Macabros 023: Fürst der Knochenburg - Dan Shocker - E-Book

Macabros 023: Fürst der Knochenburg E-Book

Dan Shocker

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Beschreibung

Die Horrortempel von Skyx Rani Mahay, der Koloss von Bhutan, und seine bengalische Tigerin Chitra folgen Björn Hellmark durch den Spiegel der Druidin Kiuna Macgullygosh. Doch Rani trifft nicht in Tschinandoah ein, sondern gelangt ins Land Ullnak. Dort trifft er auf Statuen, die seinen Freund Björn darstellen und mit Nadeln gespickt sind. Skelettus - Fürst der Knochenburg Nach seiner Flucht von Skyx wird Rani Mahay wieder zum Gefangenen des Schwarzmagiers Tamuur. Wochenlang muss der Inder als Sklave in den Minen schuften und Gestein abbauen. Darüber hinaus scheint Tamuur endlich am Ziel seiner Wünsche angelangt zu sein, denn Aleana erweist ihm freiwillig ihre Gunst. Sie will Rani sogar vor den Augen ihres Herrschers durch ein Schlangenmonster töten lassen. Nach einem mörderischen Kampf scheint der Inder tatsächlich zu unterliegen, doch Tamuur will das Ende gar nicht miterleben und widmet sich lieber einem Spaziergang durch seinen Schreckensgarten, der auch Chitra zum Schicksal wurde.

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DAN SHOCKERS MACABROS

BAND 23

© 2014 by BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Titelbildgestaltung: Mark Freier

Fachberatung: Gottfried Marbler

All rights reserved

www.BLITZ-Verlag.de

ISBN 978-3-95719-723-8

Dan Shockers Macabros Band 23

FÜRST DER KNOCHENBURG

Mystery-Thriller

Die Horror-Tempel von Skyx

von

Dan Shocker

Prolog

Die Landschaft vor dem einsamen Wanderer breitete sich still und trostlos unter der Düsternis des bleiernen Himmels aus. Der Mann trug ein zerknittertes Hemd und khakifarbene Hosen. Er war breitschultrig und seine Haut bronzefarbig. Auf den ersten Blick fiel die prachtvolle glänzende Glatze auf.

In seiner Begleitung in diesem Teil der Welt befand sich eine Tigerkatze, die nicht von der Seite ihres Herrn wich.

Das waren Rani Mahay und Chitra, die Tigerin.

Die Ungewissheit des Schicksals seines Freundes hatte den Inder veranlasst, heimlich Marlos durch den Spiegel zu verlassen und jene Welt zu betreten, in der Björn Hellmark eine besondere Mission zu erfüllen hoffte.

Er befand sich nun in einer Welt, von der er wusste, dass sich auch Björn in ihr bewegte und dem Licht des Südsterns folgte. Auch er musste sich nun nach diesem Stern richten, in der Hoffnung, den Freund einzuholen und künftig zu begleiten. Am Ende der Reise – wenn sie erfolgreich verlief – gab es eine Stelle, die die Rückkehr in die Welt, aus der sie kamen, ermöglichte.

Rani Mahay atmete tief durch, sein mächtiger Brustkorb hob sich.

Der Inder wirkte ernst und verschlossen. Man sah ihm an, dass er einen anstrengenden Marsch hinter sich hatte.

Auf dem Weg durch die fremde, unerforschte Welt war er auf die Städte der Gaafh und Tzschizz gestoßen. Zwischen den beiden Rassen, die in Wirklichkeit eine waren, bahnten sich ganz neue Beziehungen an. Der Einfluss der dämonischen Mächte war durch Björn Hellmarks Eingreifen gebannt worden. In der Hauptstadt des Gaafh-Landes war Mahay auf Björns Spuren gestoßen, der in Begleitung einer Frau seinen Weg nach dem rätselhaften Tschinandoah fortgesetzt hatte.

Mahay war nur nachts gewandert und zuletzt in das Tal geraten, das Björn beinahe zum Schicksal geworden wäre.

In jener Nacht hatte Mahay ein eigenartiges Erlebnis. Der Himmel verfärbte sich, und der Inder meinte, von einer seltsam saugenden Kraft gepackt zu werden. Später wusste er nicht mehr, ob er wach gewesen war oder geträumt hatte.

Das Tal vor ihm veränderte sich.

Die Bäume, die er von einem Plateau aus wahrgenommen hatte, schrumpften, zerbröckelten zum Teil oder wurden pechschwarz.

Beim Näherkommen stellte Mahay fest, dass die Pflanzenwelt völlig versteinert war. Bizarre Formen traf er an, und er hätte nun stundenlang durch ein vergessenes, verglühtes Tal wandern können.

Seit Björn Hellmarks Ankunft hatte sich etwas verändert.

Eine innere Stimme warnte Mahay, das Tal zu passieren, das nicht mehr das Bild bot, das man ihm schilderte.

Was war hier geschehen?

Worauf war der Flammensturm zurückzuführen, von dem noch jetzt blau und grün verfärbte Schleier über der Stätte der Vernichtung wehten?

