Macabros 043: Verschollen - Dan Shocker - E-Book

Macabros 043: Verschollen E-Book

Dan Shocker

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Beschreibung

Verschollen in Dwylup Noch immer weilen - gut getarnt - Monster aus Dwylup auf der Erde. Björn Hellmark weiß dies, aber ihm ist nicht bekannt, dass diese Monster einen klar umrissenen Auftrag erhalten haben: sie sollen ihn in eine Falle locken und töten. Denn Rha-Ta-N my will dem Vorpreschen ihres Erzfeindes endgültig einen Riegel vorschieben. Die Falle schnappt zu, und Hellmark erkennt die Gefahr zu spät. Er wird nach Dwylup entführt und dort von den Monstern zum Tod verurteilt. Bald findet Arson, der Mann mit der Silberhaut, die Leiche seines Freundes Björn Hellmark ... In der Arena der Drachentöter Hellmark ist nicht bereit aufzugeben! Rha-Ta-N my weiß dies und versucht mit allen Mitteln, ihren Feind davon abzuhalten, auf Umwegen in ihr Reich einzudringen. Sie will einem finalen Duell offenbar ausweichen. Da den Dämonen und deren Göttin inzwischen bekannt ist, welchen Weg Hellmark als nächstes gehen wird, präparieren sie diesen. Hellmark steht ein Duell mit dem König der Drachentöter bevor ... doch nicht dieser wartet auf ihn! Seine dämonischen Feinde haben vorgebeugt - und der neue Schwarze Priester Gor Mlak greift ebenso handfest ein wie Apokalypta, die ewige Unheilbringerin!

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DAN SHOCKERS MACABROS

BAND 43

© 2014 by BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Titelbildgestaltung: Mark Freier

Fachberatung: Gottfried Marbler

All rights reserved

www.BLITZ-Verlag.de

ISBN 978-3-95719-743-6

Dan Shockers Macabros Band 43

VERSCHOLLEN

Mystery-Thriller

Verschollen in Dwylup

von

Dan Shocker

Prolog

»Wir schaffen es nicht!«, kreischte sie. Ihr Gesicht war vor Angst und Grauen entstellt. Sie hing in ihren Haltegurten, klammerte sich am Sitz fest und sah elend aus.

»Ich werde mein Bestes versuchen«, stieß der Mann an ihrer Seite wütend hervor. »Reiß dich zusammen! Es ist nicht das erste Mal, dass du mit mir in der Kiste sitzt.«

»Aber es ist das erste Mal, dass so etwas passiert!« Claire Monescues Stimme überschlug sich. »Tu doch etwas! So tu doch endlich etwas!«

Owen Longfield, dem zweiunddreißigjährigen Piloten des einmotorigen Sportflugzeugs, rann der Schweiß übers Gesicht. »Ich tu was ich kann. Mach mich nicht verrückt mit deiner Schreierei!« Er hielt den Steuerknüppel mit beiden Händen umfasst. Die Maschine tanzte dennoch in den heftigen Windböen auf und nieder wie ein welkes Blatt. Lautstark klatschte der tropische Regen gegen die Glaskuppel. Die Sicht war gleich Null. Das Unwetter hatte sie überrascht.

Longfield hatte gehofft, den Landeplatz bei der Mission zu erreichen. Aber die Wetterfront war schneller gewesen. Und nun steckten sie mitten drin.

Ein starker Windstoß traf das kleine Flugzeug, in dem die beiden verängstigten Menschen saßen. Es wurde zur Seite und nach unten gedrückt. Es knarrte und ächzte in der Verschalung.

Claire Monescue flog mit dem Kopf gegen den Seitenholm und stöhnte.

Die Maschine sackte wie ein Stein, mit der Nase nach unten, den riesigen Bäumen entgegen, die wie ein nicht enden wollender grüner Teppich unter ihnen mehr zu erahnen denn zu sehen waren. Longfields Versuche, das Flugzeug in Regen und Sturm hoch zu ziehen, waren zum Scheitern verurteilt. Die Maschine überschlug sich, begann sich plötzlich um ihre eigene Achse zu drehen. Der Pilot bekam das Flugzeug nicht mehr unter Kontrolle.

Vor der abstürzenden Maschine braute sich eine dumpf-grüne Wand zusammen, ein riesiger Wolkenberg, in dem sich plötzlich eine wirbelnde, grauschwarze Spirale zeigte.

Die Maschine wurde von einem ungeheuren Sog angezogen, dabei verstärkte sich die Drehbewegung noch, dass es aussah, als würde sich das Flugzeug in den Luftwirbel hineinbohren.

Claire Monescue schrie nur noch und starrte mit schreckgeweiteten Augen aus der Kuppel. Die rotblonde Frau wusste nicht mehr, was oben und unten war. Alles war eine einzige graue Masse, die sie immer mehr in sich aufzunehmen schien.

Dann wurde die Spirale größer, die Drehbewegung langsamer, sodass es den beiden verzweifelten und zu Tode erschrockenen Passagieren vorkam, als wäre das Flugzeug auf ein gigantisches, flaches Rad gebunden, das sich langsam im Kreis drehte. Dabei wurde sie gleichzeitig immer mehr nach innen gezogen, als würde das Rad sich teleskopartig einziehen.

Unter ihnen zogen graue Wolkenfetzen, durch die schwach das Grün der Urwaldbäume schimmerte. Mitten in die Drehbewegung mischte sich plötzlich ein anderer Eindruck.

»Owen!«, presste die Frau gequält hervor. »Was ist das?« Sie starrte wie gebannt in die Tiefe.

»Regenwolken, Urwald, verdammt noch mal!« Owen Longfield war ungehalten und fluchte vor sich hin. Er flog seit Jahren und war ein erfahrener Pilot, aber ein solches Mistwetter hatte er noch nie erlebt.

In das Prasseln des unaufhörlich vom Himmel stürzenden Regens mischten sich knackende und berstende Geräusche. Die Maschine stand unter Spannungen, denen das Material nicht mehr gewachsen war.

