MEG - Steve Alten - E-Book

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Steve Alten

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Beschreibung

Ab 9. August im Kino!

Im Marianengraben südwestlich von Burma hat »Carcharodon megalodon« überlebt - MEG, ein Vorfahre des weißen Hais und eines der gefährlichsten Raubtiere, das je existierte. Der Herrscher der Meere, eine Killermaschine. Jonas Taylor, ein berühmter Tiefseeforscher, ahnt es. Auf einer Tauchstation in ozeanischen Tiefen stellt sich heraus, wie recht er hat. MEG gelingt es, in die oberen Wasserschichten aufzusteigen, wo der gigantische Hai fortan sein Unwesen treibt. Die Jagd beginnt - und dieses Mal ist der Mensch das Opfer ...

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Zum Buch

Warmes Wasser strömte in das leicht geöffnete Maul, das sich scheinbar zu einem grausamen, gezackten Grinsen verzogen hatte. Über dem unteren Zahnfleischrand ragten die Spitzen von zweiundzwanzig rasiermesserscharfen Zähnen hervor, mit denen der Räuber seine Beute packte. Im Oberkiefer steckten weitere vierundzwanzig Zähne, wesentlich größere und breitere Waffen, von der Natur dazu vorgesehen, Knochen, Sehnen und Speckschichten zu durchbohren. Hinter diesen vorderen Zahnreihen befanden sich vier bis fünf zusätz­liche Reihen, ins Zahnfleisch gefaltet wie ein Förderband. Aus kalzifiziertem Knorpel bestehend, steckten die gesägten, sieben bis fünfzehn Zentimeter langen Zähne in drei Meter breiten Kiefern, deren oberer Teil nicht mit dem Schädel verschmolzen war, sondern lose am Neurocranium hing. Durch diese Adaption konnte der Oberkiefer sich nach vorne schieben, wodurch das Maul sich zu einem gewaltigen Biss ausdehnte, groß genug, um einen Mittelklasse­wagen vom Heck bis zur Windschutzscheibe zu verschlingen.

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Zum Autor

Steve Alten wurde in Philadelphia geboren. Der Sportmediziner und Hobby-Paläontologe wurde mit seinem Debütroman »Meg – Die Angst aus der Tiefe« und der Fortsetzung »Höllenschlund – MEG 2« praktisch über Nacht zum internationalen Bestsellerautor.

Ebenfalls als eBook erschien

MEG: Höllenschlund

Steve Alten

MEG

ROMAN

Vom Autor erweiterte und komplett überarbeitete Neuausgabe

Aus dem Amerikanischen von Bernhard Kleinschmidt

WILHELMHEYNEVERLAGMÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Die Originalausgabe MEG erschien 2015 bei Viper Press

Copyright © 1997/2015 by Steve Alten

Published in agreement with the author, c/o Danny Baror International Inc., Armonk, New York

Copyright © 2018 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Kristof Kurtz

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung des Originalartworks

Motion Picture Artwork and all selected characters and elements © & TM Warner Bros. Entertainment Inc.

Satz: Vornehm Mediengestaltung GmbH, München

ISBN 978-3-641-21377-0V002

www.heyne.de

Gewidmet meinem VaterLawrence Alten,einem Menschen voller Herzensgüte.undWade Maller,einem wahren Freund,der uns viel zu früh verlassen hat.

TEIL I MEG ORIGINS

Prolog

An Bord der HMSChallengerPhilippinensee5. Oktober 1874

Trotzig stand Kapitän George Nares auf dem schwankenden Kanonendeck und ging jedes Mal leicht in die Knie, wenn der tobende Pazifik das Schiff in die Täler zwischen den über vier Meter hohen Wellen schleuderte. Bei jedem schäumend blauen Kamm hob sich der Bug des britischen Kriegsschiffs, bevor der mit Kupfer beschlagene Kiel in den Ozean krachte. Den schottischen Seemann begleiteten die Gischt des Meeres und das Flattern der drei Großsegel nunmehr seit siebenhundert Tagen; doch trotz der Gefahren stellte er sich lieber den aufgewühlten Wogen, als ständig einen neuen Hafen anzulaufen.

