Macabros 036: Das Götterwrack - Dan Shocker - E-Book

Macabros 036: Das Götterwrack E-Book

Dan Shocker

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Beschreibung

Wrack der namenlosen Götter Björn Hellmark und seine Freunde sind Gefangene in der Welt des Atoms. Eine Odyssee nimmt ihren Anfang! Ein Forscherteam ist in den Urwäldern des Amazonas unterwegs. Zwei Männer machen eine sensationelle Entdeckung: Auf einem vergessenen, versumpften Seitenarm des Amazonas finden sie in einer von Schlingpflanzen überwachsenen Bucht ein uraltes Wrack. Ein Schiff, das einst von den Sternen kam, aus einer unbekannten Welt. Die Besatzung ist allgegenwärtig und erwacht zu gespenstischem Leben. Welche Bedeutung hat dieses Wrack der namenlosen Götter für Björn Hellmark und seine Schicksalsgefährten in der Welt des Atoms? Das magische Vermächtnis der grauen Riesen Die Odyssee in der Welt des Atoms geht weiter. Bis jetzt sieht Björn Hellmark keine Möglichkeit, in seine Heimat zurückzukehren. Dort ist man nicht untätig. Allen voran versuchen Ak Nafuur, Pepe und Jim verzweifelt, Kontakt aufzunehmen, um die Eingeschlossenen im Mikrokosmos zu retten. Kiuna McGullygoshs Spiegel ... der Geistspiegel des Hestus ... sie dienen als Hilfsmittel. Und Björn Hellmark stößt auf die Spur der grauen Riesen, die ihm nicht unbekannt sind! Das große Rätselraten beginnt.

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DAN SHOCKERS MACABROS

BAND 36

© 2014 by BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Titelbildgestaltung: Mark Freier

Fachberatung: Gottfried Marbler

All rights reserved

www.BLITZ-Verlag.de

ISBN 978-3-95719-736-8

Dan Shockers Macabros Band 36

DAS GÖTTERWRACK

Mystery-Thriller

Wrack der namenlosen Götter

von

Dan Shocker

Prolog

War es Wirklichkeit oder Traum?

Als der Mann die Augen aufschlug, umgab ihn eine fremdartige, bizarre und düstere Welt.

Dies war nicht das gewohnte Bild!

Einen Moment war der Wachwerdende noch so benommen, dass er sich nicht zurecht fand. In der Düsternis erkannte er die Umrisse schwarzer Säulen und wabenförmiger Gebilde im Hintergrund, die klein und verloren wirkten. Plötzlich erinnerte er sich ...

Er hatte die Welt, wie sie sich menschlichen Augen bot, verlassen. Er war nicht tot, sein Zustand war schlimmer, und er war weiter weg als ein Verstorbener, dessen Grab man zumindest besuchen konnte, wenn man wusste, wo es sich befand.

Sein Aufenthaltsort aber war unbekannt. Er befand sich mitten in der Welt und war doch weiter von ihr entfernt als das nächste Sonnensystem, die nächste Milchstraße!

Björn Hellmark, der blonde Mann mit den blaugrauen Augen und den verwegenen Gesichtszügen des Abenteurers, richtete sich auf.

Sein Blick ging in die Runde. Vor ihm breitete sich eine Talsenke aus, die bis zum schwarzen Horizont reichte. Die zerklüfteten Berge waren von einem grünlich-violetten Schein umgeben. Das Leuchten sah aus wie eine Aura und schien aus der Erde zu kommen.

Erde ... als dem Mann dieser Begriff durch den Kopf ging, huschte unwillkürlich ein schmerzliches Lächeln über sein Antlitz.

Ja, er befand sich auf der Erde. Vielleicht in einem Staubkorn, das vom Wind durch die Lüfte gepeitscht wurde, ohne dass er, der millionenmal winziger war, diese Bewegung mitbekam. Ebenso wenig wie man als Mensch mit seinen Sinnen erkannte, dass die Erde sich drehte, dass die gesamte Milchstraße mit unvorstellbarer Geschwindigkeit expandierte, dass Sterne und Sonnen förmlich voreinander flohen ...

Es war so im Großen wie im Kleinen.

Der Gedanke, dass er eine Winzigkeit war, dass das Atom für ihn die Größe einer Sonne hatte, störte ihn seltsamerweise weniger. Er bekam seinen wahren Zustand nicht mit, wurde sich seiner Winzigkeit nicht bewusst. Was ihn sorgte, war die Tatsache, dass er in der Mikrowelt gefangen war, dass der einzige Ausgang verschwunden war.

Hellmark senkte den Blick. Neben ihm auf dem Boden lag Carminia Brado, die schöne Brasilianerin, die sein Schicksal teilte. Zärtlich streichelte er über das seidig schimmernde, dichte Haar.

Carminia schlug die Augen auf. Die geringste Bewegung, die kleinste Veränderung registrierte sie. Sie war sofort hellwach, lächelte den Mann an, der sich über sie beugte. »Alles in Ordnung?« Das waren die ersten Worte, die sie sagte, als sie sich aufrichtete.

»Wenn man davon ausgeht, dass wir noch leben, ja. Ansonsten, alles unverändert ...«

Ihr Schlaf war tiefer und erholsamer gewesen als sein eigener. Das war gut so. Trotz der Ruhepause, die sie nach der langen Suche und dem anschließenden Marsch eingelegt hatten, fühlte Björn Hellmark sich wie gerädert.

Bevor er eingeschlafen war, hatte er sich fest eingeprägt, während des Schlafes von Fall zu Fall seinen Zweitkörper entstehen zu lassen. Nur auf diese Weise war es möglich, die fremde, bedrohliche Umgebung zu überwachen.

Die ersten Erlebnisse im Mikrokosmos, in der Welt Zoor, die von einem Irren beherrscht wurde, hatten ihnen einen Vorgeschmack davon gegeben, was sie erwartete, wenn sie sich länger hier aufhielten.

Gezwungenermaßen mussten sie weiterhin bleiben, sie hatten keine andere Wahl.

An der gleichen Stelle, wo sie Stunden zuvor auch mit Arson rasteten, hatten sie die Ruhepause eingelegt. Björn hoffte, dass sich während des Schlafes das gleiche ereignen würde wie bei der ersten Rast.

