Männer in den besten Jahren - Dieter Wartenweiler - E-Book

Männer in den besten Jahren E-Book

Dieter Wartenweiler

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  • Herausgeber: Kösel
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2012
Beschreibung

Selbst Männer in den besten Jahren sind nicht gefeit vor einschneidenden Veränderungen. Erste Anzeichen für die einsetzende Umbruchphase der Lebensmitte werden oft noch großzügig übersehen. Wenn sich Krisensymptome auf der körperlichen, geistigen, seelischen und/oder Partnerschaftsebene aber nicht länger verleugnen lassen, wird MANN unmissverständlich klar, dass er mitten in der Midlife-Crisis steckt.

Dieses Buch zeigt die Chancen, die in diesen turbulenten Jahren liegen. Es hilft bei der Neuorientierung für die zweite Lebenshälfte und lädt ein, die nächsten Schritte zur weiteren Persönlichkeitsentwicklung zu gehen - zu größerer Gelassenheit, innerer Ruhe und Authentizität.

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Seitenzahl: 329

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Inhaltsverzeichnis

EinleitungStark und tüchtig sind wir
Jeder von uns wurde erzogenDie Welt der Machbarkeit
Copyright

Einleitung

Dieses Buch ist dem seelischen Prozess gewidmet, den der Mann in der Mitte seines Lebens durchläuft. Auf der Schwelle zwischen Jugend und Alter geraten Männer in eine Umbruchzeit, in welcher sich ihre Lebenseinstellung grundlegend verändert. Diese Zeit ist oft von heftigen inneren Turbulenzen geprägt und bringt manchmal auch Umwälzungen in der äußeren Lebensgestaltung mit sich. Gleichzeitig gibt die Lebensmitte aber auch Anlass zur Selbstbesinnung und Standortbestimmung. Auf der Schwelle zwischen zwei Lebensphasen halten wir Rückschau auf unseren bisherigen Weg, werten Erreichtes und befassen uns nochmals mit den Prägungen der Jugend. Indem wir schließlich vom jungen Erwachsenenalter Abschied nehmen, richten wir uns auf die kommende Lebensperiode aus, welche die Zeit des Alters sein wird.

Nach meinen Erfahrungen werden die meisten Männer von den Umwälzungen der Lebensmitte überrascht. Obwohl wir um die bevorstehenden Veränderungen theoretisch meist wissen, können wir uns auf das wirkliche Erleben konkret kaum vorbereiten. Durch irgendeine Lebensbegebenheit geraten wir eines Tages in eine unerwartete innere Bewegung und werden in unserer Persönlichkeit erschüttert. Dies ist der Beginn einer radikalen Umorientierung. Der äußere Anlass dazu kann körperlicher Art sein – etwa wenn wir durch einen Unfall beeinträchtigt werden oder an allgemeiner Erschöpfung leiden, Herzprobleme haben oder mit undefinierbaren Beschwerden kämpfen. Er kann seinen Ursprung aber auch im seelischen Bereich haben – wenn wir zum Beispiel depressive Stimmungen entwickeln, unerklärliche Ängste haben, uns niedergeschlagen fühlen oder keinen Lebenssinn mehr erkennen können. Vielfach beginnt der Umwandlungsprozess auch mit einer Beziehungskrise – sei es, dass wir selber bisher Ungelebtes nachholen möchten, oder dass uns die Partnerin aus der Ruhe aufrüttelt, indem sie die Beziehung wesentlich verändert oder gar abbricht.

Was immer der Anlass ist – die Erschütterung des bisherigen Lebensgefühls führt uns in einen Prozess, welcher unsere ganze Persönlichkeit verändert. Weil wir in der Lebensmitte in unserer Gesamtheit erfasst werden und an unserer Umgestaltung leiden, reden wir auch von einer Krise, der Midlife-Crisis. Dieser Begriff scheint mir zur Charakterisierung des Geschehens aber zu negativ, weil er den Aspekt der inneren Aufruhr gegenüber dem eigentlichen Prozess der positiven Veränderung und Neuorientierung zu sehr in den Vordergrund rückt. Er lässt zudem die vermeintliche Möglichkeit offen, nach der Krise wieder zur alten Einstellung zurückkehren zu können, womit der Prozess sinnlos würde. Nach meiner Erfahrung geht es im Gegenteil aber darum, eine erweiterte Lebens- und Persönlichkeitsform zu finden, womit sich der Prozess als sinnvoll und notwendig erweist.

Vielen Männern fällt es nicht leicht, sich mit sich selber auseinander zu setzen und sich von der seelischen und auch gefühlsmäßigen Dimension her zu verstehen. Wir richten uns häufig nach kollektiven kulturellen Mustern über männliche Identität und Rollen. Dazu gehört das Bild des effizienten, leistungsstarken Mannes, welches der Beachtung seelischer Prozesse nicht unbedingt förderlich ist. In der ersten Lebenshälfte helfen uns diese kollektiven Bilder zur Lebensorientierung. In der Lebensmitte werden sie aber zugunsten einer individuellen Identität relativiert. Wer seine Krise bewusst bewältigen möchte, richtet sich dabei nach den eigenen, inneren Gegebenheiten aus. Diese sind ganzheitlichen Charakters und erweitern damit eine rein rationale Lebensausrichtung.

