Macabros 026: Leichenpilze - Dan Shocker - E-Book

Macabros 026: Leichenpilze E-Book

Dan Shocker

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Beschreibung

Die Leichenpilze kommen Dorren Keith wird auf dem nächtlichen Nachhauseweg durch eine verlassene Gegend von plötzlich aus dem Boden schießenden Riesenpilze überrascht. Sobald sie einen Teil eines Pilzes berührt zerfließt ihr Fleisch und wird aufgesogen. Die Pilze sind mehrere Meter groß, können laufen und sehen wie Menschen und ebenso schnell wieder im Boden verschwinden. Ursprung der Pilze ist offensichtlich das nahe Gelände der Anstalt von Richard Patrick, einem Freund Björn Hellmarks der in dessen Auftrag Forschungen zur Bekämpfung des Übersinnlichen betreibt. Unterdessen finden die Bewohner Marlos heraus, das sie alle die Fähigkeit entwickelt haben, durch bloße Gedanken ihren Körper an jeden Punkt der Welt zu versetzen. Bei einem ausführlichen Test der neugewonnenen Möglichkeiten wird Carmina Brado in New York niedergeschossen. Björn bringt sie schwer verletzt ins Krankenhaus und stellt mit Macabros Hilfe die Täter. Diese erhielten ihren Auftrag aus dem Umfelde Richard Patricks. Sofort springen Björn und Rani Mahay in dessen Institut, wo sie in eine Falle laufen. Oceanus, Geist der schwarzen Wasser Al Nafuur hat Björn den Hinweis gegeben, dass er Oceanus am ehesten im Bermuda-Dreieck finden wird. Daraufhin sendet er Macabros in die Tiefe, der in der Tiefssee eine versunkene Tempelanlage findet. Zur selben Zeit ist ein Reporter-Paar in dem berüchtigten Seegebiet unterwegs, um für einen Bericht zu recherchieren. Dabei werden sie von einem riesigen Seeungeheuer attackiert. Nur durch das schnelle und unerhoffte Eingreifen eines fremden Mannes mit übermenschlichen Kräften und Fähigkeiten kommen Mike und Brenda mit dem Leben davon. Der mysteriöse Lebensretter ist niemand anderes als Frank Morell, alias Mirakel, der fliegende Mensch, ein Freund von Björn Hellmark.

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DAN SHOCKERS MACABROS

BAND 26

© 2014 by BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Titelbildgestaltung: Mark Freier

Fachberatung: Gottfried Marbler

All rights reserved

www.BLITZ-Verlag.de

ISBN 978-3-95719-726-9

Dan Shockers Macabros Band 26

LEICHENPILZE

Mystery-Thriller

Die Leichenpilze kommen

von

Dan Shocker

Prolog

»Das Leben ist herrlich, Tom. Herrlich mit dir«, sagte Doreen Keith an diesem Abend. Und sie schlang die Arme um seinen Hals, küsste ihn und drängte sich an ihn.

»Ich liebe dich, meine Doreen ...«

Sie lachte leise und verführerisch und warf den Kopf in den Nacken. Ihre kastanienbraunen Haare waren lang und wellig und rahmten ihr hübsches, ausdrucksvolles Gesicht.

Tom Gerland mochte Frauen dieses Typs, mit sinnlichen, schön geschwungenen Lippen, dichtem, langem Haar und großen blaugrünen Augen. Gerade dieser Kontrast zu dem warmen Rot ihres Haares verlieh ihrem Gesicht einen Ausdruck, der ihn begeisterte. Er war überzeugt davon, dass Doreen die Frau war, mit der er sein Leben teilen wollte. Die Suche nach der Richtigen war vorbei.

Das Telefon klingelte.

»Ausgerechnet jetzt«, beschwerte sich die Neunzehnjährige.

Tom löste sich von ihr. »Das hab ich gewusst, als ich mich bereit erklärte, die Vertretung von Dr. Green zu übernehmen. Die Praxis geht gut. Green ist schon alt, er macht im Jahr immer häufiger Urlaub, und für mich ist es die beste Möglichkeit, mich einzuarbeiten und die Patienten kennenzulernen.« Da war er schon am Telefon, ehe der Apparat zum zweiten Mal anschlug.

»Dr. Gerland«, meldete er sich. Dann lauschte er der Stimme am anderen Ende der Strippe. »Ja, ja, es ist gut ... ich komme sofort.«

Er legte auf.

Die schöne Doreen, die wie eine fleischgewordene Venus auf dem Bett saß, blickte ihm traurig entgegen. »Du musst ...«

Er zuckte die Achseln und seufzte, schlüpfte in seine Kleider und knöpfte sein Hemd zu. »Mrs. Livington erwartet ihr Kind. Bis zur Farm sind es gut zehn Meilen. Green hatte ihr ans Herz gelegt, diesmal im Krankenhaus zu entbinden. Aber davon wollte Mrs. Livington nichts wissen. ›Drei Kinder sind gesund und kräftig auf der Farm geboren, da wird sich auch beim vierten nichts ändern‹, war ihre Meinung. Aber es wird Komplikationen geben. Das ist keine einfache Geburt.«

Tom Gerland beeilte sich.

Doreen warf einen Blick auf ihre Armbanduhr, die ihr schlankes Handgelenk zierte. Außer der Uhr und einem eng anliegenden Halskettchen trug sie nichts auf der Haut.

»Es ist jetzt Viertel nach acht«, flüsterte sie und strich ihm eine Haarsträhne aus der Stirn. »Zeit hätte ich gehabt bis um zehn. Aber dann muss ich gehen. Du weißt, mein Wagen ist defekt, und ich muss mit dem Bus fahren. Der letzte fährt um zehn.«

»Ich hätte dich gern nach Hause gebracht.«

Sie schüttelte den Kopf. »Das ist wohl schlecht möglich. Und das hatten wir auch eingeplant.« Sie raffte ihre Kleider zusammen. »Wir sehen uns heute Abend wohl kaum mehr, nicht wahr?«

»Nein, Dory. Damit ist nicht zu rechnen. Es wird wohl Mitternacht werden, ehe die Sache auf der Farm ausgestanden ist.« Sie küssten sich. »Ich ruf dich gleich morgen früh an. Nicht traurig sein! Es ist ja kein Abschied für immer ...«

Da täuschte er sich.

