Buddhas Spuren im Sand - Dieter Wartenweiler - E-Book

Buddhas Spuren im Sand E-Book

Dieter Wartenweiler

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Beschreibung

Buddhas Spuren verlaufen im Sand. Nach dem alten Meister Obaku hat Buddha neunundvierzig Jahre gepredigt und dabei in Wahrheit kein Wort gesprochen. Entsprechend liegt alle Erkenntnis jenseits der Worte, des Wissens und von uns als Person. Auch die Suche nach "uns selbst" verläuft damit im Sand. Wir werden nie ankommen, weil wir gar nicht unterwegs sind. Effektiv erfüllt sich das Leben selbst, und es braucht keinen Buddha, um Buddha zu sein. Die Spuren Buddhas sind unsere eigenen. Kommt eine Welle, sind sie weg. Da ist nur Freiheit.

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Inhalt

Prolog

I Buddhas Spuren

Buddha im Sand

Sein und Nicht-Sein

Gedankenlos

Zeitfrei

Die Welt – ein Traum

Frei vom ‚Ich‘

Rückblick und Exkurs I

Geschichten

Sehnsucht und Suche

Langsame Öffnung

II Sich selbst vergessen

Ohne Bezugspunkt

Wer , wo, was und wie?

Illusionen verlieren

Allein und All-Ein

Niemand da

Un-Wirklichkeit

Rückblick und Exkurs II

Erlebnisweisen

Es geht nicht um etwas

Plötzliche Öffnung

III Was bleibt

Jenseits der Person

Lebenskraft

Stete Meditation

Hauslos daheim

Stille

Unermesslichkeit

Rückblick und Exkurs III

Kein Erleben

Jenseits ist hier

Offenheit seit Anbeginn

IV Nichts zu erreichen

Unendliche Weite

Keine Lehre

Ohne Erklärungen

Nichtwissen

„Das“ ist alles

Freiheit des Seins

Nachklang

Prolog

Wie viele Suchende gibt es doch auf dieser Welt – und vielleicht gehören Sie – lieber Leser, liebe Leserin – auch dazu. Eventuell hat Ihr Weg Sie von einem rein materiell orientierten Dasein zu allen möglichen Weisheitslehren geführt, von denen Sie sich erhofften, zu größerer Einsicht, tiefer Weisheit und eventuell gar Erleuchtung geführt zu werden. Sollten Sie der Ansicht sein, es gefunden zu haben, werden Sie dieses kleine Buch wohl nur flüchtig durchsehen. Es ist aber auch möglich, dass nach all Ihren Versuchen ein unbefriedigendes Gefühl geblieben ist, das Sie veranlasst, weiter zu suchen. Wenn Ihnen das vorliegende kleine Buch in diesem Stadium in die Hände fällt, erhoffen sie sich vielleicht, dadurch ‚einen Schritt weiter zu kommen‘. Aber das wird wohl nicht geschehen.

Der Knackpunkt ist, dass sich die meisten Menschen von der Suche ein Ergebnis ‚für sich‘ erhoffen, doch eine solche Erkenntnis findet sich bedauerlicherweise nicht. Manche begnügen sich daher damit, ‚auf dem Weg zu sein‘, denn der Weg sei das Ziel, und so könnten zumindest Fortschritte verzeichnet werden. Andere wähnen sich auch schon sehr nahe ‚bei sich‘, wenn meistens auch noch nicht ganz, denn sie spüren, dass da doch noch etwas fehlt.

Dieses kleine Buch bietet nichts Zusätzliches ‚für Sie‘, sondern es beschäftigt sich vielmehr mit der Idee, dass Erlösung nicht von uns als Person erlangt werden kann, weil die Vorstellungen, die wir von uns selbst als Person haben, und auch alle Ziele, die sich daraus ableiten mögen, das Hindernis sind. Jede Art von Ziel und Hoffnung basiert auf der Vorstellung, dass dies (später einmal) von ‚mir‘ erreicht werden könne, womit das ‚Ich‘ im Mittelpunkt aller Überlegungen und Bemühungen steht. Das Ziel besteht damit darin, sich selber ausweiten zu können und mit erreichter Erkenntnis zu einem größeren Ich zu werden, das nun gewissermaßen über sich selbst hinausreicht. Wie leicht einzusehen ist, kann das Kleinere das Größere aber nicht umfassen und so selbst grösser werden. Einige versuchen, dies mit einem Trick zu erreichen, indem sie ihr größeres Ich nun das ‚Selbst‘ oder ähnlich nennen und davon ausgehen, dass sie dieses einmal realisieren werden.

