Macabros 033: Regenbogenmenschen - Dan Shocker - E-Book

Macabros 033: Regenbogenmenschen E-Book

Dan Shocker

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Beschreibung

Krypta der Regenbogenmenschen Ein Mann verschwindet spurlos. Für die Polizei ein Routinefall. Für die Familie ein Schicksalsschlag. Wieso tauchte Harold Robertson unter? Was ist mit ihm geschehen? Die besonderen Merkmale dieses Falles veranlassen Björn Hellmark und seine Freunde, sich mit dem Detektiv in Verbindung zu setzen, der das Verschwinden untersucht. Dann findet Pepe die Stelle, an der Robertson verschwand - und auch Pepe ist von dieser Minute an nicht mehr zu sehen. Er taucht ein in die Krypta der Regenbogenmenschen ... Ustur - in den Ketten des Unheimlichen Mit Hilfe des Geisterspiegels, der voll auf der unsichtbaren Insel Marlos integriert ist, haben Hellmark und seine Freunde die Möglichkeit, jederzeit jeden Ort zu erreichen. Dabei ist es unbedeutend, ob sie in die dritte Dimension, in eine vierte oder auf eine Parallelwelt reisen wollen. Mit Molochos, dem Fürsten der Dämonen, ist Unglaubliches geschehen. Ist es möglich, den Schwarzen Priester, der seiner Gier nach ewigem Leben folgte und eine Verbindung mit den Dämonischen einging, wieder umzustimmen? Der Schlüssel hierzu liegt nicht in dieser Welt. Wieder einmal heißt es, unbekannte Gefilde aufzusuchen, um Ustur, den Dämon mit den tausend Gesichtern, aufzusuchen, um ihm das Geheimnis zu entreißen ...

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DAN SHOCKERS MACABROS

BAND 33

© 2014 by BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Titelbildgestaltung: Mark Freier

Fachberatung: Gottfried Marbler

All rights reserved

www.BLITZ-Verlag.de

ISBN 978-3-95719-733-7

Dan Shockers Macabros Band 33

REGENBOGENMENSCHEN

Mystery-Thriller

Krypta der Regenbogenmenschen

von

Dan Shocker

Prolog

Auch wenn die Sonne schien, der Himmel strahlendblau war und kein Wölkchen ihn trübte, bot dies keine Gewähr dafür, dass nicht das Grauen irgendwo lauerte. Doch davon ahnten Jennifer Ames und Percy Morgan nichts.

Jennifer lief über die Wiese, die von einem morschen Zaun nur notdürftig begrenzt wurde. Das Gelände gehörte noch zur Farm hinter dem Erdhügel, wo sie vor kurzem mit dem Wagen vorbeigekommen waren, ehe sie sich dazu entschlossen hatten, sich noch ein wenig die Füße zu vertreten und einen kleinen Spaziergang durch diese unberührte natürliche Landschaft zu machen.

Percy Morgan wollte nach seiner Freundin greifen, als die plötzlich unter seiner Hand wegtauchte und lachend davonrannte. »Nein, so einfach sollst du's heute nicht haben«, rief sie ihm fröhlich zu. »Wenn du etwas bei mir erreichen willst, musst du mich erst mal fangen ...«

Leichtfüßig lief Jennifer Ames zu dem mit Bäumen und Büschen bestandenen Hügel, hinter dem die schmale, asphaltierte Straße weiter ins Land führte. Jenseits dieser Straße, von alten Buchen und Eichen verborgen, stand ein Farmhaus, errichtet im viktorianischen Stil.

Es geschah im vollen Sonnenlicht. Percy Morgan wurde Zeuge jeder Einzelheit, die sich vor seinen Augen abspielte. Jennifer war etwa zehn Schritte von ihm entfernt, ihr luftiges, weit ausgeschnittenes Kleid lag so eng auf der Haut, dass man das Spiel ihrer Muskeln verfolgen konnte. Ihre langen, festen Schenkel schimmerten durch den dünnen, beigen Stoff.

Das schlanke Mädchen aus Ohio bewegte sich flink, mit der Geschmeidigkeit einer Katze, und warf immer wieder mal den Kopf herum, um zu sehen, wie nahe sein Verfolger schon war.

Dann lachte Jennifer silberhell. Ihr Lachen drang über die Wiese, wo sich niemand außer ihnen aufhielt. Aus der Ferne hörten sie das Muhen der Rinder, die sich auf der anderen Seite des bewaldeten Hügels befanden.

Percy Morgan war in vollem Lauf, als das Ereignis eintrat.

Jennifer wurde plötzlich durchsichtig! Er gewahrte durch ihren Leib hindurch Buschwerk und Bäume auf der anderen Seite der Wiese. Dann war das junge Mädchen von einer Sekunde zur anderen plötzlich verschwunden!

Jennifer Ames existierte nicht mehr. Es schien, als hätte sie sich in Luft aufgelöst.

Percy Morgan prallte zurück wie von einer unsichtbaren Wand. Sein Herzschlag stockte, und kalter Schweiß trat auf seine Stirn. »Jenny?«, fragte er mit belegter, ungläubig klingender Stimme. »Hallo Jenny ... was ist denn jetzt los? Wo bist du?«

Einige Sekunden war er so verwirrt und ratlos, dass er nicht wusste, was er von der ganzen Sache halten sollte. Dann ging es wie ein Ruck durch seinen Körper.

Morgan stolperte nach vorn. Mit weit aufgerissenen, fiebrig glänzenden Augen suchte er die Stelle ab, wo sich noch vor wenigen Sekunden seine Freundin Jennifer befunden hatte.

Es gab nur eine einzige Erklärung: im Boden befand sich ein Loch, in das sie gefallen war. Aber kein Schrei war über ihre Lippen gekommen.

Percy Morgan tastete den Boden ab. Er war fest und feucht, und nirgends gab es einen Anhaltspunkt dafür, dass er sich vor den Füßen seiner Freundin geöffnet und dann wieder geschlossen hatte.

Das Mysterium wurde immer größer ...

Morgan schluckte trocken. So etwas konnte es doch nicht geben! Ein Mensch aus Fleisch und Blut konnte sich nicht einfach in Luft auflösen ...

Nervös blickte er in die Runde. Er wollte nicht glauben, was er gesehen hatte, obwohl sich doch alles direkt vor seinen Augen abgespielt hatte.

Eine Halluzination?

Nein! Er verwarf diesen Gedanken ebenso schnell wieder, wie er ihm gekommen war. Wenn alles nur eine Halluzination gewesen wäre, stünde Jennifer jetzt noch vor ihm.

