Macabros 004: Der Totenacker - Dan Shocker - E-Book

Macabros 004: Der Totenacker E-Book

Dan Shocker

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Beschreibung

Bearbeitete Original Romane Macabros 07 - Totenacker der Dämonen Heute abend ist es soweit. Sally Swanson, die junge, sexy Schauspieler erhält den langerwarteten Anruf ihrer Freundin Jeany Mallock. Die geheime Loge trifft sich wieder und Sally darf das erste Mal dabei sein. Sie will ein neues Mitglied werden, denn die Mitglieder werden reich belohnt für ihre Dienste den TEUFEL anzubeten. Und das einzige, was von ihnen verlangt wird, ist ihre SEELE für den TOTENACKER DER DÄMONEN... Macabros - 08 - Die Geister-Höhlen Marlos, die unsichtbare Insel und Björns Erbe von Xantilon als Sohn des toten Gottes, taucht aus dem Meer auf. Molochos und seine Helfer setzen alles daran ihren Erzfeind auszuschalten, damit er die Weissagungen der Propheten von Xantilon nicht hören kann, denn mit diesem Wissen könnte Hellmark die Macht der Schwarzen Priester endgültig brechen. Doch Molochos reagiert rechtzeitig: Er lenkt einen Trimaran mit einem Paar zu der Insel und lenkt den Mann in die Geister-Höhlen, wo die Geister der Weisen aktiviert werden und ihr Wissen preisgeben. Doch Andrew Langdon versteht die Prophezeiungen nicht, denn sie sind nicht für ihn bestimmt. Derweil fliegt Björn, gelenkt durch einen fremden Willen nach Marlos. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt ... Kurzbeschreibungen: © www.gruselromane.de

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DAN SHOCKERS MACABROS

BAND 4

© 2014 by BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Titelbildgestaltung: Mark Freier

Fachberatung: Gottfried Marbler

All rights reserved

www.BLITZ-Verlag.de

ISBN 978-3-95719-704-7

Dan Shockers Macabros Band 4

DER TOTENACKER

Mystery-Thriller

Totenacker der Dämonen

von

Dan Shocker

Prolog

Als sie die Augen aufschlug, wusste sie, dass es passiert war. Man hatte sie gewarnt, aber sie hatte das Ganze für ein verbotenes Spiel gehalten. Nun war es zu spät umzukehren. Cindy Parker befand sich in der Hölle. Schwärze hüllte sie ein. Sie schwamm in einem Gefühl von Angst und Beklemmung, das sie noch aus der Zeit ihrer Drogensucht kannte. Sie glaubte, auszuschließend Heroin gespritzt zu haben. Die Blondine mit dem Kurzhaarschnitt, der ihrem Gesicht etwas Burschikoses verlieh, warf den Kopf hin und her. Sie lag auf einer Steinplatte. Auf einem Altar? Cindy Parker konnte es nicht feststellen. Aber der Gedanke daran, dass es vielleicht ein Altar sein könne, erfüllte sie mit einer gewissen Hoffnung, die wie eine Flamme in ihr aufstieg.

Sie könnte laut schreien. Man würde sie vielleicht hören. Hier, im Keller eines New Yorker Miethauses, bestand immerhin die Chance, dass jemand auf sie aufmerksam wurde.

Cindy Parker riss den Mund weit auf und schrie. Aber sie hörte nichts. Kein Laut kam über ihre Lippen. Hatte sie die Stimme verloren? Die gespenstische Atmosphäre um sie herum schien zu atmen, zu leben.

Cindy Parkers Blick schweifte hin und her. Aber sie sah niemanden.

Sie versuchte, sich aufzurichten, als sie merkte, dass sie nicht gefesselt war. Doch auch das gelang ihr nicht. Wie ein Magnet zog die zunehmend wärmer werdende Fläche sie an.

Cindy Parker hatte das Gefühl, als ob sich glühende Nadeln in ihre Haut bohrten. Aber da war niemand, der sie quälte. Niemand, der körperlich war. Und doch existierte etwas um sie herum.

Sie konnte nicht fliehen oder schreien. Und dann kam das Ende! Auf eine Weise, die an einen Traum erinnerte – der keiner war.

Die Dunkelheit zerriss vor ihr.

Aus der Finsternis schälte sich ein überdimensionales Gesicht. Es sah schrecklich aus. Blutüberströmte, zerschnittene, zerfranste Lippen. Grauen packte sie.

So musste ein Mensch aussehen, der mit dem Gesicht in eine zersplitternde Glasscheibe gefallen war.

Das Gesicht stieg langsam wie ein glimmender Mond aus der Finsternis auf.

In dem Gesicht konnte Cindy keine Augen entdecken.

Zwei schwarze Brillengläser verbargen sie.

Cindy Parker ertappte sich dabei, dass sie darüber nachdachte, was dieses Gesicht bedeuten sollte.

Da bewegten sich die zerschnittenen Lippen. Die Zunge kam zwischen morschen Zahnreihen hervor.

Cindy hörte ein scheußliches Geräusch, als ob jemand ein Reibeisen über eine mit Schorf bedeckte Wunde führe.

Eine Stimme hallte dumpf, als würde aus weiter Ferne zu ihr gesprochen. »Wir haben dir treu gedient. Aber du hast uns verraten.«

Das wollte ich nicht! Die Erwiderung lag ihr auf der Zunge. Cindy spannte ihren ganzen Körper an, ohne ein Gefühl dafür zu haben. Sie versuchte die Worte, die sich in ihrem Bewusstsein zu Sätzen aneinanderreihten, laut herauszubrüllen.

