Macabros 060: Das Phantom aus dem All - Dan Shocker - E-Book

Macabros 060: Das Phantom aus dem All E-Book

Dan Shocker

0,0

Beschreibung

Molochos, der Dämonenfürst, holt zum finalen Schlag gegen Björn Hellmark aus. An seiner Seite: das Phantom aus dem All. Frank Morell und Björn Hellmark nehmen den Kampf auf. Doch ihre Chancen stehen mehr als schlecht.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 151

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Band 60

Dan Shocker

PHANTOM AUS DEM ALL

© 2014 by BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Titelbildgestaltung: Mark Freier

Illustration: www.ralph-kretschmann.de

Fachberatung: Gottfried Marbler

Satz: Winfried Brand

All rights reserved

www.BLITZ-Verlag.de

ISBN 978-3-95719-760-3

Lucy Sherman war eine ausgesprochene Schönheit. Sie hatte rotes Haar, grüne Augen und ein Gesicht wie aus dem Skizzenbuch eines Malers. Wer Lucy sah, fragte sich, warum sie nicht zum Film gegangen war. Das lag wahrscheinlich daran, dass die gut aussehende Rothaarige in Valley Forest geboren und aufgewachsen war. Hier, in dieser kleinen Siedlung, in der rund zehntausend Menschen lebten, war noch keiner der mächtigen Filmbosse gewesen, um das Mädchen vom Lande zu entdecken. Und Lucy wiederum war nie in New York und Los Angeles gewesen, und es zog sie dort auch nicht hin. Sie fühlte sich wohl in Valley Forest. Die einfachen Menschen behagten ihr. Hier kannte sie jeden, hier mochte man sie.

Lucy Sherman gab eine Zeitschrift heraus, in der sie einmal wöchentlich über das Leben rund um Valley Forest berichtete. Das Blatt enthielt die Mitteilungen der Gemeinde, eine Gratulationsseite und vor allem Reklame der lokalen Kaufleute.

Our Seven Days erschien in einer Auflage von fünfeinhalbtausend Exemplaren. Lucy war Redakteurin, Anzeigenverwalterin und schrieb Interviews und Berichte.

An diesem Abend war sie in ihrer kleinen Wohnung gerade dabei, die neueste Ausgabe abzuschließen, als das Telefon anschlug. Sie meldete sich.

„Gregory hier“, antwortete eine dunkle, aufgeregt klingende Stimme. „Von der Wilson-Farm.“

Dieser Hinweis hätte sich erübrigt; Lucy kannte Gregory. Er war Stallknecht auf der Wilson-Farm, die etwa fünf Meilen vom Ortskern entfernt lag. Im Zentrum von Valley Forest lebte etwa ein Drittel der Einwohnerschaft. Die restlichen zwei Drittel verteilten sich auf kleine Siedlungshäuser und Farmen, die oft weit auseinanderlagen.

„Ja, Gregory! Wo brennt’s denn? Ist es so weit?“ Es gab eigentlich nur einen Grund, weshalb der Stallknecht anrufen konnte. Die Stute Long Distance hatte geworfen. Alles, was mit diesem Pferd zu tun hatte, interessierte die Einwohner von Valley Forest. Long Distance war der Stolz und das Aushängeschild des Ortes. Das Pferd fiel immer wieder bei Rennen auf und hatte dem Gestüt, das der Farm angegliedert war, schon manchen Preis eingebracht.

„Ja. Wir haben ein Fohlen. Aber …“ Gregory sackte förmlich die Stimme weg.

Lucy wurde hellhörig. „Stimmt etwas nicht?“

„Das kann man wohl sagen, Miss Lucy. Es hat wohl keinen Sinn, dass Sie kommen.“

„Weshalb denn nicht?“

„Wir werden es töten müssen. Doc Ellert kann nichts machen. Das Fohlen hat zwei Köpfe.“

„Verdammt!“

Aber weshalb nicht kommen?, sagte sie sich dann gleich darauf. Ein Fohlen mit zwei Köpfen – das gab einen Bericht für Our Seven Days, der nicht alltäglich war.

