Matti & Brian 4: Nur ein Versteckspiel - Matti Laaksonen - E-Book

Matti & Brian 4: Nur ein Versteckspiel E-Book

Matti Laaksonen

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Beschreibung

*** Neuauflage von Februar 2022*** Die Ferien sind vorbei und der Internatsalltag stellt Matti vor ein Problem: Daniel. Wieso ist sein Kumpel nur so ausgeflippt? Er sieht ihre Freundschaft daran zerbrechen, denn alle Versuche, mit ihm zu reden, scheitern. Als die Situation zu eskalieren droht, gerät Matti an seine Grenzen. Doch Brian steht an seiner Seite und hilft ihm, einen enormen Schritt zu wagen.

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MATTI LAAKSONEN

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

ROMAN

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

2. überarbeitete Neuauflage 2022

Copyright ©2020 Matti Laaksonen

E-Mail: [email protected]

Herausgegeben von:

Matti Laaksonen

c/o skriptspektor e.

U.Robert-Preußler-Straße 13 / TOP

15020 SalzburgAT – Österreich

Covergestaltung unter Verwendung folgender Bildmaterialien:Creativeqube Design von creativemarket.com

Alle Rechte vorbehalten.

Nachdrucke, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors. Personen und Handlungen sind frei erfunden, etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Menschen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Markennamen sowie Warenzeichen, die in diesem Buch verwendet werden, sind Eigentum der rechtmäßigen Besitzer.

 

 

Content Notes

In diesem Buch werden sensible Themen behandelt, die für manche Personen triggernd sein können. Deswegen habe ich mich an dieser Stelle dafür entschieden, eine Triggerwarnung auszusprechen, trotz der Gefahr zu spoilern. Diese gilt vor allem für das Kapitel: »Tag 70: Vergangenheit«.

Es geht um die Gründe für Mattis selbstverletzendes Verhalten, seine emotionale Instabilität, sowie Mobbing und Ausgrenzung nach seinem Coming Out. Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und wird auf meiner Website (www.mattilaaksonen.de) regelmäßig aktualisiert.

 

Hinweis: Ich habe die Themen möglichst sensibel aufgearbeitet und einen Großteil an eigenen Erfahrungen beigefügt.

 

Falls du dich in einer Situation befindest, in der du nicht mehr weiterweißt, dann gibt es verschiedene Anlaufstellen:

 

https://www.deutsche-depressionshilfe.de/start

Telefonseelsorge: 0800 – 111000111

 

Es ist okay, sich Hilfe zu suchen und kein Zeichen von Schwäche. Und es ist okay, nicht okay zu sein.

Inhalt

RÜCKBLICK

TAG 66: RAUSWURF

TAG 69: EIFERSUCHT

TAG 70: VERGANGENHEIT

TAG 73: LINLIE

TAG 75: ABLENKUNG

TAG 77: KONFRONTATION

TAG 78: KOSENAMEN

TAG 79: VORBEI

TAG 81: MÄDCHEN

TAG 84: FREUNDE

TAG 90: BIENEN IM MAGEN

TAG 91: FISCHE IM WASSER

TAG 92: NAIV

TAG 93: PETZE

DANKE

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

He ovat kuin paita ja peppu.

Finnisches Sprichwort

 

 

 

 

Daniel hatte sie entdeckt. Und er hatte keine erfreuten Luftsprünge gemacht, als er ihn und Brian halbnackt knutschend im Bett vorgefunden hatte. Aus seinem Blick hatte viel mehr das Entsetzen gesprochen. Und noch schlimmer: Wut und Ekel.

Die Tür fiel heftig ins Schloss und holte Matti aus der Schockstarre, in die er gefallen war, nachdem sein Kumpel so plötzlich mitten im Zimmer gestanden hatte, heraus.

