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Nach dem Desaster in Tokio macht sich Matti schwere Vorwürfe. Brian igelt sich auch Tage danach noch ein. Erst der Alltag am Internat und die vertraute Umgebung hilft ihm, sich zu öffnen, auch wenn Matti spürt, dass vieles aus seiner Vergangenheit noch im Dunkeln liegt. Da zwischen Unterricht, Clubtreffen und einem Schulausflug nur wenig Zeit zu zweit bleibt, setzen die beiden auf etwas, das ihnen in ihrer Beziehung bisher völlig fremd war: Dates. Die Verabredungen sorgen für ein ganz neues Gefühl der Vorfreude und es könnte alles so schön sein, wäre da nicht noch ein Problem, dem Matti bisher aus dem Weg gegangen ist. Content Notes: (Diese befindet sich ausfürhlicher auf den ersten Seiten des Buchs) Homophobie Häusliche Gewalt gegnüber Kindern und Jugendlichen
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Table of Contents
TAG 217: DER BESUCH
TAG 218: 1300 KM
TAG 219: ROCKSTARS
TAG 222: DIE BILANZ
TAG 224: EINE FAMILIE
TAG 225: TATTOOS
TAG 229: ABSCHLUSSKONZERT
TAG 231: DATING MIT DEM FREUND
TAG 232: TIPPS
TAG 235: FRÜHLINGSLUFT
TAG 238: ÜBERRASCHUNG
TAG 239: DURCH PFÜTZEN
TAG 244: SCHULAUSFLUG
TAG 253: VÄTER
TAG 258: LERNENDER RIESE
TAG 259: ATTRAKTIV?
DANKE
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.dnb.de abrufbar.
© 2021 Matti Laaksonen
2. Auflage März 2022
Herausgegeben von:
Matti Laaksonen
c/o WirFinden.EsNaß und Hellie GbRKirchgasse 1965817 [email protected]
Korrektur: Andrea Hirth
Alle Rechte vorbehalten. Die Handlung und Personen in diesem Buch sind frei erfunden. Ähnlichkeiten zu realen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt
Bildnachweise:
Creativeqube Design von creativemarket.com
Illustration S. 92: Andryth Perilla (@andrymations auf Instagram)
Content Notes
An dieser Stelle möchte ich über sensible Themen sprechen, die in Band 7 aufgegriffen werden. Es geht um Queerfeindlichkeit und häusliche Gewalt gegenüber Kindern und Jugendliche. (Kapitel: Tag 217 und Tag 218). Außerdem werden auch Narben thematisiert.
Hinweis: Ich habe versucht, mich diesem Thema behutsam und mit der größten Vorsicht zu nähern, denn noch immer werden viele (queere) Kinder in der Familie zu Opfern häuslicher Gewalt und Queerfeindlichkeit. Solltest du dich in einer ähnlichen Situation befinden, nimm Hilfe in Anspruch. Es gibt Beratungsstellen und Jugendzentren. Du kannst dich auf verschiedenen Internetseiten über Anlaufstellen informieren (www. comingout.de, www.vlsp.de). Außerdem gibt es die Möglichkeit, sich telefonische Hilfe zu suchen.
Nummer gegen Kummer: 116111
Helpline des Rosa Strippe e.V.: (0234) 19 446
Inhalt
TAG 217: DER BESUCH
TAG 218: 1300 KM
TAG 219: ROCKSTARS
TAG 222: DIE BILANZ
TAG 224: EINE FAMILIE
TAG 225: TATTOOS
TAG 229: ABSCHLUSSKONZERT
TAG 231: DATING MIT DEM FREUND
TAG 232: TIPPS
TAG 235: FRÜHLINGSLUFT
TAG 238: ÜBERRASCHUNG
TAG 239: DURCH PFÜTZEN
TAG 244: SCHULAUSFLUG
TAG 253: VÄTER
TAG 258: LERNENDER RIESE
TAG 259: ATTRAKTIV?
DANKE
Aamu on iltaa viisaampi.
Matti und Brian standen vor dem Haus der Honeycutts. Brians Vater lehnte in der Tür und funkelte sie abwechselnd an. Auf seiner Stirn lag eine senkrechte Falte und eine dicke Ader pochte unterhalb des Haaransatzes. Die Kiefer mahlten aufeinander und die ersten roten Flecken zeigten sich auf seinem Hals. Für Matti hatte es den Anschein, als könnte er jeden Augenblick explodieren. Diese Stimmung waberte zwischen ihnen wie eine dunkle, zähe Masse und er hätte nur seine Hand ausstrecken brauchen, um in sie zu greifen.
