Mami 1792 – Familienroman - Beate May - E-Book

Mami 1792 – Familienroman E-Book

Beate May

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Beschreibung

Seit über 40 Jahren ist Mami die erfolgreichste Mutter-Kind-Reihe auf dem deutschen Markt! Buchstäblich ein Qualitätssiegel der besonderen Art, denn diese wirklich einzigartige Romanreihe ist generell der Maßstab und einer der wichtigsten Wegbereiter für den modernen Familienroman geworden. Weit über 2.600 erschienene Mami-Romane zeugen von der Popularität dieser Reihe. Der alte Musiklehrer Grothjohann war hoch in den Achtzigern und – wie er immer gerne bemerkte, wenn er die Gelegenheit dazu bekam – kerngesund. Gesünder als mancher, der nicht halb so viele Jahre zählte wie er. Daran war die Musik schuld, fügte er dann flink hinzu, und das mochte man ihm nun glauben oder nicht, aber ein Körnchen Wahrheit war bestimmt an dieser Theorie. Bei allem, was Grothjohann tat, trug er seine Meerschaumpfeife bei sich. Zeit seines Lebens konnte man ihn rauchen und qualmen sehen wie einen Schlot, was aber seiner Gesundheit offensichtlich niemals geschadet hatte. Er liebte auch sein tägliches Glas Rotwein, womit er dann endgültig sämtliche medizinischen Thesen über den Haufen warf, die da stets lauteten, daß Tabak und Alkohol der Gesundheit des Menschens schadeten. Zweifellos galt der alte Lehrer als Original in seiner nächsten Umgebung, und er hatte wie selbstverständlich die Geschichte seines Dorfes sowie die sämtlicher Einwohner im Kopf. "Ah, der Herr Kollege", sagte er jetzt erfreut, als er den jungen Lehrer Jonathan Gerloff den Weg durch seinen Vorgarten heraufkommen sah, wo bereits Märzbecher und Schneeglöckchen blühten und die ersten gelben Narzissen ihre Köpfe im Wind wiegten. "Sie kommen zu mir, Kollege?" fuhr er dann freundlich fort. "Warum? Soviel ich weiß, brauchen Sie den Rat eines hoffnungslos altmodischen Kollegen nicht mehr." "Da kann man nie sicher sein", lächelte Jonathan und schüttelte kräftig die Hand des alten Mannes. "Ich habe eigentlich keinen besonderen Grund – oder jedenfalls keinen besonders wichtigen." "Na, dann will ich uns mal einen Schluck einschenken", meinte der alte Musiklehrer vergnügt und eilte dem jungen Mann flink wie ein Wiesel voraus, durchquerte die Diele und strebte hinüber in sein großes Lesezimmer, durch dessen Fenster das letzte Licht dieses Märztages fiel. Eine Stehlampe brannte bereits neben dem gemütlichen Lesesessel des alten Grothjohann, ein dickes Buch lag aufgeschlagen auf dem kleinen, runden Tisch daneben. Sie tranken einander zu, und als er das Glas absetzte, begann Jonathan zögerlich: "Ich komme natürlich nicht ›einfach nur so‹."

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Mami – 1792 –

Carolina kehrt heim

Beate May

Der alte Musiklehrer Grothjohann war hoch in den Achtzigern und – wie er immer gerne bemerkte, wenn er die Gelegenheit dazu bekam – kerngesund. Gesünder als mancher, der nicht halb so viele Jahre zählte wie er. Daran war die Musik schuld, fügte er dann flink hinzu, und das mochte man ihm nun glauben oder nicht, aber ein Körnchen Wahrheit war bestimmt an dieser Theorie.

  Bei allem, was Grothjohann tat, trug er seine Meerschaumpfeife bei sich. Zeit seines Lebens konnte man ihn rauchen und qualmen sehen wie einen Schlot, was aber seiner Gesundheit offensichtlich niemals geschadet hatte.

  Er liebte auch sein tägliches Glas Rotwein, womit er dann endgültig sämtliche medizinischen Thesen über den Haufen warf, die da stets lauteten, daß Tabak und Alkohol der Gesundheit des Menschens schadeten.

  Zweifellos galt der alte Lehrer als Original in seiner nächsten Umgebung, und er hatte wie selbstverständlich die Geschichte seines Dorfes sowie die sämtlicher Einwohner im Kopf.

