2,99 €
***Neuauflage von februar 2022*** Die Konsequenzen aus dem Gespräch mit der Direktorin treffen Matti hart und rütteln an einer Tür, die er für immer verschlossen geglaubt hatte. Doch er ist nicht mehr allein. Seine Freunde fangen ihn auf, auch als er mit Brian den nächsten großen Schritt wagt. Die Weihnachtszeit hält außerdem eine Überraschung bereit: Er wird mit Brian in Finnland feiern. Matti hofft, dass er sich nach den vergangenen Erlebnissen endlich erholen und die kalten Tage mit Joulutorttu, Glögi, Sauna und Brian genießen kann. Hinweis: Dieses Buch enthält eine Triggerwarnung, die auf den ersten Seiten des Buches (und in dem Bereich "Blick ins Buch" eingesehen werden kann.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Table of Contents
Tag 94: Exempel Statuieren
Tag 95: Panik
Tag 96: Coming-Out
Tag 97: Bier & Whisky
Tag 99: Planänderung
Tag 103: Valentinstag 2.0
Tag 105: Geschenke
Tag 111: Schluss
Tag 112: Flug
Tag: 113: Weihnachtsbaum
Tag 114: Heiligabend
Tag 116: Zum ersten Mal
Tag 117: Aki
Tag 120: Ringe
Tag 121: Silvester
Tag 125: Der richtige Platz
Tag 126: Abschied
Danksagung
Impressum
2. überarbeitete Auflage Februar 2022
© 2020 Matti Laaksonen
Herausgegeben von:
Matti Laaksonen
c/o WirFinden.Es
Naß und Hellie GbR
Kirchgasse 19
65817 Eppstein
Covergestaltung unter Verwendung folgender Bildmaterialien:
Creativeqube Design von creativemarket.com
Alle Rechte vorbehalten.
Nachdrucke, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors. Personen und Handlungen sind frei erfunden, etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Menschen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Markennamen sowie Warenzeichen, die in diesem Buch verwendet werden, sind Eigentum der rechtmäßigen Besitzer.
Content Notes
Auch für diesen Band komme ich nicht umhin, eine Triggerwarnung auszusprechen. (Diese gilt für das Kapitel Tag 95: Panik). Matti erleidet eine Panikattacke und einen Kontrollverlust, wegen denen es beinahe zu einem Rückfall/Selbstverletzung kommt. Außerdem geht es in diesem Kapitel auch um häusliche Gewalt gegen Kinder. Auch Brian berichtet von Erfahrungen mit Gewalt (Tag 112).
Außerdem wird in diesem Buch (übermäßiger) Alkoholkonsum beschrieben und es wird darüber gesprochen, sich zu übergeben.
Diese Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Eine aktualisierte Version findet ihr auf meiner Website (www.mattilaaksonen.de).
Hinweis: Ich habe die Themen möglichst sensibel aufgearbeitet und einen Großteil an eigenen Erfahrungen beigefügt.
Falls du dich in einer Situation befindest, in der du nicht mehr weiterweißt, dann gibt es verschiedene Anlaufstellen:
https://www.deutsche-depressionshilfe.de/start
Telefonseelsorge: 0800 – 111000111
Es ist okay, sich Hilfe zu suchen und kein Zeichen von Schwäche. Und es ist okay, nicht okay zu sein.
Inhalt
Tag 94: Exempel Statuieren
Tag 95: Panik
Tag 96: Coming-Out
Tag 97: Bier & Whisky
Tag 99: Planänderung
Tag 103: Valentinstag 2.0
Tag 105: Geschenke
Tag 111: Schluss
Tag 112: Flug
Tag: 113: Weihnachtsbaum
Tag 114: Heiligabend
Tag 116: Zum ersten Mal
Tag 117: Aki
Tag 120: Ringe
Tag 121: Silvester
Tag 125: Der richtige Platz
Tag 126: Abschied
Danksagung
Oma maa mansikka, muu maa mustikka.
Finnisches Sprichwort
Matti und Brian würden nach dem Unterricht einen Termin bei der Direktorin haben. Matti wusste nicht, um was sich dieses Treffen drehen könnte. Er hatte aber die Befürchtung, dass sie verpetzt worden waren. Doch von wem? Und welche Konsequenzen drohten ihnen?
Unruhig rieb er die schwitzigen Finger über die Uniform und dachte darüber nach, bis sein Smartphone vibrierte. Sein Vater hatte ihm eine Nachricht geschrieben.
