Macabros 028: Feuerbestien - Dan Shocker - E-Book

Macabros 028: Feuerbestien E-Book

Dan Shocker

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Beschreibung

Die Feuerbestien aus Kh or-Shan Eine neue Insel entsteht im Meer. Aus glühender Lava geboren schieben sich Gesteinsmassen durch die Wasseroberfläche und bilden ein Eiland, das den Namen Kh or Shan trägt. Diese Insel bildet das Tor in eine Dimension, die der König der Ursen erschaffen hat und heute noch regiert. In dieser Dimension leben die Feuerbestien, die nur durch eine Berührung jeden Menschen zu einem der ihren machen können... Es erwacht der Ursenwahn In der spanischen Küstenstadt Marbella und Umgebung verschwinden innerhalb kürzester Zeit Menschen, allesamt entführt von zwei Kidnappern, die für einen geheimnisvollen Auftraggeber hundert Menschen in ihre Gewalt bringen. Doch der Inder Rani Mahay kommt ihnen auf die Spur. Er entdeckt, daß der Auftraggeber kein normaler Mensch, sondern ein Urse ist, der die Entführten auf einem Schiff zu einem bisher unbekannten Ziel bringen will. Währenddessen befindet sich Björn Hellmark auf der Insel Kh or Shan, die durch die magischen Kräfte von Sequus, dem König der Ursen entstanden ist. Feuerbestien bedrohen Björn Hellmark, und deren Fürstin scheint seine Geliebte Carminia zu sein, die sich nicht mehr an ihr früheres Leben erinnert. Wie paßt das alles zusammen?

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DAN SHOCKERS MACABROS

BAND 28

© 2014 by BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Titelbildgestaltung: Mark Freier

Fachberatung: Gottfried Marbler

All rights reserved

www.BLITZ-Verlag.de

ISBN 978-3-95719-728-3

Dan Shockers Macabros Band 28

FEUERBESTIEN

Mystery-Thriller

Die Feuerbestien aus Kh'or Shan

von

Dan Shocker

Prolog

Die Antoinetta, die im Pazifischen Ozean zwischen Hawaii und den Galapagosinseln auf den Wellen schaukelte, segelte unter italienischer Flagge. Sie gehörte dem reichen Reeder Vittorio de Seneca, einem Playboy par Excellence und im internationalen Jetset bekannt für exzentrische Ideen. De Senecas Partys und Abenteuer waren in aller Munde und tauchten in den Klatschspalten der Boulevardpresse und einschlägiger Blätter auf. Dass alles an die Öffentlichkeit sickern konnte, daran war der Reeder selbst schuld. An seinen Unternehmungen nahm stets mindestens ein Journalist teil. Der durfte dann brühwarm und nach Herzenslust über alles berichten, was die Leute in de Senecas Freundes- und Bekanntenkreis trieben und erlebten.

Der Italiener war neunundvierzig Jahre alt, hatte das väterliche Erbe übernommen und konnte sich anstrengen, wie er wollte, es gelang ihm nicht, die Millionen kleinzukriegen, die sein Vater gescheffelt hatte. Die weitverzweigten Geschäfte der de Senecas sorgten dafür, dass immer wieder eineinhalb Millionen nachrückten, wenn eine Million verbraucht war.

Der Reeder, ein untersetzter Mann, dem man ansah, dass er gern aß und trank, liebte es vor allem auch, seine illustren Gäste zu überraschen.

Marcel Duval, der fünfundzwanzigjährige Chansonsänger aus Paris, der sich auf dem mondbeschienenen Deck der Antoinetta aufhielt, sah es zuerst und war überzeugt davon, dass es sich um einen von de Seneca arrangierten Überraschungseffekt handelte.

Etwa steinwurfweit von der Jacht entfernt bewegte sich durch das Wasser ein rötlich schimmerndes, längliches Etwas, das rasend schnell näher kam.

Der schwarzhaarige Mann mit der burschikosen Haartolle beugte sich unwillkürlich nach vorn.

Duval hatte keinen besonders festen Stand mehr. Viel Champagner war seine Kehle hinabgelaufen.

»Ein ... Unterwasserfeuerwerk ... sieh' mal einer an ... Vittorio fällt aber auch immer wieder etwas Neues ein ...« Er wandte sich um und blickte über Deck. In Höhe der beiden aufgehängten Rettungsboote nahm er die Schatten eines Paares wahr, das sich außer ihm noch auf Deck befand.

Sonst war niemand weit und breit zu sehen. Die anderen hielten sich unten in der Jacht auf; fröhliche Stimmen und laute Musik drangen herauf in die Nacht und verloren sich in der Weite des Ozeans.

Duval wollte den beiden etwas zurufen. Die küssten sich und hatten die Welt um sich herum vergessen. Der Franzose winkte ab. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder dem Leuchten im Wasser zu. Das war inzwischen nähergekommen und sah irgendwie unheimlich aus. Trotz der Tatsache, dass er nicht mehr ganz Herr seiner Sinne war, weil der Alkohol wirkte, fühlte der Chansonsänger eine leichte Gänsehaut, die über seinen Rücken kroch.

Zu dem monotonen Plätschern der Wellen gegen die Bootswand gesellte sich ein gurgelndes Brodeln, das sich anhörte, als ob das Wasser an dieser Stelle zu kochen begänne.

Und genauso war es!

Die Wellen vor ihm warfen Blasen, und heißer Dampf stieg auf, der zischend an der Bootswand entlangstrich.

Das glühende Objekt war jetzt so nahe, dass Marcel Duval jede Einzelheit erkennen konnte.

Die Gestalt vor ihm im Wasser – war ein Mensch! Er bestand aus glühender Lava!

Es ging alles so schnell, dass er weder schreien noch die Flucht ergreifen konnte.

Wohin hätte er sich auch auf diesem Schiff wenden können?