Arson war verschwunden. Ohne ersichtlichen Grund, ohne dass Spuren eines vorausgegangenen Kampfes festzustellen waren ...

Es schien, als hätte der Erdboden ihn verschluckt.

Das Ganze war umso rätselhafter, wenn man bedachte, dass gerade Carminia Brado und Björn Hellmark eine noch leichtere Beute während des Schlafes gewesen wären.

Konnte es sein, dass Arson etwas bemerkt hatte, einem Geräusch oder einer visuellen Wahrnehmung nachgegangen und in eine Falle gelockt worden war? Das hätte aber auch nur einen Sinn gehabt, wenn es danach zu einer akuten Gefahr für die Schlafenden gekommen wäre.

Dies aber war ausgeblieben. Das war merkwürdig in einer Welt, die lückenlos von dämonischen Wesen kontrolliert und beherrscht wurde. Die ausgestorbene Insektenrasse, selbst unbarmherzig und kriegerisch, war ganz zum Sklavenheer des neuen Herrschers geworden, der diese Welt im Handstreich genommen hatte.

Die Nachtseelen von Zoor waren die Hilfstruppen Nh'or Thruus, des Irren, der sich schattengleicher Gestalten bediente wie ein Puppenspieler seiner Puppen. Diesen gespenstischen Lebewesen waren sie begegnet. Abwartend hatten sie beobachtet und waren dann wieder verschwunden.

Nichts und niemand war im Augenblick ringsum zu sehen, und doch wurden die beiden Menschen das Gefühl nicht los, beobachtet zu werden.

»Noch immer kein Lebenszeichen von Arson, keine Spur?«, fragte Carminia Brado unvermittelt. Björn schüttelte den Kopf. Das Schwert des Toten Gottes lag schwerelos wie eine Feder in seiner Hand. »Nichts ... ich stehe vor einem Rätsel ...«

Wortlos nahmen sie beide eine kleine Mahlzeit aus dem mitgebrachten Proviant zu sich. Sie tranken dazu klares Quellwasser aus Marlos. Danach wollten sie aufbrechen Das Machtzentrum Nh'or Thruus war ihr Ziel.

»Ich bin überzeugt davon, dass der Herrscher dieser Welt über jeden einzelnen unserer Schritte informiert ist, dass er längst hätte etwas geschehen lassen können, wenn er das wollte. Aber er wartet ab.« Beunruhigt erhob sich Björn. Unwillkürlich umspannte seine Rechte den Griff des einmaligen Schwertes.

»Diese Ruhe gefällt mir nicht ...«War es die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm? Beinahe kam es ihnen so vor. Und es schien, als hätte es nur dieser Gedanken bedurft.

Da war der Schrei ...

Gellend zerriss er die düstere Atmosphäre, die nie von einem Sonnenstrahl erhellt worden war und die Stille.

»Bjööörrrnnn!« Hellmark hörte seinen Namen und warf den Kopf herum.

Der Ruf erfolgte aus Richtung Talsenke, wo zwischen wabenförmigen Gebilden und bizarren, grotesken und nadelförmigen Türmen ein verschlungener Pfad hinter den pyramidenförmigen Hügel führte.

Auch dahinter hatte Hellmark seinen Doppelkörper Macabros schon geschickt, ohne jedoch auf etwas Verdächtiges zu stoßen.

Wer da den Pfad bergab taumelte, hilflos die Hände nach vorn gestreckt, das war niemand anders als Arson, der Mann mit der Silberhaut!

Und er rannte, so schnell es ihm seine Kräfte noch erlaubten. Er schlug um sich, stürzte, raffte sich wieder auf und stolperte weiter ...

Aber da war nichts, wogegen er sich hätte zur Wehr setzen müssen ...

Carminia und Björn konnten nichts sehen. Eine eiskalte Hand griff nach Hellmarks Herzen, als er in Sekundenbruchteilen die Szene in sich aufnahm, verarbeitete und zu dem schrecklichen Schluss kam, dass Arson den Verstand verloren hatte!

1. Kapitel

Zur gleichen Zeit in der normalen Welt, in einer kleinen Ortschaft, rund achtzehn Kilometer von Basel entfernt.

Ein kleines, einstöckiges Bauernhaus stand am Ende der Straße. Leise tropfte Regen auf das Dach. Die Nacht war kühl und windig.

Der Mann, der das kleine Haus allein bewohnte, hatte sich alle Räume als Forschungsstätten eingerichtet.

Friedrich Chancell war Amateurforscher, neununddreißig Jahre alt und lebte von Aktien und Beteiligungen an mehreren Unternehmen. Seine Einkünfte ermöglichten dem Junggesellen ein relativ unabhängiges und freies Leben.

Chancell war dunkelhaarig, hatte schwarze Augen und man sah ihm an, dass seine Vorfahren reinblütige Franzosen gewesen waren.

Das Bauernhaus, das er seit zwölf Jahren bewohnte, hatte sich im Lauf dieser Zeit zu einer Art Museum entwickelt. Aus allen Teilen der Welt hatte Chancell Sammelstücke zusammengetragen.

An den Wänden der kleinen Räume mit den niedrigen Decken hingen erschreckende Masken, Wurfspeere, Blasrohre, handgefertigte Dolche und steinerne Figuren aus aller Welt. In jedem Stock gab es Regale, die prallgefüllt waren mit alten und neuen Büchern. Da standen Werke von Freud und C. G. Jung neben Bänden von Däniken und Robert Charraux.

Im Haus existierte ein Archiv, das jeden Bibliothekar vor Neid erblassen ließ.

Alle Merkwürdigkeiten, die im Lauf der letzten hundert bis hundertfünfzig Jahre in der Welt passiert waren und in der Presse ihren Niederschlag fanden, waren fein säuberlich abgeheftet.

In den Artikeln war die Rede von rätselhaften Vorfällen in allen Teilen der Welt, Sichtung von geheimnisvollen Flugobjekten bis hin zum Verschwinden von Menschen, die eines Tages unter nicht minder seltsamen Umständen wieder auftauchten. Sie waren manchmal zwanzig oder gar dreißig Jahre fort gewesen, ohne sagen zu können, wo.

Berichte von Forschern, die monatelang Fußmärsche durch die Urwälder hinter sich hatten, nahmen einen großen Teil des Archivs ein. Augenzeugen berichteten von unglaublichen Riten oder Entdeckungen, die sie gemacht hatten.