Diese Neuausrichtung nach innen ist für manchen zunächst schwierig, denn wir Männer bestätigen uns oft lieber in jener Weltsicht, die wir bisher hatten, als dass wir uns mit uns selber befassen. Wenn wir nach außen orientiert sind, erscheint uns die Innensicht leicht als unfruchtbare Nabelschau, für die wir keine Zeit aufwenden möchten. In der Lebensmitte kann uns allerdings ein leises Misstrauen gegen uns selbst beschleichen, wenn wir tief in uns fühlen, dass doch nicht alles so ist, wie wir es gerne glauben. Wir sehen über dieses Gefühl aber gerne hinweg, wenn es uns einmal überrascht. Wenn uns der Magen wehtut, denken wir lieber, dass wir wohl etwas gegessen hätten, was uns nicht gut bekam, und wenn wir Herzbeschwerden haben, halten wir diese vielleicht für die Folge eines zu ausgedehnten Fitnesstrainings.

Auch ich verhielt mich lange nach diesem Muster. Und weil ich einiges über seelische Prozesse und Zusammenhänge gelernt hatte, glaubte ich nicht, dass mich eine Krise in überraschender Weise erfassen würde. Ich dachte, dass ich mir mit meinen psychologischen Studien und mit der praktischen therapeutischen Berufserfahrung die Eintrittskarte für die zweite Lebenshälfte bereits erworben hätte. Aber dem war nicht so.

Das wurde mir unmissverständlich klar, als ich mich eines Tages ganz unerwartet im Krankenhaus wiederfand. Schmerzhafte Nierenkoliken hatten mich niedergestreckt. Plötzlich steckte ich in einer körperlich-seelischen Krise, die mich aufschreckte und meine zweite Lebenshälfte einläutete. Ich erinnere mich noch gut, wie ich später – erschöpft, aber körperlich einigermaßen genesen – an einem Spätsommertag zu mir selber sagte: »Nun beginnt der Lebensherbst. Nun bin ich nicht mehr bei den Ewig-Tüchtigen, die pausenlos arbeiten können, sondern gehöre zu jenen, welche die Grenzen der eigenen Kräfte erfahren haben.« Und ich spürte auch, dass dies nicht nur ein Verlust war, sondern auch ein Gewinn.

In den Wochen und Tagen vor dem Zusammenbruch hatte ich mich etwas übernommen. Ich hatte viel gearbeitet — intensives seelisches Geschehen, jede Stunde neu, von morgens bis abends. Am Tage vor meiner unerwarteten Krankenhauseinlieferung hatte ich eine Begegnung, die mich aufwühlte. An diesem Abend ging ich trotzdem aus, selbst wenn der nächste Morgen nicht leicht zu bestehen sein würde, das wusste ich, denn da stand die Beerdigung eines Verwandten bevor. Aber es kam anders.

Morgens um fünf erwachte ich mit unsäglichen Bauchschmerzen. Ich weckte meine Frau auf. Ihre wohlmeinende Massage half aber nicht, und ich winselte wie ein verletztes Tier. Um acht Uhr spritzte mir ein Arzt starke Schmerzmittel, und um zwölf Uhr mittags war ich im Krankenhaus, voll gepumpt mit weiteren Medikamenten. Kaum waren die Schmerzen weg, saß ich wieder frohgemut auf dem Untersuchungsbett. Ich dachte, ich würde gleich aufstehen und nach Hause gehen können, so gut fühlte ich mich. Aber dann kam der eigentliche Zusammenbruch. Ich zitterte und schlotterte und wusste nicht mehr, wo mir der Kopf stand. Völlig schwach trugen mich die Beine kaum mehr zur Toilette. Schlimmer noch waren die Ängste, die mich plötzlich überfielen. Ich fürchtete, dieses Krankenhaus nie mehr verlassen zu können. Ich glaubte, ich würde hier sterben. Die seelischen Qualen waren so schrecklich, dass ich dazu auch bereit war. Das äußere und mehr noch das innere Leiden erreichten in kurzer Zeit ein Maß, das alles unwichtig werden ließ.

Seit diesem Erlebnis bin ich weniger beeindruckt von meiner eigenen und der allgemeinen »Stärke« der Männer. Eine kräftige Darmgrippe genügt, um auch die wichtigste Persönlichkeit aus dem Verkehr zu ziehen. Wie schwach und verletzlich wir Menschen doch sind!

