Macabros 029: Monstertürme - Dan Shocker - E-Book

Macabros 029: Monstertürme E-Book

Dan Shocker

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Beschreibung

Xantilon - Urkontinent aus der Asche Während Rani Mahay und seine Gefährten von dem Tauchboot der Ursen in den Mikrokosmos geschleudert werden, müssen sich Björn Hellmark, Carminia Brado und Pepe gegen die ersten beiden schwarzen Reiter der Apokalypta behaupten, die durch das Brechen der ersten beiden Siegel entstanden sind. Nur mit großer Mühe können sie den Angriff abwehren. Doch Björn weiß, dass er das Übel bei der Wurzel packen muss: Um weiteres Unheil zu verhüten muss der Thron des Dämonenfürsten Sequus mit den sieben Siegeln vernichtet werden. Aber Hellmark wird überwältigt und wird gezwungen mit anzusehen wie das dritte Siegel gebrochen wird. Daraufhin erscheint nicht nur der dritte Schwarze Reiter, sondern auch ein Teil Xantilons selbst. Björn Hellmark soll an einen Totempfahl gebunden sein Leben verlieren, wenn ein Teil des Urkontinents aus glühender Lava neu entsteht ... Die Monstertürme von Kh or-Shan Björn Hellmark und Rani Mahay untersuchen den neuentstandenen Teil Xantilons. Dabei bemerken sie, dass mittlerweile auch das amerikanische Militär eine Expeditions-Gruppe ausgesandt hat. Um einer Entdeckung zu entgehen fliehen die Freunde, werden aber kurz darauf von bizarren Monstertürmen angegriffen. Diese Wesen ziehen Björn und Rani in eine der mysteriösen Unterwasserstationen der Ursen. Dort findet Björn dank der Hilfe von Ranis kleinem Freund Whiss heraus, dass diese Monstertürme in Wirklichkeit gigantische Roboter sind. Doch wer hat sie erschaffen? Und zu welchem Zweck? Derweil wird auch ein Forschungsschiff angegriffen. Der Reporter Ted Morton entkommt nur knapp dem Zugriff eines Monsterturmes.

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DAN SHOCKERS MACABROS

BAND 29

© 2014 by BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Titelbildgestaltung: Mark Freier

Fachberatung: Gottfried Marbler

All rights reserved

www.BLITZ-Verlag.de

ISBN 978-3-95719-729-0

Dan Shockers Macabros Band 29

MONSTERTÜRME

Mystery-Thriller

Xantilon – Urkontinent aus der Asche

von

Dan Shocker

Prolog

»Wach auf! Wach auf! Der Tod ist unterwegs!«, sagte die Stimme in ihm. Klar und deutlich erfüllte sie sein Bewusstsein.

Das ist ein Traum, dachte der Mann. Er war so müde. Und er fühlte sich sicher. Ich bin auf Marlos, der unsichtbaren Insel. Dort droht mir keine Gefahr. So dachte Björn Hellmark.

Er sah den blauen, wolkenlosen Himmel über sich und hörte das sanfte Plätschern der Wellen gegen den weißen Sand.

Ruhe und Frieden umgaben ihn. Und ruhig und friedlich fühlte er sich innerlich ...

Aber nein!

Wie der Schatten eines Titans fiel es über den malerischen Strand, wo die Palmen leise im Wind rauschten.

Gefahr!

Doch das konnte nicht sein! Alles in ihm wehrte sich gegen einen solchen Verdacht. Marlos konnte niemals direkt bedroht werden. Diese Insel, verborgen im Unsichtbaren zwischen Hawaii und den Galapagos-Inseln, war tabu für die bösen Mächte, die ihm den Tod geschworen hatten.

»Du träumst, Björn«, sagte die Stimme eindringlich in ihm.

Sie kam ihm so vertraut vor, dennoch wusste er im Moment nicht, mit wem er sie in Verbindung bringen sollte. »Die Wirklichkeit sieht anders aus ... Apokalyptas schwarze Todesboten sind in deiner Nähe!« Die Stimme in ihm wurde zum Aufschrei, gleichsam schlug eine Alarmglocke an.

Im Schlafen bewegte er die Lippen, als wolle er der fremden Stimme antworten. Da fiel es ihm ein. Diese Stimme kam von Al Nafuur, seinem Vertrauten im Geist Xantilons.

Wie lange hatte er sie nicht mehr gehört. Und nun, unerwartet, machte sie sich bemerkbar, um ihn zu warnen.

Da verwischten die Bilder, die er eben noch wahrgenommen hatte und einfach hinnahm.

Der gigantische Schatten, bizarr und bedrohlich, als ob er von einem Berg herrühre, der in Wirklichkeit ein sich tarnendes Ungeheuer war und zum Leben erwachte und sich erhob, war die ihn bedrohende Gefahr, die ihn in diesen Sekunden umgab.

Wie ein Blitz, der das Dunkel spaltete, so zerschnitt seine Erkenntnis die ihn beunruhigenden Bilder und Gefühle.

Er schlug die Augen auf.

Dämmerung! Urwelthafter Dschungel ... Große Blätter eines fremdartigen Baumes über ihm.

An seiner Seite lagen auf dem Boden die völlig erschöpfte Carminia Brado und Pepe, sein Adoptivsohn!

Blitzartig fiel ihm alles wieder ein.

Sie befanden sich auf Kh'or Shan, dem geheimnisvollen Feuerland, von dem nur ein winziges Teilstück in die Welt der dritten Dimension ragte. Kh'or Shan war endlich und doch endlos ...

Unbekannte Welten lagen hinter einem milchigen, als Nebel getarnten Dimensionsvorhang, von denen er nichts wusste und über die er doch erstaunlicherweise eine Ahnung hatte ...

In seinem ersten Leben als Kaphoon der Namenlose, der Sohn des Toten Gottes, war er schon mal auf dieser Welt gewesen. Hier hatte sich ein Teil eines bisher unbekannten Schicksals erfüllt, hier war er mit der Frau, die er liebte, vor zwanzigtausend Jahren schon mal zusammengetroffen.