Es war ihr nicht möglich.

Sie konnte sich nicht verteidigen.

Die dienstfertigen Geister, die so schnell zur Hand gewesen waren, wenn man sie gerufen hatte, und die dann nicht mehr loszukriegen waren, beschwerten sich.

»Du hast das Gesetz übertreten. Du hattest ewigen Gehorsam geschworen – beim Namen des Meisters.«

Cindy musste ihnen recht geben, wenn sie ehrlich gegen sich selbst war. Sie hatte sich den Geistern und Dämonen unter Vorspiegelung falscher Tatsachen verschrieben. Immer hatte sie Angst gehabt, einen Unfall zu erleiden, der nicht den Tod forderte, sie aber für alle Zeit verschandelte, so dass sie es nicht mehr wagen konnte, unter Menschen zu gehen.

Nun kam die Anschuldigung der Dämonen aus dem Mund dieses grässlichen Gesichtes. »Vertrauen gegen Vertrauen hast du geschworen. Verrat fordert den Tod.«

Die Stimme dröhnte und schlug in ihr ein Echo an, das sie bis in die tiefsten Tiefen ihrer Sinne erbeben ließ.

Ich will nicht sterben! Wie eine Anklage bohrte sich ihr stiller, lautloser Aufschrei in ihr Hirn. Lasst mich in Ruhe! Weicht von mir! Ich schwöre allem ab, was ich jemals gesagt, getan und versprochen habe. Ich habe nichts damit zu tun. Weicht von mir!

Aber diesen Gefallen taten sie ihr nicht.

Die Dunkelheit löste sich weiter auf. Das gespenstische Leuchten dagegen verstärkte sich.

Ein eisgraues, grünliches Licht überflutete die öde Landschaft, die Cindy mehr zu ahnen als zu sehen begann.

Kalte Luft strich über sie hinweg.

Cindy war nackt, und sie fröstelte.

Eigenartige Gestalten tauchten neben ihr auf, umringten die altarartige Erhöhung, auf der sie lag.

Abstoßende Wesen mit schrecklichen Augen und unheimlichen Gesichtern begutachteten sie. Ein teuflisches Gelächter kam aus den Mäulern der furchtbaren Ungetüme, die sich über sie beugten. Raue Hände strichen über ihren nackten Körper.

Sie erschauerte.

Es waren Gestalten, die halb Mensch, halb Tier waren, und deren stinkender Atem ihr ins Gesicht wehte.

»Tötet sie!«

Cindy wurde von Klauenhänden emporgerissen.

Alles in ihr konzentrierte sich auf einen Ausbruchversuch.

Doch sie konnte sich nicht rühren. Sie war wie erstarrt, gelähmt, hilflos den stinkenden, abscheulichen Ungeheuern ausgeliefert, die sich freuten, diesen Auftrag zu erledigen. Cindy Parker wurde durch die düstere, gespenstische Landschaft getragen.

Knorrige Bäume, an denen es kein Laub gab, reckten ihre schwarzen Zweige und Äste wie anklagend gegen den bleiernen Himmel.

Die zum Tode Verurteilte konnte nur ihre Augen bewegen. Am schummrigen Himmel glaubte sie die Schatten geierartiger Vögel zu sehen, die sich langsam herabsenkten.

Aus den Augenwinkeln heraus nahm sie wahr, dass diese Landschaft bis zum Horizont ein einziger, unheimlicher Friedhof war, wie sie ihn noch nie gesehen, wie ihn menschliche Augen überhaupt noch nie wahrgenommen hatten. Armselige Gräser schossen hier und da aus der Erde. Flache, eingefallene Hügel wiesen darauf hin, dass hier irgendwann einmal jemand beigesetzt worden war.

Aus der Dämmerung schälten sich lange, schlanke Säulen. Sie waren wie Frauenbeine geformt.

Es waren Frauenbeine, die wie Grabsteine aus dem Boden ragten.

Das unheimliche, blutüberströmte Gesicht, in dem ihre fiebernden, überreizten Sinne hin und wieder ihr eigenes zu erkennen glaubten, wanderte vor ihr am düsteren Himmel her wie eine Mondscheibe.

Ich phantasiere, dies ist eine Vision, kam es ihr in den Sinn.

Da, wieder die Stimme: »Du wolltest über die Welt, mit der du vertraut wurdest, Außenstehenden Zeugnis geben. Nun siehst du diese Welt in ihrer ganzen Schönheit. Nimm sie in dich auf, denk über sie nach. Du wirst sie nie vergessen. Du wirst immer hierbleiben und in ihrem Boden ruhen. Im Totenacker der Dämonen.«

Da ging plötzlich alles blitzschnell.

Sie begriff noch, dass ihr Kopf nach unten wies, dass ihre Beine in die Luft ragten. Vor ihr im Boden ein großes, schwarzes Loch. Gerade groß genug für ihren Oberkörper.

Wie ein Pfahl wurde sie in den Boden gesetzt.

Angstwellen durchpeitschten ihren Körper, panisches Entsetzen packte sie. Sie sah ihre Hoffnung schwinden, dass jemand kam, um das Grauenhafte zu verhindern.

Dies geschah nicht im Keller des Miethauses!

Sie hatte die Grenze passiert. Die Dämonen, denen sie gesellschaftlichen und materiellen Erfolg verdankte, solange sie dem Kreis der Teufelsanbeter angehört und alle Auflagen erfüllt hatte, drehten nun den Spieß um.

