Macabros 017: Galeere des Grauens - Dan Shocker - E-Book

Macabros 017: Galeere des Grauens E-Book

Dan Shocker

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Beschreibung

Bearbeitete Original Romane Macabros 33 - Flucht in den Geistersumpf Die attraktive junge Frau näherte sich dem weißen Mercedes, der am Rund des Bürgersteigs parkte. Carmina Brado warf noch mal einen Blick durch das weit offen stehende Gittertor des Hospitals und winkte zurück. Auf einem Balkon im dritten Stock stand eine gut aussehende Endzwanzigerin, die ihr Winken erwiderte. Das war Romy Sorano. - Die Freundin sollte morgen entlassen werden. Durch einen Überfall war sie böse zugerichtet worden. Daß Carminia die eigentliche Schuld am Krankenhausaufenthalt der Freundin trug, sollte und durfte sie nicht ahnen. Macabros 34 - Galeere des Grauens Wie die gespaltene Zunge einer Riesenechse sieht Fishermans Wharf aus, jener berühmte Fleck in San Francisco, wo die Feinschmecker hinkamen, um in den Fischrestaurants zu speisen. Es gab hier aber nicht nur die bekannten Restaurants, in denen man frische Krabben und Thunfische bekam. Wer hier promenierte, erfreute sich an dem bunten Bild der Hunderte von farbenprächtigen Fischerbooten, die hier in den rechteckigen Kaianlagen ankerten. Hier herrschte ein stetes Kommen und Gehen, und die Luft war erfüllt von fremden, aufgeregten Stimmen, vom Säuseln des Windes, dem Knattern der Segel und dem Duft der gegrillten, gebratenen und gekochten Fischen. Kurzbeschreibungen: © www.gruselromane.de

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DAN SHOCKERS MACABROS

BAND 17

© 2014 by BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Titelbildgestaltung: Mark Freier

Fachberatung: Gottfried Marbler

All rights reserved

www.BLITZ-Verlag.de

ISBN 978-3-95719-717-7

Dan Shockers Macabros Band 17

GALEERE DES GRAUENS

Mystery-Thriller

Flucht in den Geistersumpf

von

Dan Shocker

Prolog

Die attraktive junge Frau näherte sich dem weißen Mercedes, der am Rand des Bürgersteigs geparkt war.

Carminia Brado warf noch einen Blick durch das weit offenstehende Gittertor des Hospitals und winkte zurück. Auf einem Balkon im dritten Stock stand eine gutaussehende Endzwanzigerin, die ihr Winken erwiderte.

Das war Romy Sorano. Die Freundin sollte morgen entlassen werden. Durch einen Überfall war sie böse zugerichtet worden. Dass Carminia die eigentliche Schuld am Krankenhausaufenthalt der Freundin trug, sollte und durfte diese nicht ahnen.

Durch einen übermächtigen Zauber war Carminia in Vollmondnächten für kurze Zeit zu einer Spinne geworden und auf der Suche nach Opfern durch die Nacht geirrt. Durch einen Gegenzauber, den der Trank der Siaris ausgelöst hatte, hatte sie ihre menschliche Gestalt und vor allem ihr wahres Ich zurückgewonnen.

Die schlanke Brasilianerin zog die Blicke der Männer auf sich, als sie mit wippendem Rock in den Wagen stieg, das Verdeck zurückgleiten ließ und das Fahrzeug startete. Es war ein Tag zum Wohlfühlen.

Doch das Böse richtete sich nicht nach Stimmung und Wetterlage. Es war immer vorhanden. In der sichtbaren und der unsichtbaren Welt vollendeten sich ständig Schicksale, neue bahnten sich an. Das Verdeck des Sportwagens war etwa ein Drittel zurückgeglitten, als eine leise Stimme hinter Carminia zischte: »Lassen Sie es geschlossen!«

Die Südamerikanerin fuhr zusammen, warf ruckartig den Kopf hoch und starrte in den Innenspiegel. Sie sah ein schmales, männliches Gesicht mit breiten Augenbrauen und einem gepflegten Lippenbart. Der Mann, der sich auf der engen Rückbank verborgen gehalten hatte, hielt eine entsicherte Pistole in der Rechten. Er drückte die Mündung in Carminias Nacken, und die Brasilianerin spürte die Kälte des Metalls auf ihrer Haut.

»Mit Verdeck fährt sich's besser, lassen Sie's also geschlossen! Ich möchte nicht, dass man von draußen hereinsehen kann.«

Carminia gehorchte. Ihr Herz schlug wie rasend, und das Grauen packte sie. Das war eine Entführung! Aber keine gewöhnliche. In ihrem Zusammenleben mit Björn Hellmark hatte sie gelernt, auf Unterschiede zu achten. Nicht jeder, der wie ein Mensch aussah, war auch einer. Instinktiv wusste sie: Das ist ein Schwarzer Priester, einer aus der Kaste derjenigen, die Björn Todfeindschaft geschworen haben!

Carminia Brado riss sich zusammen. »Was wollen Sie von mir?«, fragte sie mit belegter Stimme.

»Eine kleine Spazierfahrt mit Ihnen machen«, klang die spöttische Stimme hinter ihr.

»Wer sind Sie?«

»Warum Namen nennen? Namen sind Schall und Rauch. Sie tun nichts zur Sache. Fahren Sie los! Ich sage Ihnen die Straßen, die Sie benutzen werden, ganz genau an. Sie können gar nicht falsch fahren.«

Carminia gab Gas. Der Wagen rollte langsam an. Sie fädelte sich in den fließenden Verkehr ein. Das Blut hämmerte in ihren Schläfen.

Was hatte man mit ihr vor?

Sie nagte an ihrer Unterlippe, und es fiel ihr schwer, sich auf den Verkehr zu konzentrieren. Zahllose Fragen gingen ihr durch den Kopf. Es wurde ihr im Nachhinein bewusst, dass sie die eine oder andere stellte, aber nur ausweichende Antworten darauf erhielt.

Björn, dachte sie. Wenn er doch hier sein könnte!

Verzweiflung plagte ihr Herz, und der Brasilianerin wurde klar, wie hilflos sie war. Sie befand sich in einer Großstadt. Hunderte von Autofahrern waren unterwegs, Tausende von Passanten. An einer Straßenkreuzung musste sie anhalten, weil die Ampel Rot zeigte.