Die Flucht vor den Feuerbestien und den Ursen, die in diesem Teil der unsichtbaren Welt eine große und bemerkenswerte Rolle spielten, hatten ihn hierher in diesen undurchdringlichen Dschungel verschlagen. Erschöpft waren sie in unmittelbarer Nähe dieses urwelthaften, riesigen Baums zusammengebrochen und auf der Stelle eingeschlafen.

Aber die Verfolger gaben nicht auf.

Björn Hellmarks Körper schnellte empor.

Die warnende Stimme im Traum hatte die Wahrheit gesprochen.

Das Blattwerk vor ihm teilte sich. Eine große, schwarze Gestalt stand wie eine unüberwindliche Mauer vor ihm.

Es war ein schwarzer Ritter! Seine matte, nachtdunkle Rüstung hüllte ihn vollkommen ein. Sie umschloss seine Zehen und Fingerspitzen. Das herabgeklappte Visier verbarg das Gesicht des Unbekannten.

Da gab es keine Sekunde mehr zum Überlegen.

Der Feind, der ihm als einer der sieben Todesboten der geheimnisumwitterten Apokalypta bekannt war, riss blitzschnell seine Waffenhand empor.

In der Rechten hielt er wie durch Zauberei ein langes, breites Schwert, das zischend die Luft teilte.

Dann sauste es auf Björn Hellmark herab!

Leblos?

1. Kapitel

Sie blieben dicht hinter ihm.

Conchita Funchal und Capitano Montez aus Marbella hätten sich nie träumen lassen, in eine Situation wie diese zu geraten.

Die Welt stimmte für sie in allen Ecken und Winkeln nicht mehr.

Die drei Menschen befanden sich im U-Boot einer dämonischen Rasse, die Rani Mahay mit dem Namen Ursen bezeichnet hatte.

Dank des entschlossenen Eingreifens des glatzköpfigen, sympathischen Inders hatten sie die bisher auf sie zukommenden Schwierigkeiten gemeistert. Rani Mahay wollte alles daransetzen, die prekäre Situation, in der sie sich doch nach wie vor befanden, zu verbessern. Sein Ziel war es, eine Möglichkeit zu finden, dieses Schiff und seine Besatzung zum Auftauchen zu zwingen, und sie alle dorthin zu bringen, woher sie gekommen waren.

Conchita Funchal, jung, hübsch und schwarzhaarig, wirkte sehr ernst, aber gefasst. Capitano Montez, der bisher in Rani den Widersacher und Mörder von Professor Bert Merthus vor sich zu haben glaubte, war in der Zwischenzeit eines Besseren belehrt worden. Dieser Mann war keineswegs sein Feind. Es waren andere. Mit deren Anwesenheit auf der Erde musste man sich, zunächst jedenfalls, abfinden.

Sie erreichten das Ende des langen, metallenen Korridors.

Rani Mahay verhielt im Schritt. Er wollte seinen beiden Begleitern etwas zuflüstern, als er im Ansatz des Sprechens innehielt.

Schritte erklangen!

Rani begegnete den ängstlichen Blicken seiner beiden Begleiter. Der Inder presste sich mit dem Rücken fest an die glatte Metallwand und harrte der Dinge, die da kommen sollten.

Sie kamen in der Gestalt eines Ursen, dessen nackte, mit Schwimmhäuten versehenen Füße auf den glatten Boden klatschten. Der Fremde aus einer anders dimensionierten Welt war so groß wie ein Mensch. Sein schuppiger Körper glänzte gräulich-grün. Der Fischkopf auf dem kurzen, gedrungenen Hals war geradeaus gerichtet. Starr und kalt glitzerten die hervortretenden Fischaugen.

Der Urse trug kein Kleidungsstück auf der Haut und tarnte sich auch nicht mehr als Mensch. Das hatten sie hier im Innern des Tauchbootes nicht nötig.

Für den Fremden aus der anderen Welt kam die Gefahr wie der Blitz aus heiterem Himmel.

Er rechnete nicht mit dem Angriff. Rani Mahay warf sich nach vorn. Die Tatsache, dass der Urse offensichtlich allein den Korridor passierte, veranlasste den Inder, das Ruder in die Hand zu nehmen.

Er schlang seinen linken Arm um den schuppigen Hals und presste seine Rechte gleichzeitig auf das sich öffnende Fischmaul. Erstickte somit den Aufschrei des Überfallenen im Keim.

»Keinen Laut«, raunte der Inder dem Ursen zu. »Es wird dir nichts geschehen, wenn du vernünftig bist. Ich zögere aber keinen Augenblick, dich auf der Stelle zu töten, wenn du uns Schwierigkeiten machst.«

Die Linke, mit der er den Hals des Ursen umklammert hielt, rutschte in die Tiefe, in Gürtelhöhe des dämonischen Widersachers. Der trug einen etwa vier Zentimeter breiten, aus elfenbeinfarbenem Geflecht bestehenden Gürtel, in dem mehrere Messer eingehängt waren.

Eines davon riss Rani Mahay blitzschnell heraus und drückte die Spitze genau zwischen die Schulterblätter des Ursen, der steif wurde, als ob jegliches Leben aus seinem Körper weiche.

Er empfand Angst!

Rani dirigierte den Feind in den Korridor, wo Conchita Funchal und Capitano Montez atemlos standen.

»Beim geringsten Geräusch ist es mit dir aus!« Rani Mahays Stimme klang entschlossen und eiskalt.

Er musste konsequent sein. Ihr aller Leben stand auf dem Spiel. Die Ursen würden keine Gnade kennen, wenn sie ihnen erneut in die Hände fielen. Nach wie vor waren sie im eigentlichen Sinn Gefangene der Unheimlichen und hielten sich an Bord eines Schiffes auf, von dem sie nicht wussten, wohin es sie brachte.

Rani löste auch die anderen vier dolchartigen Waffen aus dem geflochtenen Gürtel, reichte je eine an Capitano Montez und Conchita weiter und steckte die beiden anderen in seinen eigenen Gürtel.