Zu den Lehren, von denen man sich entsprechende Anleitungen erhofft, gehört auch der Buddhismus, und es kann nicht verneint werden, dass er nicht auch entsprechende Anleitungen gibt. Jede Anleitung richtet sich aber an ein ‚Ich‘, an eine Person, welche bei entsprechend richtigem Verhalten zu einer in Aussicht gestellten Erkenntnis finden kann. Wird dies nicht erreicht, nehmen die Protagonisten die Schuld im allgemeinen auf sich und denken, dass sie sich nicht richtig verhalten hätten oder sich zu wenig bemühten, und die Erfüllung deshalb noch nicht eingetreten sei. Wer sich schon in buddhistischen Ländern aufgehalten hat, wird bemerkt haben, dass sich vielerorts – vor allem im Mahayana-Buddhismus – enorm komplizierte Modelle entwickelt haben, deren Studium von den Mönchen auch entsprechend lange Studienzeiten erfordern, um so höhere Erkenntnis zu erlangen. Es soll dabei nicht in Frage gestellt werden, dass dies nicht von gewissem Nutzen sein kann, aber es lässt sich auch nicht verneinen, dass es sich hier im Grunde um ausgedehnte Gedankengebäude handelt. Sie enthalten ausgedehnte Lehren, die sich aus ursprünglich einfachen Wahrheiten und grundlegenden Erkenntnissen entwickelt haben, welche wiederum der Fachkräfte bedürfen, um sie zu interpretieren. Schließlich entwickelten sich ganze Hierarchien von Gelehrten, welche Spezialisten für die komplizierten Modelle sind. Das Problem dabei ist, dass es letztlich um Konzepte geht, denn anders kann die umfassende Wirklichkeit nicht beschrieben werden, aber sie sind nie die Wirklichkeit selbst.

Hier soll aber nicht von dieser Art Buddhismus die Rede sein, sondern vielmehr von den einfachen Grundprinzipien, wie sie etwa im Diamant-Sutra formuliert sind: ‚Wenn ein Bodhisattva an der Vorstellung festhält, dass ein Selbst, eine Person, ein Lebewesen oder eine Lebensspanne existiere, dann ist er kein echter Bodhisattva.‘ Die große Herausforderung liegt also darin, dass keine Art von ‚Ich‘ oder ‚Selbst‘ eine irgendwie geartete, tiefe Erkenntnis erreichen kann, denn sie liegt – wenn man überhaupt von so etwas sprechen will – jenseits von Ich und Selbst, von Person und konventionellem Wissen. Kein ‚Ich‘ kann es erlangen, ‚Sie‘ können es nicht finden, keine Person wird je fassen können, worum es hier geht. Manche buddhistische Werke (wie etwa das erwähnte Diamant-Sutra) und auch Zen-Texte weisen auf diesen Umstand hin, und zugleich ist jeder Hinweis gleichzeitig ein Hindernis. ‚Es‘ ist eben von niemandem zu gewinnen, und in diesem Sinne ist es für das Ich und alle, die sich als ‚jemand‘ verstehen, hoffnungslos. Man könnte geneigt sein, dann von einer notwendigen Selbstaufgabe zu sprechen, aber das geht nicht. Kein ‚Ich’ kann sich vorstellen oder gar anstreben, sich selbst aufzugeben und damit nicht mehr zu existieren, weil es ja nur darin besteht, sich selbst als existierend zu bestätigen. Wenn ‚Sie‘ nicht wären und es trotzdem dieses Leben gäbe – was wäre dann? Jede Überlegung darüber führt dabei zu einem Trugschluss – die Frage lässt sich nicht theoretisch beantworten.