Der unheimliche Flammenkörper stieß gegen die Außenwand der Jacht. Ein schwerer Stoß erschütterte die Antoinetta. Ein Grollen lief durch den Schiffsleib.

Im gleichen Moment stieg der glühende Flammenkörper wie eine zischende Rakete aus dem Wasser. Gischt schäumte. Das Wasser wurde an dieser Stelle emporgeworfen.

Marcel Duval war von einer Sekunde zur anderen völlig nüchtern.

Was er hier sah, sprengte die Grenzen seines Verstandes.

Die Nacht vor ihm flammte auf. Unzählige Feuerzungen umloderten den Körper, der das Blickfeld vor ihm ausfüllte. Er spürte die glühende Hitze. Seine Augenbrauen wurden angesengt, die phantastische Haartolle, die er zu tragen pflegte, schmorte zusammen.

Marcel Duval taumelte zurück.

»Neiiiinnnn!«

Sein markerschütternder Schrei hallte über Deck und übertönte das Gelächter und die Musik aus der Tanzbar.

Das sich küssende Paar wirbelte herum. Was sich ihren Augen bot, gehörte in einen Horrorfilm, in einen Alptraum – aber nicht in die Wirklichkeit.

Die Feuergestalt jagte direkt auf Marcel Duval zu. Der Franzose konnte dem Zugriff der lodernden Hände nicht mehr ausweichen. Flammen sprangen über.

Instinktiv streckte Marcel Duval die Arme aus, um den unheimlichen Gegner zurückzuschlagen.

Sein schriller Schrei ließ das Liebespaar erstarren.

Ebenso gut hätte Duval in glühende Kohlen greifen können!

Er fühlte noch die harte, pulsierende Masse, ehe seine Fingerkuppen wegschmolzen wie ein Schneerest unter den ersten wärmenden Strahlen der Frühlingssonne.

Marcel Duval flog nach hinten. Seine Hosenbeine, sein Jackett, seine Haare fingen Feuer. Im Nu stand er da wie eine lebende Fackel – dann warf er sich herum und lief panikerfüllt und laut schreiend über Deck. Genau auf das Paar zu, das von dem flackernden Schein des feurigen Dämons aus dem Wasser und dem brennenden Franzosen getroffen wurde.

»Helft mir! Rettet mich!« Marcel Duvals Stimme war nicht mehr zu erkennen. Er schlug verzweifelt um sich, warf sich zu Boden, rollte sich auf Deck, um so die Flammen, die an seinem Körper hochleckten, zu ersticken.

Der Mann in unmittelbarer Nähe der Rettungsboote gab sich einen Ruck und versuchte das Grauen, das auch ihn gepackt hatte, zu überwinden. Er riss von einem Boot eine Plane herab und warf sie kurzerhand auf den Mann, um die sich entwickelnden Flammen abzuwürgen.

Das Feuerwesen stand nach dem Angriff auf Marcel Duval wie eine lodernde Statue da. Flammen umzüngelten seinen Körper. Die Planken schwärzten sich, und das Holz fing Feuer. Genau auf der Stelle, wo der Unheimliche stand, wurde der Boden durch die ungeheure Hitze regelrecht herausgelöst. Die Planken sackten ein, und mit ihnen zischte der Feuerdämon in die darunter liegende Kabine. Es handelte sich um den Funkraum der Jacht.

Innerhalb weniger Sekunden herrschte Chaos überall.

Die Plastikverkleidungen der Armaturen schmolzen, und zähflüssige Tropfen bildeten große, schmierige Lachen auf dem Boden, wo wie auf einem Ölsee Flammen züngelten. Kabel schmorten, und riesige Stichflammen schossen aus der Anlage. Innerhalb weniger Augenblicke wurde die Funkeinrichtung der Jacht ein Raub der Flammen.

Aus den fröhlichen, lachenden Stimmen der Passagiere wurden Schreie des Grauens.

Überall wo die Feuerbestie auftauchte, hinterließ sie Furcht, Panik und Verwüstung. Es zeigte sich, dass die Flammen mit den herkömmlichen Mitteln nicht zu löschen waren.

Die Plane, die auf Marcel Duvals Körper lag und in die er sich blitzschnell und von wahnsinnigen Schmerzen gepeinigt einrollte, erstickte nicht das Feuer, sondern bot ihm trotz der abgestellten Sauerstoffzufuhr neue Nahrung. Knisternd und fauchend schlug die Feuersbrunst über dem Franzosen zusammen. Da gab es kein Entkommen, keine Rettung mehr ...

Der Mann, der gehofft hatte, ihm zu helfen, war verwirrt und ratlos.

Wertvolle Sekunden gingen verloren. Die Flammen fraßen sich in Marcel Duvals Haut.

Voller Verzweiflung gelang es ihm, noch einmal auf die Beine zu kommen. Die Plane zerfetzte unter der Wucht des prasselnden Feuers. Große und kleine Teile wirbelten glühend durch die Luft, als sich Marcel Duval mit einem verzweifelten Sprung über die Reling zu helfen hoffte. Er landete im aufplatschenden Wasser und tauchte ein.

Rauch und Qualm stiegen aus Bullaugen und Decksöffnungen.

Die Frau in dem weißen, wallenden Kleid mit dem tiefen Rückenausschnitt klammerte sich verzweifelt und schluchzend an die Arme ihres Begleiters.

Die Jacht begann plötzlich heftig hin- und herzuschaukeln, als ob eine gewaltige Sturmbö aufgekommen wäre.

Dabei war es windstill!

Die Bewegung wurde durch riesige Wellen ausgelöst, die sich auftürmten und das Schiff wie eine Nussschale in die Höhe drückten.

