Macabros 032: Das Plasmaungeheuer - Dan Shocker - E-Book

Macabros 032: Das Plasmaungeheuer E-Book

Dan Shocker

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Beschreibung

Spinnenritter greifen an Ein kleiner Ort in Spanien: Camilla Davies und Alan Kennan wollen eine Zirkusvorstellung besuchen, wo der "Unbezwingbare", ein Mann namens Pawel Lanzinski, dem Feuer trotzt. Sie mutmaßen, dass dieser Mensch vielleicht ebenfalls von dem versunkenen Kontinent Xantilon stammt. Was sie nicht ahnen ist, dass Lanzinski und seine Truppe Diener von Molochos sind, die sich mit ihrem Führer an einem Sammelplatz der Dämonen treffen wollen. Dort formiert Molochos bereits seine Armee: Die Spinnenritter. Währenddessen wollen Björn Hellmark und Carminia Brado jenen magischen Geistspiegel aus den Gärten des Hestus bergen, mit dem sie an jeden Ort der Welt gelangen können. Ohne Björns Zutun aktiviert sich der Spiegel plötzlich und befördert Hellmark zu jenem Versammlungsort der Dämonen und mitten hinein in das Netz einer teuflischen Riesenspinne ... Das Plasmaungeheuer Clark Malone beschwört in seinem Keller einen archaischen Dämon in Gestalt einer amorphen Plasmamasse. Diese hat unbändigen Appetit nach Menschenfleisch. Nachdem sie nicht nur Clarks Frau, deren Liebhaber und sämtliche Gäste einer kleinen Party verspeist hat, wendet sie sich gegen ihren Herrn und frisst diesen ebenfalls. Dadurch gehen auch sämtliche Bewusstseinsinhalte in den Dämon über. Durch einen Trucker, der mit Clark Malone bekannt ist, gelangt das Monster nach New York. Dort verfolgen Rani Mahay und Björn Hellmark die Spur ihres Erzfeindes Molochos, der wieder in der Maske eines harmlosen Bürgers sein Unwesen treibt. Doch der Dämonenfürst scheint immer einen Schritt voraus zu sein und als das Plasma-Ungeheuer ein Hochhaus in Beschlag nimmt müssen Björn und Rani alles in die Waagschale werfen, um das Leben von Hunderten von Menschen zu retten ...

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DAN SHOCKERS MACABROS

BAND 32

© 2014 by BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Titelbildgestaltung: Mark Freier

Fachberatung: Gottfried Marbler

All rights reserved

www.BLITZ-Verlag.de

ISBN 978-3-95719-732-0

Dan Shockers Macabros Band 32

DAS PLASMAUNGEHEUER

Mystery-Thriller

Spinnenreiter greifen an

von

Dan Shocker

Prolog

Mehrere Menschen standen vor dem Plakat, das an die alte Mauer geklebt war.

»Er ist ein Hexer!«, sagte einer der Passanten. Es war ein älterer Mann mit schütterem Haar und dunklen, listig funkelnden Augen.

»Ich sagedir, Chantale, der Bursche steht mit finsteren Mächten im Bund.« Hinter dem Alten, der seine Frau angesprochen hatte, ertönte ein leises Lachen. »Es gibt keine finsteren Mächte und Hexen, Alter«, erklärte ein kräftiger, junger Mann. »Dahinter steckt ein Trick. Mehr nicht!«

Die Menschen, die in dem südfranzösischen Dorf in der Provence auf das farbige, eindrucksstarke Plakat aufmerksam geworden waren, unterhielten sich über die Szene, die dort abgebildet und mit Worten unterstrichen war.

Von aufquellenden Rauchwolken und lodernden Flammenzungen umgeben stand in der Mitte der Abbildung ein Mann, der sich in diesem Feuer zu baden schien. Er stand da mit lächelnder Miene und hochaufgereckten Armen, als wolle er sich wie Superman vom Boden erheben und den Flammen auf diese Weise entfliehen.

Der Kommentar besagte, dass Pawel Lanzinski, ein Mann polnischer Herkunft, der einzige Mensch sei, dem Feuer nichts anhabe. In riesigen, schwarzen Buchstaben prangte sein Künstlername Der Unbezwingbare auf der Mauer.

Seit Wochen zog Pawel Lanzinski mit einem kleinen Zirkus durch Südost- und Südeuropa, und die Zeitungen waren voll von seinen außergewöhnlichen Fähigkeiten.

Man bezeichnete ihn als Hexer, Zauberer, andere gingen so weit zu behaupten, dass er überhaupt kein Mensch sei und nur menschliche Gestalt angenommen habe. Dritte wiederum lachten darüber und meinten, dass er es verstehe, sein Publikum gehörig an der Nase herumzuführen.