„Ich komme sofort, Gregory. Das muss ich mir ansehen.“

Sie legte auf, ohne die Reaktion des Teilnehmers abzuwarten, schlüpfte in ihre Jacke, griff nach der weichen, etwas großen Ledertasche, in der Fahrzeugpapiere, Notizblock und Bleistifte untergebracht waren, und fuhr zwei Minuten später in dem moosgrünen Ford los, der schon acht Jahre auf dem Buckel hatte.

Es war schon so finster, dass sie die Scheinwerfer anschalten musste, um die dunkle Straße zu sehen, die sich schmal und verlassen zwischen uralten Bäumen quer durch das Tal dahinschlängelte. Von dieser Straße aus führten mehrere Abzweigungen über die bewaldeten Hügel, hinter denen die anderen Teile von Valley Forest lagen. Auch die Wilson-Farm lag hinter einem solchen Hügel.

Lucy Sherman dachte an das Fohlen mit den zwei Köpfen und daran, dass sie es fotografieren würde. Sie hatte schon von solchen Dingen gehört und gelesen, aber selbst noch nie ein Tier mit zwei Köpfen gesehen. Eigentlich war es mal etwas anderes, darüber zu schreiben.

Doch es warteten ganz andere Aufregungen auf sie, gegen die die Sensation des Fohlens mit den zwei Köpfen verblasste und die Lucy fast um den Verstand brachten.

Sie gehörte zu den beiden Ersten, die dem Phantom aus dem All begegneten …

ES hatte keinen Namen. Aber ES lebte. Nicht weil ES aus Fleisch und Blut und einer Ansammlung lebender Zellen bestand. ES existierte, weil ES aus Materie bestand und diese Materie mit Geist erfüllt war.

Doch dieser Geist war schon seit Vorzeiten nicht mehr frei. Die Welt, in der ES einst existierte, war in die Hände dunkler Geister gefallen, die sich die wenigen Exemplare der großen Rasse zu Sklaven gemacht hatten.

Sein Leib hatte keine bestimmte Form. ES war eine Ansammlung grauweißen Lichts, das wie ein Schleier durch das Weltall segelte. ES war schwach und unbedeutend und abhängig von dem Willen des alles beherrschenden Molochos, der ein großes Dämonenheer sein Eigen nannte und in der besonderen Gunst Rha-Ta-N’mys stand. Das alles wusste ES – und noch mehr.

Da war die Tatsache der Gesetze. Die existierten schon immer. Und die Gesetze waren heilig, denn Rha-Ta-N’my, der das Universum gehörte, hatte sie geschaffen. Alles Leben ging auf sie zurück. Sie war die Mutter jeder Existenz und währte ewig. Ihr zu gehorchen war eine Lebensnotwendigkeit, und ES lebte gern.

Molochos war einer der Großen an der Seite der Dämonengöttin. Auch ihm galt es, Gehorsam zu zollen.

Ich brauche dich, ES!, vernahm das Wesen aus flimmerndem Licht die Stimme in seinem Bewusstsein.

Ich höre dich, Molochos!, dachte ES. Glück und Zufriedenheit stiegen in ihm auf. Der große Molochos, der Herr der Geister, wandte sich an ihn. Wann war das zum letzten Mal geschehen? Es lag so weit zurück, dass er sich nicht mehr daran erinnern konnte.

ES war so unwichtig, dass gar nicht damit zu rechnen war, jemals eine Rolle in den außerordentlichen Plänen des Dämonenfürsten zu spielen. Die Mächtigen stiegen zu den Kleinen herab.

Welch ein Triumph! ES genoss das Glücksgefühl, das sich in ihm verbreitete.

Wenn ich Unwürdiger das Geringste für Dich tun kann, so lass es mich wissen.

Unter dir liegt eine Welt.

Ich habe sie schon lange wahrgenommen, großer Molochos. Sie ist blau und funkelt wie ein Diamant. Ich spüre Leben dort, empfange Gedanken …

Es sind die Gedanken derer, die dort leben. Sie nennen sich Menschen. Sie sind schlecht. Ich mache mir Sorgen um sie, denn sie tanzen aus der Reihe. Ich werde ein Exempel statuieren müssen. Und du sollst mich dabei unterstützen.

