Love will go on - Sammelband 3 in 1 - Tina Keller - E-Book
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Love will go on - Sammelband 3 in 1 E-Book

Tina Keller

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Beschreibung

Bittersweet Memories: Nach 15 Jahren steht Vivian plötzlich ihrer großen Liebe Alex gegenüber und spürt, dass sie ihn noch immer nicht vergessen kann. Und auch auf Alex wartet die größte Überraschung seines Lebens. Love from the Past: Als die chronisch chaotische Josie den Wagen des Star-Architekten Mike Shepherd rammt, sind das keine guten Vorzeichen, um den heiß begehrten Job als Innenarchitektin bei ihm zu ergattern. Zu allem Überfluss entpuppt sich Mike auch noch als Josies Jugendschwarm Michael, für den sie damals Luft war. Küssen verlernt man nicht: Nadine und Thomas lieben sich, aber die Leidenschaft ist komplett eingeschlafen. Als Nadine im Urlaub ihrem Ex-Freund begegnet, beschließt sie, ihr Leben drastisch zu ändern.

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Impressum

Tina Keller

Bittersweet

Memories

© Text: Tina Keller

© Cover: selfpubbookcovers.com

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder andere

Verwertungen nur mit schriftlicher Genehmigung

der Autorin.

Alex hat Vivian die heißesten Stunden ihres Lebens beschert, aber von Liebe wollte er nie etwas wissen. Und über das traumatische Ende ist sie bis heute nicht hinweg gekommen. Als sie ihm nach 15 Jahren unverhofft gegenüber steht, spielen ihre Gefühle verrückt. Einerseits hasst sie ihn für das, was er ihr angetan hat, andererseits fühlt sie sich immer noch magisch von ihm angezogen.

Sie durchlebt noch einmal all die Demütigungen ihrer toxischen Beziehung, aber auch die grenzenlose Ekstase und Leidenschaft, bis Alex ihr erklärt, warum er sich damals so verhalten hat.

Plötzlich steht Vivians Welt auf dem Kopf. Und die von Alex auch, denn auf ihn wartet die größte Überraschung seines Lebens ….

It's not always true that time heals all wounds There are wounds that you don't wanna heal The memories of something really good Something truly real, that you never found again

The Human League

Es ist nicht immer wahr, dass die Zeit alle Wunden heilt

Es gibt Wunden, die du nicht heilen willst

Die Erinnerungen an etwas wirklich Gutes

Etwas wirklich Reales, das du nie wieder gefunden hast

Kapitel 1

Berlin, 2019

„Hey, Woody West, ich hätte gern ein Autogramm von dir.“

Ich erstarre zur Salzsäule, als ich die Stimme höre, die ich unter Tausenden wiedererkennen würde. Tief, melodisch, mit einer ganz besonderen Klangfarbe. Früher fand ich sie unglaublich erotisch und sinnlich.

Es ist die Stimme meines Ex-Lovers Alex.

Das träume ich doch jetzt nur, oder?

Das kann nicht wahr sein! Das kann nicht wirklich Alex sein!

Alex, der mich fünf Jahre lang durch Himmel und Hölle zugleich gejagt hat.

Alex, mit dem ich die schönsten Stunden meines Lebens erlebt habe – und um den ich die bittersten Tränen geweint habe.

Alex, der Lover meines Lebens – und mein Untergang.

Das alles ist 15 Jahre her. Vorbei und vergessen – jedenfalls oberflächlich betrachtet.

Ich wollte diesen Kerl niemals wiedersehen!

Ehrlich, ich kann nicht glauben, dass dieser Arsch die Frechheit besitzt, bei meiner Lesung aufzutauchen! Und diese Unverschämtheit steigert er noch, indem er mich bei dem selten bescheuerten „Kosenamen“ nennt, mit dem er mich schon damals zur Weißglut getrieben hat.

„Woody West“ – in Anlehnung an Vivienne Westwood, deren Vorname wie meiner ausgesprochen wird. Ich habe diesen bescheuerten Namen immer gehasst, was Alex natürlich nicht davon abgehalten hat, mich trotzdem dauernd so zu nennen.

Ich atme tief ein und dann wieder aus und drehe mich unter Aufbietung all meiner Kräfte um. Mein Herz klopft mir bis zum Hals.

Ich habe nicht vergessen, wie heftig ich auf ihn reagiert habe. Obwohl er so ein Mistkerl war, hatte er auch eine faszinierende Seite. Sonst hätte ich das alles nicht so verdammt lange mit mir machen lassen.

Als erstes sehe ich das, was mich von Anfang an geflashed hat: seine leuchtend grünen, funkelnden Augen. Jetzt hat er ein paar Lachfältchen mehr, was ihm aber ausgesprochen gut steht. Er trägt immer noch seinen Drei-Tage-Bart, von dem meine Wangen oft wundgescheuert waren, wenn wir uns die ganze Nacht ekstatisch durch sein Bett gewälzt hatten.

Ich schlucke. Ich will diese Bilder nicht vor meinem geistigen Auge sehen, und doch tauchen sie ganz automatisch auf. Wie immer, wenn ich an ihn gedacht habe. Die wilden Nächte waren das Einzige, was er mir von sich gegeben hat. Doch sie waren genug, um mich wie Klebstoff an ihn zu binden und nie wieder von ihm loszukommen.

Er sieht immer noch verdammt attraktiv aus, eigentlich sogar noch besser als damals. Reifer, erfahrener, männlicher.

Warum ist er nicht alt, dick, hässlich und kahl geworden? Das würde es einfacher machen.

Vielleicht sollte ich jetzt endlich mal etwas sagen?

Aber was?

Was sage ich zu dem Mann, der mir vor 15 Jahren das Herz gebrochen hat? Der mich immer wieder von sich weggestoßen hat? Und der mich trotzdem völlig in seinen Bann gezogen hat?

„Was machst du denn hier?“, frage ich blöde. „Hast du dich verlaufen?“

Alex zwinkert mir zu und ich erinnere mich nur zu gut daran, wie sehr ich auf dieses Augenzwinkern abgefahren bin.

„Ich stehe brav in einer Schlange, um ein Autogramm der erfolgreichen Autorin zu erhaschen, die ich vor langer Zeit mal gekannt habe“, erwidert Alex lächelnd. „Ich habe mir eins deiner Bücher gekauft, um es von dir signieren zu lassen.“

„Warum das denn?“, sage ich spöttisch. „Du warst doch immer der Meinung, ich könne überhaupt nicht schreiben. Was willst du auf einmal mit einem drittklassigen Roman, der völlig unter deiner Würde ist?“

Unwirsch reiße ich ihm Brennende Begierde aus den Händen und male ein paar unleserliche Kringel auf die erste Seite. Jetzt ist das Buch wenigstens verunstaltet. Zufrieden reiche ich ihm mein Werk zurück. Enttäuscht sieht Alex mich an.

„Keine Widmung?“, wagt er es doch glatt zu fragen. „Keine persönlichen Worte?“

Am liebsten würde ich ihm das Buch um die Ohren hauen.

„Widmung?“, wiederhole ich scharf. „Was soll ich denn deiner Meinung nach schreiben? ‚Für Alex, den größten Mistkerl unter der Sonne‘? ‚Für Alex, der mir das Leben zur Hölle gemacht hat?‘ ‚Für Alex, der mich in der schlimmsten Zeit meines Lebens allein gelassen hat‘? Du kannst dir gern was davon aussuchen.“

Unbeeindruckt grinst Alex mich an.

„‘Für Alex, mit dem ich die geilsten Stunden meines Lebens verbracht habe?‘, unterbreitet er mir einen völlig indiskutablen Gegenvorschlag und senkt die Stimme. Zum Glück steht nur er am Signiertisch, während die anderen Leser ein paar Meter weiter entfernt warten und ihn nicht hören können.

„Woher willst du das denn wissen?“, entgegne ich und verdrehe die Augen. „Du weißt doch gar nicht, was ich nach dir noch alles erlebt habe.“

„Aber bestimmt nicht das, was wir beide miteinander hatten“, ist sich Alex sicher. Seine Augen funkeln.

Eingebildet ist der Typ wohl gar nicht. Leider hat er zu allem Überfluss auch noch recht, aber das werde ich ihm ganz bestimmt nicht auf die Nase binden.

„Würdest du dich jetzt bitte vom Acker machen?“, versuche ich ihn loszuwerden. „Es warten noch ein paar Leute darauf, dass ich ihre Bücher signiere.“

„Okay, okay“, zeigt Alex sich einsichtig. „Ich werde warten, bis du fertig bist und dann stoßen wir auf unser Wiedersehen an, einverstanden?“

„Ich will dich aber gar nicht wiedersehen“, zische ich. „Und mit dir anstoßen will ich schon gar nicht. Am besten fände ich es, wenn du nach der Signierstunde einfach nicht mehr da wärst.“

„Tut mir leid, aber den Gefallen werde ich dir nicht tun“, sagt Alex vergnügt. „Ich bin froh, dass ich dich endlich gefunden habe – da werde ich dich doch nicht sofort wieder gehen lassen.“

Ich stöhne genervt auf. Jetzt muss mir dieser aufdringliche Wicht auch noch meine kostbare Signierstunde verderben! Er soll zum Teufel gehen! Was allerdings bedeutet, dass er sich selbst begegnen würde.