Wieder zu Hause dauerte es Wochen, bis ich nur einigermaßen auf den Beinen war. Und ich hatte viel Zeit, über mein Leben nachzudenken. Allgemeine psychologische Überlegungen waren hinfällig geworden und ich ging ans Grundsätzliche: Ich versuchte zu verstehen, was da in meinem Leben vorging und welches die Lebenslinien waren, die mich leiteten. Dabei stieß ich auf manche Vorboten meiner Krise, die ich trotz allem Fachwissen übersehen hatte. Solange es nicht wehtat, reagierte ich nicht, und in vielem glaubte ich aufrichtig meiner inneren Stimme gefolgt zu sein, was sich im Nachhinein jedoch als Beitrag zur Krise herausstellte. Es mag durchaus sein, dass dies trotzdem meinem tieferen Lebensplan entsprach, wenngleich ich ihn so nie gewünscht hätte. Nicht alles, was sich in unserem Leben zuträgt, tut uns gut, und doch mag gerade darin das innerlich gewollte Leben liegen, das sich manifestiert. Wer kann denn dem Leben vorschreiben, wie es zu sein hätte? Vermeintliche Umwege können sich als direktester Weg erweisen, den man gehen kann.

Die Krise des Mannes in der Lebensmitte kann viele Facetten haben. Einige davon habe ich selber erlebt, viele andere Formen von Krisenereignissen habe ich bei jenen Männern miterlebt, die ich als Therapeut in Einzel-, Paar- und Gruppenarbeit begleitet habe. Das »beste Mannesalter« kristallisiert sich häufig nur allzu gern als schwierigste Lebensphase heraus. Das vorliegende Buch möchte einige Hinweise darauf geben, was diese Lebens- und Lehrzeit dem Manne seelisch bringen kann, wie mit den Krisenerscheinungen umgegangen werden kann und welche Ausblicke sich auf ein verändertes Dasein als älterer Mensch ergeben. Ich hoffe, dass die Midlife-Crisis einmal nicht nur dem Namen nach, sondern tatsächlich gesellschaftsfähig wird. Sie ist es heute – obwohl wir in einer wesentlich von Männern geprägten Welt leben – noch keineswegs. Ihre Anerkennung würde uns erlauben, auch einmal wegen eines seelischen Tiefs der Arbeit fernzubleiben, statt warten zu müssen, bis wir körperlich krank werden. Unsere Gesellschaft hätte dann ein Stück der Seele erschlossen, das gemeinhin als weiblicher Seelenteil gilt – jener Teil, der Verständnis hat für eine Krise.

Die Wechseljahre des Mannes haben eine ausgeprägte Symptomatik, die genauso vielschichtig ist wie diejenige der Frau – einmal abgesehen von der hormonellen Umstellung im Zusammenhang mit der Menopause. Man hat den Wechseljahren des Mannes aber lange Zeit wenig Beachtung geschenkt, wohl nicht nur mangels vordergründiger körperlicher Symptome, sondern vor allem, weil sie nicht in das kollektive Bild des starken Mannes passen. Der Körper des Mannes verändert sich aber ebenso wie der der Frau: Wir werden ungelenkiger, knorriger und entwickeln einen festeren Brustkasten. Der Prozess körperlicher und seelischer Veränderung, der sich in mittleren Jahren zu manifestieren beginnt, verläuft dabei in gewissen Sprüngen: Es gibt Zeiten des langsamen und solche des schnelleren und größeren Wandels. Wichtig ist, dass wir diesen Prozess nicht einfach (als Abbau) erleiden, sondern den Wechsel vom jungen zum älteren Mann bewusst vollziehen. Die so erarbeitete neue Lebensoptik hilft uns, die zweite Lebenshälfte in ihrem speziellen Wert fruchtbar zu gestalten.

Die Symptome, welche die körperliche und geistige Umwandlung einleiten, sind vielfältig. Weit verbreitet sind auf der körperlichen Ebene Erschöpfungszustände schon am Morgen, ein allgemeines Gefühl von Mattigkeit, das Auftreten vager Schmerzen ohne organischen Befund sowie Ein- oder Durchschlafstörungen. Selbstredend können auch schwerere Erkrankungen Anlass zur großen Krise der Lebensmitte sein.

Auf der seelischen Ebene kann die Krise mit einem plötzlichen Verlust des Wohlbefindens beginnen. Tagsüber oder nachts können uns Gedanken verfolgen, die wir nicht mehr beiseite zu schieben vermögen. Es kann auch sein, dass uns die gewohnte Arbeit plötzlich Angst macht oder dass wir deprimiert, reizbar und nervös reagieren. Die Gefühle von Angst, Überforderung oder Niedergeschlagenheit können sich derart steigern, dass wir das Tagespensum nur noch mit ernsthaften Schwierigkeiten zu bewältigen vermögen. Eine große Erschöpfung kann sich als Nervenzusammenbruch manifestieren. Oft treten körperliche und seelische Schwierigkeiten gleichzeitig auf.