»Daniel!«, rief Matti ihm unsinnigerweise nach. Er war doch schon längst verschwunden. »Scheiße!«, fluchte er und drückte den überrumpelten Brian etwas zu heftig von sich, sodass er mit einem Keuchen auf den harten Boden aufschlug.

»Sorry«, entschuldigte sich Matti und griff sich seine Hose. Die Erregung war verpufft und jetzt herrschte nur noch die Bestürzung über die heftige Reaktion seines Kumpels. Matti strampelte sich das Hosenbein über und wäre beinahe umgefallen. Er hüpfte durch den Raum, um sich auf den Beinen zu halten, während er auch das zweite überstreifte.

»Das klärt sich bestimmt «, versuchte Brian, Matti zu beruhigen, aber es brachte nichts. Mattis Herz polterte und ein Zittern ging durch ihn durch.

Diesen Blick kannte er, er wollte ihn aber nicht bei Daniel oder einem seiner anderen Freunde sehen müssen. Das war es doch gewesen, was er die ganze Zeit befürchtet hatte!

Mattis Hals schnürte sich zu und ihm wurde übel. »Ich gehe zu ihm«, sagte er und lief los, bevor Brian überhaupt aufgestanden war und seine Hose in der Hand hatte.

Er musste mit Daniel sprechen. Er musste klären, was da eben passiert war und wieso er so reagiert hatte. Und vor allem wollte Matti, dass er seine Klappe hielt, falls er doch etwas dagegen hatte. Das musste er um jeden Preis verhindern. Wer wusste schon, was los wäre, wenn es so schnell herauskäme, dass das Gerücht, er und Brian seien ein Paar, eben doch keines war.

Abgehetzt und nach Luft ringend kam er vor Daniels Zimmer an und klopfte. »Darf ich bitte reinkommen?«, fragte er durch die geschlossene Tür hindurch.

Daniel öffnete sie schwungvoll und musterte ihn mit einem Ausdruck in den Augen, der einen kalten Schauer über Mattis Rücken jagte. Diese Abscheu in den Augen eines Freundes zu sehen, war zu viel. Als hätte er eine ansteckende, tödliche Krankheit. Es tat weh und sein Herz rutschte ihm in die Hose. Er schluckte hart gegen den Kloß in seinem Hals an, der immer größer zu werden schien.

»Was willst du?«, zischte Daniel und stand mit einem möglichst großen Abstand zu ihm hinter der Tür, die er halb geschlossen hielt, bereit, sie jederzeit wieder vor Mattis Nase zuzuknallen.

»Ich denke, wir sollten darüber reden, was du gerade gesehen hast«, flüsterte Matti und nestelte an seinem Ärmelsaum. Er wagte nicht, den Blick zu heben und erneut in Daniels vor Ekel zerfressenes Gesicht zu schauen. Und so richtig wusste er auch gar nicht, was er sagen sollte. Ein solches Gespräch hatte er noch nie geführt.

»Nein. Lass mich in Ruhe.« Jetzt war es so weit und Daniel schlug die Tür mit einem lauten Knall zu.

Matti zog erschrocken den Kopf zwischen die Schultern. Er klopfte erneut, doch nichts geschah. Paska! »Bitte sag es niemandem, ja?«, bat er durch das Holz hindurch, bekam aber keine Antwort.

Warum auch? Er will nichts mehr mit mir zu tun haben.

Niedergeschlagen schlurfte er zurück, die Schultern hingen tief und seine Glieder wurden ihm schwer. Wieder einmal hatte sich bestätigt, dass auf etwas Gutes stets etwas Schlechtes folgte. Wie schon so häufig in seinem Leben. Es würde wohl niemals besser werden. Ein Teufelskreis.

Im Zimmer angekommen, ließ er sich kraftlos auf die Matratze fallen. Vom Schreibtisch her musterte Brian ihn mit erhobenen Augenbrauen, setzte sich aber auf die Kante des Bettes.

»Perkele!«, fluchte Matti und boxte gegen das Kissen.