»Das Ganze ist ein simpler Trick, ja«, fuhr der junge Mann fort, während der ältere mit dem schütteren Haar und dessen Frau ihn kritisch musterten. »Er besitzt irgendeine unsichtbare Substanz, die er sich auf den Körper streicht und durch die er geschützt ist. Das ist alles.«

»Dass ich nicht lache!«, reagierte der mit dem schütteren Haar sofort. »Ich möchte bloß wissen, wie er das anstellt. Was Sie da sagen, klingt sehr unwahrscheinlich, junger Mann!«

Die Zeugen der seltsamen Auseinandersetzung standen im Halbkreis herum und amüsierten sich köstlich.

Unter denen, die hinzukamen, war eine junge und gutaussehende, schlanke Engländerin mit ernstem, ovalem Gesicht und dunklen Augen. In ihrer Begleitung befand sich ein junger Mann, der sie um Haupteslänge überragte und höchstens zwei, drei Jahre älter war als sie.

Das waren Camilla Davies, ein Medium aus London, und Alan Kennan, beides Bewohner der unsichtbaren Insel Marlos, die zwischen Hawaii und den Galapagosinseln lag und von deren Existenz nur Eingeweihte wussten.

Camilla und Alan waren seit Wochen unterwegs, um Menschen ausfindig zu machen, die durch ihr Leben oder besondere Fähigkeiten in irgendeiner Art und Weise aufgefallen waren.

Björn Hellmark – alias Macabros – wusste, dass es überall in der Welt Menschen gab, in denen ebenfalls das Blut der alten Rasse floss. Ihm kam es darauf an, Unterdrückte, in Not Geratene und Suchende unter seine Fittiche zu nehmen, mit ihnen Kontakt aufzunehmen, sie wissen zu lassen, dass sie sich bestimmter Tätigkeiten und Fähigkeiten nicht zu schämen und sich nicht vor anderen zu verstecken brauchten. Viele merkten, dass sie anders waren, dass sie Einflüsse und Stimmungen registrierten, mit denen sie oft selbst nicht zurechtkamen. Oft wussten sie nicht, womit sie es in Verbindung bringen sollten.

Dass viele wegen ihrer besonderen Fähigkeiten darüber hinaus aufs äußerste bedroht waren, ahnten die meisten selbst nicht. Unsichtbare Mächte, Geister und Dämonen, Menschen, die sich dem Bösen verschrieben hatten, waren offene oder verborgene Feinde, die jene auszumerzen gedachten, die imstande waren, Ereignisse vorauszusagen oder zu erkennen und dadurch ein Warnsignal an andere weiterzugeben.

Molochos und seine Schergen strebten danach, die Welt im Handstreich zu erobern, alle Menschen zu unterwerfen und eine Herrschaft des Grauens zu errichten.

So versuchten Björn Hellmark und seine Freunde über die Grenzen der Staaten hinweg Kontakte und Freundschaften zu schließen, die alle miteinander verbanden, die guten Willens waren.

Camilla sah Alan an. »Meinst du wirklich«, flüsterte sie ihm zu, »dass es mehr ist als ein Trick?« Alan nickte. »Ich habe so ein komisches Gefühl«, entgegnete er leise.

Das befreundete Paar stand am äußersten Rand des Halbkreises. Sie hielten sich erst seit dem frühen Mittag in dem Provence-Städtchen auf, das unweit der spanischen Grenze lag.

»Spätestens heute Abend werden wir mehr wissen«, sagte Alan Kennan. »Die Vorstellung beginnt um acht. Wir werden uns den Unbezwingbaren mal aus der Nähe ansehen. Es sollte uns gelingen festzustellen, ob er sich wirklich im Feuer aufhält oder ob er sich irgendwelcher Spiegeltricks bedient. Lassen wir uns überraschen! Was für ein Gefühl hast du, Camilla?«

Sie antwortete nicht gleich. Dann sagte sie bedrückt: »Kein gutes, Alan! Ich spüre zum ersten Mal seit langer Zeit eine Gefahr, die ich nicht näher beschreiben kann. Wir sollten auf der Hut sein!«

Leblos?

1. Kapitel

Das Wetter war kühl und regnerisch. Die Besitzer des kleinen Zirkus, eine große Zigeunerfamilie, fürchteten, dass die Abendvorstellung im wahrsten Sinne des Wortes ins Wasser fiel. Alle Lichter waren eingeschaltet, an der Kasse saß eine dicke, schwarzhaarige Frau in farbenfroher Tracht und wartete auf die ersten Besucher.