»Die Bäume, Owen! Was um Himmels Willen ist denn mit den Bäumen? Warum sehen sie so komisch aus?« Claire Monescue war ein einziges Nervenbündel.

Die außergewöhnliche, Nerven aufreibende Situation währte erst seit zwei Minuten, doch den Flugzeuginsassen kamen sie vor wie eine Ewigkeit. In der Drehbewegung schienen sie sich in diesem Moment direkt dem Wald unter ihnen zu nähern.

Ob sie wollten oder nicht – sie mussten einfach hinsehen, denn das unheimliche Panorama breitete sich direkt in ihrem Blickfeld aus. Die Bäume waren auf keinen Fall mehr die, über die sie vorhin noch geflogen waren! Durch den Wirbel, der sie blitzschnell angezogen hatte, waren sie offensichtlich ganz woanders angekommen.

»Die Bäume, Owen«, stöhnte Claire Monescue. »Sie sehen aus wie riesige Knochen, die verzweigt und kahl aus dem Boden ragen. Knochenbäume, das ... das ist doch nicht mehr unsere Welt!«

Das Flugzeug verhielt sich nicht mehr entsprechend den Gesetzen der Physik.

Mit bangem Herzen und unverhohlener Neugier trotz aller Furcht registrierte Owen Longfield das Ungeheuerliche, Unmögliche. Die Maschine befand sich noch immer in der Luft, obwohl sie gar nicht mehr flog! Sie wurde wie von unsichtbaren Händen tiefer in den Wirbel gerissen, ohne dabei an Höhe zu verlieren.

Ein dumpfes Stöhnen entrann Longfields Lippen.

Claire hatte Recht. Da unten erstreckte sich – so weit das Auge reichte – ein Knochenwald, der fahl und kahl durch das gespenstische Grau schimmerte, in das sich nun seltsame Farben mischten, vor allem Orange- und Violetttöne.

»Was ... was hat das alles ... zu bedeuten?« Longfields Stimme klang grauenerfüllt.

Nur Sekunden währte der Sturz in das Windauge, in die riesige Spirale. Hinter ihnen schloss sich das Loch zwischen den wirbelnden Luftmassen. Im gleichen Augenblick sackte die Maschine wie ein Stein in die Tiefe und kam den ersten Ausläufern des Knochenwaldes gefährlich nahe.

Der Flugkörper raste darüber hinweg. Jenseits des mysteriösen Knochenwaldes waren braun-beige Gebäude zu sehen. Sie sahen aus wie eckige Türme, die aus Knochenschädeln zusammengesetzt waren.

Dann erfolgte ein Krachen und Bersten. Das Flugzeug rutschte mit dem Rumpf über den harten Untergrund und drehte sich um die eigene Achse. Die Maschine kippte nach vorn, der Rumpf riss auf, Metall- und Holzteile flogen wie Geschosse durch die Luft, die linke Tragfläche knickte weg wie ein Streichholz. Die Gurte rissen.

Owen Longfield flog mit dem Gesicht auf das Armaturenbrett, Claire Monescue kippte aus dem weit ausklappenden Einstieg und rutschte halb nach draußen.

Dann schwanden ihr die Sinne.

1. Kapitel

Die Höhle schimmerte in fluoreszierendem Schein. Es war ein gespenstischer Ort, und doch haftete ihm etwas an, das man am ehesten mit Geborgenheit umschrieb. Björn Hellmark, der Herr von Marlos, hielt sich in der Geisterhöhle auf, einem Ort, an dem er von merkwürdigen Gestalten umgeben war.

Auf den Stufen, deren Anordnung sich nach oben pyramidenförmig verjüngte, standen steinerne Throne, darauf saßen Skelette, die in prachtvolle Gewänder gekleidet waren. Die Umhänge waren smaragdgrün, rot, azurblau und bernsteingelb. Sie wiesen satte Farben auf und wurden auf den Schultern der Knochenmänner von großen, goldblitzenden Spangen gehalten. Auf dem Sockel jedes Throns war tief eingekerbt ein Name zu erkennen.

Auch Hellmarks Sitzplatz war auf diese Weise gekennzeichnet. Große Buchstaben formten seinen Namen. Die Knochenmänner, die ihn umgaben, stammten aus einer fernen Zeit und waren einst hohe Würdenträger, Priester und Philosophen, die reiche Kenntnisse über die Insel der Vergangenheit, Xantilon, gesammelt hatten, die den Untergang damals nicht mehr rückgängig machen oder wenigstens verhindern konnten.

Durch den Verrat eines Priesters, der sich den Namen Molochos zulegte und gemeinsame Sache mit der mächtigen Dämonengöttin Rha-Ta-N'my machte, kam es zur Vernichtung einer blühenden, hoch stehenden Kultur. Das lag rund zwanzigtausend Jahre zurück.

Beim Untergang Xantilons gelang es einzelnen Bewohnern, auch ganzen Familien, trotz allem Chaos mit dem Leben davonzukommen. Sie erreichten nach oft monatelangem Aufenthalt auf hoher See andere Kontinente, siedelten sich dort an und vermischten sich schließlich mit der Urbevölkerung. Ihr Blut, das Blut jener Männer und Frauen aus Xantilon jedoch, wies ein besonderes Merkmal auf. Es vererbte sich über die Jahrtausende hinweg auf alle Nachkommen, gleich, mit welcher Rasse sich die Flüchtlinge der untergegangenen Insel auch vermischten. In jüngster Vergangenheit gab es Anzeichen dafür, dass manch einer bei sich entdeckte, schon einmal gelebt zu haben. Damals, auf Xantilon. An diese Zeit keimten irgendwelche Erinnerungen auf. Viele nahmen solche Zustände nicht ernst und glaubten an einen Traum. Andere, die von der Wucht ihrer Erkenntnisse förmlich überrumpelt wurden, blieben bedauerlicherweise auf der Strecke. Sie entwickelten sich zu Sonderlingen und Außenseitern und wagten nicht, über ihre Probleme zu sprechen. So zerbrachen viele an dem, was in ihnen vorging. Sie wurden zu Selbstmördern oder landeten in Heilanstalten, wo keiner sie ernst nahm. Dritte wiederum verarbeiteten und analysierten und kamen zu brauchbaren Schlüssen.

