Macabros 042: Die Schlangengöttin - Dan Shocker - E-Book

Macabros 042: Die Schlangengöttin E-Book

Dan Shocker

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Beschreibung

Fluch der Schlangengöttin Björn Hellmark kann sich nur eine winzige Verschnaufpause gönnen; es gilt, die Schlangengöttin auf seine Seite zu bringen. Luku-U moa war einst ein Mensch, heute ist sie halb Frau, halb Schlange. Sie herrscht in ihrem Machtbereich als wilde Despotin, launisch und unberechenbar. Mit dem Spiegel der Kiuna McGullygosh macht sich Björn auf die Reise wie ein Dieb in der Nacht. Luku-U moas Häscher und Menschenjäger warten überall. Hellmark macht sich auf die Suche nach dem Kalten Licht, nach der Ewigen Flamme der Schlangengöttin, und er hofft, dass er von der Schlangengöttin erhört werden wird. Doch von dem mysteriösen Unugk ahnt er nichts ... Todesruf der schwarzen Hexe Wer sie einmal hört, der ist verloren - die schwarze Hexe lässt ihren Todesruf erschallen. Sie ist in der Rangordnung der Dämonen noch nie aufgetreten, aber ihre Stellung übertrifft oft die Macht jener, die an erster Stelle rangieren. Björn Hellmark muss sie entlarven und töten. Viele grausame Morde und rituale Verfehlungen gehen auf ihr Konto. Selbst Ak Nafuur hat sie nie finden können. Bald steht Björn vor einem Scheideweg - entweder Tod oder der Wahnsinn warten auf ihn ... oder die winzige Chance, eine Runde weiterzukommen in den 13 Wegen in die Dimension des Grauens!

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DAN SHOCKERS MACABROS

BAND 42

© 2014 by BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Titelbildgestaltung: Mark Freier

Fachberatung: Gottfried Marbler

All rights reserved

www.BLITZ-Verlag.de

ISBN 978-3-95719-742-9

Dan Shockers Macabros Band 42

DIE SCHLANGENGÖTTIN

Mystery-Thriller

Fluch der Schlangengöttin

von

Dan Shocker

Prolog

Bis zum 27. Mai verlief Brian Thomasons Leben ohne besondere Höhepunkte. Der dreißigjährige Angestellte einer Werbefirma hatte keine besonderen Ambitionen, keine außergewöhnlichen Fähigkeiten. Brian Thomason lebte sein Leben, verließ morgens um sieben Uhr das Haus, fuhr regelmäßig mit der U-Bahn, frühstückte um neun Uhr dreißig – meist einen Hamburger –, speiste in der Kantine, las die New York Times und verließ um siebzehn Uhr das Büro der Firma, für die er tätig war. Er fuhr in seine Wohnung. Sie lag in der Fulton Street, im Stadtteil Manhattan, unweit der Kaianlagen des Hudson River, den er von seinem Schlafzimmer aus sehen konnte. Thomason war in dieser Gegend groß geworden, hatte niemals den Ehrgeiz verspürt, sich eine andere Wohnung zu suchen, eine, die teurer, moderner oder komfortabler war.

Am Morgen des 27. Mai, der sein Leben von Grund auf verändern sollte, zwang das Schicksal ihn jedoch dazu, die Wohnung aufzugeben.

Noch ehe der Tag graute, passierte das völlig Unerwartete.

Thomason wurde plötzlich wach. Sofort roch er den Rauch und sah den Feuerschein. Im ersten Moment wusste der Amerikaner nicht, was los war, ob er wachte oder träumte. Doch im nächsten Moment war er hellwach und das Ungeheuerliche wurde ihm zur Gewissheit.

Seine Wohnung stand in Flammen! Riesige Feuerzungen leckten über Wände und Türen. Tapeten, morsches Holz und die Einrichtung waren ein einziges, prasselndes Flammenmeer. Auch sein Bett brannte.

Mit einem wilden, spitzen Aufschrei sprang Brian Thomason auf und schleuderte die brennende Bettdecke zur Seite. Rauch und Feuer hüllten ihn ein, der hölzerne Fußboden war eine einzige Feuerfläche.

Der Weg zur Tür war ihm versperrt.

Und der zum Fenster? Dies war sein nächster Gedanke, während Panik ihn erfüllte. Nein, unmöglich! Aus dem Fenster schlugen ebenfalls meterlange Flammen auf die Straße.

Thomason war von allen Seiten von Flammen eingeschlossen. Es gab keinen Ausweg mehr für ihn, keine Rettung. Feuer – überall. Und er stand mitten drin wie auf einem Scheiterhaufen!

Verkohlende Bilder fielen von den Wänden, krachend brach der Bücherschrank an der gegenüber liegenden Wandseite zusammen. Alle Bände bildeten einen einzigen, verglühenden, rauchenden Klumpen, ein Flammeninferno, aus dem es keinen Ausweg mehr gab.

Das Tosen des Feuers, der beißende Qualm, der ihm den Atem raubte, die unerträgliche Hitze ... das alles würde ihn binnen weniger Sekunden vernichten.

Die Flammen schlugen schon an ihm empor. Mit Grauen wurde ihm bewusst, dass er selbst Teil dieses Feuers war, dass es alles Brennbare bereits verschlungen hatte. Selbst die dunkelblauen Shorts, die er zur Nacht getragen hatte, waren ein Opfer des Feuers geworden und an seinem Leib verglüht. Nachglimmende Reste fielen von ihm ab wie Flocken.

Brian Thomason schrie wie von Sinnen. Er sprang vom zusammenbrechenden Bett hinein in das Flammenmeer, und erst in dieser Sekunde wurde ihm bewusst, dass er eigentlich längst zusammengebrochen und selbst ein verkohlter Klumpen sein müsste – wie alles in diesem prasselnden Inferno!

Es gab nur noch Feuer, aber er lebte noch immer?! Die ganze Tragweite des Ungewöhnlichen fraß sich jetzt in sein Bewusstsein, drängte Panik und namenloses Grauen zurück.