Der Zirkus bestand aus insgesamt sieben Wagen.

An Tieren führte er drei Shetland-Ponys, zwei Esel und als exotische Glanzleistung ein Kamel mit. Das Unternehmen war ein richtiger Familienbetrieb, und die Mitglieder arbeiteten nicht nur hinter den Kulissen, sondern auch als Artisten oder Clowns davor.

Der Zirkus hatte keinen Namen, er hieß nur Zirkus. Dieses Wort stand auf den Wohnwagen und im Bogen in verschnörkelten Buchstaben über dem Zelteingang.

Nach und nach trafen die ersten Besucher ein.

Meistens handelte es sich um Ehepaare, die mit ihren Kindern kamen, oder um Großeltern mit ihren Enkeln.

Der Direktor – Josef Köczan – angeblich in Budapest geboren, war schließlich recht zufrieden. Er strahlte über sein breites Gesicht mit den dicken, raupenähnlichen Augenbrauen, als er einen Blick durch ein Loch im Vorhang auf die Zuschauertribünen warf.

»Wenn's so weitergeht, haben wir guten Besuch«, sagte er mit seiner dunklen, markigen Stimme. »Das haben wir den Kindern im Ort zu verdanken. Der Zirkus ist da. Die Menschen wollen etwas sehen für ihr Geld. Leute, macht mir keine Schande! Gerade die Clowns müssen heute Abend ihr Bestes geben. Je mehr gelacht wird, umso mehr Reklame wird für uns gemacht werden!«

Doch der Zirkus hatte noch mehr Attraktionen als nur Clowns.

Da waren Esmeralda, jene dicke Frau an der Kasse, von der behauptet wurde, sie könne die Gedanken der Menschen lesen und jede Aufgabe schneller lösen, als man sie ihr stellte. Da war vor allem auch Sphinx, eine rätselhafte Schöne aus dem Land der Pharaonen, die jede Frage, die man ihr stellte, beantwortete. Es gab nichts, was sie nicht wusste. Außer einigen Zauberkunststücken und Jongleurnummern wurden die üblichen Darbietungen am Trapez vorgeführt und zum Schluss, als Höhepunkt, war der Auftritt des Unbezwingbaren angekündigt.

Pawel Lanzinski war zweifelsohne die Sensation der Vorstellung.

Nur einen Tag gastierte der Zirkus im Ort. Danach reiste das fahrende Volk wieder weiter. Das Ziel des Direktors war ein kleiner Ort hinter der Grenze, etwa acht Kilometer von Perpignan entfernt. Der neue Standplatz, so hatte er erkundet, lag nahe am Meer.

Das Programm begann zehn Minuten später als vorgesehen.

Doch Josef Köczan wusste aus Erfahrung, dass die Leute nie pünktlich waren und es während der Vorstellung immer wieder Störungen gab.

Die kleine Kapelle, sechs Mann stark, begann zu spielen.

Flotte Musik hallte durch das kleine Zelt und tönte über den dunklen, verregneten Platz, wo sich riesige Pfützen bildeten. Köczans Familie und die Mitarbeiter schafften Bohlen herbei, um die Zugangswege von den Wohnwagen zum Hintereingang des Zirkuszeltes benutzbar zu machen.

Die meisten Artisten suchten dann schon das Zelt auf. Sie waren im Hintergrund damit beschäftigt, dass alles wie am Schnürchen lief, während aus der Manege das Lachen der Menschen und der Beifall drang.

Außerhalb des Zeltes lag der verschlammte Zirkusplatz wie leergefegt.

Die Fenster in den Wohnwagen waren dunkel – bis auf eines. Es war der Wagen, in dem Pawel Lanzinski lebte.

Und dieses Fenster wurde beobachtet!

Ein Schatten löste sich aus einem der Wagen, und eine Gestalt lief geduckt über den schlammigen Platz. Es hatte aufgehört zu regnen. Die Kleidung des Mannes war vollkommen durchnässt, und die Haare klebten wirr auf seinem Schädel. Der Fremde trug einen dunklen Rollkragenpullover und hob sich in der Finsternis kaum von der Umgebung ab.

Noch fünf Schritte bis zum Wohnwagen!

Die letzten Meter lief er auf Zehenspitzen, den Atem anhaltend, und presste sich mit dem Rücken an die grün gestrichene Holzwand des Wagens.

Links und rechts neben dem schwach beleuchteten Fenster war tiefer Schatten.

In Pawel Lanzinskis Wohnwagen war es still.

Der Fremde beugte sich zur Seite und spähte vorsichtig durch das in Augenhöhe befindliche Fenster. Die Scheibe war leicht beschlagen, doch er konnte einiges von der Einrichtung erkennen.