Brian streichelte ihm sanft die Schulter. »Was hat er gesagt?«, fragte er so leise, dass Matti das Zittern seiner Stimme fast nicht bemerkt hätte.

Er berichtete von Daniels Reaktion und der Abneigung in dessen Blick, drehte sich aber nicht mal um, starrte stur an die Wand neben dem Bett.

»Das ist vielleicht nur der erste Schreck« Brian streichelte über Mattis Kopf, aber diesmal ging von dieser Berührung keine beruhigende Wirkung aus. Matti war traurig und stürzte in die Schwermut, wie in einen düsteren Abgrund. Daniel und er waren vorher gute Freunde und Bandkollegen gewesen. Wenn selbst er so darauf reagierte, dann wollte er nicht wissen, wie es werden würde, wenn Leute davon erfuhren, die ihn nicht leiden konnten. Das wäre ein gefundenes Fressen für Haruto und seine Mitläufer.

Traurigerweise war es für ihn nicht das erste Mal, er würde damit schon leben können, aber bei Brian war er sich nicht sicher. Er hatte einen solchen Spießrutenlauf doch noch nie erlebt.

Er warf ihm einen vorsichtigen Blick zu. Brian wirkte zerknirscht. Seine Augen hatten sich sorgenvoll getrübt, er knabberte auf seiner Unterlippe herum und er hatte die Hände zusammengelegt und presste sie gegen das Gesicht, als wäre er im Gebet vertieft. Diese Haltung ließ Matti schlucken.

Ich hoffe, dass Daniel es nicht weitererzählt.

Es war die einzige Hoffnung, an die er sich klammern konnte.

Wieder standen sie gemeinsam auf und gingen gemeinsam duschen, doch diesmal mit einem bitteren Beigeschmack. Matti hatte einfach keine Ahnung, wie sich Daniel verhalten würde. Den gestrigen Tag hatte er die beiden einfach ignoriert und keines Blickes gewürdigt. Aber Matti hatte Angst, dass er ihnen eine Szene vor versammelter Klasse machte oder es bereits das halbe Internat wüsste, wenn sie die Kantine betraten. Selbst die sanften Streicheleinheiten Brians, konnten ihn nicht beruhigen oder von den wirbelnden Gedanken ablenken.

Sie sprachen kaum ein Wort miteinander, während sie nebeneinander über den Flur schritten. Und Matti hatte das Gefühl, dass selbst Brian nervöser wurde, je näher sie dem Geschehen kamen. Sein Blick ging unruhig hin und her und von einem Lächeln war keine Spur zu sehen. Stattdessen wirkte sein Gesicht wie eine steinerne Maske.

Matti schluckte die Beklemmung so gut es ging hinunter. Brian hatte noch großspurig erklärt, dass er nichts dagegen habe, wenn es jeder erfahren würde, dass sie ein Paar waren. Vielleicht war er sich dessen nun doch nicht mehr so sicher. Mattis Brust zog sich zusammen, als er daran dachte.

Hoffentlich macht uns das nicht alles kaputt.

Matti zupfte sich den plötzlich viel zu eng erscheinenden Hemdkragen zurecht, als sie sich an einen Tisch gesetzt hatten. Immerhin hatte sie niemand bemerkt.

»Guten Morgen Brian. Hallo Matti.« Alice setzte sich kurze Zeit später zwischen sie. Sasuke war bei ihr und setzte sich auf die andere Seite des Tisches. Er brummte unzufrieden und musterte sie beide wie immer mit einem wachsamen Blick.

Alice plapperte los, wie ein Wasserfall sprach sie auf alle ein. »Ach, ich habe gar keine Lust auf den Unterricht. Ich bin noch immer voll in Ferienlaune. Das nervt richtig, findet ihr nicht auch?«

Matti erinnerte sich wieder daran, dass sie vor den Ferien gesagt hatte, dass sie nichts dagegen habe, wenn er und Brian tatsächlich ein Paar seien. Innerlich schmunzelte er, als sie das gesagt hatte, war das noch so unendlich weit entfernt gewesen und alles nur ein dummes Gerücht, das die Runde gemacht hatte. Und jetzt? Sie waren tatsächlich ein Paar. Es glomm ein wenig Hoffnung in ihm auf.