Ihre Helfershelfer wurden zu ihren Totengräbern.

Dumpf fiel die schwere schwarze Erde in das Loch, in dem sie lebendig begraben wurde.

»Sie war eine Dienerin – und hat Verrat begangen. Sie erhält ihre Strafe. Ein Neuling auf der Warteliste wird ihren Platz einnehmen. Die Neue ist ahnungslos. Das Gesetz des Meisters befiehlt: für einen Verräter eine Unschuldige. Dann erst ist der Forderung Genüge getan. Der Kreis schließt sich.« Die Stimme, die Cindy Parker durch die immer dicker werdende Erdschicht noch vernahm, verebbte.

Sie starb einen qualvollen Tod. Und sie wusste, dass sie dies selbst verschuldet hatte.

Es war kein Spiel gewesen, was sie als solches angesehen hatte.

Ein Zucken durchlief ihren Körper.

In der letzten Sekunde ihres Todes konnte sie sich noch einmal bewegen.

Ihre langen, schlanken Beine streckten sich. Von den Hüften ab ragte ihr Körper in die kalte Luft des unübersehbaren Dämonenfriedhofes.

Der Wind pfiff. Geiervögel ließen sich auf mächtigen Schwingen herab auf die schwarzen knorrigen Bäume der Teufelslandschaft.

Die Vögel waren die Wächter dieses unheiligen Ortes. Und besondere Gäste.

Cindy Parker hatte ihr gespenstisches Grab im Reich der Dämonen gefunden. Für alle Zeiten würde sie aus New York verschwunden sein.

1. Kapitel

Die Luft war mild.

In New York sah man schon sehr viele Passanten in leichter Sommerkleidung. Um die Mittagszeit wärmte die Sonne bereits.

Aber davon merkte Sally Swanson nichts.

Die junge Schauspielerin mit der rauchigen Stimme und einer Figur, wie sie Mädchen auf den Titelblättern der Sexzeitschriften hatten, lag um zehn Minuten nach zwölf Uhr mittags noch im Bett.

Da läutete das Telefon. Schlaftrunken wälzte sich Sally auf die andere Seite, gähnte herzhaft und warf die Zudecke zurück.

Sie war dreiundzwanzig. Seit einem Jahr wohnte sie in einem alten Haus in der 15. Straße in einer vergammelten Dachwohnung, wo die Dachziegel nicht mehr ganz dicht waren und der Regen durch die Decke tropfte. Ein von ihr persönlich angestrichener popfarbener Regenschirm über dem Fußende ihres verschnörkelten Bettes gab einigen Schutz und schuf außerdem eine etwas modernisierte Spitzweg-Atmosphäre.

In der Zweizimmerwohnung unter dem Dach war einiges recht merkwürdig. Von übertriebener Sauberkeit und Ordnung konnte man nicht reden. Dazu war Sally nicht der Typ. Sie kümmerte sich mehr um ihr eigenes Aussehen. Da achtete sie auf jedes Detail. Diese Dachwohnung war notwendig, damit sie ein Bett, einen Tisch, zwei Stühle und einen Schrank aufstellen und eine Tasse Kaffee kochen konnte.

Sie presste mehrmals die Augen zusammen und griff nach dem Hörer.

»Unverschämtheit«, murrte sie, noch ehe sie ihn von der Gabel hob und zu sich herüberzog. »Kaum geht die Sonne auf, da klingelt schon einer in der Gegend herum.« Sie musste daran denken, dass sie erst vor drei Tagen in aller Frühe aus dem Schlaf gerissen worden war. Auch da schellte das Telefon und eine freche Jungenstimme hatte gefragt, wie es denn um ihr Liebesleben bestellt sei. Sollte sie damit Sorgen haben, würde er gern einmal vorbeischauen.

»Ja?«, meldete sie sich.

»Jeany hier«, sagte eine fröhliche Stimme am Telefon. »Raus aus den Federn, Langschläferin. Weißt du, wie spät wir's haben?«

»Wissen tu ich's nicht, aber ich kann's mir denken. Gerade ist der erste Sonnenstrahl auf meine Pupillen gefallen. Ich schätze, es ist gegen zehn.«

»Irrtum. In sämtlichen New Yorker Restaurants rennen die Kellner wie irrsinnig herum, um die Mittagessen auszuteilen.« Jeany Mallock, drei Jahre älter als Sally, lachte, als hätte sie einen besonders guten Witz gemacht. Sie hatte gut lachen, denn sie hatte Erfolg. Mehr als Sally, die sich mit kleinen, unbedeutenden Rollen auf kleinen Broadwaybühnen die täglichen Brötchen verdiente.

Jeany Mallock hatte es geschafft. Zum rechten Zeitpunkt hatte sie die richtige Figur kennengelernt, wie sich Sally Swanson auszudrücken pflegte. Diese Figur war ein Mann mittleren Alters, angegraute Schläfen, Typ erfolgreicher Geschäftsmann. Der wiederum kannte einen Regisseur. Und der baute für Jeany Mallock in seinem letzten Film eine Extraszene ein, mit der er sie vorstellen wollte.

Und nicht nur das. Fernsehbosse fingen an, sich für die attraktive Jeany mit den Idealmaßen zu interessieren.