Zahllose Menschen liefen an ihr vorüber. Aus verschleierten Augen nahm sie die Fremden wahr. Manche warfen einen Blick in ihr Fahrzeug. Unbewusst, unbeabsichtigt. Carminias Gedanken schrien: Merkt ihr denn nichts? Fällt euch nichts auf? Ich benötige Hilfe!

Aber wie sollte jemand etwas merken?

Alles schien normal. Wie ein Liebhaber hockte der fremde junge Mann ohne Namen schräg hinter ihr. Die Pistole sah von draußen niemand. Er lächelte maliziös. »Wir beide geben doch ein prachtvolles Paar ab, finden Sie nicht auch?«

Die Frau am Steuer schluckte. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, so dass sie nicht einmal zu einer Bemerkung fähig war. Sie schwebte in tödlicher Gefahr – und konnte nichts dagegen tun.

War sie wirklich so hilflos hier in diesem Wagen eingesperrt?

An der nächsten Straßenkreuzung kam ihr eine verzweifelte Idee, und der Zufall half ihr. Arbeiter hatten an einer Baustelle mitten auf der Straße ein riesiges Loch gegraben. Rotweiße Sperren waren errichtet, und der Verkehr wurde von einem Polizisten geregelt.

Carminia Brado dachte gar nicht lange nach über das, was sie vorhatte, sondern handelte spontan. Sie musste die Geschwindigkeit drosseln. Der Wagen rollte mit etwa dreißig Stundenkilometern auf die Engstelle zu.

Es war nur möglich, nach rechts abzubiegen. Carminia tat genau das Gegenteil. Sie riss das Steuer nach links. Der Wagen durchbrach die Sperren; es krachte und barst, als die Sperren über den Lack kratzten.

Im gleichen Augenblick warf sich die Brasilianerin nach vorn und riss die Tür auf.

»Hiergeblieben!« Der Entführer griff mit harter Hand zu und zog Carminia in die Polster zurück. Gleichzeitig beugte er sich nach vorn und zog die Tür wieder zu.

Die Südamerikanerin stieß hörbar die Luft durch die Nase aus und wollte nicht glauben, was sie sah. Der Polizist auf der Kreuzung reagierte überhaupt nicht! Die Arbeiter in dem Loch gruben fleißig weiter; keiner kümmerte sich um die umgefallenen Sperren.

»Oh nein!«, stöhnte sie, lehnte sich zurück und schloss die Augen. Um ihre Lippen zuckte es.

»Oh doch«, presste der Schwarze Priester hervor. In seinen dunklen Augen glitzerte ein kaltes Licht. »Der Versuch war vergebens. Ich habe mir beinahe gedacht, dass du einen Trick versuchen würdest, elendes Weib! Aber es war umsonst, wie du selbst siehst.«

Carminia Brado sah noch mehr. Sie hoffte, dass das Fahrzeug, das ihr unmittelbar folgte, nicht mehr rechtzeitig bremsen konnte und auf ihren Mercedes auffuhr. Carminias Wagen stand halbschräg in der engen Fahrbahn. Seine Vorderseite ragte sogar ein wenig über das Erdloch; das Heck stand quer zur Fahrtrichtung der anderen Fahrzeuge. Die Autos, die nachfolgten, machten einen Bogen um sie. Die Fahrer beachteten sie nicht.

Selbst der Verkehrspolizist verschwendete keinen Blick auf die Unfallstelle. Er winkte die Fahrzeuge weiter nach rechts, als wäre überhaupt nichts geschehen.

Der Schwarze Priester richtete die Waffe auf Carminia, und die Brasilianerin blickte genau in die Mündung.

»Versuch es nicht noch mal. Ich mach auf der Stelle mit dir Schluss, und niemand wird überhaupt merken, dass etwas passiert ist. Dir kann niemand mehr helfen, lass es dir gesagt sein!«

»Wie ist das nur möglich, dass niemand bemerkt ...«

»Sie nehmen es nicht wahr, weil meine Freunde und ich es so wollen. Darin liegt das ganze Geheimnis. Die Fahrer, die deinen Wagen umfahren, sind der Meinung, eine Sperre vor sich zu haben. Sie sehen dich und dein Auto nicht! Ich könnte dich jetzt hinauslaufen lassen, direkt auf den Uniformierten zu. Er würde dich nicht wahrnehmen, weil seine Sinne manipuliert werden.«

Carminia ließ den Kopf hängen. Aus den Augenwinkeln heraus beobachtete der Fremde den Verkehr. Von hinten näherte sich in diesem Augenblick ein langsam fahrender Lastwagen.

»Starte! Zurück auf die Fahrbahn«, zischte der Entführer.

Carminia tat genau das, was man von ihr erwartete. Sie stieß zurück und befand sich mitten auf der Straße in der Engstelle. Mechanisch winkte der Polizeibeamte ihr zu. Sie bog den Regeln entsprechend rechts ab. Dabei nahm sie wahr, dass der Polizist erstaunt reagierte. Er wischte sich über die Augen und schüttelte sich leicht, als würde ihm erst jetzt bewusst, dass dort ein Auto fuhr, das eben noch gar nicht dagewesen war!

Es war der gleiche Augenblick, in dem auch die Arbeiter in der Erdgrube feststellten, dass mit den Verkehrsschildern und Sperren etwas nicht stimmte.

»Wieso liegen die denn auf dem Boden?«, wunderte sich ein unrasierter Straßenarbeiter und fuhr mit der Hand über sein stoppeliges Kinn.

»Red' doch keinen Unfug!«, knurrte ein Kollege, »ich sehe doch ganz deutlich ... nein«, verbesserte er sich im gleichen Atemzug, »ich habe sie eben noch vorschriftsmäßig da stehen sehen.«

Der Arbeiter stützte sich auf seine Schippe. »Und jetzt stehen sie nicht mehr – genau das, was ich sage.«

»Aber ich habe sie gar nicht umfallen sehen!« Der andere stieg aus dem Loch und kratzte sich im Nacken. Drei von den vier Sperren waren umgekippt und lagen kreuz und quer durcheinander. Die vierte Sperre war verbogen, weiße Lacksplitter klebten daran.

