stark vereinfachtes Beispiel).
Abb. 7:
Beispiel dreier paralleler Lieferketten als Tabelle (stark vereinfachtes Beispiel)
Abb. 8:
Lieferkette als Tabelle (stark vereinfachtes Beispiel).
Abb. 9:
Lieferkette als Grafik, Version 1 (stark vereinfachtes Beispiel)
Abb. 10:
Lieferkette als Tabelle, Version 2 (stark vereinfachtes Beispiel).
Abb. 11:
Vergleich zweier Lieferketten
Abb. 12:
Ursachenmatrix Südostasien
Abb. 13:
Tabelle mit Ursachenmatrix Regionen.
Abb. 14:
Tabelle Liefertreue
Abb. 15:
Ursachenmatrix mit Wahrscheinlichkeiten.
Abb. 16:
Chancenmatrix.
Abb. 17:
Szenario-Analyse Deckungsbeitrags-Entwicklung.
Abb. 18:
Szenario-Analyse Liquidität
Abb. 19:
Verlauf der Gefährdungskennzahlen 1–3
Abb. 20:
Portfolio-Analyse Lieferketten
Abb. 21:
Portfolio-Analyse mit jeder Lieferkette.
Abb. 22:
Beispiel-Grafik mit unterschiedlich großen Bereichen.
Abb. 23:
Beispiel-Grafik mit diagonalen Bereichen.
Abb. 24:
Portfolio-Analyse mit Zeitvergleich.
Abb. 25:
Dashboard Gefährdungsanalyse
Abb. 26:
Portfolio-Analyse mit geplanten Veränderungen.
Abb. 27:
Schematische Darstellung der Beurteilung.
Abb. 28:
Datenfluss im Lieferkettencontrolling.
Abb. 29:
Zeitoptimum nach Verteilung der Zyklen.
Abb. 30:
Aktuelle Information über Lieferkette XYZ Brasilia
Abb. 31:
Darstellung Überblick als Ampel
Abb. 32:
Überblick mit Ampeldarstellung
Abb. 33:
Überwachung der Entwicklung mit Portfolio-Analyse
Abb. 34:
Wortwolke für alle Lieferketten
Abb. 35:
Wortwolke mit Risiken für den Finanzbereich
Abb. 36:
Darstellung als Kreisdiagramm.
Abb. 37:
Darstellung als Balkendiagramm.
Abb. 38:
Darstellung als Punktgrafik.
Abb. 39:
Punktgrafik mit Entwicklung.
Abb. 40:
Vergleich mit reduzierter Skala
[14]
Abb. 41:
Grafische Darstellung der Zeitreihen für Rohstoff 1 und 2
Abb. 42:
Agiles Lieferkettencontrolling.
Abb. 43:
Warnung vor Lieferausfall der Lieferkette 10
Abb. 44:
Beispiel Alarmbericht.
Abb. 45:
Eskalationsstufen für Warnungen.
Abb. 46:
Beispiel Dashboard Rohstoffe.
Abb. 47:
Dashboard zur Nachhaltigkeit
Abb. 48:
Zeitstrahl in einer Dokumentation.
Abb. 49:
Checkliste Risiken finden.
Abb. 50:
Checkliste Eintrittswahrscheinlichkeit berechnen.
Abb. 51:
Arbeitsblatt Feststellen Abhängigkeit.
BI
Business Intelligence
CSR
Corporate Social Responsibility
EU
Europäische Union
GuV
Gewinn- und Verlustrechnung
HGB
Handelsgesetzbuch
KI
Künstliche Intelligenz
LkSG
Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, auch Lieferkettengesetz
MVO
Maatschappelijk Verantwoord Ondernemen (Soziale Verantwortung des Unternehmens)
RoW
Rest of the World
USA
United States of America (Vereinigte Staaten von Amerika)
Jede wirtschaftliche Tätigkeit verbraucht ähnliche Faktoren: Rohstoffe, Werkstoffe, Bauteile und andere Güter werden verarbeitet und gehandelt. Arbeitskräfte und Dienstleister werden eingesetzt. Eigen- oder Fremdkapital finanziert die notwendigen Abläufe. Nur selten sind alle notwendigen Faktoren in einem Unternehmen an einem Ort verfügbar. Der früh entstandene Tauschhandel und vor allem die Industrialisierung mit einer weitgehenden Arbeitsteilung haben zu vielfältigen Liefer- und Abnahmebeziehungen zwischen Unternehmen und Verbrauchern geführt.
Bereits sehr früh wurden Metalle, Holz und andere Waren über weite Entfernungen gehandelt. So wurde z. B. nachgewiesen, dass bereits um 2.500 vor Christus Zinnbarren aus England bis nach Palästina gehandelt wurden. Selbst heute wäre das noch eine durchaus komplexe Lieferkette. Die Regel war jedoch viele Jahrhunderte lang, dass die Faktoren über kurze Wege in die Manufakturen und frühen industriellen Fertigungsstätten gelangten. Störungen in den Lieferbeziehungen wurden durch widerstandsfähige Strukturen in den Lieferketten aufgefangen, Abhängigkeiten der Unternehmen waren gering oder für die Gesamtwirtschaft ohne große Bedeutung.
Eine wesentliche Veränderung in den relativ einfachen, aber resilienten Strukturen brachte die Globalisierung mit sich. Die internationalen Märkte öffneten sich, zunächst für große Konzerne, wenig später auch für kleine und mittlere Unternehmen. Die stetig wachsende Digitalisierung wirtschaftlicher Abläufe in den letzten Jahrzehnten hat es zusätzlich erleichtert, Produkte und Leistungen außerhalb der lokalen und regionalen Märkte zu verkaufen und gleichzeitig die benötigen Güter und Leistungen von internationalen Partnern zu beschaffen. Selbst kleinere Handwerker können sich z. B. über entsprechende digitale Plattformen im Internet Kapital in der ganzen Welt besorgen.
Abb. 1: Globale Beziehungen
[16]Die Globalisierung, verstärkt durch die Digitalisierung, ist ein wichtiger Treiber des weltweit wachsenden Wohlstands – wovon auch die Länder profitieren, die hinsichtlich des Wohlstands weniger privilegiert sind. Grundvoraussetzung für die Nutzung der Vorteile auf allen Ebenen der Zusammenarbeit ist der möglichst reibungslose Ablauf der notwendigen Aktivitäten zwischen den Unternehmen. Die Lieferketten müssen funktionieren, damit weiteres Wachstum möglich ist, der technische Fortschritt weiter geht und letztlich die Menschen in allen beteiligten Ländern profitieren.
Dass die Lieferketten global aus dem Rhythmus geraten können, zeigt die jüngste Vergangenheit. Weltweite, unterschiedlich starke staatliche Reaktionen auf die Coronapandemie haben die Lieferketten auf allen Ebenen gestört. Staatliche Sanktionen als Reaktion auf den Krieg in der Ukraine und die direkten Auswirkungen der kriegerischen Auseinandersetzungen haben bewährte Lieferketten unterbrochen. Das fein aufeinander abgestimmte Räderwerk der globalen Zusammenarbeit funktioniert an vielen Stellen nicht mehr, bereits das vorübergehende Blockieren des Suezkanals aufgrund eines kleinen Fehlers des Kapitäns führt zu wesentlichen Störungen.
Dadurch ist der gewohnte Lebensstandard in den westlichen Industrienationen bedroht, aber auch die Menschen in den anderen Ländern der globalen Wirtschaft leiden. Die Nähereien in Bangladesch beschäftigen keine Arbeiter, wenn die europäischen Modeketten ihre Nachfrage reduzieren. Die chinesischen Wanderarbeiter verlieren ihr Einkommen, wenn Millionenstädte in den Lockdown gehen oder Häfen für mehrere Wochen nicht mehr arbeiten dürfen. Menschen verhungern, wenn der Transport von Getreide aufgrund eines Krieges nicht mehr möglich ist.
Alle Glieder einer Lieferkette werden ihr Möglichstes tun, um Störungen oder gar Unterbrechungen zu vermeiden. Zumindest müssen bei unvermeidbaren Ereignissen die Auswirkungen in den Lieferketten so gering wie möglich gehalten werden. Das geschieht durch Reaktionen in den Unternehmen auf die Vorgänge in den einzelnen Lieferketten. Dazu muss erkannt werden, welche Bedeutung die Lieferketten für das jeweilige Unternehmen haben. Das Instrumentarium für die erfolgreiche Steuerung der Lieferketten findet sich im Controlling, genutzt werden muss es in der Zusammenarbeit mit allen betroffenen Unternehmensbereichen.
Während die internationalen Lieferketten für die Gesamtwirtschaft aus Sicht der Wirtschaftswissenschaftler positiv sind, ist für eine entsprechende Aussage für ein Unternehmen eine individuelle Betrachtung notwendig. Gerade kleine und mittlere Unternehmen gehören nicht immer zu den freiwilligen Nutzern komplexer Lieferbeziehungen. Doch auch für kleinere Unternehmen kann es sinnvoll sein, internationale Lieferketten zu nutzen. Es gibt eine Reihe von Aspekten, die von Unternehmen – unabhängig von ihrer Größe – im Zusammenhang mit internationalen Lieferketten betrachtet werden sollten:
Kostenzwang: Die Preise für viele Güter und Waren, die aus den typischen Niedrigpreisländern importiert werden, liegen oft weit unter denen für vergleichbare Alternativen aus Deutschland oder aus der [17]EU. Wenn sich ein deutsches Unternehmen weigert, wichtige Güter und Leistungen in Asien, Afrika oder Lateinamerika einzukaufen, muss es mit einem signifikanten Wettbewerbsnachteil kämpfen.