Er tastete sich mit fahrigen Bewegungen ab und sah, wie die Flammen an seinem Körper empor schlugen. Aber sie vernichteten ihn nicht!

Während alles um ihn in einer tosenden, prasselnden Hölle unterging, blieb er unversehrt. Also doch ein Traum? Ein Alptraum, der sich ins Gegenteil verkehrte?

Nein! Thomason wusste, dass er wach war. Er spürte den scharfen, spitzen Schmerz, den er sich durch Kneifen in den linken Oberarm selbst zufügte.

Alles war unwirklich und unbegreiflich. Wie ein Schlafwandler lief er durch die Flammen. Geräusche im Haus. Aufgeregte Stimmen.

»Feuer! Hilfe!«, erklang der Schreckensruf von mehreren Seiten. Eine Sirene begann zu heulen.

Thomason war plötzlich ganz ruhig. Er nahm die ungeheuerliche Erkenntnis einfach hin. Er brannte nicht, obwohl die Flammen an ihm leckten. Er war splitternackt, auf seiner Haut spiegelte sich der wilde Feuerschein, und Rauch und Hitze fraßen den Sauerstoff. Seine Lungen stachen, wenn er atmete. Aber er erstickte nicht.

Wenn er anfing darüber nachzudenken, begann er an seinem Verstand zu zweifeln. Brian Thomason sah durch den Flammenvorhang die Menschen auf der Straße, die vom Feuerschein und dem Krach angelockt worden waren. Polizeifahrzeuge tauchten mit heulenden Sirenen auf, Feuerwehren trafen ein.

Für Brian Thomason wurde dieser frühe Morgen zum Teil eines Traumes, den er nicht voll mitbekam. Der Mann stellte sich auf die Fensterbank. Sie befand sich im dritten Stock. Es störte ihn nicht, dass er splitternackt war. Er konnte kein Laken, kein Handtuch um sich binden. Es gab nichts mehr in der Wohnung, das den Flammen nicht zum Opfer gefallen wäre.

»Da ist einer!«, schrie jemand von unten. Trotz des allgemeinen Lärmes konnte Thomason deutlich diesen Ruf vernehmen. Er hörte das Klappern der metallenen Ansatzstücke, als die Feuerwehrleute die Schläuche über die Straße zogen.

»Um Himmels willen! Der Mann verbrennt noch!« Die aufgeregte, helle Stimme einer Frau ertönte.

»Nein, nein! Nur keine Angst«, hörte sich Thomason murmeln, ohne dass es ihm bewusst wurde. »Es passiert nichts. Ich kann nicht verbrennen.«

Es war schon eine verrückte Situation. Er wusste, dass ihm nichts passieren konnte, aber die anderen waren nicht darüber informiert. Trotz des Niedergangs seines gesamten Hab und Guts, das einfach nicht mehr zu retten war, fing die ganze Sache an, ihn mit einem Mal zu amüsieren. Er geriet in eine solche Stimmung, dass er sich versucht fühlte, einfach aus dem dritten Stockwerk zu springen, noch ehe die Feuerwehrmänner das Sprungtuch aufgespannt hatten.

Aus dem Haus Nr. 36 in der Fulton Street stürzten Menschen. Dicke Rauchwolken wälzten sich aus den weit offen stehenden Fenstern und Türen. Niemand wusste in diesen Minuten, da alles drunter und drüber ging, wo im Haus der Brand ausgebrochen war. Jeder aber schien davon irgendwie in Mitleidenschaft gezogen worden zu sein. Hier in der dritten Etage, in seiner Wohnung, schien es jedoch besonders eingeschlagen zu haben.

Das Sprungtuch war aufgespannt, die Straße abgesperrt.

Thomason tränten die Augen. Er konnte kaum etwas sehen.

»Springen Sie!«, wurde ihm über ein Megaphon von unten zugerufen. »Zögern Sie nicht länger, verlieren Sie keine Zeit mehr!«

Flammen umhüllten ihn, als er sprang. Wie eine brennende Fackel stürzte er in die Tiefe. Ein vielstimmiger Schrei hallte durch die Fulton Street, in der das morgendliche Leben erwachte. Hunderte von Menschen wurden Zeuge, wie der von Flammen umhüllte Körper durch die Luft flog. Der Mann musste höllische Schmerzen aushalten und sich in Todesangst befinden. Er brannte lichterloh.

Thomason spürte, wie er auf dem straff gespannten Segeltuch aufkam. Sofort warf irgendjemand eine große Decke über ihn. Es wurde dunkel.

Sanft wurde er auf den Boden heruntergelassen. Die Decke wurde vorsichtig weg genommen. Ein Arzt und mehrere Sanitäter tauchten bei ihm auf. Alles war vorbereitet, um ihn abzutransportieren, um ihn unter Umständen noch an Ort und Stelle ärztlich zu behandeln.

Die Augen des Mediziners wurden groß wie Untertassen, als er Thomasons Haut sah. Der Mann blinzelte und presste die Augen zusammen. »Das ... gibt's doch nicht. Ich habe doch genau gesehen ...«

Mit einem Ruck riss der Arzt die Decke vollständig zurück. An Brian Thomasons ganzem Körper gab es keine Verletzung, keine Brandblase. Nicht einmal die Augenwimpern oder die Haare waren angesengt.

»Wie fühlen Sie sich?«, fragte der Arzt mechanisch.

»Den Umständen entsprechend gut. Ich hatte noch mal Glück, wie mir scheint, Doc.«

Der andere nickte. Die Sanitäter, die schon mit der Bahre bereit standen, ließen diese enttäuscht sinken.

»Wie haben Sie das nur gemacht?«, murmelte der Arzt. »Ich habe so etwas noch nicht erlebt.« Er tastete Thomason von Kopf bis Fuß ab. »Das widerspricht allen Naturgesetzen.« Er warf einen langen Blick auf das Haus zurück. Die obere Fassade stand in hellen Flammen. Dicke Wasserstrahlen waren auf die brennenden Fensterrahmen gerichtet. Funken sprühten in den morgendlichen Himmel. Über der Straße stand eine riesige Rauchwolke. Thomasons Wohnung war offensichtlich bisher am stärksten in Mitleidenschaft gezogen worden.