Schon vom ersten Tag an hatte er gewusst, dass dieser Auftrag sich erheblich von allen anderen unterscheiden würde. Die Korvette der Pearl-Klasse, einst Flaggschiff des für Australien abgestellten Verbandes der Royal Navy, führte nur noch zwei ihrer Geschütze mit sich. Auch die Takelage war reduziert worden. In die frei gewordenen Räume hatte man Labors eingebaut, bestückt mit Mikroskopen und chemischen Apparaten, mit Flaschen für Wasserproben und Glasbehältern für Präparate, gefüllt mit einer selbst für den Kapitän ungenießbaren Sorte Alkohol. Außerdem hatte man das Hauptdeck zum Sammeln von Proben mit Plattformen ausgestattet, die auf beiden Seiten des Schiffs herausragten, damit man der Fock- und Großrah nicht in die Quere kam. Auf diesen Plattformen arbeiteten Wissenschaftler und ihre Mannschaften daran, Proben vom Meeresboden aufzusammeln. Zu diesem Zweck verwendeten sie an langen Tauen befestigte Netze und Behälter. Alles in allem waren die aufgerollten Taue über hundertvierzig Meilen lang; dazu kamen weitere zwölfeinhalb Meilen Stahldraht für die Lotungsgeräte. Diese Taue und Leinen wurden mit motorisierten Winden ins Wasser gesenkt und wieder heraufgeholt, eine Aufgabe, die den Großteil jedes Arbeitstags in Anspruch nahm.

Die HMSChallenger und ihre aus zweihundertdreiundvier­zig Mann bestehende Besatzung befand sich auf einer wissenschaft­lichen Expedition, auf einer Entdeckungsreise, die vier Jahre dauern sollte. Dabei würde das Schiff beinahe 69 000 See­­meilen zurücklegen.

Nares war beliebt bei seinen Leuten, weil er ein ausgeglichenes Temperament besaß. Was ihm an körper­licher Größe fehlte, wurde durch seine Findigkeit mehr als aufgewogen. Unter dem Großsegel stehend, beobachtete er nun mit einer Mischung aus Besorgnis und Belustigung, wie ein mit einem üppigen Vollbart ausgestatteter Wissenschaftler unbeholfen über das schwankende Deck auf ihn zukam. »Na, Professor Moseley«, sagte er. »Worum geht es denn nun wieder?«

»Um die nächste Tiefenmessung, bei der wir weitere Proben vom Meeresboden holen wollen. Die Mannschaft hat längere Leinen vorbereitet; in diesem Bereich des Archipels scheinen die Gräben in eine schier unend­liche Tiefe zu reichen.«

Der Kapitän warf einen Blick nach steuerbord. Seit Wochen folgten sie einem Kurs, der sie an den Marianen vorüberführte. Immer wieder ergab sich ein Blick auf die bergigen, von grünem Dschungel bedeckten Eilande. »Ich hätte gedacht, dass es in der Nähe einer solchen Inselkette wesentlich seichter zugeht.«

»Ja, aber inzwischen hat sich herausgestellt, dass diese Vulkaninseln aus den tiefsten Meeresgräben aufragen, auf die wir bisher gestoßen sind. Der Meeresboden ist uralt und daher eine wahre Fundgrube an Fossilien und Manganknollen. Heute Morgen ist das Lot bis auf dreitausendfünfhundert Faden ge­­sunken, ohne auf Grund zu stoßen. Wir mussten die Leine splei­­ßen, und …«

Der Kapitän packte den taumelnden Wissenschaftler und hielt ihn fest, während der Bug sich hob, um gleich wieder in den Pazifik zu krachen. »Wie lange dauert es noch, bis die neue Leine fertig ist?«

»Noch zwanzig Minuten, hat man mir mitgeteilt.«

»Na gut. Ruder hart Steuerbord! Mr. Lauterbach, Großsegel niederholen; bereitmachen zum Einsatz der Dampfmaschinen.«

»Aye, Captain.« Der Erste Offizier läutete seine Kupferglocke, worauf sich zwei Dutzend Matrosen ans Werk machten, während die Challenger sich in einem Wellental nach Steuerbord neigte.

Kapitän Nares wartete, bis der Wissenschaftler durch ein Luk unter Deck verschwunden war, bevor er wieder auf den aufgewühlten Pazifik hinausblickte.

Dreitausendfünfhundert Faden … das sind mehr als sechstausend Meter. Wie tief mag das Wasser hier sein? Und welche merkwürdigen Lebewesen sich darin wohl verbergen?

Die Meeresgräben rund um diese seltsame Inselgruppe hatten bereits eine Vielzahl von diesbezüg­lichen Hinweisen preisgegeben, darunter Wirbel und Ohrkapseln von Walen sowie Tausende von Haizähnen. Über einhundert dieser von Mangan überkrusteten Fragmente waren so groß wie eine Menschenhand. Moseley hatte jene größeren Zähne der Gattung Carcharodon zugeordnet. Waren sie über vier Zentimeter lang, musste es sich um die Spezies Megalodon handeln, ein wahres Meeresungeheuer der Urzeit.