Hinweis: Echte Kosten berücksichtigen
Die Preisdifferenz zwischen Gütern und Leistungen aus Deutschland oder der EU zu den entsprechenden Alternativen aus Billigpreisländern ist meist nur auf den ersten Blick enorm. In einem späteren Kapitel werden wir sehen, dass zu den üblicherweise verwendeten Kostenbestandteilen wie Einkaufspreis und Transportkosten wesentliche Beträge addiert werden müssen. Problematisch ist dies, da viele der Kostenbestandteile von Risikowahrscheinlichkeiten abhängen, also nur dann tatsächlich anfallen, wenn es zu Störungen kommt.
Gleichzeitig versteckt sich in den komplexen Lieferketten weiteres Potenzial zur Kostensenkung. Denn neben dem Einkaufspreis bestimmen Kosten für Transport, Bearbeitung des Beschaffungsmarktes, Risikominimierung oder Qualitätsprobleme die tatsächlichen Materialkosten. Durch Veränderung der Lieferkette, Vereinfachung oder Optimierung, können möglichst niedrige Kosten erreicht werden.
Konzentration der Quellen (wirtschaftlich): Durch die globalen Lieferketten werden in den Hochpreisländern ganze Branchen vernichtet. Die niedrigen Preise, die für alle Abnehmer durch die globale Zusammenarbeit möglich werden, lassen die Nachfrage nach den teureren Gütern und Leistungen zurückgehen und schließlich ganz versiegen. Die betroffenen Anbieter in Deutschland oder der EU können meist nur begrenzt durch Automatisierung oder Entwicklungsvorsprung reagieren. Letztlich verschwinden die Hersteller vom europäischen Markt. Alle Verbraucher müssen über entsprechende globale Lieferketten ihren Bedarf decken.
Hinweis: Händler verlängern Lieferketten
Nicht jede Bedarfsmenge rechtfertigt den direkten Einkauf der benötigten Güter und Leistungen im globalen Ausland. Dann müssen Händler im eigenen Land oder im benachbarten Ausland eingeschaltet werden, die über lange Lieferketten ein entsprechendes Angebot sicherstellen. Das bedeutet aber, dass zur eigentlichen Lieferkette noch zwei Glieder, der Händler und der zusätzliche Transporteur, hinzukommen. Die Lieferkette wird länger und damit komplexer.
Konzentration der Quellen (natürlich): In den aktuellen Diskussionen wird vorwiegend die Konzentration, die durch die Globalisierung erst entsteht, beklagt. Dabei gibt es immer schon eine natürliche Konzentration der Quellen für Güter und Leistungen. Das Zinnvorkommen in England war vor 4.500 Jahren für viele Menschen und »Unternehmen« die einzige Lieferquelle für dieses Metall. Das ist vergleichbar mit den Seltenen Erden, die aktuell nur an wenigen Stellen auf der Welt gefunden werden. Gebraucht werden sie weltweit. Genauso selbstverständlich ist eine Beschränkung der möglichen Lieferanten für viele Naturprodukte (z. B. Zuckerrohr, Baumwolle, Kartoffeln, Weizen …), da diese nur in bestimmten klimatisch geeigneten Regionen angebaut werden können. Ob die Konzentration der Quellen wirtschaftliche Gründe hat oder durch die Natur vorgegeben wird, ist für Unternehmen gleichgültig. Sie sind gezwungen, die notwendigen Lieferketten aufzubauen.
Nachfragedruck: Die aus dem Ausland stammenden Waren sind nicht unbedingt exakte Kopien der regional oder lokal angebotenen Produkte. Oft enthalten sie zusätzliche Funktionen oder einen durchaus [18]erkennbaren Hinweis zum Ursprung von Design oder Technik. Dies kann von den Kunden der deutschen Unternehmen als Vorteil gesehen werden. Die Nachfrage wird sich auf entsprechende Angebote konzentrieren, das Unternehmen muss reagieren und seine Vorprodukte oder Leistungen aus den entsprechenden globalen Quellen besorgen.
Funktionsfähige Strukturen: Die Globalisierung hat sich über viele Jahre entwickelt, wobei die Geschwindigkeit der Entwicklung in den letzten Jahren zugenommen hat. Im Zuge dieser Entwicklung haben sich die dafür notwendigen Strukturen für Kontakte, Qualitätsbeurteilungen, Transporte usw. gebildet, die sich bewährt haben. Unternehmen, die den Aufwand für einen globale Beschaffung bisher gescheut haben, haben nun die Möglichkeit, diese Wege und Beziehungen kostengünstig zu nutzen. Entsprechende Lieferketten lassen sich in den bereits funktionierenden Strukturen leichter aufbauen. Das reduziert zwar die Risiken innerhalb der Lieferketten, allerdings können die Gefahren niemals vollständig eliminiert werden.
Nachhaltigkeit: Anbieter von Konsumartikeln sind heute gezwungen, Aussagen zur Nachhaltigkeit ihrer Produkte zu machen. Viele Konsumenten verlangen Informationen zu Inhaltsstoffen und deren Beschaffung, die Einhaltung von Umweltschutz und Menschenrechten, die Gewährleistung von Diversität, das nachhaltige Wirtschaften und die Beachtung von Regeln zum Klimaschutz. Ein großer Teil der dafür notwendigen Informationen stammt aus der Lieferkette.
Hinweis: Nachhaltigkeit optimieren
Wenn die Nachhaltigkeit der Produkte eines Unternehmens verbessert werden soll oder muss, spielen die Lieferketten eine wichtige Rolle. Diese zu verändern, kann zur wesentlich besseren Beurteilung dieses immer wichtiger werdenden Faktors beitragen. Die vorhandenen Lieferketten bieten also Potenzial zur weiteren Optimierung der Nachhaltigkeit, z. B. durch Veränderung des Einkaufsortes oder eines Transportweges.
Angebot optimieren: Dank der erweiterten globalen Auswahl an Waren und Dienstleistungen haben potenzielle Kunden in Deutschland und der EU nun auch neue Möglichkeiten, ihr Angebot zu optimieren. Zum einen können die niedrigeren Kosten für die eigene Preiskalkulation genutzt werden, um Marktanteile zu gewinnen oder den Deckungsbeitrag der Produkte zu erhöhen. Zum anderen bieten neue Funktionen in den Bauteilen, neue Rohstoffe und andere Waren die Möglichkeit, neue Produkte herzustellen oder zu handeln. Das hat bereits viele Märkte mit zusätzlichen oder anderen Produkten umgestaltet.
Die Globalisierung hat auf der Beschaffungsseite also nicht nur zu Zwängen geführt. Es gibt auch Vorteile, die internationale Beschaffungsmärkte den Unternehmen jeder Größenordnung bieten. Allerdings sind die Lieferketten bei der internationalen Beschaffung im Vergleich zum lokalen oder regionalen Einkauf von Gütern und Leistungen wesentlich komplexer. Mit zunehmender Komplexität steigt auch das Risiko von Störungen und unzuverlässiger Belieferung. Das erhöhte Störungsrisiko gilt für alle Unternehmensbereiche, aber bei Lieferketten kommt erschwerend hinzu, dass Unternehmen stark von deren einwandfreiem Funktionieren abhängig sind.
Die Gefährdung deutscher Unternehmer durch Probleme in internationalen Lieferketten hat, neben den technischen und wirtschaftlichen Herausforderungen, eine zusätzliche Dimension erhalten. Seit Janu[19]ar 2023 müssen Unternehmen in Deutschland die Vorgaben des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) beachten und sicherstellen, dass in der gesamten Lieferkette Standards für Menschenrechte und Umweltschutz eingehalten werden. Die EU hat einen neuen Vorschlag zu diesem Thema veröffentlicht, der weit über die Regelungen des deutschen LkSG hinausgeht. Das zeigt, dass die Entwicklung in diesem Bereich noch nicht abgeschlossen ist, Lieferketten also immer wieder neue Risiken bewältigen müssen.
Hinweis: Betroffene Unternehmen
Seit dem 01.01.2023 gilt das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz für Unternehmen mit mehr als 3.000 Arbeitnehmern. Ab dem 01.01.2024 sinkt diese Grenze auf 1.000 Arbeitnehmer. Obwohl viele kleine und mittlere Unternehmen momentan nicht betroffen sind, sollten sie sich nicht in Sicherheit wiegen. Es ist absehbar, dass sich der Trend zu einer weiteren Verschärfung der gesetzlichen Vorgaben fortsetzen wird, sowohl inhaltlich (wie die EU-Vorschläge zeigen) als auch hinsichtlich der Unternehmensgröße.
Zudem: Wenn kleinere Unternehmen, für die die Verpflichtung gemäß dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz nicht gilt, an große Unternehmen verkaufen, die sich an die Verpflichtung halten müssen, sollten sie mit entsprechenden Anforderungen rechnen. Die großen Unternehmen werden ihre eigene Verantwortung auf die Lieferanten übertragen. Nicht jedes kleine Unternehmen kann sich dagegen wehren.