Feuerwehrleute versuchten vom Hausinnern aus in die Wohnung einzudringen. Aus dem Gebäude wurden Bewohner gebracht, die noch im Schlaf von Rauch und Flammen überrascht worden waren. Viele wurden mit Rauchvergiftungen in die umliegenden Krankenhäuser eingeliefert.

Der Arzt, der sich um Thomason kümmern wollte, ließ diesen jetzt zurück. Er wurde an anderer Stelle gebraucht. »Ich würde mich gern nachher mit Ihnen noch mal unterhalten«, sagte er nachdenklich.

»Ja, gern, Doc.«

Brian Thomason wurde von denen, die seine Rettung aus unmittelbarer Nähe miterlebt hatten, angestarrt wie das siebte Weltwunder.

Thomason richtete sich auf, schlang die Wolldecke vollends um sich und lief aus eigener Kraft weiter auf die andere Straßenseite, um sich dort auf einen Mauervorsprung zu hocken und die Bergungsarbeiten zu beobachten. Die Straße war völlig geräumt, um den noch immer eintreffenden und abfahrenden Rettungsfahrzeugen Platz zu machen.

Zahlreiche Passanten standen in seiner Nähe, Neugierige aus den umliegenden Straßen waren gekommen. Die Polizei hatte ihre Mühe, die Menschenansammlungen auf den Bürgersteigen aufzulösen. Über Lautsprecher wurden die Leute aufgefordert, dem brennenden Gebäude nicht zu nahe zu kommen. Durch Funkenflug sei noch immer zu befürchten, dass auch Häuser in der Nachbarschaft in Brand geraten könnten. Die Feuerwehr versuchte dem vorzubeugen, indem die Dächer der angrenzenden Gebäude ständig befeuchtet wurden.

Mit gemischten Gefühlen beobachtete Brian Thomason alle Maßnahmen, nahm dabei die vielen Menschen auf der anderen Straßenseite dennoch nur beiläufig wahr.

Bis auf einen. Der Mann war groß, schlank, trug einen grauen Anzug und einen breitkrempigen Hut, den er tief in die Stirn gezogen hatte. Er machte einen gut situierten Eindruck. Jetzt näherte er sich Brian Thomason.

Der musste schlucken. Als der Mann noch zwei Schritte von ihm entfernt war, stehen blieb und ihn mit einem rätselhaften Lächeln ansah, schien es, als greife eine eisige Hand nach seinem Herzen.

Brian Thomason war diesem Mann nie begegnet, und doch kannte er ihn. Er entsann sich an einen Traum, den er vor einigen Tagen gehabt hatte. Den Traum hatte er vergessen, aber nicht die Person, die sich ihm mit ihrer ganzen Erscheinung genau eingeprägt hatte.

Der Mann im grauen Straßenanzug und Hut war ihm im Traum erschienen!

1. Kapitel

Zur gleichen Zeit – Tausende von Meilen entfernt – auf der anderen Seite der Weltkugel. Zwischen den Hawaii- und Galapagos-Inseln befand sich ein großes Eiland, das auf keiner Karte der Welt verzeichnet war. Kein Wunder! Diese Insel existierte offiziell nicht und war darüber hinaus unsichtbar.

Dennoch lebte eine Handvoll Menschen dort: Björn Hellmark und seine Gefährten. Marlos, die unsichtbare Insel, war ihnen zu einer neuen Heimat geworden.

Marlos war ein Paradies. Die Menschen darauf lebten autark und konnten sich selbst versorgen. Das fruchtbare Land brachte viel hervor, Tiere, die sie hielten und züchteten, brachten Fleisch, Milch und Eier.

Auf Marlos wohnten ständig sechs Menschen. Dies waren Björn Hellmark, der Herr der Insel, Rani Mahay, sein treuer Freund und Mitstreiter im Kampf gegen die Dämonen, Carminia Brado, die schöne Brasilianerin, Danielle de Barteauliee, die Tochter des Comte de Noir, Pepe und Jim. Als Gast weilte derzeit Arson, der Mann mit der Silberhaut, bei ihnen.

Hin und wieder kamen weitere Gäste, Menschen, die sich ebenfalls auf Marlos wie zu Hause fühlten, deren Stellung in der Gesellschaft und berufliche Aktivitäten es jedoch nur zuließen, dass sie von Fall zu Fall hierher kommen konnten. Dazu gehörten in erster Linie Camilla Davies, Alan Kennan, Anka Sörgensen-Belman und Tina Morena, die bekannte Schauspielerin. Zusammen mit Anka bildete sie ein Doppelmedium, das nur in seiner Gemeinsamkeit in der Lage war, in eine bestimmte Dimension zu verschwinden und Botschaften über die Grenzen der Welten zu übermitteln.

In Strandnähe standen zahlreiche Blockhütten, die von den Stammbewohnern im Lauf der Zeit erbaut worden waren. Die Hauptarbeit hatte hier zweifelsohne Rani Mahay, der Koloss von Bhutan, geleistet, der die meisten Hütten errichtet hatte.

Camilla Davies' und Alan Kennans Behausungen standen schon seit geraumer Zeit leer. Obwohl Camilla und Alan in das Marlos-Team integriert waren, traf man sie nur selten auf der Insel an. Camilla und Alan waren in erster Linie beauftragt, sich in der ganzen Welt nach eventuell in Frage kommenden Mitstreitern umzusehen. Ihre Mission auf der Suche nach Gleichgesinnten hatte schon Erfolg gezeigt. Doch ein wirklich durchgreifendes Erlebnis hatten sie nicht gehabt. Viele Medien, von denen man annehmen konnte, dass sie eine Zielscheibe für die Dämonen und deren Schergen in dieser Welt waren, wagten erstaunlicherweise nicht den entscheidenden Schritt. Sie waren voller Misstrauen oder hatten noch nicht jenen Reifegrad erreicht, der notwendig war, um Hellmarks Aufgabe zu erkennen. Viele zögerten noch. Sie schienen auf etwas zu warten.