»Wer ist denn –« Neben Brians Vater erschien eine Frau. Sie hatte blonde Haare, die sie zu einer Hochsteckfrisur trug. Ihr Blick blieb an Brian hängen. Für den Bruchteil einer Sekunde zeigte sich eine Regung, die Matti als Überraschung gedeutet hätte, ehe ihre Lippen einen schmalen Strich bildeten und sie die Augenbrauen zusammenzog. »Brian?«, fragte sie leise und tonlos.
»Hi Mom«, brachte der heraus und sah sie kurz an, doch sofort schoss sein Blick zurück zum Vater.
Die Anspannung wuchs mit jeder stummen Sekunde, verdichtete sich und legte sich als dicker Kloß in Mattis Hals, den er versuchte, hinunterzuschlucken. Es gelang ihm nicht. Es war seine Idee gewesen, hierherzukommen, und nun wäre er am liebsten weggerannt. Doch Brian stand tapfer vor seinen Eltern und solange er blieb, würde auch Matti bleiben und ihn stützen, wenn er taumelte.
Keiner sagte einen Ton. Als wagte niemand, diese Stille zu zerschneiden. Sie beobachteten sich, lauerten auf den nächsten Schritt des anderen, wie zwei Wölfe, die um die Rangordnung im Rudel kämpften.
Matti konnte das nicht weiter tatenlos mitansehen. Er räusperte sich und schob sich vor Brian. »Dürfen wir reinkommen, Sir?«
Herr Honeycutt blickte auf ihn herab und Matti durchfuhr ein Schauer bei der Kälte, die ihm aus den Augen entgegenblitzte. Die Augen, die Brians so sehr ähnelten, im Moment aber kein bisschen mit deren Wärme und Liebe gemeinsam hatten.
»Nein«, sagte er schroff.
»Brian, wer ist das?« Die Mutter trat neben ihren Mann und sah erst Matti dann wieder Brian fragend an. Ihre Augen glänzten in einem hellen Braun und wirkten in Kombination mit der gebräunten Haut fast schon gelblich und katzenhaft. Im Gegensatz zu Herrn Honeycutt erschien sie nicht ganz so abweisend, eher neugierig und vielleicht ein bisschen genervt. Allerdings konnte Matti das nicht mit Bestimmtheit sagen, denn in ihrem Gesicht zeigten sich keine einzige Falte oder Regung, an der er irgendetwas ausmachen konnte.
»Ach? Hat es dir James nicht erzählt?« Brian verschränkte seine Arme vor der Brust.
Matti lief der nächste Schauer über den Rücken. Die Stimme seines Freundes war eiskalt, es hätte ihn nicht gewundert, wenn er hier augenblicklich am Boden festgefroren wäre. Selbst das Lächeln, das er sonst immer auf den Lippen trug, war einer reglosen Miene gewichen.
So hatte Matti ihn noch nie erlebt. Brian war wie erstarrt und jeder Muskel in seinem Körper angespannt. Nur, wenn er ganz genau hinsah, konnte er Unsicherheit und Angst erkennen. Brian zitterte und hatte seinen Kopf zwischen die Schultern gezogen. Kampfbereit, aber genauso bereit, jederzeit fliehen zu können. Der junge Wolf, der den Alpha herausgefordert hatte.
»Was soll er mir erzählt haben?«, hakte Frau Honeycutt nach und stemmte die Hände in die Hüften. Ihre schmale Augenbraue wanderte ein kleines Stück nach oben, doch selbst jetzt zeigte sich keine Falte auf ihrer Haut.
»Unser Sohn hat sich jemanden angelacht«, erklärte der Vater monoton. »Das war der Grund, warum die Direktorin neulich mit uns sprechen wollte.«
Wieder warf die Mutter Matti einen Blick zu. Diesmal jedoch taxierender. Er fühlte sich unwohler, je länger sie vor der Tür standen und er von oben bis unten gemustert wurde.
»Entspricht nicht gerade deinem sonstigen … Umgang«, bemerkte sie kühl.
Brian schnaubte, schüttelte den Kopf und verdreht die Augen. Alles gleichzeitig.