Die Vorteile einer komplexen Lieferkette müssen gegen die Kosten für die Sicherung von Zuverlässigkeit, Wirtschaftlichkeit und rechtlicher Zulässigkeit abgewogen werden. Gleichzeitig ist klar, dass die Lieferketten für Güter und Leistungen aus dem entfernten Ausland, aber ebenso für die Beschaffung von Waren, Leistungen, Arbeit oder Kapital in Europa oder weltweit eine hohe und wachsende Bedeutung für Unternehmen jeder Branche und Größe haben. Um dieser Bedeutung gerecht zu werden, muss ein System zur Steuerung der Lieferketten geschaffen werden. Der zu erwartende wesentliche Aufwand dafür ist angesichts der drohenden Gefahren gerechtfertigt. Die Spezialisten für die Steuerung von Unternehmensabläufen, für deren Planung und Überwachung finden sich in der Controllingabteilung.
In vielen Unternehmen liegt die Verantwortung für Lieferketten beim Einkauf. Dort werden sie jedoch entweder angesichts der gestiegenen Komplexität und der wachsenden Risiken nicht ausreichend professionell gesteuert oder sie verbrauchen einen großen Teil der Zeit der Einkäufer, die diese besser für ihre eigentlichen Aufgaben einsetzen sollten. Es gibt viele Gründe dafür, dass die Beschäftigung mit diesen Lieferbeziehungen im Controlling angesiedelt wird und dort ein systematisches Lieferkettencontrolling aufgebaut wird. Einige Motive, weshalb die Verantwortung für die Steuerung der Lieferketten im Controlling liegen sollte, sind:
Einkaufsaufgabe: Der Einkauf hat die Aufgabe, das Unternehmens mit den benötigten Gütern und Leistungen zu versorgen. Er trägt auch die Verantwortung für die zuverlässige Belieferung. Vom Lieferkettencontrolling, das im internen Rechnungswesen angesiedelt ist, wird die Erledigung dieser Aufgabe unterstützt. Die Verantwortung trägt dennoch der Einkauf, die Strukturen und Daten dazu liefert das Controlling nach gemeinsam vereinbarten Regeln.
[20]Steigende Ansprüche: Die Lieferketten im Unternehmen werden immer komplexer, gleichzeitig steigt die Abhängigkeit der Unternehmen von einer zuverlässigen Belieferung. Fehler in der Steuerung der Lieferbeziehungen sind immer wahrscheinlicher und mit größeren Auswirkungen belegt. Die Ansprüche an ein Lieferkettencontrolling steigen. Diese Aufgabe kann nicht mehr nebenher erledigt werden.
Laufende Aufgabe: Typisch ist, dass sich der Einkauf beim Aufbau einer neuen Lieferbeziehung intensiv mit der Lieferkette und ihren Risiken beschäftigt. Durch die veränderten wirtschaftlichen und politischen Situationen ist das nicht mehr ausreichend. Die Überwachung und die Beurteilung der Lieferkette müssen ständig als laufende Aufgabe durchgeführt werden, um drohende Probleme schnell erkennen zu können.
Nicht nur Einkauf: Die Überlegungen, die zur sicheren Versorgung des Unternehmens mit Gütern und Leistungen angestellt werden, gelten auch für Faktoren, die außerhalb der Einkaufsverantwortung liegen. Auch Dienstleistungen, die in den Fachabteilungen eigenständig organisiert werden (z. B. Wartungsarbeiten, Marketingleistungen), die Beschaffung von Mitarbeitern und die Sicherstellung von ausreichenden finanziellen Mitteln, unterliegen grundsätzlich den gleichen Beschaffungsstrukturen. Diese in einem zentralen System gemeinsam für alle Lieferketten zu betreuen, ist wirtschaftlich vernünftig und geboten.
Abhängigkeiten: Viele Unternehmensbereiche sind davon abhängig, dass die benötigten Güter und Leistungen zuverlässig verfügbar sind. Güter und Handelswaren müssen pünktlich eintreffen, damit die Fertigung nicht stockt bzw. der Vertrieb an seine Kunden liefern kann. Viele Abläufe im Unternehmen werden durch die Lieferketten gesteuert, die Fertigungstiefe wird bestimmt von den Lieferbeziehungen. Diese Abhängigkeiten betreffen nicht den Einkauf, sondern die abhängigen Unternehmensbereiche. Sie müssen also im Lieferkettencontrolling angemessen repräsentiert werden.
Reporting: Das Controlling kann die Berichterstattung zum Lieferkettencontrolling in das bestehende Reporting integrieren. Dadurch wird sichergestellt, dass eine aktuelle Information mit flexiblen Strukturen bereitgestellt wird, die sich den Veränderungen anpassen. Auf diese Weise erhalten nicht nur die für die Beschaffung verantwortlichen Bereiche im Unternehmen angepasste Berichte über die aktuelle Beurteilung der Lieferkette, sondern auch die von ihnen abhängigen Bereiche erhalten ausreichende Informationen.
Potenziale: Lieferketten bergen nicht nur Risiken, sondern auch Potenziale für wesentliche Verbesserungen. In Lieferketten gibt es noch Möglichkeiten zur Kostensenkung. Durch bisher nicht genutzte Güter und Leistungen aus den Lieferketten können neue Produkte und Verfahren im Unternehmen entstehen. Ein weiteres Potenzial liegt in der Optimierung der Ketten selbst. Das Thema Nachhaltigkeit kann durch die Daten der Lieferkette beschrieben werden und deren Verwendung kann als Marketingargument ausgebaut werden. Diese Potenziale werden in den beschaffenden Unternehmensbereichen nicht immer erkannt. Im Lieferkettencontrolling können diese systematisch gehoben werden. Die Steuerung von Abläufen und die damit verbundene Überwachung von Prozessen im Unternehmen sind typische Controllingaufgaben. Daten werden ermittelt, strukturiert, bewertet, überwacht und weitergegeben. In definierten Situationen werden Maßnahmen initiiert und der daraus resultierende Erfolg wird beobach[21]tet. Das alles sind Abläufe, die für ein erfolgreiches und wirtschaftliches Lieferkettencontrolling notwendig sind. Die positiven und negativen Auswirkungen von Lieferketten überschreiten Bereichsgrenzen im Unternehmen. Daher ist eine enge Zusammenarbeit zwischen den betroffenen Abteilungen notwendig. Der Controller übernimmt als Partner der Fachbereiche die Koordinierung und die technische Strukturierung des Lieferkettencontrollings.
Eine Kernaufgabe des Controllings ist die Planung der wichtigsten wirtschaftlichen Parameter. Im Lieferkettencontrolling ist das nicht anders, obwohl es meist nicht explizit erkannt wird. Die zeitlichen Dimensionen einer Unternehmensplanung gelten auch für die Lieferketten:
Strategie: Mithilfe der Unternehmensstrategie wird das gesamte Unternehmen in die von der Unternehmensleitung gewünschte Richtung gelenkt. Daraus abzuleiten sind die Bereichsstrategien für die unterschiedlichen Unternehmensbereiche, die alle Aktivitäten in den jeweiligen Abteilungen entsprechend den Vorgaben der Unternehmensstrategie steuern. Der Umgang mit Lieferketten muss grundsätzlich gesteuert werden, das geschieht mithilfe einer Strategie zu den Lieferketten. Eine eigene Strategie ist nicht notwendig, da die Vorgaben und Ziele als Teil der Unternehmens- und der Beschaffungsstrategie formuliert werden können. Das Controlling überwacht, ob die für die Lieferketten notwendigen Inhalte als Strategie festgelegt werden.
Beispiel: Typische strategische Inhalte
Ob das Unternehmen globale Bezugsquellen nutzt oder sich auf regionale Anbieter beschränkt, wird auf Strategieebene festgelegt. Angaben über das gewünschte Sicherheitsniveau, d. h. die Risikobereitschaft, werden ebenso auf dieser Ebene festgelegt. Auch die grundsätzliche strategische Entscheidung zu Eigenproduktion oder Fremdbezug hat wesentlichen Einfluss auf die Lieferketten des Unternehmens.
Mittelfristplanung: Aus der Strategie wird eine Planung für einen mittelfristigen Zeitraum abgeleitet. Dabei werden Ziele und Inhalte für die nächsten drei bis fünf Jahre bestimmt. Im Bereich der Lieferketten gibt es Aufgaben, die eine entsprechend lange Vorlaufzeit benötigen. So ist z. B. die Umstellung der globalen Beschaffung auf regionale oder lokale Quellen mit dem Aufbau von Beziehungen, Prüfungen und Vertragsverhandlungen verbunden, was einige Zeit beansprucht.
Budget: Im Budget werden regelmäßig wiederkehrend die nächsten 12 Monate geplant. Für die Lieferketten wird die Entwicklung der Parameter, die zur Beurteilung der Gefährdung notwendig sind, vorhergesagt. Dazu gehören unter anderem die Transportkosten, die verfügbaren Kapazitäten innerhalb der Kette oder die Wahrscheinlichkeit für politische, kriminelle oder wirtschaftliche Störungen. Das Ergebnis sind Prognosen für die Lieferketten, die erwartete Mengen, Kosten und Beschaffung für Güter und Leistungen für die kommenden 12 Monaten umfassen.