»Ich glaub', ich spinne!«, sagte der Mann, der nach oben geklettert war. »Da ist doch einer 'reingefahren!«

»Ich hab' nichts gesehen und nichts gehört.«

»Ich auch nicht. Das ist ja das Verrückte an der ganzen Geschichte.« Der Arbeiter kam auch aus dem Erdloch. Die beiden Männer stellten die Sperren neu auf. Der Polizist blickte zu ihnen herüber. Der erste Arbeiter deutete auf das Durcheinander und zuckte die Achseln. Er war nicht minder verwirrt als der Polizeibeamte, der zu ihnen kam und erstaunt war, dass die Sperre nicht mehr existierte. Sie stellten alles wieder so auf, wie es ursprünglich gewesen war. Alle wunderten sich, und keiner hatte eine Erklärung. Das Gefühl, dass irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugegangen war, blieb wie ein fader Nachgeschmack zurück. Aber keiner wollte gern darüber sprechen.

Wozu auch?

1. Kapitel

Die Brasilianerin musste vor einem einwärts versetzten, grauen Wohnhaus halten. Es wirkte wie eine überdimensionale Villa. Uralte Kastanienbäume ragten über das vierte Stockwerk hinaus.

Das Ziel war erreicht.

Der wortkarge Entführer dirigierte Carminia aus dem Fahrzeug, hakte sich bei ihr unter und drückte ihr mit der anderen Hand die Waffe oberhalb der Hüfte an den Körper. Ein Außenstehender hätte nie bemerkt, dass hier ein Mensch nicht freiwillig ging, sondern mit Gewalt in ein Haus gebracht wurde, in das er gar nicht wollte.

»Warum erschießen Sie mich nicht auf der Stelle?«, stieß Carminia einmal hervor, als sie sich im Aufzug befanden und der Lift aufwärts fuhr.

»Das wäre zu einfach, und wenn, dann hätte ich das sofort getan. Es ist nicht der Sinn der Sache.«

»Wozu der ganze Aufwand?«, fragte sie matt.

Sie erhielt keine Antwort. Doch sie konnte es sich denken. Björns Feinde waren am Werk, bastelten an einer neuen Falle, und sie sollte der Köder werden.

Björn musste gewarnt werden!

Aber wie?

Sie wusste die Nummer des Hauses, allerdings nicht die Straße, in der sie angekommen waren. Sie merkte sich das Stockwerk, in dem der Lift hielt, und prägte sich auch den Namen ein, den sie auf dem Türschild entdeckte.

Tony Stukman stand dort.

Tony Stukman? Irgendwann hatte Carminia diesen Namen schon einmal gehört oder gelesen.

Plötzlich fiel es ihr ein.

Stukman! Der englische Rennfahrer, der im letzten Jahr den Weltcup gewonnen hatte, ein mutiger und verwegener junger Bursche, dem man eine große Zukunft prophezeite und den man jetzt schon in einem Atemzug mit Jackie Stewart und Stirling Moss nannte.

Was hatte dieser Mann mit dem Schwarzen Priester, mit der Entführung zu tun?

Ihr Begleiter drückte kurz auf die Klingel. Ein leises Ding-Dong tönte durch die Wohnung. Wenig später wurde die Tür geöffnet. Stukman stand auf der Schwelle. Carminia erhielt die Gewissheit, dass sie sich nicht getäuscht hatte. Sie hatte seine Fotografie schon in diversen Zeitschriften gesehen.

Der Engländer war groß und hager, hatte hochstehende Wangenknochen und tiefliegende, ruhelose Augen. Sein gewelltes Haar war dunkel und kraus. Wortlos ließ er den Besucher ein, und nur ein kurzer Blick aus seinen Augen traf die Brasilianerin.

Carminia wurde durch den weiträumigen, hohen Korridor geschubst. Hier mündeten die Türen mehrerer Zimmer. Links waren Küche, Bad und Toilette. Direkt vorn ein riesiges Wohnzimmer, ein Bogengang, der das Esszimmer mit dem Wohnraum verband. Kostbare, alte Möbel, Gobelins und alte Meister an den Wänden vervollständigten die Einrichtung.

Stukman lebte hier in seiner Schweizer Zweitwohnung nicht schlecht. Er öffnete die Tür zum Schlafzimmer. Es war ein Traum. Dichte, wallende, geraffte Vorhänge reichten von der Decke bis zum Boden. Den Mittelpunkt des Raums bildete ein überdimensionales Bett, in dem bequem vier Personen Platz hatten. Rundum waren Spiegelschränke, so dass der Eindruck erweckt wurde, die Wände bestünden aus nichts anderem als aus Spiegeln. Die glatte, brillante Oberfläche, wertvolles Kristallglas, war mit schmalen Goldstreifen eingerahmt.

Der Schwarze Priester steuerte auf den Spiegel zu, der dem Kopfende des Bettes genau gegenüberlag und in dem sich ein Teil der überdimensionalen Liegefläche spiegelte. Der Entführer betätigte einen verborgenen Mechanismus, und die Spiegelfläche glitt lautlos wie eine Wand zurück.

Dahinter tauchte eine andere Spiegelfläche auf. Matt, verschwommen. Ehe Carminia Einzelheiten aufnehmen konnte, packte ihr Begleiter sie und stieß sie einfach nach vorn, direkt auf den Spiegel zu. Instinktiv streckte die dunkelhäutige Frau beide Hände aus, um den vermeintlichen Aufprall zu verhindern, als ihr im gleichen Augenblick klarwurde, dass es überhaupt keinen Aufprall geben würde.

Der Spiegel war kein Spiegel, sondern das Tor in eine Parallelwelt!

Carminia Brado konnte den Schwung nicht mehr abfangen. Mit beiden Händen durchstieß sie die matte, vibrierende Wand, tauchte in eine andere Welt ein, und das letzte, das sie hörte, waren die Worte des Mannes, der sie hergebracht hatte: »Das ist eine Einbahnstraße, Carminia Brado! Es gibt keinen Weg zurück! Viel Vergnügen im Pandämonium, dem Versammlungsort der Geister, meine Liebe! Man wird dich mit offenen Armen empfangen ...«

Der Schwarze Priester wandte sich um und näherte sich Tony Stukman. »Das war's. Eine Hand wäscht die andere, sagt man in Ihrer Welt, nicht wahr? Es war für mich der kürzeste Weg, das einzuleiten, was getan werden musste. Ich hatte versprochen, Sie nur ein einziges Mal zu stören. Das ist jetzt geschehen. Alles ist planmäßig über die Bühne gegangen. Wir werden uns vorerst nicht wiedersehen. Leben Sie wohl, Stukman!«

Der Rennfahrer nickte nur und blickte seinem Gast nach, der hier in der Wohnung verkehrte, als gehöre sie ihm und nicht dem Engländer.