Sally Swanson seufzte. »Was willst du mir damit sagen, Jeany? Die Nacht war lang, und wie du weißt, bin ich immer besonders aktiv, je später die Uhr nach Mitternacht zeigt. Und wenn man munter am frühen Morgen zu Bett geht, muss man erst warten, bis man müde ist. Das dauert seine Zeit. Da ist es kein Wunder, wenn man dann zum Mittagessen noch in den Federn liegt.«

»Dann steh mal schnell auf und erledige all das, was du heute noch vorhast.«

»Warum?«

»Blöde Frage. Damit du heute Abend Zeit hast. Für uns.«

Dieses für uns wirkte auf Sally wie ein Faustschlag.

Sie richtete sich blitzschnell auf. Ihre Augen waren weit geöffnet. »Ist es soweit?«, fragte sie leise. Die innere Unruhe, die man ihr ansah, drückte sich auch in ihrer Stimme aus.

»Möglich«, antwortete die Stimme von Jeany am anderen Ende der Strippe.

»Du, Jeany, mach keine Witze mit mir. Worum geht es wirklich? Nimm mich bitte nicht auf den Arm, wenn es um die besagte Angelegenheit geht. Damit ist es mir ernst, verdammt ernst sogar.«

»Ich habe gesagt, dass du dich heute Abend bereithalten sollst. Sorge dafür, dass du frei bist.«

Sally Swanson lauschte der Stimme an ihrem Ohr. »Ich werde dafür sorgen«, sagte sie schnell. »Und wenn ich heute Abend in irgendeiner mistigen Rolle auftreten müsste, dann würde ich prompt absagen. Das wäre es mir wert. Du weißt, wie scharf ich darauf bin.«

Es ging um den seltsamen Club, dem Jeany Mallock angehörte, und von dem Sally andeutungsweise einmal etwas mitbekommen hatte.

Jeany Mallock war in diesem Club vor ungefähr eineinhalb Jahren durch einen Freund eingeführt worden, durch jenen Erfolgstyp, bei dem man eigentlich nie genau wusste, was er machte und womit er handelte. Jedenfalls hatte er immer Geld.

»Ja, das weiß ich«, antwortete Jeany. »Du wartest seit rund sechs Monaten auf ein Zeichen. Nun ist es soweit.«

Sally Swanson klemmte den Telefonhörer zwischen Ohr und Schultern und stellte ein paar gezielte Fragen, während sie mit der linken Hand zum Nachttisch und sich von dort Zigarette und Feuerzeug griff.

Ein Anfang war gemacht. Immer einen Schritt nach dem anderen gehen. Nun konnte es sich lohnen. Durch die Gespräche im Freundeskreis und besonders durch ihre Unterhaltungen mit Jeany wusste sie, dass sich diese im Verborgenen arbeitende Gruppe mit okkulten Dingen und Teufelsanbeterei beschäftigte. In einer launigen Stimmung hatte Jeany einmal ihr gegenüber verlauten lassen, dass sie seit ihrer Zugehörigkeit zu diesen Leuten, deren Existenz man vermutete, über die jedoch Außenstehende so gut wie nichts wussten und nur Vermutungen anstellten, sichtlich gefördert würde.

»Es ist wie eine geheime Bruderschaft«, hatte sie gesagt. »Wer einmal aufgenommen ist, der gehört dazu, auf Gedeih und Verderb. Die Vereinigung lässt ihm alle Förderungen angedeihen, hilft ihm, wo immer sie kann. Aber sie verlangt absoluten Gehorsam.«

Worin sich dieser Gehorsam zeigte, hatte Sally wissen wollen.

Doch darüber konnte oder wollte Jeany nicht sprechen. Sie hatte es bis auf den heutigen Tag nicht getan.

Sally Swanson inhalierte tief. »Wie wird das alles vor sich gehen?«, wollte sie wissen. Ein bisher ungekanntes Hochgefühl stieg in ihr auf, als sie daran dachte, dass nun ein neuer Abschnitt ihres Lebens begann.

Sie hatte schon immer vom großen Erfolg geträumt. Sie wollte ein Star werden, ein Weltstar. Sie wollte in einer vornehmen Villa leben, in der exklusivsten Gegend Hollywoods. Ihr Name sollte in riesigen Leuchtbuchstaben über den Vergnügungsstätten von Las Vegas aufglühen – wie ein Komet am Himmel.

Sie hatte genaue Vorstellungen von ihrem Leben als vielbewunderter und verwöhnter Star. Einmal wollte sie erleben, wie es wohl sein mochte, wenn ihr die ganze Welt zu Füßen läge.

Dafür war sie bereit, ihre Seele zu verkaufen. Schon immer hatte sie sich für merkwürdige und okkulte Phänomene interessiert, hatte versucht, Kontakt zu Menschen aufzunehmen, die damit zu tun hatten. So war sie nach und nach an einen Kreis von Menschen geraten, die man als Außenseiter der Gesellschaft bezeichnen konnte.

Sie hatte an seltsamen Zusammenkünften teilgenommen, wo Gott abgeschworen und der Teufel angebetet worden war. Sie hatte sogenannten schwarzen Messen beigewohnt, die schließlich zu Orgien ausgeartet waren. Zu all diesen Dingen war sie bereit und wurde auch immer wieder aufgefordert, dabei mitzuwirken.

Vieles war Unfug, Scharlatanerie. Aber es gab auch Geheimbünde, die den Teufel anbeteten und dadurch materiellen Erfolg hatten, denen sich manche Türen öffneten, die normalerweise verschlossen blieben.

Zu einer solchen wahren Vereinigung musste sie vorstoßen.

Und Jeany Mallock hatte es geschafft. Durch Jeany nun wiederum Sally. »Wie ist es passiert?«, wollte sie wissen.