Sie sollten sich nie wiedersehen!

Die Leichenpilze waren da ...

1. Kapitel

Wie ein dunkles Band führte die Straße ins Hinterland. Links und rechts der Fahrbahn standen hohe Bäume. Dahinter begann hügeliges Land. Dr. Greens Haus lag außerhalb Daytons, inmitten eines großen, parkähnlichen Gartens. Nur wenige hundert Meter von diesem Anwesen entfernt, gab es einen weiteren und noch viel größeren Park.

Die alten Bäume standen so dicht, dass das palaisartige Gebäude dahinter kaum zu sehen war.

Doreen Keith verließ das Green-Haus und kam den breiten Eingangspfad entlang.

Es war noch eine Viertelstunde bis zweiundzwanzig Uhr.

Doreen hatte es nicht eilig. Bis zur Bushaltestelle waren es nur wenige Minuten.

Die Luft war kühl. Am bewölkten Himmel blinkten nur vereinzelt Sterne. Die Neunzehnjährige trug einen leichten Übergangsmantel und hatte um ihren linken Arm eine Umhängetasche. Mit kleinen Schritten verließ die hübsche junge Frau aus dem fünfzehn Meilen entfernten Nachbarort das Anwesen.

Leise klappend fiel die Tür ins Schloss.

Doreen Keiths Absätze klapperten auf dem Asphalt.

Hier abseits der Stadt herrschte eine ungewohnte friedliche Stille. Die Welt war seit nahezu einem Jahrhundert unverändert. Zwischen den Alleebäumen standen, jeweils rund fünfzig Meter voneinander entfernt, hellstrahlende Straßenlaternen. In ihrem Licht sah Doreen Keith den Verlauf der Straße und die Mauer des Nachbaranwesens, dem sie sich näherte. Unweit davon befand sich die Bushaltestelle. Der Überlandbus kam aus Dayton und sammelte die letzten Nachtbummler hier an dieser äußersten Haltestelle der Stadt. Aber von Nachtbummel konnte keine Rede sein. Wenn man Glück hatte, war es für die auf dem freien Land lebenden Bewohner gerade noch möglich, ein Kino zu besuchen. Unter normalen Umständen hätte auch Doreen Keith keinen Bus benutzt.

Sie ging an der hohen Mauer entlang, die das alte, parkähnliche Anwesen umschloss.

Plötzlich vernahm sie ein leises Fauchen. Es hörte sich an, als ob jemand aus einem Ballon die Luft ablasse. Doreen wandte unwillkürlich den Kopf, ohne sich jedoch weitere Gedanken über das Geräusch zu machen.

Und da geschah noch etwas, das ihr Denken sofort in eine andere Richtung lenkte.

Alle Straßenlaternen erloschen. Völlige Dunkelheit hüllte sie wie ein Mantel ein.

Die Welt war vollkommen schwarz.

Doreen Keith erschrak heftig.

Sie verhielt im Schritt und blickte zu den Lampen empor.

Stromausfall! So etwas konnte passieren ...

Doreen fröstelte und zog ihre Schultern hoch. Eingehüllt zu sein von absoluter Schwärze, das war schon etwas Ungewohntes, und die Welt sah gleich ganz anders und bedrohlich aus.

Sie begann zu laufen. Sie rannte an der Mauer entlang, direkt auf die Haltestelle zu. Das war ihr Ziel. Hier in der Nähe der Eisenstange, an der sie sich festhalten konnte, fühlte sie sich ein wenig geborgener, als einsam auf der menschenleeren und verlassenen Straße. Hoffentlich wurde der Stromausfall bald behoben, ging es ihr durch den Kopf. Unwillkürlich presste sie die Handtasche enger an ihren Körper. Sie wurde aufmerksamer, beobachtete ihre Umgebung intensiver, und es blieb nicht aus, dass sie auch die Geräusche deutlicher wahrnahm.

Hinter dem Gemäuer raschelte es.

Ein Tier?

Sie wandte sich unwillkürlich um und hielt den Atem an.

Da bewegte sich jemand, etwas ... aber sie konnte mit ihren Blicken das Mauerwerk nicht durchdringen.

Hätte sie es vermocht, sie wäre zu Tod erschrocken. Zwischen Laub und auf dem Boden liegenden Zweigen bewegte sich etwas.

Es war flach wie ein Teller und schob sich aus dem Erdreich. Ein Pilz. Weich und schwammig.

Die feuchte, gallertartige Masse wackelte wie ein Pudding. Sie wuchs rasend schnell, als würden unsichtbare Hände sie von unten her aus dem Erdreich schieben.

Es handelte sich nicht nur um einen einzigen Pilz, der auf diese rätselhafte Weise aus dem Boden kroch, wie ein beseeltes Lebewesen.

Da waren plötzlich vier, fünf, sechs ...

Ihr Umfang war gewaltig. Sie entwickelten sich in Baumstärke, die Pilzköpfe waren groß wie Wipfel. Die Lamellen hingen herab wie wehende Schleier.

Was in diesem lichtlosen Park zu nächtlicher Stunde aus dem Nichts wurde, das hatte es noch nie auf dieser Welt gegeben. Fauchend und leise zischend entwichen Dämpfe den Poren und wehenden Lamellen und bewirkten sonderbare Geräusche.

Die Pilze entwickelten sich nicht nur oberhalb des Bodens, sondern auch direkt unterhalb der Oberfläche. Das Erdreich wurde wellig und brüchig an diesen Stellen, und wenn man nur die fließende Bewegung verfolgte, dann wurde man in erster Linie an einen überdimensionalen Maulwurf erinnert, der sich dort voranarbeitete.

Die unheimlichen, unirdischen Pilze waren seltsam elastisch, füllten im Nu den Raum zwischen den Bäumen und verdrängten die Zweige und Äste des niedrigen Buschwerks.

Die Pilze schafften sich Platz.