Paps (6:45)
»Deine Direktorin will mit uns sprechen. Es geht um dich und Brian. Weißt du etwas?«
Matti schluckte und starrte Brian an, der in diesem Moment aus dem Bad schlenderte. Wegen der Nachricht war er so verstört, dass er nur unterbewusst wahrnahm, dass sein Freund nackt vor ihm stand. »Meine Eltern wurden auch zur Direx bestellt, es geht wirklich um uns«, berichtete er atemlos und haspelte die Worte ein bisschen zu schnell die Worte herunter.
Brian blinzelte und rubbelte sich mit einem Handtuch die Haare trocken. »Okay? Na, wird schon nicht so schlimm sein, wenn sie so lange gewartet hat, bis heute Nachmittag, oder?«
Matti war flau und sein Herz flatterte in seiner Brust. Das änderte sich auch im Laufe des Tages nicht. Er schaffte es nicht, zur Ruhe zu kommen und konnte sich kaum auf den Unterricht konzentrieren. Er spielte mit dem Saum seiner Hemdsärmel, fummelte an seinen Knöpfen oder klickte den Kugelschreiber auf und zu, nur damit er etwas zu tun hatte, aber seine Gedanken drifteten immer wieder zu dem nahenden Termin.
Sein Vater hatte ihm Bescheid gegeben, dass er und Lintu eine Videokonferenz mit der Direx hatten, zu der Matti und Brian erst später dazustoßen würden. Das bestärkte seine Unruhe und Befürchtungen nur. Deswegen war er mit Brian fast eine halbe Stunde zu früh vor dem Büro und lief den Gang auf und ab wie eine eingesperrte Raubkatze.
»Mensch, du machst mich wahnsinnig, wenn du die ganze Zeit so herumläufst«, blaffte Brian, nachdem er ihn eine Weile stumm dabei beobachtet hatte.
»Ich kann nichts dafür. Ich bin aufgeregt!«
»Jetzt setz dich verdammt noch mal hin!« Und wie angespannt er war. Normalerweise war Brian die Ruhe selbst, doch wenn ihm etwas nicht passte, dann wurde er schnell zickig.
Brian raufte sich die Haare und atmete laut aus, während er sich auf dem Stuhl zusammenkauerte.
Daneben stand ein weiterer Stuhl, auf den Matti sich niederließ. Er kam sich wie damals bei der Polizei in Frankreich vor, als er eine Aussage zu seinem Lehrer und ihrer Beziehung machen musste. Dabei war diese Situation hier eine vollkommen andere. Immerhin saß niemand auf der Anklagebank. Sie hatten nichts falsch gemacht.
Oder doch?
Er knetete die Hände im Schoß und versuchte, normal weiter zu atmen, aber ein dicker Kloß lag in seiner Kehle und schnürte ihm die Luft ab. Diese innere Unruhe hatte sich mal wieder auf seinen Magen gelegt und hatte verhindert, dass er heute auch nur einen Krümel hinunterbekommen hatte. Sein Bauch brummte und gurgelte vor sich hin. Ihm war schwindelig und er fühlte sich schlapp, nun da er sich nicht mehr bewegte. Als hätte jemand den Stöpsel gezogen.
Die Tür öffnete sich und Frau Suno erschien in dem schmalen Spalt. Sie rückte die filigrane Brille mit dem Goldrand auf ihrer Nase zurecht. »Sie können dann bitte dazukommen.«
Brian sprang auf und wartete gar nicht lang ab. Matti folgte ihm weit weniger enthusiastisch und mit weichen Knien.
Ob Brians Eltern auch dabei sind? Wäre doch komisch, wenn nicht, traf ihn der Gedanke, dem er bisher keinerlei Beachtung geschenkt hatte. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken, bei der Befürchtung, dass er in dieser unangenehmen Situation auch noch Brians Eltern kennenlernen würde. Kein guter Start in ein entspanntes Verhältnis.
Steif und ungelenk ließ er sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch sinken und faltete die schwitzigen Hände im Schoß zusammen. Brian saß neben ihm und starrte stur geradeaus. Seine Miene war ausdruckslos und starr.
Frau Suno nickte, als sie sich gesetzt hatten. »Gut. Also. Ich habe schon mit Ihren Eltern besprochen, dass –«
»Mit ›unseren‹ Eltern?«, unterbrach Brian sie und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Hallo Brian«, donnerte es aus den Boxen des Computerbildschirms. Eine tiefe Stimme mit einem schweren amerikanischen Akzent, der der Unmut eindeutig anzuhören war.