[22]Hinweis: Lieferkettenplanung als Teil des Budgets
Das Lieferkettencontrolling ist keine isolierte Aufgabe, sie ist in die üblichen Abläufe aller betroffenen Bereiche integriert. So ist die Jahresplanung der Beschaffungs- und Transportparameter Teil der gewohnten Budgetaufgaben, die zunächst in den Fachbereichen und dann im Controlling erledigt werden.
Forecast: Die Jahresplanung im Budget wird im Planjahr laufend, meist quartalsweise, überprüft. Für die Lieferketten bedeutet dies, dass die Annahmen aus dem Lieferkettenbudget neu gemacht werden. Haben sich die Angebote der genutzten Quellen verändert, die Transportmöglichkeiten und Kommunikationsparameter? Haben sich politische oder wirtschaftliche Rahmenbedingungen geändert, z. B. das Risiko eines Krieges im Erzeugerland? Das Ergebnis, der Forecast, ist die Grundlage weiterer Maßnahmen und Entscheidungen.
Wie weit die Planung der Lieferketten in die Gesamtplanung des Unternehmens integriert ist, zeigt der Kreislauf innerhalb der Planung (vgl. Abbildung 2).
Abb. 2: Kreislauf der Planung
Die Abbildung 2 zeigt den Planungsablauf in fünf Schritten:
Schritt 1: Zunächst werden aus der Vertriebsplanung, der Produktionsplanung und der Bestandsplanung die notwendigen Bedarfe in der Planperiode errechnet.
Schritt 2: Die Bedarfe an Rohstoffen, Werkstoffen, Bauteilen oder Handelswaren stellen die Grundlage dar für die Beschaffungsplanung. Teil der Beschaffungsplanung ist es, die Lieferkettenstruktur so zu planen, dass sie für die Erfüllung der Beschaffungsaufgabe optimal ist.
[23]Schritt 3: Die Parameter der Lieferketten werden geplant. Das führt zu neuen Parametern, die Einfluss auf die Kosten und das Risiko einzelner Beschaffungsvorgänge haben. Dabei kommt es sowohl zu positiven als auch zu negativen Veränderungen gegenüber der Istsituation.
Schritt 4: Die jetzt verfügbaren Mengen und Kosten der benötigten Güter und Leistungen können dazu führen, dass neue Plankalkulationen mit entsprechenden Auswirkungen auf die Verkaufspreise erforderlich werden. Alternativ dazu können Maßnahmen ergriffen werden, um durch veränderte Lieferketten die gewünschten Bedarfe decken zu können. Auch das verursacht Kosten, die sich in der Verkaufspreiskalkulation auswirken.
Schritt 5: Verändern sich die geplanten Verkaufspreise durch die Kosten der geplanten Lieferketten, verändert sich die Vertriebsplanung. Das hat Einfluss auf die Planbedarfe. Der gesamte Prozess wird ab Schritt 1 wiederholt.
Der Planungskreislauf wird dann beendet, wenn sich keine neuen Kosten und Verfügbarkeiten für die errechneten Bedarfe an Gütern und Leistungen mehr ergeben.
Als typische Controllingaufgabe wird die Planung innerhalb der Fachbereiche durch die Controller initiiert, überwacht und ausgewertet. Das gilt auch für die Lieferketten, die sich jedoch in einem Punkt von den Planungsabläufen anderer Prozesse unterscheiden: Wichtige Lieferketten werden permanent überwacht, um Abweichungen vom Plan zu identifizieren. Falls negative Auswirkungen auf die Lieferkette festgestellt werden, kann mit Maßnahmen versucht werden, die entstandenen Abweichungen zu minimieren. So kann z. B. durch die Wahl einer anderen Reederei ein Engpass auf dem Seeweg beseitigt werden.
Die Planung der Lieferketten wird durch vier Gruppen von Parametern bestimmt:
Interne Parameter zur persönlichen Einschätzung:
Mit dem Festlegen der Risikobereitschaft wird ein wichtiger Faktor für die Beurteilung der Sicherheit von Lieferketten vorgegeben. Die Festlegung erfolgt in der Regel durch die Unternehmensleitung. Weitere Parameter werden in der Unternehmensstrategie und den dazugehörigen Bereichsstrategien festgelegt, z. B. eine 2-Lieferanten-Strategie, die maximale Höhe von Lagerbeständen usw.
Interne wirtschaftliche Parameter:
Vielfältiger und praktisch anwendbar sind wirtschaftliche Planungsparameter. Dazu gehören die geplanten Bedarfe, die vorhandenen Kapazitäten für Produktion und Lagerung, die Kapazitäten in der Einkaufsabteilung, die Akzeptanz von Konventionalstrafen auf der Vertriebsseite usw. Es entstehen Vorgaben, die möglichst wirtschaftlich erfüllt werden müssen.
Externe wirtschaftlich Parameter:
Schlechter zu planen sind externe wirtschaftliche Parameter wie Lieferanten, Regionen, Lieferzeiten, Transportwege (mit Kapazitäten z. B. im Hafen), Kosten, Preise, Wechselkurse. Hier entscheidet sich, ob die Vorgaben der internen Parameter wirtschaftlich sinnvoll erfüllt werden können.
Externe politische Parameter:
Ebenso wenig beeinflussbar sind die politischen Parameter, die durch externe Stellen bestimmt werden. Sanktionen aufgrund politischer Differenzen, Exportverbote bedingt durch Knappheit bestimmter Güter oder die Lieferbereitschaft aus Regionen, die durch eine Pandemie betroffen sind, können nur hingenommen werden. In der Planung erscheinen sie mit geschätzten Wahrscheinlichkeiten.
[24]Die Parameter aus der Lieferkettenplanung ergeben erwartete Werte über die Kosten der über die entsprechende Lieferkette bezogenen Güter und Leistungen und über die zu erwartenden Risiken. Damit sind die verantwortlichen Mitarbeiter in der Lage, geeignete Maßnahmen für eine ausreichende und kostengünstige Versorgung des Unternehmens mit den notwendigen Faktoren zu gewährleisten.
Die Planung einer Lieferkette umfasst alle Parameter, die für die Beurteilung der Lieferketten notwendig sind. Damit wird die erwartete Entwicklung dieser Lieferbeziehung erkennbar.
Dadurch werden die einzelnen Lieferketten gegenüber der aktuellen Situation bzw. der bisherigen Planung als risikoreicher oder risikoärmer, die Eintrittswahrscheinlichkeiten der Gefahren als höher oder niedriger bewertet.
In der Folge werden vom Planenden die Lieferketten so verändert, dass sie für das Unternehmen optimal sind. Das ist die Steuerung des Beschaffungsprozesses hin zum Optimum für das Unternehmen.
Hinweis: Risikoreiches Optimum
Das Optimum einer Lieferkette kann für das Unternehmen durchaus negativ sein. Wenn aufgrund der Konzentration der Anbieter eine Beschaffung eines Gutes nur noch in Asien möglich ist, kann eine risikoreiche Lieferkette der einzige Weg sein, um notwendige Mengen zu beschaffen. Dann führt die Planung der Lieferkette zu der Möglichkeit, sich auf die drohenden Risiken einzustellen und das eigene wirtschaftliche Engagement zu beurteilen. In vielen Fällen reichen zusätzliche Vorkehrungen aus, um das Risiko in einen akzeptablen Bereich zu bringen. Das gilt z. B. für die Anforderungen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes. Diese müssen erfüllt werden, um weiterhin Güter und Leistungen aus den gewünschten Quellen beziehen zu können. Mit den entsprechenden organisatorischen und vertraglichen Maßnahmen kann das gesetzeskonform erledigt werden.
Durch die Planung und laufende Kontrolle der Lieferketten wird die Steuerung der Aktivitäten im Beschaffungsbereich erreicht. Das Controlling schafft hierfür die notwendigen Strukturen zur Feststellung, Analyse und Überwachung. Das Lieferkettencontrolling nimmt Gestalt an.
In vielen kleinen und mittleren Unternehmen ist die Bedeutung der Lieferketten für den Unternehmenserfolg noch nicht ins Bewusstsein der Verantwortlichen gelangt. Selbstverständlich gibt es die Strukturen der Lieferbeziehungen in allen Bereichen, sie werden jedoch nur unbewusst in den Entscheidungen zur Beschaffung berücksichtigt. Das birgt die Gefahr einer nicht ausreichenden oder einer übertriebenen Beachtung der enthaltenen Risiken und Chancen. Der erste Schritt zu einem wirksamen Lieferkettencontrolling ist festzustellen, welche Lieferketten vorhandenen sind, und das zu dokumentieren. Das geschieht immer mit Blick auf vorhandene Risiken und Abhängigkeiten sowie auf technische Zwänge, die es aufgrund der Produkte oder Fertigungsverfahren gibt. Aber auch die Potenziale, die in einer Lieferkette stecken, spielen eine Rolle.
