Macabros 027: Menschenfressende Schatten - Dan Shocker - E-Book

Macabros 027: Menschenfressende Schatten E-Book

Dan Shocker

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Beschreibung

Menschenfressende Schatten Nach einer Party des Maklers Alfredo Santieno steht seine Frau Olivia alleine auf der Terrasse des gemeinsamen Anwesens. Da hört sie Geräusche aus dem Garten und sieht schwarze Schatten umherhuschen. Als sie ihren Mann informiert, macht sich dieser mit Mr. Greenich, dem letzten Gast, auf die Suche nach den vermeintlichen Eindringlingen, doch Greenich kehrt von der Suche nicht mehr zurück. Ein Schatten hat ihn ums Leben gebracht. Björn Hellmark ist auf der Suche nach diesen menschenfressenden Schatten, denn nur er alleine kann sie vernichten, bevor sie die gesamte Bevölkerung töten. Dwahls Hirnpuppen greifen an In dem kleinen Städtchen Pompano kommt es zu unglaublichen Szenen. Die Verursacher sind Dwahls Hirnpuppen. In der Dimension der Leichenpilze gelingt es Björn seinen indischen Freund Rani Mahay zu finden, der ihm schwerverletzt und am Ende seiner Kräfte von eben diesen Hirnpuppen berichtet, und sie als eine tödliche Gefahr bezeichnet. Noch ehe er mehr erklären kann, versagen seine Kräfte. Björn Hellmark läßt seinen Doppelkörper MACABROS entstehen und bringt Rani mit dessen Hilfe zu einem Arzt. Doch es steht schlecht um seinen besten Freund.

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DAN SHOCKERS MACABROS

BAND 27

© 2014 by BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Titelbildgestaltung: Mark Freier

Fachberatung: Gottfried Marbler

All rights reserved

www.BLITZ-Verlag.de

ISBN 978-3-95719-727-6

Dan Shockers Macabros Band 27

MENSCHENFRESSENDE SCHATTEN

Mystery-Thriller

Die menschenfressenden Schatten

von

Dan Shocker

Prolog

Sie ging hinaus auf den Balkon und atmete tief die frische Luft ein, die vom nahen Meer herüber wehte. Olivia Santieno, die siebenundzwanzigjährige Chilenin, lächelte und summte leise ein Lied vor sich hin.

Aus dem hellerleuchteten Haus hinter ihr drangen gedämpfte Stimmen an ihr Ohr. Olivia wusste, dass dort Alfredo, ihr Mann, noch in ein Gespräch verwickelt war. Es ging um geschäftliche Dinge, und das interessierte sie nicht. Die Party war zu Ende, alle Gäste gegangen, bis auf Mr. Greenich.

Olivia seufzte. Aber das war immer so. Am Rande einer Geselligkeit nutzte Greenich immer die Gelegenheit, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden.

Olivia warf einen Blick ins Haus zurück und sah, dass Alfredo an der Bar einen neuen Drink mixte. Die Musik war längst verklungen. Die Stereoanlage hatte sich automatisch abgeschaltet. Olivia seufzte. Sie wollte scherzhaft darauf aufmerksam machen, dass die Zeit für Geschäfte am Montag wieder gegeben sei.

Da hörte sie ein leises Rascheln.

Aber es war doch windstill!

Die Chilenin, die in einer feudalen Villa in Miami wohnte, hielt den Atem an. »Hallo!«, rief sie dann leise in den nächtlichen Park. »Ist da jemand?«

War noch ein Gast zurückgeblieben?

Olivia rekapitulierte rasch. Sie konnte sich nicht daran erinnern, sich von jemand nicht verabschiedet zu haben. Aber sie konnte sich ja auch irren ...

Es währte nur eine Sekunde lang.

Lautlos huschte etwas Dunkles über die hellerleuchtete Hauswand.

Olivia schluckte. Das war unmöglich!

Wie konnte sich ein Schatten bewegen, wenn es kein Objekt gab, das sich wiederum gegen das Licht bewegte?

»Alfredo!« Olivia konnte es nicht verhindern. Sie war so erschrocken, dass ihr der Schrei entfuhr.

Wie von einer unsichtbaren Hand zurückgedrückt, wich sie zur Balkontür aus.

»Ja, meine Liebe? Was ist denn?« Alfredo Santieno war fünfzehn Jahre älter als seine Frau. Seine Schläfen waren bereits ergraut. Er war ein gutaussehender Mann, selbstbewusst und erfolgreich. Mit seinen Maklerbüros, die über das ganze Land verteilt waren, hatte er Millionen gemacht. Wenn Santieno ein Objekt anbot, dann konnte es auch nur von finanzkräftigen Kunden erworben werden. Zu diesen gehörten Filmstars, Ölmillionäre und reiche Sonderlinge, die das Ausgefallene suchten. Villen in den besten Wohngegenden des Landes gehörten zu Santienos Hauptverkaufsprogramm.

»Da war etwas, Alfredo.« Olivias Stimme klang wie ein Hauch.

»Da war etwas?«, fragte er erheitert. »Ja, was war denn da?« Er hielt das Ganze für einen Scherz seiner attraktiven Gattin und war überzeugt davon, dass sie das Ganze nur inszeniert hatte, um einen plausiblen Grund zu haben, ihn zu rufen. »Greenich geht gleich«, wisperte er. »Ich verspreche es dir.«

»Darum geht es mir nicht, Alfredo. Ich habe einen Schatten gesehen.« Sie deutete auf die Hauswand. »Da, genau neben dem Fenster! Er war riesengroß ...«

Alfredo Santieno legte den Arm um die nackten Schultern seiner Frau. »Wir haben einen sternenklaren und mondhellen Himmel. Es wird der Schatten eines Flugzeuges gewesen sein, meine Liebe.«

»Es war nicht der Schatten eines Flugzeugs, Alfredo«, erwiderte sie erregt. »Glaubst du, dass ich mich dann so aufführen würde?« Er merkte, wie sich auf Olivias Körper eine Gänsehaut bildete.