Mattis Atem stockte. Das ganze Gespräch verlief bisher nicht so, wie er sich erhofft hatte. Wobei er gar nicht mal wusste, womit er gerechnet hatte. Dass sie sich weinend in den Armen gelegen hätten und alles vergessen gewesen wäre, sobald Brians Vater die Tür geöffnet und sie ein paar Worte miteinander gewechselt hatten?
Du hast nicht mal den blassesten Schimmer, was alles vorgefallen ist.
»Was willst du?«, fragte Herr Honeycutt noch einmal.
»Ich wollte euch Matti vorstellen. Ganz offiziell, war eine bescheuerte Idee.« Brian griff nach Mattis Hand und wollte ihn mit sich ziehen, aber Matti blieb stehen. Er war tatsächlich wie an Ort und Stelle festgefroren.
»Nein. Ich wollte mit Ihnen reden. Ich möchte, dass Sie sich aussprechen.« Mattis Herz klopfte bis zum Hals und er ballte die freie Hand zur Faust. Die Blicke, die ihn trafen, waren allesamt gleich. Schockiert und irgendwie so, als wäre er der Wahnsinn in Person.
Japp. Eine Familie.
»Können wir bitte reinkommen?«, fragte er mit Nachdruck.
Brians Vater sah einmal von links nach rechts, als würde er sichergehen wollen, dass keiner der Nachbarn mitbekam, was sich vor seiner Haustür abspielte.
Der große Mann verschränkte erneut die Arme vor seiner Brust. Das blaukarierte Hemd spannte sich dabei über die Oberarme. »Schön«, grollte er und wandte sich ab.
Frau Honeycutt blickte ihren Mann an und zog eine Augenbrauche hoch, mischte sich jedoch nicht in die Entscheidung ein.
Matti war sich nicht sicher, ob der Sinneswandel daher kam, dass er mit sich reden lassen würde oder es ihm unangenehm war, dass sie vor der Haustür wie auf dem Präsentierteller für die Nachbarschaft standen. Aber ihm sollte es erst mal recht sein. Hauptsache, sie sprachen miteinander.
Brian seufzte und zog ihn nun ins Haus, statt davon weg. Matti bemerkte, wie feucht seine Hände waren, sie zitterten sogar leicht. Er sah zu ihm und lächelte schwach, das erwiderte Brian jedoch nicht. Sein ganzes Gesicht wirkte wie eine ausdruckslose, steinerne Maske, mit der er seiner Mutter Konkurrenz machen konnte und Matti damit Angst bereitete. Auch wenn es der Situation geschuldet war, so kannte er Brian nicht. Er fand sonst immer ein aufmunterndes Lächeln, das schien aber in ferner Vergangenheit zu liegen.
Matti schluckte die Beklemmung hinunter und ließ sich in das geräumige Wohnzimmer führen, das aus einem Katalog eines Möbelhauses hätte stammen können. Es gab kaum Dekoration, keine Pflanzen, einzelne Fotos waren sehr gezielt auf den Regalbrettern platziert. Darunter ein schwarz-weiß Foto eines Ehepaars und das eines Mannes in der Uniform des US-Militärs. Kein einziges von Brian. Wenn Matti da an die ganzen Fotos bei seinen Eltern dachte: er mit Schultüte, im ersten Urlaub, das erste Mal ohne Stützräder auf dem Fahrrad, mit Aki im Sandkasten. Und dass, obwohl sie nicht einmal viele Fotos von ihm hatten. Es tauchten doch immer mal wieder welche auf.
Brians Vater ließ sich auf einen Ledersessel fallen, der unter ihm knarzte. Seine Frau nahm mit der Armlehne vorlieb und deutete auf das Ledersofa gegenüber.
Vorsichtig setzte sich Matti, während sich Brian unwirsch darauf plumpsen ließ. Das Leder war steif und das eingeprägte Rautenmuster drückte sich unangenehm in seinen Hintern. Das war keine Couch, auf der er sich vorstellen konnte, einen gemütlichen Fernsehabend zu verbringen.
»Also?«, brummte Herr Honeycutt.