Hinweis: Gründe liefern
Der Aufbau von Strukturen für das Lieferkettencontrolling erfordert erheblichen Aufwand für alle Beteiligten. Es ist notwendig, die Motivation für die korrekte Erledigung der Aufgabe aufrechtzuerhalten. Dazu muss von vornherein deutlich gemacht werden, warum dieser Schritt notwendig ist. Die Kenntnisse der Lieferketten mit ihren Risiken und Abhängigkeiten macht Schwachstellen deutlich und hilft, Maßnahmen zur Verbesserung der Situation zu entwickeln. Die Arbeit der Entscheider bei jedem Beschaffungsvorgang wird vereinfacht und trotzdem verbessert, wenn auf ein systematisches Lieferkettencontrolling aufgebaut werden kann. Gleichzeitig beinhalten viele Lieferketten auch Chancen für das Unternehmen hinsichtlich Kosteneinsparungen, Innovationen oder Prozessen. Das sollte als Motivation ausreichend sein.
Wer zur Beantwortung dieser Frage mit verschiedenen Einkäufern spricht, erhält unterschiedliche Definitionen. Für die einen beschreibt eine Lieferkette den Vorgang von der Bestellung bis zur Bezahlung, andere legen den Fokus auf die notwendigen Transporte. Um eine Lieferkette korrekt beurteilen zu können, ist es notwendig, sie von ihrem Anfang (z. B. von der Rohstoffgewinnung) bis zu ihrem Ende, also zum Eintreffen der Stoffe, Teile, Leistungen etc. im eigenen Unternehmen, zu betrachten. Es geht um die Gesamtheit aller beteiligten Akteure, die von der Rohstoffgewinnung bis zur Herstellung des Endprodukts des Unternehmens zusammenarbeiten.
Hinweis: Gesamte Kette muss sein!
Die Einkäufer beschaffen viele Güter und Leistungen bei Händlern oder Herstellern in der Nachbarschaft. Der Lieferant ist vor Ort, die Lieferkette ist kurz – trotzdem können bei Verzögerungen wichtige Abläufe in Produktion oder Vertrieb betroffen sein. Das gilt nur, wenn die Kette tatsächlich nur bis zum Lieferanten verfolgt wird. Risiken kann es jedoch auch bei der Beschaffung der Güter und Leistungen durch den Lieferanten geben, die dessen Angebot gefährden. Zum Beispiel kann der Ausfall einer Ernte in Lateinamerika dazu führen, dass der Händler keine Ware mehr aus seiner Lieferkette erhält, was wiederum Auswirkungen auf das eigene Unternehmen haben kann. Um diese Risiken zu erkennen und zu minimieren, ist es notwendig, die gesamte Lieferkette zu betrachten. Das gilt auch für mögliche Kosten- und Produktvorteile, die sich oft bereits ergeben, bevor der Lieferant ins Spiel kommt, die dieser aber nicht ohne Weiteres abgeben will.
[26]Inhalt einer Lieferkette: Eine Lieferkette umfasst alle für die Erzeugung, Verarbeitung, den Handel und den Transport von Gütern und Leistungen aktiven Stellen. Für eine umfassende Risikobetrachtung ist es notwendig, alle Aktivitäten in der Kette zu berücksichtigen. So gehört auch das Bezahlen der in der Kette erbrachten Leistungen dazu. Wird diese z. B. aufgrund von politischen Sanktionen oder anderen Gründen unmöglich, kann dies zu Unterbrechungen der Lieferkette führen. Ebenso wie Risken ergeben sich auch Chancen auf allen Stufen der Kette, was deren vollständige Betrachtung notwendig macht.
Kurze Lieferketten werden lang: Wer sich nicht für die Vorprodukte seiner Lieferanten interessiert, wird möglicherweise überrascht, wenn vonseiten der Lieferanten plötzlich die Lieferkette verlängert wird. So verändern sich Wege und Risiken, wenn der bisher in Deutschland produzierende Lieferant von Bauteilen seine Produktion in den globalen Süden verlegt. Nur wer bewusst seine Lieferketten in der Gesamtheit betrachtet und beobachtet, erfährt von dem erhöhten Risiko für Lieferprobleme. Explizit überträgt das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz die Verantwortung für die Einhaltung der Menschenrechte und der Regeln zum Umweltschutz in der gesamten Lieferkette auf das verbrauchende Unternehmen. Gleichzeitig können durch neue Lieferketten Chancen entstehen, die das Unternehmen über den Lieferanten realisieren kann.
Lieferkette für Dienstleistungen: Die Lieferkettenthematik wird in viele Fällen nur auf Rohstoffe, Werkstoffe, Bauteile oder Handelswaren bezogen. Dort sind die Aktivitäten sichtbar. Doch auch Dienstleister verfügen längst über komplexe Lieferstrukturen mit den entsprechenden Risiken. Durch die Digitalisierung wird ein einfaches Erkennen dieser Abläufe unmöglich, die Strukturen sind für den Beschaffer unsichtbar. Ob Dienstleistungen vor Ort oder von fernen Ländern aus erbracht werden, ist nicht mehr zu steuern.
Beispiele: Vielfältige Lieferketten für Dienstleistungen
Nur einige Beispiele für komplexe, oft nicht erwartete Lieferstrukturen für Dienstleistungen:
Das für die Kundenbetreuung engagierte Callcenter arbeitet mit entsprechenden Einrichtungen im Ausland. Dort werden deutsche Arbeitsschutzgesetze nicht angewendet.Für die Unterstützung des Einkäufers beim Einkauf in Taiwan wird eine Agentur in Singapur beauftragt. Die Abstimmung erfolgt in Englisch und mit Übersetzern.Die Softwarebetreuung für die individuelle Steuerung einer Maschine wird vom deutschen Anbieter an ein Subunternehmen in Afrika ausgelagert. Der afrikanische Staat ist von Unruhen bedroht.Die Wartungsarbeiten an einer Maschine, die vom deutschen Hersteller gekauft wurde, erledigt eine internationale Mannschaft, die auf die passenden Flüge und Einreisemöglichkeiten angewiesen ist.Lieferkette für Mitarbeiter: Der Faktor Arbeit ist notwendig, um eine Leistung zu erbringen. Da die Mitarbeiter nicht typischerweise »eingekauft« werden, wird die Lieferkette, die sich hinter der Personalrekrutierung verbirgt, oft übersehen. Dienstleister wie Headhunter oder Partner der Arbeitsnehmerüberlassung werden in die Lieferkette integriert. Ansonsten gibt es Printmedien für Personalwerbung [27]und, bereits heute Standard, digitale Plattformen für das Personalmarketing. Grundsätzlich müssen auch die Lieferketten im Personalwesen funktionieren, da Unternehmen stark von der Verfügbarkeit menschlicher Arbeitskraft abhängig sind.
Lieferkette für Kapital: Vergleichbar ist zudem die Situation bei der Kapitalversorgung. Viele Unternehmen erkennen die dahinterliegenden Lieferketten nicht. Dabei ist der laufende Betrieb oder das Wachstum eines Unternehmens ohne Verfügbarkeit von finanziellen Mitteln in Form von Krediten, Eigenkapital oder erwirtschafteten Gewinnen nicht möglich.
Beispiel: Fehlende Kreditlinie
Ein Beispiel dafür, wie schnell sich ein Problem in der Lieferkette für Kapital auf das Unternehmen auswirken kann, liefert ein Hersteller von Gartenprodukten. Die in der Saison verkauften Artikel werden bereits im Herbst und Winter produziert. Da der Verkauf erst später erfolgt, wird der Kauf von Gütern und die Bezahlung der Arbeitskräfte durch einen kurzfristigen Bankkredit vorfinanziert.
Allerdings konnte die bisherige Vereinbarung mit der Bank jedoch plötzlich nicht mehr verlängert werden. Aufgrund einer Schieflage in ihrer Bilanz musste der Staat eingreifen und verlangte als Bedingung für seine Hilfe strengere, das übliche Maß übersteigende Sicherheitsbedingungen bei der Kreditvergabe durch die Bank. Leider konnten diese vom Unternehmen nicht gegeben werden, und eine andere Bank konnte so schnell nicht einspringen. Das stellte das sichere Geschäft im kommenden Frühjahr infrage. Glücklicherweise konnte das Unternehmen durch eine temporäre Geldspritze eines Gesellschafters gerettet werden.
Die Unternehmen sorgen schon immer allein aus Eigeninteresse dafür, dass die wichtigsten Lieferketten bekannt und kontrolliert sind. Jedoch beschränkt sich diese Aktivität auf die offensichtlichen, besonders starken Abhängigkeiten und basiert auf positiven oder negativen Erfahrungen in der Vergangenheit. Doch diese Erfahrungen zählen nur noch bedingt:
Konzentration: Viele Lieferketten haben sich grundlegend geändert. Die Konzentration der Herstellung wichtiger Bauteile auf weltweit nur noch wenige Standorte erschwert die ausreichende Versorgung der Unternehmen in Deutschland. Ein Beispiel dafür ist die Liefersituation für einige Medikamente in den Apotheken.
Reaktionen auf Pandemie: Die weltweiten politischen, zum Teil lokal sehr strikten Reaktionen auf epidemiologische Entwicklungen führen zu wesentlichen Störungen bei der Verfügbarkeit und dem Transport vieler Güter.
