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Maria oder Fatima ist eine Erzählung von Karl May. Auszug: Wir, nämlich ich und mein treuer, langjähriger Begleiter, Hadschi Halef Omar, hatten die zwischen dem Kaspischen Meere und dem Urmia-See liegende Gegend durchstreift und waren dann über die türkische Grenze nach Rowandiz gekommen, um von da aus in gerader Richtung nach Amadijah zu reiten. Heute befanden wir uns im östlichen Teile des Tura-Gharagebirges und hielten auf einer kahlen Höhe, von welcher aus wir die Sonne untergehen sahen. Es war ziemlich kalt, denn wir befanden uns im Anfange des Oktobers, welcher zwischen jenen düstern, wald- und wasserreichen Bergen rauh aufzutreten pflegt.
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Seitenzahl: 52
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Wir, nämlich ich und mein treuer, langjähriger Begleiter, Hadschi Halef Omar, hatten die zwischen dem Kaspischen Meere und dem Urmia-See liegende Gegend durchstreift und waren dann über die türkische Grenze nach Rowandiz gekommen, um von da aus in gerader Richtung nach Amadijah zu reiten. Heute befanden wir uns im östlichen Teile des Tura-Gharagebirges und hielten auf einer kahlen Höhe, von welcher aus wir die Sonne untergehen sahen. Es war ziemlich kalt, denn wir befanden uns im Anfange des Oktobers, welcher zwischen jenen düstern, wald- und wasserreichen Bergen rauh aufzutreten pflegt.
Es hat bis heute wenige Europäer gegeben, von denen man sagen kann, daß sie den Mut besaßen, bis zu dem Tura-Gharagebirge vorzudringen. Die Kurden, welche es bewohnen, sind die bigottesten Muhammedaner, die man sich denken kann, räuberisch gegen jedermann und grausam gegen Andersgläubige. Wir beide jedoch waren wohlbewaffnet, hatten Erfahrungen genug, und da ich ihrer Sprache in den zwei Hauptdialekten mächtig war, durften wir hoffen, heiler Haut davonzukommen.
Die Sonne hatte den Gipfel des gegenüberliegenden Berges erreicht und senkte ihre Strahlenaureole langsam hinter denselben hinab, den Himmel mit glühenden Scheidegrüßen überzuckend. Es war ein Anblick, welcher zum Gebete stimmte. Ich dachte an das Ave-Läuten der Heimat und faltete die Hände. Halef that dasselbe, er, der, als ich ihn kennen lernte, ein so enragierter Moslem gewesen war und sich alle Mühe gegeben hatte, mich zu seinem Glauben zu bekehren.
Da klang aus der Tiefe ein Ton, welcher mich erstaunt aufhorchen ließ. Es war die leise, aber doch vernehmbare Silberstimme eines Glöckchens, und kaum ließ sie sich vernehmen, so hörten wir in unserer Nähe eine andere, lautere Stimme:
»Sallam ya Marryam; maljam et taufik!«
Dies heißt zu deutsch: »Gegrüßt seist du, Maria, voll der Gnade!«
Das war ja der Anfang des Ave Maria, des englischen Grußes, an den ich soeben gedacht hatte! Er wurde in arabischer Sprache vollständig gebetet, bis es zum drittenmal erklang»Hallak wa fi Sah'a el motina – jetzt und in der Stunde unseres Todes!«
Ich möchte fast sagen: ich war starr vor Überraschung. Dieses christliche Gebet hier, wo ich ausschließlich Muhammedaner wußte, und dazu in einer arabischen Mundart, weiche von anderwärts stammte! Meinem wackern Halef erging es ebenso. Er sagte, als der Beter geendet hatte:
»Hast du es gehört, Sihdi? Das war das Sala issai' jidi – das Gebet der heiligen Jungfrau. Das ist ein Wunder hier! Wer mag es gesprochen haben?«