»Die Passagiere für Flug Nummer Zweihundertsieben werden gebeten, sich zur Maschine zu begeben!« Klar und deutlich hallte die Stimme durch Wartehalle, Restaurant und Gänge des Flughafens.

Evita erhob sich. »Nun ist es soweit.« Sie hängte sich die Tasche um und reichte dem großgewachsenen, blonden Mann mit den breiten Schultern und der sonnengebräunten Haut die Rechte. »Ich möchte mich bei Ihnen bedanken, Björn ...«

»Bedanken? Wofür?«

»Für all das, was Sie für mich getan haben. Ohne Ihre Hilfe würde ich nicht mehr leben, wäre ich niemals wieder auf diese Seite der Welt zurückgekommen. Und Dank auch dafür, dass ich mich einige Tage auf der Insel und in Ihrem Haus aufhalten konnte. Auch das hat mir sehr geholfen, über das Vergangene nachzudenken und darüber hinwegzukommen. Vergessen werde ich das, was geschehen ist, niemals. Leben Sie wohl, Björn!« Evita stellte sich auf die Fußspitzen und hauchte einen Kuss auf Hellmarks Mund. »Ich habe viel gesehen und erlebt. Vielleicht werde ich ein Buch darüber schreiben. Ich werde es einen Tatsachenbericht nennen. Obwohl das, was geschehen ist, wie ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht klingt. Werden mir die Leute, die sich für so vernünftig halten, glauben können? Sicher nicht. Lachen wird man, und Kritiker werden mich als Betrügerin hinstellen. Und das bedrückt mich am meisten. In unserer Welt liegt so viel im Argen. All das – die Ungerechtigkeit, die Not, die ewigen Kriege, die die Menschheit schon seit Beginn ihrer Existenz ausgefochten haben – ist bedenklich. Vieles haben die Menschen durch Geiz, Gier und Missgunst selbst verschuldet. Aber nicht an allem sind sie schuld. Diejenigen, die sich Menschen nennen, sind nicht immer welche, und sie haben fleißig mitgemischt, um das Bild dieser Welt zu verwirren, so dass sich die Völker in ständig neuem Misstrauen begegnen müssen. Wo und wann hat es angefangen? Damals, in Xantilon? Oder noch früher?«

»Sicher noch früher, Evita. Xantilon war schon eine weiter fortgeschrittene Stufe, auf der sich erfüllte, was Propheten schon lange davor geahnt und befürchtet haben. Aber Sie müssen gehen, Ihre Maschine wartet nicht! Auf Wiedersehen, Evita!«

»Auf Wiedersehen? Ob es wirklich eines geben wird, Björn? Ist es nicht nur eine Floskel?«

»Nein, ich glaube nicht. Ich bin sicher, dass sich unsere Wege wieder kreuzen werden. Sie sind nun gewissermaßen eine Eingeweihte. Sie werden Ihrer gewohnten Arbeit nachgehen, aber Ihr Alltag wird nicht mehr sein wie früher. Ich weiß selbst, wie sich mein Leben von Grund auf verändert hat. Ich wollte nicht glauben, dass es auf der Welt mehr gibt, als wir mit unseren Sinnen normalerweise wahrnehmen können! Viele andere, die schon vor mir die gleiche oder eine ähnliche Erfahrung gemacht haben, verzweifelten an sich selbst und an der Arroganz Unbeteiligter. Viele verloren den Verstand, andere wurden zu Ausgestoßenen, Unverstandenen, Sonderlingen. Als ich erkannte, dass ich nur ein Rädchen in einem großen Getriebe bin, das einmal in Gang gesetzt wurde und in der Maschinerie des Kosmos eine immerwährende Funktion zu erfüllen hat, dass ich gar nicht der bin, für den ich mich hielt, dass wir alle irgendwann und irgendwo schon mal existiert haben, dass wir wirklich als ungeborene Geistwesen existierten und diesen Zustand wieder anstreben ... als ich das alles erkannte, wusste ich, dass die zufällige Konstellation, in die ich hineingeboren worden war, nicht die einzige und wichtigste war. Ich wurde in eine sehr günstige Lage versetzt.

Mein Vater hatte das Unternehmen, das vom Großvater gegründet worden war, weiter ausgebaut und zu einem Werk von Weltbedeutung gemacht. Ich wurde in Sorglosigkeit groß. Der finanzielle Hintergrund schuf mir die Möglichkeit, mich so frei zu bewegen, wie ich das jetzt benötige.

Mein Betätigungsfeld ist die ganze Welt geworden. Wäre ich finanziell nicht unabhängig, könnte ich der Aufgabe nicht gerecht werden, die sich mir gestellt hat. Aber weil das so ist, weiß ich auch, dass es viele arme Menschen gibt, die unter dem Druck der Verhältnisse zu leiden haben. Diese Menschen muss ich finden. Und Sie, Evita, können mir dabei helfen, denn sie leben überall in der Welt verstreut. Sie arbeiten für eine Zeitschrift, Sie kommen mit vielen Menschen zusammen. Halten Sie Augen und Ohren nach Verbündeten für unsere Sache offen! Ein abgedroschenes Wort fällt mir in diesem Zusammenhang ein: alle Menschen sind Brüder. Sie sind es wirklich, sie wissen es nur nicht. Es jedem einzelnen bewusst zu machen, ist eine unserer Aufgaben. Gemeinsam sind wir stark gegen die, die glauben, dass die Welt ihnen gehört, und gegen die, welche sich mit diesen verbunden haben und die überhaupt nichts mit dieser Welt zu tun haben ...«

»Die Passagiere für Flug Nummer Zweihundertsieben werden gebeten ...«

»Jetzt ist's aber allerhöchste Zeit! Wenn ich mich nicht beeile, startet der Jumbo noch ohne mich!«

»Dann nehmen Sie eben die nächste Maschine, Evita!«

»Es ist eigenartig ... nun haben wir schon so viel miteinander gesprochen und in den letzten Tagen unzählige Dinge erörtert, und doch scheint es, als gäbe es nie ein Ende.«

»Es gibt auch kein Ende, Evita. Und dies ist schon einer der wichtigsten Gründe, dass wir uns wiedersehen sollten ... eben, weil es so viel zu besprechen und zu bedenken gibt. Was wir entdeckt haben, ist das Ufer eines neuen Ozeans. Was dahinter liegt, vermögen wir noch nicht mal zu ahnen.« Er blickte ihr nach und sah, wie sie durch die Abfertigung ging und inmitten anderer Passagiere verschwand. Er fuhr zusammen, als fremde Gedanken wie eine Flut in sein Bewusstsein drangen.