Meine Hand zittert, als ich die nächsten Bücher signiere. Ich spüre seine Blicke vom anderen Ende des Raumes und merke, wie nervös mich das macht.

Warum muss er nach all der Zeit plötzlich hier auftauchen? Kann er mich nicht endlich, endlich in Ruhe lassen?

Leider ist die Signierrunde irgendwann vorbei und ich stelle fest, dass Alex tatsächlich zwei Stunden lang ausgeharrt hat. Das ist echt nicht zu fassen.

„Wirst du zu Hause nicht vermisst oder warum lungerst du hier völlig sinnlos herum?“, ätze ich, als er auf mich zukommt.

„Wieso sinnlos? Ich habe gern auf dich gewartet“, gibt mein Ex-Lover sich unerwartet charmant. „Und jetzt habe ich den Lohn dafür bekommen: Du bist da.“

„Aber nicht mehr lange“, nehme ich ihm barsch seine Illusionen. „Wie ich dir bereits mitgeteilt habe: Ich lege absolut keinen Wert auf ein Wiedersehen. Also: Was willst du?“

Alex lässt sich von meinem wenig einladenden Ton nicht beirren. Er greift nach zwei gefüllten Weingläsern, von denen er mir eins in die Hand drückt.

„Auf unser Wiedersehen, Woody West.“

„Sag mal, kannst du endlich mal aufhören, mich mit diesem selten bescheuerten Namen anzusprechen?“, platze ich.

Am liebsten würde ich ihm den Wein ins Gesicht kippen und dann die Flasche auf seinem Kopf zerschlagen.

„Das hat mich schon damals tierisch genervt – und das weißt du auch ganz genau.“

„Ja, stimmt. Sorry“, sagt Alex demütig. „Dann stoßen wir eben nicht auf unser Wiedersehen an, sondern auf deinen Erfolg als Autorin.“

Okay, dagegen ist natürlich nichts einzuwenden. Das kann man nicht oft genug feiern.

Alex‘ Glas nähert sich meinem und zwangsläufig kommen wir uns dabei näher. Sein Duft, der mich damals so sehr betört hat, weht zu mir herüber. Immer noch Million. Wie passend, wo Alex für mich One in a million war. Ich habe es geliebt und wie eine Süchtige inhaliert. Ich war so verrückt danach, dass ich es mir sogar selbst gekauft und auf mein Kopfkissen gesprüht habe. Ich war verrückt nach diesem Duft, und ich war verrückt nach diesem Mann.

Und genau darum hasse ich ihn heute.

„Ich finde es toll, dass du jetzt vom Schreiben leben kannst“, will Alex sich einschmeicheln. „Du hast ja wirklich eine Menge Romane geschrieben. Ich habe einige davon gelesen und muss sagen, dass ich begeistert war. Ich finde …“

Ich knalle das Glas auf den Tisch.

„Alex, es interessiert mich nicht, wie du meine Romane findest“, fauche ich ihn an. „Und es ist mir scheißegal, was du so treibst. Das alles ist 15 Jahre her und es ist vorbei. Lass mich einfach in Ruhe, okay?“

Ich kann immer noch nicht glauben, dass er live und in Farbe vor mir steht. Das ist total unwirklich. Ich habe gedacht, dass ich ihn nie wiedersehe. Wenn ich ehrlich bin, hatte ich immer Angst davor.

Angst, wie ich auf ihn reagieren würde.

Angst, dass er mir wieder wehtun würde.

Angst, dass ich ihm nicht gewachsen bin.

Angst, dass alles wieder von vorn losgeht.

Ich will nicht hören, dass er glücklich mit irgendeiner Frau liiert ist und dass sie jetzt die wilden Nächte mit ihm erlebt, die ich mit ihm hatte.

Das war exklusiv, nur für uns.

Das gibt es kein zweites Mal auf der Welt.

Ich will nicht, dass er das mit einer anderen hat.

Ich habe das schließlich auch mit keinem anderen Mann jemals wieder erlebt.

Nur er und ich, für immer.

Wird es jemals aufhören, weh zu tun?

Alex bedenkt mich mit einem intensiven Blick aus seinen faszinierenden Augen. Ich weiß, wie sie aussehen, wenn sie vor Lust verschleiert sind. Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn diese Augen in meinen versinken. Seine Augen haben mich immer geflashed, und das ist heute immer noch so. Leider.

„Warum bist du denn so aggressiv?“, fragt er sanft. „Ich wollte nach all der Zeit einfach mal mit dir reden. Wir haben uns sicher eine Menge zu erzählen. Es ist viel passiert. Ich habe sowieso nicht verstanden, warum du mir nie auf meine Mails geantwortet hast. Ich meine, wir hätten doch gute Freunde bleiben können, oder?“

Ich starre ihn an.

„Gute Freunde bleiben?“, höhne ich. „Alex, wir waren nie gute Freunde. Wir waren nicht mal Freunde. Da scheint sich bei dir im Laufe der Zeit aber einiges verklärt zu haben. Du hast mir oft genug gesagt, ich sei für dich allenfalls die ‚sexuelle Grundversorgung‘ oder die ‚Besser als nichts Lösung‘. Klingt dass nach einer guten Freundschaft? Ich glaube nicht.“

Alex‘ Gesichtsausdruck verändert sich. Schuldbewusst blickt er mich an. Hat er es jetzt endlich kapiert?

„Hallo, mein Schatz“, höre ich eine Stimme hinter mir und nehme schemenhaft wahr, dass Vincent, angesagtes Top-Model und Hingucker auf zahlreichen meiner Cover, auf der Bildfläche erscheint. Er legt beide Arme um mich und drückt mich an sich.

„Das ist ein voller Erfolg für uns beide heute“, schwärmt er und lacht. „Ich habe zahlreiche neue Aufträge bekommen und deine Bücher sind weggegangen wie warme Semmeln.“

Alex‘ Gesicht ist Gold wert. So blöd habe ich ihn noch nie aus der Wäsche gucken sehen. Ich kann förmlich seine Gedanken lesen:

„Wer um alles in der Welt ist das denn? Hat sie etwa was mit ihm? Mit einem Model? Ist sie mit einem so fantastisch aussehenden Mann zusammen?“

Ich erwidere Vincents Umarmung und flüstere ihm ins Ohr:

„Das ist mein Ex. Kannst du kurz meinen Freund spielen?“

„Klar“, flüstert Vincent zurück. „Ist mir ein Vergnügen.“

Wir lösen uns voneinander und ich atme tief durch. Ist es nicht endlich mal an der Zeit, mich an Alex für all das, was er mir angetan hat, zu rächen? Nur ein kleines bisschen?

„Darf ich vorstellen – das ist Vincent, mein Freund“, sage ich mit fester Stimme und weide mich an Alex‘ entsetztem Blick.

Ja, nimm das, du Arsch! Du wolltest mich ja nicht. Dir war ich nie gut genug. Aber für dieses wunderschöne Model bin ich gut genug! Dieser tolle Mann ist mit mir zusammen! Jetzt fällt dir wohl die Kinnlade runter, was?

Alex fällt tatsächlich die Kinnlade herunter und es ist ein absolut irres Gefühl von Genugtuung und Stolz.

Jawohl, hier stehe ich – eine erfolgreiche Autorin mit einem Mann, nach dem sich alle Frauen die Finger lecken. Es ist ein berauschendes Feeling und ich genieße es in vollen Zügen.

„Und das ist …“ beginne ich und gebe Vincent einen Kuss auf den Mund, den er leidenschaftlich erwidert. Er ist nicht nur Model, sondern auch Schauspieler.

„Alex“, stellt sich mein Ex-Lover etwas säuerlich vor. „Falls du es vergessen haben solltest.“

„Wir kannten uns mal flüchtig vor langer, langer Zeit“, erkläre ich meinem angeblichen Freund. „Aber leider wollte er mich nicht. Er hat auf was Besseres gewartet.“

Vincent lacht. „Zum Glück hat er das getan. Sonst hätte ich dich nicht erobern können. Und das wäre doch sehr schade gewesen.“

„Das finde ich auch“, himmele ich ihn an, was mir nicht schwerfällt, denn Vincent ist absolut unwiderstehlich – und mindestens zehn Jahre jünger als ich.

Aber warum nicht? Meine Fast-Namensvetterin Vivienne Westwood ist 25 Jahre älter als ihr Ehemann, und Johannes Oerding ist 17 Jahre jünger als Ina Müller. Warum sollte sich eine erfolgreiche Schriftstellerin keinen jungen Mann angeln?

Vincent legt besitzergreifend den Arm um mich und grinst Alex an.

„Wir müssen jetzt zu der Konferenz“, informiert Vincent mich und wendet sich dann Alex zu.

„Ein paar von Vivis Romane sollen verfilmt werden. Spannende Sache.“

„Ach.“ Alex hebt überrascht seine Augenbrauen. „Tatsächlich?“

Ich nicke, denn das ist in der Tat keine Lüge. Ich war selbst überrascht, als die Anfrage kam und habe mich riesig gefreut.