Erfüllung ist nicht in etwas zu finden, das man sich vorstellen kann oder anzustreben vermag. Solches wäre ja auf unsere individuelle Weltsicht begrenzt. Vielmehr geht um etwas, was weit darüber hinausreicht und deshalb gar nicht fassbar ist. So gesehen kann nichts erlangt werden, und dennoch kann sich Erfüllung zeigen. Damit dies geschehen kann, müssen aber alle unsere Vorstellungen wegfallen. Solange noch an etwas geglaubt oder etwas erhofft wird, ist es nicht das, was jenseits aller Beschreibungsmöglichkeiten liegt. Was ‚es‘ ist, kann aber niemand benennen. Es entzieht sich sogar jeder Annäherung. Erst mit der Auflösung aller Bemühungen um tiefere Erkenntnis kann sich eine neue Art von Wahrnehmung ergeben, und darum soll es in diesem kleinen Werk gehen. Es unterscheidet sich damit von jenen Büchern, die in Aussicht stellen, dass man durch die Lektüre etwas besser verstehe, oder weiser würde. Dafür gibt es die ganze (auf alle erdenklichen Bedürfnisse zugeschnittene) Ratgeber-Literatur – und dazu gehören diese Betrachtungen nicht.

Statt weitere Ziele zu setzen und noch etwas in Aussicht zu stellen, sollen hier die Hindernisse einer klaren Sicht im Blickfeld stehen. Wenngleich dadurch nichts Zusätzliches gewonnen wird, lassen sich so immerhin einige allgemeine Täuschungen erkennen. Dies vermag wiederum dazu führen, dass gewisse Illusionen dahinfallen. Dazu kann auch die Vorstellung gehören, dass etwas gewonnen oder aufgegeben werden könnte. So gesehen wird hier ein Thema behandelt, das in sich selbst nicht wirklich fassbar ist. Alles sogenannte Wissen führt nicht zu mehr Verstehen, und es stellt sich gar die Frage, ob es so etwas wie ‚Verstehen‘ überhaupt gibt.

Auch die hier vorliegenden Betrachtungen entziehen sich dem ‚Wissen‘. Selbst warum sie niedergelegt wurden und warum sie allenfalls gelesen werden, ist nicht zu erklären. Das spielt aber auch keine Rolle, denn es geht sowieso nicht um Erklärungen irgendwelcher Art. Was ist hier also zu erwarten? Ohne etwas in Aussicht zu stellen, kann dies nicht gesagt werden. Doch es gibt Fragen: Was zeigt sich, wenn sich der Bereich eines vermeintlichen Wissens als zu eng erweist? Was bleibt, wenn die Suche nach Erkenntnis und Erlösung im Sand verlaufen ist? Was ist dann anders?

Es entspricht der Anforderung solcher Fragestellungen, dass die Behandlung ihrer zentralen Aspekte aus verschiedenen Blickwinkeln erfolgen muss, was nicht ohne Wiederholungen möglich ist. Einen anderen Grund haben diese auch darin, dass die in die im vorliegenden Band zusammengefassten Betrachtungen teilweise unabhängig voneinander entstanden sind und manche erst nachträglich miteinander verbunden wurden. Weil gewisse Passagen durchaus unkonventionelle Erwägungen beinhalten, können solche Repetitionen allerdings auch hilfreich sein, um eine anfängliche Irritation mit der Zeit etwas zu verringern. Dabei braucht aber nicht alles rational eingeordnet zu werden, denn im Unverstandenen liegt oft ein Zauber, der das Gemeinte jenseits von Überlegungen überhaupt erst aufscheinen lässt. Ganz im Sinne des alten Zen-Meisters Nansen, der sagte. ‚Wissen ist nicht der Weg‘.