Carminia, Björn! Sie befindet sich in allerhöchster Gefahr! schrie Al Nafuurs Stimme in ihm.

Mit dem Warnschrei kamen die Bilder. Sie entwickelten sich in Sekundenschnelle zu einem gespenstischen Kaleidoskop und sagten mehr aus als Worte.

Ein Haus ... eine Allee ... davor ein Wagen ... ein weißer Mercedes ... schattenspendende Kastanienbäume ... in diesem luxuriösen, alten und villenartigen Gebäude eine Wohnung ... vornehme Eleganz ... ein Zimmer ... ein Spiegel ... viele Spiegel ... vibrierende, stickige Luft ... hinter dräuenden Nebeln die Umrisse einer düster glimmenden Welt ... ein jenseitiges Reich ... heiße Luftwirbel trieben einen Menschen vor sich her, der sich verzweifelt und vergebens gegen den Sturm stemmte.

Das war Carminia!

Hinter schwarzen, knorrigen Stämmen lauerten glühende Augen, drang Wispern und Kichern hervor.

Hellmark begriff die Botschaft und verstand, dass das, was er sah, jetzt, in diesen Sekunden geschah, dass Carminia ihm entrissen worden war.

Kaum, dass er selbst aus einer anderen Zeit in die Gegenwart dieser Welt zurückgekehrt war, begannen die Schergen des Molochos ein neues, grausames Spiel mit ihm.

Das also war Al Nafuurs zweite Botschaft! Er hatte sie angekündigt, als er Björn das Mittel gegen Carminias Lykanthropendasein verraten hatte.

Doch dann war die Verbindung zu dem Zwischenreich abgebrochen, und Al Nafuur hatte nur noch ankündigen können, dass nach erfolgreicher Behandlung mit dem Trank der Siaris die Gefahr für Carminia Brado keineswegs gebannt sei. Hellmark hatte darauf seine Umgebung und alles, was sich nach der Umwandlung der Spinne zurück in den Menschen ereignet hatte, sehr genau verfolgt.

Die Feinde aus dem Unsichtbaren lauerten jederzeit darauf, zuschlagen zu können. Und sie hatten sich den denkbar günstigsten Zeitpunkt für ihre Aktion ausgesucht. Er war zu weit entfernt von ihr, um eingreifen zu können.

Mit seinem Körper aus Fleisch und Blut hätte er mindestens vierzig Minuten gebraucht, um jenen Punkt zu erreichen, den Al Nafuur ihm auf geistigem Weg angegeben hatte. Aber er verfügte über einen Zweitkörper, er konnte sich verdoppeln!

Und Macabros konnte im wahrsten Sinn des Wortes den entferntesten Punkt in Gedankenschnelle erreichen, denn Geist benötigte keine Zeit, um den Kosmos zu durcheilen. Und niemand hier ahnte etwas davon. Ein Mann stand in der Flughalle, nur einer von vielen, die zum Abschiednehmen gekommen waren.

Ein leichter Anflug von Anspannung lag auf Hellmarks Antlitz. Niemand merkte, dass in diesen Sekunden etwas Besonderes mit diesem Mann vorging. Dass er sich verdoppelte. Dass sein Ätherkörper viele Kilometer entfernt Form und Gestalt annahm.

Der Doppelkörper Hellmarks entstand direkt im Keller seines Hauses am Genfer See. Von hier war es nur ein Schritt durch den Spiegel der Kiuna Macgullygosh – und er befand sich Tausende von Meilen entfernt in der Geister-Höhle auf der Insel Marlos. Macabros griff nach dem magischen Schwert, und schon verschwand sein Körper wieder. Er tauchte eine tausendstel Sekunde später mitten in Genf auf und schwebte einen Atemzug lang halbdurchsichtig über dem villenartigen Gebäude. Hätten menschliche Augen ihn in diesem Moment wahrgenommen, der Beobachter würde meinen, Zeuge einer Geistererscheinung gewesen zu sein.

Macabros verschwand wie ein schimmernder Nebelstreif unter der Sonne. Hellmark steuerte seinen Geist nach den Bildern, die Al Nafuur ihm geschickt hatte.

Und sein Geist war es, der in die finstere, unerforschte Welt eindrang, die er normalerweise nur durch den Spiegel in Tony Stukmans Schlafzimmer hätte passieren können. Doch dem Geist waren keine Grenzen gesetzt. Wusste er erst, welchen Weg er einzuschlagen hatte, konnte er die Barrieren, die Raum, Zeit und die Dimensionen voneinander trennten, ohne Schwierigkeiten niederreißen.

Der Geist drang in die Jenseitswelt ein, und aus dem Geist wurde Hellmarks Doppelkörper Macabros. Macabros materialisierte im Pandämonium.

Die Luft rauschte. Der Himmel war eine einzige bleifarbene Fläche. Kahle, glitschige Gebirge ragten wie überdimensionale Buckel von geheimnisvollen, nackten Ungetümen aus dem Boden, über den ein allgegenwärtiger Nebel wogte.

Die Bäume und Büsche wirkten bizarr und fremdartig. Ihr Blattwerk schien aus graubraunen, fleischigen Lappen und hauchdünnem Gespinst zu bestehen. Ein dichter, undurchdringlicher Dschungel breitete sich vor den Augen des Menschen aus.

»Carminia!«, brüllte Macabros, die Hände wie einen Trichter an den Mund gelegt.

Das Echo seiner Stimme hallte durch die düstere Nebelwelt, und mehrfach verstärkt kehrte es zu ihm zurück, als würden tausend Stimmen spöttisch antworten.

Leises Rascheln im Gebüsch ...