»Darüber kann ich nicht sprechen.«

»Nun mach's nicht so spannend. Eine kleine Andeutung, damit ich nicht vollkommen ahnungslos dastehe.«

»Tut mir leid, Sally. Ich darf nicht darüber sprechen. Gehorsamspflicht. Du wirst das begreifen, wenn du die Einführungszeremonie hinter dir hast.«

»Also doch! Jetzt hast du dich verraten.«

»Ich weiß nicht, was sein wird«, dämpfte Jeany Mallock sofort Sallys Begeisterung. »Immerhin ist es ein Fortschritt. Die Gruppe hat sich gemeldet. Ich soll dich mitbringen. Jetzt heißt es abwarten.«

»Wann soll ich kommen?«

»Heute Abend um neun Uhr. Ich hole dich ab. Halte dich um acht Uhr bereit!«

»Wo wird es sein? Wie wird es sein?« Sally rauchte schnell und nervös und konnte die Erregung, die sie gepackt hatte, nicht beherrschen.

»Abwarten! Du wirst alles erfahren. Es kam dir darauf an, dieses Leben auf besondere Weise zu führen. Das kostet etwas. Deine Seele.«

»Auf die pfeife ich. Mich interessiert mehr, was drumherum ist, Jeany.«

»Schön. So hattest du dich entschieden. Das weiß man dort. Man kennt dich sehr genau. Man hat dich beobachtet, dich kennengelernt, ohne dass du etwas bemerkt hast.«

»Mir wird direkt unheimlich.«

»Nun musst du abwarten, was auf dich zukommt.«

»Ein richtiger Pakt mit dem Teufel?«

»Du kannst das Fragen nicht lassen. Vielleicht auch das, ja.«

»Bei Faust ging's schief«, entfuhr es ihr.

»Du kannst das Flachsen nicht lassen, Sally. Das ist nicht gut. Die Sache ist todernst. Deine heitere Ader solltest du dir für die Bühne aufbewahren. Dort wird sie gebraucht.« Es war da etwas in Jeany Mallocks Stimme, was Sally Swanson veranlasste, in der Tat sehr ernst zu werden.

»Kann es gefährlich werden, Jeany?«, fragte sie unvermittelt.

»Mit einem Male Angst vor der eigenen Courage?«

Sally Swanson zuckte die Achseln. »Ein bisschen schon«, erwiderte sie ehrlich.

»Ich weiß nicht, Sally. Im Leben ist nichts umsonst. Es geht um deine Seele, das hast du richtig gesagt. Dafür kannst du eine Menge eintauschen. Glück, Erfolg, Macht.«

»Das ist viel.«

»Eben. Halte dich bereit, Sally! Ich bin pünktlich.«

Nach dem Anruf der Freundin machte sich Sally Swanson sehr schnell fertig.

Sie trank hastig zwei Tassen Kaffee und zog sich an.

Sie fühlte sich von einer eigenartigen Unruhe befallen, rauchte eine Zigarette nach der anderen und lief in der kleinen Wohnung hin und her. Dann wieder rannte sie an das Fenster, starrte hinab auf die Straße und blickte mit fiebrig glänzenden Augen den Autos nach.

Sie dachte an Brooklyn. In einem der ärmsten Viertel der Millionenstadt war sie geboren worden und aufgewachsen. Von der einfachen Tingel-Tangel-Tänzerin, die in Gaststätten und Bars aufgetreten war, hatte sie immerhin den Sprung zu den Bühnen des Broadways geschafft. Sie lebte zwar noch immer sehr bescheiden, aber ihr jetziges Leben unterschied sich doch schon beachtlich vom Anfang.

Eigentlich hatte sie es nie richtig schwer gehabt, nachdem sie zur jungen Frau herangereift war. Die Männer waren verrückt nach ihr. Und um manchen Vorteil zu erzielen, war sie mit einem Mann ins Bett gegangen, der nützlich für ihre Karriere war.

Um halb drei verließ Sally ihre Wohnung. Sie trug ein buntes, farbenprächtiges Frühjahrskostüm mit einem sehr kurzen Rock. Mit jedem Schritt, den sie ging, wippte der Saum in die Höhe und ließ den Ansatz ihres wohlgerundeten Hinterteils sehen.

In ihrem Stammrestaurant nahm sie ein spätes Mittagessen ein. Den Rest des Nachmittags verbrachte sie mit Einkäufen, wovon nur einige wirklich dringend waren. Dann rief sie von einer Telefonzelle aus verschiedene Leute an und plauderte ein wenig. Sie tat sehr viel Unnützes, als wisse sie nicht recht, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollte. Sie wollte nur etwas tun, damit sie schneller verging.

Gegen halb sechs kehrte sie in ihre kleine Dachwohnung zurück. Eine Weile stand sie vor dem Spiegel und begutachtete ihr Aussehen, strich sich eine vorwitzige Locke aus der glatten Stirn und murmelte vor sich hin: »Ihr werdet euch alle wundern, Bill, Francis, Lilly ... Sally wird euch den Rang ablaufen. Ich habe den Mut, etwas zu tun, woran ihr nicht im Traum denken würdet. Ich werde reich sein.«

Sie reckte den kleinen festen Busen und atmete tief die Luft ein.

Draußen wurde es langsam dämmrig.

Ich werde reich sein. In ihrem Kopf hatte nur noch dieser eine Gedanke Platz.

Und sie dachte nicht darüber nach, dass der Reichtum, wie sie ihn erwartete, ersehnte, ganz nahe mit dem Tod in Verbindung stand.