Friedrich Chancell, selbst ein Globetrotter, der die meiste Zeit des Jahres im Ausland lebte, konnte aus eigener Erfahrung das Archiv ständig ergänzen.

Er reiste zwischen Oaxaca, Chichen Itza, Cuzco und Macchu-Picchu hin und her, hauste wochenlang in weltabgeschiedenen Eingeborenen-Dörfern mitten im Dschungel des Amazonas oder war wochen-, gar monatelang mit einem Flachboot auf den unzähligen Nebenflüssen unterwegs.

Weshalb?

Chancell war überzeugt davon, dass das Weltbild, wie es von Wissenschaftlern und Forschern gewissermaßen als erkannt und enträtselt hingestellt wurde, nicht stimmte. Es gab da einige Schönheitsfehler. Gerade in der Entwicklung zum denkenden Menschen, zum homo sapiens, fehlten Bindeglieder, wenn man die bisherigen Erkenntnisse als wahr und richtig zugrunde legte.

Nur wenn man gewisse Hinweise aus Erzählungen, Legenden, Sagen und Versuchen der neueren Zeit berücksichtigte und ihnen den richtigen Stellenwert gab, kam man zu dem Schluss, dass die Menschen schon vor langer Zeit Kontakte zu Außerirdischen hatten. Und die hatten sogar aktiv in die Genentwicklung eingegriffen.

In den Mythen primitiver Völker zeigten sich besonders intensive Zeichen solcher Begegnungen. Die Indianerstämme im Gebiet um den Amazonas waren da eine wahre Fundgrube.

Chancell atmete tief durch.

Er saß am Schreibtisch, dessen Platte von einer starken Lampe voll ausgeleuchtet wurde.

Mehrere vergilbte Zeitungsausschnitte lagen ausgebreitet vor ihm, die er katalogisierte. Besonders ein Artikel, versehen mit einer einfachen, nur noch undeutlich erkennbaren Strichzeichnung illustriert, hatte es ihm angetan.

Chancell wusste, dass diese Zeichnung der Schlüssel zu einem großen Geheimnis war.

In seinem Archiv gab es ein solches Stück kein zweites Mal. Und doch war es ihm bekannt. Da war ein Gespräch gewesen, das nun drei oder vier Jahre zurücklag. Er hatte es mit einem Eingeborenen-Häuptling geführt, von dem behauptet wurde, dass er Wächter kenne, die die Höhle bewachten, in der die Fremden stünden.

»Die Fremden« – mit diesem Begriff brachte Chancell etwas ganz Bestimmtes in Verbindung. Ein Gerücht ging um in den verschiedenen Stämmen Es hörte sich phantastisch an. Da sollte es mitten im Urwald eine verborgene, von Schlinggewächsen überwucherte Pyramide geben, die die »Fremden« einst benutzten. Sie wurden als groß und hellhäutig beschrieben, und es hieß, sie seien einst mit »Fliegenden Wagen« vom Himmel gekommen. »Die Fremden« würden nur darauf warten, dass man sie zurückholen und zum »alten Schiff« bringe.

Wer nicht genau hinhörte, hielt das Ganze für Geschwätz, für eine Erzählung aus dem Reich der Sage.

Gerade solchen Dingen aber ging ein Mann wie Friedrich Chancell stets nach. Und diesen Kleinigkeiten, auf die er Wert legte, seiner Unbeirrbarkeit und Gründlichkeit hatte er möglicherweise einen Triumph zu verdanken, mit dem er eigentlich so schnell nicht gerechnet hatte.

Er hielt den Beweis in Händen!

Mechanisch näherte sich seine Hand dem Telefonapparat, nahm den Hörer ab und wählte eine Nummer. Es war die Vorwahl von Barcelona.

Das Rufzeichen erscholl.

Zwanzig Sekunden später wurde am anderen Ende der Strippe der Hörer abgenommen.

»Hola?«, fragte eine dunkle, angenehme Frauenstimme.

»Chancell. Kann ich bitte Juan sprechen?«

»Si, Senor. Einen Augenblick bitte ...« Die Sprechmuschel wurde zugehalten, Friedrich Chancell vernahm leises Getuschel.

Dann folgte eine klare Männerstimme. »Hallo, Friedrich! Ich habe mit allem Möglichen gerechnet, aber nie damit, dass du mich um diese Zeit noch anrufen würdest.«

»Tut mir leid, Juan ...«

»Du brauchst dich doch nicht zu entschuldigen!«

»Ich hoffe, ich habe dich nicht bei einem wichtigen Vergnügen gestört? Die Stimme am Telefon klang recht charmant. Wenn die Inhaberin so gut aussieht, wie ihre Stimme klingt, dann kann man dir nur gratulieren.«

»Danke! Das Mädchen ist goldrichtig. James Bond würde sich alle zehn Finger lecken.«

»Ist sie rot, blond oder schwarz?«

»Diesmal blond. Die Woche fängt gut an, nicht wahr? Aber du wolltest sicher nicht über meine Freundinnen mit mir sprechen. Wo brennt's?«

»Es ist sehr richtig, Juan. Ich habe den Beweis ...«

»Du bist verrückt!«, fiel der Spanier wie aus der Pistole geschossen dem Anrufer ins Wort. »Sag das noch mal ...«

»Ich habe den Beweis. Es muss die Fremden geben, von denen die Eingeborenen erzählen, und auch das alte Schiff existiert, das eine besondere Bedeutung für sie zu haben scheint.«

»Und wie kommst du so plötzlich darauf?«

»Von plötzlich kann keine Rede sein, Juan ... Der Gedanke, dass da eine Menge Zündstoff liegt, macht mir schon lange zu schaffen. Die Indianer müssen einen Grund haben, dass sie ihr Geheimnis so schützen, damit die Öffentlichkeit nichts erfährt. Ich habe von einem Gönner kürzlich einen ganzen Packen alter Zeitungen erhalten. Die lagen jahrzehntelang auf einem Speicher und kein Mensch interessiert sich dafür. Bei Abbrucharbeiten wurden sie gefunden. Ich bin seit einer Woche daran, das Material zu sichten. Da scheint es vor rund hundert Jahren schon mal jemand gegeben zu haben, der ähnliche Dinge sammelte wie ich heute. Die meisten Artikel hatten merkwürdige Begebenheiten um die Jahrhundertwende zum Inhalt. Ich bin seit einer Woche dran. Und nun habe ich das gefunden, was ich schon immer suchte. Jemand hat das alte Schiff gesehen und beschrieben ...«

Friedrich Chancell unterbrach sich absichtlich. Er wusste sehr wohl, was für eine Wirkung jedes einzelne Wort auf Juan haben würde.