Matti warf seinem Freund einen Blick zu. Kreidebleich und wie erstarrt riss er seine Augen auf. Seine angespannte Haltung löste sich und seine Arme rutschten am Körper hinunter. »Dad?«, wisperte er.
Die Direktorin drehte den Monitor, sodass Matti die Personen darin sehen konnte. Neben dem kleinen Bild seiner Eltern erkannte er einen Mann. Kantiges Gesicht. Blonde Haare. Ein gepflegter Dreitagebart. Falten um die herunterhängenden Mundwinkel. Eine ältere Version Brians und somit eindeutig sein Vater.
»Was denkst du dir eigentlich? Wir schicken dich an ein Internat nach Nordjapan und du hast nichts Besseres zu tun, als dich an deinen Mitbewohner ranzumachen?«, knurrte Herr Honeycutt. Seine Augen funkelten zornig. Eine dicke Ader pochte auf seiner Stirn und der Hals unterhalb des Bartes war rot angelaufen. Der Mann auf der anderen Seite war wütend. Superwütend. Das war selbst über den Monitor deutlich erkennbar und ließ Matti trocken schlucken.
Brian rutschte auf der Sitzfläche nach vorn und senkte den Blick, er saß wie ein Häufchen Elend in sich zusammengesunken auf dem Stuhl. Er biss sich auf die Unterlippe und ballte die Hände auf seinem Schoß zu Fäusten.
Matti war entsetzt. Zum einen wegen der Reaktion von Herrn Honeycutt und Brians passiver Haltung, so hatte er ihn noch nie erlebt, und zum anderen, weil es tatsächlich um ihre Beziehung ging. Jemand hatte sie verpetzt. Er krallte die Hände in seine Oberschenkel, um das Zittern zu verbergen.
Die Direktorin brachte sich räuspernd in Erinnerung. »Honeycutt-san, wir haben das besprochen«, gab sie im strengen Tonfall von sich und schien ungeduldig zu werden. Auf ihrem ebenmäßigen Gesicht pulsierte eine Ader und sie verkrampfte die zusammengefalteten Hände auf dem Schreibtisch, dann wandte sie sich wieder an Matti und Brian. »Mir ist zu Ohren gekommen, dass Sie beide«, sie deutete zwischen ihnen hin und her, »eine intime Beziehung führen.« Sie musterte sie und erwartete anscheinend eine Bestätigung.
Matti und Brian sahen sich kurz an. Es hatte keinen Zweck zu leugnen, da waren sie sich wohl einig, und deshalb nickten sie nahezu synchron.
»Das ist eine neue Situation, die es hier am Internat noch nicht gegeben hat. Da Sie Mitbewohner sind, stehen wir hier vor einer Herausforderung und müssen eine neue Regelung treffen.«
Brian hob den Kopf. »Und was soll das bedeuten?«
»Ich habe die verschiedenen Möglichkeiten mit Ihren Eltern besprochen und wir sind zu dem Entschluss gekommen, dass es am sinnvollsten ist, Sie aus dem gemeinsamen Zimmer zu trennen.«
Matti krallte sich weiter in den Stoff seiner Uniformhose, die sich gefährlich spannte.
»Was?«, flüsterte Brian fassungslos.
»Wir haben nur ein Einzelzimmer auf Ihrem Flur. Deswegen habe ich mich entschlossen, dass Sie, Honeycutt-kun, den Platz mit Carter-kun tauschen und in sein Zimmer ziehen werden, während er zu Ihnen zieht.« Sie sah Matti an.
Erschrocken hob Matti den Kopf und sah ihr direkt in die aufmerksamen Augen. Sein Herz setzte einen Schlag aus, sein Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen und ihm wurde kurz schwarz vor Augen. »Daniel soll zu mir ziehen?«, vergewisserte er sich, hatte aber das Gefühl, dass seine Stimme von dem nun laut pochenden Herzen in der Brust übertönt wurde.
Die Direktorin nickte. »Sie kennen sich ja. Und da Sie in einer Band spielen und sich gut zu verstehen scheinen, schien die Lösung am simpelsten.«
Matti schluckte schwer und senkte den Blick. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Die Band. Frau Suno war sicher noch nicht im Bilde, dass es die in dieser Form nicht mehr gab.
»Ich glaube nicht, dass –«, setzte Brian an.