Der junge Italiener und seine Begleiterin landeten an der Reling wie zwei Bälle im Netz. Die dunklen Augen der hübschen Frau glühten wie Kohlen in ihrem schreckensbleichen Gesicht. Sie konnte plötzlich nicht mehr unterscheiden, wo Himmel, Erde, wo das Schiff und das Meer waren. Alles schien eins zu werden. Wie von einer unsichtbaren Riesenfaust geschleudert, bewegte sich die Jacht steuerlos auf den turmhohen Wellen.

Die See kochte.

Riesige Schaumkronen standen auf den Brechern, gigantische Fontänen spritzten in die Luft, als ob Unterseeminen gezündet würden. Himmel und Erde vermählten sich, und unbeschreibliche Panik erfüllte die beiden einsamen Menschen, die in dieses Chaos gerissen wurden.

Die riesigen Wellen schwappten über Deck. Da gab es keinen Halt mehr, keine Möglichkeit zu entrinnen.

Auch der Fluchtweg nach unten in die sicheren Kabinen war versperrt.

Von dort loderte Flammenschein und schrillten Schreckensschreie, die vom Tosen der Wellen und von dem unheimlichen Grollen aus der Tiefe des Meeres verschlungen wurden.

Die Menschen in den Kabinen, in denen eben noch Frohsinn und Heiterkeit geherrscht hatten, flogen gegen die Wände des schlingernden Schiffes. Die Flaschen auf der Bar stürzten um und zerbrachen am Boden. Schreiend lief alles durcheinander. Jeder war sich selbst der Nächste.

Niemand begriff, was geschehen war, und jeder hatte nur eines im Sinn: Heraus aus dieser Falle ... Hoch zu den Rettungsbooten.

»Feuer!«

Von irgendwoher kam dieser Schrei.

Die tobende See, die sich wie verrückt im Kreis drehende Jacht und das offenbar zur gleichen Zeit an Bord ausgebrochene Feuer machten das Chaos und die Panik perfekt.

Da wurden Menschen zu reißenden Bestien.

Freunde und Begleiterinnen, die man eben noch im Arm gehalten hatte, wurden einfach zur Seite gestoßen, um die eigene Haut zu retten. Menschen stürzten zu Boden und wurden niedergetrampelt. Panik brach in den festlich beleuchteten, luxuriösen Partykabinen der Jacht aus.

Wem es gelang, sich durchzuboxen und zu Widersachern gewordene Freunde kurzerhand zu überrennen, geriet vom Regen in die Traufe.

Die gigantischen Wellen schwappten über das Deck der Jacht und spülten die aus der Kabine eilenden Menschen hinweg wie Ameisen.

Mehrere Kabinen standen in Flammen. Rauch und Qualm bahnten sich einen Weg durch Bullaugen und Luken und griffen rasend schnell auf andere, bisher noch nicht in Mitleidenschaft gezogene Kabinen über.

In der aufgewühlten See war es unmöglich, sich durch Schwimmen aus dem furchtbaren Sog, der nur unmittelbar in der Nähe der Jacht zu herrschen schien, zu befreien. Die über Bord Gespülten oder auf der Flucht vor dem Feuer in ihrer Panik Gesprungenen verschwanden zwischen den gigantischen Wellen als dunkle Punkte, die das Meer schluckte.

Menschen flogen wie lodernde Fackeln durch die Luft, tauchten in die Wellengebirge ein, und man mochte meinen, dass das Wasser eine Erlösung für sie wäre.

Doch es war kein Feuer aus dieser Welt.

Von den schäumenden Wellenbergen mitgerissen, durchstießen feurige Menschenleiber das Nass, ohne dass die Flammen in Mitleidenschaft gezogen wurden.

Das Feuer erlosch nicht durch das Wasser!

Im Wasser brodelte es. Das schwere Seebeben tobte sich aus. Mit solcher Wucht und Schnelligkeit, dass viele der Passagiere gar nicht mitbekamen, was sich abspielte.

Die Jacht ächzte in allen Fugen. Flammenfontänen schlugen aus dem Schiff. In Feuer und Rauch gehüllt, tanzte es auf riesigen Wellenbergen, als ob der Teufel Regie führe.

Die brennende Jacht fiel auseinander.

In Flammen stehende Menschen, Planken, Musikinstrumente, Schränke und Bilder hüpften auf den Schaumkronen und in den Wellentälern wie die Funken eines gigantischen Feuers.

Innerhalb von acht Minuten war aus der großen, weißen, luxuriösen Jacht ein in tausend Einzelteile zerfallenes, loderndes und rußendes Wrack geworden.

Nur einige hundert Meter von diesem Chaos entfernt – entstand ein neues.

Aus der Tiefe stieg ein riesiger Glutball, der mehrere hundert Meter durchmaß. Das Wasser schäumte, tote Fische und Algen wurden durch die Luft gewirbelt.

Unweit der Ereignisse um die auseinanderbrechende Jacht, in der sich die Dinge so schnell abgespielt hatten, dass der Funker nicht mal mehr einen Notruf absetzen konnte, schoben sich gewaltige Lavamassen aus der Tiefe des Meeres.

Steil und wie eine Rakete stieg eine Feuersäule senkrecht in den nächtlichen Himmel und erleuchtete die Szene im Umkreis von mehreren Seemeilen taghell.

Ein unterseeischer Vulkan schuf eine neue Insel. Aus Rauch und flüssiger Lava, die sofort zischend und sprudelnd zwischen den Wassermassen erstarrte, formte sich eine neue, winzige, leblose Welt ...

Leblos?

1. Kapitel

Lautlos und durch den günstigen Wind verhältnismäßig schnell glitt der Ballon am nächtlichen Himmel. Die Luft ließ die Außenhülle knattern und strich zischend um den Korb, in dem sich zwei Personen aufhielten.

Eine schlief. Das waren Susan Andrews, ein quirliges Halbblut, das als Jazzsängerin in einer zweitklassigen Bar in Honolulu auftrat und Mike Randok, ein stellungsloser junger Schauspieler, der sich auf der Suche nach einem Engagement die Hacken abgelaufen hatte.