Zu jenen, die mit ihrer Erinnerung und ihrem ersten Leben fertig wurden, die die Stimme des Blutes vernahmen und danach handelten, gehörte Björn Hellmark. Er war in der Gegenwart des zwanzigsten Jahrhunderts zum zweiten Mal geboren worden. In seinem ersten Leben nannte man ihn Kaphoon. In der Zeit, als auf Xantilon schwerste Kämpfe stattfanden, existierte er zum ersten Mal. Kaphoon, der Sohn des Toten Gottes oder auch der Namenlose, wie er apostrophiert wurde, war als Kämpfer für Freiheit und Gerechtigkeit in die Erinnerung eingegangen.

Doch die Mächte des Bösen hatten seinerzeit nur einen Teilerfolg errungen. Ihr Ziel war es gewesen, die ganze Welt in Besitz zu nehmen. In der Gegenwart formierten sich die gleichen Kräfte neu, um den Erfolg zu erringen, den sie damals anvisierten. Rha-Ta-N'my, die Göttin der Dämonen, oberste Herrscherin im Reich der Finsternis und des Schreckens, stand bereit, die Erde in Besitz zu nehmen.

Damals, als Xantilon zerbrach, stand ihr der verräterische schwarze Priester Molochos zur Seite. Er lockte viele Angehörige seines Volkes ins Verderben. Sein Ziel war es, in der Hierarchie der Dämonen einen besonderen Platz einzunehmen und ewiges Dämonenleben zu erringen. Mithilfe der Augen des Schwarzen Manja, der als Heiliger Vogel auf der Insel verehrt worden war und nach den Ereignissen auf Xantilon ausstarb, war es Björn Hellmark gelungen, Molochos zum Umschwenken zu bewegen. Der Dämonenfürst erinnerte sich wieder seines Menschseins und schlug sich auf Hellmarks Seite.

Als Ak Nafuur lebte er nun schon geraume Zeit auf der unsichtbaren Insel Marlos und gab Hellmark Hinweise auf Strategie und Absichten der Reiche der Finsternis. Vor seinem Tod hinterließ er ein Vermächtnis, das Björn Hellmarks Leben gewaltig beeinflussen und verändern sollte. Zum ersten Mal bot sich einem Sterblichen die Chance, in das Zentrum des Schreckens einzudringen, Rha-Ta-N'my Auge in Auge gegenüber zu stehen. Doch um diese Begegnung überhaupt erreichen und überleben zu können, war es notwendig, dreizehn Aufgaben zu lösen. Mit ihrer Lösung schuf er die Grundlage zum Eindringen in eine Welt, von der er nichts wusste. Sieben Aufgaben hatte er bereits erfolgreich hinter sich gebracht, sieben Wege in die Dimension des Wahnsinns und Grauens, in denen er unter Einsatz des Lebens seiner Freunde und seines eigenen Breschen in die Reihen derer geschlagen hatte, die auf Seiten der Dämonengöttin standen. Wenn diese Hilfskräfte geschwächt wurden, war die Wahrscheinlichkeit größer, gegen Rha-Ta-N'my überhaupt eine Chance zu haben.

Es war jedes Mal für ihn ein neues Erlebnis, einen der versiegelten Umschläge aufzureißen, die Ak Nafuur, der ehemalige Molochos, ihm hinterlassen hatte. Ak Nafuur hatte ihn ausdrücklich darum gebeten, stets eine Aufgabe zu vollenden, ehe er die nächste kennen lernte. Wobei nie sicher war, dass er jenes Abenteuer, in das er sich stürzte, auch glücklich überstand.

Neben dem steinernen Thron lagen fein säuberlich aufeinander gelegt die letzten sechs Umschläge. Björn griff nach dem obersten, der das Stichwort Dwylup trug.

In Dwylup, der Stadt der Monster, hatte er schon einmal ein großes Abenteuer erlebt. Durch den Hinweis eines Mannes, der seit dreißig Jahren nach einem schweren Unfall in tiefster Bewusstlosigkeit lag, war damals im letzten Augenblick seine Rettung zustande gekommen. An Dwylup knüpften sich unangenehme Erinnerungen.

Mit gemischten Gefühlen riss er den achten Umschlag auf. Die handschriftliche Nachricht war diesmal nicht sehr umfangreich.

Lieber Björn, Dwylup, die Stadt der Monster, ist ein Brückenkopf des Bösen. Wie du weißt, waren meine persönlichen Bindungen zu Dwylup stets besonders eng und stark. Das hing damit zusammen, dass in dieser Jenseitsstadt die Monster Molochos als Herrn und Meister verehrten. Diese Verehrung brachte es mit sich, dass Dwylup zu einer besonders starken Bastion für Rha-Ta-N'my wurde. Viele unschuldige Menschen starben, weil sie sich mit der Erforschung des Okkulten und Übersinnlichen befassten oder einem Dwylup-Monster rein zufällig über den Weg liefen. Seit ich mich wieder für die Menschen entschlossen hatte, befasste ich mich damit, herauszufinden, wo jene beiden unheilbringenden Geschöpfe geblieben waren, die seinerzeit von Dwylup aus eindrangen und in der Welt der dritten Dimension zurückblieben. Leider waren meine Unternehmungen nicht von Erfolg gekrönt. Die Monster aus Dwylup, die Menschengestalt angenommen haben, wirken nach wie vor im Verborgenen. Sie sind gezwungen, in der Welt, in der sie sich nun aufhalten, zu überleben, denn eine Rückkehr nach Dwylup ist ihnen nicht möglich, da die Voraussetzungen hierzu erloschen sind. Sie benötigen dazu einen Spiegel, der zum Tor in die Dimensionen werden kann.