  »Ah, der Herr Kollege«, sagte er jetzt erfreut, als er den jungen Lehrer Jonathan Gerloff den Weg durch seinen Vorgarten heraufkommen sah, wo bereits Märzbecher und Schneeglöckchen blühten und die ersten gelben Narzissen ihre Köpfe im Wind wiegten. »Sie kommen zu mir, Kollege?« fuhr er dann freundlich fort. »Warum? Soviel ich weiß, brauchen Sie den Rat eines hoffnungslos altmodischen Kollegen nicht mehr.«

  »Da kann man nie sicher sein«, lächelte Jonathan und schüttelte kräftig die Hand des alten Mannes. »Ich habe eigentlich keinen besonderen Grund – oder jedenfalls keinen besonders wichtigen.«

  »Na, dann will ich uns mal einen Schluck einschenken«, meinte der alte Musiklehrer vergnügt und eilte dem jungen Mann flink wie ein Wiesel voraus, durchquerte die Diele und strebte hinüber in sein großes Lesezimmer, durch dessen Fenster das letzte Licht dieses Märztages fiel.

  Eine Stehlampe brannte bereits neben dem gemütlichen Lesesessel des alten Grothjohann, ein dickes Buch lag aufgeschlagen auf dem kleinen, runden Tisch daneben.

  Sie tranken einander zu, und als er das Glas absetzte, begann Jonathan zögerlich: »Ich komme natürlich nicht ›einfach nur so‹.«

  »Das ist mir klar«, erklärte

Grothjohann mit allergrößter Selbstverständlichkeit. »Sie kommen niemals einfach nur so.«

  »Es ist wegen Irene Osterkamp.«

  »Wieso?« erschrak Grothjohann da. »Ist ihr was zugestoßen?«

  »Nein, um Himmels willen, nein. Aber ich hatte gestern nachmittag ein Gespräch mit ihr wegen irgendwelcher schulischen Probleme… Sie wissen, daß Irene die Ehrenvorsitzende der Elternvertretung ist?«

  Natürlich wußte Grothjohann das. Jede Information, mochte sie noch so unbedeutend sein, erreichte ihn früher oder später – erst recht dann, wenn es sich dabei um Dinge handelte, die die Schule betrafen, an der er bis zum Pensionsalter unterrichtet hatte.

  »… und sie machte auf mich einen sehr niedergeschlagenen, ja, depressiven Eindruck«, fuhr Jonathan fort. »So kannte ich Irene gar nicht. Eigentlich ist sie doch eine lebenslustige, aktive Person. Aber gestern bekam ich Angst um sie.«

  »Hm«, machte Grothjohann nur nachdenklich.

  »Ich habe mir natürlich gesagt, daß mich das nicht das geringste angeht, aber andererseits steht gerade Irene mir sehr nahe. Sie hat mich damals, als ich hierher versetzt wurde, als eine der wenigen mit offenen Armen empfangen und mich gewissermaßen unter ihre Fittiche genommen, und wenn es ihr nicht gut geht, dann…«

  »Ich verstehe«, nickte der alte Mann langsam. »Aber was wollen Sie tun?«

  »Gibt es nicht irgendwo einen Sohn?« fragte Jonathan. »In Südamerika oder so? Ich glaubte, da mal so was gehört zu haben.«

  Der alte Grothjohann zuckte kaum merklich zusammen. »Wer sagt das?«

  »Ach, was weiß ich? Irgend jemand im Kollegium machte mal so eine Bemerkung…«

  »Wahrscheinlich die alte Maschke, Gott hab’ sie selig«, brummte Grothjohann erzürnt. »Ich weiß, man soll über Tote nichts Unfreundliches sagen, aber die Maschke war nicht nur eine schlechte Lehrerin, sondern auch eine unverbesserliche Schludertasche. Komisch, daß sie so plötzlich gestorben ist. Hat nicht mal das Pensionsalter erreicht, die Ärmste. Aber wenn sie schon solche Sachen erzählte, dann hätte sie wenigstens darauf achten sollen, was wahr ist und was nicht.«

  »Was heißt denn das?« horchte Jonathan auf.

  »Das heißt, daß der Sohn von Irene Osterkamp eine Tochter ist, und die lebt nicht in Südamerika, sondern in Neuseeland.«

  »Ach, gewissermaßen gleich nebenan«, wurde der junge Lehrer ironisch.