Wie von einem Magnet angezogen, lief Mahay schließlich doch einen breiten Hauptweg zwischen bizarren, versteinerten Pflanzen entlang. Und es kam ihm so vor, als ob hier nicht die Natur, sondern ein irrer Künstler tätig gewesen wäre. Manchmal erinnerten Strünke und Wurzeln an durchlöcherte modrige Knochen, Blattwerk an faltige, ausgedörrte Mumienhaut.

Eine unheimliche, nicht beschreibbare Atmosphäre lastete über der tristen Stätte. Soweit Mahays Auge reichte, dehnte sich die bizarre, versteinerte Welt vor ihm.

Am Himmel leuchtete der Südstern, der sich von allen anderen durch seine Größe und Form unterschied. Um einen verhältnismäßig großen hellen Fleck gruppierten sich in regelmäßigen Abständen drei kleinere, die ihn wie Trabanten umkreisten.

Das war der Südstern, der über dem verheißenen Tschinandoah stand.

Der Inder kam an ausgetrockneten Tümpeln vorbei und geschwärzten Wegen. In der Ferne erblickte er eine absonderliche Ruine, zu der mehrere, steil aufwärtsragende Brücken führten, die von einer Art faserigem Gestrüpp überwuchert waren.

Es waren die Reste einer bizarren Burg!

Seit Urzeiten schien sie hier zu stehen. Wind und Wetter hatten ihr zugesetzt. Spröde und ausgewaschen war das Material. Gewaltige Räume reihten sich verschachtelt aneinander.

Mahay ließ die Ruine nicht links liegen. Er sah sie genau an.

Wenig später schon wanderte er zwischen dunklen Säulen, die aus versteinerten Drachen und Menschen – und Schlangenleibern zu bestehen schienen und durch die verlassenen Säle. Es waren noch genügend Zeugnisse auf den Herrn dieser Burg vorhanden.

Breite Wandreliefs liefen unter der Decke entlang. Als ob ein Drache seine Flügel aufgespannt hätte und zu Stein geworden wäre.

Wer hatte diese Burg bewohnt? Warum hatte der Besitzer sie verlassen?

Die Merkwürdigkeiten nahmen zu, wenn er bedachte, dass man ihm in Caal-Mag von dem großen, fruchtbaren Tal erzählt hatte, in dem ein böser Magier sein Unwesen triebe. Dass dieses Tal aber gar nicht mehr existierte, davon hatte niemand ein Wort verloren.

Dabei waren die Veränderungen so auffällig, dass jedermann sie sehen konnte ... Rani gefielen die Ungereimtheiten nicht, auf die er stieß.

Er drang in die labyrinthischen Räume der verlassenen Burg ein und gelangte dabei in eine Art Thronsaal, in dem der vergangene Herrscher dieses unheimlichen Bauwerkes einst lebte. Die Burg war eine Nekropole. Hier war der Tod eingezogen. Es war, als hätte eine unbekannte Krankheit blitzschnell zugeschlagen und die hier Lebenden von einer Sekunde zur anderen ausgelöscht.

Zurückgeblieben war aber etwas von ihnen. Man konnte es nicht mit Händen greifen – doch man konnte es mit feinen Sinnen fühlen.

Die Atmosphäre rundum verbreitete Beklemmung und Beunruhigung. Hier hatte einst etwas existiert, dessen Nähe nicht hatte vergehen können.

Rani Mahay fühlte sich beobachtet.

Die Tigerkatze ging unruhig im Kreis herum. Aus ihrer Kehle drang ein leises, gefährliches Knurren. Die Nackenhaare des Tieres waren leicht aufgerichtet, es hatte die Ohren angelegt.

Chitra verhielt sich anders als sonst. Sie witterte eine Gefahr und wusste doch nicht, wo sie zu finden war.

Rani war es, als halte sich hier außer ihm noch jemand auf. Er drehte sich um und durchbohrte die stumpfe Dunkelheit mit aufmerksamen Blicken.

Die Umrisse der abschreckenden Gestalten in den bizarren Säulen kamen ihm plötzlich plastischer und mit mehr Leben erfüllt vor.

Er zuckte zusammen.

Unter einem Durchlass tauchte eine Gestalt auf. Sie war weiß und schwebte einige Zentimeter über dem Boden.

Ein Geist!

Der Inder hielt den Atem an.

Chitra benahm sich weiterhin seltsam. Die Tigerin drehte sich im Kreis, als suche sie etwas. Sie sah nicht die schwebende Lichtgestalt, die langsam zwischen den unheimlichen Säulen näherglitt, als würde ein Windhauch sie wie ein Blatt tragen.

Die helle Gestalt war eine Frau von unvergleichlicher Schönheit. Durch das weiße, weich fließende Gewand schimmerte die getönte Haut, die makellos wie ein Pfirsich war. Das Gesicht war ebenmäßig. In langen, platinfarbenen Locken fiel das Haar über die Schultern herab und floss bis tief über die sanften Rundungen der Hüften.

Die Gestalt kam bis auf drei Schritte an Rani Mahay heran – der Inder registrierte jede Regung auf dem schönen Gesicht. Erstaunen, Verwunderung und tiefes Glück spiegelten sich in diesem Antlitz. Groß und klar wie ein Bergsee waren die Augen.

Die geisterhafte Frau wandte sich nach links. Sie schien viele andere Dinge wahrzunehmen, aber den Inder und die Raubkatze nicht. Langsam schwebte sie an den Thron.