Worauf? Auf einen ganz großen Erfolg, auf den Gewinn einer Schlacht, die sich zweifellos ganz deutlich abzeichnete. Diese Schlacht mussten sie wohl oder übel vorerst ohne große Unterstützung bestehen. War das, was er seit Wochen konsequent verfolgte, nichts weiter als das Herbeischaffen eines Beweises – für die anderen, die so dachten und fühlten wie er?

Unwillkürlich drängte sich Björn Hellmark dieser Gedanke auf. Als ihm diese Überlegung kam, senkte er mechanisch den Umschlag mit dem zerbrochenen Siegel. Wieder einmal hielt er nach einem abenteuerlichen Erlebnis eine weitere Nachricht seines toten Freundes Ak Nafuur in der Hand. Es war die sechste Botschaft, die an ihn gerichtet war. Und während er sie studiert hatte, waren ihm plötzlich jene seltsamen Gedanken gekommen.

Insgesamt dreizehn Aufgaben erwarteten ihn. Sollte er eine nach der anderen erfolgreich abschließen, war ihm die Begegnung mit der Dämonengöttin Rha-Ta-N'my sicher. Dies jedenfalls prophezeite ihm Ak Nafuur. Und dieses Ziel steuerte der Herr von Marlos an.

Die Begegnung mit Rha-Ta-N'my entschied alles. Für ihn – oder für sie.

Doch ob er es schaffte, hing davon ab, ob er die Hindernisse beiseite räumen konnte, die ihm im Weg lagen. Er musste mit außergewöhnlichen Gefahren fertig werden. Gerade der letzte Weg in die Dimension des Grauens, den er hatte gehen müssen, um seinen Auftrag zu erfüllen, hatte gezeigt, wie rasch eine Situation sich änderte und er auf der Strecke bleiben konnte. Quasi im letzten Augenblick – durch das entschlossene Eingreifen von Whiss – war er mit dem Schrecken davongekommen. Whiss war außer Jim, dem Guuf, mit Abstand der eigentümlichste Bewohner der Insel. Rani Mahay hatte dem kleinen Burschen im Mikrokosmos das Leben gerettet und mit herüber gebracht. Whiss hatte die Größe eines Raben und hockte am liebsten, wenn er nicht im Wipfel seiner Stammpalme schlief, auf den Schultern des Inders. Am ehesten konnte man Whiss als intelligentes vogelartiges Wesen bezeichnen. Aber dies traf die Wahrheit nur unvollkommen.

Er hatte zwei Beine wie ein Mensch, ebenso Arme. Auf den Schultern trug er zarte Flügel, die an die eines Schmetterlings erinnerten. Der Kopf war eine Mischung zwischen Mensch, Vogel und Schildkröte. Am bemerkenswertesten aber war die Tatsache, dass Whiss ein wahres Stimmenphänomen war. Jeden Laut, jede Stimme konnte er imitieren, und mit den ausfahrbaren Fühlern auf seinem Kopf war er imstande, erstaunliche parapsychologische Aktivitäten zu entfalten. Whiss hatte die Entscheidung in der fünften Runde gegen Rha-Ta-N'my herbei geführt. Ohne ihn wäre nichts gelaufen.

Und nun war der Zeitpunkt gekommen, den sechsten Weg einzuschlagen.

Hellmark befasste sich weiter mit der neuen Botschaft.

Die Schlangengöttin Luku-U'moa steht im Mittelpunkt deines Interesses, schrieb Ak Nafuur in seiner beeindruckenden, klaren Schrift. Bisher hattest du nur am Rande mit ihr zu tun. Wenn du diese Nachricht in Händen hältst, hast du fünf Aufgaben erfolgreich bestanden. Das bedeutet viel – und doch kaum etwas. Immerhin ist es dir gelungen, das Kalte Licht aus dem Reich des Schlangengottes zu holen. Dieses Feuer wurde Luku-U'moa gestohlen. Von diesem Zeitpunkt an konnte sie ihre Macht auf der Welt, die ihr gehört, nur noch begrenzt ausüben. Deine Aufgabe wird es sein, Luku-U'moa das Kalte Licht, die Ewige Flamme der Schlangengöttin, wieder zurückzubringen. Luku-U'moa war einst eine Menschenfrau, die ihren Leib und ihre Seele an den Schlangengott verlor. Nur für eine gewisse Zeit. Sie erkannte sehr schnell, wie sehr sie ihren Einflussbereich ausdehnen könnte, wenn es ihr gelänge, denjenigen des Schlangengottes einzuschränken. Und in einer humorigen Anwandlung fügte Ak Nafuur in einer Fußnote hinzu, dass sich dies kaum vom Machtdenken und -streben einiger Menschen unterscheide. Sie spann ihre Intrigen sehr zart und kunstfertig. Aber nicht kunstfertig genug, wie sie bald feststellen musste. Der Schlangengott hatte bemerkt, was sie im Schilde führte. Er konnte zwar ihre Flucht und die Übernahme eines Teils seiner Einflusssphäre nicht mehr verhindern, aber er konnte das Ewige Licht, die Kalte Flamme, entfernen, die notwendig ist, dass das Reich der Schlangengöttin sich ausdehnen kann. Befindet sich die Kalte Flamme im goldenen Ständer des Palastes der Herrscherin, hat sie endgültig den Sieg über den Schlangengott errungen. Die Flamme ist das Signum ihrer Macht, das Siegesfeuer ihrer Welt. Und ein Fanal der Hoffnung.

Hier hielt Hellmark zunächst mit dem Lesen inne. Was Ak Nafuur da zu Papier gebracht hatte, befremdete ihn im ersten Moment. Wenn es ihm wirklich gelang, die Flamme in Luku-U'moas Welt zu bringen, dann half er zwar mit, die Macht eines Dämons zu brechen aber gleichzeitig auch die eines anderen zu stärken. Welchen Sinn ergab das Ganze?