Das Gerücht hat doch schon die Runde gemacht. Es wird sich doch nichts ändern. Oder?

Die Reaktion von Daniel erinnerte ihn daran, dass sich womöglich doch einiges ändern konnte, sobald das Gerücht zur Wahrheit wurde.

Brian nickte verständnisvoll. »Ja, ich hätte auch lieber noch ein paar Tage frei.« Er warf dabei einen verstohlenen Blick zu Matti und lächelte ihn schüchtern an. Doch es zupfte noch etwas an diesem Lächeln, das es für Matti ein wenig melancholisch wirken ließ.

Matti hörte Alice nicht weiter zu. Er konnte sich nicht auf die gesprochenen Worte konzentrieren, während ihm alle möglichen Hirngespinste durch den Kopf wirbelten. Stattdessen suchte er die mit Schülern vollgestopfte Kantine nach Daniel ab. Es glich einem Wimmelbild, ihn in der Masse an gleichen Uniformen auszumachen. Aber dann entdeckte Matti ihn. Er saß allein an einem Tisch, mit dem Rücken zu ihm. Das wäre die Gelegenheit, ihn anzusprechen.

Dieses Ding musste aus der Welt geschafft werden, also stand er auf. »Ich gehe eben zu Daniel«, entschuldigte er sich. Brians Blick und das besorgte »Matti« ignorierte er. Er war ja selbst von sich überrascht, dass er den Mut fand, mit Daniel reden zu wollen. Noch dazu in der vollen Kantine, wo jeder mitbekam, wenn sie sich stritten. Vielleicht sogar worüber. Aber ihm war die Sache zu wichtig. Daniel war ihm zu wichtig. Und Brian.

Langsam schlich er an den Tisch, näherte sich von hinten, damit Daniel nicht flüchten konnte, sobald er ihn sah. Als wäre er ein Hase, der bei einer falschen Bewegung hakenschlagend die Flucht ergriff.

Direkt hinter ihm stehend räusperte Matti sich. »Daniel?«

Sein ehemaliger Kumpel sah ihn mit einem Blick an, der Mattis Kehle zuschnürte. »Was ist?«, fragte er genervt.

»Ich will mit dir reden«, krächzte er.

»Ich aber nicht mit dir.« Daniel stand ruckartig auf, sodass der Stuhl bedrohlich weit nach hinten kippte. Bevor er jedoch umfiel, fing er ihn geschickt mit dem Fuß auf. »Lass mich einfach in Ruhe.« Er machte den ersten Schritt weg von ihm, dann drehte er sich aber doch noch einmal um. »Und lass dich nicht mehr in meiner Band blicken.« Ohne Matti eines weiteren Blickes zu würdigen oder ihm weitere Erklärungen zu geben, ließ er ihn stehen.

Matti starrte ihm mit offenem Mund hinterher.

Ist das sein Ernst?

Er hatte ihn aus der Band geworfen.

Ihm wurde heiß und kalt. Seine Hände zitterten und er presste sie aufeinander, um es zu unterdrücken, seine Kehle wurde trocken und er schluckte dagegen an. Sein Herz pumpte wild und ein eigenartiges Kribbeln strömte durch seinen Körper. Das geschäftige Treiben in der Kantine wurde zu einem Hintergrundrauschen, das er nicht mehr richtig wahrnahm.

Er gaffte Daniel hinterher, bis er aus der großen Schwenktür verschwunden war. Am liebsten wäre Matti in Tränen ausgebrochen, aber das durfte er nicht. Nicht hier. Er schluckte die Tränen hinunter und hörte ein merkwürdiges Fiepen, das von ihm zu kommen schien. Mit dem Handrücken fuhr er sich fahrig über die brennenden Augen.