Er rief mehrere Male den Namen der Freundin, und es verging eine halbe Stunde, eine ganze, ehe er begriff, dass es sich hier um ein schreckliches Phänomen handelte, von dem er in diversen Zeitungen schon gelesen, das er jedoch nie in den Bereich des Möglichen gezogen hatte.

Niemand sprach darüber, und doch schienen es viele Menschen zu wissen. Es gab immer wieder Fälle, wo Personen aus einem unerfindlichen Grund vor den Augen anderer oder auf geheimnisvolle Weise unerkannt verschwanden, dass sie gewissermaßen in ein anderes Universum fielen, ohne dass man sie jemals von dort hatte zurückholen können.

Der Gedanke an einen solch schrecklichen Vorfall erfüllte ihn mit Grauen. Menschen und Dinge verschwanden auf rätselhafte Weise, ohne wiederzukehren.

Kopflos rannte er über die Wiese, hinüber an den Rand der Straße und starrte auf das abseits gelegene, hinter Baumreihen versteckte alte Gebäude, zu dem eine verschlungene Straße führte.

Einen Moment schien es, als wolle Percy Morgan die asphaltierte Straße überqueren, als er sich plötzlich eines anderen besann.

Niemand konnte ihm helfen. Er konnte auch dort in diesem Haus keine Hilfe erwarten. Und es hatte überhaupt keinen Sinn, die Polizei zu benachrichtigen. Damit würde der ganze Ärger erst anfangen.

Das, was er erlebt hatte – niemand würde es ihm glauben ... Im Gegenteil, man würde anfangen, ihn mit Fragen zu quälen, das Verhältnis zwischen Jennifer und ihm unter die Lupe zu nehmen. Es ließ sich schließlich eindeutig feststellen, dass Jennifer Ames zuletzt mit ihm zusammen gewesen war. Und wo befand sie sich jetzt? Hatte er dafür gesorgt, dass sie verschwunden war? Hatte er ihre Leiche beseitigt? War er möglicherweise ein grausamer, unheimlicher Mörder, der vielleicht von seinen eigenen krankhaften Trieben nichts wusste?

Wie eine Flut schwappten plötzlich die Fragen über ihn herein und erfüllten sein Bewusstsein mit Ängsten und Nachdenklichkeit. Er würde in einen völlig falschen Verdacht geraten.

Da machte er auf dem Absatz kehrt, lief über die Wiese zurück zu dem Wagen, den sie in einem Seitenpfad abgestellt hatten, warf sich hinter das Steuer und blieb dort wie erstarrt sitzen, ohne in der Lage zu sein, einen vernünftigen Gedanken zu denken.

Der Himmel verlor seine blaue Farbe, die Sonne ging unter, der Abend brach an.

Und noch immer saß Percy Morgan in dem dunkelroten Chevrolet, ohne den Motor zu starten.

Plötzlich gab sich der Mann einen Ruck, stieß die Tür nach außen auf und lief den Weg zurück, den er gekommen war, Richtung Farmgebäude, wo hinter einzelnen Fenstern die ersten Lichter zu brennen begannen.

Percy Morgan hatte es sich anders überlegt.

Er lief den verschlungenen Weg zum Eingang des Hauses und klopfte dort gegen die Tür, als er merkte, dass es keine Klingel gab.

Der Name »Bruce Lindon« stand tief eingekerbt auf einem verwitterten Holzschild.

Es dauerte einige Sekunden, ehe Percy Morgan Schritte im Haus hörte. Die näherten sich von der Treppe zum ersten Stock.

Die Tür wurde geöffnet.

Eine Frau in mittleren Jahren, schmal mit ernsten, dunklen Augen, einer geraden Nase und mit einem Gesicht, von dem man glaubte, dass es schon jahrelang nicht mehr von einem Lächeln verschönt worden war, stand ihm gegenüber.

»Ja, bitte?«, wurde er gefragt. »Sie wünschen?« Morgan hatte das Gefühl, als würde der Blick aus diesen dunklen, sezierenden Augen bis auf den Grund seiner Seele treffen.

Er wirkte nervös und merkte es auch an seiner Sprache. Er kam sich vor wie ein kleiner Junge, den man bei einem Streich ertappt hatte, und der nun versuchte, sich auf irgendeine Weise zu rechtfertigen.

»Hatten Sie einen Unfall, Mister?«, fragte die Frau ihn, als sie sein merkwürdiges Verhalten bemerkte.

»So etwas Ähnliches«, kam es stockend über Morgans Lippen. Jetzt, da er sich dazu entschlossen hatte, mit der Sprache herauszurücken, kam es ihm schon wieder seltsam vor, hier zu stehen und mit der Fremden zu sprechen. »Drüben auf der anderen Seite ...« Er wandte sich um und deutete über die Straße, die er überquert hatte.

»Da ist etwas Seltsames geschehen ... meine Freundin Jennifer ... halten Sie mich bitte nicht für verrückt, ich habe selbst zwei oder drei Stunden gebraucht, mich zu entschließen, hierher zu kommen und die Polizei zu benachrichtigen.«

Er unterbrach sich. Mit einer fahrigen Geste fuhr er sich durch die Haare. »Drüben auf der Wiese.« Er stotterte und glaubte sogar rot zu werden. Er schalt sich einen Narren, dass er sich auf dieses Manöver eingelassen hatte. Am liebsten wäre er davongelaufen. Was für ein Tag! Er konnte sich nicht daran erinnern, je so verwirrt, je so irritiert und ratlos gewesen zu sein wie in diesen Stunden.

»Was ist drüben auf der Wiese passiert, Mister?« Die Frau blickte ihn plötzlich, so kam es ihm jedenfalls vor, mit größerem Interesse an. Irrte er sich oder war es tatsächlich so, zitterte ihre Stimme nicht bei dieser Frage? Dann sprudelte es nur so aus ihm heraus. Er schilderte genau, was er gesehen und erlebt hatte und bat, dass man die Polizei verständige, um alles daran zu setzen, seine verschwundene Freundin wiederzufinden.