Eines Tages hatten beide die Schnauze voll gehabt. Sie waren sich einig, dass ihnen eines fehlte, um groß zu werden: Die rechte Publicity!

So kamen sie auf die Idee, mangels guter Beziehungen und eines Mäzens, der sie unterstützt hätte, selbst etwas in dieser Richtung zu tun. Sie mieteten sich von einem Sportclub in Honolulu einen Ballon und ließen sich in die Kunst des Ballonfliegens einweisen. Zwei vollkommene Laien fassten den Entschluss, einen risikoreichen Ballonflug zu unternehmen, um ins Gespräch zu kommen.

Dies war die beste Methode, um ihre Namen in die Schlagzeilen der Presse und in die Nachrichten der Rundfunk und Fernsehstationen zu bringen. Ohne besondere Ausrüstung – nicht mal ein Funkgerät hatten sie bei sich – waren sie schließlich unter Rührung der Werbetrommel gestartet. Ihr Abflug von Honolulu war von zahlreichen Journalisten und Reportern kommentiert worden.

Was die beiden jungen Menschen planten, war mehr als ein Spiel mit dem Wagnis – es war purer Wahnsinn, der mit dem Tod des Paares enden konnte.

Mike Randok und Susan Andrews hatten sich vorgenommen, von Honolulu aus den Pazifischen Ozean auf eine eigene Weise zu bezwingen. Mit dem Ballon wollten sie die Clarion- und Clipperton-Grabenzone überqueren und schließlich auf der mehr als tausend Seemeilen entfernten, winzigen Malpeloinsel eine Landung vornehmen.

Ihr Weg über den Pazifik war genau vorgezeichnet. Unter Ausnutzung des Windes und einer geschickten Steuerkunst musste dieses risikoreiche Unternehmen sicher zu schaffen sein.

Mike Randok und Susan Andrews jedenfalls sahen das alles mit ganz anderen Augen als ihre Freunde, Verwandten und die vielen Fremden, die sie vor einer solchen Ballonfahrt gewarnt hatten.

Weniger als ein Drittel des Unternehmens lag hinter ihnen. Mike Randok war mit dem bisherigen Verlauf des Flugs zufrieden.

Sternklar und endlos breitete sich der Himmel über ihnen. Unter ihnen lag das Meer. Einsamkeit und Stille. So gab es sie wohl nirgends in der Welt.

Der junge Mann aus dem New Yorker Stadtteil Brooklyn, der als Zwanzigjähriger auf die Insel Hawaii verschlagen worden war, wo es ihm so gut gefiel, dass er von dort nicht mehr weg wollte, atmete tief die frische, klare Luft ein und ließ den Blick in die Ferne schweifen.

Er genoss die Stunden, die so einmalig waren, dass sie sich jeder Beschreibung entzogen.

Plötzlich veränderte sich Mike Randoks Gesichtsausdruck. Schnüffelnd wie ein Hund zog er die Nase hoch.

Brandgeruch!

Mikes erster Gedanke galt dem Ballon. Mit aufmerksamen Blicken suchte er die Hülle und das Innere des Korbes ab. Vielleicht hatte Susan eine Zigarette nicht richtig ausgedrückt, und nun fing das Ding an, Unheil zu stiften.

Aber er konnte nirgendwo in dieser kleinen, für ihn vollkommen übersichtlichen Welt das Glimmen eines Zigarettenstummels oder sich kräuselnde Rauchwolken entdecken.

Der Brandgeruch kam von draußen. Von unten herauf.

Die Luft trug von irgendwoher ...

Seine Gedankengänge stockten abrupt, und er hielt den Atem an, als er es entdeckte.

Dort – ein rotes Glühen mitten auf dem endlosen Ozean.

Ein Schiff – das war sein erster Gedanke. Es stand in Flammen.

Seine Muskeln und Sehnen spannten sich. Ein derart großes Schiff gab es doch gar nicht ...

Was für ein Feuer! Welche Glut! Mike Randok hatte das Gefühl, direkt in den Schlund der Hölle zu sehen.

Er wurde Zeuge eines Vulkanausbruchs auf dem Meer.

Der Geruch glühenden Gesteins ... Lava ... Qualm und Wasserdampf ...

Minutenlang war er von diesem schaurig-schönen Anblick derart gefesselt, dass er das Risiko für den Ballon überhaupt nicht erkannte.

Mike ging in die Hocke. Zusammengekauert wie eine schöne Katze lag Susan unter einer wollenden Decke. Sternenlicht spiegelte sich auf ihrem klaren, ebenmäßig gezeichneten Gesicht.

»Susan! Wach auf, Susan! Das musst du dir ansehen!«

Ein unwilliges Zucken spielte um ihre Lippen. Sie kniff die Augen zusammen. »Was ist denn, Mike?«, fragte sie verschlafen und hob nicht einmal die Augenlider.

»Direkt unter uns entsteht eine Vulkaninsel. Wir sind Zeuge der Geburt eines Eilands, von der zur Stunde auf der ganzen Welt noch niemand etwas ahnt.« Seine Stimme klang enthusiastisch.

Da schlug sie die Augen auf. Mike zog die Wolldecke von ihrem Körper. Susan trug enganliegende Shorts und einen ärmellosen, tiefausgeschnittenen Pulli. Ihre Haut hatte die Farbe von Sahnekaffee und war zart wie ein Pfirsich.

Ein rötlicher Schein spiegelte sich am Himmel über ihnen.

Der Brandgeruch war jetzt penetrant. Durch die Luft wehte heiße Asche, und sie waren plötzlich mitten drin!

Sie schwebten genau über der Stelle, wo die Feuerinsel wie ein urwelthaftes Ungetüm aus dem Pazifik auftauchte. Die Luft war erfüllt von dumpfem Grollen, die See unter ihnen aufgewühlt, ohne dass sich die Windsituation verändert hätte.