Sie waren von fahlgelber bis dunkelgrüner Farbe, wobei die Lamellen unterhalb der breiten, schirmartigen Köpfe braun bis schwarz auftraten.

Unheimlich war das Auftauchen der Riesenpilze. Noch unheimlicher aber war das, was dann geschah. Die langen wehenden Lamellenschleier wurden durch die Luft und durch die eigene Gasentwicklung aus den Poren emporgetrieben und nach vorn geworfen. Die Pilze registrierten etwas. Sie erkannten, dass in ihrer Nähe etwas lebte, atmete. Ein Mensch, der auf sie aufmerksam geworden war, jedoch nicht wusste, was hier vorging.

Niemand durfte wissen, dass sie hier waren, um das Bild des Herrschers aus der Tiefe zurückzuerobern. Ihre Anwesenheit war streng geheim. Nur die Eingeweihten durften davon unterrichtet werden. Die langen, wehenden Schleier wurden über die Mauer geschleudert. Sie wirkten wie überdimensionale Bänder, wie Tentakel.

Doreen Keith sah die geisterhaften Arme lautlos auf sich zufliegen. Sie riss die Augen auf und wollte schreien. Aber sie konnte nicht mehr. Zielsicher klatschten die Lamellenschleier in ihr Gesicht, verschlossen Mund und Nase und stellten ihr die Luft ab!

Sie schlug um sich und versuchte verzweifelt, sich zu befreien.

Doreen wurde nach vorn gezogen. Sie verlor den Boden unter den Füßen. Die Tentakelschleier waren so kräftig und elastisch, dass sie sich um ihren Körper wie Schlangen wanden, die junge Frau durch die Luft hoben.

Doreen graute es. Ihr Herz schlug wie rasend. Vor ihren weit aufgerissenen Augen begann alles zu kreisen. Die Straße, die dunklen Laternen, die Bäume, die ferne Silhouette von Dayton ... das alles zerfloss zu einem einzigen Schemen.

Der Lamellenschleier auf ihrem Gesicht floss in die Höhe, verbreitete sich wie eine gallertartige, klebrige Masse und verdeckte ihre Augen. Doreen glaubte, tausend Saugnäpfe gleichzeitig würden ihren Körper festhalten. Das fahlgelbe Lamellengespinst saß wie eine zweite Haut auf ihrem Körper.

Sie hatte das Gefühl, in einen Schraubstock eingespannt zu sein.

Durch den plötzlichen Angriff und ihre anfangs heftigen Abwehrbewegungen war ihre Handtasche davongeschleudert worden. Unter den Pilzlamellen lösten sich Teiles ihres Mantels und der darunter befindlichen Kleidung in großen Fetzen auf. Sie fielen zu Boden. Der Wind trug sie davon. Von den langen Schleiern wurden ihr die Schuhe abgestreift, ihre Strumpfhose zerfiel in handtellergroße Stücke, wie zuvor ihr Übergangsmantel. Und wo das unheimliche Wesen von Doreens Körper Besitz ergriff, da tat es dies im wahrsten Sinn des Wortes.

Doreen Keiths Haut verfärbte sich und verlor ihre ursprüngliche Struktur.

Sie weichte auf, als ob ätzende Säure aus den sie berührenden Saugnäpfen flösse. Aber das war nicht der Fall.

Doreen Keiths Körper wurde zu einem Teil des Pilzes, und von ihm aufgenommen. Wie ein formloser, zäher, überdimensionaler Tropfen klebte sie an dem stammartigen, borkigen Stiel des lebenden Riesenpilzes, der ein Mittelding war zwischen Pflanze und Tier, und darüber hinaus eine Art Bewusstsein zu besitzen schien.

Ihr Körper war zum Pilz geworden ...

Die unheimlichen Gewächse bewegten sich lautlos zwischen den Bäumen, dem Dickicht und den Sträuchern. Auf langen, wurzelähnlichen Füßen schoben sie sich in wiegendem, schaukelndem Gang näher an das große Gebäude heran.

Das stand mitten in dem alten Park.

Es war das Palais, das der Verleger Richard Patrick für seine Zwecke eingerichtet hatte. Hier war das Domizil der privaten Parapsychologischen Forschungsgemeinschaft, die er finanziell unterhielt und moralisch in jeder Hinsicht unterstützte. Sein Ziel war es, außergewöhnliche Vorkommnisse mit allen nur erdenklichen Mitteln zu Leibe zu rücken und den Beweis zu erbringen, dass es mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, als manch einer wahrhaben mochte. Zu diesem Zweck hatte er ein Magazin ins Leben gerufen, Amazing Tales, in dem im saloppen Erzählstil manche Wahrheit, als Abenteuer verbrämt, unter die Leute gebracht wurde. Mit der Arbeit seiner Reporter und Journalisten in aller Welt hatte sich Richard Patrick bald nicht mehr zufriedengegeben und war an junge Forscher herangetreten, die gleich ihm das Übersinnliche fassbar, erklärbar und wiederholbar machen wollten. In dem von ihm unterhaltenen Institut für Parapsychologische Forschungen existierten mehrere Arbeits- und Untersuchungsräume, die mit den modernsten Geräten ausgestattet waren, um telepathische und telekinetische Studien zu treiben und damit beispielsweise geheimnisvollen Lichtphänomenen und Spukerscheinungen auf den Zahn zu fühlen.

Es wäre die richtige Stunde gewesen um, atmosphärische Messungen vorzunehmen und die speziellen Kameras in Aktion zu setzen, die vielseitig und überempfindlich reagierten.

Aber nichts geschah.

Die Menschen im Palais schliefen. Die automatischen Vorrichtungen, die mit dem Aufspüren und Registrieren geisterhafter Erscheinungen programmiert waren, reagierten nicht. Sie waren schon vor geraumer Zeit abgeschaltet worden. Hier in diesem Palais lief nicht mehr alles so, wie es eigentlich sollte. Für die Öffentlichkeit und diejenigen, die es anging, schien die Arbeit aber wie bisher weiterzulaufen. Doch dieser Eindruck täuschte.