Kriegerische Aktivitäten: Nicht mehr für möglich gehaltene kriegerische Aktivitäten in Europa und die darauffolgenden politischen Sanktionen haben Störungen in der Verfügbarkeit von vielen Waren ausgelöst und eine erhebliche Verteuerung von Energie und anderen Faktoren verursacht. Ein Beispiel da[28]für ist sicher der Krieg in der Ukraine. Die Situation außerhalb Europas ist noch weit gefährlicher. So beeinflusst z. B. die politische Situation am Golf von Aden die Sicherheit der wichtigen Transportwege durch den Suezkanal, der nur durch diese Meerenge möglich ist. Die Gefahr der Piraterie, ausgehend von somalischen Küsten, ist noch immer vorhanden. Der Jemen als zweiter Anrainerstaat befindet sich in kriegerischen Auseinandersetzungen, die immer wieder eskalieren.
Fachkräftemangel: Der überall zu spürende Mangel an qualifizierten Mitarbeitern nicht nur in Deutschland hat Einfluss auf die Lieferfähigkeit und die Preise von Rohstoffen und Waren. Betroffen ist auch der Transportsektor.
Zinsanstieg: Der nach jahrelangen Niedrigzinsen jetzt zu spürende Anstieg der Zinsen gefährdet die Versorgung der Unternehmen mit ausreichendem Kapital. Die Finanzierung von Wachstum oder auslaufenden Krediten wird teurer und in einigen Fällen sicher unwirtschaftlich.
Diese Punkte machen deutlich, dass es notwendig ist, alle Lieferketten für Waren, Dienstleistungen und anderen Faktoren im Unternehmen zu ermitteln, denn nur wenn sie bekannt sind, können sie bewertet werden. Die Ergebnisse werden dokumentiert und mit den im Berichtswesen üblichen Instrumenten dargestellt. Im ersten Schritt, der Ermittlung der Lieferketten, ist eine enge Zusammenarbeit mit dem Beschaffungswesen notwendig. Dort, wo der Einkauf nicht für die Beschaffung der Faktoren zuständig ist (Mitarbeiter, Kapital, viele Dienstleistungen), müssen die verantwortlichen Fachbereiche involviert werden. Die Darstellung der Lieferketten erfolgt hauptsächlich mit den Instrumenten aus dem Controlling.
Jeder Mitarbeiter in der Verwaltung und Technik eines Unternehmens kann ohne Zögern Lieferketten des Unternehmens nennen. Einer Prüfung halten diese Nennungen nicht immer stand, oft werden wichtige Lieferbeziehungen vergessen, da sie zum Tagesgeschäft gehören und bisher niemals Probleme bereitet haben. Unvollständig wird eine solche erste Suche nach Lieferketten, da diese selbst für vergleichbare Faktoren sehr unterschiedlich sein können. Gleichzeitig zeigen selbst einfach erscheinende Ketten eine hohe Komplexität, die oft nicht erkannt wird.
Hinweis: Positive Veränderungen
Lieferketten können sich auch so verändern, dass die Ergebnisse besser sind als vorher. Lieferzeiten können sich durch eine neue Transportstrecke verkürzen, der chinesische Lieferant kann in Deutschland ein Verkaufsbüro eröffnen, was die Kommunikation erleichtert. Solche Chancen für positive Auswirkungen im Unternehmen müssen ebenso schnell wie problematische Veränderungen erkannt werden. Die sich ergebenden Vorteile müssen sofort genutzt werden, um Kosten zu sparen und die Sicherheit zu erhöhen.
Damit die Steuerung der Lieferketten vollständig ist, müssen alle Lieferketten im Unternehmen gefunden werden. Die bei dem Umgang mit den Lieferbeziehungen oft instinktiv vorgenommene Priorisierung [29]ist auf dieser Stufe im Lieferkettencontrolling noch nicht sinnvoll. Nur wer alle Inhalte kennt, kann eine Reihenfolge für deren Bearbeitung festlegen. Die Gefahr ist groß, dass sonst wichtige, aber auf den ersten Blick unscheinbare Lieferketten vergessen werden.
Lieferketten gibt es nicht nur im Einkauf, sondern sie können ebenso andere Unternehmensbereiche betreffen. Um eine umfassende Betrachtung der Lieferketten im Unternehmen zu gewährleisten, sollten daher folgende Inhalte berücksichtig werden:
Wichtige Güter: Jedem Einkäufer sollte bekannt sein, welche Rohstoffe, Werkstoffe, Bauteile oder Waren für das Unternehmen besonders wichtig sind. Die Lieferketten für diese Güter sind schnell gefunden, wenn z. B. eine Betrachtung von Einkaufsvolumen (Euro und Menge) herangezogen wird.
Weniger wichtige Güter: Darüber hinaus werden vor allem im Einkauf weitere Rohstoffe, Werkstoffe, Bauteile oder Waren beschafft. Zu diesen Teilen und Hilfsstoffen gehört jeweils mindestens eine Lieferkette, die problematisch werden kann. Sicherlich ist die Gefahr einer wesentlichen Störung meist geringer, die zu befürchtenden Auswirkungen sind daher kleiner. Dennoch kann es bei der Lieferfähigkeit zu bösen Überraschungen kommen. Daher müssen alle Lieferketten auch für solche Güter in das Lieferkettencontrolling einbezogen werden.
Beispiel: Kleinteileservice
Bei der Montage von Einbauküchen werden viele Kleinteile wie Schrauben, Nägel, Muttern, Dübel usw. benötigt. Die Beschaffung und Vorratshaltung dieser Güter wird von manchen Unternehmen, die Montageleistungen erbringen, ausgelagert. Ein Dienstleister liefert dann die Teile und kontrolliert ständig die Bestände. Die Fakturierung der Verbräuche erfolgt monatlich. Eine einfache Lieferkette, die über den Dienstleister bis zu den einzelnen Herstellern der Kleinteile reicht.
Der Dienstleister, der für einen Küchenhersteller tätig war, hat seine Arbeit plötzlich eingestellt, ohne seine Kunden zu informieren. Im Vertrauen auf die Kompetenz des Partners in der Lieferkette gab es weder im Einkauf noch in der Logistik oder der Montageabteilung eine Kontrolle der verfügbaren Bestände. Entdeckt wurde das Problem, als die Montageteams an einem Morgen die Vorräte an Kleinteilen aus dem Lager auffüllen wollten und viele der bisher wenig beachteten Kleinteile nicht verfügbar waren. Erst nach einer improvisierten Einkaufsfahrt des Einkäufers in mehrere Baumärkte konnte die Montagearbeit starten. Ein halber Arbeitstag wurde verschwendet, viele Kunden wurden verärgert. Neue Lieferketten mussten sehr schnell eingerichtet werden.
Energie: Nur in sehr energieintensiven Unternehmen hat sich der Einkauf mit der Lieferkette für Energieträger wie Gas, Öl oder Strom beschäftigt. Kaum jemand wusste, woher der jeweilige deutsche Energielieferant sein Gas oder Öl bezog oder wie der benötigte Strom erzeugt wurde. Das hat sich geändert [30]durch die Energiekrise im Jahr 2022, ausgelöst durch die politischen Sanktionen aufgrund des Ukrainekrieges.
Dienstleistungen: Ein sehr weites und differenziertes Angebot an Dienstleistungen wird in jedem Unternehmen genutzt. Das geht über die Wartungs- und Reparaturarbeiten an den Maschinen in den Bereichen Logistik oder Produktion hinaus. Spediteure fahren für die Logistik, Agenturen beraten die Marketingabteilung, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer arbeiten für den Finanzbereich, IT-Dienstleister bieten das Hosting der Websites oder diverse Cloud-Services. Die Abläufe bei der Belieferung mit Dienstleistungen unterscheiden sich nicht von denen bei der Lieferung von Gütern. Dienstleistungen können oft direkt von den verbrauchenden Stellen wie Marketing, Produktion, IT oder Rechnungswesen bestellt werden. Daher sind diese Unternehmensbereiche am Aufbau des Lieferkettencontrollings zu beteiligen.
Mitarbeiter: Der Fachkräftemangel in fast allen Branchen der deutschen Wirtschaft hat klar gemacht, dass auch die Verfügbarkeit des Faktors Arbeit intensiv gesteuert werden muss. Es finden sich Lieferketten, die in der Struktur denen für Gütern und Leistungen ähneln. Verantwortlich für diese Lieferketten ist das Personalwesen.
Kapital: Ein wesentlicher Faktor für das Funktionieren eines Unternehmens ist das verfügbare Kapital. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um Eigenkapital oder um Fremdkapital handelt. Diese Unterscheidung findet sich erst in der Beschreibung der Lieferketten. Das Rechnungswesen kann beschreiben, welche Wege die Kapitalbeschaffung nehmen kann.
Sonstige Faktoren: Je nach der individuellen Situation eines Unternehmens gibt es weitere Faktoren, die über eine Lieferkette bereitgestellt werden müssen. Dazu gehören z. B. die Verfügbarkeit von Gebäuden, Räumen und Flächen oder Lizenzen, Patente und Markenrechte.
Bereits diese kurze Aufzählung zeigt die Vielfältigkeit der möglichen Lieferketten. Um die notwendige Vollständigkeit zu erreichen, sind intensive Untersuchungen notwendig. Dazu kann der Controller interne Dokumente, vor allem aber den Jahresabschluss nutzen. Dort gibt es die Möglichkeit, entsprechende Abgleiche mit den Werten in der Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) zu machen.