Macabros warf sich herum. Zwei, drei furchteinflößende Gestalten, die im ersten Moment nicht von der Dunkelheit zu unterscheiden gewesen waren, wälzten sich wie riesige Schleimkugeln auf ihn zu.

Macabros umspannte den Griff des magischen Schwertes. Aber er wich keinen Schritt zurück.

Die drei unförmigen Wesen glitten wie Schnecken auf einer Schleimspur auf ihn zu. Auf ihren schwarzen Leibern glitzerten kalte Lichter, die aufblinkten und wieder erloschen, als würden dort elektrische Entladungen stattfinden. Aus den Körpern drang Zischen und dumpfes Pfeifen. Dann glitten von unten her Auswüchse auf den Eindringling zu. Ein halbflüssiges Etwas schwappte um Macabros' Beine. Er taumelte und verlor den Halt, als der Boden unter seinen Füßen plötzlich zu wanken begann. Der Untergrund verlor seine feste Form. Macabros glaubte, auf zähflüssigem Leim zu stehen.

Die schmierigen Ungetüme vor ihm blähten sich weiter auf, und ekelerregender Gestank entströmte den großen, sich öffnenden und schließenden Poren. Ein Berg türmte sich vor Macabros auf.

Der Eindringling aus feinstofflicher Substanz konnte jetzt nicht länger zögern, wollte er verhindern, dass die schleimigen Wesen ihm im wahrsten Sinn des Wortes über den Kopf wuchsen.

Die drei Leiber wuchsen zusammen und bildeten einen unüberwindlichen Wall vor ihm. Macabros zog das Schwert des Toten Gottes durch die Luft.

Die blitzende Schneide bohrte sich tief in das vor ihm wachsende, schwammartige Gebilde. Gelbe und grüne Nebel entwichen zischend dem schleimigen Körper und stiegen wie farbige Rauchfahnen in die schmutziggraue Luft, die niemals ein Sonnenstrahl durchdrungen hatte.

Der schimmernde fleischige Ballon schrumpfte zusammen, als würde man die Luft aus ihm entfernen. Je mehr gelber und grüner Rauch aus dem Inneren des abstoßenden Körpers drang, desto kleiner wurde er.

Das Schwert traf den zweiten Schleimberg. Der sackte zischend und schwefelgelbe Dämpfe von sich gebend ebenfalls zu Boden.

Macabros hieb mit dem magischen Schwert um sich. Die dämonischen Unwesen, die versucht hatten, ihn aufzuhalten, wanden sich zuckend am Boden.

Er konnte schwere gesundheitliche Schäden davontragen, wenn er seinen Originalkörper über Gebühr strapazierte.

Er lief die Buschreihen entlang und rief immer wieder den Namen der Frau, die er liebte, in der Hoffnung, eine Antwort zu erhalten. Aber diese Hoffnung erfüllte sich nicht.

War Carminia schon außer Hörweite, oder befand sie sich in der Gewalt der Dämonen?

Blitzartig zuckten die Bilder, die Al Nafuur ihm schickte, noch einmal durch sein Bewusstsein.

Eine schaurige Umgebung, ein fremdes, welliges Land ... Düsterer Himmel, der sich endlos weit über eine apokalyptische, menschenleere Landschaft spannte.

Aber er hatte es gefühlt: diese Welt war nicht leer. Unsichtbare, gierige Wesen lauerten überall, und ständig war man von dem Gedanken erfüllt, dass sich der dräuende Nebel teilte und schreckliche Hände hervorstachen, um nach einem zu greifen.

In all dieser Einsamkeit befand sich ein Mensch aus Fleisch und Blut: Carminia. Von einem Schwarzen Priester entführt.

Er musste der geliebten Frau zu Hilfe eilen. Aber wo befand sie sich?

Die Fähigkeit, unbegrenzt lange hier in diesem Reich zu verweilen, besaß er nicht. Aus der sichtbaren Welt heraus steuerte und belebte er seinen Zweitkörper mit seinem Geist.

Er fühlte die schwindenden Kräfte. Energie wurde verbraucht, die er nicht so schnell ersetzen konnte. Seine Zeit hier war begrenzt. Er musste Carminias Spuren finden.

Hellmarks geistiger Impuls löste Macabros auf und versetzte ihn kurzerhand an einen anderen Ort in dieser schrecklichen, unbekannten Alptraumwelt.

Die Umgebung, in der sich Macabros eben noch aufgehalten hatte, veränderte sich. Ein neuer Ort breitete sich vor dem in das Jenseitsreich eingedrungenen Ätherkörper aus.

Hügeliges Land, dunkel und unerforscht wie der Morgen einer neuen Welt. Geheimnisvolle Wege führten quer durch das Land. Sie führten zu einem ausgetrockneten Flussbett, das zu beiden Seiten von mächtigen Bäumen flankiert wurde.

Da war es ihm, als registriere er dort schattenhafte Bewegungen. Mit der Schnelle des Gedankens wurde Macabros abermals versetzt. Und dann sah er die Frau.

Carminia? Nein, eine attraktive Blondine mit nixengrünen Augen und langen, wohlgeformten Beinen, schulterlangem Haar ... Sie lief wie von Furien gehetzt auf den düsteren Eingang einer Höhle zu. Und rief mit heller Stimme nach einer anderen Frau, die sich unweit von ihr befand und sich gerade vom Boden aufrappelte.

Blauschwarzes Haar, Ponyfransen ... eine blutjunge, zierliche Chinesin.

Macabros fragte sich nicht, wie diese beiden Frauen hierher kamen. Wichtiger war die Tatsache, dass sie sich in Gefahr befanden.

Die beiden jungen Frauen flohen vor den Dämonen, die aus dem dschungelartigen Wald hervorbrachen und in großer Zahl die Chinesin umringten.

Die schrie wie am Spieß und schlug um sich. Aber sie war zu schwach und ihre Gegner zu zahlreich, als dass sie ihnen hätte zu Leibe rücken können.

Da griff Macabros ein. Er führte das magische Schwert mit Bravour. Blitzschnell stieß er mit der Klinge in den Wall der gespenstischen Leiber, die die junge Chinesin umringten.