Richard Patricks Palais war zu einer Falle umfunktioniert worden. Medien, die für Björn Hellmarks Mission wichtig sein konnten, wurden ausspioniert und in die Irre geleitet.

Richard Patrick und seine Mitarbeiter waren zu Handlangern des Bösen geworden, das sich in der Gestalt des Dämonenfürsten Molochos personifizierte. Richard Patrick und seine Mitarbeiter waren beeinflusst und hatten die andere Seite des Blutspiegels gesehen. In die Wege geleitet hatte dies alles der Verrat eines Mitarbeiters, der den Verlockungen nicht hatte widerstehen können. Frank Holesh, 30, der aufgrund eigener parapsychologischer Erlebnisse auf die Idee gekommen war, ein Psychotelefon zu bauen, um mit Verstorbenen im Jenseits Kontakt aufnehmen zu können, war dieser Verräter. Holesh entschied sich für Molochos, der ihm als Gegengabe jene Wünsche erfüllte, die er sich normalerweise nicht hätte erfüllen können.

Frank Holesh fuhr einen teuren Sportwagen, war Besitzer eines Luxusbungalows auf Florida und besaß außerdem zwei Ferienwohnungen auf den Bahamas und auf Hawaii. Dies alles, wie es offiziell den Anschein hatte, aufgrund einer Erbschaft, die ihm hinterlassen worden war. Doch teuflische Macht hatte ihm ohne sein Dazutun zu diesen Dingen verholfen. Holesh hatte sich verpflichtet, seine Kameraden durch eine Hinterlist an jenen Ort zu locken, an dem er sich als Diener Molochos entschieden hatte. Auf diese Weise war ein Mitarbeiter der Gruppe nach dem anderen beeinflusst worden, ohne davon etwas zu wissen.

Frank Holesh hielt sich nur noch selten in dem Institut auf. Hier im Palais konnte man seine Stunden zählen. Und nicht mal das fiel auf. Es gab einleuchtende und logische Erklärungen dafür. Holesh war angeblich unterwegs, um seltene Aufnahmen zu machen. Dazu musste er diverse Besuche unternehmen. Die Wahrheit war: er genoss sein ausschweifendes Leben, das ihm sein Verrat ermöglichte. Er verkehrte in den teuersten Hotels, war der Spielleidenschaft verfallen, drückte sich bis zum Morgengrauen in zweifelhaften Bars herum und wechselte seinen Freundinnen wie ein anderer seine Hemden ...

Außer ihm hielten sich in diesen entscheidenden Minuten alle anderen Mitarbeiter der Forschungsgemeinschaft des Palais hier auf.

Sie schliefen. Bis auf einen. Der stand am Fenster des ersten Stocks und blickte stumm und mit reglosem Gesicht hinaus in die Dunkelheit.

Dieser Mann war Richard Patrick.

Er sah die Bewegung und die unheimlichen, fast baumstarken und baumhohen Pilze, die fahl und dunkel zum Teil aus dem Boden wuchsen und sich rasend schnell entwickelten. Der Park wurde zu einem fremdartigen, undurchdringlichen Dschungel aus Pilzen, die ein erschreckendes, geisterhaftes Eigenleben führten.

Richard Patrick schluckte.

»Es ist soweit«, kam es wie ein Hauch über seine Lippen. Er wusste nicht, dass er diese Worte sagte. Er stand im Bann der fremden Macht, die ihn völlig unter Kontrolle hatte. »Die Zeit, den Angriff zu wagen, ist gekommen. Björn Hellmarks Stunden sind gezählt.«

Björn Hellmark alias Macabros war sein Freund. Aber er sprach von ihm wie von einem Feind ... und genau das war er auch für ihn. Aber das wusste er nicht.

Sein Geist gehörte Molochos, der ihn aus seinem finsteren Reich wie eine Marionette beherrschte.

Der Mann, dem der Aufwand galt, ahnte nichts von den Ereignissen.

Er war Tausende von Meilen vom Ort des Geschehens entfernt, auf Marlos, der unsichtbaren Insel. Sie lag zwischen Hawaii und den Galápagosinseln. Keine Karte der Welt verzeichnete diesen Ort, der als Björn Hellmarks Erbe aus dem Meer gestiegen war und auf dem das gesamte Wissen der Weisen und Priesterpropheten zu seinem Vermächtnis aufgehoben worden war. Tragische Ereignisse verhinderten, dass Björn Hellmark rechtzeitig an diesem Punkt der Welt sein konnte, als die wissenden Geister freigesetzt wurden. So war ein Großteil des Wissens für ihn verlorengegangen, und er musste es sich mühsam Stück für Stück und oft unter Einsatz seines Lebens beschaffen.

»Du siehst nicht sehr glücklich aus. Dabei solltest du es sein.« Die Frau, die das sagte, schritt an Björn Hellmarks Seite den weichen, paradiesischen Strand entlang. Palmen, der Duft von Blüten, eine endlose Stille. Hinter dem sanft ansteigenden Strand begann die erste Siedlung, bestehend aus Holz, Bambus und Strohbauten. Das genügte hier. Marlos war die Insel des ewigen Frühlings.

Björn lächelte und legte seinen Arm enger um Carminias Hüften. Die dunkelhäutige Schöne an seiner Seite sah wie eine liebliche, zarte Prinzessin aus einem fremden Reich aus. Sie bewegte sich federnd und mit tänzerischer Leichtigkeit. Carminia Brado trug ein durchsichtiges, langes Strandkleid mit raffiniertem Ausschnitt.

»Aber ich bin's«, sagte er endlich. »Mit dir.«

»Wer so lange zögert, der sagt dann meistens etwas anderes, als er eigentlich denkt«, sinnierte Carminia. Sie kannte Björn lange genug, um zu wissen, was sie von manchem Wort, mancher Geste zu halten hatte.

Sie lenkte ihn ab, als sie sah, wie ernst er wirkte. Deutete nach vorn. Dort am Strand saßen Pepe und Rani Mahay, Camilla Davies und Alan Kennan. Pepe war damit beschäftigt, mehrere Fische über einem offenen Feuer zu grillen. Der Duft stieg den Ankommenden in die Nase.