  Grothjohann kratzte sich ein wenig ratlos am Hinterkopf. »Also, die Irene ist da ein bißchen empfindlich. In ihrer Gegenwart durfte früher nie einer den Namen der Tochter nennen, dann fing sie schon an zu lamentieren. Ich hab mal versucht, mit ihr darüber zu reden, aber sie ließ es gar nicht zu. Sobald der Name nur fiel, drehte sie sich um und ging.«

  Jonathan hätte kaum konsternierter sein können. »Aber sie hat nur diese eine Tochter. Und von der will sie nichts hören und nichts sehen? Was soll denn werden, wenn Irene älter wird? Sie braucht schon jetzt Hilfe, fürchte ich – wie lange will sie darauf warten, daß ihr diese Hilfe zuteil wird? Bis sie tot umfällt?«

  »Ich habe keine Ahnung.«

  »Haben Sie sie gekannt?« fragte der junge Mann da.

  Grothjohann reagierte irritiert. »Wen?«

  »Na, Irenes einzige Tochter.«

  Der alte Mann nahm erst noch einen Schluck von seinem Wein, ehe er sagte: »Sicher hab ich sie gekannt. Sie saß bei mir im Musikunterricht. Und sie hat im Kirchenchor gesungen, den ich damals leitete. Eine schöne Altstimme hatte sie…«

  Er schwieg schon wieder, und das fand Jonathan doch sehr merkwürdig. Gewöhnlich sprudelte

Grothjohann nämlich über, wenn man ihm nur eine kurze Bemerkung, ein einziges Wort hinwarf.

  »Wie war sie denn so?« wollte er deshalb wissen.

  »Warum interessiert Sie das?«

  »Weil ich mir ein Bild von dem Mädchen machen möchte, ehe ich mich – vielleicht – an sie wende.«

  »Sie wollen Kontakt zu ihr aufnehmen?« Grothjohann machte ein sehr skeptisches Gesicht. »Hoffentlich tut Ihnen das nicht leid. Außerdem ist Katharina Osterkamp inzwischen kein Mädchen mehr. Sie ist seit zehn Jahren fort, damals war sie noch nicht mal achtzehn.«

  »So jung?« stutzte Jonathan. »Und sie ist einfach auf und davon?«

  Grothjohann lächelte dünn. »Sie ließ sich von niemand aufhalten. Damals lebte ja ihr Vater, Irenes Mann, noch, und so sehr er auch versuchte, Katharina zu halten – es gelang ihm nicht.«

  »Sie hat keinerlei Rücksichten genommen«, schloß Jonathan sachlich.

  Grothjohann seufzte leicht. »Der alte Jens Osterkamp war schon damals ein kranker Mann. Ich betone das, damit Sie nun nicht auf die Idee kommen, zu behaupten, er sei an gebrochenem Herzen gestorben, weil seine einzige Tochter wegging.«

  »Aber sie könnte jetzt was gutmachen«, bemerkte Jonathan lakonisch. »Irene braucht ihre Tochter, und die hat der Mutter gegenüber eine Verpflichtung, denke ich.«

  »Ich bezweifle, daß man Katharina mit diesem Argument bewegen kann, nach Hause zu kommen«, brummte Grothjohann und schenkte sich noch einen Rotwein ein.

  »Sind denn die Eltern und die Tochter damals im Streit auseinandergegangen?« wollte der junge Mann wissen.

  »Je nun«, sagte Grothjohann und wich dem forschenden Blick des anderen aus. »Das könnte man wohl so nennen. Katharina Osterkamp war immer ein sehr ungebärdiges, wildes Mädchen. Sie wollte dauernd etwas anderes als ihre Eltern. Der junge Mann, in den sie sich damals verliebt hatte, gefiel dem alten Osterkamp nicht, also verbot er ihr rigoros den Umgang mit dem Burschen. Aber Katharina war, wenn es darauf ankam, genauso stur und dickköpfig wie der Alte, und deshalb ließ sie sich nichts von ihm sagen. Sie wartete nicht mal ihren achtzehnten Geburtstag ab, sondern kehrte den Eltern und unserem Dorf hier den Rücken.«

  »Keiner hat versucht, sie zurückzuholen?«

  »Das erübrigte sich, denn ein paar Monate später war sie achtzehn, und dann wäre sie auf jeden Fall gegangen«, meinte der alte Lehrer.

  »Sie kam nie zurück?«

  »Nein. Es hat sie allerdings auch niemand gebeten, zurückzukommen. Irene und Jens Osterkamp gehören nicht zu den Menschen, die bitten. Nicht mal die eigene Tochter.«

  »So wird man allerdings das Problem nicht lösen«, murmelte Jonathan.

  Sie schwiegen beide sekundenlang.