Gleich unter dem Fenster befanden sich eine rubinrote, antike Couch und zwei kleine Sessel, die sie halb links und halb rechts flankierten.

Davor stand ein Tisch, auf dem mehrere Zeitschriften und Zeitungen lagen. Bei einem Teil von ihnen waren die Seiten herausgerissen oder Artikel ausgeschnitten, die säuberlich auf einen der Sessel lagen. An der Wand hing ein Regal, prall mit Büchern, Fotoalben und Aktenheftern gefüllt, daneben ein schmaler Tisch, über dem ein Spiegel die ganze Wand einnahm. Auf dem Tisch standen mehrere Schminkutensilien und einige gerahmte Fotos, die Pawel Lanzinski, eine blonde junge Frau und andere Personen zeigten, die im Leben des Mannes offensichtlich eine Rolle spielten.

Der fremde Beobachter presste sein Gesicht dichter an die Glasscheibe, um einen noch besseren Blick zu haben. Von der Seite im Innern des Wagens fiel ein Schatten quer über den Tisch vor dem Spiegel.

Pawel Lanzinski tauchte auf – ein wahrer Hüne – groß und breitschultrig, mit einem borstenförmigen Haarschnitt und einem quadratischen Athletenschädel.

Der Unbezwingbare war in einen Bademantel gehüllt, der das Muster eines Tigerfells hatte. Er setzte sich auf einen einfachen Stuhl vor dem Spiegel, betrachtete sich intensiv, schnitt Grimassen und warf dann einen Blick auf seine Armbanduhr.

Offensichtlich war noch Zeit bis zu seinem Auftritt. Pawel war augenscheinlich nervös, rutschte mit seinem Stuhl zurück und zog dann die Schublade vom Tisch auf.

Darin lag, eingeschlagen in dunkelgrünen Samt, ein Bild, das er herausnahm. Es handelte sich um eine etwa DIN A-5 große Fotografie, die der Artist mit beiden Fingern vor sein Gesicht hielt, als wolle er sie gegen das Licht halten, um sie besser zu erkennen. Er hielt sie – wie ein Priester die Hostie – hoch und blickte sie mit verklärtem Gesichtsausdruck an.

Der heimliche Beobachter hielt unwillkürlich den Atem an.

Sein Herzschlag stockte, als er etwas auf dem Bild zu sehen glaubte, was eigentlich nicht sein konnte.

Es bewegte sich!

Verblüfft kniff der Mann die Augen zusammen, um schärfer sehen zu können.

Da griff eine Hand zu.

Für den Fremden ging alles so schnell, dass er nicht dazu kam, eine Abwehrbewegung zu machen.

Hart wurde er herumgerissen. Im nächsten Moment legte sich eine breite, nach Schweiß und Rauch riechende Hand auf Mund und Nase und verhinderte, dass er schrie. Nur die Augen in dem erbleichenden Gesicht schienen noch zu leben.

»Lauscher mögen wir nicht!« Der durchnässte Fremde starrte sein Gegenüber an.

Gegen diesen Mann hatte er keine Chance. Der war bestimmt einen Kopf größer als Pawel Lanzinski, breit wie ein Kleiderschrank und hatte einen Stiernacken. Seine schräg stehenden Augen und der gelbliche Teint verrieten sofort den Asiaten. Er zog den Lauscher herum, hob ihn wie einen kleinen Jungen hoch und trug ihn ohne besondere Anstrengung um den Wohnwagen herum und die schmale Stiege hinauf, wo sich der Unbezwingbare aufhielt.

Der Asiate, mindestens zweieinhalb Zentner schwer, hatte seinen Arm um die Brust des schmächtigen Fremden gelegt, presste ihn an sich und hielt ihm gleichzeitig mit der großen, breitflächigen Hand immer noch Mund und Nase zu. Gerard Mallet, so hieß der Lauscher, hatte das Gefühl zu ersticken, wenn ihn sein Gegner nicht losließ.

Der stieß ihn in den warmen Wohnwagen.

Der Druck auf seiner Brust wich, und Gerard Mallet hustete, ehe er etwas sagen konnte. »Was soll das?«, krächzte er.

Der Koloss zog die Tür ins Schloss und postierte sich vor dem Eingang, so dass erst einmal niemand hinaus konnte.

In der Mitte des Wagens saß Pawel Lanzinski und legte langsam das Bild, das er so intensiv betrachtet und zum Mund geführt hatte, um es zu küssen, auf die Tischplatte zurück.

»Was soll das? Wer ist das, Tschakko?«, kam es hart und unpersönlich aus dem Mund des Polen.