Mit einem Blick vergewisserte sich Rani, dass der breite Gang jenseits des Korridors, aus dem sie gekommen waren, einer von vielen Knotenpunkten war, von dem aus man andere Etagen und Gänge des Tauchbootes erreichen konnte.

Nach dem nicht ganz planmäßig verlaufenen Spiel schien es an Bord einige Verwirrungen und Ratlosigkeit zu geben. Nur diesem Umstand, das fühlte Rani instinktiv, war es offensichtlich zu verdanken, dass sie bisher mit heiler Haut davonkamen.

Die Begegnung mit dem Ursen konnte ein entscheidender Schritt für ihr Weiterkommen sein. Rani drückte den Fischmensch mit dem Rücken gegen die Wand. Er hielt ihm den Dolch an die Kehle.

Die hervorquellenden Augen des anderen flackerten unruhig.

»Was ist das für ein Schiff?«, wollte Rani wissen.

Er fasste sein Gegenüber fest ins Auge. Er wollte sich in diesen Minuten ganz auf die Begegnung mit diesem Geschöpf konzentrieren. Deshalb gab er Conchita Funchal und Capitano Montez den Auftrag, den großen Gang außerhalb des Korridors mit den zahlreich sich verzweigenden Wegen und Gängen im Auge zu behalten und ihm jede Bewegung und Veränderung zu melden.

Der Urse antwortete nicht auf Ranis Frage.

Der verstärkte den Druck mit dem Messer. »Wir sollten uns unterhalten«, stieß er hervor. »Ich habe nicht viel Zeit. Rede!«

Der Urse schluckte heftig. Sein Adamsapfel hüpfte unter dem Messer auf und ab.

»Es ist ein Tauchboot der Ursen«, entrann es wispernd seiner Kehle.

»Dass wir nicht auf einer Barke der Elfenkönigin segeln, habe ich auch schon bemerkt«, entgegnete Rani Mahay heiser. »Ich will genauere Angaben! Was geht hier vor? Weshalb entführt ihr oder lasst ihr Menschen entführen, um sie schließlich mitten aufs Meer zu bringen?«

»Sie werden eingetauscht ...«

»Gegen wen?«

»Gegen Ursen. Wir müssen die Dämonengötter gewogen stimmen. Wir geben ihnen, was sie von uns verlangen und erhalten, was wir erwarten.«

Der Urse berichtete stockend. Die Drohung, die Rani Mahay ausgesprochen hatte, schüchterte den anderen ein.

Der Inder ließ sich das seltsame Tauschgeschäft zwischen Ursen und Dämonengötzen näher erklären.

»Utosh-Melosh-Orsh und Nh'or Thruu haben entscheidende Bedeutung bei der Abwicklung der Vorgänge«, fuhr der Urse fort. »Ihr Einfluss ist maßgebend dafür, dass Angehörige meines Volkes in großer Anzahl in dieser Welt Eingang finden können, denn eine Vermehrung in dieser Dimension ist ausgeschlossen für uns. Hilfe und Unterstützung erhalten wir nur aus der Welt, die unsere Wiege war ...«

»Und was ist das für eine Welt?«

Rani Mahay hatte zum ersten Mal das Gefühl, das Tor zu dem Geheimnis der Ursen weit aufzustoßen. Bisher war es unmöglich gewesen, eines dieser gefährlichen und darüber hinaus doch so scheuen Wesen in ein Gespräch zu verwickeln, das für das weitere Schicksal der Menschheit unbedingt notwendig war.

»Es ist die Welt des Kleinen ...«, erwiderte der andere.

»Die Welt des Kleinen«, wiederholte Rani murmelnd. Es lief ihm eiskalt über den Rücken. Er begriff, was der Urse damit sagen wollte. »Ihr meint damit die Welt des mikroskopisch Kleinen, nicht wahr?«

»Ja. Dort steht unsere Wiege. Wir können aus der Mikrowelt nur eingeschleust werden, weil Utosh-Melosh-Orsh und Nh'or Thruu die Voraussetzungen dafür schaffen. Und dafür wollen sie Menschen!«

Mitten hineingeworfen in diese Ereignisse ahnte er bereits, welche ungeheuerlichen Zusammenhänge zwischen der Welt des Kleinen und des Großen bestanden.

Aber dies war erst der Anfang einer Spur, die in vollkommen neue Gefilde führte.

Er sprach den Ursen auf die Tatsache an, dass das Volk der Fischmenschen offensichtlich eine ganz unterschiedliche Entwicklung durchgemacht hatte. So gab es beispielsweise an Bord Untertanen des Ursenkönigs Sequus, die nur mit Messer, Pfeil und Bogen oder Lanzen bewaffnet waren – während andere in schnellen, sich fast lautlos bewegenden Flugschiffen durch die Lüfte eilten. Diese Schiffe verfügten über Antriebe, die den heute bekannten irdischen Raketen um ein Vielfaches überlegen waren.

Zwei vollkommen verschiedene Welten waren hier dennoch eine einzige.