»Wer bist du?«, fragte Rani klar und deutlich. Seine Stimme hallte durch den abstoßend wirkenden Saal und verwehte.

Die schöne Fremde nahm überhaupt keine Notiz von ihm. Sie umrundete den Thron und strich mit zarter Hand über die widerlichen Dämonenfratzen, die dort aus dem Stein herausgearbeitet waren und verschwand dann in der Dunkelheit der verschachtelten Räume.

Mahay lief ihr in das Labyrinth der leeren Gänge nach und entdeckte sie auch einige Male wieder. Einmal stand sie an einem mitten im Raum stehenden Brunnen und starrte in die Tiefe. Dann tauchte sie in einem wie eine tote Augenhöhle aussehenden Fenster auf und blickte erschreckt in das geisterhafte Tal. Schrie plötzlich. Man sah ihr das Grauen, die Ratlosigkeit und die Verzweiflung an. Wenig später floh sie wie von Sinnen durch die Räume, tauchte hier und dort wieder auf. Sie befand sich in einem Labyrinth der Schrecken, und verschwunden war der Ausdruck der Glückseligkeit in ihrem Gesicht. Sie stand dicht davor, den Verstand zu verlieren. Sie musste tausend Dinge gleichzeitig sehen, die sich hier abspielten.

Die gespenstische Erscheinung verschwand schließlich wieder so schnell und geheimnisvoll, wie sie gekommen war.

Als Rani Mahay die Geisterburg verließ, um weiter das Tal Richtung Südstern zu durchqueren, kreisten seine Gedanken wie ein in wilde Fahrt geratenes Karussell.

Wer war die Frau – und warum war sie dazu verdammt, an diesem unseligen Ort zu spuken?

Hätte er jetzt Björn Hellmark sprechen und ihm die Situation schildern können, wäre ihm einiges klargeworden.

Das Gemäuer, das er verließ, war die Burg des Scharlachroten, der weder menschlicher noch tierischer noch pflanzlicher Herkunft war.

Tamuur hatte im Augenblick des Dimensionsumsturzes seinen Fluch wahrgemacht. Sein Tal ging unter, weil die Bedingungen, unter denen es gestanden hatte, nicht mehr existierten. Raum und Zeit innerhalb des Tales und des angrenzenden Landes Ullnak kippten. Ein neuer Zeitraum entstand – und neue Bedingungen.

Die einer fernen Zeit – Tamuurs Land und das Land Ullnak wurden in der Vergangenheit ausgelöscht und entstanden in der Zukunft neu.

Die geisterhafte Schöne, die der Inder beobachten konnte, war niemand anders gewesen als Aleana, die Tochter des Fürsten Altor aus Ullnak. Tamuur schwor, Aleana bis ans Ende ihrer Tage an sich zu fesseln und sie alle Schrecken miterleben zu lassen, die sie freiwillig nicht mit ihm teilen wollte.

Doch davon wusste Rani Mahay nichts.

Er glaubte an das Licht des Südsterns und an Björn Hellmarks Mission und ahnte nicht, dass sich sein großer Freund in der Tat nicht mehr hier auf dieser Parallelwelt befand, sondern dass die chaotischen Ereignisse ihn auf einen anderen Stern schleuderten. Aber das wiederum wusste Björn Hellmark nicht, wenn er es auch dunkel ahnte ...

Der Burg schloss sich ein labyrinthischer Garten an, der von einer hohen Mauer umgeben war. Dieser Garten mündete später fast unmerklich in das scheinbar endlose Tal des Grauens, in dem sich so viele Unschuldige Tamuur unterwerfen mussten.

Rani passierte gerade den Durchgang, bereit, konsequent seinen Weg fortzusetzen, als er eine leise Stimme vernahm.

»Er soll sterben ... ich wünsche ihm den tausendfachen Tod!«, klangen die Worte hasserfüllt an seine Ohren. »Er hat Ullnak an den Rand des Untergangs gebracht.«

Die Katze wollte gerade zum Sprung ansetzen.

»Stopp!« Ranis geistiger Befehl erreichte das Tier. Chitra fuhr zusammen. Sekundenlang hielt der Inder mit seinem Willen die Kontrolle über das Raubtier, während er sich mit zwei schnellen Schritten geduckt dem Mauerrest näherte, der sich dem Gemäuer anschloss.

Ein halber Turm ragte hinter der abgebrochenen Mauer empor.

Wie in einem kleinen, halbrunden Innenhof hockte darin ein Mensch in Gebetsstellung vor einer etwa einen Meter hohen Statue und hob beschwörend die Hände.

»Ullnak hat sein Gesicht verloren. Ein falscher Herrscher hat als Ersatz für den Verlust seines Landes Ullnak übernommen.

Du sollst mich hören, Fremdling ohne Namen ... du sollst die Schmerzen fühlen, die ich dir zufüge ... spüre auch diesen Stich ...«

Rani Mahay verhielt sich ruhig wie ein Schatten, und in atemloser Anspannung sah er zu, was der Mann tat, der ihm den Rücken zuwandte.

Zwei schwarze Kerzen brannten neben der großen, lebensecht nachgebildeten Statue. In der Figur steckten zahlreiche, fingerdicke Nadeln, die mit schwarzen Köpfen versehen waren.