„Ja“, bestätigt Vincent und zieht mich mit sich fort. „Tschö mit ö. Sorry, Mann, aber wir sind spät dran.“

Ein letzter Blick auf Alex‘ belämmertes Gesicht – und wir sind weg. Endlich.

Doch vor meinen Gefühlen kann ich nicht davon laufen.

Warum hängt man so oft den Kerlen nach, die einem besonders wehgetan haben? Die Männer, mit denen ich eine harmonische Beziehung hatte, interessieren mich überhaupt nicht mehr. Aber die Kiste mit Alex ist wie ein Stachel, der immer noch in meinem Herzen sitzt. Ich weiß nicht, was passieren müsste, damit dieser Stachel endlich gezogen wird.

Kapitel 2

„Sag mal, träume ich – oder war das tatsächlich Alex Arschgesicht, der Lover deines Lebens?“

Mit großen Augen taucht meine beste Freundin Dany aus der Versenkung auf. Sie ist ebenfalls Autorin, schreibt aber keine Liebesromane, sondern Psycho-Thriller, nach denen man kein Auge mehr zumacht. Ich bewundere sie dafür uneingeschränkt, denn ich könnte mir niemals diese irrsinnigen Plots ausdenken. Jeder ihrer Romane landet in den Top Ten, und das völlig zu Recht.

Ich stöhne auf.

„Ja, das war wirklich Alex. Ich stehe extrem unter Schock.“

„Was wollte der denn hier?“, wundert Dany sich und greift nach meinem Wein. „Also echt, dass der die Eier hat, hier einfach aufzutauchen …. Unglaublich. Du hast ihm hoffentlich gesagt, er soll sich zum Teufel scheren?!“

„Habe ich“, bestätige ich. „Was denn sonst? Aber ich muss jetzt los wegen der Verfilmung. Kommst du mit?“

„Klar“, grinst Dany. „Ich kann es kaum erwarten, deine schrägen Figuren auf der Leinwand zu sehen.“

Nach der Konferenz, die für mich ausgesprochen erfreulich verlief, bin ich so aufgedreht, dass ich mit Dany noch in eine Bar gehe.

„Alex Arschgesicht Ahrens“, seufzt Dany und nippt an ihrem Caipirinha. „Ich kann es immer noch nicht glauben! Was bildet sich der Kerl eigentlich ein? Was wollte er denn? Abbitte leisten? Das schafft er in diesem Leben aber nicht mehr.“

„Er wollte sich allen Ernstes mit mir darüber unterhalten, was uns in den letzten Jahren widerfahren ist“, berichte ich und nehme einen Schluck von meinem Cappuccino. „Er faselte was davon, wir hätten doch gute Freunde bleiben können! Kannst du dir das vorstellen?“

„Bei ihm schon.“ Dany rollt mit den Augen. „Hast du ihm gesagt, dass man erst mal Freunde gewesen sein muss, um Freunde zu bleiben?“

„Exakt diesen Wortlaut“, grinse ich.

„Weißt du eigentlich, was er in den letzten 15 Jahren so getrieben hat?“, erkundigt Dany sich.

Ich schüttele den Kopf.

„Nein, absolut nicht. Ich habe keine Ahnung“, versichere ich.

„Du hast den Arsch echt nie gegoogelt?“ Dany wirft mir einen überraschten Blick zu. „Niemals, in all den Jahren nicht? Nicht mal heimlich, ohne es mir zu sagen? Ich kann das gar nicht glauben.“

„Glaub es“, erwidere ich. „Ich habe es damals wirklich ernst gemeint, als ich sagte, ich wolle nie wieder etwas von ihm hören. Das beinhaltet natürlich auch, dass ich nicht irgendwelche Nachforschungen über ihn anstelle.“

Dany runzelt die Stirn.

„Warst du nie neugierig, was er so macht?“, wundert sie sich. „Du hättest auf Facebook mit Leichtigkeit feststellen können, mit wem er zusammen ist, wo er seinen Urlaub verbringt … All das Zeug eben, was einen so interessiert.“

„Du weißt, dass ich nicht besonders aktiv auf Facebook bin“, erinnere ich sie. „Mir widerstrebt es, der Welt jeden Tag mitzuteilen, was ich gegessen und getrunken habe. Ich werde niemals verstehen, warum die Leute solche Banalitäten posten. Und noch weniger verstehe ich, warum das auch noch kommentiert wird. Die Leute haben einfach nichts zu tun. Sie müssen ein sehr langweiliges Leben führen, wenn sie allen Ernstes kommentieren, dass der Milchkaffee lecker aussieht und dass sie auch gerade einen getrunken haben.“

Dany lacht. „Irgendwo hast du schon recht. Trotzdem kann ich nicht glauben, dass du in all den Jahren niemals Nachforschungen über Alex angestellt hast. Wollen wir das nicht mal ändern?“

Ich zögere. „Eigentlich will ich nichts über ihn wissen.“

„Und uneigentlich?“, grinst Dany. „Los, komm schon. Jetzt bin ich auch neugierig geworden. Es muss doch einen Grund geben, warum er nach all der Zeit plötzlich bei dir aufschlägt.“

Dany zückt ihr Handy und tippt darauf herum. Dann hält sie es mir vor die Nase. Vor mir baut sich Alex‘ Profil bei Facebook auf.

„Alex ist seit fünf Jahren liiert?“, lese ich fassungslos vor. „Er, dem keine Frau jemals gut genug war?“

Ehrlich gesagt trifft mich das bis ins Innerste. Meistens hat er die Frauen, mit denen er es zu tun hatte, nicht mal als seine Freundinnen bezeichnet. Er hat immer nur von seinen Affären gesprochen. Dass er sich erstmalig zu einer Frau bekennt und sie sogar der Facebook Gemeinde vorstellt, ist ein echtes Novum. Das muss eine ganz besondere Frau sein.

Ich spüre, wie der alte Schmerz in mir hochkriecht, weil ich nie gut genug für ihn war. Welche Frau hat es geschafft, ihn zu bekehren? Alex war immer sehr anspruchsvoll, was die Optik anging. Ob er sich ein Model geangelt hat?

„In einer Beziehung mit Veronika Buschkrug“, liest Dany vor. „Klick mal auf den Namen! Da bin ich aber gespannt, welche supertolle Frau Gnade vor seinen Augen gefunden hat.“

Mit einem flauen Gefühl im Magen klicke ich auf Veronika Buschkrug und atme tief durch. Bestimmt ist sie wahnsinnig hübsch, hat eine supertolle Figur und ist Astronautin oder sowas in der Art. Der absolute Überflieger eben.

„Das kann ja wohl nicht wahr sein!“, vernehme ich Danys entsetzte Stimme. „Das ist nicht sein Ernst, oder?“

Ich starre auf das Bild, das sich vor mir geöffnet hat. Es kann sich nur um ein Versehen handeln. Das hier kann unmöglich Alex‘ Freundin sein!

Auch, wenn man weder hämisch noch niederträchtig ist, kann man das Gesicht auf dem Laptop nur als Laune der Natur bezeichnen. Es gibt schöne Menschen und es gibt weniger schöne Menschen, aber diese Frau hier ist abgrundtief hässlich. Ihr Gesicht ist merkwürdig verrutscht und das viel zu große Pferdegebiss sieht aus, als sei es noch nie geputzt worden.

Ich kann mich vage erinnern, dass Alex darauf immer größten Wert gelegt hat. Gepflegte Zähne waren für ihn das Wichtigste – abgesehen von einer Topfigur natürlich.

Auch hier kann Veronika Buschkrug nicht punkten. Sie ist nämlich dick. Richtig dick.

Flüchtig erinnere ich mich daran, dass mir Alex oft genug zu verstehen gegeben hat, dass ich ruhig mal abnehmen könne. Dabei hatte ich immer mein Normalgewicht. Diese Frau jedoch ist so weit von ihrem Normalgewicht entfernt wie ich vom Mond.

„Alex Ahrens, dem keine Frau schön genug war, ist mit dieser Hackfresse zusammen?“

Danys Ausdrucksweise war noch nie besonders geschliffen.

„Das kann einfach nicht sein“, murmele ich. „Weißt du noch, wie er auf meinem Aussehen herumgetrampelt hat?“

Dany nickt giftig.

„Natürlich weiß ich das. Du warst jedes Mal am Boden zerstört und hast wochenlang nichts gegessen, um dich in deine vermeintliche Idealfigur zu hungern. Du wolltest diesem Wichser ja unbedingt gefallen. Also, wenn ich diese Verunglimpfung auf zwei Beinen sehe, verstehe ich gar nichts mehr. Kannst du mir mal sagen, warum er mit so einer Gesichtsbaracke zusammen ist?“

Ich bin völlig benommen. Ich hätte niemals gedacht, dass Alex sich tatsächlich auf eine Frau festlegen würde. Und schon gar nicht auf eine, die aussieht, als könne sie ohne weiteres in der Geisterbahn arbeiten. Ich verstehe das nicht. Er war doch immer so kritisch. Was ist mit ihm passiert? Sieht er nicht mehr richtig?