Weil Brian keine Anstalten machte, irgendetwas von sich zu geben, räusperte sich Matti. Der dicke Klumpen in seinem Hals war noch immer da und er hätte gern mit einem Glas Wasser dagegengehalten, doch ihm wurde kein Getränk angeboten. »Ich würde wollen, dass Sie miteinander reden, über die ganze Situation.« Seine Stimme klang selbst in seinen Ohren erbärmlich krächzend, zu mehr war er jedoch nicht in der Lage. Nicht mit einem solch trockenen Hals und einem Shirtkragen, der ihn zu erdrosseln schien.
Herr Honeycutt gab ein verächtliches Schnauben von sich. »Reden? Darüber, dass mein Sohn eine Schande ist?«
Matti spürte, dass sich Brians Hand verkrampfte. Selbst ihm taten diese Worte weh, die der Mann völlig unbedarft und emotionslos aussprach.
Brian sah seinen Vater nicht an, sondern fixierte einen Punkt auf dem Glastisch, auf dem ein Hochglanzmagazin lag. Irgendetwas über Autos, wenn er nach dem Titelbild ging.
»Brian ist keine Schande«, flüsterte Matti.
»Was willst du von diesem Knirps, Brian?« Diesmal wandte sich Herr Honeycutt direkt an seinen Sohn und starrte ihn an.
»Matti und ich sind zusammen, Dad. Wir lieben uns.« Brian klang überzeugt von seinen Worten, zwar leise, aber fest. Es schwang keine Unsicherheit darin mit. Es war keine Erklärung, sondern eine Feststellung, die er seinem Vater um die Ohren warf. Vollendete Tatsachen.
»Lieben?« Der Mann lachte freudlos auf. »Du hast keine Ahnung, was das bedeutet.« Nun nagelte er Matti mit seinem eiskalten Blick fest. »Kleiner Tipp für dich Bursche: Mein Sohn hat sich nie viel aus Beziehungen gemacht –«
»Dad«, zischte Brian.
»– er hat sich jedes Wochenende einen anderen Kerl angelacht. Du bist nur eine weitere Nummer auf seiner perversen Liste.«
»Dad!« Brian sprang auf und funkelte seinen Vater zornig an. Seine Hände hatte er zu Fäusten geballt. »Hör auf damit!«, brachte er zwischen zusammengepressten Zähnen heraus.
Sie starrten sich an. Wieder fiel Matti der Vergleich mit den Wölfen ein. Wenn das so weiterginge, dann würden sie sich tatsächlich gegenseitig an die Gurgel gehen. Brians Mutter hielt sich zurück und beobachtete die beiden mit einem merkwürdig gelassenen, gleichgültigen Gesichtsausdruck, der Matti nicht weniger schockierte. Als wäre sie daran gewöhnt, dass sie sich so fetzten. Vielleicht sogar Schlimmeres gewöhnt war.
So wie sich Brian und sein Vater gegenseitig mit Blicken erdolchten, war klar, dass da mehr zwischen ihnen lag, als sich Matti je hätte vorstellen können. Ihm kam seine Idee nun doch furchtbar dumm vor und hasste sich dafür, dass er Brian in diese beschissene Situation gebracht hatte. Er hätte auf ihn hören sollen. Er hätte ihn nicht überreden dürfen.
Matti fühlte den Schweiß auf seiner Haut und wie das Shirt am Rücken festklebte.
Herr Honeycutt erhob sich langsam und schritt auf Brian zu, bis kaum mehr ein Blatt Papier zwischen sie passte. »Was soll das mit dem Knirps werden, hm? Ist dir langweilig? Oder ist er reich?« Er bedachte Matti mit einem taxierenden Blick, als würde er herausfinden wollen, was Brian in ihm sah.
»Halt ihn da raus«, grollte Brian.
Matti sah, wie angespannt er war, die geballten Fäuste zitterten und seine Kiefer pressten sich aufeinander. Es würde nicht mehr lang dauern, bis ihm eine Sicherung durchbrennt.
»Soll er nicht erfahren, mit welchen Typen du dich sonst abgegeben hast? Soll er nicht erfahren, dass du mich zum Gespött der Nachbarn gemacht hast, wenn du mal wieder betrunken mit einem Kerl in der Einfahrt rumgemacht hast? Wie viele es waren?«
Matti schaffte es endlich, sich aus seiner Starre zu befreien, und stellte sich neben Brian, er griff nach seiner Faust und entkrampfte sie, damit er seine Hand hineinlegen konnte. »Sir, ich glaube, Schuldzuweisungen bringen nichts, wir wollten –«
»Wie siehst du überhaupt aus mit diesen lackierten Fingernägeln und diesen Piercings? Selbst deine Klamotten sind kaputt. Just like a fucking bum!« Herr Honeycutt zog an Mattis Kragen und schubste ihn direkt wieder von sich weg, sodass er ein paar Schritte zurücktaumelte.