Die nachgebildete Gestalt stand auf einem altarähnlichen Podest, das von dornigem Gestrüpp und giftigen Kräutern umrankt war. Sie stellte einen Mann dar, der eine sonnengebräunte Haut, auffallend blondes Haar und ein markantes, männliches Gesicht hatte. In der Rechten hielt er ein breites Schwert, das mit einem funkelnden Griff versehen war.

Der Inder glaubte seinen Augen nicht zu trauen.

Die Statue, in die der Beschwörer mit hartem Ruck eine fingerdicke Nadel oberhalb der Leber stieß, stellte eindeutig seinen Freund Björn Hellmark dar!

Rani Mahay rührte sich nicht. Ein Teil seines Bewusstseins war ständig auf Chitra gerichtet. Durch seine Willenskraft verhinderte er, dass die Tigerkatze den runden Mauerrest übersprang und sich auf den Fremden stürzte.

Der Unbekannte wiederholte seine Beschwörungen insgesamt siebenmal. Dabei berührte er jedes Mal die Nadeln, die er an sieben verschiedenen Stellen in die Statue geschoben hatte.

»Warum tust du das?«, fragte der Inder mit rauer Stimme.

Der Mann in dem voluminösen, kuttenartigen Gewand wirbelte wie von einem Faustschlag getroffen herum. Große Augen richteten sich auf Rani Mahay und die Tigerkatze, die bedrohlich ihr Gebiss zeigte, als der Inder die geistigen Zügel, in die er Chitra vorsichtshalber gelegt hatte, löste.

Der Kuttenträger sprang empor, wich zwei Schritte zurück und streckte abwehrend die schlanken, bräunlichen Hände aus. Er wirkte schmal und verhärmt.

»Wie kannst du es wagen, die magische Beschwörung zu unterbrechen?«, stieß er hervor. »Wer bist du und wo kommst du her?«

Es verwunderte Rani Mahay nicht, dass er die Sprache des Mannes ebenso verstand wie dieser die seine. Wie in Björn Hellmark, so strömte auch durch die Adern des Inders ein Tropfen Blut der alten Rasse, die einst Xantilon verließ, um die Art zu erhalten. Darauf führte es Rani Mahay zurück, dass er in einer Parallelwelt eine Sprache verstand, die er nie zuvor gehört hatte. Schon in Caal-Mag, der Metropole der Gaafh-Völker machte er die Erfahrung, dass es keinerlei Verständigungsschwierigkeiten auf dieser Seite der Welt gab. Und merkwürdig, auch die hier lebten, fanden es nicht seltsam, wenn Fremde auftauchten, von denen niemand wusste, woher sie stammten.

Daraus zog der Inder den Schluss, dass schon in der Vergangenheit des Öfteren Besucher aus der dritten Dimension der Erdenwelt kamen. Es mochte aber auch eine Rolle spielen, dass die Völker und Einzelindividuen, die er bisher kennenlernte, so daran gewöhnt waren, mit anderen Individuen zusammenzukommen, dass sie nicht mal genaue Erkundigungen anstellten.

»Ich habe dir zuerst eine Frage gestellt«, reagierte Rani Mahay. »Beantworte sie mir – und ich werde dir deine beantworten.«

Sein Gegenüber deutete auf die Statue, die Björn Hellmark darstellte, neben der die Kerzen brannten.

»Er ist unser Feind. Deshalb muss ich ihm Leid zufügen. Da er nicht erreichbar ist, sind überall im alten Tal und in der Stadt Statuen aufgestellt, an denen die Bewohner ihre Wünsche zu seiner Vernichtung loswerden können. Hier aber an dem unseligen Ort, an dem er gewirkt hat, verstärken sich die Kräfte, davon bin ich überzeugt.«

Rani Mahay war irritiert, zeigte das aber nicht. Er blieb ruhig und hielt sein Versprechen, indem er seinen Namen nannte, sagte, dass seine letzte Station Caal-Mag gewesen sei und er sich nun auf dem Weg nach Tschinandoah befände. Es lag ihm die Frage auf der Zunge, ob der Beschwörer eventuell jenen Mann gesehen habe, dessen Abbild er verdammte, aber er unterließ es. Er zeigte allerdings ganz offen seine Neugierde.

»Erklär mir genauer, was es mit der Gestalt auf sich hat«, bat er.

Der Mann, der Lanok hieß, deutete in westlicher Richtung. »Er hat die Stadt, die ihre Vergangenheit verlor, niemals gesehen. Er kam hierher, um Tamuurs Geheimnis zu ergründen. Und das hat Ullnak den Untergang beschert. Wir wissen nicht, wer er war, und woher er kam. Wir haben vergessen, wann wir geboren wurden, wohin wir wollen und was der Sinn unseres Daseins ist. Fürst Altor war einst unser Herr – wer uns jetzt regiert, ist uns ein Rätsel. In der Stadt verschwinden Menschen, weil er es so will ...«

»Er?«, echote Rani.

»Er!« Lanok deutete mit hasserfülltem Blick auf die Statue.

Das kann nicht sein, schrie es in dem Inder. Björn wurde verkannt – oder er war durch irgendwelche äußeren Einflüsse nicht mehr der, der er mal war. Ein völlig Veränderter musste hier durch das Tal gekommen sein!