»Ich kann es nicht erklären«, sagte er abschließend mit dumpfer Stimme. »Doch es hat sich genauso zugetragen, wie ich Ihnen eben schilderte. Und wenn Sie mich für einen Spinner halten, ich kann nicht anders, als Ihnen das zu sagen, was ich erlebt habe.«

Da öffnete die Frau die Tür ganz und trat zur Seite. »Bitte treten Sie ein, Mister ...«

»Morgan, Percy Morgan.«

»Mr. Morgan, ich halte Sie nicht für verrückt. Keineswegs! Im Gegenteil! Ich finde es großartig, dass Sie trotz der inneren Belastung, der Sie ausgesetzt sind, den Mut gefunden haben, hierher zu kommen und einer wildfremden Person alles zu erzählen. Ich kann Sie beruhigen, Mr. Morgan. Ich glaube Ihnen jedes Wort. Und ich weiß auch, dass Sie recht hatten, mit dem, was Sie mir eben erzählten. Bereits vor zweieinhalb Jahren ist dort auf der Wiese, von der Sie kommen, etwas Ähnliches passiert. Da haben wir unsere Tochter Goldie verloren. Sie ist dort spurlos verschwunden, und man hat sie bis heute nicht gefunden.«

Fast hundert Polizisten und Nachbarn des Farmerehepaares Lindon beteiligten sich an der Suche nach Jennifer Ames.

Mehrere Suchhunde wurden eingesetzt. Die Spur führte eindeutig bis zu jener Stelle, wo Percy Morgans Begleiterin zuletzt stand.

Hier kamen auch die Hunde nicht weiter.

Percy musste viele Fragen beantworten. Er wusste schon nicht mehr, was er alles von sich gab und sah nur, wie der Sheriff und einer seiner Mitarbeiter fleißig Notizen machten.

Morgan wurde nach seiner Herkunft gefragt. Er sagte, dass er zusammen mit Jennifer aus Ohio käme und nach West-Virginia gefahren sei, um gemeinsam eine kleine Urlaubsreise zu unternehmen, die insgesamt acht oder zehn Tage dauern sollte. Hier in der Nähe von Sykesville war jedoch die Fahrt auf unheimliche, fast makabre Weise abgebrochen worden.

Mehrere Stunden war der Suchtrupp in dem von Percy Morgan bezeichneten Gebiet unterwegs, ohne jedoch eine Spur von Jennifer Ames zu finden. Man stieß nicht mal auf einen Gegenstand von ihr, den sie bei sich getragen hatte.

Morgan wurde gebeten, sich zur Verfügung zu halten, falls eventuelle Nachfragen notwendig würden. Der Mann aus Ohio gab an, im Hotel Blue in Baltimore telefonisch ein Zimmer bestellt zu haben. Dort würde er die Nacht verbringen.

»Falls ich imstande bin, überhaupt einen Wagen dorthin zu steuern«, fügte er abschließend hinzu. Mit diesen Worten streckte er beide Hände nach vorn. Sie zitterten wie bei einem alten Mann. »Entschuldigen Sie«, sagte er leise, »aber ich fürchte, das Ganze hat mich doch mehr mitgenommen, als ich mir selbst eingestehen wollte.«

Der junge Sheriff aus Sykesville nickte. »Das kann ich Ihnen nachfühlen, Mr. Morgan«, antwortete er. »Es ist schließlich kein Alltagsereignis, wenn ein Mensch, den man eben noch gesehen hat, mit dem man eben noch sprach, sich so mir nichts dir nichts einfach in Luft auflöst, als hätte es ihn nie gegeben.«

»Haben Sie eine Erklärung dafür?«

»Sie fragen mich da etwas Eigenartiges. Es gibt Vermutungen. So möchte ich es ausdrücken.« Sheriff Smithson atmete tief durch. »Es gibt manche Dinge, Mr. Morgan, die kann man nicht einfach beim Namen nennen, weil man sie nicht näher kennt. Mehrere hundert Menschen verschwinden Jahr für Jahr in der Welt. Es gehen darüber hinaus eine große Anzahl von Gegenständen verloren, die eindeutig nicht gestohlen oder zerstört werden, sondern einfach verschwinden, ohne dass man sie verlegt hätte.«

»Und wie kommt das zustande?« Percy Morgan führte das Gespräch wie geistesabwesend.

»Nun, in den meisten Fällen ist es so, dass Leute gewisse Gegenstände wie eh und je an bestimmten Orten aufbewahren und hinlegen und diese Gegenstände dann vermissen. Diebstahl ist ausgeschlossen und auch ein Verlegen kam nicht in Frage. Die Frage stellt sich also: wohin sind die Dinge verschwunden? Die Antwort darauf lautet: die Grenzen eines anderen Universums haben sie berührt und sie sind über diese Grenze geglitten und haben sich aus dem Diesseits gelöst, um in einer anderen Welt anzukommen ...« Smithson hatte die richtige Art, eine unangenehme Situation mit verständlichen Worten zu umschreiben.

Percy Morgan nickte. »Ich begreife, was Sie damit sagen wollen, Sheriff ... Sie nehmen an, dass sich auch Jennifer in dieser anderen Welt, in diesem anderen Universum aufhält.«

»Das kann sein, aber es muss nicht. Es gibt auch eine andere Möglichkeit ...«

»Sie werden mich für verrückt halten, aber ich muss Ihnen etwas sagen, was nicht minder phantastisch klingt«, entgegnete darauf Sheriff Smithson. Man sah ihm an, dass er sich Mühe gab, die Dinge so einfach wie möglich in Worte zu kleiden. Eindeutig kam heraus, dass er schon mehr als einmal mit solch merkwürdigen Vorfällen konfrontiert worden war, und dass er sie ernst nahm. »Nachdem damals die Sache mit Goldie geschah, der Tochter der Lindons, habe ich angefangen, gewisse Phänomene, von denen ich zuvor nur flüchtig gehört oder gelesen hatte, etwas genauer unter die Lupe und vor allem ernster zu nehmen. Dabei machte ich einige erstaunliche Feststellungen. Es gab in vielen Polizeiakten tatsächlich Hinweise darauf, dass Menschen ohne ersichtlichen Grund und ohne dass man je eine Spur wieder von ihnen fand, untertauchten. Es verschwanden Menschen aus Wohnungen oder verschlossenen Fahrzeugen. In einem Fall gab es sogar das Rätsel, dass aus einer gesicherten Gefängniszelle ein Häftling entkam, ohne dass die Zelle die geringste Spur eines Ausbruchsversuchs zeigte. Aber es gibt auch andere Fälle, wie ich vorhin andeutete. Da gehen Menschen plötzlich in einen Park oder vor einem auf der Straße spazieren, und mit einem Mal sind sie weg. Wie bei Ihrer Freundin Jennifer Ames. Aber sie rutschen, um es mal so zu bezeichnen, nicht in ein anderes Universum, sondern tauchen in der nächsten Sekunde allen Naturgesetzen zum Trotz, hundert oder gar tausend Meilen von ihrem letzten Standort entfernt wieder auf.«

»Aber das gibt es doch nicht!«, entfuhr es Percy Morgan.