Ich werde Dich unterstützen, Mächtiger.

Suche diese Welt auf! Ich werde dir genau sagen, wohin du dich begeben sollst. Alles Weitere wird sich dann von selbst entwickeln …

ESwar zufrieden. Der große, fremde Planet kam näher. Lautlos schwebte das gestaltlose Etwas den äußeren Schichten der Lufthülle entgegen und verschwand darin.

ES befand sich auf der Erde.

In einem Reich, das menschliche Augen nicht sehen konnten, herrschte hektische Betriebsamkeit. Hinter dunklen, wehenden Schleiern stand ein bizarrer Thron, der nicht den Boden berührte, der in einer pulsierenden Schwärze schwebte. Darauf saß Molochos.

Der Dämonenfürst war in einen schwarz-roten Umhang gehüllt. Die dunklen Wände des nebelhaften Thronsaales waren seltsam transparent, als wölbe sich eine überdimensionale Kuppel über die brodelnde Finsternis, die nie ein Sonnenstrahl durchbrach. Jenseits der Kuppeln lagen die von Dämonen beherrschten Welten und schien der Blick hinter Mauern und Wände zu dringen. Das Innere bizarrer Tempel öffnete sich, und die seltsamsten Rituale, nach denen die Dämonen dürsteten, wurden dort abgehalten. Die düstere, brodelnde Luft in Molochos’ Thronsaal war erfüllt von grauenhaften Lauten, die von orkanartigen Böen zerrissen wurden. Das schrille Kreischen des Sturms und die grauenhaften Laute waren so heftig, dass menschliche Ohren dieses Tosen nicht ertragen hätten.

Übel riechende Dämpfe entwickelten sich, waberten wie Geisterfinger durch die Düsternis, in der schwärendes Unheil lauerte – Unheil und Grauen, das sich potenzierte und den bizarren, nebelhaften, geduckt hin und her eilenden Geschöpfen zu Molochos’ Füßen hochwillkommen war. Sie suhlten sich in diesen menschenunwürdigen Gefühlen und stimmten kreischend ein in die Gänsehaut erzeugenden Worte, in die dumpfen, beschwörenden Gesänge, die aus vielen Welten in das Dämonenfürstenreich drangen.

Molochos‘ tief liegende, große Augen glühten, als wären sie von innen erleuchtet. Violett-blaues Licht sickerte kalt aus den Poren seines Gesichts, das entfernte Ähnlichkeit mit dem Satans hatte.

Die Stimmung war gut. Die Freunde und Anhänger, die Verirrten und in die Irre Geleiteten sprachen ihre schauerlichen, gottesbeleidigenden Gebete und hielten Schwarze Messen zu Ehren Satans, Rha-Ta-N’mys und Molochos’ ab. Hass und Gier, Neid, Missgunst und Misstrauen wurden gesät, geschürt und praktiziert, um auch jene Welten ins Verderben zu stürzen, die bisher noch nicht vollends unter die Kontrolle der Mächte der Finsternis geraten waren. Doch sie waren auf dem Weg dazu. Der Pfad der Freiheit wurde immer enger, und nur die wenigsten bemerkten es.

Molochos hatte viele Freunde auf dieser Welt, auf der er selbst vor rund vierzehntausend Jahren einst als Mensch existierte, der nur von dem Gedanken besessen war, ewig zu leben. Auf Xantilon, der legendären Insel, die wie das Drachenreich Mu und das sagenhafte Atlantis in grauer Vorzeit unterging, hatte alles begonnen.

Molochos, noch Mensch und Schwarzer Priester, ging das Bündnis mit den Mächten des Dämonenreiches ein. Es gelang ihm, sich zum Fürsten über ein Heer ranghoher Geister zu machen und Einblicke in eine Welt zu nehmen, die sich anschickte, alle bewohnten Welten im Kosmos und den Paralleluniversen jener Welt anzugleichen, der die Dämonen entstammten. Nur wer die Gesetze dieser Macht kannte, konnte sie voll ausschöpfen und zu seinen Gunsten anwenden. Molochos war den Dämonen ähnlich geworden. Andere Menschen wurden ihnen auch ähnlich. Aber damit gerieten sie in Verstrickungen und Abhängigkeiten, aus denen sie sich nie wieder lösen konnten. Nicht jeder war ein Molochos.