Die Umwälzung der Lebensmitte kann uns auch als geistige Krise erscheinen. Dazu gehören der plötzliche Verlust der gewohnten Lebensorientierung oder das Auftreten eines Gefühls allgemeiner Sinnlosigkeit: Wir wissen plötzlich nicht mehr, wozu wir leben und arbeiten. Alles, was wir bisher geleistet haben, mag uns sinnlos erscheinen, und wir fragen uns, was wir auf dieser Welt überhaupt getan haben. Der Halt des gewohnten Weltbildes bricht plötzlich zusammen und verlangt nach Erneuerung

Manchmal hat die Krise der Lebensmitte ihren Ausgangspunkt auf der Beziehungsebene. Vor allem betrifft dies unsere festen partnerschaftlichen Bindungen. Vielleicht fühlen wir, dass bisher Ungelebtes zur Verwirklichung drängt, oder wir geraten mit der Partnerin in eine intensive Auseinandersetzung, welche eine Phase des selbstverständlichen Zusammenlebens unversehens abschließt. Natürlich kann die Veränderung der Partnerschaft auch von der Frau ausgehen, die ihrerseits nach Selbstverwirklichung sucht und neue Anforderungen an uns stellt. Das Ungelebte will auf die eine oder andere Weise, innerhalb oder außerhalb der Partnerschaft, verwirklicht werden. Wie viel nachgeholt werden muss und kann, ist individuell verschieden. Partnerschaftskrisen weisen uns im Allgemeinen auf die Notwendigkeit hin, unsere Gefühlswelt zu entwickeln.

Oft verbinden sich kritische Entwicklungen auf der körperlichen, seelischen, geistigen oder beziehungsmäßigen Ebene zu einer ganzheitlichen Erschütterung und Umwälzung. Gerade im Licht der Krise der Lebensmitte zeigt sich, dass die Aufteilung des Menschen in Körper, Seele, Geist und Außenwelt im Grunde eine künstliche ist: Vom Alterungsprozess ist der ganze Mensch in all seinen Lebensbezügen betroffen.

Jeder Mann tritt auf seine individuelle Weise in die Wechseljahr-Problematik ein. Man kann sich fragen, warum der eine in erster Linie körperliche Symptome zeigt, während ein anderer seine beruflichen Aufgaben kaum mehr zu bewältigen vermag und ein dritter vor allem an einer Beziehungskrise leidet. Dies mag seinen Grund darin haben, dass Neues oft dort in unser Leben tritt, wo wir am wenigsten bewusst leben. Dort sind wir am wenigsten durch eine eingeschliffene Abwehrhaltung geschützt und deshalb für autonomes seelisches Geschehen am leichtesten erreichbar. Oft sind wir dort auch am meisten entwicklungsbedürftig. Wir reagieren in vielen Situationen gewohnheitsmäßig, was uns Sicherheit gibt, aber auch einengt. Das können wir mit fortschreitendem Alter zunehmend nachteilig erleben. Wenn unser Leben zu sehr der Routine verfallen ist, wird es schal und langweilig. In den Jahren des Wandels und Wechsels werden unsere Gewohnheiten nochmals in Frage gestellt, und es besteht die Chance zu einer neuen Lebensorientierung. Je besser wir diesen Prozess als Herausforderung zur Erweiterung unserer Persönlichkeit annehmen können, desto weniger verkrampft werden wir durch diese Lebensphase hindurchgehen.

Die folgenden Kapitel befassen sich mit den verschiedenen Aspekten und Phasen der Krisenzeit, die Männer auf der Schwelle zwischen Jugend und Alter erleben können. Die behandelten Themenkreise erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie enthalten aber Hinweise darauf, wie ein solcher seelischer Prozess typischerweise verlaufen kann und um welche Fragestellungen es dabei geht.

Das erste Hauptkapitel hat das Weltbild, in welches wir Männer hineingeboren worden sind, zum Thema. Das kollektive Männerbild ist fest in uns verankert, und in der Krise wird es erschüttert. Die Erarbeitung einer individuelleren Lebensorientierung ist nun gefragt.

Das nächste Kapitel hat die Schattenseiten dieses Männerbildes zum Inhalt: all jene Aspekte, die wir gerne projizieren. Solange wir uns darüber nicht bewusst sind, können wir keine innere Ganzheitlichkeit erlangen.

Das dritte Hauptkapitel widmet sich den wichtigsten Erscheinungsformen, in denen uns die Krise ereilt. In diesem Zusammenhang werden die bereits angesprochenen Themenkreise wie Arbeitsprobleme, Beziehungsschwierigkeiten, Erschöpfungszustände, Ängste, Krankheiten sowie Selbstwertund Sinnkrisen genauer behandelt.

Das vierte Kapitel dreht sich um die seelischen Zustände, in welche wir im Zuge einer tieferen Krise geraten. Wir werden in der Krise auf uns selber zurückgeworfen und haben uns mit Grundsatzfragen unseres eigenen Seins auseinander zu setzen. Diese reichen vom Rückblick auf die eigene Jugend bis hin zum Blick vorwärts auf den Tod.

Im folgenden fünften Kapitel geht es um jene Schritte, die uns aus der Krise heraus zu einem neuen Selbst- und Weltver-ständnis führen. Dabei handelt es sich um Prozesse der weiteren Bewusstwerdung über sich selber, einschließlich der Betrachtung kritischer Aspekte der eigenen Persönlichkeit. Zudem soll von jenen inneren Entwicklungsprozessen die Rede sein, welche durch die Krise in Gang gesetzt werden und unsere Persönlichkeit zu erweitern vermögen.