Unwillkürlich blickte sich Rani in der Runde um. Diese merkwürdige, verbrannte Landschaft! Ein trostloser Ort, der vor gar nicht allzu langer Zeit mal eine blühende Stätte gewesen sein musste ...

War die Veränderung durch Björn gekommen?

Dann hatte in der Tat kein mitfühlender Mensch, der guten Willens war, diesen Weg beschritten, sondern das personifizierte Böse.

Einer, der aussah wie Björn Hellmark?

Dieser Gedanke drängte sich Rani zuerst auf.

Einer, der wollte, dass Björn verfolgt und vernichtet wurde?

Das wäre logisch.

»Wann war der Fremde hier, dem ihr den Tod wünscht?«, wollte er wissen.

»Es kann tausend Jahre her sein – oder hundert – oder zehntausend. Keiner weiß es genau.«

Rani glaubte, nicht richtig zu hören. Er musste es mit einem Verrückten zu tun haben.

Tausend Jahre? Zehntausend?

»Wie alt bist du, Lanok?«

»Wenn der Südstern noch dreimal sein Licht über Ullnak abstrahlt, trete ich in mein zweiundvierzigstes Lebensjahr.«

Nach menschlichem Ermessen hätte Rani Mahay seinen Gesprächspartner auf etwa fünfzig geschätzt.

Wie lange ein Ullnak-Jahr währte, dahinter kam er nicht.

»Wie alt werdet ihr im Durchschnitt, Lanok?«

»Neunzig.«

»Dann hast du noch rund fünfzig Jahre vor dir. Es ist erstaunlich, dass ihr einen Feind verfolgt und schädigen wollt, der vor tausend oder zehntausend Jahren hier war. Ich verstehe das nicht ganz. War er ein Magier? Wirkt seine Kraft noch irgendwie in eurem Leben nach?«

»Auf Schritt und Tritt. Er ist überall und ewig, wenn wir ihn nicht vernichten. Nur in der Hand derer aus Ullnak liegt es, das Vergangene zu rächen, denn er hat die Zeit verändert. Er, der vor Jahrtausenden nach dem Geheimnis suchte, hat unsere Vergangenheit gestohlen und das ganze Land Ullnak in die Zukunft geschleudert. Du siehst, was aus dieser Zukunft geworden ist. Eine Zukunft ohne Weiterentwicklung, eine Zukunft, die stagniert, solange er am Leben ist. Wir müssen ihn suchen und finden – die Schmerzen, die wir ihm verursachen, werden bald so stark werden, dass er den Ort der Entstehung aufsuchen wird. Er wird inmitten seiner Qualen gefangen sein und dann nicht mehr fortkönnen.«

Größeren Unsinn hatte Rani Mahay nie zuvor gehört. Doch er nahm die Dinge nicht auf die leichte Schulter. Wo finstere und schwarzmagische Mächte ihre Hand im Spiel hatten, da konnte man nie aufmerksam und vorsichtig genug sein.

Sorgen bereitete ihm in der Tat das, was hier geschah. Auf seinen Freund Björn, der niemand Böses wollte, wurde ein Kesseltreiben eigener Art veranstaltet. Was hier über die Bühne ging und worauf er durch einen Zufall gestoßen war, das erinnerte ihn lebhaft an die Praktiken des Voodoo-Kultes auf Haiti und in Südamerika.

Nadeln in eine Puppe zu stoßen, die einer ganz bestimmten Person durch Ähnlichkeit, ein angeheftetes Foto oder durch einen persönlichen Gegenstand scharf gemacht worden war, gehörte dort zur Praxis.

Er erfuhr, dass in Ullnak selbst Hunderte solcher Statuen existierten, dass es sogar einen großen Tempel gab, in dem regelmäßig Beschwörungen stattfanden, um den Tod oder die Rückkehr, die in die Vernichtung führen sollte, herbeizuführen.

Der Gedanke daran, dass Björn jetzt irgendwo an einem unbekannten Ort entsetzliche Schmerzen erduldete, dass er möglicherweise hilflos war und nicht mehr ein noch aus wusste wegen der Hexenjagd, die hier eine Verschwörergemeinschaft – aus welch unerfindlichen Gründen auch immer – auf ihn veranstaltete, erfüllte den Inder plötzlich mit Grausen. Er machte eine blitzschnelle Kehrtwendung. Dann tat er etwas, was Lanok zu einem schrillen Schrei veranlasste.

»Neeeiin! Tu es nicht!«

Rani Mahay riss zuerst die älteren, fingerdicken Nadeln heraus, dann die jüngeren, die Lanok erst kurz zuvor während seiner Beschwörung eingestoßen hatte.

Danach trat er die beiden Kerzen um, so dass sie erloschen. Nur noch das Licht der Sterne lag jetzt über ihnen.

Lanok schluckte. Sein Gesicht war aschgrau. »Wie ... konntest du ... das tun?«, stammelte er.