„Es kann nur eine Sache dahinter stecken“, überlege ich laut. „Warum lässt sich ein attraktiver Mann mit so einer Entgleisung ein?“

„Weil sie Geld hat“, spricht Dany meine Gedanken aus. „Völlig klar.“

Wir klicken uns durch die Bilder – und unser Verdacht wird bestätigt. Der schöne Alex und die hässliche Veronika strahlen um die Wette. Sie stehen vor einem großen Haus mit Garten am Swimmingpool, vor dem Taj Mahal in Indien, dem Eiffelturm in Paris, der Sagrada Familia in Barcelona, dem Kolosseum in Rom, Big Ben in London, der Alhambra in Granada, der Hagia Sophia in Istanbul, der Karlsbrücke in Prag, der Golden Gate Bridge in San Francisco, der Freiheitsstatue in New York, den Pyramiden in Ägypten, der Christusstatue in Rio de Janeiro, den Niagara Wasserfällen, der Chinesischen Mauer … Sie stehen einfach überall.

„Wow, die sind aber verdammt viel rumgekommen“, stellt Dany fest. „Das hat dein Ex-Lover ganz sicher nicht bezahlt. Wie war das noch, als du damals den Kontakt abgebrochen hast? Wohnte er da nicht in einer kleinen Ein-Zimmer-Wohnung und bezog Hartz IV?“

„Hartz IV hatten sie ihm gerade gestrichen“, belehre ich Dany. „Er war mit drei Monatsmieten im Rückstand.“

„Ich würde sagen, da hat er sich aber kolossal verbessert“, spricht Dany durchaus die Wahrheit. „Eben noch ein Loch im Hinterhof, heute stolzer Hausbesitzer mit Swimmingpool. Da nimmt man so eine Hackfresse doch gern in Kauf. Und schau dir die Gesichtsbaracke mal an – einen anderen Mann findet sie im Leben nicht. Aber ehrlich, ich frage mich, wie Alex das macht. Wie kriegt er bei der einen hoch? Wahrscheinlich zieht er ihr einen Sack übers Gesicht und stellt sich sonstwen vor. Aber schon seit fünf Jahren? Das ist wirklich krass. Er ist noch ein mieserer Arsch, als ich gedacht hatte.“

Ich komme mit meinen Gedanken und vor allem Gefühlen gar nicht so richtig nach. Alex nimmt diese Frau tatsächlich nach Strich und Faden aus? Er ist nur deshalb mit ihr zusammen, weil sie ihm ein Leben in Saus und Braus bietet?

„Vroni die Hässliche hat eine eigene Firma“, hat Dany gerade herausgefunden. „Hier, schau mal – sie hat eine Künstler-Vermittlungs-Agentur. Wahrscheinlich vermittelt sie sich selbst an die Geisterbahn.“

Wir klicken uns weiter durch die Website und stellen fest, dass Alex Geschäftsführer der Firma ist und ihm offenbar die Hälfte des Ladens gehört. Damit wäre eindeutig geklärt, was ihn an dieser Frau hält.

„Wie praktisch, wenn man selbst nichts leisten muss und sich ins gemachte Nest setzt“, kommentiere ich. „Alex lebt in einem Haus und kann sich als Geschäftsführer seiner eigenen Firma aufspielen. Selbst hat er garantiert nichts dazu beigetragen.“

„Das würde ich so nicht sagen“, schränkt Dany ein. „Immerhin vögelt er diese Vogelscheuche. Ich weiß, ich bin gemein, aber ich denke daran, wie er an deinem Aussehen herumgemeckert hat. Dabei warst du so hübsch, Vivi-Maus.“

„War?“, erwidere ich gekränkt. „Wieso ‚war‘?“

„Bist“, verbessert sich Dany schnell. „Natürlich bist du immer noch total hübsch. Oh Mann, ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass er mit dieser Presswurst in die Kiste steigt. Und dass er so tief gesunken ist, dass er das alles nur deshalb tut, damit er bloß nicht arbeiten muss. Ehrlich gesagt finde ich ihn noch viel schlimmer, als ich ihn in Erinnerung habe.“

Ich schlucke. Das, was mir durch den Kopf geht, tut verdammt weh, aber ich muss es trotzdem aussprechen.

„Vielleicht liebt er sie“, werfe ich ein. „Er liebt sie und darum ist es ihm egal, wie sie aussieht. Es kann ja sein, dass sie total nett ist und die beiden sich bombig verstehen. Da ist das Aussehen dann nicht mehr so wichtig.“

Dany tippt sich an die Stirn und stößt ein heiseres Lachen aus.

„Das glaubst du doch wohl selbst nicht“, sagt sie scharf. „Da müsste er sich aber sehr verändert haben. Nein, er liebt nicht sie, sondern ihr Geld. Er lässt sich von ihr aushalten. Das machen viele junge, hübsche Mädchen mit irgendwelchen reichen, alten Säcken. Warum sollte es nicht auch umgekehrt funktionieren?“

„Aber sie sehen glücklich aus“, stelle ich mit belegter Stimme fest. „Findest du nicht auch?“

Dany zuckt mit den Schultern.

„Klar ist man glücklich, wenn man in der ganzen Welt herumreist und nichts dafür tun muss“, erwidert sie lakonisch. „Alex ist glücklich, weil er nur ein paar Mal seine Hüften kreisen lassen muss, um das alles zu genießen. Und diese Veronika ist glücklich, weil sie im wahren Leben niemals so einen attraktiven Mann abgekriegt hätte. Ich frage mich echt, ob dieser Typ morgens eigentlich noch in den Spiegel gucken kann, ohne sich zu übergeben. Wie kann er das bloß mit seinem Gewissen vereinbaren?“

„Er hatte noch nie ein Gewissen“, stelle ich klar.

„Stimmt auch wieder“, seufzt Dany.

Ich erinnere mich plötzlich wieder an viele kleine Gemeinheiten. Als wir ein einziges Mal in all der Zeit doch mal spazieren gegangen sind, hat Alex sich keinesfalls zurückgehalten, sondern jeder hübschen Frau hinterher gestarrt. Natürlich nicht, ohne mich auf ihre Vorzüge hinzuweisen.

„Wow, die hat aber einen geilen Hintern. So schön fest und prall. Da würde ich gern mal reingreifen.“

Auch nicht nett war seine Bemerkung, als er einen Cockring über seinen Schwanz streifen wollte und sein bestes Stück leider zu dick war.

„Der muss erst mal wieder abschwellen“, hatte er gemeint und mich blöde angegrinst. „Naja, da muss ich ja nur dich ein bisschen anschauen.“

Und wenn er diese Schreckschraube anschaut? Schrumpft da sein Schniedel auf Stecknadelgröße zusammen?

Ich merke, wie sich Wut in mir ausbreitet.

Wieso habe ich das alles mit mir machen lassen? Warum habe ich mich von ihm ständig beleidigen und klein machen lassen? Warum habe ich ihm niemals Contra gegeben?

Die Antwort ist einfach: Ich hatte Angst, ihn zu verlieren. Dabei habe ich ihn nie besessen. Wir waren ja gar nicht zusammen. Ich hatte Angst, den winzigen Teil, den er mir von sich gab, auch noch zu verlieren. Darum habe ich meine Klappe gehalten und alles herunter geschluckt. Viel zu lange, viel zu oft.

„An was denkst du?“, fragt Dany sanft und legt ihren Arm um meine Schulter. „Daran, wie er dich beleidigt und klein gemacht hat? Tja, meine Liebe, wenn du auch so viel Geld gehabt hättest wie diese Bulldogge, hätte er wahrscheinlich die Klappe gehalten und sich von dir aushalten lassen. Aber damals hattest du eben kein Geld.“

„Das hat sich jetzt zum Glück geändert“, sage ich und schüttele den Kopf.

Was würde ich an Veronikas Stelle tun? Würde ich einen Mann wie Alex aushalten? Nein. Ich fände einen Mann unsexy, der sich nicht selbst ernähren kann.

Jedenfalls ist er ein noch größerer Mistkerl als damals.

„Aber die Frage bleibt: Was will er jetzt von mir? Warum ist er heute zur Buchmesse gekommen?“, frage ich Dany und mich selbst, obwohl ich weiß, dass keine von uns die Antwort darauf kennt.

Dany zuckt mit den Schultern.

„Vielleicht ist Veronikas Firma pleite und er sucht eine neue reiche Frau, die ihn aushalten kann. Dich.“

Ich starre Dany an. „Meinst du das im Ernst?“

„Klar“, bestätigt Dany. „Immerhin warst du mal total besessen von ihm, und außerdem siehst du viel besser aus als ‚Veronika der Lenz ist da‘. Wenn ich Alex wäre, würde ich diese hässliche Frau sofort gegen dich eintauschen.“

„Vielen Dank für das zweifelhafte Kompliment.“

„Er hat gehört, dass du jetzt eine erfolgreiche Autorin bist und will dich finanziell ausnehmen“, vermutet Dany. „Übung hat er darin ja bereits. Warum sonst sollte er nach all der Zeit plötzlich bei dir auftauchen?“

Ja, warum wohl? Ich habe keine Ahnung. Vielleicht ist Danys Vermutung gar nicht so abwegig.