Doch er hatte auch Gegner, die ihn im Verborgenen bekämpften, Feinde, die sich ihm furchtlos und mutig offen gegenüberstellten.

Seine beiden schärfsten Widersacher waren Mirakel und Björn Hellmark.

Mirakel, das war der Dyktenmann, dessen Seele auf einer fernen, erdähnlichen Welt geboren wurde und der seine Reinkarnation als Mensch der Erde erlebte. Björn Hellmark, das war ein Millionärssohn, der seine finanzielle Unabhängigkeit nutzte, um ihm, Molochos, Scherereien zu machen, wo er nur konnte. Beide stellten eine permanente Gefahr dar, beide standen ihm im Weg. Das musste anders werden.

Die Chancen standen günstig. ES war eingeschaltet – und ES wusste nicht, dass es doch einen Namen hatte.

Molochos wollte zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Sicher würden es auch noch mehr werden. Unschuldige würden mit hineingezogen werden.

Doch das lag in der Natur der Sache …

Schon von Weitem sah Lucy Sherman im Licht der Scheinwerfer eine schwere Maschine, auf der ein Mann in dunkler Lederkleidung saß. Der Motorradfahrer schien auch zur Wilson-Farm unterwegs zu sein, denn hier hinter dem Hügel, wo ein zweiter, höherer lag, hörte die Straße ganz auf.

Es ging alles blitzschnell! Die feurige Gestalt stand plötzlich auf der Straße. Der Motorradfahrer war nicht mehr in der Lage, seine Maschine herumzureißen, um den Zusammenstoß zu verhindern. Er raste in die baumhohe, menschenähnliche Erscheinung.

Lucy Shermans Nackenhaare sträubten sich.

Knisternde Flammenbündel schlugen aus der unheimlichen Lichterscheinung und hüllten den Motorradfahrer ein. Die vordere Maschinenhälfte kam jenseits des Geisterkörpers hervor und war in Flammen gehüllt. Eine ohrenbetäubende Detonation zerriss die Nacht. Der Tank explodierte.

Wie ein Pilot aus seinem Schleudersitz wurde der Fahrer vom Sattel katapultiert. In hohem Bogen flog der junge Mann durch die Luft. Seine Lederkleidung war flammenumzüngelt. Der Fahrer landete krachend im niederen Buschwerk, während die führerlose Maschine durch die Luft jagte und wie von einer Bombe auseinandergerissen wurde. Glühende Metallsplitter zischten jaulend wie überdimensionale Glühwürmchen durch die Nacht. Die Maschine krachte donnernd und brennend gegen einen Baum.

Lucy Sherman schrie auf. Sie wurde sich ihres eigenen Schreies nicht bewusst und handelte instinktiv, um nicht das gleiche Schicksal zu erleiden. Sie trat auf die Bremse.

Zu heftig.

Der Wagen wurde nach links gerissen und raste auf die Alleebäume zu. Lucy steuerte dagegen, den Fuß von der Bremse nehmend. Bruchteile von Sekunden kamen ihr vor wie eine Ewigkeit, und sie nahm in blitzschneller Folge die einzelnen Bilder wahr.

Mitten auf der Straße … der baumhohe, durchsichtige Geist … die brennende Maschine … ihr Wagen, der auf diesen Geist zuraste. Nein, das wollte sie nicht! Sie hielt nach rechts, abermals bremsend. Die Geschwindigkeit sank. Aber Lucy konnte nicht verhindern, dass ihr Fahrzeug in den Graben rutschte. Ein Ruck lief durch ihren Körper. Ihr Kopf wurde nach hinten gerissen, und ein schmerzhaftes Stechen lief ihren Nacken herab.

Der Wagen stand.