Was ich dir deshalb vorschlage, ist riskant: Bediene dich des Spiegels der Kiuna Macgullygosh, der dir schon so viele wertvolle Dienste geleistet hat. Bringe ihn in jenes alte Gebäude zurück, das seinerzeit dem Schwarzen Priester Kyto, der nicht zur ersten Garnitur der sieben Schwarzen zählte, als Unterschlupf diente. Kyto war nur eine Randfigur, aber eine mächtige. Er wollte die Monster aus Dwylup einsetzen, um Angst, Schrecken und Tod in die Welt zu tragen. Damals konnte ich diese Aktivitäten und Absichten in jeder Hinsicht unterstützen. Doch nun, durch meine Abkehr, denke ich anders darüber, und mein Herz fühlt Traurigkeit über all das, was in meinem Namen geschehen ist.

Die alte Poststation unterhalb der Berge wird die erste Station auf dem achten Weg sein. Du musst das Tor nach Dwylup wieder öffnen, um jene anzulocken, die sich hier noch verbergen und erfolgreich Unterschlupf gefunden haben. Das birgt allerdings das Risiko in sich, dass auch jene von der anderen Seite herüber gelangen können. Du wirst es also mit mehr als nur zwei Gegnern zu tun bekommen, soweit ich das Risiko überblicke. Es war bisher stets mein Anliegen gewesen, das Risiko für dich so gering wie möglich zu halten. Leider ist dies nicht immer möglich.

Es hat einen zweiten Grund, weshalb du das Tor in die Stadt der Monster noch einmal öffnen musst. Du selbst musst nach Dwylup. Der Tempel, in dem meine Maske, mein Antlitz verehrt wird, ist inzwischen zu einem Wallfahrtsort ganz besonderer Art geworden. Dwylups Monster locken Geschöpfe aus vielen Dimensionen, um durch eine – in unseren Augen – überzogene Grausamkeit jene Schlappe wett zu machen, die seinerzeit entstand, als du sie überlistetest. Du hast das erste Auge des Schwarzen Manja von dort entwendet. Sie suchen nach einem neuen, um ihr Leben wieder so fortzuführen, wie sie es gewohnt waren. So ist nicht ausgeschlossen, dass in der Zwischenzeit – da ich den Kontakt zu den Welten Rha-Ta-N'mys verloren habe – neue Aktivitäten entfaltet wurden, um Löcher in jene Dimensionen zu reißen, zu denen ihnen der Zugang durch irgendwelche Vorgänge versperrt ist. Dazu gehört die Erde.

Du gehst viele Risiken ein, ich kann es nicht verschweigen. Der kleinste Verlust ist noch die Vernichtung des kostbaren Spiegels der Kiuna Macgullygosh. Schlimmer aber ist dein persönliches Schicksal, über dessen Ausgang ich dir nichts sagen kann. Die Atmosphäre und die geistige Kraft der Dwylup-Monster sind dir bekannt. Sobald du dich drüben aufhältst, bist du unfähig, deinen Doppelkörper entstehen zu lassen. Damit bist du verwundbarer als sonst. Und welche zusätzlichen Kräfte die Monster seit deiner ersten Begegnung mit ihnen gewonnen haben, entzieht sich meiner Kenntnis. Die meisten Menschen starben schon bei ihrem Anblick. Du hast ein starkes, unerschrockenes Herz. Vielleicht wird es dich auch diesmal nicht im Stich lassen. Ich wünsche dir von Herzen alles Gute auf deinem Weg.

Hellmark faltete den Bogen zusammen. Das sonnengebräunte Gesicht des Mannes wirkte ernst, die Linien um seinen Mund schienen tiefer zu sein als je zuvor. Es gab für ihn kein Zögern. Hellmark war entschlossen, sofort den achten Weg einzuschlagen. Ak Nafuurs Text machte ihm klar, dass es keine andere Möglichkeit gab, die beiden noch auf der Erde befindlichen Dwylup-Monster aus ihren Verstecken zu locken. Wenn es gelang, die beiden Unheilbringer auszuschalten, war die Erde von zwei schlimmen Plagen befreit.

Doch das Aufstellen der Falle konnte zu einem Schuss nach hinten werden. Dann wären mit einem Mal nicht mehr nur zwei gut getarnte Monster in dieser Welt, sondern zwanzig oder auch zweihundert ...

Sie spürte einen dumpfen Schmerz, der sich im ganzen Körper ausbreitete. Wir sind abgestürzt, das war ihr erster Gedanke, noch ehe sie die Augen aufschlug und etwas sah. Claire Monescue war von einem Augenblick zum anderen wieder wach, ohne zu wissen, wie lange ihre Bewusstlosigkeit gewährt hatte. Ihre Rippen schmerzten. Als sie sich aufrichtete, wurde ihr bewusst, dass sie mit dem Oberkörper aus dem weit klaffenden Ausstieg der Maschine hing.

Die rotblonde Frau atmete schnell und flach. Sie wandte den Blick.

»Owen?«, flüsterte sie erregt.

Der Pilot rührte sich nicht. Er war über der Instrumententafel zusammengebrochen. Die Kuppel war zerstört, das Flugzeug hing seitlich, die Blätter der Flugschraube waren abgebrochen oder hatten sich in dem harten, lehmbraunen Boden festgefressen.

Owen Longfields Hände waren in dem aufgerissenen Instrumentenfeld vergraben. Ein dünner Blutstreifen lief über sein Gesicht. Das Blut war noch nicht getrocknet, ein Zeichen dafür, dass der Absturz nicht lange zurücklag.

In Claire Monescues Kehle würgte es. War Owen tot?

Sie drehte sich weiter herum und wollte ihn berühren.

»Owen?«, fragte sie heiser. »Bist du okay? Kannst du mich hören?«

Sie war selbst erstaunt darüber, wie ruhig mit einem Mal ihre Stimme klang.

Es erfolgte keine Antwort.

Claire Monescue versuchte Longfield in die Höhe zu drücken und wollte den Puls fühlen. Weder das eine noch andere war möglich. Der Mann war eingeklemmt. Sie musste Hilfe holen. Aber woher – mitten im Dschungel?

Sie starrte aus fiebrig glänzenden Augen in die Ferne. Merkwürdig. Da waren weder Büsche noch Bäume zu sehen. Der Himmel hatte die Farbe von Sand, die Luft war heiß und trocken wie in der Wüste, und es gab eckige, turmhoch aufragende Gebäude, die die Farbe des lehmbraunen Bodens hatten.