Sofort schob sich Brian zwischen ihn und seinen Vater. »Fass ihn nicht an!«, fauchte er.
»Du bist eine verdammte Schande, Brian. Das war schon immer so und das wird sich niemals ändern. Dein Freund ebenso, ihr seid widerlich.« Der Mann sprach langsam, mit einer solch ernsten Stimme, dass Mattis Herz zu stoppen schien. Er war fassungslos. Sein ganzer Körper bebte und er fühlte die Tränen in seinen Augen.
Doch er setzte sich fast wie von allein in Bewegung, er drückte sich an Brian vorbei, sodass er vor dessen Vater stand. Er wusste nicht, was in seinem eigenen Blick lag, denn ihn durchfluteten so viele Emotionen, die er gar nicht kontrollieren konnte. »Das müssen weder Brian noch ich uns von Ihnen sagen lassen«, brachte er zwischen bebenden Lippen heraus. Dann schnappte er sich Brians Hand und zog ihn hinter sich her zurück zum Ausgang. Es war genug. Mehr wollte er nicht ertragen und mehr wollte er Brian nicht zumuten.
»Lasst euch nicht wieder hier blicken! Verdammte fags.«
Der nächste Moment lief wie in Zeitlupe vor Mattis Augen ab. Brian stoppte in der Bewegung, riss sich von seiner Hand los und stürmte auf seinen Vater zu. Er schubste ihn zurück. »Beleidige Matti nicht, James!«, brüllte er.
Als der sich gefangen hatte, lachte er auf. »Sonst was, Brian?« Sie funkelten sich einen kurzen Moment an, bis er Brian am Kragen packte und ihn ganz dicht an sich zog. Er sagte irgendetwas in sein Ohr, was Matti nicht verstand. Er starrte stattdessen auf Brians Mutter, die noch immer völlig regungslos dasaß und auf ihre Nägel schaute, als überlegte sie, ob sie demnächst wieder zur Maniküre müsste. Er war fassungslos darüber und richtete seinen Blick zurück zu den Männern.
Brian riss sich los und schubste ihn erneut, doch diesmal hob Herr Honeycutt seine Hand, bereit zuzuschlagen.
Ein eiskalter Schauer lief Matti über den Rücken. Er handelte instinktiv, rannte los und warf sich schützend vor Brian. Hektisch drückte er ihn aus dem Wohnzimmer, bevor die Situation gänzlich eskalierte. Das war schon mehr als genug.
»Verschwindet und kommt nie wieder!«, brüllte ihnen James hinterher. Matti reagierte nicht darauf. Er brachte Brian aus diesem kalten Haus, zurück auf die Straße. Sie liefen einige Meter, bis sie auf der Hauptstraße angekommen waren und Brian anhielt.
Matti drehte sich zu ihm und dabei zerriss es ihm fast das Herz. Sein Freund, der sonst immer irgendwie lächelte und eine positive Stimmung verbreitete, stand nun wie ein Häufchen Elend vor ihm. Seine Augen waren getrübt und suchten hektisch einen Punkt, den sie fixieren konnten. Seine Brust hob und senkte sich in einem viel zu schnellen, unnatürlichen Rhythmus.
Matti stellte sich zu ihm und nahm ihn in den Arm. Mehr wusste er nicht zu tun. »Es tut mir unendlich leid«, wisperte er an sein Ohr und drückte Brian enger an sich, als er spürte, wie sehr er bebte.
Brians Atem ging stoßweise und streifte dabei Mattis Nacken. »Ich hab’s dir gesagt«, flüsterte er kraftlos. »Man kann nicht mit ihnen sprechen.«
Matti schluckte die Schuldgefühle hinunter. Sie hinterließen einen bitteren Geschmack in seinem Rachen. »Das ist nicht fair.«
»Sie waren schon immer so.«
Unwillkürlich stellte er sich den jungen Brian vor, der sein ganzes Leben Unvorstellbares erlebt haben musste. Sein Herz, das eben schon bei Brians Anblick Risse bekommen hatte, schien endgültig zu zersplittern. Wie war Brian trotzdem ein so wundervoller Mensch geworden, ohne daran zu zerbrechen?