»Ich habe ihn erwischt, als er draußen vor dem Fenster deines Wagens stand, Herr«, antwortete der Asiate.

»Sie haben mich also belauscht?«

Gerard Mallet atmete flach und abgehackt und zuckte die Achseln. »Der Eindruck täuscht«, stieß er hervor. Seine Stimme klang schwach. Die Atemnot machte sich noch immer bemerkbar. »Ich kam zufällig vorbei ...«

Pawel Lanzinski lachte lauthals. »Hast du das gehört, Tschakko? Ein einsamer Spaziergänger, dem es Freude macht, auf einem Schlammacker herumzuspazieren. Merkwürdige Leute gibt's hier in Südfrankreich! Eine schlechtere Ausrede ist Ihnen nicht eingefallen? Wer sind Sie?«

»Gerard Mallet. Ich bin Reporter des Magazin Noir. Ich wollte Sie interviewen.«

»Und dazu stellen Sie sich ans Fenster?«

»Ich bin gerade angekommen, sagte ich doch. Da warf ich einen Blick durch das Fenster, um mich erst zu vergewissern, ob Sie auch da sind ...«

»Er lügt, Herr! Er stand schon einige Minuten da. Ich habe ihn eine Zeitlang beobachtet.«

»Sie wollten mich also ausspionieren«, zog Pawel Lanzinski sofort seine Schlüsse. »Und was haben Sie entdeckt?«

Er ließ sein Gegenüber nicht aus den Augen.

Gerard Mallet beging einen Fehler. Es war nur ein flüchtiger Blick nach dem Bild auf dem Schminktisch, das so unerwartet sein Interesse und seine Aufmerksamkeit geweckt hatte. Pawel Lanzinski entging diese Reaktion nicht. Er lächelte gefällig. »Das Bild – Sie haben also das Bild gesehen«, murmelte er, und seine Stimme klang plötzlich erschreckend gefährlich.

»Ja! Aber nicht genau. Sie nahmen es in dem Moment, als ich ankam.« Gerard Mallet blieb bei seiner Lüge, weil er spürte, dass er etwas falsch gemacht hatte.

Pawel Lanzinski rückte in dem engen Wohnwagen den Stuhl zur Seite, um sich mehr Platz zu schaffen. Er selbst musste sich bücken, ebenso wie Tschakko, um nicht an die niedrige Decke zu stoßen.

In Gerard Mallets Kopf kreisten Fragen. Eine davon war, warum der Asiate den Unbezwingbaren mit Herr anredete. Zwischen den beiden bestand ein Abhängigkeitsverhältnis.

Pawel Lanzinski griff nach dem Bild. »Wenn Sie schon so starkes Interesse zeigen, warum soll ich Ihnen dann verwehren, es genau zu betrachten? Als Reporter haben Sie das Recht, sich für Dinge zu interessieren, die nicht jeden etwas angehen und doch viele interessieren. Das Magazin Noir ist mir ein Begriff. Während der Reise durch Frankreich hatte ich Gelegenheit, hin und wieder einen Blick in die Broschüre zu werfen. Interessante Beiträge! Und Sie glauben, dass das, was Sie mich gefragt hätten, dem Chefredakteur aktuell und informativ genug gewesen wäre, um es ebenfalls in dem Magazin zu veröffentlichen?«

»Sicher, Monsieur! Niemand weiß über Sie etwas Genaues. Sie reisen mit einem Zirkus dritter Qualität durch die Lande und könnten doch die Weltsensation sein. Ein Mann, der sich mit bloßem Körper den Flammen aussetzt und nicht verbrennt, ist ein Wunder. Oder ein Magier!«

»Dass es ein drittklassiger Zirkus ist, hat seine Bedeutung. Hier bin ich mit den Menschen zusammen, die mir das bieten, was ich brauche«, antwortete der Unbezwingbare kalt. »Und bevor Sie etwas über mich schreiben, hätten Sie mich fragen sollen. Es war nicht klug von Ihnen, mich zu belauschen. Das können Sie nicht mehr gutmachen!«

»Was soll das heißen?«, rief Gerard Mallet, und ein ungutes Gefühl beschlich ihn.

»Bevor wir zum Wesentlichen kommen, werfen Sie ruhig einen Blick auf das Bild. Es hat Sie doch so interessiert, nicht wahr?« Mit diesen Worten hielt Pawel Lanzinski ihm die DIN A-5 große Fotografie vor die Nase.

Es war eine Schwarz-Weiß-Aufnahme, die sein Konterfei groß und detailliert zeigte. Mit der schimmernden Oberfläche des Fotos schien etwas nicht zu stimmen.