»Der Schatten sah aus wie eine riesige, nach mir greifende Hand. Und du wirst es mir nicht glauben, Alfredo: für einen Moment hatte ich den Eindruck, als ob diese Hand mich berührt hätte ...«

Sie wollte noch etwas sagen, als sie erneut zusammenfuhr.

»Alfredo! Da!« Olivia Santieno riss die Hand nach vorn und deutete in den Park.

Ihr Mann wirbelte herum und starrte angestrengt in die angegebene Richtung. Im Blattwerk der alten Eichen raschelte es leise, als ob ein Windhauch in den Wipfeln spiele. Dann herrschte wieder Stille.

»Ich kann nichts sehen, Olivia.«

Sie fuhr sich verwirrt über die Augen und strich mit einer fahrigen Bewegung einige Haarsträhnen aus der Stirn. »Ich träume doch nicht, Alfredo. Ich weiß, was ich gesehen habe ... Da ist etwas.«

»Ich werde nachsehen ...«

Alfredo Santieno war ein Mann schneller Entschlüsse.

Gerade in dem Augenblick, als er das sagte, kam Mr. Greenich aus dem Zimmer hinter ihnen, in beiden Händen die gefüllten Gläser. »Ich hoffe, ich störe nicht«, sagte er lachend. Seine Augen glänzten hinter der randlosen Brille. Greenich war nicht mehr ganz standfest. »Ich habe mir gedacht, mein lieber Santieno, ich bringe Ihnen schnell Ihren Drink, den Sie sich eingeschenkt haben. Er wird sonst warm, das Eis ist schon fast geschmolzen.« Er streckte die Hand mit Alfredo Santienos Glas aus.

Der Makler winkte ab. »Später, Greenich«, sagte er einsilbig.

»Ist was? Sie haben da eben etwas gesagt von nachsehen ... ich hab's zufällig mitbekommen, Senor Santieno ...«

Alfredo Santieno zuckte die Achseln. »Es scheint sich jemand im Park aufzuhalten.« Mit diesen Worten eilte er ins Haus und kehrte einen Augenblick später wieder zurück. Bewaffnet mit einem Gewehr, das er entsicherte.

Greenich zog die dünnen Augenbrauen in die Höhe. »Das hab ich nicht gewusst, entschuldigen Sie! Ein Einbrecher?«

»Wir wissen es nicht«, entgegnete Alfredo.

Greenich stellte die Gläser auf der Balkonbrüstung ab. »Wenn Sie erlauben werde ich Sie selbstverständlich begleiten. Vielleicht ist es auch nur einer Ihrer Gäste, der sich im Park verlaufen hat.«

»Auch das ist möglich.« Alfredo Santieno wandte sich Olivia zu. »Geh ins Haus, Liebste! Bleib nicht hier auf dem Balkon!« Er sprach sehr leise, aber da Greenich so nahe war, entging diesem die Bemerkung nicht.

Olivia schüttelte den Kopf. »Das bringe ich nicht fertig, Alfredo. Allein in dem großen Haus ...«

Alfredo Santienos Gesicht wurde steinern wie eine Maske. Er erkannte seine Frau nicht wieder. Olivia hatte Angst?

Er sagte nichts und nickte nur.

Vom Balkon aus führte eine freitragende Treppe in den Garten. Der Weg ging an gepflegten Rosenbeeten entlang. Alfredo Santieno war ein Freund dieser Blumen und begeisterter Züchter. Insgesamt gab es in seinem Garten über dreihundert Rosensorten mit den exotischsten Namen. Darunter befanden sich einige Kreuzungen und Züchtungen, die er selbst hervorgebracht hatte. Eine Rose hieß Olivia, und ihre Farbe war von einem zarten, samtenen braunroten Ton, der Ähnlichkeit mit der Hautfarbe seiner Frau besaß.

Der Hauptpfad gabelte sich. Greenich machte von sich aus den Vorschlag, in die andere Richtung zu gehen, um die Suche abzukürzen. »Vielleicht kommen wir so schneller zu einem Erfolg«, lächelte er. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen nahm er den Vorfall offensichtlich nicht so ernst.

Er bückte sich und hob einen Ast vom Rasen auf, befreite ihn von kleinen Zweigen und schüttelte ihn wie eine Keule. Er lachte. »Ist nicht besonders stark, das Ästchen, aber wenn mir der Kerl über den Weg läuft, wird es ausreichen, ihm eins damit über den Schädel zu ziehen. Wenn ich rufe, ist es am besten, wenn Sie gleich loslaufen. Wer weiß, wie lange ich ihn festhalten kann.«

Er ging in entgegengesetzter Richtung davon und tauchte in der Dunkelheit unter.

Olivia und Alfredo Santieno blickten sich aufmerksam um, kontrollierten vor allem die dicht stehenden Sträucher und Büsche und achteten auf jedes Geräusch.

Aber Schatten machten keine Geräusche!

Und ein Schatten war da ...

Er schwebte wie ein Nebelstreif, dunkel und bedrohlich über den Blumenbeeten und richtete sich in dem Moment wie eine Gestalt auf, als Mr. Greenich des Weges kam.

Greenich stutzte, als das dunkle Etwas auf ihn zuglitt.

Schwarz und riesig, wie eine Hand ...

Er wich zurück. Narrten ihn seine Sinne? Hatte er etwa zu viel getrunken?

Der Schatten war direkt über ihm, und wie eine riesige Hand senkte sich etwas auf ihn herab.

Greenichs Augen weiteten sich voller Entsetzen. Er riss die Arme hoch, und sein Mund öffnete sich zum Schrei.

Aber den konnte er nicht mehr ausstoßen.

Wie ein Mantel senkte sich der Schatten auf ihn und hüllte ihn völlig ein.

Ein dumpfes, bedrohliches Knurren lag in der Luft, als ob eine Raubkatze ihn anfauchte.

Die Schattenhand drückte ihn herab, und Greenich fiel zu Boden.

1. Kapitel

Über die nächtliche Schnellstraße fuhr ein schwerer LKW mit Anhänger. In dem Transporter war eine große Sendung Frischfleisch verfrachtet.