Nicht heulen!

Er presste die bebenden Lippen aufeinander und taumelte mit wackligen Knien aus dem Speisesaal, dabei rempelte er gegen einige Mitschüler, ignorierte aber ihre bösen Sprüche und Flüche. Sie waren ihm im Moment egal. Alles war ihm egal.

Brian fing ihn vor der Kantine ab. Er schob die Augenbrauen sorgenvoll zusammen, als er Matti entdeckte. »Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen. Ist alles okay? Was hat Daniel gesagt?«

Matti konnte nicht antworten und drückte sich an ihm vorbei.

»Du hattest keinen Erfolg?«

Niedergeschlagen schüttelte er den Kopf.

»Shit!« Brian raufte sich die Haare, sah ihn wieder an. »Aber er hat es anscheinend nicht weitererzählt, das ist doch schon mal ein gutes Zeichen, oder? Vielleicht braucht er nur seine Zeit, oder –«

»Er hat mich aus der Band geworfen«, unterbrach Matti ihn leise. Wie eine klebrige Masse kamen ihm die Worte über die Lippen und hinterließen einen faden Geschmack auf der Zunge.

»Was?«, fragte Brian und blieb wie angewurzelt stehen. Die Mitschüler, die wegen des plötzlichen Halts vor einem Hindernis standen und an ihnen vorbeimussten, musterten sie kritisch oder warfen mit Sprüchen um sich. Einer stieß gegen Brian, aber dieser fixierte weiterhin nur Matti. »Das kann doch nicht sein Ernst sein?«

»Doch«, wisperte Matti und lief weiter. Er wollte nicht weiter über dieses Thema sprechen. Er wollte nicht weiter darüber nachdenken. Sonst würde er wahrscheinlich doch noch losflennen. Die Band war eine Art Zuhause für ihn gewesen, auch wenn sie es nur für kurze Zeit gewesen war, hatte sie ihm viel bedeutet und eine Menge gegeben.

Wie auf Watte laufend schwankte Matti die Treppe rauf.

»Matti?« Brians Stimme drang nur leise bis in seinen Verstand vor, selbst dort schien sich diese Watte ausgebreitet zu haben. »Das wird sich alles klären, ja?«

Wie oft würde Brian das wohl wiederholen, bis er einsah, dass es das nicht täte?

Matti war erschöpft. Erschöpft, wegen der ganzen Situation mit Daniel. Erschöpft, weil er die halbe Nacht wachgelegen hatte. Erschöpft, weil seine Gedanken strudelartig in den Abgrund drifteten.

Daniel hatte sich in den letzten Tagen in Schweigen gehüllt und jeden Versuch mit ihm zu reden, abgewimmelt. Matti war mit seinem Latein am Ende. Er hatte schon erlebt, wie Leute ausflippten, wenn sie herausfanden, dass er schwul war, aber das waren immer nur irgendwelche Menschen gewesen. Kein Freund. Und das tat weh. Das tat so unendlich weh! Dass er dadurch auch kein Teil der Band mehr war, verschlimmerte es. Nichts, das er bisher erlebt hatte, war je so schmerzhaft gewesen.

Und das nur, weil ich auf Männer stehe, dachte er verbittert.

 

Zu allem Überfluss fing Takahashi ihn am Nachmittag vor dem Flur zu seinem Zimmer ab. Ausgerechnet als Matti allein unterwegs war.

»Hallo Matti«, begrüßte er ihn und lächelte zaghaft.

»Hi«, nuschelte er und wollte sich an dem großen Typen vorbeidrängeln, aber er hielt ihn an der Schulter gepackt zurück.

»Ich will mit dir reden.« Wieder dieser Klang, der Matti einen kalten Schauer über den Rücken laufen ließ. Er war freundlich, aber eindringlich und ließ keine Ausreden zu. Doch heute hatte er keinen Nerv auf diesen Kerl, der so bedrohlich und gleichzeitig so eigenartig nett wirkte.