»Im Jahr 1882 wurde eine Forschergruppe, die den Amazonas aufwärts fuhr, von Wilden überfallen und niedergemetzelt. Einem einzigen Mann gelang es, dem Massaker zu entkommen. Er schlug sich monatelang durch den Dschungel, lebte hauptsächlich von Früchten und Wurzeln und versuchte, den Weg in die Zivilisation zurückzufinden. Dabei stieß er auf einen versumpften Seitenarm des Amazonas. Versteckt hinter wild wuchernden Pflanzen, fast völlig von Tang und Schlingpflanzen überwachsen sah er das Wrack. Er fand ein an einen Mast gekettetes Skelett. Es war menschenähnlich, und doch kein menschliches Wesen, schreibt er wörtlich hier, Juan«, zitierte Chancell. »Es hatte außer Armen auch Flügel. Wie ein entführter, gefallener Engel stand er dort, und um seine Schultern war ein leuchtend gelber Umhang gelegt, der mit geheimnisvollen, magisch anmutenden Zeichen und Symbolen bestickt war.«

Die Indianer sprachen in ihren Legenden und Mythen immer von den Göttern, die von den Sternen kamen, die von den Sternen gekommen waren und ihnen ein Geheimnis anvertrauten ...

»Das wäre sensationell, Friedrich«, entfuhr es Juan Lopez Amalla erregt.

»Aber der Amazonas ist groß, die Stelle nicht genau bekannt und ...«

»Da muss ich dich korrigieren«, fiel der Schweizer dem Freund ins Wort. »In dem Artikel selbst ist alles sehr nebulös. Genaue Angaben fehlen, aber auf den Rand sind Notizen geschrieben, die mich elektrisiert haben. Die Zahlen darauf bedeuten nichts anderes als der Längen- und Breitengrad. Sogar der Stand der Sonne ist eingezeichnet. Du weißt, was das bedeutet?«

»Wenn kein Scharlatan am Werk war, dann nichts anders als das, dass der Zeitungsausschnitt mal in den Händen desjenigen sich befand, der ihn auch verfasst hat. Er hat die Angaben möglicherweise nur für sich selbst später ergänzt.«

»Du sprichst mir aus dem Herzen, Juan. So und nicht anders muss es gewesen sein. In dem Artikel schildert der einzige Überlebende die Strapazen seiner Irrwanderung. Als man ihn fand, waren zwei Jahre vergangen. Philipe Laison, so hieß der Mann, war Franzose und stammte aus Lyon. Er kehrte in die Zivilisation zurück. Er war nur noch ein Wrack, am Ende seiner psychischen und physischen Kräfte, ausgemergelt von Krankheiten, Entbehrungen und Ängsten. So wird er von anderer Seite geschildert. In diesen Berichten ist auch die Rede davon, dass er in Fieberphantasien sprach. Seltsam ist nur, dass sich seine Fieberphantasien mit Mythen der Eingeborenen decken. Das macht mich stutzig, Juan. Da stimmt doch etwas nicht.«

»Das heißt, du gehst der Sache so schnell wie möglich auf den Grund?«, reagierte der Spanier sofort. Er kannte den Freund.

»Ich habe immer einen Grund zum Reisen, also bin ich stets darauf vorbereitet. Wenn alles klappt, fliege ich morgen Mittag ab. Wann treffen wir uns?«

»Aller Wahrscheinlichkeit nach rund vierundzwanzig Stunden später. Wie immer im Hotel Maya in Brasilia.«

»Dann wünsche ich dir einen guten Flug und für heute noch eine angenehme Nacht.«

»Die hab ich. Blondie wartet schon ganz ungeduldig.«

»Lass sie nicht länger warten! Wenn wir erst wieder auf Dschungeltour sind, werden ein paar Wochen vergehen, ehe du die nächste Frau zu Gesicht bekommst.«

Juan Lopez Amalla seufzte. »Davor habe ich die meiste Angst, Amigo. Vielleicht nehme ich diesmal eine meiner Freundinnen mit. Das wäre gar keine so schlechte Idee ...«

Er klebte die vergilbten Zeitungsausschnitte ein, rauchte dabei gedankenversunken eine Zigarette und löschte dann das Licht.

Es war wenige Minuten nach zehn Uhr abends und regnete nicht mehr, der Wind hatte sich gelegt.

Chancell war aufgewühlt und wusste, dass er keine Ruhe zum Schlafen fand, deshalb entschloss er sich, einen kleinen Spaziergang ums Haus zu machen.

Er nahm den Regenschirm mit, schlüpfte in seinen Trenchcoat und verließ die Wohnung.

Tausend Dinge gingen ihm durch den Kopf.

Er kam nicht weg von dem Abenteuer des französischen Forschers, der vor rund hundert Jahren gelebt hatte und über dessen weiteres Schicksal nichts bekannt geworden war.

Ein Schiff der Götter, mitten im brasilianischen Dschungel! Die Vorstellung erregte ihn. Die Welt würde Kopf stehen. Er konnte den Beweis erbringen, dass die Astronauten-Götter, von denen in den letzten Jahren immer wieder die Rede war und über die inzwischen Tausende von Druckseiten in der Welt erschienen, tatsächlich existierten.

Die Straße lag dunkel und feucht schimmernd vor ihm.

Außer dem einsam stehenden Haus am Rand der Wiesen und Äcker gab es kein weiteres Gebäude in Sichtweite.

Es war stockfinster, kein Stern zeigte sich am bewölkten Nachthimmel.

Der Amateurforscher ging die Straße entlang, die unmittelbar zwischen den Feldern mündete. Nach etwa zweihundert Metern war der Boden nicht mehr asphaltiert und ging über in einen festen Feldweg, den der leichte Regen nicht hatte aufweichen können.

In einigen Mulden standen Pfützen, die Chancell geschickt umging.

Am Ende des Weges lag düster ein dichter, kleiner Wald, dahinter etwa zwei Kilometer von Chancells Wohnung entfernt, das nächste Dorf.