»Wie ist das zu verstehen?«

»Ganz einfach«, erhielt er zur Antwort. »Alle Ursen haben ein einziges Ziel: sie wollen sich mit Sequus vereinen, der auf Kh'or Shan auf sie wartet. Seine Stunde ist gekommen. Die bisher eingeschleusten Armeen und Stämme müssen verstärkt werden. Die Schrift sagt, dass in der Zeit des großen Kampfes alle Stämme, alle Ursen, eine einzige Gemeinschaft bilden werden. Und dies erfüllt sich von Stunde an. Beim Austauschen von Menschen gegen Angehörige meines Volkes prallen außergewöhnliche und ungeahnte Kräfte zusammen. Bei dieser Gelegenheit geraten die Zeitebenen und Dimensionen in Unordnung. Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft werden in Bewegung gesetzt. Allen Ursen ist ein Trieb eigen, einmal unter die Augen Sequus zu treten, der es verstanden hat, die Wasser zu teilen und sich in die Lüfte zu erheben, frei wie ein Vogel. Rha-Ta-N'my, die große Urmutter, war ihm dabei Vorbild und Helferin zugleich. Wenn sich die Kräfte entfalten, wenn Utosh-Melosh-Orsh und Nh'or Thruu die Barriere niederreißen, strömen die Kräfte zusammen. Aus allen Ebenen und Zeiträumen treffen sich die Ursen. Sie sind Geschöpfe eines Vaters. Sie wollen diesen Vater sehen. Ob sie aus der Vergangenheit stammen oder aus der Zukunft. Für sie gibt es keinen Unterschied. Nur du, mit deinen menschlichen Augen, nimmst diesen Unterschied auf deine Weise wahr. Alle, die hierherkommen, um nach Kh'or Shan einzugehen, von wo aus der große Sturm erfolgen wird, vereinen sich. Und jeder Kämpfer – ob er mit einem perfekten Flugboot über den aufgewühlten Ozean jagt oder einen der fliegenden Fische als Reittier benutzt und eine Lanze als Waffe, was hat das schon zu sagen? – jeder einzelne will nur ein einziges Ziel erreichen. Sequus' Herrschaft sichern und all die Bedingungen schaffen, die in der Welt des Kleinen herrschen ...«

Ein weiteres Bild reihte sich in das Mosaik dieses rätselhaften Volkes und erweiterte Rani Mahays Vorstellungen von ihm.

Aber da war noch mehr.

Der Inder musste an die fliegenden Kuppelstädte denken, die auftauchten, als einige entführte Menschen in einem Lichtsog in der Welt des Kleinen wahrscheinlich für immer verschwanden.

Bei dieser Gelegenheit tauchten die Kuppeln auf, die von dem roten Lichtstrahl der Ursenflugschiffe sofort angegriffen und vernichtet wurden. Eine der fliegenden, zerstörten Kuppelstädte war gemeinsam mit ihnen – Capitano Montez, Conchita Funchal und Rani Mahay – in ein Abfallbecken des Tauchschiffes der Ursen geraten. Ehe eine ätzende Säure den gesamten Unrat verflüssigte, hatte Rani die Gelegenheit benützt, einen Blick in die völlig in Schutt und Asche gelegte Stadt zu werfen.

Dabei stieß er auf ein seltsames, wie aus Glas durchsichtiges Skelett eines Geschöpfes, das sowohl über Arme und Beine als auch über Flügel verfügte.

Dieses Wesen war vermutlich nicht größer als dreißig oder vierzig Zentimeter gewesen.

»Was für eine Bedeutung haben sie? Wo kommen sie her?« Rani Mahay ließ sein Gegenüber nicht aus den Augen.

Der Dialog war bisher günstiger verlaufen, als er es selbst für möglich gehalten hätte. Manchmal war es eben doch notwendig, ein Risiko bis ins Letzte auszukosten, um zum Erfolg zu kommen. Im Prinzip hatten sie alle auch hier nichts zu verlieren. Sie konnten jetzt nur noch gewinnen. Da mussten sie hart bleiben und jedes Wagnis auf sich nehmen.

Schweigen ...

Auf die fliegenden Kuppelstädte und die geheimnisvollen, zum Skelett gewordenen Fremden angesprochen, tat der Urse, als ob er nichts verstanden hätte.

»Das Messer ist immer noch scharf genug. Daran möchte ich dich erinnern ...«

»Ich weiß nichts«, stieß der Urse plötzlich hervor. In seinem starren, bisher völlig regungslosen Gesicht begann es plötzlich nervös zu zucken.

»Wer sind die anderen, die ihr so empfindlich bekämpft?«

»Ich weiß nichts von ihnen ...«

»Aber auch dir werden die Kuppelstädte nicht entgangen sein?«

»Nein. Aber ich kenne den Namen jener nicht, die uns beim Austauschen stören.«

Die Stimme des Ursen zitterte. Rani Mahay stellte seine Frage noch mehrere Male und verstärkte auch den Druck des Dolches an der Kehle seines Feindes. Wusste der andere wirklich nichts – oder schwieg er beharrlich, weil er hier offensichtlich an einer ganz empfindlichen Stelle getroffen worden war?

Rani konnte das nicht klären. Er wurde jedoch das Gefühl nicht los, dass es sich offensichtlich um etwas Bedeutungsvolles handelte.

Er ließ das Thema schließlich fallen und wendete sich einem anderen Problem zu.

Er wollte Näheres wissen über Aufbau und Organisation des Tauchbootes, das die Form eines riesigen Haifischs hatte und weiter lautlos in unbekannte Tiefen absackte.

Er erfuhr, dass sie sich in diesem Bezirk des Schiffes an einem Ort aufhielten, der kaum oder nur wenig von Patrouillen kontrolliert wurde. Eine Etage tiefer oder höher war dies schon etwas anderes.

Die Kommandozentrale befand sich drei Etagen höher. Dort hielt sich Tequosh auf, der das Kommando über das Schiff hatte.

Rani Mahay ließ sich den Weg genau beschreiben, und noch mehr.

»Welche Waffen gibt es an Bord?«

Der Urse zählte sie auf, angefangen vom Dolch über Pfeil und Bogen, Lanze und einfache Handfeuerwaffe. Dann kamen moderne Strahlengeräte, mit denen man ganze Häuser- und Straßenzüge auf Knopfdruck in Schutt und Asche verwandeln konnte.

»Gibt es auch Bomben an Bord?«, wollte Rani wissen.

»Ja.«

»Dann führst du uns jetzt erst dorthin«, reagierte der Inder sofort. »Je kürzer der Weg, desto besser für dich. Kein Umweg ...«

Rani Mahay wollte mit einigen erbeuteten Bomben in die Kommandozentrale eindringen und dort das Auftauchen des Ursenschiffes erzwingen.