Kapitel 3

Berlin, 2000

„Wie findest du meinen Roman?“, wollte ich herzklopfend wissen, als ich Alex nach endlosen drei Wochen wiedersah.

Er hatte mir bei unserem letzten Treffen mehr als deutlich zu verstehen gegeben, dass wir keine Liebesbeziehung hatten, sondern nur eine Affäre und dass ich kein „Abo“ auf ihn hatte. Demzufolge mussten wir uns nicht an jedem Wochenende sehen, sondern nur an jedem zweiten. Und damit ich es auch wirklich kapierte, hatte ich diesmal sogar drei Wochen lang warten müssen.

Drei Wochen … Es war eine Ewigkeit gewesen und hatte mich umgebracht. Ich hatte mich so sehr nach ihm gesehnt und die Tage gezählt.

Außerdem hatte ich furchtbare Angst gehabt, dass er kurz vorher anrufen und mir sagen würde, dass er noch eine weitere Woche dranhängen würde. Das hätte ich nicht überlebt. Ich wusste, er würde das fertigbringen, denn schließlich war er nicht in mich verliebt. Ich war nur seine „sexuelle Grundversorgung“, wie er es mal charmant ausgedrückt hatte.

Alex zuckte uninteressiert mit den Achseln.

„Naja, es ist nicht das, was ich normalerweise lesen würde“, gab er blasiert von sich.

Klar. Der kluge Mann studierte schließlich Schauspiel und hielt sich für etwas Besseres. Wahrscheinlich las er nur Leo Tolstoi und Hermann Hesse.

Ich schrumpelte zusammen. Gab es eigentlich ein einziges Treffen, bei dem Alex mir nicht signalisierte, dass er intelligenter war als ich? Nein.

„Hast du es trotzdem gelesen?“, hakte ich schüchtern nach.

Alex nickte gnädig und zog an seinem Joint.

„Und?“, fragte ich nervös. „Hat dir denn wenigstens der Schreibstil gefallen?“

Es war entwürdigend, wie sehr ich nach einem winzigen Kompliment von ihm lechzte. Alex sagte mir grundsätzlich nie etwas Nettes.

Alex gähnte, als wolle er mir zu verstehen geben, dass es ihn langweilte, über mein Buch zu reden.

„War schon okay“, rang er sich schließlich ab. „Also, es gibt schlechtere. Für den Anfang gar nicht mal so übel.“

Alles andere wäre wohl auch zu viel verlangt gewesen.

„Ich meine, du bist Amateurin und keine richtige Schriftstellerin. Da kann man nicht viel erwarten“, schob er gönnerhaft nach. „Aber so schlecht ist es nun auch wieder nicht. Jeder fängt mal klein an. Du kannst dich ja noch verbessern und dann den Pulitzer Preis einheimsen.“ Er lachte spöttisch.

Ich schluckte. In seinen Augen war ich keine gute Autorin. Irgendwie fand er nichts an mir wirklich gut. Weder mein Aussehen noch das, was ich tat oder meinen Charakter. Er hatte immer irgendwas an mir zu mäkeln und schien permanent genervt von mir zu sein. Und als Freundin kam ich für ihn sowieso nicht in Betracht. Er hatte mir mehr als einmal unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass ich nur fürs Bett gut genug war. Die Frau, die Graf Alex von und zu Ahrens becircen konnte, musste aussehen wie ein Model, einen IQ von mindestens 150 haben und überdies etwas ganz Besonderes sein. Und das war ich nun mal alles nicht. Mein Selbstbewusstsein, das ohnehin nicht sehr ausgeprägt war, litt immens unter seinem Verhalten.

Warum gab ich ihm nicht einfach einen Tritt in seinen knackigen Arsch?

Tja, weil es eben noch diese andere Seite an ihm gab. Und diese andere Seite hieß: Sex.

Wir hatten uns auf einer öden Party kennengelernt, zu der mich Dany mitgeschleppt hatte. Normalerweise war ich überhaupt nicht der Typ für einen One-Night-Stand, aber Alex‘ Aura hatte mich dermaßen fasziniert, dass ich noch am selben Abend mit zu ihm nach Hause gefahren war.

Und was ich dort erlebte, hatte ich in meinem ganzen Leben noch nicht erlebt.

Bisher hatte ich guten, weniger guten und schlechten Sex gehabt.

Mit Alex allerdings öffnete sich der Himmel für mich. Es war absolut unbeschreiblich. Er berührte mich – und ich flippte völlig aus. Es war kein Sex, es war Magie. Ich driftete komplett in eine andere Welt ab und ließ mich von ihm stundenlang verrückt machen. Es hörte einfach nicht auf und wir trieben uns die ganze Nacht lang immer wieder in den Wahnsinn. Nie zuvor hatte ich so etwas erlebt. Nicht mal ansatzweise. Ich hatte mir nicht mal vorstellen können, dass es so einen irrsinnigen Rausch überhaupt gab.

Nach dieser Nacht war ich ihm verfallen. Ich war die nächste Woche total high und dachte an nichts anderes mehr als an seinen Körper und was dieser Körper mit meinem gemacht hatte. Ich konnte es überhaupt nicht mehr abwarten, ihn endlich wieder zu spüren und fieberte unserem nächsten Treffen entgegen.

Das Unmögliche passierte: Die zweite Nacht wurde noch ekstatischer. Und die dritte und vierte auch. Es wurde immer besser mit ihm, immer wahnsinniger. Ich konnte nicht genug von ihm kriegen. Er war für mich wie eine Droge. Ich wurde besessen von dem Sex mit ihm. Die Stunden mit ihm waren so irre, dass sich mein ganzes Leben bald nur noch darum drehte. Ich hätte alles dafür gegeben.

Und irgendwie gab ich die Hoffnung nicht auf, dass aus uns doch noch irgendwann ein Paar werden würde. Immerhin empfand Alex den Sex als genauso einzigartig wie ich und war hin und weg von dieser Leidenschaft, die wir miteinander erlebten. Intuitiv spürten wir beide, dass wir das niemals wieder mit irgendjemand anderem haben würden.

Musste ihn das nicht mit der Zeit so sehr an mich binden, dass er doch noch eine Beziehung in Betracht ziehen würde?

Seit einem Jahr lief unsere Affäre nun schon. Wir sahen uns jeden zweiten Samstag und ich verbrachte die Nacht bei ihm und durfte mit ihm frühstücken. Das war es dann. Wir gingen nie miteinander aus, unternahmen nichts, redeten nicht viel. Wir hatten nur Sex. Alles andere blendeten wir aus, so gut es ging.

Aber manchmal kam es eben doch zu Unterhaltungen – und die waren selten liebevoll. Ich verstand nach wie vor nicht, dass Alex sich mir im Bett komplett hingab und der sinnlichste Lover war, den ich mir vorstellen konnte – und außerhalb des Bettes kalt und abweisend war. Das passte für mich nicht zusammen.

„Komm mal her.“

Alex‘ Stimme war auf einmal sehr viel sanfter, als er mir seine Hand entgegen streckte.

Ich schluckte die aufsteigenden Tränen herunter. Warum, verdammt noch mal, hatte ich mich immer noch nicht daran gewöhnt, dass ich für ihn nur die „Besser als nichts“ Lösung war? Nach einem Jahr hätte ich mich längst damit abfinden sollen.

„Ist dir eigentlich bewusst, wie du dich mir gegenüber verhältst?“, konnte ich mir nicht verkneifen.

Alex seufzte auf.

„Findest du nicht, dass du ein bisschen überreagierst?“, stellte er mir eine Gegenfrage und begann, mit seinen Fingerkuppen die Innenseite meiner Hand zu streicheln.

Es war verrückt, was allein dieses harmlose Berührung in mir auslöste. Alex musste nur sein Knie über mein Knie legen – und ich löste mich auf. Jede seiner Berührung traf mich bis ins Mark und ließ mich meterhoch über dem Boden schweben.

„Nein, finde ich nicht“, erwiderte ich und schloss die Augen.

Es kribbelte plötzlich an so vielen Stellen meines Körpers und ich spürte, wie dieser rote Nebel sich über mein Gesicht legte. Alles um mich herum wurde warm. Es fühlte sich so an, als würde ich in grenzenlose Liebe eintauchen.

„Das, was wir haben, ist so unendlich schön“, raunte Alex dicht an meinem Ohr und streichelte mit seiner Zunge mein Ohrläppchen. Ich erschauerte.

„Findest du nicht, dass wir eine ganze Menge haben?“

Ich wollte sagen, dass es nicht genug war. Dass ich ihn ganz und gar wollte, nicht nur alle zwei Wochen für eine Nacht.

Doch er verschloss mir mit einem Kuss die Lippen und ab diesem Moment war mein Kopf komplett ausgeschaltet. Es gab nur noch ihn und mich auf der Welt, nur noch unsere Körper, unsere Wärme, unsere Gier, unser Verlangen. Alles andere existierte nicht mehr.

Es hört sich verrückt an, aber wenn Alex und ich miteinander im Bett waren, hatte ich jedes Mal das Gefühl, dass wir uns liebten. Alex war nicht nur leidenschaftlich und wild, sondern auch unglaublich zärtlich und liebevoll. Er küsste und streichelte mich stundenlang und tat alles, damit es für mich schön war.