»Dieser Mann kam nicht vor Jahrtausenden und nicht vor Jahrhunderten. Einige Wochen erst ist es her, seitdem er in dieses Land kam, um dem Stern der Verheißung zu folgen und Tschinandoah zu erreichen. Dort wartet eine Botschaft auf ihn – eine Botschaft, die auch für euch von Bedeutung sein kann, weil Mächte, die Tod, Verzweiflung und Unheil wollen, jede Art von Intelligenz in ihre Abhängigkeit zu zwingen versuchen. Dieser Mann, den ihr vernichten wollt, will nicht euren Untergang.«

»Du irrst! Was du zuerst gesagt hast, entspricht der Wahrheit. Erst kürzlich kam der Fremde hierher. Dieses kürzlich aber bezieht sich nur auf deine Sicht, auf deine Eigenzeit. Das Land, aus dem du kamst, stand nicht unter den Bedingungen, die ausgelöst wurden, als der Eindringling Tamuurs Geheimnis für sich beanspruchen wollte. Höre, was ich dir zu sagen habe! Es steht geschrieben, dass einer kommen wird, um Tamuur zu hintergehen. Der da kommt, weiß, was er riskiert, wenn er sich Tamuurs Wissen aneignen will. Er geht bewusst den Untergang eines Volkes ein. Mit Tamuur waren wir unglücklich – aber er war eine Gefahr, die sich auf Zeit noch berechnen und eventuell eines Tages besiegen ließ. Der Fremde aber führte Ullnak in die Sackgasse.«

»Deine Worte beweisen, dass du von einem anderen sprichst als dem, den ihr hier verteufelt.«

Lanok trat einen Schritt vor. Er hörte nicht zu. Wollte die großen Nadeln wieder in die Statue stecken.

Chitra knurrte wild. Lanoks heftige Bewegung veranlasste sie zu reagieren.

Da trat Rani Mahay zwischen die Katze und Lanok und zog ihn herum. »Hör mir gut zu! Wenn es so ist wie du sagst, dann will ich alles daransetzen, meinen Fehler wieder gutzumachen und mitzuhelfen, den zu suchen und zu schädigen, der euch das Verderben bescherte und durch den ihr eure Zukunft verloren habt ...«

Rani war die Tragweite dessen, was geschehen war, vollkommen klar. Ein Abschnitt dieser Welt war aus der Zeit der Gegenwart herausgelöst und in eine andere Zeiteinheit gerissen worden.

Lanoks Welt Ullnak befand sich in der Zukunft, in einer trostlosen Sackgasse, in der es keine Entwicklung mehr gab.

»Wie willst du uns helfen?«

»Indem ich nach Tschinandoah gehe und den hole und euch vorstelle, auf den angeblich euer Schicksal zurückzuführen ist.«

»Du sprichst wieder von Tschinandoah. Ich habe es dir vorhin nicht sagen wollen. Aber nun muss ich es wohl doch. Tausend Wege hätten dich nach Tschinandoah geführt. Der Hauptweg geht durch dieses Tal, das ist richtig. Aber seitdem der Fremde hier war – führt kein Weg mehr von hier nach Tschinandoah. Ullnak ist von der Außenwelt abgeschnitten. Man kann von draußen zwar hereinkommen, weil von dort scheinbar alles unverändert aussieht. Aber wenn man erst mal hier drin ist – dann gibt es keinen Weg mehr, der herausführt!«

Rani Mahay glaubte, jemand würde ihm mit der Faust ins Gesicht schlagen. »Dieses Tal und das Land Ullnak sind eine Falle?«

»So ist es! Wir sind vollkommen von der Welt und der Zeit, die uns umgibt, isoliert!«

Das musste Rani Mahay erst mal verdauen. Er war ein Mensch, der grundsätzlich alles genau wissen wollte, wenn irgendwelche Dinge noch unklar waren.

»Komm mit mir«, schlug er Lanok vor. »Bis zu dem Punkt, wo ich das Tal betreten habe, ist es nicht weit. Ich will wissen, woran ich bin.«

»Ich komme gern mit. Aber zuerst ...«

Lanok wollte unbedingt wieder die Nadeln in die Statue rammen. Rani hinderte ihn daran. Lanoks Stirnader schwoll an. Anfangs war der Mann aus Ullnak überzeugt davon, dass der Fremde aus Mangel an Wissen gehandelt hatte. Aber nun änderte sich seine Meinung. Der Fremde wollte ihnen durch sein Verhalten Schaden zufügen!

In Lanoks Augen glitzerte es kalt. Wütend ballte er die Hände.

Chitra fauchte leise. Die Raubkatze spürte die Unruhe, die von dem Ullnak-Bewohner ausstrahlte.

Rani war gewarnt und wusste, dass er es von nun an nicht mit einem Freund, sondern mit einem Feind zu tun hatte.

Er hoffte, dass es ihm gelang, Lanok von dem Fehlglauben, der hier verbreitet war, zu befreien. Er sagte das auch ganz offen und entschuldigte sich für seine Tat, ließ aber klipp und klar erkennen, dass ihm in Anbetracht der Umstände und des Wissens, das er hatte, einfach keine andere Wahl blieb.

Durch die Aktivitäten derer aus Ullnak schwebte Björn Hellmark möglicherweise in tödlicher Gefahr, ohne zu ahnen, woher die Angriffe aus dem Unsichtbaren auf seine Person eigentlich kamen.