Floyd Smithson lächelte gedankenverloren. »Ja«, sagte er betont langsam. »Man möchte wohl meinen, dass es so etwas nicht gibt. Und doch ließ sich nachher rekonstruieren, dass diejenige Person, der so etwas zugestoßen war, ohne ersichtlichen Grund an jenen anderen Ort gelangte und wochen- oder monatelang verschollen blieb, ehe sie wieder in ihrer Heimatstadt auftauchte, ohne sagen zu können, wo sie die vergangenen Wochen oder Monate gewesen war. Eine große Gedächtnislücke klafft. Dies macht es so schwierig, die Wege zurückzuverfolgen, die jene unglücklichen Opfer in der Zeit ihres Verschwindens gegangen sind.«

All diese Dinge waren nicht dazu angetan, Percy Morgans Stimmung zu heben. Zum ersten Mal in seinem Leben wurde er mit einem Phänomen konfrontiert, das nicht in sein Weltbild passte.

Sheriff Floyd Smithson blies die Suchaktion schließlich ab und zog sich mit den Beteiligten von der Wiese zurück.

Percy Morgan hielt sich noch auf der abgelegenen Farm auf.

Betty Lindon, die Frau, die ihm am späten Nachmittag die Tür geöffnet hatte, kam nicht umhin, von ihrer Tochter Goldie zu erzählen. Die Farmersfrau führte den Gast sogar in das Zimmer, das von der Zwölfjährigen bis zu ihrem geheimnisvollen Verschwinden bewohnt worden war.

Der Raum war noch eingerichtet, wie Goldie ihn verließ, als solle sie jeden Augenblick wieder Besitz von ihm ergreifen können. Spielsachen lagen herum, vor allem viele Puppen, die in Reih und Glied auf einer Bank neben dem Fenster hockten, eine Puppenküche, die bis ins Detail eingerichtet war, und Bücher und Comichefte auf Tisch und Stühlen, als hätte Goldie in mehreren Exemplaren gleichzeitig geblättert.

Betty Lindon seufzte. »Es ist alles so wie in der Stunde, als sie das Haus verließ. Hier oben wird regelmäßig gesäubert und nichts verändert. Sollte sie mal zurückkommen, wird sie alles so vorfinden, wie sie es verlassen hat.«

Die Worte der Frau waren zum Schluss sehr traurig und immer leiser geworden, in ihren Augen schimmerte es feucht. Ruckartig wandte sie den Kopf, löschte das Licht im Zimmer und ging Percy Morgan die Stufen nach unten voran.

Sie lud den Mann aus Ohio zum Nachtessen ein und machte ihm sogar den Vorschlag, hier im Haus zu übernachten, wenn er sich außerstande fühle, nach Baltimore weiterzufahren, was sie nur zu gut verstehen könne.

»Und vielleicht gibt es morgen auch schon weitere Neuigkeiten«, meinte sie, während sie die Suppe aus dem Topf nahm, der mitten auf dem klobigen Tisch im Esszimmer stand, wo sich inzwischen der Rest der Familie eingefunden hatte, bestehend aus Bruce Lindon, einem Bruder und dessen Frau, einem sechzehnjährigen jungen Mann und zwei kleinen blonden Mädchen mit Sommersprossen. Betty Lindon sagte dies mit einer gewissen Hoffnung in der Stimme.

Eigenartigerweise fühlte sich Percy Morgan angesteckt. Vielleicht war es nur ein böser Traum, und morgen früh, wenn er erwachte, lag Jennifer in seinen Armen, und alles war gar nicht Wirklichkeit ...

1. Kapitel

Harald Robertson warf einen nervösen Blick auf das Leuchtzifferblatt seiner Armbanduhr. Der siebenunddreißigjährige Bankmanager hatte es eilig, am Abend noch nach Baltimore zu kommen.

Er war dort verabredet, und das Gespräch duldete keinen Aufschub. Auch wenn es wenig erfreuliche Dinge zu besprechen gab: Aus dem Tresor der Zweigstelle seiner Bank, die er leitete, waren etwa hundert Wertpapiere verschwunden, wie man vor wenigen Stunden mit Schrecken festgestellt hatte.

Davor hatte kein Mensch etwas bemerkt, obwohl sich die Papiere schon seit Wochen oder Monaten nicht mehr an Ort und Stelle befanden. Die Seriennummern jener Papiere waren genau vor zehn Wochen bei einer anderen Bank in New York von einem seriös wirkenden Herrn zum Verkauf angeboten worden.

Schon früher war ein ganzes Aktienpaket zu Bargeld gemacht worden und dem entgegennehmenden Bankbeamten war auch bei diesem ersten Geschäft nichts aufgefallen. Bei der zweiten Verhandlung schöpfte er jedoch Verdacht und informierte die Polizei. Die konnte beim Wiederauftauchen den Mann festnehmen und verhören. Dabei kam eine erstaunliche und mehr als blamable Story heraus.

Dieser Mann war nichts weiter als eine Puppe, eine Marionette, die offensichtlich von einer gut funktionierenden Gang benutzt worden war. Der Mann hatte sich auf eine Zeitungsannonce gemeldet und für Hintermänner, deren Namen er nicht mal kannte, die Aktienpakete bei jener New Yorker Bank angeboten. Dass es sich um gestohlene Papiere handelte, ahnte er nicht und erfuhr dies erst durch die Polizei.

Die wiederum war interessiert daran herauszufinden, auf welche Weise diese Aktien den Weg aus dem gesicherten Tresor gefunden hatten. Die Untersuchungen waren bisher alle im Sand verlaufen.

Der Vorgang machte Harald Robertson jedoch sehr zu schaffen. Er fühlte sich mitschuldig an dem dreisten Gangsterstück. Schließlich war er der verantwortliche Leiter jener Bank.

An der Straßenkreuzung Sykesville – Baltimore nahm er nur flüchtig den Fuß vom Gaspedal.

Der Wagen verringerte kaum seine Geschwindigkeit. Dies erachtete Harald Robertson auch nicht für notwendig. Soweit sein Blick über die Kreuzung reichte, konnte er weit und breit kein Fahrzeug sehen. Deshalb überquerte er sie mit verhältnismäßig hoher Geschwindigkeit.