  »Was für ein Kerl war denn das, für den die Katharina das alles tat?« fragte Jonathan schließlich. »War er dieses Opfer überhaupt wert?«

  Da hob Grothjohann den Kopf und blickte ihn mit seinen wasserblauen Augen an, in denen mit einem Mal ein großer Schmerz lag:

  »Leider nicht.«

  »Ach, Sie wissen darüber Bescheid? Wie es mit Katharina Osterkamp weiterging?«

  »Eigentlich nicht. Aber der Mann, für den sie alles hinter sich zurückließ, war ein Taugenichts. Ein Nichtsnutz. Einer, der dem lieben Gott den Tag stahl. Heute würde man das wohl Rumgammeln nennen. Aber es ist ja häufig so im Leben, nicht? Auf solche Männer fliegen die allerbesten Mädchen. Je flatterhafter einer ist, desto begehrter ist er bei den Frauen«, antwortete Grothjohann.

  »War es einer von hier?« wollte Jonathan wissen. »Kannten Sie ihn?«

  »Sogar sehr gut«, erwiderte der alte Mann leise. »Es war mein Sohn.«

*

  Das hätte für Jonathan nicht unerwarteter, nicht verblüffender kommen können. Auf so eine Antwort war er nicht gefaßt gewesen, und so konnte er denn auch ein paar Sekunden lang nur dasitzen und den alten Mann wortlos anschauen.

  Grothjohann erhob sich rasch und ging ein paar Mal im großen, hohen Zimmer hin und her.

  »Ich hatte eigentlich gehofft, nie mehr an dieser alten Geschichte rühren zu müssen«, sagte er dann mit brüchiger Stimme, und für einen Moment verließ ihn seine freundliche Heiterkeit, seine Gelassenheit. Jetzt war er nur noch ein sehr alter, trauriger Mann, der immer noch schwer an der größten Enttäuschung seines Lebens trug.

  Jonathan mußte sich erst einmal räuspern. »Heißt das, Ihr Sohn ist mit Osterkamps einziger Tochter durchgebrannt?«

  Grothjohann fuhr sich mit unsicherer Hand durch das weiße, dünne Haar. »N-nein, nicht direkt. Er ging zuerst von hier weg. Sie folgte ihm dann. Ich vermute, daß das zwischen den beiden so verabredet war.«

  »Das muß eine sehr große Liebe gewesen sein«, vermutete Jonathan.

  Der alte Mann machte eine matte Handbewegung. »Ach Gott, da wäre ich mir nicht so sicher. Simon… mein Sohn… Also… Ich bezweifle, daß er überhaupt wußte, was Liebe sein kann. Katharinas Gefühle für ihn dagegen waren über jeden Zweifel erhaben. Sie liebte ihn wirklich. Sie betete ihn an. Und er verdrehte ihr in jenem Sommer vor zehn Jahren nach allen Regeln der Kunst den Kopf, bis sie nichts anderes mehr wollte als nur noch ihn.«

  »War sie nicht zu jung, um das überhaupt schon beurteilen zu können?«

  »Genau das haben ihre Eltern sie damals auch immer wieder gefragt. Aber sie blieb dabei: Simon war ihre große Liebe, und sie konnte und wollte ohne ihn nicht leben«, erklärte Grothjohann trocken.

  »Hm«, machte der junge Mann da sehr skeptisch.

  Grothjohann konnte nun wieder schmunzeln. »Alle waren damals der gleichen Ansicht: Es würde nicht gutgehen. Ich riet meinem Sohn, das Dorf zu verlassen und Katharina eine gewisse Zeit und Ruhe zum Nachdenken zu geben. Erstaunlicherweise ging er sofort auf diesen Vorschlag ein. Mir wurde sehr rasch klar, daß er und Katharina längst ganz andere Pläne hatten. Sie hatten verabredet, daß sie ihren achtzehnten Geburtstag nicht mehr abwartete und ihm folgte – wo immer er sich auch zu dem Zeitpunkt befand.«

  Jonathan versank in tiefes Grübeln. »Er war wohl kein guter Sohn?« fragte er endlich vorsichtig.

  Grothjohann wich seinem Blick nicht aus. »Nein, das war er nicht. Meine Frau verließ mich schon drei Jahre nach unserer Heirat, sie nahm den Jungen mit, und ich sah ihn fast fünfzehn Jahre lang nicht. Plötzlich stand er dann vor meiner Tür und verlangte, von mir aufgenommen zu werden. Seine Mutter war gestorben, er hatte sonst niemand. Natürlich war es meine Pflicht als Vater, ihn in dieser Situation nicht im Stich zu lassen. Ich mußte mich um ihn kümmern. Aber glücklich hat es mich nie gemacht…«

  Seine Stimme war immer leiser geworden, bis sie schließlich völlig verstummte.