In den Augenwinkeln nahm er wahr, dass auf einem nahen Baum ein weiterer Mensch saß. Er hatte weißblondes Haar und eine helle, beinahe durchsichtige Haut – und er ließ eine Kamera laufen. Das Fauchen und Gurgeln aus den Mäulern der echsen- und drachenförmigen Dämonen mischte sich mit dem Surren des Elektromotors der Kamera.

Da schrie auch dieser Mann plötzlich gellend auf. Schleimige, tentakelförmige Arme stießen aus dem großen Wipfel über ihm. Der Betroffene musste die Kamera loslassen. Im Nu waren zwei, drei Dämonen über ihm.

Macabros kämpfte verzweifelt. Er schlug förmlich eine Gasse in die Mauer der Dämonen. Die Fischgesichter verzogen sich zu Fratzen, die wilden Augen glühten. Er bewunderte die Chinesin, die in diesen Sekunden trotz größter Angst den Mut und die Übersicht nicht verlor. Sie erkannte sofort, dass sie hier unerwartet von einem großen, breitschultrigen Mann Hilfe erhielt. Sie fragte nicht nach dem Wieso und Warum – sie nutzte die Gelegenheit, um die Flucht zu ergreifen. Dabei fand sie noch die Zeit, auf die Kamera zuzurennen, sie aufzuheben und mitzunehmen. Dann jagte sie auf den Höhleneingang zu, wo in dieser Sekunde ein Mann auftauchte.

Macabros vernahm eine klare, markante Stimme.

»Morna! Morna! Hierher!«

Es ging drunter und drüber. Der Mann riss die Blonde an sich, ging der Chinesin zwei Schritte entgegen, packte sie am Armgelenk und zerrte sie kurzentschlossen in die geheimnisvolle Höhle, aus der plötzlich ein gleißendes Licht brach.

Menschen befanden sich in einem Teil des Pandämoniums.

Waren sie freiwillig gekommen? Waren sie gezwungen, hier zu sein?

Macabros sprang über die verlöschenden Dämonen hinweg. Einige ergriffen die Flucht, als die magische Klinge vor ihren Augen aufblitzte.

Der Ätherkörper Hellmarks interessierte sich dafür, was im Innern der Höhle vorging. Er tauchte am Eingang auf. Die Höhle war lichtüberflutet, und in der hintersten Ecke sah er zusammengepfercht die Menschen stehen. Die beiden Frauen, den jungen, sportlichen Mann und einen schlanken, älteren mit graumelierten Schläfen und aristokratischem Gesicht.

Eine weiße Lichtkugel blähte sich auf. Der ältere Mann hielt einen Kristall in der Hand und streckte ihn mit beiden Händen über die Köpfe der Menschen.

Der Kristall blähte sich zu gewaltiger Größe auf, und während dies geschah, verging er auch schon. Mit dem verwischenden Licht schwankten auch die Gestalten hin und her, als wären ihre Körper nur Schemen.

Macabros lächelte den Fremden zu und schwenkte das Schwert.

Er wusste nicht, wer diese Menschen waren und wie sie hierhergekommen waren. Aber instinktiv erfasste er die Situation richtig: die Unbekannten hatten aus eigener Initiative und Kraft ein Problem bewältigt. Sie kehrten offensichtlich dorthin zurück, woher sie gekommen waren.

Wie ein Gruß wirkte die Geste des blonden Mannes mit dem sonnenverbrannten Gesicht, als er jetzt den Unbekannten nachblickte, die Schwerthand hob und ihr Lächeln als Erwiderung seines Grußes wertete.

Macabros wusste nicht, dass die Menschen, die sich in diesen Sekunden seinen Blicken entzogen, niemand anderes waren als die Schwedin Morna Ulbrandson, die Chinesin Su-Hang, der PSA-Agent Larry Brent und der geheimnisumwitterte Graf Leucate, die durch ihr Abenteuer mit Chaos, dem steinernen Götzen, in eine schicksalsschwere Lage geraten waren.

Nur eine flüchtige Begegnung, eine Episode?

Nein, diesmal nicht. Ein seltsames Schicksal nahm hier seinen Anfang.

Macabros glitt wie ein Schatten in die Höhle, in der das letzte Licht versickerte. Er sah ein schattenhaftes Etwas zusammenschrumpfen, den Herrscher der Höhle, ein Geschöpf, dessen Geist hier wirkte, forderte und vernichtete. Ein Geist, der sich für mächtiger und schlauer hielt, als Menschen es sein konnten. Aber wieder einmal war der Beweis erbracht worden, dass Menschen auch in diesem Bereich, der den Geistern und Dämonen allein zu gehören schien, die Möglichkeit hatten, den Widersachern ein Schnippchen zu schlagen. Auch Dämonen hatten ihre Schwächen. Man musste sie nur erkennen.

Macabros ging in die Hocke und entdeckte den aufgewühlten Boden.

Spuren eines Kampfes?

Er tastete über die glitschigen Höhlenwände und klopfte sie ab. Es gab keinen versteckten Hohlraum, keinen Durchlass. Er entdeckte auch nicht den geringsten Hinweis dafür, dass hier ein Dimensionstor existierte, von dem aus gefahrlos die Schwelle von dieser Jenseitswelt in die Welt der dritten Dimension hätte überschritten werden können.

Also mussten die Fremden ihre eigene Methode entwickelt haben, die Grenzen zwischen den Welten zu sprengen.

Macabros musste an das gleißende Licht denken. Demnach gab es noch mehr Möglichkeiten, die Schwelle vom Diesseits zu einer der zahllosen Parallelwelten zu passieren. Menschen waren erfinderisch.

Unwillkürlich zuckte ein Lächeln um seine Lippen. Er hatte Verbündete irgendwo in der Welt, und keiner wusste vom anderen. Er musste versuchen, diese Verstreuten zu vereinen, sie zusammenzuführen. Je größer die Gruppe, desto höher die Schlagkraft. Vereint konnten sie noch viel mehr tun als ein einzelner allein.

Er verließ die Höhle, nachdem er nichts Bemerkenswertes gefunden hatte. Draußen empfing ihn wieder die stickige Treibhausluft. Das ausgetrocknete Flussbett, das wie ein breiter, rissiger Pfad von der Höhle direkt in die undurchdringlichen Wälder führte, lag gewunden wie eine überdimensionale Schlange vor ihm.