Doch plötzlich war es vor ihm ... genau in seiner Blickhöhe. Harald Robertson meinte nicht richtig zu sehen. Er fuhr zusammen wie unter einem Peitschenschlag, und sein Gesicht wurde zu einem einzigen Fragezeichen.

Direkt vor ihm über der Straße spannte sich ein farbiger, schillernder Regenbogen, in den er genau hineinfuhr.

Aber das gab es doch nicht! Ein Regenbogen, mitten in der Nacht!

Robertson kam nicht mehr zum Nachdenken. Viel zu schnell ging alles.

Da das Gesicht!

Riesig wie ein dunkler Mond tauchte es über dem in Farben schillernden Regenbogen auf. Nur für den Bruchteil einer Sekunde. Doch das genügte.

Harald Robertson war entsetzt.

Er sah mitten in dem Bogen das Antlitz Satans!

Das Gesicht verschwand wie ein Nebelstreif unter den wärmenden Strahlen der Sonne, und alles war bis auf den mysteriösen nächtlichen Regenbogen wieder wie zuvor.

Da tauchten die Scheinwerfer vor dem Fahrer auf, und er musste die Augen schließen, weil sie ihn voll blendeten.

Gefahr! Der Gedanke durchzuckte Harald Robertsons Hirn. Da fährt genau einer auf mich zu ...

Erkennen und Handeln war eins. Robertson stieg voll in die Bremsen, doch es war schon zu spät. Der geheimnisvolle nächtliche Regenbogen über der kerzengerade nach Baltimore führenden Straße berührte mit dem einen Ende sein Fahrzeug, mit dem anderen das entgegenkommende Auto.

Die Scheinwerfer der beiden Fahrzeuge wurden zu einer einzigen explodierenden Lichtflut.

Geistesgegenwärtig wollte Harald Robertson das Lenkrad herumreißen.

Ein Krachen und Bersten, ein greller Blitz, der sein Bewusstsein spaltete, folgten ...

Die beiden Autos stießen frontal zusammen.

Fast eine Meile vom Unfallort entfernt hörte man noch den Aufeinanderprall.

»Da war doch etwas«, bemerkte Sheriff Smithson, der am Steuer des dunkelblauen Chevrolet saß. »Hört sich an wie ein Unfall.« Der Mann an seiner Seite, Lieutenant Cayson, warf ihm einen raschen Blick zu.

»Stimmt, Sheriff. Genauso hat sich's angehört.«

Smithson gab sofort mehr Gas. Das Fahrzeug des Sheriffs jagte über die nächtliche Straße, Richtung Baltimore der Kreuzung entgegen, wo der Unfall geschehen war. Schon von weitem im Lichtfeld der aufgeblendeten Scheinwerfer sahen sie das Grauenvolle.

»Das sieht ja schlimm aus«, knurrte Smithson mit belegter Stimme. »Die beiden hat's ganz schön erwischt. Frontalzusammenstoß ... hoffentlich können wir noch etwas für sie tun ...«

Mit rotierendem Rotlicht jagte der Sheriff das Fahrzeug an die Unfallstelle, bremste scharf und parkte am Straßenrand.

Noch ehe der Wagen richtig stand, sprang Lieutenant Cayson nach draußen, überquerte die Straße und erreichte die beiden Fahrzeuge, die sich förmlich ineinander verkeilt hatten.

Auf den ersten Blick war zu erkennen, dass hier wohl niemand mehr etwas für die Fahrzeuginsassen tun konnte.

Wie ein Schatten tauchte Floyd Smithson neben seinem Begleiter auf.

Mit vereinten Kräften machten sich die Männer daran, die Eingeschlossenen zu befreien.

In dem ersten Auto, einem dunkelgrünen Pontiac, entdeckten sie eine Frau in mittleren Jahren, deren Gesicht von den Scherben der Frontscheibe total zerschnitten war. Mit weit aufgerissenen Augen starrte die Tote sie an.

Auch in dem anderen Fahrzeug versuchten Cayson und Smithson ihr Glück. Im Schein ihrer Taschenlampen tasteten sie das Innere des total zusammengedrückten Autos ab.

»Da ist niemand drin«, entfuhr es Cayson.

»Vielleicht ist der Fahrer durch die Wucht unter den Sitz geschoben worden«, entgegnete der Sheriff. Gemeinsam brachten es die Männer fertig, die Tür aufzureißen, um das Innere des Wracks zu inspizieren. Doch Cayson hatte richtig gesehen. Da war tatsächlich niemand.

»Dann ist er aus dem Wagen geschleudert worden«, blieb Smithson als einzige Erklärung übrig.

In der Zwischenzeit waren zwei weitere Polizeifahrzeuge am Unfallort eingetroffen. Die Wagen kamen von der Lindon-Farm, wo sich die letzten Polizisten absetzten. Sie konnten sich gleich an der Suche nach dem verschwundenen Fahrer beteiligen.

Doch er war unauffindbar.

Das Büro lag im 11. Stock des Wolkenkratzers. Dort waren mehrere Apartments von Richard Patrick, einem der bekanntesten Verleger der Vereinigten Staaten, gemietet.

In dem mit Palisander ausgestattetem Raum tauchte der Mann plötzlich auf wie ein Geist. Es schien, als käme er durch die Wände.

»Hallo Richard?«, fragte der großgewachsene, blonde Hüne und ließ den Blick in die Runde schweifen.

Doch niemand außer ihm befand sich hier.

Der auf rätselhafte Weise Eingetroffene durchquerte mit drei, vier Schritten das Zimmer und klopfte an die palisanderfarbene Tür, die sich von der Schrankwand kaum abhob. Dahinter lag ein kleiner Konferenzraum, in dem Richard Patrick sich gelegentlich aufhielt.

»Hallo Richard? Bist du da drin?« Der Mann, der dies fragte, hätte ohne weiteres, auch ohne die Klinke herunterzudrücken und die Tür zu öffnen, den Raum dahinter erreichen können.

Wer hier im New Yorker Office Richard Patricks eingetroffen war, war kein geringerer als Macabros, Björn Hellmarks Doppelkörper.

Er unterschied sich in nichts von dem Originalkörper aus Fleisch und Blut. Dieser Leib bestand aus einer feinstofflichen Substanz und konnte sich an jedem Ort der Welt, wo Hellmark es immer wollte, materialisieren.

Björn Hellmark selbst hielt sich zu diesem Zeitpunkt, als Macabros Richard Patrick suchte, auf der unsichtbaren Insel Marlos auf. Dieses große und schöne Eiland lag fast in der Mitte zwischen Hawaii und den Galapagosinseln und bot bisher einer Handvoll Menschen Schutz vor den Mächten des Unheils, die begonnen hatten, die Menschen heimzusuchen.