»Sei froh, dass ich dich nicht direkt wieder zurückhole!«, grollte sein Vater. »Wenn es nach mir gegangen wäre, dann wärst du aus der Schule geflogen, Freundchen.«
»Honeycutt-san, bitte. Wir werden die Angelegenheit regeln. Brian von der Schule zu nehmen, ist keine Lösung«, versuchte die Direktorin, das erhitzte Gemüt mit kühler Strenge in der Stimme zur Ordnung zu rufen.
»Ja, ja. Wäre das dann alles? Ich habe noch wichtigere Dinge zu erledigen.«
»Ich denke, dass wir durch sind«, bestätigte Frau Suno und für einen kurzen Moment hatte Matti das Gefühl, dass sie erleichtert darüber war. Wer wusste schon, wie Herr Honeycutt sich in dem Einzelgespräch verhalten hatte.
»Gut, klären Sie das. Wenn mein Sohn seine … Neigungen nicht im Griff hat, dann sehe ich mich aber zu weiteren Konsequenzen genötigt.« Der Teil des Monitors in dem Brians Vater gewesen war, wurde augenblicklich schwarz.
Matti schluckte erneut. Die Übelkeit nahm zu. Sein Magen fühlte sich an, als würde er sich von innen heraus umstülpen. Er und Brian waren von nun an keine Mitbewohner mehr. Dafür würde er mit Daniel zusammenwohnen. Die Erkenntnis sickerte langsam bis in jede Körperzelle. Wie ein zähflüssiger Sirup legte sie sich in Mattis Verstand und bedeckte alles. Sie hatten sich doch noch immer nicht ausgesprochen. Wie sollte das funktionieren?
Er sah zu Brian, der nicht weniger geschockt zu sein schien, doch etwas anderes blitzte in seinem Blick auf. Wut. Brian sprang auf und stürmte aus dem Büro. Der Stuhl, auf dem er eben noch gesessen hatte, fiel polternd um und riss Matti aus dem Wirbelsturm in seinem Inneren.
»Brian?«, flüsterte er ihm nach.
Das kann doch nicht sein? Das darf nicht passieren!
»Ich kann nicht mit Daniel zusammenwohnen«, wisperte Matti in die Stille, die Brian und sein Vater mit ihrem jeweiligen Abrauschen verursacht hatten.
»Matti, tu bitte, was Frau Suno sagt, okay?«, schaltete sich sein Vater ein.
»Aber –«
»Matti.« Die Stimme seines Vaters war dunkler, befehlerischer geworden. Die Schärfe bewog Matti dazu die Lippen aufeinander zu pressen. Es hatte keinen Sinn, mit ihm zu diskutieren oder die Sache zu erklären.
Matti sah nach unten und fühlte die Tränen in seinen Augen. »Ich kann nicht«, sprach er leise.
»Das ist die beste Möglichkeit. Und Sie kennen sich«, fasste die Direktorin noch einmal zusammen. »Ich werde Carter-kun von der Änderung berichten. Sagen Sie Ihrem Mitbewohner bitte, dass er seine Sache zusammenräumt. Der Umzug soll noch heute stattfinden.« Die Entscheidung stand fest.
Die Zeit schien einen Augenblick stillzustehen. Noch heute.
Das wird mir Daniel doch niemals verzeihen.
Der Schock saß tief und er konnte sich nicht vom Fleck rühren. Seine Glieder wurden von einer unsichtbaren Last auf den Stuhl gepresst.
»Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben«, sagte die Direktorin zum Abschluss und wandte sich damit an Mattis Eltern.
»Ich danke Ihnen, dass Sie die Angelegenheit so schnell geregelt haben«, erklärte sein Vater monoton.
Angelegenheit?
Es schmerzte Matti, dass er es so abtat, als würde es kaum etwas bedeuten, als hätte Matti die Toilettenwände mit Edding beschmiert. »Ernsthaft?«, hauchte er dem Monitor zu.
»Es ist die beste Lösung«, sagte Risto ungewöhnlich streng.
Mattis Kehle schnürte sich zu. Er fühlte sich wieder wie mit dreizehn, als sein Vater herausgefunden hatte, dass er auf Männer stand. Er kehrte es unter den Teppich wie eine lästige Lappalie. Matti dachte, dass sie diese Phase längst hinter sich gebracht hätten, aber dem war anscheinend nicht so.