»Das Ganze wird niemals so funktionieren, wie du dir das vorstellst«, bemerkte der Fischmensch mit belegter Stimme. »In wenigen Minuten ist alles vorbereitet, um einen neuen Austausch vorzunehmen. Alle, die an dem Herbeischaffen von Menschen beteiligt waren, sehnen diesen Augenblick herbei. Es sind noch einige Opfer an Bord, die den Übergang nicht schafften, als es zu dem Zwischenfall kam ... Auch ihr könnt nicht verhindern, was geschehen wird. Daran ändert auch nichts die Tatsache, dass ihr mich in eurer Gewalt habt. Man wird uns entdecken – über kurz oder lang. Dann wird es keine Gnade geben. Weder für mich noch für euch ...«

Rani Mahays Lippen wurden zu einem schmalen Strich in seinem angespannten, braunen Gesicht. »Dann sorge du dafür, dass alles seine Richtigkeit hat. Wenn es um dein eigenes Leben geht, wird dir sicher auch etwas einfallen ... und nun kannst du deine bequeme Lage aufgeben. Geh' uns immer voraus! Und führ' uns nur den Weg, den ich von dir verlangt habe, die Waffenkammer und dann die Kommandozentrale. Wenn es zu einem Zwischenfall kommt, dann steht unser Leben auf dem Spiel. Bevor wir jedoch sterben, wirst du uns vorausgehen.«

Rani Mahay wusste, dass er mit dieser Drohung eine für sie größtmögliche Sicherheit schuf. Es gab da eine Vermutung, die besagte, dass die Ursen nichts mehr fürchteten als den Tod.

Das konnte nur bedeuten, dass sie um etwas wussten, was danach kam, das viel schrecklicher war, als der Tod selbst ...

Es blieb ihm nur eine Zehntelsekunde zu reagieren.

Björn Hellmarks Muskeln spannten sich. Ruckartig warf sich der junge Deutsche auf die Seite.

Keine Sekunde zu früh.

Das gewaltige Schwert krachte nieder auf die Stelle, wo er noch eben gelegen hatte. Die massive, breite und rasiermesserscharfe Klinge drückte sich tief in den weichen Boden. Frisches Blattwerk und dünne, am Boden liegende Zweige wurden augenblicklich gespalten.

Es ging um Leben und Tod.

Björn Hellmark riss, noch während er auf die Seite rollte, sein Schwert empor.

Gerade zur rechten Zeit. Der schwarze Ritter reagierte blitzschnell, riss sein Schwert aus dem weichen Boden und warf sich Björn Hellmark entgegen.

Da knallte das Schwert des Toten Gottes gegen die Klinge des Gegners. Es gab einen singenden, hellen Laut. Funken sprühten.

Björn gelang es, das gewaltige Schwert herumzudrücken und sich gleichzeitig aus der Hocke emporzuschrauben.

Krachend schlugen die Schwerter zusammen.

Ein unbarmherziger Kampf bahnte sich an.

Der Fremde in der schwarzen Rüstung umklammerte mit beiden Händen den Griff seiner Waffe. Hart und kraftvoll erfolgten seine Schläge. Er war ein Kämpfer, der mit dieser Waffe umzugehen verstand.

Björn, mit seinem Schwert ebenfalls vertraut, war in den ersten Minuten nach dem Wachwerden noch wie benommen.

Nur langsam fand er zu seiner gewohnten Form zurück. Die Strapazen, die hinter ihm lagen, hatten ihre Spuren hinterlassen.

Zischend teilten die schweren Klingen die Luft. Blattwerk und Äste, die zu tief herabhingen, wurden kurzerhand gekappt.

Kampflärm erfüllte die Luft. Der bewirkte, dass Carminia Brado und Pepe erwachten.

Im Augenblick war es Björn Hellmarks Ziel, diesen schwarzen Ritter so weit wie möglich von seinen beiden Begleitern wegzulocken, um nicht auch diese noch in tödliche Gefahr zu bringen.

Doch so einfach war das nicht.

Wie durch Zauberei tauchte auf der anderen Seite des Buschwerks eine zweite schwarze Gestalt auf.

Ein neuer Todesbote der geheimnisumwitterten Apokalypta!

»Hierher!«, brüllte Björn Hellmark. Er musste seine Taktik ändern.

Nun gerieten auch noch Carminia und Pepe in Gefahr, von dem zweiten auftauchenden schwarzen Ritter attackiert zu werden.

Björn sprang nach vorn. Es gelang ihm, die schwere Hieb- und Stichwaffe seines Gegners zurückzuschlagen und ihm selbst zwei, drei empfindliche Hiebe zu versetzen. Hohle, dumpfe Geräusche entstanden. Durch Gesten und Zurufe schaffte der Deutsche es, dass Carminia und Pepe hinter ihm zu stehen kamen und er sie in seinen Verteidigungskreis mit einbeziehen konnte.

Mit einem vierten, entscheidenden Hieb gelang es endlich, den zuerst aufgetauchten Gegner zu Boden zu schicken. Mit voller Wucht traf das Schwert des Toten Gottes in die Rüstung. Er konnte sie nicht durchschlagen. Aber die Gewalt seines Ansturms war stark genug, um dem anderen die Füße unter dem Leib wegzureißen.

Doch da war schon der zweite!

Es gab keine Zeit zum Verschnaufen. Wie ein Schatten teilte der Schwarze das Blattwerk der Büsche. Er sprang von der Seite her auf den blonden Kämpfer zu. Der parierte den Angriff gerade noch rechtzeitig und konnte auch dessen Schwert zurückschlagen.

Schweiß perlte auf Björn Hellmarks Stirn. Der Kampf kostete viel Kraft. Es war erstaunlich, mit welcher Beweglichkeit und Stärke die beiden schwarzen Unbekannten diese Auseinandersetzung führten. Björn Hellmark hatte im wahrsten Sinn des Wortes alle Hände voll zu tun.

Der andere, der kurz zu Boden gefallen war, sprang wieder auf. Nun hatte er es mit zwei Gegnern zur gleichen Zeit zu tun.

Björn wirbelte herum, um die Schläge zu parieren und zu verhindern, dass ihn die rasiermesserscharfen Klingen trafen.

Er wurde zurückgedrängt.