Susan umklammerte mit ihren schlanken Händen das dicke Tau, das rund um den Korb lief und starrte fassungslos in die Tiefe.

Gespenstisches Leuchten lag auf der See. Aus dem Schlund des feurigen Vulkans wurden riesige Brocken in die Luft geschleudert. Glühende Lava umschwirrte sie wie überdimensionale Hornissen.

»Mike!«, schrie Susan Andrews entsetzt auf. »Wir müssen weg hier!«

Unheimliches Donnern aus der Tiefe der See ließ die Luft erzittern und übertönte die Worte, die ihren Lippen entrannen.

Mike Randok wirbelte herum. Seine Hand lag auf dem Hahn der Gasdüse, die er blitzschnell aufdrehte. Damit war der Ballon steuerbar, und sie konnten genau den Kurs halten, den sie angegeben hatten.

Gerade für eventuelle Gefahrenmomente erwies sich diese Einrichtung als bedeutsam.

Doch seine Reaktion erfolgte zu spät.

Die Düse sprang an. Zischend entwich das Gas in die von Mike Randok gewünschte Richtung. Der Ballon wurde zur Seite gedrückt.

Da trafen die ersten Brocken wie Geschosse den Korb und die mit Helium gefüllte Ballonhülle.

Mehrere glühende Brocken zerfetzten die Halterungen und schlitzten die Hülle auf.

Sie fing Feuer. Wie eine Fackel loderte es über ihnen gegen den dunklen Nachthimmel.

Blitzartig sackte der Korb mit ihnen in die Tiefe, dem aufgewühlten Meer und der feurigen Vulkaninsel entgegen.

»Die Schwimmwesten an!« Mike Randoks Stimme überschlug sich.

In diesen Sekunden, da es um Tod und Leben ging, entwickelte er eine rasende Aktivität. Er bückte sich und warf seiner Freundin die Schwimmweste zu. Mit zitternden Fingern legte sich Susan das Rettungsstück an.

Wind pfiff ihnen um die Ohren. Rußteile umwehten sie, und schäumende Gischt flog ihnen aus der Tiefe entgegen, der sie sich mit ungeheurem Tempo näherten.

Panische Angst erfüllte die junge Jazzsängerin. Viele Gefahrenmomente hatten sie in Gedanken durchgespielt und schwerste Stürme und Gewitter einkalkuliert. Auch eine eventuelle Beschädigung der Ballonhülle. Mike war darauf trainiert, in kürzester Zeit Flicken anzubringen. Aber hier hätte auch das nichts mehr genutzt. Im Bruchteil eines Augenblicks war die gesamte Hülle über ihnen zerfetzt worden, wie eine Seifenblase geplatzt.

Susan klammerte sich an ihren Freund. »Was soll nun werden, Mike?«, fragte sie tonlos. »Wir haben keine Chance! Wir werden genau in diesen schrecklichen, glühenden Schlund stürzen ...«

Sie begann plötzlich zu weinen. Dann lief ein Zittern durch ihren Körper, sie schrie gellend auf und trommelte mit ihren Händen auf Mike Randok herum.

»Reiß' dich zusammen, Susan!«, reagierte er ebenfalls heftig, packte sie an den Schultern und schüttelte sie.

Doch Susan war nicht zu beruhigen. Sie gebärdete sich wie eine Wilde. »Wir werden sterben, kapierst du? Wir werden verbrennen! Ich will nicht sterben, Mike ... Ich will nicht ...«

Gellend hallte ihre Stimme in seinen Ohren.

Je näher sie dem flammenden Krater kamen, desto irrer reagierte sie. Rauch und Qualm lösten einen heftigen Hustenreiz in ihr aus. Ihre Augen tränten, und ihre Körper waren schweißbedeckt. Mehr als fünfhundert Meter hoch schleuderte der Vulkan das glühende Gestein. Die Brocken flogen zischend und dampfend über sie hinweg, knallten gegen den Korb, und einer fiel in dieser Sekunde sogar hinein. Das feste Geflecht zu ihren Füßen fing sofort Feuer. Flammen leckten darüber hinweg, züngelten an den Wandungen, und innerhalb weniger Sekunden brannte ein großes Loch in den Korbboden, so dass man durch die Öffnung das schäumende Meer sah.

Das Feuer fraß sich weiter wie ätzende Säure.

Den beiden Ballonfahrern blieb nichts weiter übrig als sich mit ihren Händen an den Korbrand zu klammern, um zu verhindern, durch das Loch in die Tiefe zu stürzen.

Aber ob so oder so – der Fall war durch nichts aufzuhalten.

Nochmals erfolgte ein schwerer Schlag gegen den Korb. Er wurde wie von einer Riesenfaust zur Seite gedrückt. Susan und Mike wurden wie lästige Insekten von der aufgewühlten, gewaltigen Natur durch die Luft gewirbelt.

Dann hatten sie die erste Berührung mit den schäumenden Wellen.

Sie tauchten ein und wurden von einer anderen heranrollenden Woge in die Höhe geworfen.

Dann gab es einen dumpfen, ruckartigen Schlag. Die Berührung mit einem spitzen Fels! Rundum tobten die Elemente und donnerte es aus dem Vulkankrater. Rauch beeinträchtigte das Atmen ... dann erfolgte der Aufschlag.

Mike und Susan klammerten sich aneinander. Durch die Gewalt des Aufschlags wurden sie aber wieder voneinander getrennt.

Susan flog durch die Luft. Mike blieb mit dem Fuß in dem zerstörten Korb hängen und wurde um seine eigene Achse gerissen. Er schrie gellend auf. Dann schlug er mit dem Kopf gegen einen Felsen und verlor das Bewusstsein. Schlaff und reglos blieb er liegen.

Rund zwanzig Meter von ihm entfernt kam Susan auf. Sie hatte Glück und landete halb im Wasser und halb auf dem leicht abfallenden Ufer.