Ein unerklärliches Gefühl aber sagte dem Inder, dass hier einiges im Argen lag, dass mehr hinter dem steckte, was er hier entdeckt hatte, als auf den ersten Blick zu erkennen war.

»Ich will dir nichts tun, Lanok. Du siehst in mir einen Feind. Ich werde alles daransetzen, dir das Gegenteil zu beweisen. Ich warne dich allerdings, Hand an mich zu legen oder mich in einen Hinterhalt zu locken. Möglicherweise würde ich es nicht mal merken. Doch die Raubkatze an meiner Seite gehorcht mir aufs Wort. Und wenn irgendetwas geschieht, wird sie dich zerfleischen. Denke immer daran!«

Wortlos gingen sie nebeneinander her. Von Zeit zu Zeit warf Rani Mahay einen unmerklichen Blick auf seinen Begleiter. Lanok war in dumpfes Brüten versunken. Mechanisch setzte er einen Fuß vor den anderen.

Lautlos wie ein Schatten hielt sich Chitra links neben dem Inder.

Nach menschlichen Zeitbegriffen waren sie schätzungsweise eine halbe Stunde unterwegs. Dann erreichten sie wieder das Ende des sonderbaren, bizarren Tals, und Rani musste zu seinem Erstaunen feststellen, dass er die Berge nicht mehr sehen konnte, die er vor seiner Ankunft passiert hatte.

Grauweißer Nebel waberte vor seinen Füßen und bildete eine steile, himmelhoch ragende Wand, die sich weit oben schließlich nach innen stülpte und eine Art Kuppeldach bildete. Am Rande des Tals war der Beginn dieser Kuppel noch deutlich wahrzunehmen. Weiter zum Innenland zu schwächten sich die Nebel ab, und der klare Sternenhimmel war zu sehen.

Gemeinsam mit Lanok ging Rani einen Schritt in die Nebelwand hinein.

»Du kannst tausend Schritte weit gehen, und du wirst doch immer im Nichts bleiben und in Wirklichkeit keinen Meter weitergekommen sein«, hörte er Lanoks hallende Stimme, die aus unendlicher Ferne an sein Ohr zu dringen schien. Der Mann aus Ullnak aber stand dicht neben ihm. »Das ist das Geheimnis der Zeitfalle, in der wir sitzen. Das sind die Grenzen unseres Landes und unserer Zeit. Wir können nicht mehr nach draußen. Über Ullnak und das alte Tal wölbt sich eine Kuppel der Zukunft.«

Es war unbegreiflich, aber eine Tatsache: Rani war sicher, dass er immer weiter vorwärts ging, dass er mindestens hundert Schritte machte und sich Lanok und Chitra an seiner Seite befanden und die Bewegung mitvollzogen.

Als er sich dann umwandte, um zurückzugehen, bedurfte es nur eines einzigen Schrittes, und er stand genau wieder an der Stelle, die er zuvor verlassen hatte.

Diese Tatsache widersprach jeder Logik und jeder Vernunft.

Doch es war nun mal so. Die Zeit innerhalb des Nebelfeldes stand still. Und wenn die Zeit nicht verging, war der Raum nicht zu durchqueren.

Rani Mahay musste unwillkürlich an Träume denken, wie er sie besonders als Junge oft gehabt hatte.

Darin floh er vor einer Gefahr. Er rannte wie von Sinnen davon – und doch kam er keinen Zentimeter weiter. Rannte immer auf der Stelle!

Nachdenklich und ratlos folgte er Lanok, der ihn in die Stadt bringen sollte.

Rani musste Ullnak kennenlernen und alles daransetzen, die Hexenjagd auf Björn Hellmark zu unterbinden. Es lag ihm viel daran, herauszufinden, weshalb sein Freund so in Misskredit geraten war.

Rani wusste, dass er sich viel vornahm. Den Kampf gegen den Unsinn aufzunehmen, der in Ullnak getrieben wurde.

1. Kapitel

Nicht ein einziges Mal auf dem Weg in das veränderte Ullnak unternahm Lanok einen Ausbruchsversuch. Er schien begriffen zu haben, dass Rani Mahay es mit seiner Mission ernst war.

Der kräftige Begleiter an seiner Seite schien ihm einen ebensolchen Respekt einzuflößen wie die Raubkatze, deren Nähe er mied.

Chitras glühende Augen waren immer wieder auf den Mann aus Ullnak gerichtet, der sich davor hütete, irgendeine Bewegung zu machen, die man zweideutig hätte auslegen können.

Auf dem Weg in die Stadt wechselten die beiden Männer nur wenige Worte miteinander. Rani hielt mehr einen Monolog. Er versuchte seinen Begleiter davon zu überzeugen, dass etwas von dem, was er ihm mitgeteilt hatte, nicht stimmen konnte. Und glaubte schließlich zu erkennen, dass Lanok nachdenklicher geworden war.

Der Weg nach Ullnak war nicht sehr beschwerlich.

Durch seltsame bizarre Formen von versteinerten Gewächsen führte eine Straße, die sich auf eine Anhöhe schlängelte.

Nach Ullnak führten sieben Tore. Keines davon war verschlossen, und es standen auch keine Wächter dort. Offenbar fürchtete der Herrscher dieser großen Stadt, die sich bis zu den Klippen eines großen Ozeans hin erstreckte, keine Feinde.