Sie kannte die Gesetze nicht.

Nicht Reichtum erwartete sie, sondern ein kaltes Grab.

Als es halb acht war, fing Sally Swanson an, sich umzuziehen.

Sie bereitete sich darauf vor, Jeany Mallock zu empfangen.

Um diese Zeit ereignete sich in New York noch mehr. Aber das war schließlich alltäglich.

In vielen Familien wurde das Supper vorbereitet, in anderen besprach man das Programm für den Abend. Dritte wiederum verließen ihre Wohnungen, um in ein Restaurant, Kino oder in eines der zahlreichen Theater zu gehen.

Auf dem Roosevelt Drive geriet ein silberfarbener Ford Mustang wegen überhöhter Geschwindigkeit ins Schleudern und krachte gegen einen Begrenzungspfeiler am Rande der Straße.

Wie durch ein Wunder blieb der Fahrer, in dessen Alkohol man ein paar Promille Blut fand, unverletzt. Er sang und lachte, während man ihn aus dem völlig zertrümmerten Fahrzeug schnitt. Kopfschüttelnd blickte er auf den Blechhaufen, der von dem funkelnagelneuen Wagen übriggeblieben war, und schien nicht eine einzige Sekunde lang zu begreifen, was sich hier wirklich ereignet hatte. Vielleicht hielt er das Ganze für einen Traum.

Nach der Untersuchung in einem Hospital nahm sich die Polizei wieder seiner an und sperrte ihn in eine Ausnüchterungszelle, wo er schließlich unverletzt und zufrieden vor sich hinbrummelnd in einen tiefen, traumlosen Schlaf fiel.

Ein Cop, der hin und wieder vorbeikam, um nach dem Rechten zu sehen, meinte wenig später zu seinem Kollegen: »Allein von dem Dunst, den er ausatmet, wird man besoffen. Ich werde uns die Blutprobe aushändigen lassen. Davon kann sich das ganze Revier einen Kameradschaftsabend machen. Der Bursche hat sich ja wie ein Schwamm mit Alkohol vollgesogen.«

Mrs. Holleway wiederum, die am Dewitt Clinton Park wohnte, hatte ganz andere Sorgen. Sie ärgerte sich darüber, dass ihr Wagen nicht ansprang. Sie hatte sich vorgenommen, den Abend in einem Casino auf Governors Island zu verbringen. Dort wollte sie sich mit dem alternden General treffen, der ihr gegenüber Heiratsabsichten geäußert hatte. Mrs. Holleway, seit drei Jahren Witwe, war nicht abgeneigt, abermals in den Hafen der Ehe einzulaufen. Harold würde jetzt auf sie warten. Kurz entschlossen rief sie schließlich ein Taxi an und fuhr damit los.

So hatte jeder seine Sorgen und seine Problemchen. In einer von Millionen bewohnten Stadt gab es eben viele unterschiedliche Möglichkeiten, sich zu freuen oder zu ärgern. Es wurde gelebt, geliebt, gelacht, geschimpft. Die Statistik wies aus, dass auch in dieser Nacht mit soundso vielen Unfällen, Schlägereien, Polizeieinsätzen und Morden zu rechnen sein würde.

Von diesem Gedanken war Peter Ellis ausgegangen, seines Zeichens Privatdetektiv mit Hang zu journalistischer Tätigkeit. Er trieb sich seit dem frühen Abend in den Straßen von Greenwich Village herum. Seit geraumer Zeit schon zog ihn das weltbekannte Künstlerviertel an. Hier trafen sich Erfolgreiche mit Gescheiterten. Wenn man von Greenwich Village sprach, dachte man an die einfachen alten Häuser, an die urgemütlichen Kneipen und die merkwürdigen Menschen, die hier lebten, die hier ein- und ausgingen.

Peter Ellis war siebenunddreißig Jahre alt, nicht mehr der Jüngste in seinem Fach, aber sicherlich einer, der mit ungewöhnlichen Mitteln arbeitete, um zum Ziel zu kommen. Es war seit jeher sein Ehrgeiz gewesen, schneller zu sein als die Kriminellen. Man musste ein Verbrechen schon im Ansatz erkennen und dann verhindern. Wie viele Dinge hatten, nachdem etwas passiert war, auf den Täter hingewiesen. Hätte rechtzeitig jemand darauf geachtet und seine Wahrnehmung an die entsprechende Stelle weitergegeben, würde manches nicht passiert sein.

Peter Ellis befasste sich bevorzugt mit außergewöhnlichen Verbrechen, denen man auf den ersten Augenblick nicht ansah, dass es sich überhaupt um Untaten handelte.

So interessierten ihn besonders Menschen, die spurlos verschwunden und nie wieder aufgetaucht waren.

Was war mit denjenigen passiert, die nicht da angekommen waren, wo man sie erwartet hatte?

Ellis hatte sich diese Frage immer und immer wieder gestellt. Und dann hatte er angefangen, einzelnen Schicksalen nachzugehen.

Dabei war ihm aufgefallen, dass besonders viele junge Mädchen und Frauen auf Nimmerwiedersehen verschwanden, ohne dass in den meisten Fällen ein Grund zu erkennen war.

Ging es um Mädchenhandel? Wurden sie ins Ausland verschleppt? Landeten sie vielleicht irgendwo im Orient, in den Harems der Scheichs? Dies würde man wohl nie herausfinden, bis es einer gelang zu fliehen.