Björn Hellmarks Gesicht verzerrte sich vor Schmerz.

Das Schwert des zweiten Ritters streifte seine Schulter, zerriss Björns Hemd. Die rasiermesserscharfe Klinge ritzte seine Haut.

Björn Hellmark kämpfte unerbittlich und verbissen weiter. Seine beiden Gegner schienen, im Gegensatz zu ihm, ständig stärker zu werden. Er konnte sie sich vom Hals halten, aber es war nur noch eine Frage der Zeit, bis seine Kräfte aufgebraucht waren und er ihnen nachgeben musste.

Warum erlahmten sie nicht?

Jeder Körper aus Fleisch und Blut zeigte nach einer starken Belastung mehr oder weniger große Müdigkeit. Das war natürlich. Unnatürlich war es, wenn trotz stärkster Belastung ein Körper immer mehr Ausdauer und Kraft entwickelte.

Nur dämonischen Wesen, die nicht wirklich lebten, die auf der Ebene mit Untoten standen, waren solche Möglichkeiten eigen.

Björn wurde in die Enge getrieben und kämpfte verzweifelt. Mit dem Rücken stand er gegen den mächtigen Baum und parierte die Hiebe. Seine Waffenhand arbeitete wie ein Dreschflegel. Die Kräfte schwanden. Er merkte, wie er langsamer wurde ...

Da gelang es ihm, noch mal alle Kraft zusammenzunehmen und in einen Hieb zu legen. Mit voller Wucht schlug er zu. Er traf das Schwert des einen Gegners voll. Die Spitze des Schwertes des Toten Gottes verhakte sich im Griff seines Widersachers. Ruckartig riss Björn Hellmark seinen Waffenarm hoch. Der andere konnte den Griff nicht mehr länger umspannen. Die Waffe wurde ihm mit voller Wucht aus der Hand gerissen. In hohem Bogen flog die Waffe durch das Blätterdach und verschwand im Buschwerk.

Mit einem Tritt beförderte Björn den entwaffneten Gegner nach hinten.

Der Fremde in der schwarzen Rüstung schlug dumpf zu Boden.

Da war schon der andere Gegner heran.

Björn Hellmark konnte sich gerade noch bücken. Die Spitze des Schwertes bohrte sich mehrere Zentimeter tief in das harte Holz des Baumstammes. Bei der Wucht des kraftvoll ausgeführten Hiebs wäre Björn Hellmarks Kopf gespalten worden.

Björn wirbelte herum. Er wollte sich auf den schwarzen Ritter stürzen und ihm das Visier vom Kopf reißen, um zu sehen, wer sich darunter verbarg.

Die Dinge überstürzten sich.

Ebenso kraftvoll, wie der Gegner seine Waffe in den Stamm gebohrt hatte, riss er sie wieder heraus. Ein großer Splitter löste sich und fiel direkt vor Björn Hellmarks Füße.

Magische Kräfte wurden aktiviert, dämonischer Geist wirksam.

Der Gegner, den er zu Boden geworfen hatte, stand wieder auf den Beinen. Wie durch Zauberei, an unsichtbaren Fäden herbeigezogen, löste sich das große, schwarze Schwert aus dem Buschwerk, kehrte in hohem Bogen den Weg zurück und landete in der Hand seines Besitzers.

Und wieder hatte Björn Hellmark es mit zwei Gegnern zu tun.

Er war in Schweiß gebadet. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis er diesen Kampf aufgeben musste. Mit dem Schwert des Toten Gottes, das weißmagische Kräfte besaß, konnte er zunächst noch das Schlimmste verhüten.

»Flieht!«, stieß er hervor. Damit meinte er Carminia und Pepe. Die befanden sich außerhalb des Gefahrenbereiches. Die beiden Schwarzen hatten sich nur auf ihn konzentriert. Sie wussten, wenn er fiel, hatten auch seine beiden Begleiter keine Chance mehr.

Da traf ihn der erste Hieb. Das Schwert des einen Gegners erwischte ihn nicht mit der Schneide, sondern mit der Breitseite. Björn Hellmark hatte noch mal Glück. Er stürzte. Auf dem Boden liegend wehrte er die Angriffe seiner Widersacher ab.

Das alles verlängerte nur, was er schließlich doch nicht verhindern konnte.

»Flieht!«, rief Björn abermals. Aus den Augenwinkeln nahm er wahr, dass Carminia und Pepe nur wenige Schritte weiter zurückgewichen waren und sich hinter dem Buschwerk verbargen. »Wartet nicht länger! Ich kann sie nur noch kurze Zeit aufhalten ...«

Während er dies sagte, versuchte er gleichzeitig seinen Doppelkörper Macabros zu aktivieren. Damit konnte er eine Waffe einsetzen, die ihm half, diese prekäre Situation zu meistern. Doch wiederum gelang es ihm nicht. Je tiefer er in das Hinterland der geheimnisvollen Insel Kh'or Shan eindrang, desto mehr schien er Fähigkeiten zu verlieren, über die er zuvor noch verfügt hatte.

Da waren sie über ihm.

Björn Hellmark konnte den Hieb des einen zurückschlagen. Doch der andere nutzte seinen Sturz und seine Hilflosigkeit, ihn auszuschalten.

Das Schwert sauste herab.

Es war Björn Hellmark in dieser Sekunde unmöglich, sich auch nur wenige Zentimeter nach rechts zu rollen.

Sein Bewegungsspielraum war äußerst eingeschränkt.

Todesgefahr!

Da griff Pepe ein. Bewusst oder unbewusst, das ließ sich später nicht mehr sagen, und es war auch unerheblich. Die parapsychischen Fähigkeiten des Jungen wirkten sich aus.

Es schien, als würden zwei riesige, unsichtbare Hände in das herabsausende Schwert greifen, es in der nach unten führenden Bewegung herumdrücken und mit außergewöhnlicher Kraft verbiegen.

Die Spitze der Waffe wurde nach oben gedrückt, die ganze Klinge mehrfach in sich selbst verbogen, so dass sie aussah, als ob sie zwischen zwei blitzschnell sich drehende Metallräder geraten wäre.