Drei Sekunden war Claire Monescue verwirrt. War die Maschine von dem plötzlich auftretenden Gewittersturm in die Wüste geschleudert worden? Aber das konnte nicht sein! Zuletzt waren sie über die grüne Hölle des Amazonas geflogen, Hunderte von Meilen entfernt von jeder Wüste, und dann war da jener mysteriöse Luftwirbel gewesen, in den die steuerlose Maschine gerissen worden war.

Da entsann sich Claire schlagartig wieder. Bevor sie abstürzten, hatte sie etwas wahrgenommen. Seltsame Bäume aus fahlen Knochen ... Und nur eine Steinwurfweite vom Wrack der Sportmaschine entfernt stand ein solcher Baum. Der Stamm war ein mächtiger, massiver Knochen, etwa drei Meter im Durchmesser. Von ihm aus zweigten kahle, breit gefächerte Äste ab. Blätter trug dieser Knochenbaum nicht.

Wie in Trance kletterte Claire Monescue aus dem zerstörten Flugzeug. Ihre Hände waren blutig und zerkratzt, das dünne Kleid glich einem Fetzen, der spärlich ihren Körper bedeckte. Überall auf ihrer Haut schimmerten blaue und gelbe Flecken.

Das alles merkte sie erst danach. Sie registrierte es mit stoischer Gelassenheit. Sie lebte – das war mehr wert. Aber wo war sie angekommen? Was war dies für eine Welt?

Als sie, mit zittrigen Knien gegen das Wrack gelehnt, auf die Silhouette der Stadt blickte, die in gleißendem Licht und flirrender Hitze lag, kam ihr ein unheimlicher Gedanke. Die ruinenartigen Gebäude gehörten sicher zu einer vergessenen Urwaldstadt, deren Existenz heute kaum jemand mehr leugnete, deren Nachweis sich aber nach wie vor als schwierig erwies, da die Häuser von Erde bedeckt und vom Dschungel überwuchert waren. Vielleicht hatten Azteken oder Mayas in ferner Vergangenheit diese Gebäude errichtet – oder ein anderer Eingeborenenstamm, von dem man bis heute noch nichts gehört hatte. Eine Stadt, die man ausgegraben hatte! Wo sich aber eine Ausgrabungsstätte befand, hielten sich logischerweise Menschen auf.

Es war verwunderlich, dass noch niemand auf der Bildfläche erschienen war, um nach ihnen zu sehen. Der Lärm, der durch das abstürzende Flugzeug verursacht worden war, konnte von niemandem, der sich in der Nähe befand, überhört worden sein. Warum kam niemand?

Da sah Claire den ersten Schatten zwischen den Häusern. Er verschwand wieder, und ihre Blicke glitten an den makabren Fassaden entlang.

Claire Monescue löste sich langsam und schwerfällig von der Maschine, in der der tote Pilot eingeklemmt zurückblieb. Zu ihrer Linken erblickte sie zwischen den lehmbraunen Gebäuden einen tunnelähnlichen Eingang, der aussah wie ein gigantisches, aufgerissenes Fischmaul.

Dort tauchten die Schatten wieder auf.

»Hilfe! Hierher«, kam es viel zu leise über ihre Lippen. Aber sie war nicht in der Lage, lauter zu rufen. Und das, was sie weiter sagen wollte, blieb ihr wie ein Kloß in der Kehle stecken.

Das waren keine Menschen – das waren Monster!

Claire Monescue stöhnte unterdrückt, und ihr Innerstes erbebte beim Anblick dieser schauerlichen Geschöpfe.

Die Kolosse, die durch die heiße, flimmernde Luft kamen, waren mehr als zwei Meter groß und sahen echsenhaft aus. Die grauen Schuppen bedeckten den tonnenhaften Leib wie ein dichtes Geflecht. Der riesige Kopf war aufgedunsen, kahl und unförmig.

Claire Monescue schluckte.

Die Augen der Ungeheuer waren das Schrecklichste, was sie je gesehen hatte! Sie waren unterschiedlich im Aussehen. Das rechte hatte Lider, die die rot glühende Iris halb verdeckten, das linke war offen wie die Augenhöhle in einem Totenschädel. Der runde Augapfel schwamm darin wie in schwarzer, gallertartiger Masse.

War es Traum oder Wirklichkeit?

Claire konnte sich diese Frage nicht beantworten und handelte instinktiv. Sie wich Schritt für Schritt zurück, stieß mit dem Rücken gegen das Wrack und fuhr unter einem Peitschenhieb zusammen. Sie meinte, eine Hand greife nach ihr, duckte sich, ging in die Knie und kroch auf allen Vieren unter dem eingedrückten Bug der havarierten Maschine durch, um auf die andere Seite zu gelangen. Sie fühlte instinktiv, dass es ihren Tod bedeutete, wenn sie länger hier verweilte.

Wie durch ein Wunder hatte sie nur mit minimalen Verletzungen den Absturz überstanden, aber sie fühlte sich plötzlich elender und kraftloser als unmittelbar nach dem Erwachen aus der Bewusstlosigkeit. Ihr Herz schlug hart und unregelmäßig. Sie fror innerlich und sonderte dennoch in der sie umgebenden Wüstenluft Schweiß ab.

Eine nie gekannte Angst vor dem Sterben erfüllte sie, dass sie meinte, jeden Augenblick vergehen zu müssen. Sie schluchzte, blieb hinter der umgekippten Maschine hocken und war unfähig, sich nur einen Zentimeter weiter zu bewegen.

Der Anblick der Monster war schuld an diesem Zustand! Sie begriff es sofort, konnte aber nicht das Geringste dagegen tun. Etwas hatte sie erfasst und innerlich berührt. Es war die geistige Atmosphäre, beeinflusst durch die Annäherung der Gestalten.

Die Schatten der Monster überfielen das Wrack, als sich in ihm etwas zu regen begann. Ein Teil der wie eine reife Frucht geplatzten Kanzel hing schräg wie ein Dach über Claire Monescue.