Eine Welle spülte sie vollends ans Land.

Rauchschleier und zischender Dampf hüllten sie ein. Sie spürte die Vibration, die durch den Erdboden lief.

Susan atmete schnell und flach. Das Herz schlug wie rasend. Sie zitterte am ganzen Körper wie Espenlaub.

Sie lebte!

Ihr taten sämtliche Knochen weh, und sie hatte das Gefühl, durch eine Mangel gedreht worden zu sein. Und sie konnte nicht fassen, dass sie lebte.

Sie waren nicht in den flammenden Krater geschleudert worden. Susan registrierte es mit Erleichterung und einem Gefühl, dass doch eventuell alles gut werden könne.

Was sie verwunderte, war die Tatsache, dass in diesem Winkel der winzigen Insel kein glutflüssiger Strom den Hang herablief, der jenseits des Ufers begann.

Mit brennenden Augen starrte sie nach vorn.

»Mike?«, wisperte sie mit heiserer, kaum hörbarer Stimme. »Mike? Kannst du mich hören?«

Ihr Atem wurde langsamer, ihr Herzschlag beruhigte sich.

Minutenlang blieb Susan flach auf den Boden gepresst liegen.

Jetzt, nach dem Absturz, war sie plötzlich zu logischen Gedanken fähig. Ihre Angst steigerte sich nicht mehr länger. Eine seltsame Ruhe breitete sich in ihr aus, und es wurde ihr bewusst, dass hier etwas nicht stimmte.

Sie lag halb mit dem Körper im Wasser auf dem nackten Felsen. Das Gestein war glatt und wies normale Temperatur auf. Eine Insel, die aber gerade erst durch glühende Lava entstanden war, konnte unmöglich schon eine solche Konsistenz haben.

Susan tastete um sich. Der Boden war fest und gab nicht nach.

Sogar das Vibrieren hatte merklich nachgelassen.

Susan richtete langsam ihren Oberkörper auf. Aus der Höhe, inmitten der sie umschwirrenden Lavabrocken, die bis zu fünfhundert Meter in die Luft geschleudert worden waren, zwischen dem Rauch, dem Qualm, eingeschlossen in dem zerfetzten Korb, musste sie bei der Geschwindigkeit, mit der sich alles abgespielt hatte, irgendwie den Überblick und das Gefühl für die Realität verloren haben.

Wie konnte so etwas auch Realität sein?

Vielleicht war alles nur ein böser Traum ... Susan hoffte es inständig.

Von dem riesigen Krater war nichts zu sehen. Innerhalb weniger Augenblicke nach dem Aufschlag hatte sich das aufgewühlte, durch ein Seebeben in Bewegung geratene Meer beruhigt.

Wellen normaler Größe spülten an Land, auf denen Vulkanasche schwamm.

Der Himmel war schwarz und voller Rauchwolken, und kein Stern konnte diesen Mantel aus Qualm und Ruß durchdringen.

Ein dumpfes Grollen lief durch die Insel, verebbte und kehrte nicht wieder.

In der Dunkelheit sah Susan Andrews einen flackernden Widerschein. Sie schätzte, dass die Glut, die aus einem Spalt in der Insel zu kommen schien, etwa drei- bis vierhundert Meter von ihr entfernt lag.

Die Insel stieg wellenförmig an und schien hinter dem Glimmen einen steil aufragenden Felsen aufzuweisen.

Dies jedoch war mehr Vermutung. Die schwarze Qualmwand und der Wasserdampf rundum machten es unmöglich, dass sie sich über ihre nähere Umgebung genau informieren konnte.

Sie tastete den Felsboden rings um sich ab. Da machte sie eine weitere erstaunliche und völlig unlogische Entdeckung.

Diese Entdeckung widersprach allem, was sie eben erlebt hatte.

Der Fels war gar nicht nackt, wie sie zunächst angenommen hatte. Er war von einer dichten, grünblauen Moosschicht überwuchert.

Ihr Hirn fieberte.

Wie war so etwas nur möglich?

Sie fand dafür nur eine einzige Erklärung. Dieser Inselteil musste schon lange Zeit existieren. Zu dem winzigen Eiland hatte sich in diesen Minuten jedoch ein weiterer Teil hinzugesellt, geboren aus der glühenden Lava eines unterseeischen Vulkans. Das war hier in diesen Breiten keine Seltenheit. In diesem Winkel der Welt entstanden immer wieder winzige Vulkaninseln und verschwanden ebenso schnell auch wieder, ehe sie irgendwelche Flora oder Fauna tragen konnten.

Inseln, die auf keiner Karte der Welt verzeichnet waren, weil sie so schnell kamen und gingen, dass Wissenschaftler und Geologen keine Zeit fanden, sie zu untersuchen und Karten davon anzulegen.

Auf allen vieren kroch Susan in die Richtung, wo sie Mike Randok vermutete.

Dampfschleier hüllten sie ein. Immer wieder rief sie den Namen des Freundes. Doch es erfolgte keine Antwort.

Eine eisige Hand umkrallte das Herz der jungen Frau. Der Gedanke, dass Mike etwas zugestoßen sein könnte, ließ neue Furcht in ihr aufflackern.

Sich immer am Rand des Ufers haltend, schob sie sich Meter für Meter nach vorn.

Mike konnte – ebenso wie sie – nur in Ufernähe auf dem Boden aufgekommen sein.

Schließlich fand sie ihn.

Er lag in einer steinigen Bucht. Ein Teil des zerfetzten Korbs hing noch an seinem verdrehten Fuß.

»Mike!«, entrann es ihren zitternden Lippen.

Eilends kroch sie auf ihn zu.

Er lag mit dem Gesicht zum Boden. Vorsichtig drehte sie den reglosen Körper herum. Randoks Antlitz war zerkratzt und blutig. Sein Hemd war quer über der Brust vom Hals bis zur Hüfte aufgerissen. Ein breiter, blutiger Kratzer zog sich vom Oberarm bis zum Handgelenk.