Hinweis: Genauigkeit
Um sicherzustellen, dass die identifizierten Lieferketten vollständig sind, ist es notwendig, das Einkaufs- oder Kostenvolumen der Produkte mit den dazugehörigen Lieferketten zu verknüpfen. Diese werden summiert und mit entsprechenden Positionen in den jeweils verwendeten Dokumenten (s. dazu die folgende Tabelle) verglichen. Dabei ist nie eine hundertprozentige Übereinstimmung gegeben. So werden die Einkaufsvolumen der einzelnen Güter mit dem Wareneinsatz verglichen. Möchte man eine genaue Übereinstimmung erreichen, müssten die Bestandsveränderungen berücksichtigt werden, was einen erheblichen Mehraufwand bedeuten würde. Daher ist eine Annäherung möglich und ausreichend, um die Größenordnungen abschätzen zu können.
Die folgende Tabelle zeigt auf, mit welchen internen Dokumenten sich das Finden der Lieferketten und deren Vollständigkeitsprüfung unterstützen lässt.
[31]
Faktoren
Dokumente
Bemerkungen
Güter (Rohstoffe, Werkstoffe, Bauteile, Waren, Hilfs- und Betriebsstoffe)
Bestandslisten
Artikellisten
Stücklisten
GuV: Aufwendungen für Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe und für bezogene Waren
Interne Listen aus der IT sollten aktuell gehalten sein, um den Aufwand zu reduzieren. Der Materialeinsatz wird in der Buchhaltung oft differenziert nach Warengruppen gebucht. Tipp: Die Kontodaten der Verbrauchskonten direkt aus der Buchhaltung können daher detaillierter helfen.
Energie
GuV: Aufwendungen für Energieverbrauch Energieverbräuche der Kostenstellen aus der Kostenrechnung
Falls nicht ausgewiesen, entsprechende Konten der Buchhaltung verwenden.
Dienstleistungen
GuV: Aufwendungen für bezogene Leistungen Beratungskosten der Kostenstellen aus der Kostenrechnung
Mitarbeiter
Stellenbeschreibungen Personalkosten in den jeweiligen Kostenstellen
Kapital
GuV: Zinsen und ähnliche Aufwendungen Bilanz: Eigenkapital, Fremdkapital Cashflow: Quellen und Verbräuche für Kapital
Differenziert betrachten:
Kapital der Eigentümer
Fremdkapital der Banken und anderer Darlehensgeber
Lieferantenkredite
Rückstellungen
Sonstiges
GuV: Sonstige betriebliche Aufwendungen
Gesamtsumme aus GuV, wobei die Konten der Buchhaltung informativer sind.
Tab. 1: Quellen für das Finden von Lieferketten
Um die Vollständigkeit der aus den Fachbereichen gemeldeten Lieferketten prüfen zu können, werden also vornehmlich Daten aus der Buchhaltung und der Kostenrechnung verwendet. Diese haben den Vorteil, dass sie exakt sind. Gleichzeitig liegen sie im Controlling bereits vor, sodass sie ohne weiteren Aufwand verwendet werden können.
Das Ende einer Lieferkette ist eindeutig bestimmt: das eigene Unternehmen. Wenn die Waren angekommen sind oder die Dienstleistung erbracht ist, ist das Ende der zu betrachtenden Aktionen erreicht. Doch wo beginnt die Lieferkette?
Die Beantwortung dieser Frage bestimmt die Komplexität der Lieferketten. Je weiter die Liefer- und Geschäftsbeziehungen – betrachtet vom eigenen Unternehmen aus bis zu ihrem Beginn – zurückgeht, desto komplexer wird die Lieferkette. Und je komplexer sie ist, desto größer ist der Aufwand für deren [32]Feststellung und später deren Analyse und Steuerung. Dennoch ist es notwendig, Lieferketten bis zum Ursprung der Rohstoffe bzw. bis zum Beginn der Arbeit für die Dienstleistung zu verfolgen und sie entsprechend aufzubauen.
Wirtschaftlich: Auf jeder Stufe einer Lieferkette können Risiken und Chancen liegen. Überwiegend werden Störungen betrachtet, die eine Belieferung unmöglich oder sehr teuer machen. Der Einkauf von Waren bei einem lokalen oder regionalen Händler vereinfacht sicher die Abwicklung, schützt jedoch nicht vor Problemen innerhalb der Lieferkette. Wenn der Händler seine Waren in China einkauft und von dort aufgrund eines Lockdowns in den Häfen nicht mehr beliefert werden kann, dann ist in der Folge auch die »kurze« Lieferkette zwischen Unternehmen und Händler gestört.
Hinweis: Puffer
Der Handel muss seine »Existenzberechtigung« immer wieder nachweisen. Zu den zentralen Leistungen des Handels gehören die Distributions- und die Lagerfunktion. Damit können Nachfrageschwankungen ausgeglichen werden. Darüber hinaus bittet das Lager eine Chance, wenn Lieferketten gestört sind: Es dient als Puffer, durch den sich die Auswirkung der Störungen innerhalb der gesamten Lieferkette bis zum Unternehmen verzögern kann. Verfügt der Händler über eigene Lagerbestände, kann er diese noch verteilen, bevor sich ein Lieferverzug aus China auswirkt. Im besten Fall ist die Störung der Lieferkette beseitigt, bevor die Lagerbestände des Händlers aufgebraucht sind. Das Unternehmen reduziert u. U. das eigene Risiko etwas, muss aber trotzdem immer die gesamte Lieferkette im Blick haben.
Rechtlich: Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz bestimmt ausdrücklich, dass die gesamte Lieferkette dem Verantwortungsbereich des Unternehmens am Ende der Kette zugerechnet wird. Das bedeutet nicht, dass der Käufer der Güter und Leistungen die Einhaltung der Menschenrechte und Umweltschutzstandards auf jeder Ebene prüfen müsste, es reicht ein entsprechendes Zertifikat des direkten Partners. Doch muss er in der Lage sein, die Gefährdung einzuschätzen, da Verstöße auch am Anfang der Lieferkette zum erzwungenen Ende dieser Lieferbeziehungen führen können.
Beispiel: Ungültiges Zertifikat
Der Händler in Taiwan weist in einem Zertifikat nach, dass sowohl in seinem Unternehmen als auch bei seinen Vorlieferanten die Menschenrechte gewährleistet und die Umweltstandards eingehalten werden. Die Lieferkette funktioniert gut. Plötzlich werden Verstöße gegen das Kinderarbeitsverbot bei der Ernte des Rohstoffes bekannt. Das Zertifikat des Händlers wird zurückgezogen, eine weitere Belieferung des deutschen Unternehmens wird unmöglich. Die Lieferkette bricht zusammen.
Die Lieferkette für Güter beginnt bereits bei der Rohstoffgewinnung. Schlechte Ernten bedrohen die Lieferfähigkeit, die Qualität und den Preis von Früchten, Getreide usw. und sie werden zu Problemen im Unternehmen führen. Kriegerische Unruhen oder politische Instabilität im Fördergebiet können dazu führen, dass die Gewinnung wichtiger Stoffe, wie z. B. Seltene Erden, gestört wird, und werden damit früher oder später zu Problemen in der Versorgung mit Werkstoffen oder Bauteilen führen. Je früher solche [33]Störungen durch eine lückenlose Überwachung der Lieferkette bis zu deren Ursprung im Unternehmen bekannt werden, desto besser und schneller kann reagiert werden.
Obwohl die Lieferkette für Güter sehr lang werden kann, ist also die Verfolgung bis zum Ursprung notwendig. Dort liegen nicht nur Risiken, auch Chancen können sich aus den ersten Stufen der Lieferkette ergeben. So kann z. B. die Verlagerung des Einkaufs von Feldfrüchten von einem internationalen Konzern in Asien hin zu einer bäuerlichen Genossenschaft die Nachhaltigkeit der Lieferkette wesentlich verbessern.
Die Lieferketten für Dienstleistungen sind sehr unterschiedlich – je nach Art der Leistung, die erbracht wird. Viele Dienstleistungen werden von Menschen erbracht. In diesen Fällen beginnt die Lieferkette mit der Beschaffung der Mitarbeiter des Dienstleisters. Andere Dienstleistungen umfassen technische Produkte wie z. B. Cloud-Dienste im Internet. Hier gibt es zwei Stränge, die berücksichtigt werden müssen: die Menschen, die diese Technik steuern, und die Technik selbst. Wenn z. B. der Anbieter einer Spezialsoftware in der Cloud keine Fachkräfte für die Betreuung der Technik findet, entsteht ein Risiko für die Verfügbarkeit der Leistungen. Das gilt auch für den Fall, dass die beim Dienstleister eingesetzte Technik nicht mehr von ihren Herstellern unterstützt wird.
Beispiel: Lieferkette für Cloud-Service
Die Lieferkette für die in der Cloud verwendete Spezialsoftware beginnt bei der Mitarbeiterbeschaffung des Herstellers, der dem eigentlichen Softwareanbieter die Systemsoftware liefert. Hinzu kommt die Lieferkette für die Mitarbeiter im Unternehmen des Softwareanbieters und dessen Versorgung mit der notwendigen Technik, die wiederum aus Komponenten besteht, die an den Technikhersteller geliefert werden müssen. Erst wenn diese Faktoren erfüllt sind, kann der Dienstleister an das Unternehmen liefern. Die Komplexität der Lieferkette steigt erheblich.