Nach Marlos konnten nur die kommen, die guten Willens waren, die verfolgt wurden, die eine neue Heimat brauchten und hier ihren Kampf gegen das Böse in der Welt koordinierten.

Allen, die längere Zeit auf der unsichtbaren Insel weilten, die von paradiesischer Schönheit war, wurde nach einiger Zeit eine Gabe zuteil, von der andere Menschen nur träumten. Jeder konnte sich von Marlos aus mit reiner Gedankenkraft an jeden Ort der Welt versetzen, wohin er gerade wollte. Er benötigte dazu keine technischen Hilfsmittel.

So schmolzen die Entfernungen zwischen Marlos und dem noch so fernsten Punkt der Erde zu einem einzigen flüchtigen Gedanken zusammen.

Björn Hellmark, der Erbe von Marlos, dem der Besitz dieser Insel schon vor zwanzigtausend Jahren auf dem untergegangenen Kontinent Xantilon im »Buch der Gesetze« prophezeit worden war, war jedoch der einzige, der seinen Körper verdoppeln konnte, um zur gleichen Zeit an zwei Orten zu sein.

So kam es, dass er sich mit seinem Originalkörper auf Marlos aufhielt, mit Jim, dem Guuf und Pepe, seinem Adoptivsohn, am Strand Geschicklichkeitsspiele durchführte und gleichzeitig mit seinem Zweitkörper Macabros im New Yorker Büro seinen Freund Richard Patrick suchte.

Zwischen Patrick und Hellmark war vereinbart, dass sie sich von Zeit zu Zeit sehen wollten.

Der Verleger, der die Zeitschrift »Amazing Tales« herausbrachte, glaubte fest an das Wirken unsichtbarer Mächte im Leben der Menschen, dass Außerirdische einst auf der Erde gelandet waren, und daran, dass unheimliche Feinde versuchten, in die Geschicke der Menschen einzugreifen und sie zu vernichten. Er war aber auch davon überzeugt, dass der Mensch aus eigener Kraft, infolge seiner Intelligenz und seiner Klugheit, in der Lage war, der Bedrohung Herr zu werden, und dass es auch vereinzelt unter ihnen welche gab, die diese Bedrohung rechtzeitig erkannten, die gewissermaßen als Medien fungierten, ohne sich in den meisten Fällen ihrer wirklichen Sendung bewusst zu sein. Nachteilig bei all dem wirkte sich aus, dass es immer wieder Scharlatane, Betrüger und Angeber gab, die von sich aus behaupteten, übersinnliche Fähigkeiten zu besitzen und auf diese Weise Molochos, dem Dämonenfürsten, der sich zur Zeit mitten unter den Menschen befand, in die Hände arbeiteten.

Gerade ein Mann wie Björn Hellmark der den Geistern und Dämonen den Kampf angesagt hatte, brauchte Verbündete und Vertraute in aller Welt. Um diese zu finden, schickte er immer wieder seine Freunde aus zur Kontaktaufnahme.

Interessante Hinweise waren vor einigen Tagen von Anka Sörgensen erfolgt, die in Oslo lebte, dort verheiratet war und eine Zeitlang auf Marlos gelebt hatte. Gemeinsam mit einem anderen Medium, einer italienischen Schauspielerin namens Tina Morena, konnten die beiden, allerdings nur in der Gemeinschaft, bestimmte Bezirke anderer Dimensionen und Universen durchstreifen und waren so zu Botschaftern mit anderen unsichtbaren Welten geworden, in die sonst keiner eindringen konnte.

Macabros klopfte noch mal leise an die palisanderfarbene Holztür und rief erneut den Namen seines Freundes.

Als sich wieder niemand meldete, kehrte er an den großen Schreibtisch zurück, der schräg vor dem Fenster stand, und warf einen Blick aus dem Fenster in die Straßenschlucht, durch die der Verkehr brandete. Passanten verschwanden wie aufgescheuchtes Vieh in den Metroschächten und ließen sich von den unablässig heranrollenden Waggons durch unterirdische Röhren in alle Teile der Stadt bringen. Viele kamen um die Mittagsstunde aus dem Büro und eilten in die nächstgelegenen Imbissstuben und Restaurants, um rasch etwas zu essen und dann ihre Arbeit bis zum Spätnachmittag wieder aufzunehmen.

Es war die Stunde, in der Richard Patrick mit größter Wahrscheinlichkeit in seinem Office anzutreffen war.

Macabros hob kurzentschlossen den Telefonhörer ab und drückte nur auf einen Knopf. Er wusste, dass jetzt draußen im Vorzimmer der Apparat anschlug.

Im nächsten Moment wurde abgehoben. Die Chefsekretärin Richard Patricks meldete sich und erkundigte sich nach seinen Wünschen.

»Hier spricht Björn Hellmark«, sagte er freundlich. Dies war nur die halbe Wahrheit. Doch es hätte zu weit geführt, der Dame zu erklären, wer er wirklich war. Von Macabros hatte sie noch nie etwas gehört. Nur eine Handvoll Leute kannten sein wirkliches Geheimnis. »Ich bin mit Mr. Patrick verabredet und hätte ihn gern gesprochen ...«

»Das tut mir leid, Mr. Hellmark«, entgegnete sie mit dunkler, sympathischer Stimme. »Mr. Patrick ist nicht im Haus ...«

»Oh, das ist schade! Ich nehme an, Mr. Patrick kommt sicher gleich zurück?«

»Nein, Mr. Hellmark. Mr. Patrick ist mindestens eine Woche nicht in New York.«

»Oh ...«, machte Macabros abermals. Man sah seinem Gesicht die Verwunderung an. »Das ist aber sehr merkwürdig. Mr. Patrick wusste, dass ich anrufen würde.«

»Seine Abreise erfolgte ganz plötzlich. Mister Patrick hat mich beauftragt, Ihnen, Mr. Hellmark, mitzuteilen, dass er sich auf den Bahamas aufhält. Und zwar auf Nassau. Er hat sich dort im Hotel Ambassador einlogiert. Wenn Sie nach ihm fragen würden, sollte ich Ihnen das ausrichten.«

»Was Sie damit getan haben. Vielen Dank! Das hilft mir weiter. Auf Wiedersehen!« Damit legte er auf.