»Für welches Problem denn?« Matti zitterte am ganzen Leib. Er wurde urplötzlich wütend auf seinen Vater und ballte die Hände zu Fäusten. Es konnte ihm ja wohl gar nicht schnell genug gehen, dass er von Brian getrennt wurde. Dass ihm noch mehr Steine in den Weg gelegt wurden.
»Lass uns später darüber reden, ja?«
»Du kannst mich mal!«, fauchte er seinen Vater auf Finnisch an und erhob sich ruckartig, damit er die Flucht ergreifen konnte. Der Direktorin schenkte er eine steife Verbeugung, dann rauschte er ab. Er musste sich beruhigen.
Vor der Tür wartete ein aufgelöster Brian. Er kauerte zusammengesunken auf dem Fliesenboden, raufte sich die Haare und blickte auf, als sich die Tür schloss. Der Anblick versetzte Matti den nächsten Stich. So fertig hatte er Brian noch nie gesehen.
Er stand ungelenk auf und nahm Matti fest in den Arm. »Wir schaffen das. Okay?«, flüsterte er in sein Ohr.
Matti war sich nicht sicher, ob Brian sich da selbst Mut zureden musste oder es wirklich so sah. Seine blauen Augen glitzerten feucht und waren panisch weit aufgerissen.
»Ja«, wisperte Matti. Mehr konnte er nicht sagen. In seinem Kopf wirbelten so viele Gedanken umher, so viele Worte und Emotionen. Er konnte sie nicht sortieren und auch nicht aussprechen. Doch die Wut überdeckte alles mit einem roten Schleier, er fühlte die Zornestränen in sich aufsteigen und schniefte.
Nicht heulen.
Brian umschlang ihn mit seinen kräftigen Armen. Die Haare kitzelten Matti am Ohr. Dann kam Daniel um die Ecke geschlendert und entdeckte sie. Er sagte kein Wort, sondern schritt einfach an ihnen vorbei, als wären sie Luft. Es war klar, was jetzt folgen würde. Die Direktorin würde ihm erzählen, dass er mit Matti zusammenziehen müsse.
»Lass uns gehen«, murmelte Brian, der anscheinend das Gleiche dachte und genauso wenig hier sein wollte, wenn das geschah.
Matti konnte sich kaum rühren. Seine Glieder waren steif und er zitterte. Sein ganzer Körper schüttelte sich, weil er Panik bekam, wie Daniel auf die Änderung reagieren würde. Brian musste ihn vor sich herschieben, damit er es zurück in das Zimmer schaffte.
»Fuck!«, fluchte Brian, als sich die Zimmertür hinter ihnen geschlossen hatte, und schlug gegen die Wand neben der Tür.
Matti zog den Kopf erschrocken zwischen seine Schultern. Gleichzeitig merkte er, wie sein iPhone in seiner Hosentasche vibrierte. Sein Vater. Er schnaufte und schleuderte es zur Seite. Mit ihm wollte er nicht reden.
»Wieso gehst du nicht ran?«, fragte Brian und rieb sich über das Gesicht, seine Wut war der Niedergeschlagenheit gewichen. Ganz so, als hätte der Schlag gegen die Wand ausgereicht, um sein Gemüt zu beruhigen.
»Damit ich mir seine blöden Erklärungsversuche anhören darf? Er findet es bestimmt großartig, dass wir nicht mehr zusammenwohnen«, gab Matti patzig von sich und warf sich auf das Bett.
»Du weißt doch gar nicht, was sie da besprochen haben, als wir nicht dabei waren«, nuschelte er resigniert.
»Er hätte sich auch hinter uns stellen können!« Matti war wütend, weil es Risto offensichtlich nicht schwergefallen war, dieses Urteil zu akzeptieren, und langsam auch auf Brian, der es genauso hinzunehmen schien.
Brian seufzte. »Lass uns wenigstens anhören, was er dazu sagt.«
»Ich rede nicht mit ihm.« Matti verschränkte die Arme vor der Brust und sah provokant in eine andere Richtung.
»Ich mach das.« Brian schnappte sich Mattis Smartphone und nahm den Anruf für ihn entgegen. »Hallo Risto«, grüßte er ihn matt. »Ja. Ja. So was von«, sagte er abgehackt. »Warte, ich mach den Lautsprecher an.«
Matti funkelte Brian zornig an und schnaubte. Er wollte nicht mit seinem Vater reden und fand es gerade ziemlich scheiße von Brian, dass er das Gespräch entgegengenommen hatte.