Henry Fisher, der zweiundvierzigjährige Verkaufsfahrer, hatte von seiner Firma den Auftrag, die Sendung noch in der Nacht an Ort und Stelle zu bringen. Das Fleisch sollte von einem Vertrieb in den frühen Morgenstunden verschiedenen Supermärkten und Großhandlungen in Miami zum Verkauf angeboten werden.

Henry hielt das Lenkrad fest umspannt und pfiff leise die Melodie mit, die aus dem Lautsprecher des Autoradios drang. Es handelte sich dabei um einen alten Titel der Beatles: Yesterday, und Henry Fisher wurde unwillkürlich daran erinnert, wie er vor fünfzehn Jahren noch nach diesen Klängen getanzt hatte.

Wie doch die Zeit verging! Manchmal war einfach nicht zu fassen, dass man schon selbst bald zum alten Eisen gehörte ...

Henry Fisher fuhr sich durch das Haar.

Die nächtliche Straße war kaum befahren. Zügig kam er vorwärts.

Er passierte ein Schild, das auf eine Raststätte hinwies, die noch runde fünfzehn Meilen von seinem augenblicklichen Standort entfernt lag.

Als er die Abfahrt erreichte, entschloss er sich, dort eine Pause einzulegen, eine Cola zu trinken und eine Kleinigkeit zu essen. Er stellte das schwere Fahrzeug abseits in der Dunkelheit am äußersten Parkstreifen ab und stieg dann aus. Er sicherte die Türen, überprüfte noch mal den Verschluss der Laderäume und zündete sich eine Zigarette an. Langsam ging er zu dem hellerleuchteten Restaurant. Auf dem Parkplatz standen einige LKWs. Er würde bestimmt Bekannte treffen. Genauso war es.

So blieb er länger, als er sich ursprünglich vorgenommen hatte.

Dann kehrte er zu dem geparkten LKW zurück.

Gerade als er die Tür zum Führerhaus aufschloss und einsteigen wollte, trat hinter dem Fahrzeug eine Gestalt hervor.

Sie war dunkel gekleidet und hob sich in der Finsternis kaum von der Umgebung ab.

»Guten Abend, Fisher«, sagte eine kalte, unpersönlich klingende Stimme.

Der Fernfahrer fuhr zusammen. Er erkannte diese Stimme sofort wieder. Wenn man erlebt hatte, was ihm kürzlich passiert war, dann konnte man diese Stimme einfach nicht vergessen.

Henry Fisher warf den Kopf herum.

Da stand der Mann, von dem er wünschte, dass er ihn nie wiedergesehen hätte.

Der aus der Dunkelheit wie ein Geist Aufgetauchte verzog spöttisch die Lippen. »Ich hatte Sie gewarnt. Ich habe Ihnen eine Chance gegeben, weiterzuleben. Sie haben diese Gelegenheit nicht genutzt.«

In den Augen seines Gegenübers las Henry Fisher seinen Tod. Der Mann, der vor ihm stand, war niemand anders als Frank Holesh, ein enger Vertrauter Richard Patricks, der sein Leben, seinen Geist und seine Seele Molochos überlassen hatte, um ein reiches und bequemes Leben zu führen.

Frank Holesh verfügte über dämonische Kräfte, und Henry Fisher erbleichte, als er sah, wie der unheimliche nächtliche Gast, der ihm hier in der Abgeschiedenheit auflauerte und damit genau seine Wege verfolgt hatte, seine Drohung wahrmachte.

Frank Holeshs Arme wuchsen!

Sie schoben sich schlangengleich, teleskopartig aus seinem Körper. Die Ärmel seiner Jacke waren viel zu kurz, und aus diesen Ärmeln begannen die nackten Arme wie wucherndes Gewächs zu sprießen. Die Hände stießen blitzschnell vor, und noch ehe der wie hypnotisierte Fisher zu einer Abwehrbewegung kam, noch ehe er begriff, wie ihm geschah, umklammerten die nervigen Finger seinen Hals und drückten zu.

Die Finger waren eiskalt und blutleer, wie die einer Leiche!

Sie benutzten den Pfad, der an dem künstlichen Bach entlangführte.

Der Park war traumhaft schön, ausgestattet mit lauschigen Fleckchen, wo Teiche angelegt worden waren und weiße, verschnörkelte Eisenbänke den Spaziergänger zur Rast einluden.

Die Villa stand im vorderen Drittel dieses Parks, und von der Straße aus konnte man nicht sehen, wie groß dieses herrlich gelegene Grundstück wirklich war.

Mitten in dem am dichtesten bepflanzten Teil des Geländes befanden sich die Reste einer Ruine, die niemand an dieser Stelle vermutete. Hier stand ein uraltes Gemäuer, versehen mit einem fast völlig erhaltenen eckigen Turm und einem burgähnlichen Anbau. Es handelte sich um die Reste eines aus Schottland stammenden Castles. Der Vorbesitzer des Anwesens und der Villa hier in Miami war ein Narr alter Schlösser und Burgen gewesen, hatte viele Reisen nach Europa unternommen und alle Plätze aufgesucht, die ihn interessierten. In Schottland ersteigerte er die Wind und Wetter ausgesetzte Burg, ließ sie Stein für Stein abtragen und in seinem Park in Miami originalgetreu wieder errichten.

In dem Castle gab es unheimliche Kellergewölbe und maßstabgerecht eingerichtete Säle und Kammern, die benutzbar waren. Der Millionär war vor drei Jahren an Herzversagen gestorben und ließ nur eine kranke Tochter zurück, die geistesgestört in einem Pflegeheim ihr Dasein fristete. Sie erbte das gesamte Vermögen. Eine Treuhandgesellschaft versteigerte das Anwesen nach dem letzten Willen des Vorbesitzers, und Alfredo Santieno, der auf der Suche nach einem exquisiten und ausgefallenen Wohnsitz für sich war, erfuhr als einer der ersten davon. Noch ehe die Versteigerung richtig publik wurde, entrichtete er seinen Obolus und zog als glücklicher Besitzer in Villa und Burg ein.