Aufgrund der spektakulären Größe dieser Zähne kam es abends in der Offiziersmesse des Öfteren zu der Debatte darüber, ob die dazugehörige Haiart womöglich doch noch nicht ausgestorben war. Es handelte sich bei den dunkelgrauen, gezackten Dreiecken allerdings um Versteinerungen; nur ein weißer Zahn wäre ein Beweis dafür gewesen, dass das Megalodon noch existierte. Professor Moseley inspizierte alles, was vom Meeresgrund hochgeholt wurde, mit großer Sorgfalt, weil er hoffte, zwischen den Fragmenten einen elfenbeinfarbenen Schatz zu finden – bisher ohne Erfolg.

»Manche von diesen Fossilien sind nicht besonders alt, Käpt’n«, hatte der Wissenschaftler am vorvorigen Abend ge­­mur­­melt, während er seinen dritten Brandy leerte. »Das lässt mich vermuten, dass diese Kreaturen womöglich weiterhin durch die Tiefsee streifen.«

»Wie groß sollen diese Riesenhaie eigentlich genau sein?«

»Gelegentlich ist von dreizehn Metern die Rede, aber die von uns gefundenen Fragmente lassen einen ganz anderen Schluss zu. Ich habe schon einen achtzehn Zentimeter langen Zahn in der Hand gehabt. Sein Besitzer muss von der Schnauze bis zum Schwanz zwanzig Meter gemessen haben.«

»Du lieber Himmel! Das ist mehr als die halbe Länge der Challenger. Bei einer derart monströsen Kreatur … bräuchten wir ein größeres Boot. Hat denn schon jemand so ein Biest gesichtet?«

»Es gibt Gerüchte, hauptsächlich von Walfängern. Wenn viel Blut ins Meer fließt, zieht das allerhand Haiarten an.«

»Es zieht sie an? Wieso?«

»Das weiß man nicht. Vielleicht können sie das Blut schmecken. Haie gehören nicht zu meinem Fachgebiet, aber ein Ungeheuer wie das Megalodon … Ich muss gestehen, Käpt’n, jedes Mal, wenn die Leinen hochgezogen werden, spähe ich unwillkürlich ins Wasser und wünsche mir insgeheim, dass unsere Netze eine dieser Kreaturen aus der Tiefe locken. Wie gern würde ich dieses majestätische Lebewesen zu Gesicht bekommen, das furchtbarste, das die Natur seit Anbeginn der Welt hervorgebracht hat.«

Während Kapitän Nares nun auf die schaumgekrönten Wogen starrte, versuchte er, sich einen Hai vorzustellen, der mit einem Biss vier seiner Männer verschlingen konnte. Ob so ein Fisch wohl noch immer in dem unerforschten Reich existierte, das sich in diesen unglaub­lichen Tiefen verbarg?

1

An Bord der Maxine D, Versorgungsschiff des Tauchboots DSV-4 Sea Cliff der US-NavyPhilippinenseeVor sieben Jahren

Trotzig stand Captain Richard Danielson auf dem Hauptdeck. In seinen Ohren brauste ein Südostwind, der mit einer Stärke von dreißig Knoten über den brodelnden Pazifik jagte. Jede Bö brachte das neunundzwanzig Tonnen schwere Tauchboot, das am Heck in der Luft hing, so zum Schaukeln, dass es Gefahr lief, von seinem Kran gerissen zu werden.

Für den amerikanischen Marineoffizier waren die Gischt und der unablässig schwankende Stahl unter seinen Füßen eine ständige Erinnerung daran, dass seine ursprünglich auf zwölf Tage angelegte Mission bereits in ihre dritte Woche ging. Als Kommandant von der Sorte, die am besten vom Schreibtisch aus kommandiert, befand Danielson sich eindeutig nicht in seinem Element. Vor drei Jahren hatte er sich auf den Marinestützpunkt Guam versetzen lassen – in der Hoffnung auf einen nicht von irgendwelchen Kampfeinsätzen bedrohten Posten, auf dem er die bis zu seiner Pensionierung verbleibenden Tage am Schreibtisch verbringen konnte. Guam hatte alles zu bieten, was man sich wünschen konnte – ein tropisches Inselparadies mit herr­lichen Stränden, Hochseefischerei und erstklassigen Golfplätzen. Und die Frauen … exotische Inselgewächse und schnuckelige Asiatinnen. Gut, gewürzt war dieser Posten mit dem im Vierteljahresrhythmus zu leistenden Nachweis der Gefechtsbereitschaft, aber diese Übungen auf See nahmen nur wenige Tage in Anspruch.