Eine empfangsbereite Stadt ... empfangsbereit für Björn Hellmark, um ihm den Todesstoß zu versetzen?

Die Straßen waren um die späte Abendstunde wie leergefegt.

Nur hin und wieder sah man in schmalen, dunklen Gassen eine Gestalt, die an der Hauswand lehnte und versonnen zum Sternenhimmel blickte, als gäbe es dort etwas zu beobachten.

Die Häuser in Ullnak waren klein und ärmlich. Sie erinnerten mit ihrem verschnörkelten Fachwerk an die Gebäude des Mittelalters jener Welt, aus der Rani kam.

Hohe, gebogene Laternenmaste trugen ampelartige, mit dunklem Eisen verschnörkelte Glaskugeln, die ein unregelmäßiges und schwaches Licht warfen.

Die Fenster an den Häusern waren klein.

Durch eine abseits gelegene Gasse schritten zwei Männer, in voller Ausrüstung. Über enganliegende, bis zu den Knöcheln reichende Lederhosen trugen sie dunkle Panzerhemden, in denen sich rote Streifen befanden. Als Kopfbedeckung trugen sie Helme, die spitz zuliefen. Beide Soldaten waren mit langen Speeren bewaffnet.

Rani verharrte im Schatten eines Hauseingangs und presste auch Chitra in den Schatten, um nicht aufzufallen. Lanok war stehengeblieben.

Rani ließ ihn nicht aus den Augen. »Wer ist das?«, wollte er wissen. »Weshalb patrouillieren sie?«

»Es sind Aleanas Soldaten. Wir brauchen sie nicht zu fürchten. Sie sind Tag und Nacht gegenwärtig. Manchmal kommen sie in unsere Häuser, und dann werden diejenigen, die man aufsucht gebeten, mit ins Fürstenschloss zu kommen.«

»Warum?«

»Es ist unser höchstes Ziel, nach dem Tod des Altor seiner Tochter in jeder Weise zu dienen. Die Männer werden zu Soldaten herangezogen, die jungen Mädchen, für die man sich entschieden hat, werden Aleanas Dienerinnen.«

Die beiden Bewaffneten verschwanden nach rechts in eine Seitengasse und damit aus dem Blickfeld der beiden Männer.

Rani und Lanok überquerten einen freien Platz, auf dem es einen beleuchteten roten Brunnen gab. Der Boden war mit holprigem Kopfsteinpflaster versehen. Schmalbrüstige Häuser, die ihn im Quadrat umstanden, schmiegten sich eng aneinander, als suchten sie gemeinsam Schutz vor einer nicht näher erkennbaren Bedrohung.

In einem Winkel dieses Platzes stand eine Art künstlich erbauter Grotte. Lange, schwarze Kerzen waren dort entflammt, deren blakendes Licht die dornigen Zweige und übelriechenden Kräuter berührte, die rund um die Grotte ausgelegt waren. In der Mitte der feuchten Grotte stand eine Statue, die dreimal so groß war wie die kleine private Statue, die Lanok in dem alten Tal beschworen hatte.

Eine Statue in Lebensgröße, die Björn Hellmark darstellte!

Die Nadeln, die in diesem Körper steckten, waren schon nicht mehr zu zählen. Ganze Bündel waren auf den Kopf und bestimmte Punkte der inneren Organe fixiert. Wenn die Wucht der schwarzmagischen geistigen Angriffe nur abgeschwächt beim Empfänger ankam, dann genügte dies schon, diesen mit einer Flut von Schmerzen zu überschütten.

Rani Mahay konnte nicht mehr an sich halten.

Er stürzte an die Statue, riss die Nadeln heraus und brach sie ab. Mit beiden Füßen schleuderte er die Dornen und Kräuter zur Seite.

Und dann geschah etwas, womit er am wenigsten gerechnet hatte.

Mit schnellem Blick vergewisserte sich Lanok, dass alles rundum still und verlassen war und niemand sie bei ihrem schändlichen Tun beobachten konnte. Dann war er Rani behilflich, die fingerdicken Nadeln aus den neuralgischen Punkten der Statue zu ziehen.

»Warum tust du das, Lanok?« Rani konnte seine Verwunderung nicht verbergen.

»Ich habe über alles nachgedacht. In der Geschichte, wie ich sie dir erzählte, stimmt in der Tat etwas nicht. Vielleicht täusche ich mich auch – und begehe den größten Fehler meines Lebens. Wenn das der Fall ist, dann habe ich mein Leben verwirkt. In diesem Fall aber, Rani, wirst auch du nicht mehr lebend die Stadt verlassen. Genaugenommen, in keinem Fall! Wenn das, was hier geschehen ist, morgen bei Tagesanbruch entdeckt wird, wird eine Hexenjagd auf den Übeltäter stattfinden. Darüber musst du dir klar sein.«

»Das bin ich, Lanok. Deshalb werde ich versuchen, in dieser Nacht so viel Schaden wie möglich von den Schultern meines Freundes zu nehmen. Du musst mir alle Stellen zeigen, wo das Ebenbild aufgestellt ist.«

»In sieben Ecken der Stadt – und hauptsächlich im Tempel der Verdammnis ...!«