Hier hatten seitdem schon etliche Burgfeiern stattgefunden, und alle Freunde und Bekannten der Santienos waren begeistert von dem originellen Castle.

Olivia Santieno selbst hielt sich gern dort auf und ließ in dieser Umgebung mit dem Schlosshof, in der die Zeit stillzustehen schien, ihre Gedanken in die Vergangenheit schweifen. Sie stellte sich dann die Menschen vor, die Ritter und Burgfräuleins, die einst hier gelebt, geliebt und gefeiert hatten, die in diesen Mauern ihre Zwistigkeiten austrugen, ihre Intrigen spannen und hier gestorben waren.

Burgen und Schlösser aus Schottland, dieser Meinung war man allgemein, wurden von den Geistern jener Zeit bewohnt. Auch der Millionär, der dieses Relikt Stein für Stein errichten ließ, war überzeugt davon gewesen, mit den Steinen auch den Hausgeist dieser Gemäuer mitgebracht zu haben.

Olivia Santieno zog fröstelnd die Schultern hoch. Zum ersten Mal seit ihrem Einzug in das Haus fühlte sie die Nähe dieser halben Ruine bedrückend und als Belastung.

»Es ist mir unheimlich hier, Alfredo.«

»Es ist so wie immer, Liebes. Dir kommt es wahrscheinlich nur so vor, weil du dich vorhin so erschrocken hast.«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, es ist anders. Es ist, als ob irgendetwas ... hinter diesen Mauern hockt und auf uns lauert.«

»Unsinn!« Seine Stimme klang fest. »Und wenn es so wäre, müssten wir eigentlich froh sein. Einen echten schottischen Schlossgeist haben wir uns doch immer gewünscht.«

»Jetzt habe ich nicht das Bedürfnis, ihm zu begegnen.«

»Aber da wir schon hier sind und das Gemäuer einen idealen Ort für ein Versteck bietet, wirst du es mir wenigstens erlauben, kurz durch die Räume zu gehen und einen Blick hineinzuwerfen. Ich will sicher gehen, dass sich wirklich niemand hier versteckt. Warte hier so lange auf mich, Olivia!«

Er verschwand im düsteren Hof. Seine Schritte hallten auf dem klobigen Kopfsteinpflaster durch die Nacht. Deutlich war jedes Geräusch zu hören, das er verursachte. Wie er die Treppen hinaufging, wie sich die schwere Tür quietschend öffnete. Dann Lichtschein hinter den bleiverglasten Fenstern ... Das Licht einer Fackel.

In der Burgruine gab es Fackeln und Kerzen. Dieses abseits im Park liegende Relikt aus einer anderen Zeit war nicht an die Stromversorgung der Villa angeschlossen. Im 13. Jahrhundert gab es schließlich noch keine Elektrizität. Und stilecht sollte das Castle bleiben.

In Olivia Santienos Gesicht bildeten die Lippen einen schmalen Strich. Ihre Augen befanden sich in stetiger Bewegung. Diese Nacht war anders als die anderen, da konnte Alfredo sagen, was er wollte! Dass er es nicht merkte, irritierte sie.

Bildete sie sich etwas ein? Wurde sie krank? Es kam ihr noch ein viel schlimmerer Gedanke, der sie bis ins Mark entsetzte: War dies der Beginn einer Geisteskrankheit?

Ihr Herzschlag beschleunigte sich, und sie konnte nicht verhindern, dass ihr der kalte Schweiß ausbrach. Noch nie hatte sie sich gefürchtet. Furcht, das war ein Wort, das in ihrem Sprachschatz nicht existierte. Aber die Angst, die jetzt nach ihrem Herzen griff, war unerträglich.

Olivia fühlte sich beobachtet. Sie brachte es nicht fertig, reglos auf einer Stelle zu stehen. Sie ging auf und ab und blickte immer wieder nach dem Lichtschein, der durch die Räume wanderte. So war sie ständig darüber unterrichtet, in welchem Teil des Castle sich Alfredo aufhielt.

Da vernahm sie wieder das leise Rascheln in der Dunkelheit vor sich. Aber diesmal mischte sich ein fernes, wehleidiges Klagen in das Geräusch.

Olivia schrie auf. »Alfredo!« Ihr Schrei hallte durch die Nacht, durch den Burghof, brach sich an den dicken Mauern und kehrte als Echo zu ihr zurück.

»e do ... eee – doo«, schien es wie höhnisch zu lachen.

Hastige Schritte. Alfredo Santieno jagte die Stufen hinab und riss die Tür auf. In fliegender Hast durchquerte er den Hof, und Olivia kam völlig aufgelöst ihrem Mann entgegen.

»Was ist? Warum hast du geschrien?«, fragte er atemlos.

»Ich habe wieder etwas gehört ...«

»Was hast du gehört?« Zwischen seinen Augen entstand eine steile Falte, ein untrügliches Zeichen dafür, dass er langsam ungeduldig wurde. Alfredo Santieno konnte eine Menge ertragen. Seine Geduld war allgemein bekannt. Aber nun schien es, als ob das Verhalten seiner Frau ihm doch auf die Nerven ging.

Er atmete tief durch.

»Als ob jemand leise wimmere, als ob er ... leide, Alfredo.« Sie umklammerte seinen kräftigen Oberarm mit beiden Händen. Alfredo Santieno sah seine Frau mit einem merkwürdigen Blick von der Seite her an, ein Blick, den sie nicht bemerkte.

Er wollte etwas sagen, aber Olivia kam ihm zuvor. »Findest du denn das nicht auch seltsam«, sagte sie unvermittelt, in der Ansicht, ihr Mann wäre ihren Gedankengängen gefolgt.

»Was sollte ich seltsam finden, Liebes?«

»Ich habe dich gerufen. Sehr laut ... warum hat Mr. Greenich nicht geantwortet?«

»Weil du nicht Mr. Greenich, sondern mich gerufen hast ...«

»Aber mein Schrei klang ängstlich, Alfredo ...«

Er nickte nur.