Im letzten Kapitel wenden wir uns schließlich den neuen Dimensionen zu, welche im Zuge unseres Alterungsprozesses angesprochen sind und die mehr sind als nur ein Ersatz für die verlorene Jugend. Sie können sich zur Quintessenz unseres Lebens verdichten.

Dieses Buch wäre ohne die vielfältigen Begegnungen mit Männern und Frauen im mittleren Lebensalter nicht entstanden. Mein Dank richtet sich zunächst an all jene Männer, mit welchen ich einen Weg durch die Lebensmitte gehen konnte. Sie haben mich die Vielfalt der inneren Prozesse gelehrt, die wir in diesem Lebensabschnitt durchlaufen können. Zugleich haben sie mir aber auch die Gemeinsamkeiten des Weges aufgezeigt, welche die Lebensmitte zu einer ganz speziellen Phase unseres Lebens macht. Mein Dank gilt aber auch jenen Frauen, welche an der Seite ihrer Männer die gemeinsamen Herausforderungen angingen und gleichzeitig ihre eigene Selbstverwirklichung ernst nahmen. In vielen Paargesprächen habe ich lernen können, wie sich die Gemeinsamkeiten und Verschiedenheiten zweier Menschen zu einer fruchtbaren Entwicklung verbinden lassen.

Hinsichtlich meiner eigenen Auseinandersetzungen mit der Lebensmitte danke ich meiner Frau Susanna Wartenweiler-Arnuga. Sie zeigte Verständnis für meine wechselnden Befindlichkeiten und lehrte mich durch ihre Reaktionen auf meine Bedürfnisse zugleich vieles. Später unterstützte sie mich mit ihren Kommentaren und durch manchen Verzicht beim Schreiben dieses Buches.

Für die Durchsicht des Manuskriptes und vielfältige Anregungen danke ich Pfarrer Dr. Kurt Staub, Dr. med. Gerhard Gutscher, Dr. med. Dieter Baumann, Pater Niklaus Brantschen sowie Elisabeth und Wolfgang Staechelin. Ebenso geht mein Dank an den Kösel-Verlag und den zuständigen Lektor Gerhard Plachta für die Bereitschaft, das spontan eingereichte Manuskript zu veröffentlichen.

Dieter Wartenweiler

Stark und tüchtig sind wir

Jeder von uns wurde erzogen

Wir können unsere Persönlichkeit als das Resultat vielfältiger Prägungen verstehen. Unsere Basis ist die menschliche Existenz, in die wir ohne unser Zutun hineingeboren wurden. Sie definiert alle grundlegenden Gegebenheiten unseres Seins. Von der Geburt bis zum Tode nehmen wir zudem laufend Informationen auf, welche unser Wesen prägen. Dabei sind wir gewohnt, uns mit der Summe all dieser Prägungen zu identifizieren, und wir halten das für unser »Ich«. Auf diese Weise bilden wir auch unseren »Charakter«, wofür die Erziehung zunächst eine wichtige Rolle spielt.

Als Kleinkinder können wir nicht aufwachsen, ohne dass die Erwachsenen uns pflegen und nähren, am besten die Eltern. In ihrem komplexen menschlichen Verhalten prägen sie uns gleichzeitig, und das bedeutet auch Entfremdung. Was auf das Kleinkind einwirkt, entspricht ihm nicht in allen Punkten und prägt es damit zwangsläufig in einer Weise, die seinem Wesen auch zuwiderläuft. Weil wir von außen geprägt wurden, erhebt sich die Frage, was unser davon unabhängiges Wesen ist.

Diese Frage geht ziemlich tief, und sie kann auf verschiedenen Ebenen ausgelotet werden. Im Sinne der obigen Überlegungen können wir zunächst sagen, dass wir ursprünglich nicht das sind, wozu uns unsere Eltern gemacht haben. Auf dieser Ebene stellt sich die Frage, wer wir denn ohne all diese Einflüsse wären. Da wir grundsätzlich aber nicht aufwachsen können, ohne geprägt zu werden, muss diese Frage zumindest teilweise unbeantwortet bleiben. Dieser Umstand führt uns auf eine tiefere Ebene, wo wir erkennen, dass unser Leben und unsere Persönlichkeit noch etwas anderes ist als nur die Summe der Prägungen. Darauf wollen wir in diesem Buch später eingehen. Wir werden damit konfrontiert, wenn wir in der zweiten Lebenshälfte veranlasst sind, zum Grundsätzlichen des Lebens vorzustoßen.

Bleiben wir vorerst bei den erzieherischen Einflüssen. Jeder von uns wurde durch Erwachsene geformt, meistens durchaus in guter Absicht. Unsere Eltern oder andere Pflegepersonen versuchten uns zu etwas zu machen, von dem sie dachten, dass es gut sei. Zusätzlich wirkten die unbewussten Verhaltensweisen der Erzieher. Diese Einflüsse können Kinder aber auch in einer Weise prägen, welche die Erzieher nicht beabsichtigt und bedacht haben.