Es schien, als hätte Ak Nafuur beim Abfassen dieser Zeilen geahnt, was Björn Hellmark durch den Kopf gehen würde. Die weiter führende Niederschrift berücksichtigte Hellmarks Überlegungen. Er las weiter.

Ich kann mir gut denken, dass diese Dinge deinen Widerstand und mehr noch dein Misstrauen mir gegenüber hervorrufen werden. Lass dir alles genau erklären, Freund! Ehe Luku-U'moa sich entschied, sich dem Schlangengott anzuschließen, war sie eine Menschenfrau. Heute ist sie die Schlangengöttin, jenes rätselhafte Geschöpf, das halb Mensch, halb Schlange ist. In ihrem Lebensbereich herrscht sie als wilde Despotin, sie ist launisch und unberechenbar.

Mehr noch über ihre eigenwillige Erscheinung, ihre Besonderheiten: Manchmal sehnt sie sich danach zurück, wieder Mensch zu sein, manchmal aber fühlt sie den Wunsch in sich aufsteigen, Rha-Ta-N'my immer ähnlicher zu werden. Dieses Janusgesicht ist einerseits gefährlich, andererseits gibt es aber auch Anlass zur Hoffnung. Die Anwesenheit des Kalten Lichts, der Ewigen Flamme Luku-U'moas, kann über die künftige Entwicklung Klarheit verschaffen. Das bedeutet, Luku-U'moa kann sich sowohl für die eine als auch für die andere Seite entscheiden. Für den Fortgang der Entwicklung aber ist es notwendig, dass Luku-U'moa nicht auf der Seite Rha-Ta-N'mys bleibt, sondern wieder zur Menschenfrau wird.

Deine Aufgabe besteht deshalb aus zwei Teilen, Björn: Erstens muss es dir gelingen, die Ewige Flamme an den Bestimmungsort zu bringen, zweitens musst du Luku-U'moa dazu bringen, sich für die Welt der Menschen und nicht die der Dämonen zu entscheiden. Je besser du den ersten Teil des Auftrags erledigst, desto einfacher wirst du es mit dem zweiten Teil haben.

Deshalb musst du bei der Ausführung einiges beachten. Wie ein Dieb in der Nacht musst du dich in ihr Reich einschleichen, und ebenfalls wie ein Dieb musst du die Flamme in den Ständer stellen. Niemand darf dich dabei sehen. Noch eines ist wichtig bei diesem Unternehmen. Du darfst nicht ein einziges Mal während deiner Anwesenheit in Luku-U'moas Reich deinen Doppelkörper einsetzen. Mit deinen Händen musst du die Ewige Flamme an den Bestimmungsort bringen. Nur dann hast du vielleicht eine Chance, den Häschern und Menschenjägern zu entkommen, die überall lauern und über eine große Macht verfügen.

Nur wenn es dir gelingt, beide Aufgaben präzise zu lösen, ist ein Weg vorhanden, die kommenden Missionen überhaupt in Angriff zu nehmen.

Nur mit großem Bedenken habe ich mich entschlossen, für dich diesen Weg auszuwählen, er ist Teil jener dreizehn Umwege in die Dimension des Grauens und Wahnsinns. Meide die Begegnung mit den Menschenjägern und Häschern, die den Auftrag haben, jeden Fremden aufzuspüren, um ihn zu vernichten! Das Harmloseste ist noch, wilden Tieren zum Fraß vorgeworfen zu werden. Es kommt darauf an, in welcher Laune Luku-U'moa sich gerade befindet.

Wenn du das Licht unbemerkt in den Ständer stellen kannst, hast du allerdings eine große Chance, dass Luku-U'moa dich erhört, dass sie ein offenes Ohr für deine Wünsche hat.

Bedenke deinen Plan und dein Vorgehen gut. Ich kann dir nur eventuelle Hindernisse aufzeigen. Und deren nicht mal alle. Denn alles ist stets in Fluss, alles kann sich jederzeit ändern, wenn Faktoren hinzu kommen, die ich nicht wissen, nicht mehr berücksichtigen konnte. Dies ist das Manko der Botschaften an dich, Björn. Sie setzen eine gewisse Patina an, ehe du sie öffnen kannst. In der Zwischenzeit kann auch die andere Seite einen Teil ihrer Strategie geändert haben. Wo es möglich war, habe ich auch dies berücksichtigt.

Noch ein Letztes: Zu Luku-U'moa zu gelangen, ist für dich kein Problem. Du hast den Spiegel der Kiuna Macgullygosh. Er wurde schon einmal in der Vergangenheit zu diesem Zweck benutzt. Kiuna Macgullygosh, die während ihres langen Lebens viele jenseitige Reiche aufsuchte, hat auch Luku-U'moa besucht. Sie konnte sich jedoch nie für deren Magie, für deren okkulte Welt entscheiden.

Kiuna Macgullygosh verfolgte mehrere Arten, um das Böse zu vermitteln. Du musst den Spiegel von der Insel wegschaffen. Es gibt nur einen einzigen Punkt in der Welt, der maßgebend dafür ist, um zu Luku-U'moa zu gelangen, wenn man nicht selbst einer ihrer Diener oder Helfer ist. Dabei gibt es allerdings eine kleine Schwierigkeit. Die Stelle, von der aus der Übergang möglich ist, ist leider nicht so unproblematisch. Wo einst nur Wald war, steht heute ein Bauernhof. Die im Süden liegende Wand einer Scheune ist der Punkt, an dem du den Spiegel benutzen kannst. Der Bauernhof liegt im Herzen Schottlands, unweit der Ortschaft Abertoyle. Dorthin musst du gehen. Der Bauernhof gehört einem Mann namens McForter.

Hellmark kratzte sich am Kopf, als er die letzten Zeilen gelesen hatte, mit denen Ak Nafuur ihm Glück und Erfolg wünschte. Glück konnte er wahrhaftig brauchen. Der sechste Weg hatte seine besonderen Tücken.