Björn und Carminia setzten sich mit in die fröhliche Runde.

Man lachte, scherzte und gab sich ungezwungen.

Tina Marino und Anka Sörgensen waren nicht mit von der Partie. Sie wollten später dazukommen. Und noch jemand fehlte: Jim, der Guuf. Der junge Kugelkopf war durch Björn Hellmark mit Geschick und List aus den Fängen seiner Gegner befreit und gerettet worden.

Für Jim war die unsichtbare, unangreifbare Insel Marlos im wahrsten Sinn des Wortes zu einem Zufluchtsort geworden. Das fremdartig und erschreckend aussehende Geschöpf war ungewöhnlich in der menschlichen Gesellschaft.

Jim war in menschlichen Augen ein Monster. Cynthia Moreen hatte dieses Kind aus dem fernen Xantilon mitgebracht. Dort war sie in die Hände der Kugelköpfe gefallen, einer furchtbaren Rasse, die dämonischen Ursprungs zu sein schien und einem schrecklichen Herrn, dem Schattenfürsten, huldigte.

Die kugelköpfigen Guuf unterstützten die Schwarzen Priester im Kampf gegen die Kaste der Weißen auf Xantilon. Gleichzeitig setzten sie alles daran, ihren Herrn, den Schattenfürsten, mit dem unaussprechlichen Namen Haophylkontromtetcoilak, wieder in Amt und Würden zu setzen. Irgendein rätselhafter Vorgang in der Vergangenheit hatte den Schattenfürsten in einen Zustand der Bewegungslosigkeit und Abhängigkeit gebracht.

Wie dies zustande gekommen war, wusste bis zur Stunde kein Mensch. Aber jetzt, durch Jims Rettung, hoffte Björn mehr zu erfahren.

Jim war noch jung. Nach menschlicher Zeitrechnung erst ganze vier Jahre alt. Aber was seine körperliche und geistige Entwicklung anbelangte, so musste man Guuf-Maßstäbe anlegen. Aus dieser Sicht gesehen war Jim schon ein junger, entwicklungsfähiger Mann. Er konnte perfekt sprechen und Kombinationen anstellen, die einem Menschenkind von vier Jahren unmöglich gewesen wären.

Björn betrachtete Pepe, der lachend und fröhlich seine Fische verteilte, die braun und knusprig gebraten waren und wunderbar schmeckten.

Wenig später nur gesellten sich auch Anka und Tina hinzu. Die beiden Freundinnen, die am selben Tag, zur selben Minute und unter der Konstellation derselben Sterneinflüsse geboren worden waren, befanden sich seit zwei Tagen auf Marlos. Hier war Tinas Zustand unverändert geblieben. Das Ereignis in New York hatte sich nicht wiederholt. Ein einmaliger Fall, oder würde er sich wiederholen, sobald Tina wieder in der normalen Welt auftauchte? Das war eine Frage, die erst die nahe Zukunft beantworten konnte.

Tina und Anka wurden wie Freunde empfangen, und genauso fühlten sie sich.

Der Kreis hier unten am Strand unterhalb eines flachen Hügels erweiterte sich. Unmittelbar hinter dem breiten weichen und weißen Sandstrand, der wie ein Ring um die ganze, verhältnismäßig große Insel lag, dehnte sich ein Meer von Blüten aus. Dichte Sträucher trugen rote und weiße Blumen und verbreiteten einen berauschenden Duft. Zwischen den Blüten tauchte Minuten später, als Tina und Anka ihre Plätze eingenommen hatten, ein Schatten auf.

Carminia, die mit dem Rücken zum offenen, still wie ein Spiegel liegenden Meer saß, sah die Bewegung zuerst.

Die Gestalt abseits wirkte abstoßend und erschreckend. Es war Jim, der Kugelkopf. Sein kahler Schädel leuchtete wie eine bronzefarbene Kugel zwischen dem Blattwerk. Über den Kopf zog sich ein steifer echsenartiger Kamm, der bis in den Nacken reichte. Außer zwei großen runden Augen und einem breiten, stets ein wenig geöffneten Mund gab es in diesem Gesicht keine weiteren Sinnesorgane. Die Figur war menschlich. Jim trug ein offenes, salopp wirkendes Sporthemd und eng anliegende Blue Jeans.

Carminia lächelte. »Man kann sich an alles gewöhnen, wenn man beginnt, Vorurteile abzubauen«, flüsterte sie.

Björn folgte ihrem Blick. »Er ist anders als wir. Aber er empfindet wie wir. Das haben alle hier inzwischen begriffen.«

Jim hielt sich ebenfalls seit zwei Tagen auf der Insel auf. Carminia, Rani und Pepe waren außer Björn die ersten gewesen, die sich seiner angenommen hatten. Hier hörte Jim von Marlos, das ihm Schutz bieten konnte. Hier wurde ihm bewusst, dass auch er Freunde haben konnte, auch wenn er anders war.

»Wir haben unser eigenes Schönheitsideal entwickelt«, fuhr Björn leise zu Carminia gewandt fort. »Das ist das Recht einer jeden Lebensform, einer jeden Rasse. Als sich auf der Erde zum ersten Mal Schwarz und Weiß begegneten, waren die Überraschung und das Erstaunen sicher nicht geringer. Jim ist für uns in seiner Erscheinung der Inbegriff des Hässlichen. Aber er hat Geist und Herz, er empfindet Schmerz und Leid, kann sich freuen und fröhlich sein. Er ist ein Mensch. Ein anderer Mensch. Je öfter wir ihn sehen, desto natürlicher wird der Umgang mit ihm werden.«

Björn und Carminia unterhielten sich leise mit gedämpfter Stimme.

Die anderen waren mit sich selbst beschäftigt oder mit dem Knabbern ihres gegrillten Fisches. Pepe hatte indessen seine Gitarre geholt und schlug leise einige Akkorde an. Im Westen stand die Sonne riesig wie ein flammender Ball über dem Horizont.

»Seht!«, rief Rani aus und deutete über das Meer.