Von dem Tag an, an dem die Maxine D im Hafen eintraf, hatte Danielson geahnt, dass er in der Bredouille saß. Das Fahrzeug war eher ein Forschungs- als ein Kriegsschiff und im Prinzip so etwas wie ein stählerner Packesel zum Transport eines Tiefsee-U-Boots. Anders als bei den gewohnten Marinemanövern erhielt Danielson seine Befehle diesmal direkt vom Verteidigungsministerium. Der streng geheime Einsatzort des Tauchboots lag sechs Stunden von Guam entfernt in der Philippinensee. Das Verteidigungsministerium hatte Danielson von Anfang an klargemacht, dass er zwar offiziell das Kommando über den Tender hatte, aber was an Bord passierte, bestimmten die Wissenschaftler.

Das Problem bestand darin, dass bis zur vergangenen Woche kaum etwas passiert war. Zuerst hatte das an der Winde der U-Boot-Aufhängung gelegen, dann am Hauptgenerator und schließlich am Sonargerät des Bootes selbst. Durch die scheinbar endlosen technischen Pannen war Danielson zum Gefangenen einer Mission geworden, über die er nur wenig wusste, und die Eierköpfe an Bord verstärkten seinen Ärger nur. Zu den wiederholten Verzögerungen trug das Wetter bei, das sich mit jedem Tag verschlechtert hatte. Seine letzte feste Mahlzeit hatte Danielson vor zehn Tagen ausgekotzt; bei so einem Seegang war selbst den erfahrensten Seeleuten so flau im Magen wie bei einem üblen Kater.

Ironischerweise war es Mutter Natur, die ein Ende der Mission erzwang. P. A. G. A. S. A., die philippinische Behörde für Wetter, Geophysik und Astronomie, hatte einen mächtigen Taifun der Kategorie 2 gemeldet. Nicht ohne Grund hatte dieser den Namen Marian erhalten, denn sein vorausberechneter Weg würde ihn vom Japanischen Meer aus südwärts in einem langen Bogen an der Inselkette der Marianen vorbeiführen, bevor er sich nach Osten davonmachte. In sechsundzwanzig Stunden waren an der derzeitigen Position Windstärken von etwa einhundertfünfzig Stundenkilometern zu erwarten.

Eigentlich hätte die Maxine D in einer solchen Situation sofort Guam, die südlichste Insel des Archipels, ansteuern sollen. Auf das Drängen der an Bord befind­lichen Wissenschaftler hin hatte das Pentagon jedoch einen letzten Tauchgang genehmigt, bei dem sich das U-Boot zum vierten Mal in das Challengertief des Marianengrabens vorwagen sollte.

Dieser Meeresgraben war der tiefste Punkt der Erde, eine bis zu elftausend Metern tiefe, zweitausendvierhundert Kilometer lange und teils über sechzig Kilometer breite Schlucht, die von einer vulkanischen Subduktionszone gebildet worden war. Das Challengertief, benannt nach dem britischen Forschungsschiff, das es vor über hundert Jahren erstmals erkundet hatte, gehörte zu den tiefsten Regionen des Marianengrabens.

Weshalb die Navy überhaupt Zeit und Geld ausgab, um dieses finstere Loch zu erforschen, war Richard Danielson schleierhaft. Momentan bestand seine einzige Sorge darin, den auf siebzehn Stunden veranschlagten Tauchgang so schnell wie möglich in die Wege zu leiten, damit genügend Zeit blieb, um das U-Boot wieder hochzuholen, es auf Deck zu befestigen und dann schleunigst den Marinestützpunkt auf Guam anzulaufen, bevor Taifun Marian die Oberfläche des Pazifiks in eine Wasserversion des Himalaja verwandelte.

Während die Ausläufer des Sturms DSV-4 alias Sea Cliff ­heftig ins Schaukeln brachten und die für das U-Boot zuständige Mannschaft sich alle Mühe gab, es für den Tauchgang vorzubereiten, machte ein Mann Captain Danielsons Pläne unvermutet zunichte.