Macabros ließ den Blick schweifen. Die Dämonen hatten sich zurückgezogen. Es war, als ob sie diesen Ort mieden, an dem die Fremden mit dem Licht aufgetaucht waren – und dann auch noch er mit dem Schwert des Toten Gottes.

Er vernahm leises Rascheln im Unterholz. Die Geräusche entfernten sich. Die Widersacher tauchten unter.

Macabros war mit seiner Mission nicht zufrieden. Er streifte noch eine kurze Zeit durch die fremde, alptraumhafte Welt und hoffte, eine Spur von Carminia zu finden.

Aber seine Hoffnung erfüllte sich nicht. Entweder war sie an einer anderen Ecke dieser Parallelwelt herausgekommen, oder er hatte seinen Zweitkörper zu weit in dieses Reich versetzt. Und jetzt konnte er nicht länger bleiben.

Macabros bewegte sich plötzlich wie eine Nebelgestalt im Wind. Seine Konturen verwischten; sein Körper erinnerte an einen gespenstischen Schemen.

In einer anderen Welt löste Hellmark den Befehl aus, und Macabros, den er nicht mehr länger ohne bedeutenden Kräfteverschleiß aufrechterhalten konnte, verschwand.

Björn Hellmark schwankte leicht, als hätte er einen Stoß gegen die Brust erhalten. Vor seinen Augen begann sich alles zu drehen, und dunkle, farbige Kreise tanzten auf und ab. Er atmete schnell und flach und wischte sich erschöpft über sein bleiches, schweißglänzendes Gesicht.

»Ist Ihnen nicht gut?«, vernahm er die Stimme wie durch eine Wattewand. Jemand berührte seine Schultern.

Björn riss sich zusammen und wandte den Blick. Eine ältere Frau stand neben ihm und blickte ihn aus großen Augen an.

»Kann ich irgendetwas für Sie tun?«, fragte sie besorgt. Ihre klaren grauen Augen musterten ihn eingehend. »Sind Sie krank?«

Er schüttelte den Kopf, atmete tief durch und lächelte. »Es geht mir schon wieder gut. Vielen Dank!«

Die Blicke der fremden Frau ließen ihn nicht los. »Na, ich weiß nicht«, bekam er zu hören. »Ich bin Ärztin. Irgendetwas ist mit Ihnen. Sie sind nicht betrunken, das sehe ich auf den ersten Blick. Sie sollten sich mal untersuchen lassen, junger Mann.«

»Danke für den Rat, Frau Doktor.« Er nickte. »Ja, vielleicht sollte ich das wirklich mal ...«

Er nickte ihr abermals grüßend zu und verließ dann die große, lärmende Halle. Außer der Ärztin, die ihn offenbar schon die ganze Zeit über beobachtete, hatte niemand etwas bemerkt.

Hellmark hatte es eilig, zu seinem parkenden Lamborghini zu kommen.

Die Gedanken des Mannes waren weit weg. Er wusste, dass die geheimnisvollen, unsichtbaren Mächte erneut die Klauen nach ihm ausstreckten, dass sie ihn abermals forderten.

Durch seine schnelle Reaktion hatte er lediglich mitbekommen, was mit Carminia geschehen war, aber der Ort, an dem sie festgehalten wurde oder durch den sie hilflos irrte, war ihm dennoch nicht genau bekannt.

Automatisch hatte er Macabros nachgeschickt und sich sofort auf Al Nafuurs Hinweise eingestellt. Aber seine Widersacher waren schneller gewesen.

Unruhe erfüllte ihn. Er fuhr schneller durch Genfs belebte Straßen, als es sonst seine Art war, konzentrierte sich auf den Verkehr, während er gleichzeitig intensiv in sich hineinlauschte, als könne er die Stimme des geistigen Freundes herbeirufen.

Manchmal klappte es. Diesmal hatte er Glück.

Es war die Wohnung eines Rennfahrers, in die man sie brachte ..., vernahm er unendlich leise die telepathische Stimme Al Nafuurs. Tony Stukman.

»Tony Stukman?« Björn Hellmarks Augen verengten sich. Dieser Name war ihm ein Begriff. Er, der selbst sportbegeistert war und sich in vielen Disziplinen betätigte, hatte eine besondere Schwäche für den Rennsport. Lange Zeit war er die schnellsten Autos gefahren, ehe ein Unfall und Carminias unaufhörliche Bitten ihn dazu veranlasst hatten, diese gefährliche Sportart aufzugeben. Er hätte allerdings nicht sagen können, dass sein Leben seitdem in ruhigeren Bahnen verlief. Seiner Meinung nach war genau das Gegenteil eingetreten. Als er den Rennsport an den Nagel gehängt hatte, waren Unruhe und Gefahren erst so richtig auf ihn zugekommen.

Er lenkte seine Gedanken wieder auf Stukman. Der war nach mehreren erstaunlichen Siegen international zum Begriff geworden. Der gebürtige Engländer fuhr seit über einem Jahr die schwierigsten Rennen der Welt und hatte hier in der Schweiz sein zweites Domizil.

»Ich werde mich mit Stukman unterhalten«, flüsterte er, obwohl das gar nicht notwendig gewesen wäre. Sein geistiger Gesprächspartner war über das, was er sagen wollte, schon Sekunden zuvor unterrichtet. Gedanken waren eben stets schneller.

Der Kontakt entwickelte sich nicht nach Hellmarks Erwartungen. Al Nafuur schien weiter denn je entfernt zu sein. Hin und wieder kam ein einzelner Begriff durch, doch mit diesem bruchstückhaften Mosaik aus Worten, Stimmungen und Bildern konnte Björn nichts anfangen. Die Kontaktaufnahme in das Zwischenreich war gestört.

Hellmark ließ während der Fahrt in die Genfer Altstadt Macabros aktiv werden. Mit Hilfe seines Doppelkörpers schaffte er auf telekinetischem Weg das Schwert herbei, das wieder in der Geisterhöhle lag, seinem Refugium.

Auf dem Rücksitz erschien wie durch Geisterhand ein lederner Behälter, der große Ähnlichkeit mit einem schmalgeratenen Geigenkasten hatte.

Björns Ziel war die Straße, in der Stukman sein Appartement hatte, und er nahm das Schwert des Toten Gottes mit. Man konnte nicht wissen, ob er es nicht brauchte.

Die Dinge waren zu mysteriös, als dass man sie als normal bezeichnen konnte.