Vor die rote Sonne schob sich winzig wie ein Spielzeugschiff die ferne Silhouette eines Dampfers, der langsam seine Bahn zog.

Am Himmel zeigte sich ein metallisch schimmernder Punkt, der einen langen, weißen Kondensstreifen hinter sich herzog. Sowohl das Schiff als auch das Flugzeug kamen offensichtlich vom südamerikanischen Festland. Aber weder die Navigationsgeräte des Dampfers noch die des Jets registrierten das Eiland zwischen Hawaii und den Galapagos. Marlos war für elektronische Geräte, und selbst wenn sie noch so empfindlich waren, nicht ortbar.

Minutenlang verfolgten sie Schiff und Jet mit ihren Blicken, bis der helle Punkt am Himmel verschwunden und die dunkle Silhouette scheinbar hinter dem Horizont abgekippt war.

Pepe sang ein spanisches Volkslied, und alle hörten zu. Es war eine wunderbare und friedliche Stimmung.

Jim stand noch immer abseits, hörte zu und blickte herüber.

Carminia wollte ihm winken. Da hielt Björn ihre Hand fest. »Er hat noch nicht bemerkt, dass wir ihn erblickt haben«, wisperte er. »Wir sind keine Fremden mehr für ihn. Wir kennen uns untereinander, jeder einzelne wurde ihm vorgestellt. Wir haben den Schritt auf ihn zugetan, nun ist eigentlich er an der Reihe, Schoko. Lass ihn seine eigene Entscheidung treffen!«

Die traf Jim, der Guuf.

Bis dahin aber vergingen gut zwanzig Minuten.

Langsam und schrittweise kam er näher. Er kannte seine Wirkung auf die menschliche Psyche nur zu gut, und der Schreck, den sein Erscheinen stets auslöste, schlug immer auf ihn selbst zurück. Er hätte so gern anders sein mögen. Aber er konnte sich sein Gesicht nicht herausschneiden und ein neues einsetzen.

Er war ein Monster, in den Augen der Menschen. Aber er hatte Hirn, Geist und Herz eines Menschen. Das sah man nicht. Das fühlte man. Er sprach die Sprache derer, unter denen er aufgewachsen war. Dr. Longfield hatte ihm stets eingeschärft, dass er sich so, wie er aussah, nicht in der Öffentlichkeit sehen lassen dürfe. Das hatte seinen guten Grund. Die Menschen konnten noch nicht begreifen, dass es auch andere Wesen gab, die im Aussehen jenen glichen, die sie als Dämonen bezeichneten. Aber auf das äußere Bild allein konnte man nichts geben. Das mussten sie erst noch lernen.

Zum Glück dachten nicht alle so wie die große Masse, vor der Dr. Longfield ihn stets gewarnt hatte. Es gab einzelne, die sich bemühten, ihn zu verstehen und zu respektieren. Das fiel ihnen sicher nicht leicht, so wie er aussah ... und das wiederum konnte er nur zu gut verstehen.

Auch Carminia Brado hatte ihre Schwierigkeiten. Daraus machte sie keinen Hehl. Und das gefiel ihm. Ebenso erging es Björn, Rani und Pepe und den anderen. Aber sie akzeptierten ihn, sie lehnten ihn nicht ab. Er konnte Vertrauen zu ihnen haben. Und wo Vertrauen existierte, war die beste Grundlage für Freundschaft und Verstehen.

Er stand abseits. Noch immer. Er sah und hörte zu.

Die Menschen dort waren fröhlich. Die Stimmung sprang auf ihn über. Da gab er sich einen Ruck.

Gesellte sich zu ihnen. Sie waren freundlich zu ihm. Er spürte keine Abneigung. Sie nahmen ihn an, er gehörte dazu.

Pepe stimmte ein anderes Lied an. In englischer Sprache. Es war ein altes Seemannslied, das sie alle kannten. Sie fielen in den Text ein. Auch Jim. Er sang mit seinem breiten Mund fröhlich und ausgelassen mit. In der Gruppe befand sich ein Wesen mit dem Aussehen eines Monsters, aber dem weichen verletzbaren Herzen eines Kindes.

Er war früher fertig, als er zu erwarten hoffte.

Die Geburt im Hause Livington war zu Tom Gerlands eigener Überraschung besser über die Bühne gegangen, als man aufgrund der vorliegenden Untersuchungsergebnisse vermuten konnte.

»Sie sehen, Doktor, ich hatte doch recht«, sagte Mrs. Livington, die bleich, abgekämpft, aber glücklich in ihren Kissen lag und einen neun Pfund schweren Jungen in den Armen hielt.

Dr. Gerland nickte. Er packte die Instrumente in die Tasche und lächelte. »Die Medizin hat sicher große Fortschritte gemacht in den letzten Jahren. Aber alles wissen wir eben doch noch nicht! Man sollte sich manchmal auch noch auf das Gefühl derjenigen verlassen, die es angeht. Ich freue mich, dass alles so gut geklappt hat!«

»Ich bedanke mich bei Ihnen. Bisher war Dr. Green derjenige, der erste Hand anlegte. Diesmal war er verhindert. Green ist ein alter Mann. Er leistete schon Geburtshilfe, als mein Mann zur Welt kam. Sie werden wohl bald Dr. Greens Stelle einnehmen. Dann werden wir uns noch manchmal hier sehen. Nicht nur bei Anlässen wie dem heutigen«, sagte sie verschmitzt. »Aber so ganz ausgeschlossen ist das nicht. Ed und ich ...« Ed war ihr Mann, »haben uns vorgenommen, dass wir das halbe Dutzend vollmachen wollen. Und lauter Jungens!

Danach können wir ja mal sehen, ob Sie's auch fertig bringen, ein Mädchen auf die Welt zu bringen ...«

Daran musste er denken, als er den Weg zurückfuhr.

Und er dachte auch an Doreen. Beiläufig warf er einen Blick auf seine Armbanduhr. In zwanzig Minuten war es dreiundzwanzig Uhr. Doreen würde gerade nach Hause gekommen sein. Wenn er sich ein wenig beeilte, konnte er sie noch anrufen, ohne sie aus dem Bett zu holen.