I

Buddhas Spuren

Buddha im Sand

So wie im Christentum mit Jesus die historische Figur gemeint ist, und Christus als Ausdruck eines universellen Prinzips gilt, bezeichnet der Buddhismus mit Siddharta Gautama den Menschen und Überbringer der buddhistischen Lehre, und Buddha bezieht sich auf das Prinzip der Unfassbarkeit allen Seins. Wenn von Buddha die Rede ist oder ‚Buddha‘ selbst spricht, ist oft auch beides gleichzeitig gemeint. Im Diamant-Sutra bezeichnet er sich selbst als ‚Der von nirgendwoher kommt und nirgendwohin geht‘, und als ‚nicht-erlangbar‘. Von diesem allumfassenden Prinzip sind wir nach der buddhistischen Lehre nicht getrennt – wir sind es selbst. ‚Dieser Leib – das Leben des Buddha‘ heißt es dazu in einem Zen-Text (Hakuin). Dabei hat ‚Der ewig seiende Buddha keine Gestalt‘ (Huang Po), und somit ist Buddha auch ‚lediglich ein Name‘ (Rinzai).

Dieses unfassbare Prinzip steht im Gegensatz zur vergänglichen Erscheinungswelt, worin ‚kein entstandenes Phänomen für einen einzigen Augenblick verweilt, sondern jeden Moment neu entsteht und vergeht‘ (Akashagarbha-Sutra). Damit verschwinden auch Buddhas Spuren selbst jeden Augenblick. Sie sind wie Spuren im Sand – genau wie unsere eigenen. Beide sind dabei nicht von wirklicher Bedeutung, so wie alle Erscheinungen in sich selbst keine Bedeutung tragen. Lediglich durch unsere Zuordnungen verleihen wir einigen von ihnen Bedeutung. Kein Baum hält sich für bedeutungsvoll, wenngleich wir seine Schönheit bewundern mögen oder wir ihn zu einem Weihnachtsbaum machen – mit aller beigefügten Symbolik, die ‚für uns‘ Bedeutung hat.

Bezieht man dies auf alle Erscheinungen, so zeigt sich, dass in sich alles ohne eigene Bedeutung – also bedeutungslos – ist. Wir halten unsere selbst geschaffenen Bedeutungen im Allgemeinen aber für so wichtig, dass wir stets in einer bedeutungsschwangeren Welt unterwegs sind. Damit schauen wir ständig in einen Spiegel, in welchem wir uns selbst mit all unseren Werten sehen. Dies erscheint uns dann als ‚reale Welt‘, obwohl es lediglich die Welt unserer eigenen psychologischen Konstrukte ist. Was uns als Wirklichkeit erscheint, ist nicht ‚wirklich‘ in einem objektiven Sinne, sondern reine Subjektivität. Wenngleich unsere Auffassungen lange andauern können – im Extremfall ein Leben lang – sind sie doch nicht mehr als Spuren im Sand. Kleinere Wellen können Teile davon wegschwemmen, was uns allen hin und wieder geschieht, doch eine große Welle kann unsere Vorstellungen allesamt einbrechen lassen. Dann begegnen wir einer neuen Welt. Genau genommen sind es aber nicht wir, die einer neuen Welt begegnen, denn alle Vorstellungen, die wir von uns selbst haben, gehören auch zu den Spuren im Sand, die mit der großen Welle verschwinden. Im Gegensatz zu gewissen eigenen Vorstellungen mag unsere vermeintliche Identität – das, wofür wir uns selber halten – wie eine recht stabile Sandburg erscheinen, die den Wellen etwas länger standhält als deren Mauern oder kleinen Türme, und so kann es dauern, bis der Kern unserer Selbstauffassung eventuell einmal weggeschwemmt wird. Manchen Menschen (heute noch vielleicht den meisten) passiert dies allerdings nie, und sie halten sich lebenslang für die Besitzer ihrer Sandburgen, für die Herrscher ihres Weltbildes, nach welchem sich die anderen Menschen in der Umgebung zu richten hätten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es auch kollektive – allgemein anerkannte – Auffassungen darüber gibt, wie die Welt sei, und damit wähnt man sich als Sandburgenbesitzer in zusätzlicher Sicherheit. Weil andere über ähnliche Sandburgen verfügen, gehen wir davon aus, dass die ‚Sandburgenwelt‘ die wirkliche Welt ist, und solange keine große Welle kommt, können wir auch problemlos daran glauben.