Im gleichen Augenblick erkannte die Chefsekretärin im Vorzimmer, dass das Gespräch nicht von außerhalb, sondern im Gebäude geführt worden war. Direkt aus dem Chefzimmer! Wie von einer Tarantel gebissen, sprang die Dame auf lief zur Verbindungstür und klopfte an. Als niemand reagierte, ging sie zu einer anderen Verbindungstür, die in ein weiteres Büro führte, wo zwei junge Sekretärinnen an Maschinen saßen und tippten.

»Kommt doch mal her! Evelyn und Bianca«, sagte sie schnell. »Ich glaube, da stimmt was nicht ...«

»Was soll denn nicht stimmen?«, wurde Richard Patricks Chefsekretärin von den beiden wie aus einem Mund gefragt.

»Ich glaube, im Zimmer des Chefs ist jemand ...«

»Unsinn! Patrick ist doch weg ...«

»Eben, das ist es ja!« Die Chefsekretärin war unter ihrem Make-up erbleicht.

Gemeinsam näherten sie sich dann der Verbindungstür zum Chefzimmer und öffneten.

»Hallo«, rief die Chefsekretärin nach innen. »Ist da jemand?« Keine Reaktion erfolgte.

Da trat sie mutig näher, und die beiden Blondinen, die beinahe aussahen wie Schwestern, folgten ihr auf dem Fuß.

Doch Patricks Büro war leer, wie es unter den obwaltenden Umständen auch zu erwarten war.

Die Blondine mit der zierlichen Nase und den langen seidigen Wimpern, die ihrem Gesicht etwas Puppenhaftes verliehen, seufzte und schüttelte den Kopf. »Da konnte doch niemand sein. Oder es müsste sich schon um einen Fassadenkletterer handeln, der wie ein Spinnenmann Häuserwände hochklettert. Um in die elfte Etage zu kommen, bedarf es schon einiger Geschicklichkeit.« Sie lächelte.

Gemeinsam sahen sie sich in Patricks Büro um und warfen auch einen Blick in den kleinen, ebenfalls leeren Konferenzraum.

»Ihr könnt sagen, was ihr wollt«, äußerte die Chefsekretärin zu den beiden Blondinen. »Das Telefonat, das ich eben entgegengenommen habe, ist von diesem Apparat aus«, sie deutete mit ausgestrecktem Zeigefinger auf das Telefon an Patricks Platz, »geführt worden. Es war am Leuchtsignal eindeutig zu erkennen.«

»Vielleicht haben Sie sich getäuscht«, wurde ihr von der zweiten Sekretärin geantwortet.

»Ja«, nickte die andere wieder. »Das klingt plausibel. Und so wird es auch gewesen sein.«

»Ich weiß, was ich weiß«, beharrte die Vorgesetzte auf ihrem Standpunkt. »Es war jemand hier. Ich werde wohl Mr. Patrick von diesem Vorfall berichten müssen, wenn ich ihn anrufe.«

Ganz geheuer war es der Sprecherin tatsächlich nicht. Sie glaubte, sich jetzt, im Nachhinein, sogar daran erinnern zu können, dass sie das Geräusch vernommen hatte, als der Hörer aufgelegt wurde.

Die beiden Blondinen verschwanden wieder in ihrem Arbeitszimmer, und auch die Chefsekretärin zog die Verbindungstür zu Richard Patricks Büro ins Schloss und kehrte an ihren Platz zurück.

Die Situation war recht gespenstisch, und die Frau kam mit ihren Gedanken nicht davon los. Der Mann, der dies auslöste, ahnte nicht, dass Patricks Chefsekretärin derart erschrocken war. Hellmarks Zweitkörper Macabros hielt sich schon wieder einige tausend Meilen vom Ort des Geschehens entfernt mitten auf den Bahamas auf, trat durch den sonnenüberfluteten Eingang des Hotels Ambassador, und steuerte direkt auf die Rezeption zu, um sich nach der Zimmernummer und der Anwesenheit Richard Patricks zu informieren.

»Mr. Patrick befindet sich im Haus, Sir«, erklärte ihm der livrierte, farbige Portier. »Er hat hinterlassen, dass er sich auf der Dachterrasse in der Open-Air-Bar aufhält. Erlauben Sie mir die Frage Sir – sind Sie Mr. Ferguson?«

»Nein, der bin ich leider nicht. Aber ich nehme an, dass Mr. Patrick sich ebenso freut, einen alten Freund wiederzusehen ...« Macabros lächelte. Dieser Mann unterschied sich von Björn Hellmark, der meilenweit entfernt auf der unsichtbaren Insel Marlos weilte, nicht im Geringsten.

Wie ein normaler Mensch aus Fleisch und Blut, bewegte sich Macabros mit seinem Ätherkörper durch die schattige Hotelhalle, in der eine kühle Atmosphäre herrschte und in weißen Livreen steckende Diener auf silbernen Tabletts eisgekühlte Drinks servierten.

Macabros benutzte den Lift nach oben.

Auf der Dachterrasse herrschte reger Betrieb. Die Open-Air-Bar war bis auf den letzten Platz besetzt. Bunte Sonnenschirme waren aufgespannt, nicht weniger bunte Fahnen flatterten an quer über die Terrasse gespannten Schnüren im Wind, der sanfte Kühlung vom Meer her fächelte.

Viel Platz dieses Hochhausareals war als Liegefläche eingerichtet. Es gab ein nierenförmiges, mit nixengrünen Platten gekacheltes Becken, das im vollen Licht der Sonne sein sauberes klares Wasser zeigte.

In riesigen Kübeln standen Palmen und allerlei Blumen und Buschwerk ringsherum und schufen eine kunstfertig angelegte Landschaft.

Die Bar befand sich unter einem großen Schilfdach. Dort wurden lustige Gespräche geführt, klapperten Eisstückchen in den Longdrinkgläsern und wurden leere Gläser wortlos und sofort aufgefüllt.

Bronzefarbene Bikinischönheiten bewegten sich mit wiegenden Hüften zwischen den Liegestühlen oder am Rand des Beckens entlang, um dort die Beine in das nicht mehr ganz so kühle Wasser baumeln zu lassen.

Einige Gäste schwammen, andere ließen sich in farbigen, aufgeblasenen und sesselähnlichen Gebilden durch das Wasser treiben, hielten einen eisgekühlten Longdrink in der Hand und paddelten mit den Füßen vorwärts.

Richard Patrick lag unter dem Sonnenschirm, hielt ein kleines Notizbuch in der Hand und schrieb eifrig. Plötzlich fiel ein Schatten von der Seite her über Patrick, der nur mit einer Badehose bekleidet war.