Viele Männer haben eine Erziehung genossen, welche sie zu einem guten Maß an eigener Stärke führte. Jene aber, welche diesbezüglich keine optimalen Voraussetzungen hatten, zeigen oft Schwierigkeiten in der äußeren Lebensbewältigung  – sei es, weil sie zu viel Aggression und Kampfgeist entwickelt haben, oder aber, weil sie zu gehemmt sind. Zu viel Kampfgeist kann sich zwar als ehrgeizige Leistungsbereitschaft zeigen, aber auch zu latenter Aggressivität führen, welche keine fruchtbare Verwendung der seelischen Energie darstellt. Solche Männer sind oft in nutzlose Kämpfe verwickelt. Jene Männer, die demgegenüber wenig eigene Kraft entwickeln konnten, zeigen häufig übermäßige Anpassungsbereitschaft. Wenn die negativen Einflüsse nicht zu gravierend waren, können sie sich unter gewissen Einschränkungen durchaus bewähren. Die Beeinträchtigungen können aber so weit gehen, dass sich daraus Blockierungen und echte Schwierigkeiten im Beruf und in Beziehungen entwickeln. In dieser Kategorie finden wir auch Männer, die als Kinder in schwerwiegender Weise verlassen wurden und die nur mit Mühe eigenen Boden finden können.

Einige Beispiele sollen das Verhältnis zur Stärke veranschaulichen. Dafür spielen auch Belastungen aus der Kinderzeit eine Rolle. Wir unterscheiden hier fünf Typen: den ehrgeizigen Leistungsmann, den Aggressor, den Angepassten, den Blockierten und den Verlassenen.

Weit verbreitet ist der Typus des Leistungsmannes, wie er sich im folgenden Beispiel darstellt:

Der Direktor einer angesehenen größeren Gesellschaft hatte sich dem Leistungsprinzip verschrieben. Sein Vaters liebte den jungen Peter (die Namen aller Beispiele – auch im Folgenden – sind geändert) früher nur, wenn dieser seine Erwartungen hinsichtlich der Schulleistungen erfüllt hatte. Schlechte Noten wurden mit Lie-besentzug bestraft. Demgemäß gab der Junge sein Bestes, um vom Vater die so wichtige Zuwendung zu erhalten. Wenn er diese als Belohnung erreichte, blieb sie allerdings nur kurzfristig erhalten, denn die nächste Leistung war schon bald gefragt. So blieb der Junge auch bei bester Leistung innerlich stets unerfüllt. Da ihm auch seine Mutter keine Stabilität zu geben vermochte, lebte er nach dem Leitspruch: Nur wenn ich viel leiste, werde ich geliebt.

So gestaltete er auch sein Erwachsenenleben, und so brachte er es zu etwas. Äußerlich hatte der Vater mit seiner Erziehung Erfolg. Aber gleichzeitig blieb Peter über Jahrzehnte unerfüllt, und auch in seiner Partnerschaft konnte er keine befriedigende Beziehung aufbauen. Er hungerte stets nach der vermissten Mutter- und Vaterliebe, und die Zuwendung, die er seiner Frau entgegenbrachte, hatte immer den Charakter einer Leistung.

Dieser Menschentypus kommt den Bedürfnissen unserer Gesellschaft entgegen. Als Manager sind solche Männer gesucht, und diese können dabei über geraume Zeit das Gefühl haben, sie hätten mit ihrem Erfolg auch schon ihr Glück, ja sogar ihre Selbstverwirklichung gefunden. Aber dahinter verbirgt sich oft eine innere Leere und Unzufriedenheit, welche einer tieferen Auseinandersetzung bedarf, um bewältigt zu werden.

Ein Zuviel an Stärke kann sich nicht nur als Leistungsbereitschaft zeigen, sondern auch als latente Aggressivität. Wer seitens der Eltern nicht einem fördernden, sondern einem aggressiven Druck ausgesetzt war, kann später selber zu einem Aggressor werden. Der Kampf gegen die unterdrückenden Eltern wird in diesem Falle über seine Zeit hinaus und an anderen Orten fortgeführt. Eine unbändige Wut kann solche Männer charakterisieren, die ursprünglich gegen die Eltern gerichtet war. Sie neigen dazu, ihre Wut bei passenden und unpassenden Gelegenheiten auszudrücken. Oft begründen sie ihre Ausbrüche damit, dass sie im Recht seien. Das mag im Einzelfall zwar zutreffen, aber das Maß der Aggression ist völlig übersteigert. Ihre Ausbrüche sind nicht nur eine Reaktion auf das jeweilige Ereignis, sondern auch Ausdruck alter Wut aus Kindertagen. Mit diesem Übermaß an Wut kann der vom Ausbruch Betroffene im Allgemeinen nicht umgehen, weil er die Aggressivität nicht mit der Situation in Einklang bringen kann und sich deshalb ungerecht behandelt fühlt.