Hinweis: Individuell entscheiden
Wird in einer Lieferkette tatsächlich jedes Element der für Vorstufen notwendigen fremden Lieferketten berücksichtigt, wird die zu verarbeitende Datenmenge zu groß. Es muss individuell entschieden werden, ob der Beitrag eines einzelnen Beteiligten innerhalb der Kette für das Funktionieren der ganzen Lieferkette entscheidend ist oder nicht. Wenn signifikante Risiken bekannt sind, z. B. die Lage eines verarbeitenden Unternehmens in einem Erdbebengebiet, müssen solche Risiken in die eigene Lieferkette einbezogen werden.
Störungen in der Lieferkette können auf jeder der einzubeziehenden Stufen entstehen. Störungen weiten sich häufig aus, z. B., wenn die schlechte Ernte und daraus resultierende hohe Preise auf finanziell schlecht gestellte Verarbeiter treffen, die die steigenden Einkaufspreise nicht zwischenfinanzieren können. Dadurch verschwinden letztendlich die bekannten Partner vom Markt. Auf der anderen Seite können sich auf anderen Stufen Störungen gegenseitig kompensieren. Das ist etwa der Fall, wenn ein Händler für Zuckerrohr sowohl in Brasilien als auch in Indien und China einkaufen kann. Somit werden politische Risiken und Klimarisiken bereits beim Händler ausgeglichen.
Eine Lieferkette kann sehr kurz sein, z. B., wenn für eine Mühle das Getreide direkt von Landwirt nebenan bezogen wird. Sie kann ebenso sehr lang sein, wenn z. B. Guarkernmehl indischen Ursprungs von einem niederländischen Händler erworben wird. Im letzteren Fall hat die Lieferkette wesentlich mehr Glieder, abhängig von der Zahl der notwendigen Stufen der Verarbeitung und des Handels. Die Glieder einer Lieferkette können die folgenden Inhalte haben:
Transport: Der Transport der Güter innerhalb einer Lieferkette verbindet zwei beteiligte Stellen miteinander. Das ist nicht zwingend so, es können auch Aktivitäten eines Händlers involviert sein, ohne dass die Güter zum Händler hin und von dort weiter transportiert werden müssen. Der Transport birgt immer großes Risikopotenzial. Es kann Probleme mit den Kapazitäten geben, Unfälle können geschehen, gefährliche Regionen können auf dem Weg liegen. Für die Risikoeinschätzung ist es notwendig, die Transportwege und -mittel zu kennen, um zuverlässige Bewertungen zu erhalten.
Hinweis: Länge des Weges nicht ausschlaggebend
Die Länge eines Transportweges gibt einen Hinweis auf die mögliche Gefährdung der Lieferungen, ist aber nicht unbedingt ausschlaggebend für die finale Beurteilung. So kann ein Transport von Taiwan nach Deutschland bei gleicher Entfernung per Schiff als risikoreicher bewertet werden als per Flugzeug.
Ein wichtiger Baustein der Transportkette ist die letzte Stufe. Das Unternehmen bezahlt für den Transport dann oft selbst, kann die Transportart wählen und den Transporteur aussuchen. Daher besteht hier die größte Wahrscheinlichkeit, dass das Unternehmen selbst die Kontrolle hat. Die Informationen über den aktuellen Stand des Transportes sind verfügbar, die Gefahr von Störungen vorheriger Stufen ist nicht mehr relevant, wenn sich das Gut auf dem Weg ins Unternehmen befindet. Positiv ist zudem, dass über die letzte Transportstrecke die Daten zur Beschreibung der Lieferkette am ehesten vollständig vorhanden sind.
Auch Dienstleistungen müssen zum Unternehmen transportiert werden. Digitale Leistungen müssen ein entsprechendes digitales Netz nutzen können, Berater müssen erreichbar sein oder ihre Mitarbeiter ins Unternehmen schicken können. Die Betrachtung von Transportwegen für Dienstleistungen wird meist vernachlässigt, sie können aber z. B. bei der Nutzung des Internets hohe Risiken aufweisen.
Lagerung: Oft unterscheidet sich die Abfolge rechtlicher Vorgänge vom tatsächlichen Transport der Güter, wenn z. B. eine Zwischenlagerung erfolgt. Diese ist Teil des Transportes, sofern sie von darauf spezialisierten Dienstleistern durchgeführt wird. Die Güter können aber auch beim Erzeuger oder Hersteller so lange gelagert werden, bis sich der Einkäufer im Unternehmen mit den Händlern rechtlich geeinigt hat. Für die Lieferkette ist die Lagerung insofern wichtig, als sie mit unterschiedlichen Risiken verbunden sein kann. Findet sie z. B. in einer gefährdeten Region statt, ist das Risiko hoch, während es gering ist, wenn sich das Lager bereits in Deutschland befindet.
Lieferant: Der Ansprechpartner für das Unternehmen ist der rechtlich verantwortliche Lieferant. Mit diesem wird ein Vertrag geschlossen, der auch die Bedingungen der Lieferung und damit der Liefer[35]kette bestimmt. Gleichzeitig ist der Lieferant das Ende seiner Lieferkette für die Güter und Leistungen, die dann an das Unternehmen geliefert werden. Er bestimmt also die vorherigen Glieder der Kette und somit den Gesamtablauf und das damit verbundene Risiko.
Hersteller: Zu einer Lieferkette können mehrere Hersteller gehören, wobei einer von ihnen das zu liefernde Gut herstellen muss. Weitere zur Kette gehörende Hersteller produzieren wichtige Bauteile, die einen Einfluss auf die Verfügbarkeit und den Preis des Gutes haben. Der letzte Hersteller in der Kette kann gleichzeitig der Lieferant sein.
Beispiel: Mehrere Hersteller
Ein Einzelhändler von Elektrogeräten verkauft Kühlschränke, die er von einem deutschen Unternehmen einkauft. Dieses Unternehmen ist innerhalb der Lieferkette gleichzeitig Lieferant und Hersteller 1 mit einem Produktionswerk in Polen. Im Kühlschrank ist zu dessen Steuerung ein Chip eingebaut, der von einem taiwanesischen Unternehmen hergestellt wird. Wenn dieser Hersteller 2 seine Produktion nicht aufrechterhalten kann, gibt es auch bei Hersteller 1 ein Problem und damit in der gesamten Lieferkette.
Veredler: Die Veredler von Rohstoffen fügen sich technisch in die Lieferkette ein wie ein Hersteller. Strukturen und Risiken sind entsprechend zu bewerten.
Erzeuger: In vielen Lieferketten ist der Erzeuger der Ausgangspunkt der Lieferbeziehungen. Von diesem Erzeuger werden die Rohstoffe wie Getreide, Obst, Metalle usw. gewonnen und in die Lieferketten eingespeist. Doch auch an diesem Punkt gibt es Lieferketten, die einer Prüfung bedürfen. So sind die natürlichen Rohstoffe im Hinblick auf ihre Menge und Qualität abhängig von der Verfügbarkeit von Dünger, landwirtschaftlichen Maschinen bzw. deren Ersatzteilen, von Energie, Arbeitskraft und sie sind oft abhängig von politischen Regeln im Erzeugerland. Die explizite Berücksichtigung dieser Lieferketten des Erzeugers in der eigenen Kette erscheint nur dann sinnvoll, wenn es tatsächliche hohe Risiken gibt. Ansonsten wird das Risiko der Lieferketten des Erzeugers in die allgemeine Risikoeinschätzung übernommen.
Hinweis: Wetter als Teil der Lieferkette
Auch das vom Menschen nicht zu beeinflussende Wetter kann innerhalb einer Lieferkette relevant sein. Der Erzeuger natürlicher Produkte benötigt Regen, Sonnenschein, Wärme usw. für die Produktion seiner Rohstoffe. Das Wetter kann nicht beeinflusst werden, es gibt aber die Möglichkeit, Substitute zu verwenden. Regen kann durch Bewässerung ersetzt werden, in einem Gewächshaus können die Umweltbedingungen kontrolliert werden. Erzeuger ohne solche Möglichkeiten produzieren also mit größerem Risiko für die gesamte Lieferkette.
Hinweis: Chance im Erntegebiet
Große Unternehmen haben bereits vor Jahren begonnen, Rohstoffe auf eigenen Farmen oder in eigenen Minen zu gewinnen. So gibt es einige Kakaofarmen, die großen Schokoladenherstellern gehören und einen großen Teil von deren Nachfrage decken. Das bietet die Möglichkeit, Kontrolle über die Rohstoffe und über die Produktionsumstände zu haben. Für nachhaltiges Handeln mit Berücksichtigung der Menschrechte und des Umweltschutzes [36]ist viel Platz. Kleine und mittlere Unternehmen haben diese Möglichkeit aufgrund der geringeren Mengen, die sie benötigen, nicht. Sie können aber Chancen nutzen, die eine längere Lieferkette bieten kann, und z. B. eine enge Zusammenarbeit mit einer Produktionsgenossenschaft aufbauen. Das ermöglicht es zumindest, größeren Einfluss zu nehmen und bessere Informationen zu erhalten.
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