Es changierte, bewegte sich, als ob lautlos Schatten darüber hinweghuschten.

Und genauso war es!

Bei näherem Hinsehen wurde ihm bewusst, dass das Gesicht wie ein Puzzle von zungen-, blatt- und flügelförmigen Teilen zusammengesetzt war. Diese bewegten sich wie lodernde Flammen, wie schlagende Flügel ...

Gerard Mallet schluckte. Er fühlte einen Schmerz in sich und hörte ein Warnsignal, das ihm bedeutete, dass er sich in größter Gefahr befand.

Es gab ein Geheimnis um Pawel Lanzinski!

Bereits beim ersten Mal, als Gerard Mallet von dem seltsamen Fremden, der mit Zigeunern herumzog, las, ahnte er es. Er wollte den Blick abwenden, doch er brachte es nicht fertig. Wie gebannt starrte er weiter auf das Bild und sah, wie sich das Gesicht darauf vor seinen Augen auflöste. Dahinter erschien ein neues.

Die schwarzen, lautlos emporzuckenden Flammen enthüllten ein teuflisches Antlitz, das aus schwarzen Vogelschwingen zusammengesetzt war, sich ebenfalls auflöste und ein weiteres, dahinter befindliches Bild freigab.

»Molochos und Rha-Ta-N'my«, hörte er wie aus weiter Ferne Pawel Lanzinskis Stimme, »sind die Garanten meines Lebens, meines Erfolges. Nichts wird mich von ihnen trennen, Monsieur Mallet. Und deshalb müssen wir es tun ... Neugier ist in den seltensten Fällen gut!«

Gerard Mallet blickte in die Augen dieses rätselhaften Mannes und schüttelte voller Entsetzen den Kopf. »Nein, das können Sie nicht tun«, drang es heiser aus seiner Kehle. »Ich werde die ganze Gegend zusammenschreien ...«

»Und niemand wird Sie hören! Obwohl dort drüben Hunderte von Menschen sitzen, wird niemand merken, was sich hier abspielt, Monsieur. Hören Sie das Gelächter und die Musik? Das alles ist viel lauter, als Ihre Schreie sein können. Außerdem werden Sie nicht zum Schreien kommen – Tschakko, du bist an der Reihe!«

Die letzte Darbietung schloss mit einem Tusch.

Die farbenfroh gekleideten Clowns hüpften wie Gummibälle durch die Manege und nahmen den Applaus der Zuschauer entgegen. Schnell rannten die Darsteller zu dem sich öffnenden Vorhang, von dem sich Josef Köczan löste. Der Theaterdirektor trug einen Smoking, den er wahrscheinlich in einem Second-Hand-Shop erstanden hatte, machte einen vollendeten Diener nach allen Seiten und sagte: »Und nun, meine Herrschaften, verehrtes Publikum, die Attraktion des Abends! Der Unbezwingbare in seiner einmaligen, unübertrefflichen und unkopierbaren Show! Erleben Sie den Unbezwingbaren, wie er vor Ihren Augen ins offene Feuer geht, ohne dass ihm auch nur ein Haar, eine Augenbraue versengt wird! Und Sie selbst, verehrte Damen und Herren, haben Gelegenheit, ihn bei den Vorbereitungen zu sehen und zu kontrollieren, dass die Darbietung kein fauler Trick, sondern der übermächtige Wille eines Menschen ist, der es ermöglicht, den Elementen zu trotzen – der Unbezwingbare!« Mit diesen Worten riss Josef Köczan theatralisch beide Arme empor, trat zur Seite, und der Vorhang öffnete sich hinter ihm.

Trommelwirbel!

Dann trat der Hüne aus dem Hintergrund des Zeltes in die lichtdurchflutete Menge.

Pawel Lanzinski lachte über das ganze Gesicht, winkte jovial nach allen Seiten und wandte sich dann mit seiner dröhnenden Stimme an das Publikum. Er erklärte, dass es an dem, was er vorführe, nichts gäbe, was man als einen doppelten Boden bezeichnen könne.

Er bat aus der Zuschauermenge um drei Personen, die seine Vorbereitungen kontrollierten.

In diesem kleinen Pyrenäendorf kannte jeder jeden, und so war den Zirkusbesuchern klar, dass keine Fremden in die Manege gingen, keine Vertrauten des Unbezwingbaren.

Helfer brachten die Utensilien herbei, die Pawel für seine Darbietung brauchte.

Es handelte sich um einen Metallkreis, der etwa einen Meter Durchmesser besaß, und eine mattschimmernde Metallplatte, die mitten in diesen runden Rahmen gelegt wurde. In der Platte waren zahlreiche kleine Löcher.