Was wir sehen, ist im Grunde eine Welt von Fußabdrücken – seien es unsere eigenen, oder diejenigen von Christus oder Buddha. Doch selbst eine solche Sichtweise basiert lediglich auf unseren Vorstellungen von uns selbst und von den Religionsgründern. Auch diese Ansichten sind nur Spuren im Sand. Wir haben sie selbst gemacht – als Kollektiv oder als Individuen – und sie werden wieder verschwinden – als Religion oder als persönlicher Glaube. Die Unfassbarkeit, worauf die Religionen letztlich ja verweisen, mag in unserem Vergleich der Sand sein, der sich nicht darum kümmert, welche Spuren zeitweilig darauf erscheinen. Und selbst um unsere Sandburgen kümmert der Sand sich nicht. Die großen Glaubenssysteme – was haben sie schon mit der Tatsächlichkeit unserer Welt zu tun?

Hier soll es aber nicht um Religionskritik gehen, sondern einfach um die relative Bedeutung unserer Auffassungen von der Welt und von uns selbst. Wofür wir die Welt und uns selber halten, entspricht – wie gesagt – lediglich Vorstellungen und Meinungen. Sind wir gar auf einer vermeintlichen ‚Suche nach uns selbst‘, so geht es auch hier meist einfach darum, neue ‚passendere‘ Vorstellungen zu entwickeln. In unserem Vergleich ginge es dabei um Umbauten der Sandburg, ohne dass diese selbst – unser Selbstverständnis – wirklich in Frage gestellt würde. So können wir uns gut mit kleineren Veränderungen arrangieren. Große Wellen sind dabei allerdings unerwünscht, weil sie unsere Vorstellungswelt gesamthaft tangieren oder diese gar zum Einsturz bringen können. Das kann als psychologische Krise erscheinen, und Therapeuten werden sich in diesem Fall bemühen, das alte Weltbild wieder herzustellen und wo notwendig Korrekturen vorzunehmen. Das hieße, einen Wiederaufbau der arg beschädigten oder gar weggeschwemmten Sandburg zu versuchen. Viele mögen damit glücklich werden. Zumindest aber überleben sie die große Krise als Person. Mit einer angepassten Identität sind sie ‚wieder da‘.

Einigen geschieht es aber, dass sie den unstabilen Charakter jeder Sandburg erkennen, und dass es keinen Rückweg zu einer neuen Sandburg mehr gibt. Sie werden gar nicht versuchen, wieder eine neuen Burg aufzubauen, sondern erkennen, dass ihr Wesen nicht die Sandburg ist, sondern der Sand selbst – und ebenso das Wasser, das die Burg weggeschwemmt hat. Bedeutend ist dann nicht mehr der Verlust der bisherigen Identität, sondern vielmehr die Sicht auf das große weite ‚Sand-und-Wasser-Land‘, und vor allem die Erkenntnis, dass wir selber dieses sind. In solcher Sichtweise erscheint sogar die komfortabelste Sandburg als eng. Weder Sand noch Wasser stellen sich vor, dass sie gerne eine Sandburg wären oder diese zunichtemachen wollten. Und doch – das Wasser kann letzteres tun, nicht aber der Sandburgenbesitzer. Niemand möchte sein Werk selber zerstören, aber vielleicht zerfällt es einfach – sogar ohne große Welle. Dies mag Menschen geschehen, welche sich auf der Suche nach etwas ‚ganz anderem‘ befinden – einem freien Leben ohne die Enge von Sandburgen – wovon sie zum Voraus aber keine Vorstellung haben können. Ein bewusster Verzicht auf die schützende Sandburg der eigenen Vorstellungen und damit der eigenen Identität kann dabei nur schwerlich erfolgen, doch ist der Sandboden schon etwas unstabil, mag sogar eine kleine Welle genügen, um die Sandburg ernsthaft zu beschädigen. Dabei kann sich plötzlich zeigen, dass wir selber der Sand sind, und wir selber das Wasser.