Es war nicht damit zu rechnen, dass um diese Zeit und vor allem auch bei diesem Wetter noch jemand unterwegs war. Hauptsächlich von Fahrradfahrern wurde die Abkürzung zwischen den Äckern und dem Wald benutzt.

Chancells Absicht war es, bis zum Waldrand zu laufen, dann kehrt zu machen und wieder nach Hause zu gehen.

Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als die Stimme ihn plötzlich ansprach.

»Ich an Ihrer Stelle würde es nicht tun! Denken Sie an Philipe Laison!«

Chancell erstarrte.

In seinem Nacken kribbelte es. Der Abenteurer hatte schon viele haarsträubende Situationen auf seinen Reisen erlebt und gemeistert. Wenn man die weltabgeschiedensten Orte aufsuchte, dann war die Gefahr der ständige Begleiter. Aber wenn in einem Augenblick an einem Ort, wo man es nicht erwartete, etwas Außergewöhnliches geschah, fiel der Schrecken umso größer aus.

Der Schweizer warf den Kopf herum und schluckte. Er hätte die dunkle Gestalt nicht mal wahrgenommen, so sehr war sie eins mit der Schwärze ringsum, mit dem dunklen Hintergrund der Bäume und Baumschatten.

Der Sprecher lehnte an einem Stamm und rührte sich auch jetzt noch nicht, als er wohl bemerkte, dass Chancell ihn entdeckt hatte.

»Wer sind Sie? Was wollen Sie von mir?« Der einsame Spaziergänger zeigte, nachdem er sich wieder gefasst hatte, keine Furcht.

»Sie warnen«, lautete die knappe Bemerkung. Die Stimme klang kühl und unangenehm. Dem Schweizer lief es eiskalt über den Rücken. »Warnen? Vor was? Vor wem? Was soll das dumme Gerede?«, reagierte er scharf.

Chancell war auf Abwehr eingestellt. Unwillkürlich hatte er seine Rechte zur Faust geballt. Der andere sollte nur versuchen, sich an ihm zu vergreifen. Er würde sein blaues Wunder erleben. Friedrich Chancell war sportlich und verstand sich auf Kampftechniken, die er in Asien und Afrika erlernt hatte.

Doch der andere schien an einer körperlichen Auseinandersetzung ebenso wenig interessiert zu sein wie an einem Raubüberfall.

Noch immer stand er völlig teilnahmslos da.

Unwillkürlich richtete Friedrich Chancell seinen Blick in Höhe der Hände, die sein Gegenüber in den Taschen verborgen hielt. Wenn der andere mit einer Waffe auf ihn zielte, wurden seine Chancen aus dieser Entfernung allerdings schon geringer.

Aber da war noch mehr, was ihm durch den Kopf ging. Die Bemerkung des Sprechers ... die Tatsache, dass er den Namen Philipe Laison erwähnt hatte. Nur einer hatte ihn gehört. Das war Juan in Barcelona!

»Es ist kein dummes Gerede, Herr Chancell«, fuhr der Mann in der Dunkelheit zu sprechen fort.

Der Amateurforscher konnte von ihm nur so viel erkennen, dass er einen schwarzen Mantel und einen tief ins Gesicht gezogenen schwarzen Hut trug. Vom Antlitz seines Gegenübers war nichts zu sehen.

»Ich meine es ernst. In Ihrem eigenen Interesse! Philipe Laison wollte es damals auch nicht wahrhaben ...«

»Wieso sprechen Sie ständig von einem Philipe Laison? Ich kenne keinen ...«

»Dann ist es umso erstaunlicher, dass Sie den gleichen Weg gehen wollen ...«

»Wie kommen Sie darauf?«, fragte Chancell heiser. Was er hier zu hören bekam, irritierte und verwirrte ihn. Konnte der andere Gedanken lesen, oder wurde sein Telefonanschluss überwacht?

Was das Letztere anbetraf, so verwarf er diesen Gedanken ebenso schnell wieder, wie er ihm gekommen war.

Unsinn! Was er tat, wofür er sich interessierte, das war zwar nicht alltäglich, aber es war weder staatsgefährdend, noch untergrub er die Sicherheit seines Landes. Seine Interessen kollidieren nicht mit denen der Abwehrstellen. Er war ein unbedeutender Zeitgenosse, bei dem sich jegliche Überwachung erübrigte.

»Ich meine es gut. Machen Sie also keinen Unsinn«, bekam er zu hören.

»Soll das eine Drohung sein?«

»Warum sprechen Sie von einer Drohung, wenn ich Ihnen einen Rat gebe?«

»Ich bin gewohnt, das zu tun, was ich für richtig halte ...«

»Diesmal ist es eben nicht richtig. Denken Sie an Philipe Laison! Der Name ist Ihnen geläufig, persönlich können Sie ihn natürlich nicht gekannt haben. Er lebte lange vor Ihrer Zeit.«

»Sie wollen damit doch nicht sagen, dass Sie ihn kannten?«

»Doch, das will ich damit sagen! Ich warnte auch Philipe Laison. Aber er wollte mir nicht glauben ...«

Chancell merkte, wie ihm heiß wurde.

Was er hier erlebte, ging über sein Begriffsvermögen, und doch ... in der Tiefe seines Bewusstseins regte sich eine Erkenntnis. Diese verflixte Dunkelheit! Zu gern hätte er einen Blick in das Gesicht seines Gegenübers geworfen.

»Das Ergebnis war, er verlor den Verstand und endete im Irrenhaus ...« Der andere betonte jedes Wort. Wie Hammerschläge trafen sie Chancell.

»Niemand glaubte ihm etwas von dem, das er gesehen haben wollte«, seufzte der Schwarze in der Dunkelheit. »Ist ja verständlich. Wer nimmt einen Irren schon ernst. Umso ernster sollten Sie das nehmen, was ich Ihnen sage, Herr Chancell ...«

»Woher kennen Sie meinen Namen? Wieso wissen Sie, was ich ... beabsichtige?«

»Wir wissen alles ...«

»Wer ist wir?«

Leises, rätselhaftes Lachen. »Wir sind die Herren in Schwarz, die immer dann aufkreuzen, wenn etwas in der Welt geschieht, das mysteriös ist, und lieber nicht ans Licht der Öffentlichkeit gerät.«

Die Männer in Schwarz! Er hatte schon davon gehört, über sie gelesen. Viele jener Personen, die eigenartige Begegnungen hatten oder Untertassen-Phänomenen nachgingen, gaben manchmal kleinlaut zu, von solchen Männern in Schwarz aufgesucht, angesprochen oder gar bedroht worden zu sein, wenn sie über dieses oder jenes Ereignis weiterhin berichten würden.