Warum tat er das für eine Frau, die ihm offenbar egal war?

In diesen kostbaren Stunden fühlte ich mich von ihm geliebt und begehrt. Alles war gut. In diesen Stunden gab er mir all das, was er mir im Alltag vehement verwehrte. Wir waren untrennbar miteinander verbunden, es gab nur uns beide auf der Welt und wir befanden uns in einem Rausch, den uns keine Droge der Welt hätte geben können. Es war wie ein Zauber, der uns beide umgab und der mit Worten nicht zu beschreiben war.

Das Aufwachen am nächsten Morgen war jedes Mal wie eine eiskalte Dusche. Es gab zwar den obligatorischen Quickie und das anschließende Frühstück, aber das war eher ungemütlich.

Während ich voller Glückshormone und bis über beide Ohren verliebt war, saß Alex mir mit ausdruckslosem Gesicht gegenüber; so, als hätte unsere leidenschaftliche Nacht niemals stattgefunden.

Er hatte keine Lust, mit mir zu reden, sah mich kaum an und konnte es ganz offensichtlich nicht erwarten, dass ich endlich verschwand. Das war bitter und demütigend.

Dann war ich allein in meiner kleinen Hinterhof-Wohnung in Neukölln und fühlte mich sterbenselend. Jetzt lagen erneut 13 endlose Tage vor mir, an denen ich lediglich von Alex träumen konnte.

Außerdem wusste ich nie, ob ich ihn tatsächlich wiedersehen würde. Es bestand immer die Gefahr, dass er zwischenzeitlich eine Frau kennenlernte, die ihn mehr begeistern konnte als ich. Und ich wusste, er würde keinerlei Skrupel haben, mich sofort abzuservieren.

Für ihn hatte Sex mit Liebe nicht viel zu tun. Der „einzigartige“ Sex würde ihn nicht an mich binden. Das wusste ich – und es schmerzte so sehr, dass es mich umbrachte. Ich konnte absolut nichts dagegen tun – außer zu hoffen, dass er mir noch eine kleine Weile erhalten blieb. Dass ich ihn auf längere Sicht verlieren würde, war mir klar. Ich versuchte, nicht darüber nachzudenken. Tat ich es doch, weinte ich bittere Tränen.

Es tat unglaublich weh, jemanden zu lieben und zu wissen, dass man ihn früher oder später an eine andere Frau verlieren würde.

Warum, verdammt noch mal, war ich nie gut genug für den Mann, den ich liebte? War das mein Schicksal?

Im Grunde wiederholte sich meine Kindheit. Mein Vater hatte meine Mutter und mich verlassen, als ich noch ein Baby gewesen war und sich kaum um mich gekümmert. Klar, er hatte ja jetzt eine neue Familie und eine neue Tochter. Er hatte mich ersetzt, ich war nur noch die zweite Wahl. Wenn wir uns überhaupt mal sahen, hatte ich jedes Mal das Gefühl, ich sei ihm nur lästig und er sei froh, wenn er mich nach maximal einer Stunde wieder los war.

Er scheute sich auch nicht, in den höchsten Tönen von seiner Tochter zu schwärmen und mir mitzuteilen, wie sehr er sich freue, sie am Abend wiederzusehen. Mich sah er alle paar Jahre – und er sagte mir nie, dass er sich darüber freue.

War das nicht genau dasselbe, was ich mit Alex hatte? Für meinen Vater war seine zweite Tochter sein Augenstern und ich nur ein lästiges Anhängsel – und für Alex war ich lediglich eine Übergangslösung, bis er seine Traumfrau finden würde.

Offenbar stimmte es, dass man das Drama seiner Kindheit als Erwachsene mit wechselnden Darstellern auf verschiedenen Bühnen des Lebens aufführte. Man suchte immer wieder zwanghaft nach dem, was man aus der Kindheit kannte.

In Alex hatte ich den perfekten Spiegel meines Vaters gefunden. Mein Vater wollte mich nicht, Alex wollte mich nicht – und ich sehnte mich verzweifelt danach, endlich geliebt zu werden. Darum versuchte ich alles in meiner Macht stehende, Alex doch noch zu gefallen. Ich machte mich besonders hübsch für ihn, war ständig auf Diät, weil ich den Eindruck hatte, ich sei ihm zu dick und bemühte mich, ihm nicht ständig Vorhaltungen zu machen. Ich wollte fröhlich und unkompliziert sein, denn ich wusste, dass er es hasste, wenn ich ihm Vorwürfe machte.

Aber ich war nicht fröhlich und unkompliziert. Ich war traurig und allein und kam dennoch nicht von ihm los.

Alex gab mir Himmel und Hölle zugleich und je tiefer ich fiel, desto ekstatischer waren die Nächte mit ihm.

Ich kam aus dieser destruktiven Schleife einfach nicht mehr raus.

Kapitel 4

„Mit Alex hat mich von Anfang an eine Art Hassliebe verbunden“, sinniere ich. „Natürlich habe ich ihn gehasst für die Art und Weise, wie er mich behandelt hat. Und trotzdem waren die Nächte mit ihm das Sinnlichste und Leidenschaftlichste, was ich jemals erlebt habe. Nach ihm gab es keinen Mann mehr, der ihm in dieser Hinsicht auch nur das Wasser hätte reichen können. Mit manchen Männern war es schön im Bett, mit manchen war es weniger schön, aber diese totale Verschmelzung und Hingabe habe ich nur ein einziges Mal in meinem Leben erlebt, und zwar mit Alex. Das hat mich immens an ihn gebunden.“

Dany nickt. „Ich weiß. Bis zu einem gewissen Grad kann ich das nachvollziehen. Man muss kein Psychologe sein, um zu verstehen, was in diesen toxischen Beziehungen abgeht. Man kann den Sex mit einem Mann, der dich am ausgestreckten Arm verhungern lässt, nicht mit dem Sex vergleichen, den du mit einem liebevollen Mann erlebst.“

„Das stimmt“, seufze ich. „Die sexuelle Anziehungskraft speist sich aus der Sehnsucht, die man ständig verspürt, weil sich der Typ permanent entzieht und man sich ihm nie sicher sein kann. Darum genügt schon eine kleine Berührung – und man ist kurz vor dem Orgasmus. Das ist so ähnlich wie mit dem Essen. Wenn man nur alle zehn Tage etwas zu essen bekommt, schmeckt selbst das Essen des schlechtesten Kochs wie im Drei Sterne Restaurant.“

Dany blickt mich nachdenklich an.

„Dieses Szenario birgt eine große Gefahr: Wenn du diese Art von Sex gewohnt bist, kannst du mit dem anderen Sex nicht so viel anfangen. Der Sex mit einem Mann, der dir emotionale Sicherheit entgegen bringt, ist alles andere als ein Abgrund. Und wo kein Abgrund, dort auch kein Vabanquespiel. Die Spannung wird sich nicht explosionsartig von selbst ergeben - sie entsteht aus Nähe, Liebe, einander zugewandt sein. Man muss mehr von sich selbst zeigen und mehr von sich selbst geben. Man muss sich mehr mit dem Körper des anderen beschäftigen, möglicherweise auch mit dem eigenen. Dieses Konzept heißt Appetit und nicht Heißhunger. Diese Art von Beziehung geht auf jeden Fall tiefer, ist vielschichtiger und hat mehr Bestand.“

„Aber die erste Variante hat auch ihre Vorteile“, erwidere ich. „Alles Destruktive, Abgründige hat seinen Reiz, ist sexy und interessant. Es ist eben nur die Frage, ob man diesen speziellen Reiz sein Leben lang braucht. Auf Dauer macht diese Destruktivität kaputt und laugt emotional extrem aus. Was ich am Anfang noch spannend und erotisch fand, war am Ende der tiefste Abgrund.“

„Ich kann mich noch sehr gut erinnern“, seufzt Dany. „Ich habe damals Tausende deiner Tränen getrocknet und ewig mit dir darüber diskutiert, was für ein Mistkerl er ist. Er hat nicht nur dich Jahre deines Lebens gekostet, sondern auch mich. Dafür sollte er endlich büßen, findest du nicht auch?“

Ich runzele die Stirn.

„Wie meinst du das?“, frage ich vorsichtig, denn ich kenne die schrägen Taten, zu denen Dany ihre Protagonisten in ihren Romanen ermutigt.

„Er bezahlt endlich für all das, was er mit dir gemacht hat“, sagt Dany euphorisch. „Du rächst dich an ihm. Wie Roseanne Barr in ‚Die Teufelin‘. Au ja, das machen wir! Das wird ein Spaß!“

„Du meinst den Film, in dem die Protagonistin das Haus ihres Ex-Mannes angezündet hat?“, vergewissere ich mich. „Findest du das nicht ein bisschen zu krass?“

„Es kann auch das Auto sein“, schlägt Dany eifrig vor. „Hast du nicht mal erzählt, dass Alex sein Auto mehr geliebt hat als alles andere und es an jedem Wochenende stundenlang geschrubbt hat?“

„Du willst sein Auto abfackeln?“, frage ich entsetzt. „Bist du verrückt geworden? Das kannst du doch nicht machen.“

Danys Augen blitzen.