Im Augenblick größter Furcht und Ratlosigkeit arbeitete Pepes Unterbewusstsein mit einer Stärke, die er später nicht mehr rekonstruieren konnte.

Auch das Schwert des zweiten schwarzen Ritters wurde durch die unsichtbaren Kräfte angegriffen. Es sah seltsam verdreht und verwickelt aus.

Björn Hellmark erkannte die Chance.

Und er zögerte keine Sekunde, die Situation, die für ihn schon so ungünstig aussah, doch noch zu ändern.

Er zog die Beine an und stieß sie blitzschnell nach vorn.

Mit dem rechten traf er einen Gegner, mit dem linken den anderen. Beide taumelten nach hinten. Die Tatsache, dass ihre schwarzen, langen Schwerter verbogen und unbrauchbar waren, irritierte sie. Björn Hellmark nutzte die Verwirrung.

Er kam auf die Beine und warf sich nach vorn, auf den rechten seiner beiden Gegner, der ihm am nächsten lag.

Der andere lief davon. Er tauchte im Dschungel unter, ohne noch einen Blick zurückzuwerfen.

Björn Hellmark wollte wissen, mit wem er es zu tun hatte.

Er kniete auf der schwarzen Gestalt, die ganz in geschmiedetes Eisen und elastisch schwarzes Leder gehüllt war. Mit ruckartiger Bewegung riss Björn das Visier des unter ihm Liegenden hoch.

Er erwartete ein Gesicht zu sehen. Egal wie immer es auch aussah.

Doch er starrte ins Leere!

Im Innern der sich wie wild gebärdenden Rüstung befand sich niemand!

Dem schwarzen Todesboten der Apokalypta gelang es, beide Arme herumzuziehen und sie gegen Björn Hellmarks Brust zu schlagen. Die lebende anonyme Rüstung, mit dem bösen Geist einer bösen Macht erfüllt, schleuderte Björn wie ein lästiges Anhängsel zur Seite. Dann sprang das schwarze Etwas auf, klappte sein Visier herab und begann zu rennen. Bei der kurzen erbitterten Auseinandersetzung hatte es das verbogene Schwert verloren.

Schwer atmend blickte Björn dem Davoneilenden nach, während Carminia und Pepe auf ihn zuliefen.

Der schwarzgelockte Junge bückte sich, um das durch parapsychische Kraft verbogene Breitschwert aufzuheben.

Dazu kam es nicht mehr. Als ob sich an jener Stelle auf dem Boden plötzlich die Anziehungskraft der Erde aufhebe, schwebte das schwarze Schwert in die Höhe. Einen Bogen beschreibend, bewegte es sich durch die Luft und verschwand hinter den dichten Baum- und Buschreihen, wo sich die beiden geflohenen Ritter aufhalten mussten.

Björn Hellmark gönnte sich keine Ruhe. Er lief den Weg, den seine Gegner gerannt waren.

Er durchsuchte die kritischen Stellen sehr aufmerksam, ohne etwas zu finden.

Außer dem Zirpen geheimnisvoller Tiere, die niemand sah, und den raunenden, wispernden Geräuschen des Dschungels, die Tag und Nacht anhielten und nie verstummten, war weit und breit kein weiteres Geräusch.

Die beiden schwarzen Todesboten blieben wie vom Erdboden verschluckt.

Einige Minuten noch streifte Björn Hellmark in der Gegend umher, auf der Suche nach seinen Widersachern. Die ließen sich nicht mehr sehen.

Dann kehrte der blonde Kämpfer mit dem Schwert des Toten Gottes zu den Wartenden zurück.

Er lächelte Carminia zu und fuhr durch Pepes Wuschelkopf.

Björn blickte sich in der Runde um. »Hier können wir auf keinen Fall bleiben. Wir müssen weiter. Dieses Versteck hier hat man entdeckt. Nun bleibt nur zu hoffen, dass wir ein anderes, besseres finden, wo wir uns ausruhen können.«

Sie drangen tiefer in den Dschungel ein. Klebrige Lianen hingen, leise hin- und herpendelnd, über ihnen. Das Blätterdach war streckenweise so dicht, dass sie den Himmel nicht wahrnehmen konnten.

Die Welt hier war eigenartig schummrig, der Pflanzenwuchs so dicht, dass Björn Hellmark mit dem Schwert eine Bresche für sie schlagen musste. Er wählte absichtlich die dunkelsten und unzugänglichsten Stellen.

Sie liefen schätzungsweise eine knappe Stunde, ehe sie die erste Pause einlegten.

Sie hockten sich auf den weichen Moosboden nieder. Björn Hellmark blickte sich um. »Ich hoffe, dass sie nicht wiederkommen ...«

»Ich fürchte, sie werden es«, entgegnete Carminia Brado. »Bisher sind es nur zwei. Aber die Zeit ist nicht mehr fern – da werden es mehr sein. Insgesamt sieben ...«

Man sah ihr förmlich an, wie es hinter ihrer Stirn arbeitete. Carminia bemühte sich verzweifelt, in ihrer Erinnerung zu kramen. Sie wusste, dass es in der Vergangenheit eine Situation gegeben hatte, in der sie von den sieben schwarzen Todesboten der geheimnisumwitterten Apokalypta erfuhr ... Sie hatte sich daran erinnert, einst als Loana, die Tochter des Hestus, gelebt zu haben. Warum sollte sie sich nicht auch erinnern, dass sie auch wusste, was es mit den sieben schwarzen Rittern auf sich hatte?