Sekundenlang war Lucy Sherman wie benommen. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie mitten auf die Straße, wo das durchsichtige Ungeheuer stand … nein, gestanden hatte.

Jetzt war es verschwunden, als hätte es der Erdboden verschluckt.

War sie eingeschlafen? Hatte sie am Steuer geträumt? Gaukelten ihre Sinne ihr schon Bilder vor, die es gar nicht gab?

Nein! Das alles war Wirklichkeit: Die knisternden Flammen, die das zerschmetterte Motorrad umgaben, die Bremsspuren auf dem Asphalt. Ihr Wagen im Straßengraben …

Der Motorradfahrer!, grellte der Gedanke an den Fremden in ihrem Bewusstsein auf. Vielleicht ist er nur verletzt und braucht Hilfe!

Sie kroch zitternd hinter dem Steuer hervor, blieb fünf volle Sekunden lang mit nach außen gedrehten Beinen sitzen und starrte in die Nacht. Flimmernd nahm sie die Umrisse des unfassbaren Wesens wahr, durch das der Motorradfahrer gefahren war. Das Nachflimmern verlöschte schließlich vollends.

Wie von unsichtbaren Händen geschoben, eilte Lucy Sherman über die Straße. Angst erfüllte ihr Herz. Am liebsten wäre sie auf der Stelle umgedreht, hätte ihren Wagen gestartet und wäre zur Wilson-Farm gebraust. Aber sie konnte den anderen nicht hilflos liegen lassen.

Der Motorradfahrer richtete sich stöhnend auf, als sie ihn erreichte.

Er lebte!

Der Mann schüttelte sich. Sein Helm hatte ihn vor schweren Kopfverletzungen bewahrt. Seine Lederjacke war angeschmort; es wirkte, als hätte jemand ein glühendes Brenneisen in die Haut eines Bullen gebrannt.

Lucy starrte in ein jungenhaftes, sympathisches und bleiches Gesicht. Der Fahrer klopfte noch an sich herum. Geistesgegenwärtig hatte er sich auf dem feuchten Laubboden hin und her gerollt und die Flammen zum Erlöschen gebracht. Wie durch ein Wunder schien er keine ernsthaften Verletzungen davongetragen zu haben. Sein Gesicht war zerkratzt von den Ästen, die er bei seinem Flug durch die Luft gestreift hatte. Ein Handschuh war völlig aufgerissen, und eine tiefe Wunde, in der ein großer Holzsplitter saß, war zu sehen.

Lucy lief es eiskalt über den Rücken, und der junge Motorradfahrer schloss bleich die Augen. Erst jetzt hatte er die hässliche Wunde entdeckt.

„Können Sie aufstehen?“ Lucy reichte ihm den Arm. „Haben Sie sonst irgendwelche Schmerzen?“

Er schüttelte den Kopf und war tatsächlich in der Lage zu stehen.

„Verdammt noch mal, da hab ich aber Glück gehabt …“ Seine Stimme klang schwach. „Ich bin gerade noch rechtzeitig abgesprungen.“ Er lehnte sich gegen einen Baum. „Eine Sekunde später wäre es aus gewesen …“

„Warten Sie hier. Ich bin sofort zurück.“ Mit einem ängstlichen Blick stellte Lucy fest, dass der Baum, gegen den die Maschine geprallt war, Feuer gefangen hatte. Das nahe Unterholz glomm bereits. Wenn sie nicht sofort etwas unternahm, entwickelte sich noch ein Waldbrand.

Die Redakteurin lief zu ihrem Fahrzeug zurück und holte den Feuerlöscher. Es gelang ihr, den Brandherd einzudämmen, ehe er sich ausdehnen konnte.

„Ich heiße Garry“, sagte der junge Motorradfahrer, als sie matt lächelnd auf ihn zuging.

„Ich bin Lucy.“

„Haben Sie auch gesehen, was ich gesehen habe?“ Er musterte sie eingehend. „Haben Sie etwas damit zu tun?“

Seine Frage traf sie so unvermittelt, dass die junge Frau unwillkürlich zusammenfuhr.