Gustav war als Nachzüglerkind eines Alkoholikers aufgewachsen, der ihn schlug, bis er 18 war. Die Mutter tröstete ihn zwar nach den Schlägen, setzte der Aggression des Vaters aber nichts entgegen. Im jungen Erwachsenenalter war Gustav selber überaggressiv, und er verwickelte sich gern und oft in Schlägereien. Mit seinen jetzt 50 Jahren hat er einen mächtigen Körperbau mit viel gestauter Energie im Brustkasten. Seine Wut konnte er trotz aller Ausbrüche nie wirklich loswerden, weil er sich weder innerlich mit seinen Gefühlen noch direkt mit seinem Vater auseinander setzte. Sie verdarb ihm aber sein Berufsund vor allem sein Familienleben. Obwohl er gegen seine Frau nie tätlich wurde, hatte sie stets Angst vor ihm, denn sie spürte seine angestaute Aggressivität. Weil er nicht wie sein Vater sein wollte, hatte er sich bei der Familiengründung entschlossen, auf weitere Schlägereien undandere Ausbrüche zu verzichten. Er schlug auch seine Kinder nicht, aber eines Tages schlug »es« ihn – er erlitt unerwartet einen Herzinfarkt. Seine tief eingeschlossene Wut hatte sich gegen ihn selbst gerichtet.

Männer, die demgegenüber zur Anpassung neigen, sind meistens umgänglich, und viele sind im Allgemeinen durchaus in der Lage, höher gesteckte Ziele zu erreichen. Dennoch können sich gerade aus der Anpassung erhebliche Probleme ergeben.

Das herausragendste Beispiel, das ich hierfür kenne, ist Paul, der sich in jeder Hinsicht an seinen Vater angepasst hatte. In seiner Jugend gab es keinen Millimeter Abweichung. Er war nie er selbst gewesen, sondern lebte und verkörperte das Bild, das sich der Vater von einem idealen Sohn gemacht hatte. Dieser hatte ihm Angst eingejagt mit dem Motto: »Wenn du nicht parierst, dann kannst du selber sehen, wie du durchs Leben kommst. Sieh nur, was du für ein kleiner Wurm bist – du schaffst es nicht allein.« Es gelang Paul aber, ein eigenes Geschärft aufzubauen, das gut florierte. Er lebte äußerlich komfortabel und achtete auch stets auf ein perfektes Aussehen – als wollte er noch immer seinem Vater gefallen. Zugleich war er aber innerlich verloren und tief verzweifelt. Mit seiner Frau führte er lange Zeit eine sehr enge, ja symbiotische Beziehung. Dennoch konnte er darin nicht finden, was ihm in seinem Inneren fehlte. Dazu kam, dass die Frau ebenso viel Wert auf Außerlichkeiten legte. Wegen des früheren väterlichen Drucks neigte Paul zu Schuld gefühlen, wenn etwas schief ging, und seine Frau nutzte dies weidlich aus. »Seht nur, Kinder, wie euer Vater ist ...«, pflegte sie zu sagen, und fügte ihre Vorwürfe an.

Eines Tages hatte Paul einen schweren Autounfall. Dieses Ereignis rüttelte ihn auf, und er spürte, dass eine Standortbestimmung unbedingt notwendig war.

Natürlich gibt es neben Vätern auch Mütter, welche die Söhne zu derartiger Anpassung erziehen. Sie tun es weniger aus Ehrgeiz heraus, sondern oft infolge ihrer Unfähigkeit, die Kinder als eigenständige Wesen zu akzeptieren. Manchmal nehmen solche Mütter den Kindern jede Arbeit aus der Hand, weil sie ihnen nichts zutrauen. Indem sie diesen zeigen, dass sie als Mütter alles besser können, suchen sie noch immer nach jener Bestätigung, die sie ihrerseits als Kind nicht erhalten haben. Auf diese Weise wird der Mangel an Selbstvertrauen an die nächste Generation weitergereicht. Die Kinder solcher Mütter vertrauen als Erwachsene nicht auf sich selbst und haben vielfach Mühe, aus sich herauszukommen. Dies kann auf dem beruflichen Weg hemmend wirken; sicher aber führt es zu Beziehungsproblemen.

Ist der Druck der Eltern auf das Kind sehr groß, kann dieses blockiert werden. In der Mehrheit der Fälle geht dieser Druck nach meiner Erfahrung von den Vätern aus.

Roberto war ein Junge, der von seinem Vater so sehr erniedrigt worden war, dass er schwere Symptome entwickelte. Sein Vater war ein südländischer, in der Jugend seinerseits unterdrückter Mann, der als Jugendlicher vor seinem Vater in die Schweiz geflohen war. Hier wiederholte er das Verhalten seines Vaters und setzte seinen Sohn mit Schlägen gleichermaßen unter Druck.

Roberto litt später unter Hyperventilationsanfällen, diffusen Schmerzen und unkontrollierten Zuckungen. Wie sich herausstellte, hatte er die Schläge aus der Kinderzeit gewissermaßen im Körper gespeichert: Es waren alte Schmerzen aus körperlichen Züchtigungen, die sich in seinen Schmerzanfällen und Zuckungen immer wieder entluden. Er war vom Vater blutig geschlagen worden, zum Teil mit Gegenständen. Außerdem wurde er vom Vater ausgebeutet: Roberto musste als Jugendlicher in dessen Geschäft ohne Lohn sehr viel arbeiten. Als weitere Folgen seiner Erziehung entwickelte Roberto Angst vor Strafe sowie Bezie-hungsängste.