»Aber warum ...?«, hörte Chancell sich sagen. Er hatte eine rege Phantasie, doch was er hier erlebte, stellte das Phantastischste in den Schatten.

»Darüber sprechen wir lieber nicht«, fiel der andere ihm sofort ins Wort. Er löste sich von dem Baumstamm. Unter dem breitkrempigen Hut schimmerte ein kalkweißes Gesicht. »Sie treten Ihre Reise nicht an, suchen nicht den Ort mit dem alten Schiff und lassen das Wrack der namenlosen Götter dort in der Einsamkeit verrotten, wohin es gehört. Es ist in Ihrem eigenen Interesse. Denken Sie stets daran!« Der Schwarze wandte sich um und verschwand zwischen den Stämmen.

»Aber so hören Sie doch, ich ...« Friedrich Chancell machte drei Schritte nach vorn, um dem Fremden zu folgen. Er hörte das Rascheln von Laub, das den Boden bedeckte. In der Dunkelheit zwischen den Baumstämmen knackte ein Zweig.

Dann war Totenstille.

Chancell hielt den Atem an. Eine halbe Minute stand der Amateurforscher wie angewurzelt.

»Kommen Sie zurück!«, rief er plötzlich. Laut und klar hallte seine Stimme durch die stille Nacht. »Wir müssen über das sprechen, was Sie mir da angedeutet haben. Laufen Sie nicht einfach davon!«

Doch von Davonschleichen konnte keine Rede sein. Kein Mensch konnte sich mitten im Wald lautlos bewegen. Es schien, als hätte sich der Fremde in Luft aufgelöst ...

Chancell machte auf dem Absatz kehrt und eilte im Laufschritt nach Hause. Dort holte er eine Taschenlampe und nahm aus der verschlossenen Schublade seines Nachttisches eine geladene Pistole. Er entsicherte sie.

Der Mann eilte noch mal zu der Stelle zurück, an der es zu der gespenstischen Begegnung gekommen war.

Ein Mann in Schwarz, jene mystische Gestalt, wo war sie?

Chancell suchte die fragliche Stelle gründlich ab, ging furchtlos einige Meter in den Wald hinein, ohne jedoch auf den rätselhaften Gesprächspartner von vorhin zu stoßen.

Unverrichteter Dinge kehrte Chancell schließlich nach Hause zurück, schenkte sich einen Kognak ein, zündete sich eine Zigarette an und ließ das frische Erlebnis in aller Ruhe vor seinem geistigen Auge Revue passieren.

»Ich werde es euch zeigen«, murmelte er einmal, ohne dass ihm sein Selbstgespräch bewusst wurde. »Gerade dass einer auftaucht, beweist, dass ich richtig liege. Ich werde die Expedition unternehmen und auch Mittel und Wege finden, das Geheimnis zu lüften.«

Er war wild entschlossen, aktiv zu werden und konnte es kaum erwarten, bis die merkwürdige Nacht zu Ende ging.

Er torkelte, stolperte abermals und blieb diesmal erschöpft liegen.

Nur wenige Schritte, und Carminia Brado und Björn Hellmark waren an der Stelle, wo der Freund zusammengebrochen war.

Arson keuchte. Er schlug und trat jetzt nicht mehr um sich. Er war still.

»Arson!« Björn kniete neben ihm und legte das Schwert des Toten Gottes in Reichweite auf den Boden, um jede Gefahr sofort parieren zu können.

Der Mann mit der Silberhaut, der seit einiger Zeit Dauergast auf Marlos, der unsichtbaren Insel zwischen Hawaii und den Galapagos-Inseln war, lag mit dem Gesicht auf dem Boden und hatte die Hände wie im Krampf in die Erde gekrallt.

Hellmark drehte den Freund auf den Rücken.

»Was ist los, Arson? Wo bist du gewesen? Wieso ...«

Was er weiter sagen wollte, blieb ihm wie ein Kloß im Hals stecken.

Carminia Brado presste die Faust an den Mund, um nicht laut aufzuschreien.

Wie sah Arson aus!

Sein Haar war dünn und schütter, seine Haut welk, runzelig und verdörrt wie die Oberfläche einer vertrockneten Pflaume.

Der Mann, der vor wenigen Stunden noch frisch und voller Elan gewesen war, schien ein schwächlicher Greis zu sein, der aus trüben Augen blickte und sie wohl nicht mehr kannte ...

Hellmarks Gedanken fieberten. Was hatten sie mit dem Freund gemacht? Wer war schuld an seinem Zustand? Arson sah aus wie ein Hundertjähriger. Björn Hellmark überfiel ein furchtbarer Gedanke. Wie lange hielten sie sich schon in der Mikrowelt auf? Unwillkürlich drängte sich ihm diese Frage auf.

Der Zeitablauf in diesem Bereich des Universums war möglicherweise ein anderer. Konnte es sein, dass Arson sich an einem anderen Ort aufgehalten hatte, wo die Zeit so rasend schnell verging, dass statt Stunden bei ihm Jahrzehnte vergangen waren?

Carminia und Björn sehen noch genauso aus wie eh und je.

War Arson ein Trugbild?

Nein! Er konnte den Freund fühlen und sah ihn atmen und leiden. Er versuchte sich mitzuteilen. Doch ihm fehlte einfach die Kraft dazu.

Björn bettete den Freund einige Meter vom Fundort entfernt in eine moosige Bodenmulde. Ein riesiger Baum mit ausladendem Wipfel stand an der Stelle. In Reichweite wuchsen schwarze, bizarr geformte Pilze, die eine lackartige feste Oberfläche hatten. Der schwarze Kopf dieser Gewächse wurde zu einer Art Spiegel, in dem der düstere Himmel reflektierte.

Überall summte und sirrte es. Die Luft war erfüllt von Geräuschen aus den blubbernden, verborgen liegenden Sümpfen und dem gewaltigen Dschungel, der sich auf der anderen Seite ausbreitete.