„Ich? Was sollte ich damit zu tun haben?“ Sie begriff im ersten Moment nicht, worauf er hinauswollte. Dieser Garry schien ein witziger Bursche zu sein, der schnell seine Fassung wiedergewonnen hatte.

„Kommen Sie vom Mars und haben menschliche Gestalt angenommen?“

Da wusste sie, worauf er anspielte. „Ich bin hinter Ihnen hergefahren. Ich habe alles nur mit angesehen.“

Er nickte ernst. „War es eine fliegende Untertasse? Nein, das wäre wohl schlecht möglich“, beantwortete er sich die Frage selbst. „Dann wäre ich nicht so glimpflich davongekommen. Es war riesenhaft und hatte die Form eines Menschen – aber es war kein Mensch.“

„Es war ein Geist, Garry.“

„Ein komischer Geist, der Funken sprüht und elektrische Schläge austeilt, wenn man ihn berührt.“

Die Heiterkeit, die er an den Tag legte, überzeugte nicht. Wie Lucy Sherman stand auch er unter dem Eindruck des unheimlichen Vorfalles, für den sie beide keine Erklärung hatten.

„Ich hab mir schon immer gewünscht, einen Menschen von einem anderen Stern zu treffen. Als Junge las ich gerne Science-Fiction-Romane. Da träumt man manchmal solche Sachen. Dass ich so etwas wirklich mal erleben würde – vor allem überleben –, das hätte ich nie für möglich gehalten.“ Er taumelte nach vorn.

„Ich bringe Sie zu einem Arzt“, sagte Lucy Sherman schnell. „Hoffentlich kriege ich die Kiste ohne fremde Hilfe flott.“ Sie deutete auf den Ford, der tief im Straßengraben steckte.

„Das schaffen wir schon“, knurrte Garry.

„Sie tun auf keinen Fall etwas!“

Es war ihm anzusehen, dass jeder Schritt Schmerzen verursachte. Vielleicht hatte er sich innere Verletzungen zugezogen. „Wenn Sie das Auto flottkriegen, Lucy, fahren Sie den kürzeren Weg. Nicht ins Valley zurück. Da komme ich gerade her. Fahren Sie zur Wilson-Farm weiter! Die muss ja gleich kommen. Mein Onkel ist dort. Der ist als Geburtshelfer für eine Stute aktiv geworden.“

„Doc Ellert ist Ihr Onkel?“

„Klar. Der kann mich auch untersuchen. Ein Tierarzt muss schließlich auch ein paar armselige Kratzwunden behandeln können, finden Sie nicht auch? Das muss man ja schon beherrschen, wenn man bloß den Führerschein macht.“

Da brach er zusammen. Sein Kollaps erfolgte wie ein Blitz aus heiterem Himmel.

Lucy Sherman streckte noch beide Hände nach ihm aus, um ihn aufzufangen.

Vergebens. Garry knallte gegen die Karosserie und rutschte am hinteren Kotflügel ab.

Lucy kniete neben dem jungen Mann, bettete seinen Kopf hoch, löste ihm den Helm und öffnete die angeschmorte Montur. „Garry? Hallo, Garry!“

Also doch. Er hatte mehr abbekommen, als er selbst vermutete. Er atmete und verdrehte die Augen. Er versuchte zu sprechen. Doch über seine Lippen kam kein Wort.

Schweiß perlte auf Lucys Stirn. „Garry! Garry!“ Sie schlug dem Motorradfahrer nicht gerade sanft auf die Wangen. Ohne Erfolg. Sie musste versuchen, den Ohnmächtigen in den Wagen zu ziehen. Eilig lief sie um den Ford, öffnete die Tür, packte Garry unter den Armen und versuchte, ihn auf den Rücksitz zu ziehen. Garry war schwer wie ein Kartoffelsack.

Hilfe suchend blickte sie die nächtliche Straße entlang. Sie fühlte sich einsam zwischen den Bäumen und konnte nur mühsam der Angst Herr werden, die in ihr aufstieg. Wenn nur endlich jemand käme und ihr helfen würde!