»Da musste er doch annehmen, dass hier irgendetwas vorgeht, dass ich Hilfe brauche«, fuhr sie leise fort.

Ehe er es verhindern konnte, rief sie lautstark nach dem Gast.

»Mr. Greenich ... Mr. Greenich ... iiccchhh!«

Ihre helle Stimme hallte durch die Nacht. Egal, wo sich Greenich auch im Park aufhielt: dieser Ruf würde ihn überall erreichen ...

Doch der Ruf verhallte, Olivia und Alfredo Santieno lauschten. Beide warteten auf eine Antwort. Die erfolgte aber nicht.

»Alfredo«, wisperte Olivia entsetzt. Das klägliche Wimmern, das sie vor wenigen Augenblicken noch gehört hatte, lag noch immer in ihren Ohren. »Da ist etwas passiert ...«

»Was ist nur los mit dir, Olivia? Warum denkst du immer gleich an etwas Schlimmes ?«

»Es ist diese Nacht. Es liegt etwas in der Luft, ich fühle es. Ich kann dir nicht sagen, was es ist und warum es so ist ... ich habe keine Erklärung dafür. Was ist nur los? Was hat sich verändert? Alfredo, der Schatten ... damit hat es angefangen. Was für eine Bedeutung hat der Schatten, und wo kommt er her? Warum hat Greenich nicht auf meinen Ruf geantwortet?«

Alfredo war froh, dass seine Frau diese Frage anhängte und ihm damit die Möglichkeit zu einer vernünftigen Antwort gab. »Greenich hatte einiges getrunken. Das sieht man ihm nicht so an. Er kann sich hervorragend beherrschen. Ich nehme an, dass er bis zur ersten Bank gekommen ist, sich dort hingesetzt hat und dann einfach eingeschlafen ist ...« Er lachte. »Und einer der schläft, sündigt bekannt nicht, und er kann auf Rufe keine Antwort geben.«

Alfredo drückte seine Frau an sich und hauchte einen Kuss auf ihr schwarzes Haar.

»Hoffentlich hast du recht.«

Sie gingen weiter in den nächtlichen Park hinein. Vereinzelt sorgten ein paar abseits stehende Laternen zwischen den Sträuchern und am Wegrand dafür, dass man sich zurechtfand. Sie schlugen den Weg ein, den Greenich vorhin gegangen war, und brauchten nicht lange zu suchen. Schon von weitem sahen sie ihn. Er lag auf dem Boden, mitten auf dem Weg.

»Oh, mein Gott!«, entfuhr es Olivia, die erbleichte.

Alfredo hielt das Gewehr in Hüfthöhe, als sie sich der reglosen Gestalt näherten.

Greenich hatte noch seinen Ast in der Hand.

»Er wird bewusstlos geworden sein«, sagte Alfredo und bemühte sich, seiner Stimme einen ruhigen Klang zu geben.

Er ging neben Greenich in die Hocke. Ein erster, prüfender Blick! Da gab es keine Verletzung. Weder eine im Gesicht, noch am Kopf. Greenich war demnach nicht niedergeschlagen worden.

Ein Schuss war auch nicht gefallen, und Greenich wies auch keine Stichverletzung auf.

Alfredo Santieno legte das Ohr auf die Brust des Mannes und tastete nach seinem Puls.

»Aber ... das kann ... doch nicht sein ... das gibt es doch nicht!«, sagte er tonlos. Er wirkte erschrocken. Sein Blick begegnete dem seiner Frau. »Er ist tot, Olivia! Mr. Greenichs Herz steht still, er atmet nicht mehr!«

Henry Fisher riss beide Arme hoch.

Drei Sekunden lang war er wie im Bann des Geschehens, jetzt machte er sich frei von dem Grauen, das ihn lähmte. Er ließ beide Hände herabsausen auf die Unterarme seines Gegners und meinte, auf Schaumgummi zu kommen. Sein Schlag federte förmlich ab.

Wie Schraubstöcke legten sich die Finger des Angreifers um seinen Hals. Frank Holesh stand zwei Meter weiter hinten und hätte ihn unter normalen Umständen überhaupt nicht erreichen können.

Da tauchte eine zweite Gestalt auf. Sie wuchs wie ein Geist aus dem Boden.

Aus verschleierten Augen nahm Henry Fisher die Bewegung wahr, sah die Umrisse der Gestalt.

War es ein Mensch?

Nein, ein Geist!

Er trug keinen menschlichen Schädel auf den Schultern, sondern einen furchteinflößenden, weißen Totenschädel. In den Augenhöhlen glomm ein kaltes, grünes Licht.

Henry Fisher hätte am liebsten im Erdboden versinken mögen, wenn er dazu die Gelegenheit gehabt hätte.

Der Fremde sprang Frank Holesh an und riss ihn herum. Aus dessen Kehle brach ein dumpfes Gurgeln, als er den Totenschädel erblickte. Der Anblick war schrecklich, aber er war nicht so, um so zu schreien, wie Holesh es tat.

Er schien etwas ganz anderes wahrzunehmen ...

Er stand nämlich Björn Hellmark gegenüber. Und der trug die Dämonenmaske!

Holeshs Hände lösten sich wie unter einem Krampf von Henry Fishers Hals. Der Verkaufsfahrer taumelte und fiel wie benommen von der untersten Stufe des metallenen Trittbrettes, auf dem er stand. Geistesgegenwärtig streckte er noch die Hände aus, um einen Halt zu finden. Aber er griff ins Leere. Vor seinen Augen tanzten Sterne und schwarze Punkte. Gierig schnappte er nach Luft.

Er wäre gefallen. Aber da griffen hilfreiche Hände nach ihm, und er verstand nicht, woher die kamen. Da gab es eine dritte Gestalt, und die sah genauso aus wie die, die Holesh zum Schreien veranlasste.

Da stand eine weitere Person mit einem schrecklich anzusehenden Dämonenschädel. Die beiden Männer waren Zwillinge und glichen sich wie ein Ei dem andern.

Henry Fisher sank zu Boden, schwer und schnell atmend.