„Ich weiß ja gar nicht, wo er überhaupt wohnt und was für ein Auto er hat“, sagt Dany unschuldig. „Wie sollte ich es da anzünden können?“

Misstrauisch blicke ich meine Freundin an und ahne Schlimmes. Ich sehe Alex schon schreiend aus seinem Haus laufen, weil die Feuerwehr angerast kommt, um sein Auto zu löschen, das in Flammen aufgegangen ist.

Andererseits …. Vielleicht ist das mit der Rache gar keine so schlechte Idee. Es könnte sogar Spaß machen.

Warum eigentlich nicht?

Warum soll dieser Bastard nicht auch mal einstecken?

***

Am nächsten Tag findet der zweite Tag der Buchmesse statt und er wird noch anstrengender als der erste, weil ich kaum geschlafen habe und total groggy bin. Als um 20 Uhr die Pforten schließen, bin ich fix und fertig und sehne mich nach meinem Bett. Mühsam halte ich mich auf den Beinen und sehe verschwommen eine Gestalt auf mich zuwanken. Oh nein, auch das noch!

„Habe ich mich gestern nicht klar genug ausgedrückt?“, schnauze ich Alex zur Begrüßung an. „Welchen Teil von ‚Ich will dich nicht wiedersehen‘ hast du nicht verstanden?“

Alex reagiert ganz anders, als ich erwartet habe: Er nimmt mich einfach in seine Arme.

Das haut mich um. Ich bin so perplex, dass ich gar nicht reagieren kann, sondern schlaff in seinen Armen hänge. Warum zur Hölle tut er das? Und warum fühlt es sich so gut an?

„Du siehst übrigens toll aus“, behauptet er. „Du hast eine ganz andere Ausstrahlung bekommen als damals. Du wirkst wahnsinnig ausgeglichen und zufrieden.“

Alex schafft es sogar, mir einen bewundernden Blick zuzuwerfen. Das hat er noch nie getan und entsprechend merkwürdig fühlt es sich an.

Ich rufe mir Veronikas Bild ins Gedächtnis und kann mir ein müdes Grinsen nicht verkneifen. Kein Wunder, dass er mir zum ersten Mal ein Kompliment macht. Verglichen mit seiner Lebensgefährtin sehe ich auch hundemüde immer noch aus wie ein Topmodel.

„Das liegt daran, dass ich mich nicht mehr über dich ärgern muss“, gebe ich zurück. „Es spart ungemein viel Nerven, wenn man nicht mehr mit einem Typen herummacht, der einem ständig zu verstehen gibt, dass man das Allerletzte ist.“

Alex sieht mich betreten an.

„Vivian, das wollte ich nie. Es tut mir leid, wenn das so rübergekommen ist. Ich weiß, dass ich dir selten etwas Nettes gesagt habe. Dabei hätte ich allen Grund dazu gehabt. Natürlich warst du auch damals schon verdammt hübsch.“

„Oh, Alex, lass es einfach“, sage ich genervt. „Das klingt aus deinem Mund wirklich total schräg.“

„Aber ich meine es wirklich so“, sagt Alex mit Nachdruck. „Es gab eine Menge, für das ich dir Komplimente hätte machen sollen.“

„Nun übertreib es mal nicht“, winke ich ab und lasse mich völlig entkräftet auf dem nächstbesten Stuhl nieder. „Du musst jetzt nicht alles nachholen, was du in fünf Jahren versäumt hast.“

Alex holt tief Luft und bläht seine Nasenflügel auf.

„Du bist ganz schön kratzbürstig“, stellt er fest. „Aber ich kann das verstehen. Du hast viel mit mir durchgemacht und bist immer noch sauer auf mich.“

„Bilde dir mal nicht zu viel ein“, schnappe ich. „So wichtig bist du mir nicht mehr. Das war einmal und zum Glück ist das lange vorbei. Im Nachhinein kann ich sowieso nicht verstehen, warum ich deine Unverschämtheiten so lange mitgemacht habe. Ich hätte dich viel früher in den Wind schießen sollen.“

Dieser Mistkerl sieht natürlich mal wieder atemberaubend aus. Sein weißes Hemd ist oben offen und lässt mich einen Blick auf seine Brust erhaschen. Ich habe seinen durchtrainierten Oberkörper immer geliebt. Seine Haut war extrem weich und zart, viel glatter und samtiger als bei anderen Männern. Ich habe seine muskulösen Oberarme geliebt, seinen Geruch, seine anmutigen Bewegungen. Ich habe es geliebt, wie er mich stundenlang um den Verstand gebracht hat.

Aber daran will ich jetzt nicht denken. Es macht alles nur kompliziert. Ich muss diese Bilder endlich aus meinem vernebelten Gehirn löschen.

Alex räuspert sich.

„Wollen wir zusammen essen gehen?“, will er wissen. „Ich habe einen Mordshunger.“

„Oh, du erlaubst mir, etwas zu essen?“, erkundige ich mich sarkastisch. „Fandest du mich nicht immer zu fett?“

Alex holt wieder geräuschvoll Luft.

„Müssen wir immer auf den ollen Kamellen von damals herumreiten?“, fragt er leicht genervt. „Das ist 15 Jahre her. Hast du das immer noch nicht verwunden?“

„Nein. Du könntest dich wenigstens mal dafür entschuldigen“, fahre ich ihn an. „Besser spät als nie, oder?“

Alex verdreht die Augen.

„Okay, okay. Ich entschuldige mich für mein Verhalten. Ich weiß, ich bin damals manchmal etwas übers Ziel hinaus geschossen.“

„Manchmal? Etwas?“, wiederhole ich schnippisch. „Ich würde sagen, du bist bei jedem unserer Treffen extrem übers Ziel hinausgeschossen. Soll ich dir ein paar Beispiele nennen?“

„Nein, danke, kein Bedarf“, winkt Alex ab. „Ich kann mich an alles bestens erinnern.“

„Um auf deine Frage zurückzukommen: Nein, ich will nicht mit dir essen gehen“, erkläre ich schroff. „Ich bin müde und will ins Bett.“

„Okay“, lenkt Alex ein. „Dann wünsche ich dir eine erholsame Nacht. Und ich freue mich, dass du eine erfolgreiche Autorin geworden bist und einen so gutaussehenden Partner hast.“

Was man von dir nicht behaupten kann.

„Danke“, erwidere ich knapp. Eigentlich sollte ich jetzt aufstehen und gehen, aber ich kann es einfach nicht lassen.

„Und bei dir?“, erkundige ich mich. „Bist du auch erfolgreich und hast eine gutaussehende Freundin?“

Alex zuckt leicht zusammen.

„Bei mir ist auch soweit alles klar“, sagt er dann. „Ich bin mit einer Frau zusammen und arbeite bei ihr in der Firma.“

Geflissentlich sieht er an mir vorbei.

„Ich dachte, du bist müde und willst ins Bett?“, erinnert er mich.

„Jetzt nicht mehr“, erkläre ich munter. „Jetzt würde ich doch gern etwas darüber erfahren, wie du heute lebst.“

Nun ist es Alex, der ein bisschen müde wirkt.

„Was willst du denn wissen?“, fragt er zurückhaltend.

„Naja, das sind eher dürftige Informationen“, finde ich. „Was ist das für eine Frau? Wie lange bist du schon mit ihr zusammen? Und was für eine Firma ist das?“

Ich kann mir vorstellen, dass es Alex sehr gegen den Strich geht, Künstler zu vermitteln, wo er sich immer selbst für einen gehalten hat. Schließlich hat er Schauspiel an der Universität der Künste studiert und wollte ein berühmter Schauspieler werden. Das hat wohl nicht ganz geklappt.

„Sie heißt Veronika“, teilt Alex mir mit und hüstelt. „Sie ist … ähm … sieben Jahre älter als ich und … naja …“

Er seufzt und hebt seinen Kopf, um mich nun endlich doch mal anzusehen.

„Um ehrlich zu sein, ist sie optisch nicht gerade eine Granate.“

Also, mein Lieber, das ist noch stark untertrieben!

„Das wundert mich, wo perfektes Aussehen für dich doch immer so wichtig war“, säusele ich. „Eigentlich war dir keine Frau hübsch genug, oder? Was ist passiert? Hast du neuerdings ein Augenleiden?“

Alex brummt irgendetwas vor sich hin und sieht reichlich abgekämpft aus.

„Dann muss sie irgendetwas anderes haben, das dich in ihren Bann zieht“, erwidere ich honigsüß. „Was ist es denn?“

Kann sie vielleicht besonders gut blasen oder ist es doch ihre Kohle, die dich reizt?

Alex hüstelt wieder. Er scheint einen dicken Frosch im Hals zu haben.