Er schüttelte die Hand ab. »Ich aber nicht mit dir«, sprach er mit zittriger Stimme und beeilte sich, schleunigst von dem Typen wegzukommen.

Zum Glück folgte er ihm nicht, trotzdem hetzte Matti in das Zimmer und verschloss die Tür mit rasendem Herzen. Was wollte er ihm überhaupt sagen? »Sorry für den Kuss, war nicht so gemeint« oder »Bock das zu wiederholen?« Matti hatte keine Ahnung und wollte es auch gar nicht wissen. Er wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben. Dieses komische Gefühl, das er die ganze Zeit in Takahashis Anwesenheit gehabt hatte, kehrte jäh zurück.

Matti schlotterten die Beine und er ließ sich auf den Boden sinken. Wieso passierte ihm das alles? Ausgerechnet jetzt, wo er endlich mal glücklich zu sein schien. Er schluchzte erbärmlich und presste sich die Hände auf das Gesicht.

Irgendwann hievte er sich auf das Bett. Er legte einen Arm über die Augen und heulte wie so oft in den letzten Tagen. Das überhaupt noch Tränen flossen, war für ihn ein Wunder. Seine Augen brannten und der Druck um seine Brust war schier unerträglich. Er konnte nur hoffen, dass Takahashi ihn in Ruhe ließ. Und er sollte sich besser an den Gedanken gewöhnen, dass Daniel kein Freund mehr war und er auch nicht mehr in der Band spielen könnte.

Nie wieder. Er schniefte trotzig. Wenn wir doch nur abgeschlossen hätten.

Er ärgerte sich am meisten darüber, dass er und Brian ihre verdammten Triebe nicht unter Kontrolle gehabt hatten. Wenn sie nicht wie geile Teenager, übereinander hergefallen wären, dann hätte Daniel sie nicht erwischt, dann hätte er nicht so reagiert, dann wäre er noch –

Es klopfte an der Tür. Das laute Geräusch schreckte ihn aus dem Gedankenwirbel und er schluckte.

Hoffentlich ist das nicht Takahashi.

Innerlich wünschte er sich inständig, dass Daniel hereinkam und sich mit ihm aussprechen wollte, aber als Mike den Kopf durch die Tür steckte, war dieses Fünkchen Hoffnung vergessen.

Er richtete sich auf und strich sich durch die vermeintlich unordentlichen Haare und über die verheulten Augen. »Hey Mike«, begrüßte er ihn nuschelnd und ließ den Kopf hängen.

Mike stutzte einen kurzen Moment und betrat das Zimmer vollständig. Mitten im Raum blieb er dann stehen und kratzte sich den Oberarm. Er schien nach den passenden Worten zu suchen. »Du, ich wollte fragen, warum du gestern nicht bei der Bandprobe warst?«, hakte er zögerlich nach und verlagerte das Gewicht von einem Bein auf das andere.

Matti seufzte und rieb sich durch das Gesicht. Hat Daniel nicht mit ihnen gesprochen? »Daniel und ich haben … eine Meinungsverschiedenheit. Er will mich momentan nicht sehen«, erklärte er zerknirscht.

Klar, Meinungsverschiedenheit. Die Untertreibung des Jahres.

Matti konnte sich nicht dazu durchringen, Mike in die Augen zu sehen.

Dieser seufzte und setzte sich neben Matti aufs Bett. Er klopfte ihm leicht auf die Schulter. »So etwas habe ich mir gedacht. Aber nachdem Daniel nicht mit der Sprache rausrücken wollte, worum es geht, dachte ich mir, dass ich dich frage.«

Matti drehte den in den Händen abgestützten Kopf zu ihm.