Das Geräusch aus dem Innern des Wracks veranlasste die Frau, den Blick zu heben. Was sie sah, ließ das Blut in ihren Adern erstarren.

Owen Longfield! Er bewegte sich, erwachte aus tiefer Bewusstlosigkeit. Er war ebenso wenig tot wie sie!

In ihrer Kehle formte sich ein Ruf, den sie im letzten Augenblick unterließ, aus Furcht, damit erst recht auf sich und ihre Hilflosigkeit aufmerksam zu machen.

Owen Longfield hob langsam den Kopf. Unterhalb seines Haaransatzes war die Haut aufgeplatzt. Die lange Schürfwunde reichte über die ganze Stirn. Longfield war bleich. Die Monster aus der unheimlichen Stadt umringten ihn. Ihre Schatten fielen auf sein Gesicht. Die grauenvollen Antlitze ragten durch die Öffnung der Kanzel.

Etwas krallte sich in Longfields Herz. In seinem Inneren knisterte und rieselte es, als ob jemand Sand durch seine Adern und Knochen schütten würde. Longfield kam nicht mehr zum Schrei. Der Anblick der Monster zerstörte seinen Organismus. Was sich bei Claire Monescue unspezifisch andeutete, wurde ihm zum Verhängnis.

Sein Leib wurde zu Staub. Mehlfein schwebte der aufgelöste Körper zu Boden.

Claire Monescue bekam – spiegelverkehrt – jede Einzelheit mit. Alles in ihr verkrampfte sich, und sie begann, an ihrem Verstand zu zweifeln.

Sein Kopf, seine Schultern, seine Arme waren verschwunden. Auf ihnen gab es kein Fleisch, keine Haut mehr. Ein blankes, lebloses Skelett, das langsam wie in Zeitlupe nach vorn kippte, hockte noch auf dem verschobenen Sitz hinter dem abgeknickten Steuerknüppel.

Owen Longfield war zum Knochenmann geworden! Sie hatte es genau gesehen. Keines der Monster hatte ihn berührt, keines ihn getötet. Es war die Angst gewesen, die ihn zugrunde gerichtet hatte, die Angst, ausgelöst durch ihren Anblick!

Da wusste sie nicht mehr, wie sie reagierte und was sie tat. Sie hörte nur einen spitzen, markerschütternden Schrei, und es wurde ihr nicht bewusst, dass sie selbst es war, die so entsetzlich kreischte.

Sie wusste nicht, woher sie die Kraft nahm, auf die Beine zu kommen. Taumelnd stürzte sie nach vorn, weg von der Maschine.

Claire Monescue kam nur drei Schritte weit. Dann hielten Krallenhände sie umfasst und rissen sie herum. Ihr dünnes Kleid zerriss völlig über der linken Schulter, so dass sie halb nackt vor dem Monster stand.

Namenloses Grauen erfüllte sie. Da war der Unheimliche, aus dessen tierischem Maul heiß und übel riechend der Atem kam, und da waren die anderen, die eine unheimliche, unglaubliche Zeremonie durchführten.

Das Skelett im Wrack war für sie eine Art Spielzeug. Sie brachen sich einzelne Knochen heraus, warfen sie sich gegenseitig zu, gaben dabei grunzende und zischende Laute von sich und begannen schließlich damit, die Knochen zu zerkauen.

Das war zu viel für Claire Monescues Nerven. Sie brach auf der Stelle zusammen und stürzte auf die harte, trockene und heiße Erde, ohne dass das Monster Anstalten machte, sie fest zu halten.

Im Haus von Albert Faraux war einiges los.

Die Terrasse war mit Gartenfackeln und bunten Lampions geschmückt. Dreißig Gäste waren geladen, die alle gekommen waren. Sie tanzten, tranken den besten Wein und Champagner und stießen auf das Wohl Faraux' an, der im Mittelpunkt der Festlichkeit stand.

Der Direktor der Bankzentrale war ebenfalls gekommen, hielt ein paar einführende Worte und bedankte sich bei Faraux für die bisherige gute Aufbauarbeit.

»Vor fünf Jahren haben sie die neu gegründete Zweigstelle Nr. 125 übernommen, mein lieber Faraux, und wir wünschten Ihnen Erfolg und alles Gute. Wir übergaben Ihnen die neu gemieteten Räume mit gemischten Gefühlen, denn damals glaubte niemand in der Geschäftsleitung unserer Bank daran, dass die kleine Zweigstelle in diesem Stadtteil genügend Kunden haben würde, um sich selbst zu tragen. Genau das Gegenteil ist eingetreten. Sie konnten durch ihre sympathische, freundliche Art viele neue Kunden gewinnen und den Umsatz der Zweigstelle unerwartet steigern. Heute vor fünf Jahren übertrugen wir Ihnen eine verantwortungsvolle Tätigkeit. Sie haben die Probleme gemeistert, Faraux. Dafür drücken wir Ihnen unseren Dank aus. Im Namen der Geschäftsführung darf ich Ihnen ein kleines Präsent überreichen, Ihnen weiterhin alles Gute wünschen und bei dieser Gelegenheit mitteilen, dass wir vorgesehen haben, Ihnen im Lauf dieses Jahres noch eine größere Zweigstelle zu übertragen, in der Sie Ihre Kenntnisse und Fähigkeiten vielleicht noch besser anwenden können.«

In die Ahs! und Ohs! mischte sich Klatschen und Gläserklirren. Man stieß auf Albert Faraux' Wohl an.

Das Haus des Zweigstellenleiters der schweizerischen Kreditbank lag am Rand von Bern. Es handelte sich um eine alte Villa, die Faraux vor drei Jahren gemietet hatte. Sie gehörte einer ältlichen Schauspielerin, die in den zwanziger und dreißiger Jahren sehr populär gewesen war, keine Angehörigen mehr hatte und nun mit achtzig Jahren in einem Pflegeheim untergebracht war. Die hohen Mietkosten, die von Faraux für dieses große, schöne Haus aufgebracht wurden, gewährleisteten der alten Dame einen angenehmen Lebensabend.