Im Zirkus war es so still, dass man eine Nadel hätte fallen hören.

Unter denen, die lauschten und aufmerksam jede einzelne Bewegung verfolgten, befanden sich auch Camilla Davies und Alan Kennan. Das Paar saß auf einem der besten Plätze vorn an der Manege, damit ihnen ja nichts von den Vorbereitungen entging, und sie sich vor allem auch einen Eindruck von Lanzinski verschaffen konnten.

Das englische Medium wirkte ernst.

Alan Kennan entging die Reaktion auf Camillas Gesicht nicht.

»Ist etwas?«, fragte er leise und besorgt.

»Ich weiß nicht«, entgegnete sie wispernd. »Ich fühle etwas ... eine Gefahr ... die allerdings nicht uns, sondern jemand anderen bedroht.«

Camilla wirkte abwesend, als lausche sie in sich hinein, um etwas Genaueres über die Gefühle, die sie empfand, zu ergründen. Nur noch halbherzig bekam sie mit, was sich unten in der Manege abspielte.

An dem breiten Metallring, der nun mit der flachen, gelochten Metallplatte verbunden war, wurden mehrere Schläuche angeschlossen, die, so wurde den Zuschauern erklärt, wiederum an mehreren Gasflaschen hingen. Die vier Mitarbeiter des Zirkus, die den Aufbau abgeschlossen hatten, verschwanden noch mal und kehrten mit brennenden Fackeln in die Mitte der Manege zurück. Den drei Kontrolleuren aus dem Publikum wurden Holzreisig und Papier in die Hand gedrückt. Sie wurden aufgefordert, alles in die offene Flamme zu halten, um zu demonstrieren, dass dieses Feuer nicht heimlich präpariert, sondern wirklich und wahrhaftig echtes, verzehrendes Element war.

Die hölzernen Stangen begannen zu glimmen, das Reisig fing sofort Feuer, das Papier flammte auf.

Um auf dem mit Holzspänen und Sägemehl bedeckten Boden der Manege nicht unkontrolliert einen Brand zu erzeugen, hielten andere Zirkusmitarbeiter flache, mit Wasser gefüllte Schalen in der Hand, in die das brennende Papier, der glimmende Stab und das flackernde Reisig sofort getaucht wurden, wo sie zischend erloschen.

Dann kam es zur ersten Demonstration mit Pawel Lanzinski.

Seine Helfer streckten blakende Fackeln nach ihm aus, und er ging an ihnen vorüber und hielt, für alle einwandfrei zu sehen, seine bloßen Hände in die Flammen und zeigte sie unversehrt den Zuschauern. Den meisten lief eine Gänsehaut über den Rücken. Diese makabre Darbietung war mehr, als manch einer vertrug.

Die Kontrolleure aus dem Zuschauerraum begutachteten Hände und Arme aus nächster Nähe, und sie wurden gefragt, ob sie eine Verletzung feststellen könnten.

Alle drei verneinten.

Da warf Pawel Lanzinski den wärmenden Mantel ab, der wohl aus dem Fell eines Tigers gearbeitet war. Darunter trug er nur eine enganliegende Hose. Er gab einem Mitarbeiter im Hintergrund ein Zeichen und deutete auf das Gerät mitten in der Manege.

Der Gashahn wurde aufgedreht, und ein leises Zischen lag in der Luft.

Mit den Fackeln traten die Helfer an das Gerät heran, und im nächsten Moment züngelten etwa zehn Zentimeter hohe Flammen aus den Löchern und bildeten einen dichten Feuerring auf dem Boden.

»Mehr!«, rief Pawel Lanzinski. Die Gaszufuhr wurde verstärkt.

Die Flammen wuchsen, wurden zwanzig, dreißig, vierzig Zentimeter hoch – und schließlich einen Meter.

Kerzengerade bildeten sie eine regelrecht glühende Flammensäule, die mitten in der Manege emporstieg. Es wurde demonstriert, dass auch mit diesem Feuer alles seine Richtigkeit hatte. Utensilien wurden hineingeworfen, die fauchend und zischend verbrannten, in einem speziellen Gefäß wurde Blei geschmolzen, um die Zuschauer die enorme Hitze spüren zu lassen.

Dabei war eindeutig zu sehen, dass keiner von den Helfern und auch niemand aus dem Zuschauerraum es wagte, sich der Flammensäule zu nähern.

Die Hitze war unerträglich!

Und die Flammen wurden größer!

Als sie eine Höhe von knapp zwei Metern erreichten, ging der Unbezwingbare darauf zu.