Die späte Nachmittagssonne brannte heiß vom Himmel, der Strand war voller Menschen. Jonas Taylor ging auf seiner Decke in die Knie und spürte ein Stechen im Rücken, weil er so lange auf dem Bauch gelegen hatte. Er streckte sich, dann blickte er zu der hinreißenden Blondine hinüber, die sich neben ihm in einem Liegestuhl aalte. Unter dem knappen roten Bikini wölbten sich braun gebrannte, eingeölte Brüste.

Jonas winkte seiner Frau zu, um sie zu einem Bad im Ozean aufzufordern.

Maggie hob abweisend die Hand.

Jonas lief zum Ufer. Das Meer war ruhig, kaum eine Welle war zu sehen. Er schritt bis zur Hüfte ins Wasser, in dem sich schon eine kleine Schar weiterer Badegäste tummelte.

Plötzlich stand ein asiatischer Junge neben ihm, nicht mehr als zehn Jahre alt. In den durchdringenden Mandelaugen lag ein Ausdruck tiefer Besorgnis.

»Geh nicht weiter hinein.«

Jonas starrte den Jungen an, dann blickte er sich nach dessen Vater oder Mutter um.

Merkwürdig. Nun waren die anderen Badegäste verschwunden.

Er wandte sich zum Strand um. Maggie war aufgestanden, bereit zum Aufbruch. Statt ihres Bikinis trug sie ein helles Kleid und High Heels. Ohne ihm auch nur einen Blick zuzuwerfen, ging sie davon.

Bud Harris, der einen Smoking trug, ging neben ihr her. Seine dunklen Haare waren zu einem Pferdeschwanz gebunden. Jonas winkte seinem Freund zu.

Bud erwiderte den Gruß, dann folgte er Maggie den Strand hinauf.

Jonas wandte sich nach dem Jungen um.

Der war verschwunden.

Jonas war allein.

Sein Herz hämmerte laut in der Stille hörbar. Jeder Atemzug dröhnte ihm in den Ohren.

Ein tiefes Grollen erhob sich wie ferner Donner. Dennoch blieb der Himmel völlig wolkenlos.

Draußen auf dem Meer tauchte eine Flutwelle auf, als würde sich der Horizont ein Stück weit heben. Langsam und majestätisch rollte sie heran, ein Berg aus brodelndem dunklem Wasser, zwanzig Stockwerke hoch.

Jonas wandte sich zur Flucht, doch seine Beine verweigerten ihm den Gehorsam.

Er blickte zu der Wand aus Wasser empor, die den Himmel verdunkelte. Dann stürzte sie mit einem Donnerschlag herab.

»Ahhh!«

Jonas Taylor setzte sich in seiner Koje auf. Seine Haut und das zerknüllte Bettlaken waren so mit Schweiß getränkt, dass der dreißigjährige Marineoffizier einen Moment nicht recht wusste, ob die Flutwelle ein Albtraum oder Wirklichkeit gewesen war.

Die vertrauten grauen Wände der Kabine sagten ihm, dass es sich um einen Traum gehandelt hatte.

Dann begann sich alles um ihn herum zu drehen.

Er schloss die Augen, doch das verschlimmerte die Übelkeit nur, weshalb er sie wieder öffnete. Der plötz­liche Schwindel erinnerte ihn an eine ähn­liche, zehn Jahre zurückliegende Erfahrung: Er hatte mit dröhnendem Schädel halb bewusstlos auf dem Rasen eines Footballplatzes gelegen. Das Beaver Stadion auf dem Campus der Penn State war in seinem Blickfeld zur Seite gekippt, während der Mannschaftsarzt mitten im Lärm der Zuschauer seinen Namen gebrüllt hatte: »Nicht bewegen, J. T.! Halt den Blick auf einen Punkt gerichtet, bis du wieder klar sehen kannst!«

Damals hatte er den Football fixiert, den er noch mit den Händen umklammert hatte, jetzt versuchte er es mit dem Bullauge, doch da das Schiff schwankte, hob er die linke Hand und starrte auf seinen Ehering.

Als seine Pupillen ein Ziel hatten, verging der Schwindel.

Ein hartnäckiges Klopfen weckte seine Aufmerksamkeit.

»Ist ja gut, komm rein!«, rief er.