»Ich war nie genug. Alles, was ich gemacht habe, war nicht genug. Alle Leistungen, der ganze Sport, die Schule.« Brians Stimme bebte und Matti spürte die erste Träne auf seiner Haut. »Egal, was ich getan habe, es war falsch.« Brians Beine gaben nach und Matti konnte ihn nicht halten. Sie stürzten beide auf ihre Knie. »Mein Dad hat aus Wut mal sein Whiskyglas nach mir geworfen, weil ich lieber in den Kunstkurs wollte, anstatt zum Football.« Seine Stimme war nur ein Hauchen. »Und als ich mal geweint habe, hat er mich in meinem Zimmer eingesperrt, weil ›Jungs nun mal nicht heulen.‹« Brian holte Luft, weitere Tränen liefen in Mattis Nacken. »Mit diesem Mann kann man nicht reden.«
Matti war völlig überfordert und wusste nicht, was er tun konnte. Er wollte nur für Brian da sein und hielt ihn in seinen Armen, drückte ihn an sich und hörte zu. Auch wenn jedes weitere Wort sein Herz mehr und mehr zermalmte. Er trug mit die Schuld daran, dass es Brian nun schlecht ging. Dass er vielleicht sogar ein Stück weit zerbrochen war.
Hör auf, dir die Schuld zu geben, das bringt Brian nichts! Sei einfach für ihn da.
Matti wusste nicht, wie sie es gestern ins Hotel geschafft hatten. Nachdem Brian aufgehört hatte zu weinen, waren sie aufgestanden und zurück getorkelt. Sie waren still gewesen, hatten kein Wort miteinander gewechselt. Matti hatte ihn zu nichts drängen wollen, er konnte wohl besser als jeder andere nachvollziehen, dass Brian erst einmal Ruhe brauchte und seine Gedanken sortieren musste. Er würde schon mit ihm reden, daran glaubte er ganz fest. Auch wenn er sich natürlich wünschte, dass er es bald tat.
Brian hatte sich noch nicht aus dem Bett bewegt. Seit gestern Abend lag er da und starrte Löcher an die Decke. Er reagierte nicht auf Mattis Versuche, ihn zum Aufstehen zu bewegen. Doch so langsam mussten sie los. Die Fahrt zurück zum Internat würde den ganzen Tag dauern, dazu noch mit den vielen, schweren Taschen. Eigentlich wäre Matti gern mit dem Flugzeug geflogen, dann hätte die Reise nur gut zwei Stunden gedauert und wäre weit weniger stressig geworden, wäre dafür aber auch doppelt so teuer gewesen. Er hatte Brian schon gut zureden müssen, als er ihm die Zugtickets bezahlt hatte, weil der kaum mehr Kohle übriggehabt hatte. Die Hoffnung, dass er seinen Vater danach fragen konnte, hatte sich ja nun auch zerschlagen. Mattis schlechtes Gewissen blitzte wieder auf und versetzte ihm einen Stich, der von seinem Herzen in den ganzen Körper ausstrahlte.
»Brian? Wir müssen los.« Er setzte sich an die Bettkante und strich ihm eine Strähne aus der Stirn.
»Hm«, brummte er und richtete sich auf. Er kämmte sich mit den Fingern durch die Haare und stand endgültig auf. Doch seine Bewegungen wirkten steif und ungelenk. Er brauchte ewig, ehe er am Stuhl war, auf dem er gestern seine Klamotten abgelegt hatte, und sich anzog.
Matti seufzte und packte die restlichen Sachen zusammen. Er sah aus dem Fenster. Obwohl es erst neun Uhr war, schien die Sonne schon kräftig und selbst durch das Glas spürte er ihre Wärme auf der Haut. Das würde sich wohl ändern, je weiter sie dem Norden kommen würden. Deswegen verstaute er seine Jacke ganz oben im Rucksack, damit er leicht an sie käme.
Brian hatte nur ein Sweatshirt übergezogen und den Rest in seinen Rucksack gestopft, den er sich über die Schultern schwang. Er griff einen weiteren, den er auf dem Bauch platzierte und zwei Taschen, die er links und rechts in den Händen hielt.