Sein Weg in die innere Freiheit war sehr schwierig, weil er viele seiner Jugendschmerzen in Körperprozessen nochmals durchleben musste, um sie loszuwerden.

Je größer die innere Blockierung der Jugendzeit, desto aufwendiger ist die Befreiung davon. Die in der Erziehung erlittene Schwächung kann die Entwicklung einer gesunden männlichen Kraft schwer beeinträchtigen.

Schließlich finden wir unter den Männern die als Kind innerlich oder äußerlich Verlassenen, die niemanden hatten, der auf sie einging. Die Folgen davon können Einsamkeitsempfindungen, Ohnmachtsgefühle, Angstzustände oder Depressionen sein.

Gerhard war das Kind einer schwer depressiven Mutter, die ihm keinen Halt geben konnte, und auch sein Vater vermochte nicht in die emotionale Lücke zu springen. So wuchs Gerhard innerhalb der Familie als verlassener Junge auf, der sich in seiner Einsamkeit oftmals weinend auf die Toilette zurückzog, bis auch diese Tränen versiegten. Er entwickelte ein Gefühl großer Ohnmacht. Diese entsprang einerseits einer realen Machtlosigkeit, indem er als Kind nichts zur Veränderung der familiären Situation tun konnte, andererseits hatte er von den Eltern auch direkt eine »ohnmächtige« Einstellung vorgelebt bekommen. Dieses Ohnmachtsgefühl begleitete ihn tief in sein Erwachsenenleben hinein und überschattete sein Wesen mit einer inneren Trauer.

Die Frage der inneren Stärke spielt bei allen Männern eine wesentliche Rolle für die Gestaltung des beruflichen und persönlichen Lebensweges. Auch wer kein hartes Kinderschicksal erlitten hat, ist mit der Frage der Stärke konfrontiert – positiv oder negativ. Das Thema Stärke ist ein allgemeines und reicht für uns Männer über den Bereich unserer persönlichen Geschichte hinaus. Mehr als Frauen sind wir innerlich häufig auf Auseinandersetzung und Kampf ausgerichtet. Die äußere Lebensbewältigung des urzeitlichen Mannes, die in früheren Kulturen in der Bewältigung der Natur und in der Verteidigung von Revieren lag, mag hier nachklingen. Die archaischen Formen des männlichen Lebens sind tief in unserer Seele verwurzelt, und auch in unserer Kultur muss sich der Mann mit diesen Grundkräften des eigenen Seins befassen.

Wer sich aufmacht, in sich ein neues Männerbild zu entdecken, kann vehement damit zusammenstoßen. Wie eben angedeutet: Wir tragen die Geschichte des Mannseins tief in uns, ebenso Vorstellungen, die wir uns nicht persönlich angeeignet haben. In diesem Sinne ist jeder von uns auch ein Kind der Menschheitsgeschichte, und diese will eingelöst werden. Wir sind nicht nur Individuen mit einer persönlichen Vergangenheit, sondern auch Teil eines Kollektivs, von dem wir uns nicht ohne weiteres lösen können.

Die Welt der Machbarkeit

Die Wechseljahre der Frau und ihre Neuorientierung in der Lebensmitte sind in der Öffentlichkeit schon seit vielen Jahren ein Thema. Das Interesse dafür steht in Zusammenhang mit der Neubewertung, ja Neuentdeckung der weiblichen Werte in unserer Zivilisation. Seit einiger Zeit genießt nun auch der Mann zunehmende Aufmerksamkeit hinsichtlich seiner spezifischen Werte. Die Diskussion um den »neuen Mann« weist daraufhin, dass sich das männliche Selbstverständnis wandelt. Nach der Emanzipation der Frau aus einem veränderungsbedürftigen Frauenbild ist nun auch die Männerwelt in Bewegung geraten. Ähnlich wie damals bei den Frauen ist jetzt die Emanzipation des Mannes aus dem bisherigen kollektiven Männerbild aktuell geworden. Diese Entwicklung kann nur vom Individuum vollzogen werden, aber wenn sie eine gewisse Breitenwirkung erreicht, ändert sich das gesamte Männerbild. Ein solcher Prozess ist in unserer Kultur heute im Gang. Insofern, als viele Männer die kollektiven Muster in Frage stellen und nach ihrer individuellen Identität suchen, fällt die Neuausrichtung des einzelnen Mannes mit dem Männerbild insgesamt zusammen: Auch dieses ist in die »Wechseljahre« geraten. Es vollzieht sich eine Neuorientierung des männlichen Geistes.

4. Auflage 2004

© 1998 by Kösel-Verlag GmbH & Co., München

eISBN 978-3-641-09755-4

Umschlag: Kaselow Design, München

Umschlagfoto: Mauritius/Sun Star

www.randomhouse.de

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