Faraux war Anfang Vierzig, groß und stattlich, Junggeselle. Er liebte den Luxus, und so kamen ihm die Räumlichkeiten der Villa, in denen er kostbare Möbel und nicht minder kostbare Gemälde sammeln konnte, entgegen. Faraux war in Bern geboren. Als einziger Sohn eines Fabrikarbeiters hatte er eine berufliche Karriere hinter sich, um die er beneidet wurde. Er verkehrte heute in den besten Kreisen und war befreundet mit Stadtverordneten, Geschäftsleuten, Rechtsanwälten und Ärzten.

Seine besten Freunde hatte Faraux zu sich nach Hause eingeladen, und alle fanden, dass es eine gelungene Party war, auch wenn sie mitten in der Woche stattfand.

Der Jahrestag, an dem er die Zweigstelle vor fünf Jahren übernommen hatte, war nun einmal heute und nicht erst am Freitag oder Samstag. Faraux war bei seinem Personal für seine akkurate, fast pedantische Art bekannt. Termine und Daten waren für ihn etwas Unerschütterliches. Faraux verschob grundsätzlich nichts, zog aber auch nichts vor.

»Das hat heute auch seinen Vorteil«, scherzte er unter Freunden bei einem Glas Champagner und kaltem Gänsebraten. »Keiner geht nach Mitternacht nach Hause. Alle haben Angst, morgen Früh zu verschlafen. So komme auch ich früh ins Bett.« Er grinste. Seine makellos weißen Zähne schimmerten wie poliertes Elfenbein.

Überall im Haus brannte Licht. Die Villa glich mit ihren Seidentapeten, den riesigen Ölgemälden und goldenen Lüstern eher einem kleinen Schloss. Faraux verstand es, dem Leben die besten Seiten abzugewinnen.

Es kam, wie er es scherzhaft angekündigt hatte. Gegen dreiundzwanzig Uhr gingen die ersten Gäste. Die Damen, in großer Abendgarderobe, verabschiedeten sich vom Gastgeber mit Küsschen. Die auf dem großen freien Platz stehenden Fahrzeuge wurden rasch weniger.

Eine Viertelstunde nach Mitternacht waren alle Gäste gegangen. Albert Faraux befand sich allein in seinem großen Haus.

Morgen Früh würde eine Zugehfrau kommen, das benutzte Geschirr wegräumen und die Wohnung säubern. Um diese Dinge kümmerte er sich jetzt nicht mehr.

Im Parterre waren bereits sämtliche Lichter erloschen. In der ersten Etage brannten hinter einigen Fenstern noch die Lampen. Faraux zog die Vorhänge zu. Der schwere rote Stoff war vom Licht kaum mehr zu durchdringen.

Die Parkfläche vor dem Haus war leer. Die Villa lag im Schatten der Nacht und der alten hohen Bäume, die im Park standen, der leicht bergab fiel.

Ein Schatten bewegte sich. Es war der eines Menschen. Die einsame Gestalt hielt sich dicht an der Hauswand, bewegte sich mit äußerster Lautlosigkeit und Aufmerksamkeit. Der Mann war ganz in Schwarz gekleidet und sah aus wie ein Priester. Er war auch einer. Ein Schwarzer Priester, einer der zweiten Generation, einer aus den Reihen der zweiten Garnitur, die nicht den Rang eingenommen hatten, welcher Molochos und den sechs anderen Hauptpriestern zugebilligt worden war.

Björn Hellmark hatte konsequent die obersten, maßgebenden Unheilbringer rund um Molochos ausgerottet. Die Mitläufer, die vielen Tausend anderen mit geringerer Macht, hatte er durch diesen Schlag ebenfalls getroffen, sie kopfscheu gemacht und zum Teil zur Flucht von der Erde veranlasst. Doch nun zeigten sich nach dem Übertritt von Molochos zu den Menschen auch die weniger Mächtigen wieder. Es schien, als hätten sie die Absicht, das durch Molochos entstandene Vakuum wieder zu füllen.

Der Fremde lief zum Hintereingang, der verschlossen war. Doch daran störte sich der nächtliche Besucher nicht. Er legte seine Hand auf die Klinke. Es knackte leise im Schloss, und die Tür sprang auf. Der Mann betrat den Hausflur, ohne die Tür hinter sich zu schließen. Das war nicht notwendig. Er hatte beobachtet, wie alle Gäste abgefahren waren. Außer Albert Faraux befand sich niemand mehr im Haus.

Der Mann eilte zielstrebig die Treppe nach oben. Hinter der Tür zum feudalen Schlafzimmer des Hausherrn waren Geräusche zu vernehmen. Es hörte sich an, als würde jemand in einem großen Becken schwimmen. Deutlich war das Plätschern von Wasser zu vernehmen.

Als der fremde Eindringling kurzerhand das Schlafzimmer betrat, sah er, dass vom Fußboden des Bettes aus zwei Stufen in einen tiefer liegenden Raum führten, in dem ein Schwimmbassin eingelassen war. Kleine Kugelleuchten an den braun melierten Wänden des luxuriös ausgestatteten Badezimmers spendeten sanftes Licht.

Albert Faraux stieg gerade aus dem Becken und griff nach dem großen Badetuch, als die dunkle Gestalt plötzlich wie aus dem Boden gewachsen vor ihm stand.

Faraux' Erstaunen war echt, doch er zuckte nicht mal mit der Wimper und empfand keinen Moment Furcht. Das war ihm deutlich anzusehen. Blitzschnell erfasste er die Gestalt und registrierte, dass der Mann weder ein Messer noch eine Schusswaffe in der Hand hielt, die ihm gefährlich werden konnten.

»Wer sind Sie? Was wollen Sie hier? Wie kommen Sie in mein Haus?«, fragte Faraux ohne besondere Erregung.

»Mein Name ist Myrex. Ich bin hier, um dir eine Nachricht zu überbringen. Verschlossene Türen sind für einen Schwarzen Priester kein Hindernis.«

»Ich habe deinen Namen nie gehört«, erwiderte Faraux, sich wie der unerwartete nächtliche Gast sofort der Du-Form bedienend.

»Du kennst aber Kyto.«

Da fuhr Faraux zum ersten Mal zusammen.