Die Vielfalt bedrohlichen Lebens wagte Hellmark sich nicht vorzustellen. Es war überhaupt erstaunlich, dass sie bisher so glimpflich davongekommen waren und wilde Tiere oder Rieseninsekten keinen Angriff unternommen hatten.

Hing das mit der Herrschaft Nh'or Thruus zusammen? War er nicht nur Herr über die denkenden Geschöpfe dieser Welt, sondern auch über die Tiere?

Die Dinge, die in der kurzen Zeit ihres zwangsweisen Aufenthaltes geschehen waren, hatten ihnen gezeigt, wie der Irre von Zoor mit dem Leben umsprang. Er formte es nach seinem Willen und gestaltete Puppen. In diesem Zusammenhang dachte Björn an die Nachtseelen von Zoor und die braunhäutigen, kriegerischen Menschen, die mit Pfeil und Bogen bewaffnet waren, deren Köpfe leuchteten wie Lampen und die nur zu vernichten waren, wenn sie die Köpfe verloren. Erst dabei stellte sich heraus, dass es wirklich lebende Puppen waren, die Nh'or Thruu in den Kampf geschickt hatte und keine Lebewesen aus Fleisch und Blut. Das ließ einen weiteren Schluss auf die grausame Herrschaft des Wahnsinnigen aus dem Dämonenreich zu. Er hatte alles Lebende ausgerottet.

Ein bedrückendes Bild erstand in Hellmarks Bewusstsein, während er sich um Arson kümmerte und Carminia dem Freund vorsichtig mit klarem Wasser die aufgesprungenen Lippen benetzte. Das schien ihm gut zu tun.

Er stellte sich vor, dass dies der Endzustand der Erde sein könnte. Ein einziges, dämonisches Wesen beherrschte eine ganze Welt, ohne Rücksicht auf das Leben und den Willen der Beherrschten.

Hellmark blickte in die Richtung, aus der Arson gekommen war. Dort in Höhe des Hügels war alles still.

Ein einziges Mal ließ Björn deshalb auch nur seinen Doppelkörper entstehen, um sich die Gegend dort hinten genauer anzusehen. Es gab nichts Verdächtiges. Das machte alles nur umso mysteriöser.

Er musste an die Stimme denken, die sie alle gehört hatten, kurz bevor der erste unheimliche Angriff auf sie erfolgt war. Jedes einzelne Wort hatte sich in sein Gedächtnis gegraben.

Nh'or Thruus Stimme hatte sie höhnisch und triumphierend wissen lassen, dass er auf sie wartete, dass er auf ihr Kommen vorbereitet war.

... ich hätte euch schon tausendmal töten können, klang die Stimme in Björns Bewusstsein nach. Aber das ist langweilig. Sterben kann jeder nur einmal. Ich habe anderes mit euch vor. Ich werde euch jagen und hetzen durch eine Welt, von der ihr nichts wisst. Bis die Stunde kommt, da ihr mich selbst darum beten werdet, euch einen gnädigen Tod zu schenken ... aber ich werde ihn euch nicht gewähren.

Jedes einzelne Wort ließ er in seinem Gedächtnis Revue passieren.

Hatte Nh'or Thruu bei Arson den Anfang gemacht? War dies der Beginn der Jagd auf sie?

»Vorsicht«, kam es da wie ein Hauch über die Lippen des Mannes, der am Boden lag. »Ich ...« Schon war seine Kraft wieder weg. Arson hielt die zitternden, durchscheinenden Augenlider geschlossen.

»Nicht sprechen! Du musst erst wieder zu Kräften kommen«, sagte Björn Hellmark ernst. »Dann kannst du uns alles erzählen ...«

Der Mann mit der Silberhaut deutete ein Kopfschütteln an. »Dann ist es ... vielleicht ... schon ... zu spät«, kam es wie abgehackt über seine Lippen. »Ihr müsst ... weg von hier.«

»Das ist einfacher gesagt als getan, Arson. Nichts lieber als das. Hast du vergessen, wo wir uns befinden?«

»Nein ... in der Mikrowelt ... im Herrschaftsbereich Nh'or Thruus ... das ist es, was wir ändern müssen. Sonst werden wir ... elend zugrunde gehen ... ich habe ihn getroffen ...«

»Nh'or Thruu?«

»Ja, er hat mir noch mal das Leben geschenkt ... als lebende Warnung. Was ist nur los mit mir? Warum bin ich ... so kraftlos?«

Seine letzten Worte waren kaum noch zu verstehen. Björn musste sich tief zu ihm herabbeugen, um seine Stimme zu vernehmen.

»Du bist schwach, weil du wahrscheinlich einen langen Weg zurücklegen musstest ...«

»Er war sehr weit ...«, bestätigte Arson. »Die Höhle muss am anderen Ende dieser Welt liegen.«

Wieder mischte sich eine neue Information in seine Ausführungen, die er wie in Trance mitteilte.

»Welche Höhle, Arson?«

»In der Nh'or Thruu lebt ...«

»Wie kamst du dorthin?« Sofort meldeten sich Zweifel bei Hellmark, als er daran dachte, auf welche Weise Arson verschwunden war. Bei den Dämonen und deren Verbündeten wusste man nie, welche Tricks sie anwandten, welche Fallen sie errichteten.

Der beste Freund konnte zum Risiko werden, zu einer wahren Zeitbombe, wenn Dämonen sich seiner bemächtigt hatten und die Fäden zogen.

Das war in diesem Mikroreich einfacher als in der Welt, aus der sie kamen. Dort konnte der Mensch noch schalten und walten, war oft in seinen Entscheidungen jedoch sein eigener Dämon, verging sich durch Verbrechen, Arroganz und Missgunst gegen seine eigenen Interessen und wurde unmenschlich.

»Ich hielt Wache. Daran erinnere ich mich noch ...« Arsons Zustand war etwas besser geworden. »Plötzlich sah ich die Puppenmenschen ...« Damit meinte er die Erdfarbenen, die wie Menschen aussehen, sich bewegten und redeten, aber Kopien aus künstlicher Materie waren. »Ich konnte euch nicht mehr warnen ... ich wurde von einem Pfeil getroffen, ehe ich dazu kam, etwas zu unternehmen ... als ich wach wurde, habe ich sofort gerufen ... aber ihr wart nicht mehr da ... erst langsam dämmerte mir, dass man mich entführt hatte. Auch euch? Ich konnte euch nirgends entdecken ... da erhob ich mich, um euch zu suchen.«

Er hielt inne und schlug die Augen auf.