Eine größere Verletzung konnte sie zu ihrer Erleichterung nicht feststellen. Sie tastete Mikes Puls und horchte sein Herz ab. Es schlug schwach und unregelmäßig. Aber er lebte. Das war die Hauptsache.

Es musste ihr gelingen, ihn aus der Bewusstlosigkeit zurückzuholen.

Sie waren hier auf diesem Eiland gefangen. Aber die Einsamkeit war weniger schlimm gemeinsam zu ertragen.

Susan schlug Mike mehrere Male mit der flachen Hand gegen die Wangen.

Mike begann nach einer Weile zu stöhnen. Er bewegte die Lippen und versuchte etwas zu sagen.

Aber es kamen nur unartikulierte Laute aus seiner Kehle.

Susan packte den Freund unter den Achseln und zerrte ihn vom ufernahen Rand hinüber zu einem flachen Fels, gegen den sie ihn lehnte.

»Mike. Komm endlich zu dir! Mike, kannst du mich hören?«

Unablässig rief sie ihn, schüttelte ihn dabei an den Schultern und schlug ihm gegen die Wangen.

»Du musst zu dir kommen, Mike! Wir hatten noch mal Glück, verdammtes Glück sogar. Ich weiß nicht, wie es geschehen ist, aber wir sind tatsächlich an einer Stelle heruntergekommen, wo es keine Lava gibt. Und wo uns der Lavastrom offenbar auch nicht erreichen kann. Dies ist vermutlich ein älterer Teil der Insel ...«

Sie war sich nicht sicher, ob er sie verstehen konnte. Aber das spielte auch keine Rolle. Sie musste einfach reden, um sich selbst Mut zu machen und um das Gefühl zu haben, mit jemand zu sprechen.

»Wir werden's schaffen, Mike. Sie werden uns finden. Dieser Vulkanausbruch kann einfach nicht unbemerkt geblieben sein. Außerdem ...«

Abrupt brach sie ab, hielt den Atem an. Ihr Herzschlag stockte.

Da war ein Geräusch. Ein Geräusch, das eigentlich nicht sein konnte, nicht sein durfte ...

Hinter dem Felsen, gegen den Mike Randok gelehnt saß, vernahm sie eine klare, silberhelle Stimme. Es war eine Frauenstimme. Die Frau lachte fröhlich, und Susan konnte jedes Wort verstehen, das sie zu einem noch unbekannten Begleiter sprach.

Eine andere Insel, nur knapp hundert Seemeilen vom Ort des Geschehens entfernt ...

Auch sie war auf keiner Karte der Welt verzeichnet. Sie lag inmitten der Clarion-Graben-Zone und war für die Menschen, die auf ihr lebten und sie sehen konnten, das Paradies.

Dieses Eiland war genau das Gegenteil jener Welt, auf die Susan Andrews und Mike Randok verschlagen wurden.

Hier gab es Blumen und Palmenhaine, und klarer, glatter Felsstrand wechselte mit schneeweißem Sand ab. Es gab Apfelsinen- und Zitronenwälder und große Felder, die von den Menschen bestellt wurden, die seit geraumer Zeit hier lebten.

Dies war Marlos, die unsichtbare Insel.

In einer romantischen Bucht brannte ein großes Lagerfeuer.

Da hatten sich Björn Hellmark und seine Freunde versammelt. An Metallstangen, die in das Lagerfeuer ragten, hingen große Fleischstücke. Es roch würzig und appetitlich nach Gegrilltem. Pepe saß mitten in der Runde unter ihnen. Er spielte Gitarre. Voll und wohlklingend kamen die Akkorde. Pepe spielte bekannte Lieder und sang dazu. Bengalisch war die Sprache, die er von Rani Mahay gelernt hatte. Er sang deutsch – Björn Hellmarks Muttersprache.

Es waren bekannte Lieder, die alle mitsingen konnten. Sie klangen durch die weiße, palmenumsäumte Bucht. In der Runde befanden sich alle, die zurzeit auf Marlos zu Hause waren.

Dazu gehörten Rani Mahay und Carminia Brado. Zu Marlos-Bürgern waren auch Alan Kennan und Camilla Davies geworden, ebenso Tina Marino und Anka Sörgensen. Der letzte im Bund war Jim, der Guuf.

Jeder hielt sich aus freien Stücken hier auf. Niemand war nach einiger Zeit, wenn er lange genug auf Marlos gelebt hatte, von Björn Hellmarks direkter Hilfe abhängig. Durch die Fähigkeit, auf Grund geistiger Kräfte den eigenen Körper an jeden beliebigen Ort der Welt versetzen zu können, verfügte jeder über eine außergewöhnliche Freiheit. Wann immer er es wollte, konnte er Marlos verlassen. Niemand würde es ihm verbieten.

Tina Marino und Anka Sörgensen machten davon Gebrauch.

Für sie war die Zeit des Abschieds gekommen.

»Es tut mir leid, dass ihr gehen müsst«, sagte Björn Hellmark, als die letzten Klänge von Pepes Gitarre verklungen waren. Er hatte sich erhoben. »Ihr seid uns eine große Hilfe gewesen. Besonders mir. Euch habe ich Carminias Leben zu verdanken. Das werde ich euch beiden nie vergessen. Und ihr wisst: wann immer ihr es wünscht – Marlos ist wie ein großes Haus, das euch immer offensteht. Ihr seid uns jederzeit herzlich willkommen.«

Anka und Tina lächelten. Die dunkelhaarige Norwegerin erhob sich. Sie reichte dem schlanken Hellmark gerade bis an die Schultern. »Marlos ist zu einem Teil unserer Heimat geworden, Björn. Das wissen wir. Und wir werden uns stets daran erinnern.«

»Von Anfang an stand fest, dass wir jedoch nur kurze Zeit bleiben würden«, schaltete sich Tina Marino ein. »Auf mich wartet meine Arbeit. Meine Produzenten sind es gewöhnt, dass ich manchmal, ohne ein Ziel anzugeben, irgendwo untertauche. Ich bin jedoch längst überfällig.«

»Und auf mich wartet Thor«, ließ sich Anka vernehmen. »Er weiß, dass ich hier bin. Das beruhigt ihn nach all den Dingen, mit denen er konfrontiert wurde. In vier Wochen wird meine Hochzeit sein. Ich würde mich freuen, euch alle dort begrüßen zu können.«

Die letzten Worte sprach sie leise und mit einer gewissen Trauer in der Stimme. Ihr Blick ruhte auf Jim, dem Guuf.