Auf seinem nackten Körper reflektierte das Licht, spielte dort einen wilden Tanz, und die Haut rötete sich unter der Hitze, die ihr entgegenschlug.

Selbst in den vordersten Reihen der Manege war nun die Wärme spürbar.

Die Hitze musste bereits ausreichen, das Sägemehl und die Holzspäne unter dem Gestell in Brand zu setzen.

Camillas Unruhe wuchs. »Es ist in der Nähe, Alan«, murmelte sie, während sie auf das Ereignis in der Manege starrte, ohne den Kopf zu wenden. »Da ist jemand in Gefahr ... der Tod ist nahe ... es ist außerhalb des Zeltes ...«

Alan legte die Rechte auf die schlanke, zarte Hand seiner Begleiterin. »Halte die Augen offen, Camilla! Ich sehe draußen nach!«

»Ja, aber sei auf der Hut! Ich habe kein gutes Gefühl!« Wenn Camilla Davies dies sagte, konnte man sich darauf verlassen. Sie war das erste Medium in der Welt gewesen, das erkannte, dass es außer Dämonen und Geistern eine dritte Spezies gab, die sich die Ursen nannten und deren Herrschaftsbereich die Meere waren.

»Sei auf der Hut, Alan«, ermahnte Camilla ihn erneut, als er sich erhob und geduckt seinen Platz verließ, ohne von den Zuschauern, an deren Reihen er vorbeikam, sonderlich beachtet zu werden.

In diesem Augenblick galt die volle Aufmerksamkeit der anwesenden Menschen dem Geschehen um Pawel Lanzinski. Auch Camilla richtete ihre Aufmerksamkeit auf die Vorstellung. Der Unbezwingbare stand dicht am äußersten Metallring und war nur noch eine Handbreite von dem Flammengürtel entfernt, der fauchend und zischend vor ihm aufragte.

Roter Widerschein spiegelte sich auf dem athletischen Körper des Polen. Der Hüne trat einen weiteren Schritt nach vorn. Ein Aufschrei ging durch die Menschenmenge, und viele der Zuschauer wandten den Kopf, schlossen die Augen oder schlugen die Hände vors Gesicht, weil sie glaubten, den Anblick dessen, was sich notgedrungen ereignen musste, nicht ertragen zu können.

Pawel Lanzinski stand mitten in den Flammen.

Die prasselten auf seinen Körper, umloderten ihn und hüllten ihn vollkommen ein.

Trommelwirbel!

Das rhythmische, monotone Geräusch unterstrich das Unheimliche und die gespenstische Atmosphäre ringsum.

Zehn Sekunden vergingen ... zwanzig ... dreißig ...

Den Zuschauern kam es wie eine Ewigkeit vor.

Doch noch immer trat Pawel Lanzinski nicht aus den Flammen, denen er ausgesetzt war.

Deutlich war sein Körper zwischen den lodernden Feuerzungen zu erkennen.

War er nicht mehr imstande, einen Schritt zur Seite zu tun? War er möglicherweise schon so schwach, brannte er lichterloh, dass er gar nichts mehr unternehmen konnte?

Vierzig Sekunden ... fünfzig Sekunden ... eine Minute!

Da bewegte sich der Unbezwingbare.

Leichtfüßig sprang er aus dem Feuerring auf die nicht entflammbare Plane, die den Sägemehlboden ringsum abdeckte. Frenetischer Applaus brandete auf. Alle machten keinen Hehl aus ihrer Begeisterung, aus ihrer Freude, dass es Pawel Lanzinski tatsächlich geschafft hatte, diesem tobenden Element zu entrinnen und nicht bei lebendigem Leib zu verbrennen.

Der Hüne mit dem Borstenhaarschnitt wankte ein wenig. Man sah ihm die Spuren der Belastung an. Wie machte er das bloß? Es ging nicht mit rechten Dingen zu. Das war mehr, als ein Mensch ertragen konnte.

Pawel Lanzinski war ein Magier, ein Hexer!

Noch immer erklang Beifall.

Pawel Lanzinski musste sich immer wieder verbeugen, und man merkte ihm an, wie schwer ihm das fiel. Zwei seiner Helfer eilten auf ihn zu, als er taumelte und den Halt zu verlieren drohte. In jener Minute, als er sich dem Feuer aussetzte, mussten ungeheure Kraftreserven freigesetzt worden sein, die seinen Organismus fast bis zur Erschöpfung schwächten.

Der Unbezwingbare musste gestützt werden. Nachdem ihm einer seiner Helfer den Tigerfellmantel über die Schultern geworfen hatte, verließ er mit schleppenden Schritten die Szene.