Es musste ihm gelingen, Außenstehende fern zu halten von den Stellen, die er zur Operation benötigte. Er durfte und wollte kein unnötiges Aufsehen erregen.

Die Lippen des Mannes bildeten eine scharfe Linie in seinem sonnengebräunten Gesicht. Sein Hirn arbeitete mit der Präzision eines Computers.

Hellmark überlegte alle notwendigen Schritte für sein Unternehmen. Er wollte so wenig wie möglich dem Zufall überlassen. Je besser durchdacht alles war, desto größer war die Chance, die Mächte der Finsternis zu überlisten und unschuldige Menschen aus dem Spiel zu lassen.

Der Mann aus seinem Traum?

Thomasons Augen verengten sich. Sicher war er dem Fremden schon mal begegnet, versuchte er sich einzureden, auch wenn sein Gefühl von Anfang an dagegen sprach.

»Wie geht es Ihnen?«, sprach der andere ihn an.

Thomasons Konzentration war ganz auf den Sprecher gerichtet. Nicht einmal am Rande bekam er mit, dass andere Hausbewohner, in Decken geschlagen, von Helfern über die Straße geführt wurden, und unweit von ihm ebenfalls auf dem steinernen Sims saßen.

Statt einer Antwort auf diese Frage stellte Thomasons selbst eine. »Wer sind Sie?«

»Jack Hallon«, erwiderte der Mann im grauen Anzug.

»Jack Hallon? Nie gehört.«

Während er das sagte, kamen schon wieder Zweifel. So sicher war er sich da auch nicht. Ein Nachbar, der kürzlich in das zwei Blöcke entfernte, moderne Apartmenthaus eingezogen war? Waren sie sich dabei flüchtig auf dem Weg zur oder von der Arbeit begegnet? Ein Kunde der Werbefirma, für die er tätig war?

Thomason zermarterte sich das Gehirn und kam doch zu keinem Ergebnis.

»Woher kennen Sie mich?«, fragte er leise.

»Ich beobachte Sie schon eine ganze Zeit.«

»Sind Sie Detektiv? Dann muss ich Sie enttäuschen und Ihnen sagen, dass ich weder etwas ausgefressen habe, keiner verheirateten Frau nachsteige und auch aus meiner Firma nichts mitgehen lasse. Ich fürchte, Sie sehen in mir jemanden, der ich nicht bin.«

»Sie sind Brian Thomason. Sie sind genau der Mann, der mein Interesse geweckt hat.«

»Und wie lässt sich das erklären?«

»Ganz einfach. Sie sind der Richtige. Ich habe die Absicht, durch Sie der Welt zu beweisen, dass es sehr viele erstaunliche und wundersame Dinge gibt, die man nicht so einfach erklären kann.«

»Sie reden Unsinn«, reagierte Thomason scharf. »Alles lässt sich erklären.«

»Oh, das sagen ausgerechnet Sie, der doch vor wenigen Minuten erst ein Erlebnis hatte, das ihn eigentlich nachdenklich stimmen sollte.«

»Welches Erlebnis?«

Der andere nickte. »Ja, ja, so sind die Menschen. Sie sind kleingläubig, unberechenbar und unzuverlässig. Sie fragen immer nach Zeichen, und wenn dann welche da sind, sehen sie sie nicht – oder wollen sie nicht sehen. Thomason, das erste Zeichen ist gesetzt! Was veranlasst Sie dazu, es einfach zu ignorieren?«

»Was für ein Zeichen?« Thomason war ganz Ohr. Er hatte alles um sich herum vergessen. Das ganze aufgeregte Treiben in der Straße, die an- und abfahrenden Fahrzeuge, die Durchsagen der Polizei, die Löscharbeiten – dies alles interessierte ihn gar nicht mehr. Da war der Fremde, da war seine seltsame Art zu sprechen. Von beidem war Thomason fasziniert.

»Ihre Rettung ... Sie sind den Flammen entkommen ...«, sagte der grau Gekleidete.

»Ich hatte Glück.«

»Sie nennen es Glück, wenn Flammen Sie umzüngeln, wenn alles ringsum lichterloh brennt, wenn Sie mitten drin stehen, und nicht ein Haar wird Ihnen gekrümmt?«

Brian Thomason öffnete schon den Mund. Unwillkürlich drängte es in ihm zum Widerspruch. Aber er unterließ es. Der andere hatte Recht! Da stimmte etwas nicht, da ging etwas nicht mit rechten Dingen zu.

»Was ist das für ein Tag? Wieso bin ich mit heiler Haut davongekommen? Wer sind Sie wirklich und was wollen Sie von mir?« Seine Stimme klang belegt.

»Heute ist der siebenundzwanzigste Mai, Mr. Thomason. Merken Sie sich dieses Datum gut! An diesem Tag hat sich Ihr Leben verändert. Sie sind mit heiler Haut davongekommen, weil ich das so wollte. Wer ich wirklich bin? Nun, ich nannte Ihnen meinen Namen schon: Jack Hallon. Was finden Sie daran so ungewöhnlich? Was ich von Ihnen will, ist in wenigen Worten gesagt. Ich möchte, dass Sie ein paar besondere Erlebnisse haben, Geschehnisse, die merklich aus dem Alltag herausfallen. Das ist doch sicher auch eine interessante und außergewöhnliche Erfahrung, finden Sie nicht auch?«

»Dann geht das Feuer auf Ihre Einwirkung zurück?« Thomason erbleichte, als sein Gegenüber einfach nickte, ohne zu antworten. »Sie haben das Feuer gelegt? Aber wie ...«

»Gelegt ist nicht der richtige Ausdruck. Ich habe dafür gesorgt, dass es ausbricht. Und dann wurden Sie von selbst wach.«

»Das Feuer begann in meinem Schlafzimmer?«

»Ja. Aber das braucht Sie jetzt nicht mehr zu sorgen. Es wurde Ihnen kein Haar gekrümmt. Sie haben die Erfahrung gemacht, dass Ihr Körper nicht brennen konnte – und damit ist alles in bester Ordnung. Ihre Rettung grenzt ans Wunderbare, dafür sollten Sie mir dankbar sein. Ich nehme an, dass einige Leute sehr viele Fragen an Sie haben werden. Was mit Ihnen geschehen ist, geht weit über das hinaus, was man allgemein als das Normale bezeichnet.«

»Wo bin ich Ihnen schon mal begegnet? Warum kann ich mich nicht an Sie erinnern?«

»Träume können manchmal sehr flüchtig sein. Aber so soll es nicht bleiben. Ich werde mit Sicherheit in der nächsten Zeit noch mehrere Male mit Ihnen zusammentreffen. Das liegt in der Natur der Sache.« Er tippte grüßend an seinen Hut und verschwand im allgemeinen Gedränge, ehe Brian Thomason noch etwas sagen konnte.