»Matti, bitte. Wir hatten keine andere Wahl.«
»Ach?«, gab er schroff zurück.
»Wir mussten eine Lösung finden. Brians Vater hat sogar damit gedroht, ihn vom Internat zu nehmen. Und ›danach kann er bleiben, wo der Pfeffer wächst‹, um ihn zu zitieren. Die Direktorin konnte ihn umstimmen. Zum Glück. Aber sie musste eben auch etwas tun. Versteh doch, dass es für sie eine neue Situation ist.«
Matti drehte seinen Kopf langsam zu Brian, den diese Worte nicht zu überraschen schienen. »So was würde dein Vater sagen?«, ging er auf den Teil ein.
Brian zuckte ungerührt die Schultern. »Klingt ganz nach ihm.«
»Wirklich, Brian. Als du gesagt hast, dass euer Verhältnis angespannt sei, habe ich nicht damit gerechnet, dass es so kaputt ist.« Matti konnte sich seinen Vater bildlich vorstellen, wie er auf dem Sessel saß und sich mit Daumen und Zeigefinger die Nasenwurzel rieb. »Aber du und dieser Daniel seid Freunde, oder? Ihr spielt doch zusammen in der Band, hast du erzählt. Das wird bestimmt ganz gut«, versuchte er, Matti zu beruhigen.
Aber er schnaufte. »Ja, bis sich herausgestellt hat, dass er ein homophobes Arschloch ist und mich geschlagen hat«, fasste er zusammen.
Stille auf der anderen Seite der Leitung.
»Was?«, kam es dann leise.
»Ja, das habt ihr wirklich toll hinbekommen. Ganz, ganz großartig.« Er wollte sich nicht beruhigen. Seine Wut wollte sich Luft machen. Auch wenn er wusste, dass das nichts brachte und er sich wie ein zickiges Kleinkind anhörte. Doch er würde sonst platzen. Eigentlich wusste er, dass Risto recht hatte mit dem, was er sagte und er ihm nur Unrecht tat. Aber sein vom Zorn vernebelter Verstand wollte das nicht akzeptieren. Er hasste im Moment die ganze Welt.
»Wieso hast du das nicht gesagt?«, fragte sein Vater.
»Wann denn?« Mattis Stimme schoss in die Höhe. Er zitterte und wäre am liebsten in Tränen ausgebrochen. »Ehrlich, hättet ihr nicht irgendwas anderes vorschlagen können?«
»Weiß die Direktorin davon?«, hakte Risto nach.
Matti seufzte. »Natürlich nicht.«
»Dann sprich doch bitte noch einmal mit ihr. Es wird sicher eine andere Möglichkeit geben«, schlug er vor.
»Klar«, gab Matti sarkastisch von sich. Wenn sich herumsprach, weswegen Brian und er aus ihrem Zimmer getrennt worden waren, dann würden sich die Jungs seiner Klasse darum schlagen, mit ihm im gleichen Raum zu wohnen. Gedanklich sah er sich schon im Heizungskeller des Internats schlafen, zwischen Putzkram und Ratten. Besser, als laufend damit rechnen zu müssen, in der Nacht ein Kissen aufs Gesicht gedrückt zu bekommen. Oder schlimmeres …
»Ich weiß, es ist erst mal scheiße. Aber ihr werdet das hinbekommen. Und vielleicht ist das für euch ja auch ganz gut«, erklärte Risto.
»Ja, genau«, knurrte Matti in den Hörer.
Er hörte, wie sein Vater laut seufzte. »Matti. Es tut mir leid.«
Matti biss die Zähne zusammen, aber sagte nichts mehr. Er konnte nicht mehr sagen, weil sich Tränen in seinen Augen sammelten und er eigentlich brüllen und auf irgendetwas einschlagen wollte.
»Okay, dann lass ich euch mal in Ruhe. Melde dich bitte.« Damit verabschiedete sich Risto.
Brian atmete resigniert aus. »Ich räum mal alles ein.« Er trat zum Schreibtisch und schob seine Bücher zusammen. Dann ging er zu seinem Spind und griff sich die Uniformen und seine anderen Klamotten und stopfte sie in die Reisetasche, die er unter dem Bett hervorgeholt hatte. Matti sah ihm teilnahmslos zu. Unfähig, sich zu bewegen oder etwas zu sagen. Ein stummer Beobachter. Er wünschte sich in die Ferien zurück, in denen alles so einfach gewesen war.