Sein und Nicht-Sein

Im Kern beschäftigt sich Buddhas Lehre mit dem Leiden des Menschen und seiner Überwindung. Das ist zumindest der Ausgangspunkt der Darlegungen, wie sie übermittelt werden. Die Hauptaussage ist dabei, dass das Leiden seinen Grund in unseren Anhaftungen hat, und Buddha empfiehlt deshalb, alle Anhaftungen aufzugeben (in den ‚vier edlen Wahrheiten). Weil wir an so vielen Dingen hängen, sind wir unfrei, und dies zieht unweigerlich Leiden nach sich. Es geht also nicht um Schmerz, der jederzeit auftreten kann, sondern um das psychisch bedingte Leiden, das in der Folge unserer Einstellungen auftritt. Nach der tradierten Lehre weist Buddha auch gleich den Weg zur Aufhebung des Leidens (der ‚achtfache Pfad‘) und appelliert an das Verhalten in den Bereichen Sittlichkeit, Bemühen und Weisheit.

Etwas speziell mutet der Umstand an, dass Empfehlungen abgegeben werden, wo Buddha an anderer Stelle doch sagt, dass alle Lehren aufgegeben werden müssen (Diamant-Sutra) – ‚ganz zu schweigen von den Nicht-Lehren‘. Damit wird auf eine tiefere Weisheit verwiesen, was Buddha auch direkt ausdrückt: ‚Ich lehre immer die Leerheit, die Ewigkeitsdenken und Nihilismus übersteigt‘ (Lankavatara-Sutra). Indem einerseits etwas vermittelt wird und andererseits nichts zu vermitteln ist, wird eine Grundthematik des Buddhismus und auch anderer Weisheitslehren angesprochen. Wovon gesprochen wird, übersteigt jede Kategorienbildung, was sich in der doppelten Formulierung und Ausrichtung andeutet.

Es war aber auch niemand von uns dabei, als Buddha seine Lehren verkündete, und es ist nicht ausgeschlossen, dass sich die späteren Schriften an einem dualistischen Verstand orientierten, der gerade überwunden werden sollte. Scheinbar wird etwas gelehrt, doch hat dies keinen wirklichen Inhalt, und genau darum geht es. Diese Doppeldeutigkeit betrifft nun auch uns selbst und unsere Vorstellung von der eigenen Existenz. Im Grunde sind die Begriffe Sein und Nicht-Sein künstliche Unterscheidungen innerhalb von etwas Unbeschreiblichem. Ein alter chinesischer Zen-Meister sagte: ‚Sein ist nichts anderes als Nicht-sein, Nichtsein nichts anderes als Sein‘ (Seng t’san). Unsere Vorstellung zu existieren ist damit nur eine Idee, denn dazu gibt es kein Gegenstück. Existieren und Nicht-Existieren sind Begriffe, die sich gegenseitig aufheben, und was bleibt, liegt jenseits solcher Zuordnungen. Ein anderer Meister (Yoka Daishi) sagte: ‚Ist beides, Sein und Nicht-Sein, zur Seite gelegt, ist selbst die Nicht-Leere leer.‘ Im Buddhismus spielt der Begriff der Leere eine bedeutende Rolle. Alle Erscheinungen werden zugleich als ‚leer‘ bezeichnet. Hier haben wir es wieder mit den beiden Seiten der Welt in ihrer Erscheinung und gleichzeitigen Unfassbarkeit zu tun, wobei beides nicht voneinander getrennt werden kann. In der Aussage, dass etwas existiere und zugleich nicht existiere, liegt zugleich ihre eigene Überwindung.

Ohne hier weiter ins Detail zu gehen, kann gesagt werden, dass unsere Welt und auch wir selbst letztlich nicht in Begriffe gefasst werden können. So gesehen existieren auch wir nur in unserer Vorstellung als getrennte Wesen. Alle Aussagen, die wir über uns selbst und die Welt machen, erfolgen in Begriffen, die keinen wirklichen Inhalt aufweisen. Manche meinen, dass man sich ‚auf die Leere einlassen‘ sollte, doch ist dies ein Trugschluss, denn die Leere ist allen Erscheinungen und uns selbst inhärent, und es kann daher nicht damit umgegangen werden. Letztlich ist aber auch diese Formulierung nur ein Behelf.