Er verstand die Welt nicht mehr. Die Geister bestimmten sein Dasein. Seit jenem Abend in der einsamen Hütte im Wald, in der er die schwerverletzte, entführte Brasilianerin gefunden hatte, stand die Welt kopf für ihn.

Die Gestalt neben ihm löste sich wie ein Schemen auf. Henry Fisher nahm es nur wie in Trance wahr, während sich sein Blick langsam zu klären begann. Da aber war das Spiegelbild des Totenschädelmannes nicht mehr da.

Henry Fisher konnte nicht ahnen, dass Hellmark seinen Zweitkörper Macabros aufgelöst hatte, um seine ganze Kraft im Originalkörper zur Verfügung zu haben, mit dem er sich seinem Gegner stellte.

Björn Hellmark nutzte den Moment der Überraschung voll für sich aus.

Ehe Holesh begriff, wie ihm geschah, packten ihn Björns Hände und wirbelten ihn herum. Frank Holesh flog nach hinten. Seine langen, elastischen Gummiarme zogen sich zurück und schrumpften ein, bis sie wieder ihre normale Länge erreicht hatten.

Frank Holesh wollte den Kampf nicht! Er konnte nicht kämpfen. Björn Hellmarks Nähe schien ihn derart zu stören, dass er nicht wusste, was er tun sollte. Er wankte, drehte sich um seine eigene Achse, schlug die Hände vors Gesicht und wimmerte. Er brach in die Knie, ohne dass der Mann mit dem gespenstischen Aussehen noch mal Hand an ihn gelegt hätte.

Der Ankömmling hätte in diesen Sekunden mit Frank Holesh machen können, was er wollte. Als dieser in die Knie brach, tauchte er mit einem schnellen Schritt neben ihm auf und zog ihn empor. Seine weichen, knöchernen Kiefer begannen zu mahlen. Dunkel und hohl klang die Stimme, die über die fleischlosen Lippen des Totenkopfes kam.

»Frank Holesh! Sie sind in Not, aber Sie erkennen diese Not nicht oder wollen Sie nicht wahrhaben. Mich brauchen Sie nicht zu fürchten. Ich muss mit Ihnen sprechen. Es ist für uns beide wichtig. Unser beider Schicksal ist auf eine unglückliche Weise miteinander verknüpft.« Björn Hellmark sprach eindringlich. Mit der Dämonenmaske auf dem Kopf die eine geheimnisvolle und unerklärliche Einheit mit ihm bildete, war auch seine Stimme verändert.

Björn zog mit der Rechten die Dämonenmaske ab, und Henry Fisher, der sich gerade aufrichtete und die Szene voll im Blickfeld hatte, wurde Zeuge einer eigenartigen Verwandlung.

Der Mensch mit dem furchterregenden Totenkopf hielt ein braunes, strumpfartiges Tuch in der Hand.

Er war ein Mensch aus Fleisch und Blut!

Unter der Maske kam ein sympathischer Blondschopf hervor, ein markantes Gesicht, wie das eines Wikingers, der sich eine faszinierende Jungenhaftigkeit bewahrt hatte.

Frank Holesh blickte in blaue, freundliche Augen. Die Furcht und die Schwäche, die ihn noch eben erfüllt hatten, schwanden blitzartig. Ein kaltes Licht glitzerte in seinen Augen. Er reagierte in der Sekunde, als das ihn erschreckende und lähmende Etwas, das er in diesem Geistergesicht gesehen hatte, verschwunden war. Holesh riss das rechte Bein empor und jagte Björn Hellmark mit voller Wucht das Knie in den Unterleib.

Björn stöhnte und krümmte sich nach vorn.

Frank Holesh riss sofort die Arme hoch, um sie mit voller Wucht auf Björn Hellmarks Schultern herabsausen zu lassen.

Björn blockte den Angriff ab, machte eine blitzartige Drehung zur Seite und ließ seine Rechte in Aktion treten. Holesh wusste nicht, wie ihm geschah. Björns Faust traf voll die Kinnspitze des Angreifers. Frank Holesh flog zurück, wie von einem Dampfhammer getroffen. Er landete am linken Kotflügel von Fishers LKW, und das Geräusch, das dabei entstand, erinnerte an einen orientalischen Gong. Holesh verdrehte die Augen, gab einen dumpfen Laut von sich und rutschte dann langsam an dem Kotflügel auf den Boden.

»Tut mir leid«, bemerkte Björn ernst, ging neben Holesh in die Hocke, »so habe ich mir unser gemeinsames Gespräch nicht vorgestellt.«

Frank Holesh konnte darauf keine Antwort geben. Er war geistig weggetreten.

Björn erhob sich.

Henry Fisher kam auf ihn zu. Er wirkte irritiert und ratlos. »Vielen Dank«, sagte er leise, musterte Björn Hellmark von Kopf bis Fuß. »Sie haben mir das Leben gerettet. Ich hatte keine Chance gegen ihn ... er ist ein Teufel, ich bin ihm schon mal begegnet ... er verfügt über magische und satanische Kräfte und ...«

In Henry Fishers Augen flackerte plötzlich ein unruhiges Licht. Er starrte auf Björn Hellmarks Linke, mit der er gerade heimlich die unscheinbare, strumpfähnliche Dämonenmaske in der Hosentasche verschwinden lassen wollte. »Ich verstehe nicht, wieso ... ich meine ... Sie sahen vorhin schrecklich aus ... wie kam das, überhaupt: wer sind Sie, wieso helfen Sie mir und ...?«

Björn Hellmark konnte gut verstehen, was in diesem völlig verwirrten Mann vorging. »Ich bin Ihnen zu großem Dank verpflichtet.«

Henry Fisher meinte, nicht richtig zu hören. »Mir? Aber, wieso ...?«

»Sie haben Unerschrockenheit gezeigt und getan, was Sie für richtig hielten. Sie haben mutig gehandelt, als Sie sich entschlossen, das Versteck im Wald dem Sheriff preiszugeben ...«

Da ging Henry Fisher ein Licht auf. »Die junge Frau, die ich dort entdeckt habe, hat mit Ihnen zu tun ...«