Jeder wusste, was in ihr vorging. Auch Jim hätte dabei sein sollen. Ihr hätte es nicht das Geringste ausgemacht. Aber die Menschen, die nichts von Kugelköpfen, von anders dimensionierten Welten und Paralleluniversen wussten, für die das Reich der Dämonen nur einer blühenden Phantasie entsprang – für die würde die Begegnung mit Jim einen Schock auslösen. Die Menschen waren noch nicht reif für ein solches Zusammentreffen.

Das wusste auch der Guuf.

Jim lachte breit. Sein kugelrundes Gesicht mit den großen Augen drückte Fröhlichkeit aus. Der dicke Kamm, der mitten von seinem kahlen Schädel bis hinunter zum Nacken lief, vibrierte leicht. Es war ein untrügliches Zeichen dafür, dass sich der Kugelkopf köstlich amüsierte. »Ich komm' dann zu der nächsten Hochzeit, Anka«, meinte er. »Bis dahin bin ich alt, und mir werden graue Haare gewachsen sein – und dann wird mich niemand so leicht erkennen.«

Sie stimmten in sein Lachen mit ein und waren froh, dass er die Dinge von der heiteren Seite sah. Sie alle wussten, dass einem Guuf niemals Haare wuchsen.

Die fröhliche Runde war noch geraume Zeit zusammen. Man aß und trank guten Wein. Die Insel war so ausgerichtet, dass die darauf lebenden Menschen völlig autark leben konnten. Aber die außergewöhnliche Bewegungsfreiheit, die alle genossen, sorgte dafür, dass sie ständig von jedem Punkt der Welt jede Art Speise und jedes Getränk erwerben und auf die Insel bringen konnten.

Anka und Tina verabschiedeten sich schließlich von jedem einzelnen. Dann verschwanden die beiden Frauen kurz hintereinander, als hätte es sie nie gegeben.

Björn seufzte. »So ist das Leben. Man begegnet sich und man nimmt Abschied voneinander. Und auch für uns, Rani, geht die Erholungspause auf Marlos zu Ende!«

Aus den Augenwinkeln nahm er die Bewegung wahr. Carminia Brado stand langsam vom Boden auf und lehnte sich an seine Schulter. Sie wusste, dass noch lange nicht die Zeit gekommen war, dass dieser Mann an ihrer Seite für immer auf der paradiesischen Insel weilen konnte. Die Bedrohung durch seine Feinde für ihn und für andere existierte nach wie vor. Nur sporadisch konnte Björn seinen Fuß auf die Welt setzen, die die Weisen aus Xantilon hinterlassen hatten.

Viele ungeklärte Fragen gab es zu lösen. Inmitten der Ereignisse um Oceanus, dem Geist der Schwarzen Wasser, und dem Zusammentreffen mit den Leichenpilzen, war Björn Hellmark noch einmal nach Marlos gekommen. Carminias Rückkehr hatte ihn dazu veranlasst, einige Tage zu bleiben.

Nun hieß es dort wieder anzuknüpfen, wo er Oceanus verlassen hatte, der sich auf der Suche nach seinem vor Jahrtausenden verschollenen Volk befand.

Gemeinsam mit Rani Mahay wollte Björn in den Unterseepalast zurückkehren und dort den Elefantenfuß in das Reich der Leichenpilze passieren, wo die Begegnung mit Dwahl, dem achten Priester des Molochos, zu einigen Veränderungen in der bisherigen Erscheinung dieser anders dimensionierten Welt geführt hatte.

Auf seiner Reise in das Meer, in das berüchtigte Bermudadreieck, das eindeutig ein Fenster in den Kosmos und in andere Dimensionen darstellte, sollte ihn nicht nur Rani begleiten, sondern auch Jim, der Guuf. Jim hatte von seinen Stammesangehörigen getötet werden sollen. Dies war von Björn vereitelt worden. Jims Tod wäre für die Feinde aus dem anders dimensionierten Reich ein einmaliger Erfolg gewesen, denn sie mussten befürchten, dass die Dinge, die Jim im Lauf seiner Entwicklung erkennen und erfahren würde, sich zum Nachteil für die Herrschaft der Dämonen und Geister auf der Welt auswirkten.

Der Aufgabenbereich für Camilla Davies und Alan Kennan war ebenfalls schon abgesprochen. Camilla würde am Morgen des nächsten Tages in der Nähe von London tätig werden, um dort zu einem medialen Forschungszentrum Kontakt aufzunehmen. Alan würde sie begleiten. Es kam darauf an, die unsichtbaren Feinde so schnell wie möglich zu erkennen und eine wirksame Waffe und Widerstand gegen ihr Auftauchen einzusetzen.

Carminia und Pepe waren ebenfalls bereit, gemeinsam außergewöhnlichen Wahrnehmungen und Phänomenen nachzugehen, die überall in der Welt gemeldet wurden. Sie wollten die Menschen darauf ansprechen, um herauszufinden, ob sie eventuell zu jenen gehörten, die sich daran erinnerten, das Blut der alten Rasse in ihren Adern zu haben.

Dann waren es Freunde. Und Freunde musste man suchen.