Der stand auf, reckte sich und versuchte über die Köpfe der umstehenden Sanitäter und anderen Helfer den Davongehenden zu erkennen.

Aber der war wie ein Spuk vom Erdboden verschwunden ...

In den nächsten beiden Stunden geschah so viel, dass er im Einzelnen nicht mehr zu sagen vermocht hätte, was es alles gewesen war. Brian Thomason war einer der wenigen Hausbewohner, die nicht zur Behandlung oder Untersuchung ins Krankenhaus gebracht wurden. Dabei sprach alles dafür, dass dieser Mann eigentlich am stärksten in Mitleidenschaft gezogen worden sein musste! Seine Wohnung war ein einziges Bild von Verwüstung. Da gab es nichts Heiles mehr. Die Kriminalpolizei, die sofort nach den Löscharbeiten ihre Untersuchungen über die Brandursache aufnahm, konnte ebenso wie die Reporter lokaler und überregionaler Zeitungen nicht glauben, dass Brian Thomason diesem Inferno entkommen war. Hinzu kamen die Aussagen von Augenzeugen, die den in Flammen gehüllten Thomason aus dem Fenster springen sahen.

All diese Dinge zusammengenommen – und auch das Interesse von Dr. Claid an dem Fall – führten dazu, dass Brian Thomason in den Blickpunkt des Interesses geriet. Kriminalbeamte stellten ihm Fragen, Reporter umringten ihn, Dr. Claid bat ihn, eine eingehende Untersuchung durchführen zu dürfen. Der Fall Thomason interessierte ihn.

Ein parapsychologisches Phänomen? Konnte es sein, dass Brian Thomason in diesen von Grauen und Entsetzen erfüllten Minuten über sich hinauswuchs? Waren Kräfte frei geworden, über die er sonst nicht verfügte, die aber im entscheidenden Moment seinen Körper davor schützten, von den Flammen aufgefressen zu werden?

Alle diese Fragen verlangten nach einer Aufklärung. Auch die Brandursache konnte hier eine Rolle spielen. Es zeichnete sich schon früh ab, dass das Feuer offensichtlich in der Wohnung Thomasons ausgebrochen war. Doch wie kam es dazu? Der erste Verdacht war gewesen, dass Brian Thomason möglicherweise mit einer brennenden Zigarette in der Hand eingeschlafen war. Aus einem Schwelbrand hatte sich dann schließlich ein loderndes Chaos entwickelt.

Diese Theorie musste fallen gelassen werden. Thomason war Nichtraucher. Die Vernehmung des Mannes hatte ergeben, dass er im Schlaf von den Flammen überrascht worden war. Das schloss aus, dass Thomason schon in den frühen Morgenstunden mit elektrischen Geräten hantiert hatte, von denen eines möglicherweise defekt war.

Ein anderer Verdacht musste ebenfalls erst noch ausgeräumt werden: Brandstiftung. Sie war zwar wenig wahrscheinlich, aber die Polizei durfte auch diese Möglichkeit nicht außer Acht lassen.

Es gab viele Rätsel. Eins davon war auch die Tatsache, dass Thomason auf eine außergewöhnliche Art überlebte, ohne auch nur eine einzige Brandblase davongetragen zu haben. Dieses Phänomen beschäftigte all jene, die an diesem Tag mit Thomason zu tun hatten.

In dem fraglichen Haus in der Fulton Street wurde bis in die Mittagsstunden harte Arbeit geleistet. Die Aufräumungsarbeiten kamen zügig voran. Schon am Nachmittag konnten alle Bewohner wieder in ihre einigermaßen hergerichteten Wohnungen einziehen. Thomason blieb dieses Glück verwehrt. Das Feuer hatte bei ihm verheerend gewütet. Es war unzumutbar, in der Wohnung zu bleiben. Es gab keine Möbel mehr, nichts mehr, womit er etwas hätte anfangen können. Was die Flammen nicht vernichtet hatten, war dem Einsatz des Löschwassers zum Opfer gefallen.

Von Nachbarn erhielt Thomason an diesem Tag erste notdürftige Kleidungsstücke. Damit machte er sich auf den Weg in die Stadt und hob auf der Bank ausreichend Geld ab, um sich ein neues Hemd, eine Hose, ein Jackett und Unterwäsche zu kaufen.

Da er in den ersten Wochen die Wohnung nicht mehr benutzen konnte, mietete er sich in einem Hotel ein. Der Entschluss fiel ihm leicht. Einer der Reporter hatte ihm ein Geschäft vorgeschlagen. Von den seltsamen Ereignissen wollte er eine Story machen. Er plante sechs Fortsetzungen, die wöchentlich in einem namhaften Magazin erscheinen sollten. Für jede Fortsetzung sollte Thomason tausend Dollar erhalten. Die Geschichte des Mannes, der sich dem offenen Feuer aussetzte und daraus hervorkam wie ein Phönix aus der Asche würde Millionen Leser in Bann ziehen.

»Sie werden über Nacht ein berühmter Mann sein, Mr. Thomason«, sagte der Reporter, nachdem sie sich einig geworden waren. Sie begossen ihre Abmachung mit einen Glas Whisky. »Das Ganze bringt mich auf eine Idee.« Während er dies sagte, musterte er Thomason von Kopf bis Fuß, sah nachdenklich aus, und um seine Lippen spielte plötzlich ein amüsiertes Lächeln.