Peter Ellis war andere Wege gegangen. Er hatte erkannt, dass in bestimmten Fällen die Verschwundenen Kontakt mit irgendeiner geheimen Sekte oder einer kleinen Religionsgemeinschaft gehabt hatten, über deren Wirken in der Öffentlichkeit nichts bekannt war.

Böse Zungen behaupteten, dass die meisten Sekten, die sich einen religiösen Anstrich gäben, in Wirklichkeit den Satan anbeteten und schwarze Messen und wilde Orgien feierten.

Daneben sollte es viele unbekannte kleine Vereinigungen geben, die nur Eingeweihten vertraut waren, die sich durch bestimmte Zeichen und Gesten in der Öffentlichkeit verständigten, ohne dass dies jemandem auffiel.

Peter Ellis hatte die Spur dieser vermutlichen Teufelsanbeter gesucht – und gefunden. Die Spur einer Gruppe, die er verfolgte, führte eindeutig nach Greenwich Village.

Aus den Vermutungen und Verdächtigungen sollte endlich Gewissheit werden.

Stimmte es, dass diese Gruppen in ihrer Verbohrtheit und ihren absonderlichen geheimen Vorschriften so weit gingen, von Zeit zu Zeit Menschenopfer darzubringen? Stimmte dies– oder war dies alles nur Gerede, absichtlich in die Öffentlichkeit gesickerte Halbwahrheiten, um den Mantel des Geheimnisvollen und Rätselhaften, mit dem sich diese Vereinigungen umgaben, noch dichter zu weben?

Wer wusste Genaues?

Peter Ellis stand im dritten Stockwerk eines Hauses in der Christopher Street, die zum Hafen führte.

Es war ein uraltes Gebäude. Die Fassade brauchte dringend einen neuen Verputz. Auch die Fensterläden konnten einen frischen Anstrich vertragen. Das Holz war von Wind und Wetter arg mitgenommen.

Es war ein dreistöckiges Haus mit spitzem Giebel. Ihm haftete etwas Verruchtes an. Aber von diesem Eindruck wollte er sich freimachen. Er wollte sich nicht durch Gefühle leiten lassen, sondern ganz allein durch das, was wirklich sein konnte, was wirklich war.

Das alte Gebäude wurde von zwei Familien und einem alleinlebenden Mann mittleren Alters bewohnt.

Dieser Mann, für den sich Peter Ellis interessierte, hieß Ron Taylor. Er lebte im zweiten Stock.

Die beiden Fenster seiner Wohnung ließen den Blick auf eine schmale Gasse frei, die von Passanten kaum benutzt wurde. Hinter den Scheiben brannte Licht. Ein Schatten war wahrnehmbar.

Der Schatten von Ron Taylor.

Peter Ellis beobachtete diesen Mann seit Wochen. Für den Privatdetektiv gab es keinen Zweifel mehr: Ron Taylor führte ein Doppelleben.

Auf der einen Seite hatte er diese Wohnung gemietet, auf der anderen Seite gehörte ihm ein Vierzimmer-Apartment in der Bronx. Im besten Viertel. Peter Ellis hatte, nachdem er dies entdeckt hatte, ein wenig im Leben des mysteriösen Mannes herumgeschnüffelt. Erbracht hatte es aber nur sehr wenig.

Es zeichnete sich ab, dass er nicht gerade ein geringes Einkommen hatte. Er verstand viel von geschäftlichen Dingen. Aber was er im Einzelnen wirklich betrieb, dahinter kam man nicht.

Nur eines war Peter Ellis aufgefallen: An bestimmten Tagen in der Woche – regelmäßig freitags – fuhr Ron Taylor schon am frühen Mittag hierher nach Greenwich Village und suchte seine Zweitwohnung auf. Die verließ er dann meist erst am nächsten Morgen. In der Zwischenzeit ereignete sich regelmäßig etwas Bemerkenswertes: um eine bestimmte Zeit an diesen Freitagen fuhren Autos vor, parkten irgendwo in der Nähe, und die Besucher verschwanden in dem alten Haus an der Ecke.

Es waren gutgekleidete Leute, die eigentlich nicht hierher passten. Menschen aus der besten Gesellschaft.

Peter Ellis hatte mit niemandem über seine Beobachtungen und Überlegungen gesprochen. Es gab noch etwas, was seine Annahme rechtfertigte, dass sich hier in diesem Haus etwas Besonderes abspielte, wovon keiner etwas wusste, wovon nicht einmal die unmittelbaren Nachbarn etwas ahnten.

Gestern hatte es in der Zeitung gestanden. Die junge Journalistin Cindy Parker, die in den letzten Monaten die besten Berichte für die New York Times geliefert hatte, die seltsamen Dingen in wirtschaftlichen und politischen Kreisen auf die Spur gekommen war, wurde vermisst.

Sie hatte sich zur verabredeten Zeit nicht in ihrer Redaktion gemeldet.

Peter Ellis hätte sich nun sofort melden können, um der Polizei mitzuteilen, dass er Cindy Parker in den Tagen davor sehr oft in Begleitung dieses zwielichtigen und undurchschaubaren Mr. Taylor gesehen hatte.

Bestand da ein Zusammenhang?

War Cindy Parker durch Zufall auf die Gruppe gestoßen, oder hatte sie ihr angehört?

Hatte sie etwas entdeckt, was ihr zum Schicksal geworden war?

Fragen über Fragen und nicht eine einzige Antwort.

Als er jetzt das Fernglas wieder vor die Augen setzte, hatte er das Gefühl, direkt vor dem Fenster der gegenüberliegenden Wohnung zu stehen.