So gab er Gas. Die nächtliche Straße gehörte ihm praktisch ganz allein. Sie war feucht, und die Scheinwerfer seines Wagens spiegelten sich auf dem Asphalt. Die Alleebäume flogen wie Schatten zu beiden Seiten der Straße an ihm vorüber.

Tom Gerland beschleunigte noch mehr. Der Wagen jagte in Richtung Dayton. Draußen pfiff ein heftiger Wind. Man merkte, dass es Herbst wurde. Die Blätter wurden von den Zweigen gerissen, wirbelten durch die Luft und wehten am Straßenrand entlang. Sie waren braun und rot, gelb und beige. Die hellen erinnerten ihn unwillkürlich an die Farbe von Doreens Mantel.

Er fuhr zu schnell, um es genau zu sehen, sonst hätte er erkannt, dass die hellen Blätter gar keine Blätter waren, sondern in der Tat Fetzen aus dem Mantel seiner hübschen Freundin.

Das Tor zur Garage ließ sich über Ultraschall öffnen. Langsam rollte Tom Gerland hinein. Hinter ihm schloss sich das Tor wieder, und automatisch ging die Deckenleuchte in der Garage an. Von der Garage aus gab es einen direkten Zugang zum Haus. Der war verschlossen. Tom Gerland schloss ihn auf, und als er ihn passiert hatte, erlosch automatisch das Licht hinter ihm. Dr. Green war ein Freund elektrotechnischer Anlagen. Das war das große Hobby des Arztes.

Tom Gerlands Weg führte direkt in das Arbeitszimmer.

Es sah aus wie eine kleine, gemütliche Bibliothek. Schwere Ledersessel und eine Couch standen im Halbkreis um einen Kamin klassischer Bauart. Hier im Arbeitszimmer waren die massiven Eichenregale prall voll mit Büchern und Ordnern, die sauber beschriftet waren und Aufsätze über wichtige Neuerungen und Forschungen auf medizinischem Gebiet enthielten.

In einer Nische gab es ein hohes Fenster mit bunten, verbleiten Scheiben. In dieser Nische stand ein großer, ausladender Schreibtisch. Darauf Utensilien und ein altmodisches Telefon, das noch funktionierte. Von diesem aus rief Tom Gerland seine Freundin an.

Er rechnete damit, dass sie sofort am Apparat war.

Viermal schlug das Telefon auf der anderen Seite an ... fünfmal ... sechsmal ... Da wollte Tom Gerland schon auflegen. Offenbar war Doreen schneller zu Hause gewesen, als er erwartet hatte. Demnach lag sie auch schon im Bett.

Da wurde der Hörer abgenommen.

»Ja, hallo«, fragte eine schläfrig klingende Stimme.

Die Stimme einer Frau!

Im ersten Moment konnte man glauben, dass es Doreen sein könnte. Aber die Stimme klang dunkler. Das war ihre Mutter.

Dennoch vergewisserte sich Tom Gerland. »Mrs. Keith?«, fragte er ruhig.

»Ja, am Apparat. Wer spricht denn da, um Himmels willen? Mitten in der Nacht ...«

»Hier ist Tom Gerland, Mrs. Keith. Ich wollte eigentlich Doreen sprechen. Entschuldigen Sie bitte, wenn ich Sie gestört habe ...«

»Schon gut, Tom ... Doreen. Ist sie denn nicht bei Ihnen?«

»Sie hat um zweiundzwanzig Uhr den letzten Bus genommen. Sie müsste vor wenigen Augenblicken angekommen sein.«

»Sie ist nicht hier, Tom.« Mrs. Keiths Stimme klang klar. Die Schläfrigkeit war wie verflogen.

»Dann hat der Bus wahrscheinlich Verspätung. Oder Doreen war früher zu Hause und ist gleich auf ihr Zimmer gegangen.«

»Moment, Tom! Ich seh' mal nach.«

»Das wäre nett, Mrs. Keith.«

Er hörte, wie sie den Hörer auf den Tisch legte ... dann sich entfernende Schritte. Leise klappte eine Tür.

Fünf Minuten vergingen. Dann näherten sich die Schritte wieder dem Telefon. Ziemlich rasch, wie Tom Gerland feststellte.

»Sie ist nicht da, Tom.« Mrs. Keiths Stimme klang ängstlich.

»Machen Sie sich keine Sorgen, Mrs. Keith.«

»Haben Sie sie denn zum Bus begleitet, Tom?«

»Nein. Ich musste plötzlich dringend weg. Doreen blieb allein hier im Haus. Sie wollte noch ein wenig aufräumen. Sie hatte noch viel Zeit. Die Bushaltestelle befindet sich nur wenige Schritte von hier entfernt.«

»Es wird doch nichts passiert sein, Tom!«

»Aber nein, da brauchen Sie keine Angst zu haben, Mrs. Keith!«

»Ich habe aber Angst, Tom! Doreen muss doch irgendwo sein, wenn sie mit dem Bus gefahren ist!«

»Vielleicht eine Panne, ein Motorschaden. Vielleicht ist der Bus auf der Strecke liegengeblieben.«

»Das kann ich mir nicht vorstellen. So etwas kommt doch sehr selten vor.«

»Aber es kann vorkommen, Mrs. Keith.«

»Es gibt da eher eine andere Möglichkeit, Tom.«

»Und die wäre?«

»Vielleicht ist Doreen gar nicht abgefahren ...«

»Aber Mrs. Keith! Sie hat mir doch versprochen ...«

Er unterbrach sich, als das leise Lachen von Doreens Mutter plötzlich an seine Ohren drang. »Sie kennen Doreen nicht so lange wie ich, Tom. Sie hat manchmal so verrückte Ideen. Vielleicht steckt sie irgendwo im Haus und lacht sich ins Fäustchen, dass Sie sie noch nicht bemerkt haben. Sehen Sie doch mal nach, Tom, bitte! Das würde mich sehr beruhigen.«

»Selbstverständlich, Mrs. Keith.«

Er glaubte nicht an eine solche Möglichkeit. Er war viel eher davon überzeugt, dass der Bus aus irgendeinem zunächst unerfindlichen Grund Verspätung hatte.