»Hallo, Mr. Patrick«, sagte Macabros, »ich werde zwar nicht von Ihnen erwartet, doch ich nehme an, dass Sie sich auch über meinen Besuch so freuen, wie über den von Ferguson ...«

Der untersetzte Mann auf der Liege warf ruckartig den Kopf herum, als er die Stimme vernahm. »Björn!«, entfuhr es ihm, und er reagierte freudig überrascht, klappte sein Notizbuch zusammen und richtete sich schnell auf. »Das ist mal eine Überraschung! Mit dir habe ich wahrhaftig nicht gerechnet.« Zwischen seinen dunklen Augenbrauen entstand eine steile Falte. »Ich bin zwar einiges von dir gewöhnt ... aber dass du seit neuestem Gedanken lesen kannst ...«

»Ich habe mich beim Portier nach dir erkundigt«, fühlte sich Macabros veranlasst, den Freund aufzuklären. »Als ich fragte, um zu erfahren, wo ich dich sprechen könnte, hielt er mich für Ferguson. Den erwartest du doch?«

»Richtig. Er muss jeden Augenblick da sein.«

»Dann will ich nicht länger stören« entgegnete Macabros. »Was ich benötige, sind neue Hinweise. Du kennst die letzte Geschichte mit dem Plasma-Ungeheuer, das uns Molochos, der Dämonenfürst, auf den Hals geschickt hat. Davor waren es die Spinnenritter. Das sind nur zwei Beispiele von vielen, und keiner von uns weiß, was uns morgen erwartet. Er lebt mitten unter uns, und wir erkennen ihn nicht. Er hat sich die Gestalt eines Menschen gegeben, der zuvor sterben musste, und von dem wir zur Stunde nicht wissen, um wen es sich handelt. Dies zu wissen, würde uns schon weiterhelfen. Gibt es Neuigkeiten, Rich?«

Der Mann in der Badehose wusste nur zu gut, welche Sorgen seinen Freund veranlassten, wieder Kontakt mit ihm aufzunehmen. Überall in der Welt hatte Richard Patrick als Verleger einer besonderen Zeitschrift seine Fühler ausgestreckt. Reporter recherchierten, und freiberufliche Mitarbeiter waren tätig, um die Spuren von geheimnisvollen Kräften zu entdecken.

»Neuigkeiten insofern, dass ich glaube, diesmal eine heiße Spur entdeckt zu haben, die möglicherweise dahin führt, wo Menschen spurlos verschwinden.« Knapp und präzise berichtete Richard Patrick von den Vorfällen, die ihm zu Ohren gekommen waren und in der Presse kürzlich nur flüchtig angeschnitten wurden. »Es sieht beinahe so aus, als wolle man gewisse Dinge totschweigen«, fügte er hinzu.

Auf diese Weise erfuhr Macabros von den Dingen, die sich in der Nähe der Lindon Farm bei Sykesville abgespielt hatten.

Diese Dinge lagen genau vier Tage zurück.

Seitdem waren weder die Freundin eines gewissen Percy Morgan, Jennifer Ames, noch der Bankmanager Harald Robertson wieder aufgetaucht. Beide wurden verzweifelt gesucht wie eine Stecknadel im Heuhaufen.

»Was das Verschwinden dieses Harald Robertson anbelangt, macht man es sich auch zu einfach«, äußerte Richard Patrick seine Meinung. »Es gibt Stimmen, die behaupten, dass er doch wohl Dreck am Stecken gehabt habe, was die leidige Aktiengeschichte betrifft. Böse Zungen behaupten, dass Robertson offensichtlich den Unfall provoziert hat und es ihm gelang, danach aus dem Auto zu verschwinden, um sich irgendwohin abzusetzen. Das scheint mir mehr als fragwürdig, vor allem unmöglich. Hier schau dir das an, Björn ...«

Mit diesen Worten nahm er die Herrentasche, die neben ihm auf dem Boden stand, an sich, öffnete den Reißverschluss und zog eine Brieftasche heraus. Darin lagen mehrere großformatige Fotos, die er wortlos Macabros übergab.

»Wenn jemand zu mir sagt, dass sich der Unglücksfahrer noch aus eigener Kraft aus dem Fahrzeug retten konnte, den erkläre ich für verrückt«, sagte Richard Patrick. Als Macabros die Bilder des Unglückswagens sah, konnte er seinem Freund nur zustimmen.

Patrick warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Ferguson müsste längst da sein. Ich kenne ihn als einen pünktlichen, zuverlässigen Mann ... es ist nun eine Viertelstunde über der Zeit.«

Mit diesen Worten griff er nach seinem Glas, das bereits wieder leer war.

»Björn, darf ich dich zu einem Drink einladen? Bei dieser Hitze ist man ja für jeden Tropfen Flüssigkeit dankbar.« Er deutete auf die Bar und packte seinen Freund am Arm, um ihn mitzuziehen.

»Ich habe keinen Durst, Rich. Außerdem bin ich nicht der, für den du mich hältst.«

Richard Patrick verdrehte die Augen. »Bei euch beiden weiß ich nie, woran ich bin. Du machst es einem aber auch verdammt schwer, manchmal wünsche ich mir, so zu sein wie du. Gerade bei diesem Wetter. Jemand, der nichts zu trinken braucht, der nicht schwitzt, dem Hitze und Kälte nichts ausmachen, der ist fein heraus.«

»Aber dem können wir ja abhelfen«, entgegnete Macabros lächelnd. »Auf der anderen Seite würde ich nämlich ganz gern einen Schluck zu mir nehmen. Aber davon hätte mein anderes Ich mehr als ich. Gehen wir zur Bar, Rich! Bei einem Drink können wir die Angelegenheit gründlich besprechen.«

Als die beiden Männer sich der Bar unter dem Schilfdach näherten, kam es zum Wechsel zwischen dem Zweitkörper Macabros und dem Originalkörper Björn Hellmarks.

Ein einziger konzentrierter Gedanke auf der Insel Marlos, von Hellmark gedacht, beorderte im Bruchteil einer Sekunde den Zweitkörper auf die Insel zurück, und es kam zum direkten Kontakt zwischen Hellmark und Macabros, der einfach notwendig war, um den Sprung über die riesige Entfernung zu schaffen.

Nur wer jetzt aufmerksam Richard Patricks Seite im Auge behielt, hätte erkannt, dass sich dort für die Länge eines Atemzuges niemand befand, dass in der vor Hitze flirrenden Luft der Körper des blonden, hochgewachsenen Mannes mit den Zügen eines Abenteurers, sich ganz flüchtig nur wie ein Schemen zeigte.