Björn nickte. »Das Zerbrechen der Siegel und das Auftauchen der schwarzen Ritter gehören zusammen«, sagte er nachdenklich. »Du weißt jedoch offensichtlich mehr über diese Dinge als ich ... Bitte, Schoko, versuch' dich zu erinnern ...«

»Ich versuche die ganze Zeit über schon verzweifelt, die Zusammenhänge zu durchschauen, Björn. Du hast die schwarzen Todesboten vertrieben – doch sie werden erstarkt zurückkehren. Ein Vorgang ist eingeleitet, der innerhalb eines bestimmten Zeitrhythmus abgeschlossen sein wird. Zwei Siegel sind erbrochen, noch vier halten das Geheimnis verborgen ...«

»Alle sieben Siegel befinden sich in jenem Thron, auf dem du, ohne es zu begreifen, eine Zeitlang als Loana und Herrscherin über die Feuermenschen gesessen hast. Es gibt nur einen einzigen Weg zu verhindern, dass die Schwarzen mit Verstärkung zurückkehren ...«

Carminia Brado sah ihn ernst an und nickte kaum merklich. Sie wusste, was Björn Hellmark damit sagen wollte. »Thron und Siegel müssen vernichtet werden, ehe die Zeit reif ist, dass man sie erbrechen kann ... aber niemand weiß, wann der Zeitpunkt der Reife gekommen ist ...«

»Da ist es umso wichtiger, so schnell wie möglich zu handeln und nicht erst abzuwarten, was sich daraus entwickeln kann ...«

Sie fuhr sich durch die Haare, hielt den Blick auf den Boden gesenkt, und ihr Gesicht wirkte ernst und angespannt. »Einst war ich Loana, die Tochter des Hestus. Kh'or Shan war ein Teil des Landes, das meinem Vater gehörte. Die Insel ist besser als ihr Ruf. Doch das hat sich eines Tages geändert, als Hestus alle Macht verlor. Er setzte seine ganze Hoffnung auf einen jungen, starken Kämpfer, der aus einem anderen, fremden Land zu uns stoßen sollte. Sein Name – Kaphoon, der Sohn des Toten Gottes. Etwa die Zeit, als die sieben schwarzen Todesboten der Apokalypta ihren triumphalen Siegeszug begonnen hatten. Es war Kaphoon, der sie fand, stellte und sie in Fesseln legte ... Damals entstanden die Siegel, Björn ...«

In der tiefsten Tiefe seines Bewusstseins regte sich etwas. Die sieben rätselhaften Siegel von Kh'or Shan waren ihm gar nicht so unbekannt ... und doch konnte er nichts Rechtes mit ihnen beginnen.

»Weiter, Carminia«, sagte er mit belegter Stimme. »Sag' mir alles, was du weißt ... es kann sehr wichtig, sehr bedeutungsvoll für uns alle sein ...«

Sie seufzte. »Es ist leider so wenig, Björn. Es ist alles so verworren. Ich kriege kein klares Bild zustande. Manchmal ist es mir, als müssten die Dinge, die ich erkannt habe und die in mir schlummern, nur so aus mir heraussprudeln. Doch dann fehlen mir die Worte, sie auszudrücken ... Die schwarzen Todesboten künden eine neue Zeit an. Die Zeit des Untergangs, die Zeit der Wiederkunft von Molochos. Auch Apokalypta wird wiederkommen ...«

»Wer ist Apokalypta? Was verstehst du darunter, Schoko?«

»Ich weiß es nicht genau. Doch ihr Name allein lässt nichts Gutes erhoffen. Er spricht für sich. Mit ihr werden Plagen und Seuchen, Kriege und viele andere namenlose Dinge kommen, die eine Zeit des Grauens bestimmen ... wenn ich mich nur endlich entsinnen könnte ... nur endlich entsinnen ...«

Es gelang ihr nicht, bis in die äußersten Winkeln ihres Bewusstseins einzudringen.

»Mag es sein, wie es ist – es muss verhindert werden, dass sie sich alle sieben vereinen. Dies ist zunächst wichtig für uns. Da hilft nur eins, wir müssen in den Tempelpalast des Sequus zurückzukehren, den rätselhaften Thronsessel zerstören oder an einem unbekannten Ort unwiederbringlich für alle Zeiten verstecken.«

Er ging ein hohes Risiko ein. Dennoch rechnete er sich eine Chance aus. Keiner der Gegner, ob es sich nun um die Feuerbestien handelte, um die Ursen des Sequus oder um die schwarzen Todesboten der Apokalypta – würde damit rechnen, dass er sich zu diesem Wagnis entschloss. Er war bereit, in die Höhle des Löwen zurückzukehren.

Er sprach mit Carminia und Pepe alle Einzelheiten durch. Gemeinsam drangen sie noch einige hundert Meter tiefer in das Dickicht vor, und Björn bemühte sich, einen Weg einzuschlagen, wo er so wenig wie möglich Spuren hinterließ.

Zwischen zwei dicht stehenden Bäumen befand sich eine Mulde, die sich geradezu ideal für ein Versteck eignete.

Dieses Versteck tarnte Björn Hellmark noch mit Zweigen und Blättern und umbaute den Schutzraum so geschickt, dass es ihm selbst schwer fiel, ihn wiederzufinden, als er von einem Rundgang zurückkehrte.

Hier waren Carminia und Pepe verhältnismäßig sicher. Sie sollten bis zu diesem Zeitpunkt auf ihn warten.

Nicht weit von dem Versteck entfernt befand sich eine kleine, runde Lichtung, die seltsamerweise nicht von irgendwelchen wild wuchernden Pflanzen überdeckt war. Das Gras war niedrig, fast moosartig, der Boden weich und warm.

Die hübsche Brasilianerin stand einen Augenblick lang unschlüssig in der Mitte der Lichtung und ließ den Blick in die Runde schweifen. Es schien, als ob sie etwas suche ... ihre Augen verengten sich. Sie wollte auch zu Björn etwas sagen. Doch dann unterließ sie es. Sicher täuschte sie sich ... nicht alles war schließlich bedeutungsvoll.

Sie suchte mit Pepe das Versteck auf. Wenn sie sich still verhielten, war es so gut wie ausgeschlossen, dass man sie hier fand.

Björn Hellmark versprach, so schnell wie möglich zurück zu sein.

Er vermisste es sehr, seinen Doppelkörper Macabros nicht benutzen zu können. Wie einfach wäre gerade in diesen gefährlichen Situationen die Aktivität mit Macabros gewesen.