Tom Gerland ärgerte sich, dass er auf die Idee gekommen war, überhaupt noch mal anzurufen. So hatte er bisher nur bewirkt, dass Mrs. Keith in Sorge geraten war.

Nun musste er sehen, wie er sie wieder beruhigen konnte.

Er blickte sich in der Runde um, entfernte sich zunächst keinen Schritt vom Schreibtisch und fragte sich, wo in diesem großen Haus er eigentlich mit der Suche beginnen sollte.

Dann gab er sich einen Ruck ...

Sehen wir mal im Schlafzimmer nach, dachte er. Wenn sich Doreen wirklich vorgenommen hatte, ihm eine Überraschung zu bereiten, dann möglicherweise nur auf diese Art.

Er grinste unwillkürlich, als er daran dachte.

Da flackerte das Licht an der Decke. Alle Lichter im Haus gingen in dieser Sekunde aus, und Tom Gerland stand mitten in tiefer Dunkelheit.

»Auch das noch, Stromausfall«, murmelte er.

Er hielt sich zwar schon seit einigen Tagen hier im Haus auf. Aber wo sich eine Taschenlampe oder Kerzen befanden, darüber hatte er sich nie informiert. Wer dachte auch daran, je mit einer solchen Situation konfrontiert zu werden?

Er streckte die Hände aus und tastete sich durch das Dunkel, um nirgends anzustoßen. Aber er stieß mit dem Schienbein gegen einen Sessel, der direkt neben der Eingangstür stand und an den er nicht mehr gedacht hatte.

»Au!«, entfuhr es ihm.

Er verzog das Gesicht.

Da flackerte die Glühbirne an der Decke und erlosch noch mal, flammte dann wieder in ihrem vollen Licht auf.

Na endlich! Zum Glück dauerte der Ausfall nicht zu lange.

Mit dem Licht kam das Entsetzen. Es traf ihn wie ein Peitschenschlag.

Er musste an sich halten, um nicht erschreckt und erstaunt zugleich aufzuschreien.

Da stand sie vor ihm, wie ein Pilz aus dem Boden gewachsen, nackt und schön, wie Gott sie geschaffen hatte.

»Doreen!«, entrann es seinen Lippen wie ein Hauch.

»Psst, sprich nicht«, flüsterte sie. Ihre Augen glänzten.

Er schüttelte den Kopf und schluckte. Im ersten Moment war er in der Tat sprachlos, hätte überhaupt nichts sagen können, selbst wenn er es gewollt hätte.

»Deine Mutter ... ist am Telefon ... ich habe nicht gewusst, dass ...«

»Dann sag es ihr jetzt, Tom! Sag ihr, dass du mich entdeckt hast!«

Er lief zum Telefon zurück. »Sie hatten recht, Mrs. Keith. Doreen ist hier. Sie brauchen sich keine weiteren Sorgen zu machen.«

»Na, sehen Sie, Tom. Ich kenne meine Tochter doch.«

»Gute Nacht, Mrs. Keith! Und entschuldigen Sie die Störung! Es tut mir leid. Ich konnte nicht wissen ...«

»Schon gut, Tom! Ich bin froh, dass alles in Ordnung ist. Ich nehme an, dass Sie meine Tochter im Morgengrauen nach Hause bringen, nicht wahr? Doreen muss sich schon um sechs Uhr fertig machen fürs Geschäft.«

»Sie können sich darauf verlassen, Mrs. Keith.«

Während er sprach, war er mit seinen Gedanken ganz woanders und hatte nur Augen für Doreen, die lächelnd, stumm und abwartend im Korridor vor der Tür stand, wie eine schöne, große Puppe.

Er war froh, als er endlich auflegen konnte. Ein tiefer Atemzug hob und senkte seine Brust. Tom Gerland durchquerte mit drei schnellen Schritten das Arbeitszimmer und ging auf Doreen zu.

»Jetzt musst du mir mal erzählen, wie du auf diese Schnapsidee gekommen bist und ...«

»Psst«, sagte sie, kaum merklich den Kopf schüttelnd. »Ich habe dich darum gebeten, nicht so viel zu reden, Tom.«

»Aber ich muss doch wissen ...«

»Mhm, nichts musst du wissen. Stell bitte keine Fragen!«

Träumte er? Wachte er? Was hatte denn diese Bemerkung nun schon wieder zu bedeuten?

»Aber Doreen! Ich habe doch ein Recht darauf ...«

»Nein, Tom. Das hast du nicht.«

Tom Gerland war wie vor den Kopf geschlagen. Er wusste nicht, was er von dieser Situation halten sollte.

Doreen wich in den dämmrigen Korridor zurück. »Komm mit mir, Tom, dann wirst du mich verstehen.«

»Aber wohin soll ich mit dir kommen, Doreen?«

»Das wirst du schon sehen.«

Hatte sie den Verstand verloren? War sie betrunken oder erlaubte sie sich einen Scherz? Sie zeigte sich von einer Seite, die er noch gar nicht an ihr kannte. Sie ging wie schwerelos durch den Korridor. Tom Gerland konnte nicht den Blick vom Körper seiner Freundin wenden. Sie hatte vollendete Formen, an diesem Leib gab es keinen Makel.

Unruhig flackerte das Licht, als sie durch den Korridor schritt.

Es fing doch nicht schon wieder an?

Tom Gerland fühlte ein eigenartiges Unbehagen in seinem Innern aufsteigen. Er kam mit der Situation nicht zurecht ... Da entdeckte er eine rätselhafte, unheimliche Parallele. Das Licht wurde heller ... wurde dunkler ... jeweils im Rhythmus der Schritte seiner hübschen, nackten Freundin!

Doreens Ziel war das große, luxuriös eingerichtete Badezimmer hier in der Etage. Sie betrat es und schloss die Tür hinter sich.

Gerlands Miene war wie aus Stein gemeißelt. Jetzt begriff er gar nichts mehr. Er klopfte an die Tür. »Doreen? Was soll denn das? Willst du etwa ein Bad nehmen?«