»Er war es, der euch den Weg in diese Welt ebnete«, fuhr der Schwarze Priester unbeirrt fort. Und es schien, als hätte mit einem Mal er hier das Sagen und nicht mehr der Bankmann Faraux. »Leider wurde sein Plan vereitelt. Weil er durch Glück und List vorzeitig erkannt wurde. Rha-Ta-N'my, die Herrin, die uns beiden befiehlt, hat die Stunde wohl gewählt. Ich bin gekommen, dir zu sagen, dass der Weg frei ist.«

Faraux' Augenschlitze wurden schmaler. »Ich höre deine Worte, und sie ergeben für mich auch einen Sinn.« Er stieg vollends aus dem Wasser und frottierte sich kraftvoll ab. »Wer aber gibt mir die Gewissheit, dass deine Botschaft echt ist und keine Falle für mich bedeutet?«

»Du selbst kannst dir diese Frage am besten beantworten und beweisen ...«

Faraux nickte. »Gut. Wir werden sehen.« Und noch während er sprach, ging eine Veränderung mit ihm vor. Albert Faraux' Körperform schien unter unvorstellbarer Hitze plötzlich wie Gummi zu schmelzen. Seine Haut verfärbte sich, die Form seines Schädels wurde anders, als würden unsichtbare Hände ihn drücken und neu zurecht schieben. Sein Gesicht wurde schief, die Schuppen wuchsen lautlos und schnell und bedeckten ihn wie übergroße Dachziegel von den Füßen aufwärts bis zum Hals. Die Ohren waren groß, blau-grün wie sein Schuppenkörper, die Spitzen klappten leicht nach unten. Der Schädel war einseitig verformt, ragte auf der rechten Seite höher empor, fiel links ab und war kahl und ebenfalls blaugrün. Die Zahnreihen hatten die Farbe der Haut und wurden durch zwei dolchartige Eckzähne abgeschlossen, die über die Unterlippe ragten.

Albert Faraux aus Bern war kein Mensch mehr aus Fleisch und Blut, sondern ein Monster aus Dwylup!

Sein Anblick und die Atmosphäre, die seine Erscheinung erzeugte, bewirkte bei jedem menschlichen Betrachter namenloses Grauen, das sich bis zum Tod äußern konnte. Mit seinen ungleichen Augen – dem einen, das durch überlappende Lider halb geschlossen wirkte, dem anderen, das rot glühend in schwarzer Gallertmasse in einer riesigen Augenhöhle schwamm – beobachtete das Monster sein Gegenüber ganz genau.

Der Mann, der sich Myrex nannte, zuckte nicht zusammen, wurde nicht blass und wich keinen Schritt zurück. Er empfand keine Furcht. Er war an den Anblick und die Atmosphäre des Grauens gewöhnt.

»Du bist wirklich ein Bote«, sagte das grauenvoll aussehende Monster und nahm gleich darauf wieder die Gestalt des Mannes an, der ihm zum Opfer gefallen war und dessen Stellung er im Leben übernommen hatte, ohne dass jemand im Freundes- und Bekanntenkreis Faraux' das Geringste gemerkt hätte.

Myrex nickte. »Nachdem du es erkannt hast, höre die ganze Botschaft. Seit Langem seid ihr hier in dieser Welt. Ihr seid zu zweit, nach Kytos Tod und der Zerstörung des einen Spiegels war es nicht mehr möglich, Eingang nach Dwylup von dieser Seite der Welt aus zu erlangen. Umgekehrt war es nicht mehr möglich, Dwylup zu verlassen und neue Opfer zu beschaffen. Eine Welt wie Dwylup aber ist auf Opfer angewiesen.«

»Wem sagst du das«, murmelte Faraux ernst.

In Dwylup wurden jene Aktivitäten entfaltet, die notwendig waren, das Gleichgewicht in der Welt des Bösen zu erhalten. Dwylup zeichnete sich dadurch aus, dass eine besondere Verehrung des Dämonenfürsten Molochos stattfand. Molochos und der Tod bestimmten das Dasein in Dwylup. Unter dem grauenvollen Antlitz Molochos', der dort als Blutgötze verehrt wurde, richtete man die Opfer. Die abgeschlagenen Köpfe derer, die den Monstern in die Hände gefallen waren, wurden als Trophäen an die Hauswände der Wüstenstadt gehängt, um Zeugnis abzulegen von der Macht der Monster aus Dwylup über Leben und Tod. Da die Wege in die Welt der Menschen versperrt waren, die Rha-Ta-N'mys Hass auf sich gezogen hatten, wurde die Macht Dwylups von Mal zu Mal geringer. Die Monster in Dwylup, die fühlten, dass sie in Rha-Ta-N'mys Plänen nur noch eine untergeordnete Stelle einnahmen, setzten alles daran, die alte Macht zurückzugewinnen.

»Es gibt Hinweise darauf, dass von Dwylup aus versucht wurde, ein Tor in die diesseitige Welt zu schaffen«, erklärte Myrex. »Bei besonderen Wettersituationen öffnet sich der Tunnel zwischen den Dimensionen. Nun kommt es nur noch darauf an, auch alle jene herüber zu schaffen, die durch Angst und Schrecken die Kraft der Finsternis verstärken und einen Weg finden, den alten Zustand wieder herbeizuführen. Dazu ist es unerlässlich, wieder ein Auge des Schwarzen Manja in Dwylup zu deponieren. Molochos' Antlitz wird mit ihm in neuem Glanz erstrahlen und die Zeit der Opfer wieder beginnen, eine neue Situation hilft dir und dem anderen von dort, die Absichten zu unterstützen.«

»Was können wir tun?«, fragte Faraux erregt. Er sah einen Silberstreifen am Horizont. Das lange Warten hatte sich gelohnt. Seit Jahren steckte er in der Haut eines anderen Menschen. Sein wahrer Name war Vhap. Der andere, der nur wenige Kilometer entfernt in Menschengestalt lebte, hieß Thont, war das zweite Dwylup-Monster, das seinerzeit übrig geblieben und kein Opfer der Dämonenmaske Björn Hellmarks geworden war.