»Es ist die Frau, die ich liebe, und von der ich hoffe, dass sie leben wird. Der Kampf um ihr Leben hat begonnen ... hoffentlich nicht zu spät. Sicher aber wäre sie jetzt schon tot, hätten Sie das Versteck nicht entdeckt und preisgegeben ... Ich habe es durch den Sheriff erfahren«, fuhr Björn fort. »Dabei erfuhr ich von der Drohung, die dieser Mann Ihnen gegenüber ausgesprochen hatte. Frank Holesh war der gesuchte Entführer. Die Polizei suchte ihn wie eine Stecknadel im Heuhaufen. Auch ich beteiligte mich schließlich an der Aktion. Holesh würde Ihnen auflauern ...«

»Woher wussten Sie das, Mister ...«

»Hellmark, Björn Hellmark. Entschuldigen Sie, dass ich mich Ihnen noch nicht vorgestellt habe. Intuition, lassen Sie das gelten. Anders kann ich es Ihnen beim besten Willen nicht erklären.« Er hätte es gekonnt, aber Henry Fisher hätte ihn nicht verstanden. Al Nafuur, sein geheimnisvoller Geistführer, hatte ihm diese Mitteilung überbracht.

Henry Fisher kratzte sich im Nacken. »Ich versuche das alles zu begreifen, aber wahrscheinlich verstehe ich das nie«, murmelte er. »Die Sache mit der Maske, sie war sehr bedeutungsvoll. Ich war ebenfalls erschrocken, als ich Sie so plötzlich auftauchen sah. Aber ich hätte niemals so geschrien, wie er es getan hat. Als hätte er körperliche Schmerzen zu ertragen ...«

Henry Fisher schielte misstrauisch nach Björn Hellmarks Hand, die das zusammengeknüllte, dünne braune Tuch hielt.

Björn entfaltete es. Die Ähnlichkeit mit einer Strumpfmaske war frappierend.

»Damit wollen Sie ...« Henry Fisher schüttelte den Kopf. »Nein, das glaube ich nicht ... das ist doch keine Maske ... ich habe einen Totenkopf auf Ihren Schultern gesehen. Ein Totenkopf, der lebte. Wie haben Sie diesen Eindruck vermittelt, Mr. Hellmark?«

Ein leises Lächeln spielte um Björns Lippen. »Sie haben einen Totenkopf gesehen. Der hat Sie erschreckt, was natürlich ist. Frank Holesh aber hat etwas anderes gesehen. Und das brachte ihn fast um den Verstand.«

»Was hat er gesehen? Wieso sah er etwas anderes als ich?«

»Dies ist das Geheimnis der Maske, das auch ich noch nicht ergründet habe, und das wahrscheinlich nie ergründet werden wird. Ein Mensch sieht darin immer einen Totenkopf. Das Symbol der Vergänglichkeit. Ein Dämon wie Mr. Holesh ist von anderer Struktur. Er hat etwas weitaus Schlimmeres gesehen als das, was uns zu schrecken vermag. Wäre Holesh ein reinblütiger Dämon gewesen, hätte der Anblick der Maske ihn vernichtet.«

Henry Fisher konnte sich wenig darunter vorstellen, er nahm die Erklärung hin, ohne weitere Fragen zu stellen.

Vom Restaurant her näherten sich mehrere Personen dem Parkplatz. Sie steuerten genau auf Henry Fisher und Björn Hellmark zu.

Es handelte sich um Kraftfahrer, die zu ihren Fahrzeugen wollten.

Sie würden genau hier vorbeikommen, und die zusammengesunkene Gestalt neben dem vorderen Kotflügel würde ihnen dann nicht entgehen.

Björn handelte. Er zog den Bewusstlosen in die Höhe. Schlaff wie ein Sack fiel Frank Holesh über seine Schultern.

»Wenn Sie nichts dagegen haben, Mr. Fisher, würde ich vorschlagen, dass wir gemeinsam eine kleine Spazierfahrt machen.«

»Sie wollen zur Polizei, nicht wahr? Bei ihm handelt es sich um den Gesuchten, daran gibt es keinen Zweifel.«

Björn nickte. »Zur Polizei werden wir auch noch fahren. Aber das hat vorerst wohl wenig Sinn. Wichtig ist zu allererst, dass er sich mit uns unterhält. Eine Zelle muss nämlich für diesen Mann nicht unbedingt sicher sein. Er ist nachweislich bisher an so vielen Orten kurz hintereinander gesehen worden, dass er diese Orte unmöglich mit einem normalen Transportmittel aufgesucht haben kann. Die Mächte, mit denen er sich verbunden hat, haben ihn augenscheinlich mit Kräften ausgestattet, die es ihm ermöglichen, immer dort aufzutauchen, wo man ihn nicht erwartet und vermutet. Nach dem Gespräch wird für mich einiges klarer werden. Mr. Holesh besitzt hier in Miami eine wunderschöne Villa. Wir werden ihn erst nach Hause bringen, wenn Ihnen das recht ist.«

»Mir ist alles recht, was dabei hilft, diesem unheimlichen Menschen das Handwerk zu legen«, murmelte Henry Fisher tonlos.

Er öffnete die Fahrertür und gab Björn mit einem Wink zu verstehen dass er in die Kabine einsteigen soll. Björn Hellmark nahm den Platz auf der Bank ein und ließ Holesh von der Schulter rutschen, so dass der Bewusstlose neben ihn zu sitzen kam.

Henry Fisher stieg gerade ein, als die anderen aus dem Restaurant kommenden Fernfahrer auf der Höhe des LKWs waren.

Die Männer blieben kurz stehen, wechselten ein paar scherzhafte Worte mit Henry Fisher und blickten auch in die Führerkabine, in der Björn Hellmark und Frank Holesh saßen. Es fiel ihnen nicht auf, dass einer der beiden Männer nichts von seiner Umgebung mitbekam.

»Was ist hier passiert, Alfredo?« Olivia Santieno atmete schnell. Sie krallte ihre Finger in den Oberarm ihres Mannes. Verwirrt und ängstlich blickte sie sich um.