Michael Royston, der Reservepilot des Tauchboots, kam durch die Tür. Sein mit dem Logo der East Tennessee State University versehenes T-Shirt war schweißnass, weil er offenbar wie jeden Morgen trainiert hatte. »Tut mir leid, dass ich dich aufwecken muss, Alter. Heller sagt, du sollst vor dem nächsten Tauchgang zur Routineuntersuchung ins Lazarett kommen. Sag mal, ist irgendwas nicht in Ordnung, Jonas? Du siehst aus, als wärst du gerade in der Hölle gewesen.«

»Da war ich auch. Dreimal in den letzten acht Tagen. Ein viertes Mal ist nicht mehr drin. Jedenfalls nicht heute.«

Royston riss die Augen hinter der Brille auf. Als Ersatzpilot der Mission war der Siebenundzwanzigjährige es gewöhnt, die zweite Geige zu spielen. Im vorangegangenen Jahr hatte er seinen Mentor zwar zweimal auf den Grund des Mittelamerikagrabens begleitet, aber als Copilot auf sechseinhalbtausend Meter zu tauchen, war etwas ganz anderes, als alleine bis in elftausend Meter vorzudringen. Das war in etwa so, als hätte man einen mittelmäßigen Baseball-Pitcher aufgefordert, es im entscheidenden Spiel der World Series ausgerechnet mit Mickey Mantle aufzunehmen.

»Meinst du denn, ich bin bereit dafür, Jonas? Das heißt, klar bin ich bereit! Schließlich bin ich dein Reservemann. Wenn du mich als Vertretung brauchst, machen wir das einfach, kein Problem!«

Es war schlecht gespielt. Die Großspurigkeit, die Royston sonst zur Schau trug, hatte sich in Beklommenheit verwandelt. Eine gesunde Portion Angst war zwar bei jedem Tiefseetauchgang angebracht, aber Jonas stellte mit Besorgnis fest, dass sein junger Vertreter normalerweise ein besserer Schauspieler war. Auf diesen Einsatz wollte er eindeutig lieber verzichten.

»Sehen wir erst mal, was Heller dazu meint«, sagte Jonas. »Sag ihm, ich bin in fünf Minuten da.«

Von seinem Bullauge aus sah Jonas den Schatten des U-Boots, das auf seinem Kran so stark hin und her schwang, dass seine Mannschaft es festhalten musste. Sowohl die Sea Cliff (DSV-4) als auch ihr Schwesterschiff Turtle (DSV-3) waren acht Meter lang und besaßen eine vordere Breite von gut zweieinhalb Metern, die sich zum Propeller hin verjüngte. Seit sie 1968 vom Stapel gelaufen waren, wurden sie von der Navy regelmäßig für Tauchfahrten in die Tiefsee eingesetzt. Der weiß lackierte Rumpf mit seiner orangeroten Einstiegsluke an der Oberseite beherbergte eine Kapsel für die bis zu dreiköpfige Besatzung. Diese Kapsel hatte einen Durchmesser von knapp zwei Metern und eine zehn Zentimeter dicke Wand aus Titan; der aus Fiberglas bestehende Rumpf war so konstruiert, dass er einen neutralen Auftrieb hatte. Ausgestattet war er mit einer Antriebseinheit, Ballast- und Trimmsystemen, Scheinwerfern, Kameras, Stahlgewichten, Greifarmen und mehreren Sammelkörben.

Nur wenige Personen außerhalb des Pentagons wussten, dass die Sea Cliff vor Kurzem aufwendig umgebaut worden war. Nun war die Titankapsel mit ihrem Aluminiumgehäuse in der Lage, einem Druck von 18 000 PSI zu widerstehen. Der Atemluftvorrat reichte für zweiunddreißig Stunden, doppelt so lange wie vorher; das Sinkgewicht hatte man um dreihundertfünfzig Kilo erhöht. Diese Maßnahmen waren nötig, um in eine Meerestiefe vorzudringen, die die Höhe des Mount Everest übertraf. Wenn etwas auf dem Everest schiefging, herrschte dort allerdings kein Druck, der einem den Schädel implodieren ließ.

Ein Tiefsee-U-Boot zu steuern, war ein Job, bei dem man Nerven wie Drahtseile brauchte. Nur die absoluten Topleute der Navy waren dazu befähigt, mit der umgebauten Sea Cliff in das Challengertief vorzudringen, die tiefste unerforschte Region der Erde. In diesen Abgrund waren erst vier Menschen gelangt, als man im Jahr 1960 zwei Bathyskaphen hinuntergelassen hatte. Gesteuert hatte diese Fahrzeuge niemand; sie waren einfach in die Tiefe gesunken, um anschließend wieder hochgeholt zu werden. Bei einem dieser Tauchgänge hatte das zehn Zentimeter dicke Panzerglas des einzigen Fensters einen Riss bekommen, weil es sich unter dem gewaltigen Druck verbogen hatte.

In den drei folgenden Jahrzehnten war niemand mehr in den Marianengraben getaucht.