»Die Höhle ist gewaltig ... du kannst dir keine Vorstellung davon machen, Björn ...«

»Was ist in der Höhle passiert?«

»Das weiß ich nicht ... als ich zu mir kam, hatte ich das Gefühl, alt und verbraucht zu sein. Ich war mir selbst eine Last ...«

»Wo ist die Höhle, Arson?«

»Hinter dem Hügel, tief in der Erde. Du musst Nh'or Thruu vernichten, denn dort liegt der Schlüssel zu unserer Freiheit ... und der zum Rätsel der Nachtseelen.«

Ähnliches hatte auch Ak Nafuur verlauten lassen. Der einstige Dämonenfürst Molochos, der nun wieder seinen alten Namen Ak Nafuur angenommen hatte, gab Björn den Hinweis, nach Zoor zu gehen und die Gefahr dort an Ort und Stelle zu beseitigen. Nur so sei es möglich, weiteres Unheil abzuwenden.

Aber die Dinge hatten sich in der Zwischenzeit verändert. Die Spalte von Mikro- in den Makrokosmos war wieder verschlossen. Durch das Verschwinden des Ruinenrestes der magischen Zitadelle. Dadurch hatte die Gefahr sich praktisch von selbst behoben. Aus dem Mikrokosmos konnte keine neue Bedrohung mehr eindringen, doch diejenige, die in Form der Nachtseelen noch in der Normalwelt existierte, musste beseitigt werden.

So konnte die Höhle tatsächlich der richtige Ort sein.

»Wie konntest du entkommen, Arson?« Björn sprach ruhig. Der Freund saß aufrecht an den Baum gelehnt, sah erschütternd blass und fremd aus. Die Nase ragte spitz aus dem zerknitterten Gesicht hervor, aus seinen Augen war jeglicher Glanz erloschen. Der kräftige, silberne Farbton, der sonst das Aussehen von Arsons Haut bestimmte, war einer fahlen, matten Oberfläche gewichen. Arson wirkte krank ...

»Ich fand einen Ausgang, dann fing ich an zu laufen.«

»Nh'or Thruu hielt dich nicht zurück?«

»Nein! Im Gegenteil, er jagte mich davon. Dröhnend hallte seine Stimme hinter mir her ...« Arson war als abschreckendes Beispiel auf den Weg geschickt worden. Björn und Carminia sollten sehen, zu welch grausamen Taten er fähig war.

Und Hellmark war bereit, die Herausforderung anzunehmen.

Einiges in Arsons Ausführungen gefiel ihm nicht. Es gab Widersprüche und Lücken.

Das mahnte ihn, noch mehr Vorsicht walten zu lassen, falls das überhaupt noch möglich war.

Er konnte den Greis und Carminia nicht allein zurücklassen, das war seine nächste Überlegung.

Aber er konnte mit Macabros einen weiteren Versuch unternehmen, jenen Ort aufzusuchen, an dem Arson eine schauerliche Erfahrung gemacht hatte. Dazu kam es nicht mehr ... Flügelrauschen war plötzlich über ihnen.

»Björn!«, schrie Carminia noch. Instinktiv warf Hellmark sich herum und riss gleichzeitig geistesgegenwärtig sein Schwert empor.

Ein riesiger Schatten stürzte sich auf die Brasilianerin.

Ein geflügeltes Insekt, groß wie ein Mensch! Die Flügelspannweite maß mindestens zweieinhalb Meter.

Ein Wabenmonster, wie sie es in ihren Träumen auf dieser Welt zum ersten Mal erblickt hatten.

Es war Sephoos, der in den Mikrokosmos zurückgekehrte letzte Überlebende seines Volkes, der insgesamt drei irdische Frauen in den unheimlichen Waben hatte zu seinesgleichen machen können. Mit ihnen beabsichtigte er, sein Volk neu erstehen zu lassen. Sie waren die Königinnen einer neuen Brut, die die Waben-Städte bald belegen würden.

Von all diesen Dingen wussten die in der Mikrowelt Eingeschlossenen nichts. Sie hatten sich während ihrer Abwesenheit von der Erde ereignet.

Der Insektenmensch stürzte sich blitzartig auf Carminia.

Björn wurde von dem Angriff ebenso überrascht wie seine Begleiterin, wie Arson, der Mann mit der Silberhaut.

Die äußere, hornartig überzogene Kante des rechten Flügels traf Hellmark.

Er meinte, an der Schläfe von einem Keulenschlag getroffen zu werden.

Im Nachvornlaufen blieb er ruckartig stehen, als würde er gegen eine unsichtbare Wand rennen. Vor seinen Augen begann alles zu kreisen. Dann wurde es schwarz um ihn herum.

Schwer wie ein nasser Sack stürzte er zu Boden. Der ganze Vorgang spielte sich innerhalb von Sekunden ab.

Ehe Carminia Brado sich versah, wurde sie von den großen Greifzangen umfasst und in die Höhe gerissen.

Die Brasilianerin verlor den Boden unter den Füßen. Sie schrie und ruderte wie wild mit Armen und Beinen in der Luft herum, ohne dadurch ihre Lage auch nur im Geringsten verändern zu können.

Sephoos lachte schallend. Aus seinem spitzen Insektenmaul drangen kullernde, girrende Laute, die seinen Triumph verkündeten.

Der mehr als große Insektenmensch teilte mit kräftigen Flügelschlägen die Luftmassen, gewann rasch an Höhe und verschwand in der ewigen Düsternis dieser Welt.

Im Hintergrund waren schwach die Umrisse der Riesenwaben zu erkennen, die eine ganze Stadt bildeten. Es war die ausgestorbene Stadt der Insektenrasse, in die Sephoos mit seiner Beute zurückkehrte.

Carminia Brado schrie wie von Sinnen, als ihr unheimlicher Widersacher direkt auf eine offene Kammer der Waben zuschwebte, um sie darin zu deponieren.

Die Brasilianerin wusste nur zu gut, was dies bedeutete.

Schon einmal war sie ahnungslos durch eine dieser Waben gekrochen, in der Hoffnung, das Grauen hinter sich zu lassen.