»Werden es gleich erfahren,« antwortete ich, indem ich meinen Rapphengst nach der Gegend lenkte, in welcher die Stimme erklungen war. Dort war ein großer Felsblock. Auf der nach Westen gerichteten Seite desselben, so daß er den Sonnenuntergang hatte sehen können, kniete der Beter, ein ärmlich gekleideter Greis, den Rosenkranz noch immer in den gefalteten Händen. Sein Anzug bestand aus einem kurzen Hemde und einer Hose, beides aus dünner, blauer Leinwand; die Füße waren nackt, und auch der Kopf hatte keine Bedeckung, Das silberweiße Haar hing ihm lang über den Nacken herab, und von derselben ehrwürdigen Farbe war auch der Bart, welcher ihm bis auf die Brust reichte. Als er mich und Halef sah, sprang er erschrocken auf, so schnell es ihm sein hohes Alter erlaubte, und rief in flehendem Tone:
»Aman, aman, ya salatia – Gnade, Gnade, ihr Herren! Schont eines alten Mannes, der schon am Grabe steht!«
Ich reichte ihm die Hand vom Pferde herab und antwortete:
»Fürchte dich nicht, o Vater. Die Stelle, an welcher einer betet, müßte selbst dem schlimmsten Kurden heilig sein, und ich bin weder ein Kurde noch ein Perser, Araber oder Türke, sondern ein gläubiger Christ aus dem Abendlande.«
»Ein Christ – – ein Christ – – aus dem Abendlande!« wiederholte er, indem seine Augen sich groß und glänzend auf mich richteten. »Ist das wahr, o Herr? Täuschest du mich nicht?«
Halef nahm gern jede Gelegenheit wahr, mein Lob zu verkünden, und versäumte dabei nicht, auch das seinige mit hören zu lassen; darum antwortete er schnell an meiner Stelle:
»Du darfst es glauben. Dieser berühmte Hadschi Kara Ben Nemsi Emir ist ein großer Krieger und Gelehrter aus Germanistan. Er kennt die Namen, Sprachen und Gebete aller Länder und Völker, ist Meister in allen Wissenschaften und Künsten und hat bisher alle seine Feinde besiegt. Wir haben den Panther und den Löwen getötet und ganze Stämme der Kurden und Beduinen überwunden. Kein Feind kann uns beiden widerstehen. Wir bekämpfen jeden bösen und beschützen jeden guten Menschen. Wir haben gesehen und gehört, wie fromm und brav du bist. Sage uns, ob du einen Feind besitzest! Wir werden sofort zu ihm reiten und ihn niederschlagen!«
Das klang sehr großsprecherisch; aber der Morgenländer liebt es nun einmal, sich in dieser Weise auszudrücken, und mein guter Halef war wirklich ein verwegenes, tapferes Kerlchen, hatte noch nie einem Feinde den Rücken gekehrt und durfte sich schon so eine kleine Überschwenglichkeit erlauben. Der Greis blickte von mir zu ihm und dann wieder von ihm zu mir herüber und sagte in freudigem Tone:
»O, solche Helfer brauchten wir grad' jetzt gar wohl. Am meisten aber freut es Mich, daß du, o Emir, ein Christ aus dem Abendlande bist. Ich habe gehört, daß dort die Christen viel, viel mächtiger sind als hier, wo wir uns verbergen müssen. Sei so gnädig, mir zu sagen, wohin du heute noch reiten wolltest!«
»Wir wollten bis morgen früh im Walde lagern, doch scheinen Leute hier zu wohnen?«
»Ja. Wir sind Verfolgte, Christen und Schiiten, und haben hier im Verborgenen ein Dorf errichtet, um unangefochten leben zu können. Wenn ihr bei uns bleiben wolltet, so würden wir euern Eingang segnen.«
»Wir bleiben bei euch; führe uns!«
Da ergriff er meine Hand wieder und rief entzückt aus:
»Herr, ich danke dir! Du bringst große Freude in unsere Hütten. Aber, sage mir, willst du bei uns Christen oder bei den Schiiten wohnen?«
»Ist das nicht gleich? Kann ich nicht Gast des ganzen Dorfes sein?«
»Nein. Wir lebten in Einigkeit mit den Schiiten, haben uns aber jetzt mit ihnen fast entzweit. Sie wollen töten, wir aber beabsichtigen, List anzuwenden, weil wir als Christen uns scheuen, Blut zu vergießen.«
»Wessen Blut?«