»Es muss nichts Außergewöhnliches sein«, sagte er schnell. »Ich kann keine äußere Verletzung feststellen. Greenich kann einen Herzschlag bekommen haben ...«

Sie schüttelte so heftig und entschieden den Kopf, dass Alfredo Santieno erschrak. »Wenn jemand einen Herzschlag bekommt, dann wimmert und klagt er nicht lange davor. Ich habe Mr. Greenich sterben hören, Alfredo.«

»Du hast dich getäuscht.«

Da verlor sie die Nerven. »Was versuchst du mir denn da ständig einzureden, Alfredo! Ich habe den Schatten gesehen ... ich habe gehört, wie Greenich stöhnte. Instinktiv fühlte ich, dass hier etwas vorging, als er sich nicht bemerkbar machte. Nun finden wir ihn, er ist tot, aber du siehst noch immer nichts Besonderes dabei. Er ist keines natürlichen Todes gestorben.« Sie schrie und fing plötzlich an zu weinen. Es bereitete ihm einige Mühe, sie wieder zu beruhigen. »Hier geht etwas vor, Alfredo ...«

»Ja, Liebes ...« Er widersprach ihr jetzt nicht mehr.

»Ich weiß nicht, was es ist, aber ich zweifle keine Sekunde mehr daran, dass es mit dem Schatten zusammenhängt. Ich habe Angst; Alfredo, schreckliche Angst! Was sollen wir nur tun?«

Das fragte er sich auch.

»Wir müssen die Polizei anrufen.« Er hatte seinen Arm um ihre Hüften geschlagen.

Olivia schluchzte noch immer »Was sollen wir ihr sagen?«, flüsterte sie. »Es wird Fragen geben ... in unserem Haus wurde ein Mensch ermordet, Alfredo.«

Er nagte an seiner Unterlippe.

Er sah das Problem mit klarem Blick. Es würde unangenehme Fragen und Schlagzeilen geben ... Der Name Santieno würde dadurch mit Dingen in Berührung kommen, die er fürchtete.

Er sprach weiter beruhigend auf seine Frau ein, ging mit ihr ins Haus zurück. Sie nahmen es unter die Lupe und schlossen sämtliche Fenster und Türen.

Aber zum Telefon ging Alfredo Santieno nicht.

»Ich kann nicht«, sagte er bedrückt. »Wir müssen uns selbst etwas einfallen lassen. Es mag nicht richtig sein, aber mir bleibt keine andere Wahl, Olivia.«

Sie blickten sich an.

Olivia nickte, als hätte sie seine Gedanken erraten. »Tu was du für richtig hältst«, sagte sie matt. »Du willst ...«

»Ja. Wir müssen die Leiche verschwinden lassen. Wenn sich die Polizei einschaltet, gibt es einen Wirbel. Es bleibt uns keine andere Wahl, Olivia.«

Sie war jetzt seltsam gefasst. »Gut«, sagte sie dann nur. »Schaff ihn weg!« Sie schüttelte den Kopf und schlug plötzlich beide Hände vor die Augen. »Wir benehmen uns wie Mörder, als hätten wir ihm wirklich etwas getan. Hoffentlich ist es kein Fehler, wie wir uns verhalten, Alfredo ...«

»Mach dir keine Gedanken, Liebes! Ich bringe das alles schon in Ordnung. Bleib hier im Haus, lass alle Türen und Fenster geschlossen! Vielleicht sind wir beide jetzt etwas nervös und durchgedreht. Morgen sehen wir das sicher mit ganz anderen Augen. Ich bin gleich wieder zurück.«

Er ging über den Balkon wieder in den nächtlichen Park. Seltsamerweise war Alfredo trotz der unheimlichen und sinnverwirrenden Ereignisse seltsam ruhig. Wahrscheinlich hing das damit zusammen, dass er einiges getrunken hatte.

Er beeilte sich, an Ort und Stelle zurückzukehren. Hier in diesem Park würde ihn niemand beobachten, wie er die Leiche wegschaffte und wohin er sie brachte. Er hatte sich vorgenommen, den Toten in dem Castle zu vergraben. Unten in einem der unzugänglichen Gewölbe würde man die Leiche niemals finden.

Er erreichte die Stelle, wo sie den Toten zurückgelassen hatten und prallte zurück.

Narrte ihn ein Spuk, oder hatte er in Gedanken die falsche Richtung eingeschlagen?

Greenichs Leiche war verschwunden!

Das Gewehr entsichert in der Hand, suchte er die ganze Umgebung ab. Er entdeckte keine Schleifspuren, nichts, was darauf hinwies, dass sich jemand während seiner Abwesenheit hier betätigt hatte.

Ein verrückter Gedanke kam ihm.

Führte Greenich sie in einer weinseligen Laune einfach an der Nase herum und ...

Ebenso schnell, wie ihm diese Überlegung gekommen war, verwarf er sie wieder.

Greenich hatte aus eigener Kraft nicht davongehen können! Greenich war tot gewesen.

Alfredo Santieno war aufgewühlt. Er durchsuchte den ganzen Park, und immer wieder rief er den Namen des Mannes, der auf rätselhafte Weise zu Tode gekommen war.

Hier passte nichts mehr zusammen!

Die Probleme waren nur noch größer geworden.

Völlig durchgeschwitzt kehrte er schließlich unverrichteter Dinge ins Haus zurück.

Er nahm sich vor, Olivia zu erklären, dass er alles absprachegemäß erledigt hatte. Das war ein Fehler. Denn damit fingen die Probleme erst richtig an ...

Das Meer ...

Ein eigenes Reich, fremdartig und unerforscht trotz aller Erfolge, die der Mensch mit der Erforschung der Tiefsee schon errungen hatte.

In einer Tiefe, in die Menschen jedoch noch nie vorgedrungen waren, in einem Bereich, in dem sich ein Mensch ungeschützt nicht aufhalten konnte, lag mitten im Schwarzen Wasser, in das nie ein Sonnenstrahl gelangte, die Felsenburg des Oceanus.

Er war der Herr dieses Reiches.