Jonas Taylor hatte sich sechs Monate lang auf die Fahrt ins Challengertief vorbereitet. Sein Nervenkostüm war unerschütterlich, und statt des üb­lichen Draufgängertums stellte er einen fast meditativen Zustand zur Schau, sobald er sich in der Titankapsel der Sea Cliff befand – einer klaustrophobisch engen Kammer, in der es die drei Insassen dennoch bis zu zwanzig Stunden lang miteinander aushalten mussten.

Die streng geheime Mission war ebenso konkret wie gefährlich: Jonas sollte das Tauchboot in eine Tiefe von neuneinhalbtausend Metern steuern und es dort knapp über einer schlammig warmen Oase mitten im Ozean schweben lassen. Geschaffen wurde diese Oase von extrem heißem, mineralhaltigem Wasser, das aus den in der Tiefe befind­lichen Hydrothermalquellen schoss. Sobald das Boot zum Stillstand gekommen war, setzten die beiden Wissenschaftler, die Jonas begleiteten, eine Tauchdrohne aus. Diese drang in das Challengertief vor und sank weitere fünfzehnhundert Meter bis auf den Grund, um dort mit einer ferngesteuerten Saugvorrichtung Manganknollen zu sammeln.

Jonas hatte keine Ahnung, was an diesen grapefruitgroßen Felsbrocken so besonders war, und es war ihm auch schnuppe. »Für mich«, hatte er bei seinem ersten Gespräch mit Danielson gesagt, »wird der Tauchgang zur Routine, sobald wir kein Licht mehr sehen, also bei etwa dreihundertfünfzig Metern. In dem Universum vor meinem Fenster wäre bestimmt allerhand zu sehen – biolumineszente Kreaturen, Begattungsrituale, Schwärme von Quallen und alles Mög­liche, das im Dunklen leuchtet –, aber bevor ich unten bin, achte ich ausschließlich auf meine Instrumente. Ich will gar nicht wissen, was da draußen ist, will an nichts anderes denken als daran, das Boot zu steuern. Sobald ich meinen Kopfhörer aufsetze – bei mir läuft immer klassische Rockmusik –, bin ich die folgenden fünfzehn Stunden lang mehr oder weniger auf Autopilot.«

Der erste, acht Tage zurückliegende Tauchgang hatte ihn eines Besseren belehrt.

Um in die Hadalzone der Tiefsee vorzudringen, brauchte man wesentlich mehr Zeit als bei einem normalen Einsatz, und die längere Konzentration hatte Auswirkungen auf den mentalen und physischen Zustand des Piloten. Wie bei Flugzeugpiloten oder Fluglotsen konnten Stress und Erschöpfung schnell zu einer gefähr­lichen Beeinträchtigung des logischen Denkens führen. Die Arbeits- und Ruhephasen der U-Boot-Piloten und der Mannschaft an Deck des Begleitschiffs mussten daher streng überwacht werden. Für den Fall, dass die mentale Kapazität beeinträchtigt war, stand Reservepersonal bereit.

Ins Challengertief zu tauchen, war für Jonas eine völlig neue Erfahrung. Der Wasserdruck war so gewaltig, dass er ein beunruhigendes Knarren in der Titanhülle erzeugte. Noch schlimmer war die hydrothermale Rauchfahne. Unterhalb dieser aufgewühlten Schicht waren die Temperaturen tropisch, darüber nahe dem Gefrierpunkt. Durch den Temperaturunterschied entstanden unberechenbare Strömungen, die drohten, das Fahrzeug ins Verderben zu schleudern. Es war, als würde man auf einem Hochseil über die Niagarafälle balancieren.

Erst sechzehn Stunden nach Beginn des ersten Tauchgangs kam das Boot wieder an die Oberfläche. Jonas war so erschöpft, dass man ihn aus der Kapsel ziehen musste.

In weniger als einer Woche waren zwei weitere Tauchgänge gefolgt. Er hatte über fünfzig Stunden zusammen mit zwei Wissenschaftlern in einer winzigen Titankapsel verbracht, und nun sollte er das schon wieder tun.

Jeder Mensch hat bestimmte Grenzen. Dass Jonas über seine hinausgegangen war, war ihm seit dem letzten Tauchgang klar. Da hatte er nämlich nicht mehr gewusst, ob er die Sea Cliff gerade steuerte, oder ob er das nur träumte.