»Was für eine Idee?«

»Es hört sich verrückt an. Aber wenn es sich machen ließe, würden Sie nicht nur berühmt, sondern auch reich, sehr reich sogar. Verdammt, die Idee ist gut ...«

»Dann sagen Sie sie mir.«

»Man müsste herausfinden, ob sich das Ganze wiederholen ließe«, flüsterte der Zeitungsmann. Seine Wangen glühten. Er war erregt.

Thomason glaubte, sich verhört zu haben. »Sie meinen, man sollte ein Haus anzünden und ...«

Der andere schüttelte den Kopf. »Nein, so weit wollte ich gar nicht gehen. Es käme erst mal darauf an, unter Beweis zu stellen, dass Sie immun gegen Feuer sind. Ihre Haut, Ihr Körper lässt sich durch Flammen nicht vernichten.« Er sprach eine große, unglaublich klingende Sache gelassen aus. »Sie wären eine Sensation, ein Objekt für die Wissenschaft. Jeder würde Sie sehen wollen! Sie könnten sich vor Angeboten nicht mehr retten. Die größten Zirkus- und Varieté-Unternehmen der Welt würden sich um Sie bemühen. Film, Fernsehen, Video ... Es gäbe kein Medium, das nicht über Sie berichten würde. Verlockende Aussichten, wenn Sie bedenken, dass man gute harte Dollars dafür auf den Tisch legt. Sie brauchen sich nur zu zeigen und die Dollarnoten einzustreichen. Sie müssten natürlich vorsichtig sein.«

»Vorsichtig? Weshalb?«, fragte Brian Thomason irritiert, der sich das, was sein Tischnachbar von sich gab, lebhaft illustriert vorstellte.

»Wegen des Feuers. Ihnen kann es nichts anhaben, aber wenn die Dollarbündel in der Nähe liegen, wird's kritisch. Papier brennt schnell.« Er lachte, und Thomason fiel in dieses Lachen ein.

Die Andeutung des Journalisten wirkte in Thomason nach. Es schien, als hätte er sich mit einem Virus infiziert. Etwas stimmte nicht mehr mit ihm, mit dem heutigen Tag hatte sich tatsächlich etwas verändert.

Am späten Nachmittag war er schließlich allein im Hotelzimmer. Seit heute Morgen schien ihm eine Ewigkeit vergangen. In seinem Kopf schwirrte es von Eindrücken. Hinzu kam, dass der Brand und besonders seine Person bereits in einer Sonderausgabe an diesem Mittag allen New Yorkern zugänglich gemacht worden war. Da stand es Schwarz auf Weiß zu lesen:

MENSCH ÜBERSTEHT FLAMMENDES INFERNO

Brian Thomason – der Mann, der durchs Feuer gehen kann.

Die Journalisten hatten bei vielem in ihrer Berichterstattung übertrieben. Nur eines hatten sie nicht vermocht: die Tatsache zu steigern, dass ein Mensch nicht den Flammen zum Opfer gefallen war.

Seit dem Erscheinen der Sonderausgabe stand im Astoria, in dem Thomason untergebracht war, das Telefon nicht mehr still. Viele wollten ihn sprechen und sich erkundigen, was das für Kräfte waren, die er plötzlich entwickelt hatte. Ob man dies Geheimnis auch weitergeben könnte?

Thomason ließ sich verleugnen. Er wollte nach den Aufregungen dieses Tages endlich seine Ruhe haben und nachdenken.

Für die nächsten drei Tage hatte er aufgrund des Schrecks Urlaub vom Geschäft genommen. Diese Zeit würde ihm wohl reichen, um die ersten Probleme zu überdenken und mit ihnen fertig zu werden.

Er ging im Zimmer auf und ab. Die Begegnungen mit Jack Hallon und dem Journalisten gingen ihm nicht mehr aus dem Kopf. Er war unruhig wie ein gefangenes Tier und trank mehr Whisky, als ihm zuträglich war. Das verbesserte seine Stimmung, trug aber nicht dazu bei, seine Gedanken zu ordnen.

Er kam plötzlich auf eine wahre Schnapsidee. Sein letzter Gesprächspartner hatte gar nicht so Unrecht, wenn er behauptete, dass sich mit seiner Fähigkeit möglicherweise ein Vermögen scheffeln ließ. Voraussetzung war, er konnte das nachvollziehen, was heute in den frühen Morgenstunden schicksalhaft eingetreten war.

Er sah das Streichholzbriefchen mit dem Reklameaufdruck des Astoria-Hotels. Die Streichhölzer lagen auf dem kleinen runden Tisch, um den herum zwei bequeme, dickgepolsterte Sessel standen.

Automatisch und versonnen griff Thomason nach den Zündhölzern. Dann ging er ins Bad. Er wollte es genau wissen. Es kam nur auf einen Versuch an. Mehr als sich die Finger verbrennen konnte er nicht.

Er starrte mit fiebrig glänzenden Augen in die kleine, aufzuckende Flamme. Er hielt sie an den kleinen Finger, gerade so weit entfernt, dass die obere Spitze des Flämmchens seine Haut berührte. Instinktiv wollte er die Hand zurückziehen. Alles in ihm wehrte sich gegen den Versuch, der eigentlich keinen großen Beweis erbringen konnte, wie er sich im Stillen selbst eingestand. Es kostete ihn große Überwindung, das zu tun, was er jetzt tat.

Mit voller Absicht hielt er seinen Finger in die Streichholzflamme. So etwas tat nur einer, der seiner fünf Sinne nicht mehr mächtig war. Ein Verrückter! War er auf dem Weg dahin?

Er empfand keinen Schmerz. Seine Haut rötete sich nicht, er bekam keine Brandblase. Eines war ausgeschlossen: Seine Haut konnte von dieser kleinen Flamme her unmöglich in Brand gesetzt werden. Es sei denn, er gösse Benzin oder Öl über sich. Dann würde sich zeigen ...