„Auch, wenn das nicht gerade für mich spricht: Am Anfang war es ihr Geld“, sagt er entwaffnend ehrlich. „Wir haben uns über eine Anzeige kennengelernt, in der sie einen Reisepartner für eine Karibik Kreuzfahrt gesucht hat. Die hatte ich immer schon mal machen wollen, und selbst konnte ich sie mir nicht leisten. Ich wusste natürlich, worauf ich mich einlasse. Es war klar, dass man nicht fünf Wochen in einem Doppelbett schläft und da nichts läuft.“

„Du warst praktisch ein Gigolo?“, erkundige ich mich fassungslos. „Sie hat dir diese Reise bezahlt und du hast im Gegenzug mit ihr geschlafen?“

Oh mein Gott, er ist ja noch tiefer gesunken, als ich angenommen hatte!

Alex beißt sich auf die Lippe. Ihm scheint diese Tatsache extrem unangenehm zu sein, was ich gut verstehen kann. Mir gegenüber hat er sich damals immer so aufgespielt, als sei er der absolute King und habe die Schönste der Schönen verdient. Das hat ja wohl nicht so ganz funktioniert.

„So muss man es wohl ausdrücken“, bestätigt er sichtlich verlegen. „Ich war damals in einer desolaten finanziellen Situation. Mit der Schauspielerei ging es nicht weiter, ich kam über einige kleine Engagements nicht hinaus. Das Geld reichte hinten und vorne nicht. Ich hatte schon seit Jahren keinen Urlaub mehr gemacht. Und … naja, Veronika war wirklich ganz nett. Es ging zuerst nur um eine Begleitung und nicht um Sex. Das hat sich dann ergeben.“

„Und eure Beziehung … Die hat sich dann auch ergeben?“, frage ich.

Alex kratzt sich am Kopf.

„Veronika hat sich mächtig ins Zeug gelegt“, berichtet er. „Sie fand den Urlaub so toll, dass sie mich nicht mehr loslassen wollte. In der Folgezeit hat sie eine Menge gemacht, um mich an sich zu binden. Sie hat mich zu Kurztrips übers Wochenende eingeladen, mir alles Mögliche gekauft und war unglaublich nett zu mir. Am Anfang konnte ich mir überhaupt nicht vorstellen, jemals eine Beziehung mit ihr einzugehen. Aber stetig Wasser höhlt den Stein. Irgendwann gehörte sie einfach zu meinem Leben. Trotzdem habe ich immer wieder gesagt, dass wir nur eine Affäre haben können, womit sie auch einverstanden war. Aber sie hat es ziemlich geschickt angestellt. Plötzlich war sie überall, wo ich auch war und war trotzdem nie aufdringlich. Nach ein paar Monaten hatte ich mich einfach an sie gewöhnt.“

Ich schlucke. An mich hatte er sich auch nach fünf Jahren nicht gewöhnt, aber ich hatte damals ja auch kein Geld und konnte ihn nicht zu irgendwelchen Urlaubsreisen einladen. Hätte das etwas geändert? Wären wir dann heute zusammen?

Aber würde ich wirklich mit einem Mann zusammen sein wollen, der nur wegen der Kohle bei mir ist? Wie würde ich mich dabei fühlen? Grauenhaft natürlich.

„Du bist mit ihr eine Beziehung eingegangen, weil du dich an sie beziehungsweise an ihr Geld gewöhnt hattest?“, hake ich erschüttert nach. „Hast du mir nicht mal gesagt, aus dir und mir könne nichts werden, weil du der Ansicht seist, das Schicksal schulde dir noch die eine, ganz große Liebe? Was ist mit deiner großen Liebe? Hast du den Glauben daran aufgegeben?“

Alex sieht mir direkt in die Augen und ich erschauere. Sein Blick haut mir immer noch die Beine weg.

„Ich bin da irgendwie hineingerutscht“, sagt er lahm. „Natürlich wünscht sich jeder die ganz große Liebe, aber ich bin mir nicht sicher, ob die tatsächlich existiert. Vielleicht laufen wir alle nur einem Ideal hinterher, das es nur im Märchen gibt. Die Realität sieht meistens ganz anders aus. Und selbst, wenn du deine große Liebe wirklich findest – nach ein paar Jahren ist der Alltag eingekehrt und dann ist es auch mit der großen Liebe nicht anders als mit jedem anderen Partner.“

„Und du meinst, darum kann man auch gleich jemanden wählen, den man gar nicht liebt?“, ereifere ich mich. „Besonders, wenn derjenige so viel Geld hat, dass man bequem davon leben kann?“

Alex zuckt wieder mit den Achseln.

„Ich führe ein gutes Leben, muss mir um Geld keine Sorgen machen und Veronika und ich verstehen uns ganz gut. Klar, sie ist nicht meine große Liebe und ich finde sie optisch alles andere als anziehend, aber dennoch bin ich mit meinem Leben im Großen und Ganzen zufrieden.“

„Betrügst du sie?“ Die Frage ist mir herausgerutscht, noch ehe ich darüber nachdenken kann.

Alex sieht mich an, ohne zu antworten.

„Also ja“, ziehe ich meine eigenen Schlussfolgerungen. „Oh Mann, Alex, wie tief bist du gesunken? Du lebst mit einer Frau zusammen, die du nicht liebst, betrügst sie auch noch – und das alles nur, weil du zu faul bist, um dich um dein eigenes Leben zu kümmern. Ich finde das verachtenswert. Hast du gar kein Gewissen? Kannst du morgens überhaupt noch in den Spiegel gucken? Und weiß diese arme Frau das?“

Alex runzelt die Stirn.

„Sag mal, was soll das eigentlich?“, fährt er mich an. „Wie kommst du überhaupt dazu, mir Vorwürfe zu machen? Ich kann leben, wie ich es für richtig halte. Das geht nur Veronika und mich etwas an.“

„Dann hoffe ich für sie, dass sie Bescheid weiß“, sage ich wütend. „Du bist echt das Allerletzte, Alex. Mit so einem niederträchtigen und hinterhältigen Menschen will ich nichts zu tun haben. Wie hätte ich auch annehmen können, dass du dich verändert hast. Menschen verändern sich in ihrem Grundkern nicht. Du bist noch genauso ein Arsch wie damals.“

„Komisch, du bist damals sehr gerne mit diesem Arsch ins Bett gegangen“, zischt Alex. „Du konntest den Hals gar nicht vollkriegen.“

„Stimmt“, gebe ich zu. „Im Bett warst du der absolute Hammer. Wahrscheinlich werde ich nie verstehen, wie das zusammen passt. Aber vielleicht passt es sogar ganz gut zusammen. Die liebevollen Männer sind meistens nicht die Granaten im Bett. Das sind eher die Arschlöcher.“

Alex funkelt mich zornig an.

„Ich muss doch sehr bitten“, empört er sich.

Sein Telefon klingelt.

„Nein“, sagt er unwirsch. „Das ist leider nicht möglich. Ja, danke, auf Wiederhören.“

Er schüttelt den Kopf.

„Wir haben eine Anzeige wegen einer Putzfrau bei eBay Kleinanzeigen aufgegeben“, seufzt er. „Man kann sich gar nicht vorstellen, was für Idioten sich darauf melden. Unser Haus ist 170 Quadratmeter groß, wie soll man das in zwei Stunden schaffen? Die Leute haben wirklich seltsame Vorstellungen.“

„Du hast auch seltsame Vorstellungen“, erwidere ich. „Es war sehr erhellend, mit dir zu plaudern. Was genau wolltest du eigentlich von mir? Warum bist du auf der Buchmesse aufgetaucht?“

Alex sieht mich eine Weile an. Sein Blick geht mir durch und durch. Dann winkt er müde ab.

„Ach, egal“, antwortet er. „Vielleicht ist gerade nicht der richtige Zeitpunkt. Vielleicht ist es auch einfach zu spät. Wir haben uns 15 Jahre lang nicht gesehen. Vielleicht sollten wir die Vergangenheit ruhen lassen. Ich glaube, es macht im Moment keinen Sinn, miteinander zu reden. Ich wünsche dir alles Gute, Vivian. Vor allem wünsche ich dir einen besseren Mann, als ich es war. Du hast nämlich völlig recht mit deiner Einschätzung, dass ich ein Arsch war. Ich hätte es dir gern erklärt, aber wahrscheinlich ist es im Nachhinein auch nicht mehr wichtig. Mach’s gut.“

Er nimmt mich flüchtig in den Arm und haucht mir einen Kuss auf die Wange. Dann lässt er mich verwirrt zurück.

Kapitel 5

Alex ist wirklich das absolute Arschloch. Ich bin fest davon überzeugt, dass diese Veronika keinen blassen Schimmer davon hat, dass er sie nach Strich und Faden betrügt. Von ihr holt er sich das Geld, von anderen Frauen den Sex. Was ist er nur für ein gemeiner, niederträchtiger, hinterhältiger Mensch!

Wieder taucht der Gedanke an Rache in mir auf. Wenn ich mich räche, dann auch in Veronikas Namen. Und im Namen aller betrogenen Frauen auf der ganzen Welt. Ich muss ein Exempel statuieren!

Aufgeregt suche ich Dany in dem Gewühl und ziehe sie in eine Ecke, um sie über die neuesten Geschehnisse zu informieren.

„So ein Schuft“, bestätigt sie mich. „Das ist wirklich das Allerletzte, was der abzieht. Von wegen, dass seine Freundin Bescheid weiß! Ich garantiere dir, dass die nicht im Traum daran denkt.“