Daniel hat ihnen nichts gesagt. Das kleine Fünkchen Hoffnung glomm wieder in ihm auf. Vielleicht kann ich doch noch mit ihm sprechen. Und wenn er selbst ihnen nichts davon erzählt hat, dann wird er es doch auch niemandem sonst erzählen, oder?

»Du willst anscheinend auch nicht sagen, was passiert ist? Siehst du deshalb so fertig aus?« Mike wartete einen Augenblick und nickte schwach, als Matti stumm blieb. »Schön. Aber meinst du, dass ihr das klären könnt?«

Matti dachte einen Augenblick darüber nach und richtete den Blick auf seine Füße. »Das weiß ich ehrlich gesagt nicht. Aber ich hoffe es. Sehr«, antwortete er wahrheitsgemäß.

»Das hoffe ich auch. Das hoffen wir alle. Ohne dich fehlt uns jemand.« Mike klopfte ihm erneut auf die Schulter und stand mit einem Ächzen vom Bett auf. Er warf Matti noch ein schwaches Lächeln zu und verschwand. Die erdrückende Stille im Zimmer blieb.

Matti ließ sich auf die Matratze fallen und stieß sich den Kopf an dem Holzgestell. »Aua«, fluchte er laut und rieb sich die pochende Stelle. Der Schmerz strahlte vom Kopf in die Glieder. Aber gleichzeitig beruhigte er die wirbelnden Gedanken und brachte eine Erkenntnis: Ich muss noch mal versuchen, mit Daniel zu reden!

Er sprang vom Bett. Bereute die schnelle Bewegung aber sogleich. Der Raum drehte sich um ihn und bunte Flecken tanzten vor seinen Augen. Aber er ignorierte es und strauchelte zur Tür. Doch bevor er überhaupt so weit kam, stieß er erneut gegen das Bettgestell und taumelte.

Okay, ich muss kurz warten, das geht so nicht.

Er stützte sich an der Wand ab, schloss die Augen, atmete ein und aus und verharrte, bis die Schwindelattacke vorbei war. Sein Kopf pochte und sicher würde er morgen Kopfschmerzen haben.

Ich bin manchmal wirklich tollpatschig.

Nach einem letzten tiefen Atemzug stieß er sich von der Wand ab und wandte sich zur Tür. Er marschierte los.

Aber was soll ich sagen?

Bevor er darauf eine Antwort hatte, stand er schon vor Daniels Zimmer und klopfte an dessen Tür. Wie ein Automatismus, den er nicht kontrollieren konnte.

Daniel öffnete sie und schob die Augenbrauen zusammen, als er ihn erkannte. »Was willst du?«, brummte er.

»Mit dir reden.« Matti war erstaunt darüber, wie fest seine Stimme klang. Obwohl er am ganzen Leib zitterte und er noch immer keine Ahnung hatte, was er eigentlich sagen sollte.

Daniel rollte mit den Augen und wollte die Tür schließen, aber Matti stellte sich in den Rahmen und drückte sich mit seinem gesamten spärlichen Gewicht dagegen.

»Wieso reagierst du so?«, fragte er zerknirscht. All die Unsicherheit war vergangen, er wollte nur eine Antwort auf diese eine Frage. Solange er diese nicht hatte, würde er sich immer mehr Gedanken machen und Daniels Verhalten nicht verstehen. Doch das wollte er. Ihm wäre es im Moment sogar recht, wenn er ihn schlagen und anspucken würde, sagen würde, dass er nichts mit Homos zu tun haben wolle. Irgendwas. Aber dieses Schweigen machte ihn fertig.

Daniel schnalzte mit der Zunge, schubste Matti grob aus dem Türrahmen und schlug die Tür zu.

Matti stolperte ein paar Schritte rückwärts und kam erst an der gegenüberliegenden Wand zum Stehen. Dort hing das schwarz-weiß Porträt eines ehemaligen Schülers und Kriegsveteranen und blickte fast schon höhnisch auf ihn herunter.

---ENDE DER LESEPROBE---