  Jonathan drängte ihn nicht. Er ließ dem alten Mann Zeit. Nun fuhr Grothjohann langsam und sehr zögernd fort:

  »Ich glaube, jeder Mann wünscht sich einen Sohn. Als Simon geboren wurde, war ich überglücklich. Als ich ihn verlor, war er ein kleiner Junge von zwei Jahren, und als er zu mir zurückkehrte, war er in keiner Weise so, wie ich mir meinen Sohn immer gewünscht hatte.«

  Bitter verzog er den Mund.

  »Seine Mutter hatte aus ihm einen verwöhnten, trägen und bequemen Nichtsnutz gemacht. Einen, der vor niemand und nichts Achtung hatte, der sonst nichts wollte als sich ohne Anstrengung durchs Leben zu mogeln. Einer, der auch nicht davor zurückschrak, den eigenen Vater zu bestehlen und zu erpressen.«

  »Bitte, Herr Grothjohann«, sagte Jonathan erschrocken und schluckte. »Es tut mir leid, daß ich davon angefangen habe. Ich hätte nicht herkommen sollen.«

  Grothjohann wehrte energisch ab. »Nein, nein, es ist schon gut so. Irgendwann muß ich anfangen, darüber zu reden. Es ist nicht richtig, zu schweigen. Auch Irene Osterkamp sollte endlich sprechen. Sie tut ihrer einzigen Tochter unrecht damit, wenn sie sie totschweigt.«

  »Haben Sie eine Ahnung, wo ich sie erreiche?« wurde Jonathan sachlich, und Grothjohann war ihm dankbar für diese Sachlichkeit, denn sie bewahrte ihn davor, endgültig in sentimentale Erinnerungen zu versinken.

  »Ich kenne ihre Adresse in Neuseeland, aber ich weiß natürlich nicht, ob die noch richtig ist«, antwortet er. »Ein einziges Mal hat sie mir von drüben geschrieben. Das war nach knapp einem Jahr, nachdem sie weggegangen war. Damals war sie schwanger, und aus ihrem Brief sprach nichts als Freude.«

  »Na, das ist doch immerhin etwas«, meinte Jonathan und erhob sich. »Wie wäre es, wenn Sie ihr schrieben?«

  »Ich?« Grothjohann hätte kaum fassungsloser sein können.

  »Wer sonst? Mich kennt sie doch nicht«, erwiderte Jonathan freundlich. »Und ihre Mutter können wir wohl kaum fragen.«

  »Wäre es nicht besser, wenn die alte Stina… Ich meine Irenes Haushälterin, die früher auch Katharinas Kinderfrau war…«

  »Wer es tut, ist egal«, meinte Jonathan. »Aber es sollte bald geschehen. Ich mag Irene Osterkamp nämlich. Ich mag sie wegen ihres übergroßen Herzens, in das sie jeden schließt, der nur im entferntesten irgendwie heimatlos aussieht. Sie nimmt solche Menschen sofort unter ihre Fittiche…«

  »Wie damals bei Ihnen!«

  »Richtig. Ich hatte immer das Gefühl, ich sei ihr dafür noch etwas schuldig – und nun wäre die Gelegenheit da, etwas davon abzuarbeiten«, vollendete der junge Mann.

  Grothjohann seufzte. »So war sie schon immer. Sie hat sehr darunter gelitten, daß Katharina wegging. Ja, Irene hatte manches zu verkraften damals. Erst verlor sie die Tochter, dann starb ihr Mann – und schuld an allem war mein Sohn!« fügte er, nun erzürnt, hinzu. »Er hat alle unglücklich gemacht. Katharina, Katharinas Eltern, mich.«

  »Woher wollen Sie wissen, daß Katharina unglücklich mit ihm wurde?« fragte Jonathan überrascht. »Möglicherweise hat sie drüben in Neuseeland zusammen mit ihm das große Glück gefunden.«

  Daraufhin sah Grothjohann ihn mit einem Blick an, in dem unverhohlene Zweifel lagen.

  »Mit meinem Sohn? Sie wissen nicht, was Sie da sagen. Mein Sohn hat überall, wohin er kam, immer nur Zank und Hader gesät.«

*

  Die alte Stina schrieb den

Brief.