Ron Taylor war ein stattlicher Mann, tadellos gepflegt. Er trug ein schmales Lippenbärtchen.

Er stand vor einer Art Schreibtisch und machte Notizen in ein dunkel eingeschlagenes Buch.

Es war wenige Minuten nach halb acht.

Peter Ellis, der am offenen Fenster des kleinen Hotels stand, in dem er seit Wochen regelmäßig freitags als Reisender abzusteigen pflegte, hörte, wie ein Wagen in die schmale Seitengasse einfuhr.

Es war immer das gleiche.

Der Detektiv senkte den Blick, ohne das Glas von den Augen zu nehmen. Ein dunkelroter Pontiac rollte an dem Haus vorbei.

Peter Ellis sah zwei Leute darin sitzen: einen Mann, der den Wagen steuerte, und eine Frau. Die Frau auf dem Beifahrersitz wandte den Blick, um kurz auf das alte Haus schauen zu können.

Die ersten Gäste trafen ein. So war es immer. Sie parkten ihre Wagen drei Häuserblocks weiter, schlossen die Türen ab, gingen dann zu Fuß wie zwei Spaziergänger auf das Eckhaus zu und verschwanden hinter der massiven Haustür, in der es keine Glasscheibe gab.

Es war an der Zeit.

Heute würde einiges anders ablaufen.

Peter Ellis war nicht nur freitags hier gewesen, um zu beobachten und Material zu sammeln. Er hatte auch die Stunden nach dem Weggehen der Gäste genutzt, sich im Haus umzusehen, und war dabei auf erstaunliche Dinge gestoßen.

Peter Ellis warf noch einen letzten Blick durch sein Fernglas in das hellerleuchtete Zimmer. In den letzten Wochen war der Detektiv immer hier am Fenster des Hotels geblieben und hatte die weiteren Vorbereitungen beobachtet. So hatte er beispielsweise gesehen, dass Ron Taylor aus dem Geheimfach eines alten Kleiderschrankes ein rabenschwarzes Gewand herausholte und es überzog, bevor er das Licht löschte und die Wohnung verließ, um einen geheimen Kellerraum aufzusuchen, von dessen Existenz Außenstehende keine Ahnung hatten.

Es gab viel Ungereimtes, was Peter Ellis nicht verstand. Aber manches passte sehr gut zusammen.

In den letzten Wochen hatte er allerlei Verbotenes getan, Dinge, die ungesetzlich waren. Er war in Wohnungen eingestiegen, in die er nicht hätte gehen dürfen, er hatte Räume und Schränke durchsucht und es wohlweislich unterlassen, davon auch nur ein einziges Wort der Polizei zu sagen. Dann wäre er seine Lizenz los gewesen. Bevor er nicht handfestes Beweismaterial in Händen hielt, konnte er der Polizei keinen Tipp geben.

Vor allen Dingen musste er mit seinen Andeutungen vorsichtig sein.

Es gab Hinweise darauf, dass diese Sekte einflussreiche Persönlichkeiten zu ihren Mitgliedern zählte. Wenn einer zu voreilig herausplatzte, konnte dies unangenehme Folgen haben.

Peter Ellis wusste, dass er sich auf eine risikoreiche Strecke begeben hatte. Er wusste nicht, wie das Rennen ausging, auf das er sich eingelassen hatte. So hatte er wenigstens eine Sicherheit eingebaut. Bei einem Rechtsanwalt, der ihm manche Aufträge übertragen hatte, war ein Brief hinterlegt, der am nächsten Tag um zwölf Uhr mittags geöffnet werden sollte, wenn Peter Ellis bis dahin nicht im Büro des Anwaltes erschienen war, um den Brief persönlich abzuholen.

Darin stand, dass Mr. Fleetwood, so hieß der Anwalt, sofort die Polizei veranlassen sollte, das Eckhaus in der Christopher Street eingehend unter die Lupe zu nehmen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich dort ein mysteriöser Mord ereignet hätte, wäre sehr groß.

Peter Ellis hatte es mit einem Male sehr eilig, sein Hotelzimmer zu verlassen.

Er schloss nicht einmal das Fenster.

Er legte das Fernglas einfach auf den Tisch und eilte aus dem Raum, nur mit einem einfachen, dezent gemusterten Straßenanzug bekleidet.

Eilig überquerte er die Straße.

Viertel vor acht.

Es bereitete nicht die geringsten Schwierigkeiten, in das verdächtige Haus zu kommen, in dem sich seiner ganz persönlichen Meinung nach einige Dinge ereigneten, die das Licht der Öffentlichkeit scheuen mussten.

Wie ein Schatten huschte er in das Haus. Niemand beobachtete ihn dabei. Er wusste, dass gegen acht Uhr noch mehr Gäste kommen würden. So war es bisher jedenfalls immer gewesen. Er hoffte, dass sich an dieser Regel auch an diesem Abend nichts ändern würde.

Die Luft in dem alten Haus war muffig und abgestanden, als hätte jemand eine Kartoffelkiste geöffnet, die lange Zeit verschlossen gewesen war. Es war vollkommen still. Keine Musik, keine Stimmen.

Peter Ellis eilte die Treppenstufen hinauf, lautlos, auf Zehenspitzen, und zuckte zusammen, als er plötzlich ein Geräusch hörte.

Die Haustür ging auf. Neue Besucher erschienen. Doch sie waren zu früh.

Peter Ellis hielt den Atem an und verharrte in der Bewegung. Vorsorglich hatte er nicht das Flurlicht eingeschaltet.