Dr. Frank Heller war zwar der erste Mediziner in seiner Familie, aber bereits in der dritten Generation Mitglied der Navy. Sein Großvater hatte im Zweiten Weltkrieg auf einem Flugzeugträger gedient, sein Vater und seine beiden Onkel im Koreakrieg auf dem Schlachtschiff USSMissouri. Sein jüngerer Bruder Dennis war Stellvertretender Leitender Ingenieur auf einem Angriffs-U-Boot, seine ältere Schwester früher Tauchsicherheitsoffizierin gewesen.

Heller wusste nur zu gut, dass Chief Warrant Officer Carolyn Heller-Johnston den Piloten, der da auf seiner Untersuchungsliege saß, niemals für einsatzbereit erklärt hätte. Allerdings musste seine große Schwester sich nicht mit einem Bürohengst wie Dick Danielson und den Bürokraten im fernen Washington auseinandersetzen.

Bei Taylors letztem Tauchgang hatte man genau die Sorte Manganknollen zutage befördert, auf die das Wissenschaftlerteam offenbar besonders scharf war. Nun verlangte man einen weiteren Einsatz, bevor Taifun Marian morgen gegen Mittag seine volle Wucht entfalten würde. Stürmisches Wetter, eine Tiefseeströmung, allein schon ein Fischschwarm konnten dazu führen, dass der ersehnte Schatz an einen anderen Ort getrieben wurde. Dann war es beim nächsten Tauchgang unmöglich, an derselben Stelle fündig zu werden.

Im Grunde ließ Danielson dem Arzt kaum eine Wahl. So­­lange Jonas Taylor bei einigermaßen klarem Verstand war, muss­­te man ihn für tauglich erklären, einen weiteren Tauchgang durchzuführen.

Der vierundvierzigjährige Arzt mit dem ergrauten Bürstenhaarschnitt löste die Blutdruckmanschette, die er an Jonas Taylors linkem Bizeps befestigt hatte. »Hundertsiebenunddreißig zu achtzig. Leicht erhöht, aber nicht weiter bedenklich.«

»Normalerweise habe ich eins zehn zu sechzig.«

»Du bereitest dich offenbar mental auf den heutigen Einsatz vor. Arme seitlich ablegen, Augen zu. Leg jetzt den rechten Zeigefinger an die Nasenspitze.«

»Uuuh!« Jonas wurde von Schwindel ergriffen und verlor die Orientierung. Als er die Augen aufriss, drehte sich alles um ihn herum.

»Schwindel?«

»Nein, danke, hab schon genug davon.«

»Das geht vorbei.«

»So beruhigend das auch klingen mag, Frank, mein Gehirn ist momentan weich wie Brei.«

Captain Danielson kam herein. »Na, wie geht’s unserem Helden?«

»Der ist ein bisschen knatschig. Er bekommt Meclozin gegen seinen Schwindel und eine Spritze B-12, um die Erschöpfung zu vermindern; ansonsten ist er einsatzfähig.«

»Moment mal, wie bitte?«

»Ausgezeichnet. Commander, bestimmt macht Sie der gute Doktor im Handumdrehen wieder topfit.«

»Der gute Doktor hat offenbar nicht alle Tassen im Schrank. Ich bin total benebelt, meine Bewegungen sind ungenau, und ich habe gerade mal drei Stunden geschlafen.«

»Die Navy SEALs müssen mit so was ständig umgehen. Reißen Sie sich zusammen, Taylor. Trinken Sie ein paar Tassen Kaffee, machen Sie ein bisschen Gymnastik. Dann sind Sie sicher gleich wieder auf dem Damm.«

»Auf dem Damm? Es geht hier nicht darum, Tante Bea im Streifenwagen zur Kirche zu fahren, damit sie den Apfelkuchen fürs Picknick abliefern kann, Captain. Das ist der Marianengraben! Da unten muss ich klar denken können. Royston an meiner Stelle einzusetzen, können Sie sich übrigens abschminken. Der ist absolut nicht bereit dafür.«

»Die Navy ist offenbar anderer Meinung, sonst hätte man ihn Ihnen nicht als Ersatzmann zugeteilt.«

»Ein Ersatzmann ist Vorschrift. Royston war der einzige verfügbare Pilot, der jemals mehr als viereinhalbtausend Meter Tiefe erreicht hat.«

»Rein technisch gesehen ist er also qualifiziert.«

»Rein technisch gesehen ist Frank auch ein Arzt, aber ich würde Ihnen nicht empfehlen, sich von ihm einen Gehirntumor operieren oder ein Furunkel an Ihrem Hintern aufstechen zu lassen – was in Ihrem Fall wahrscheinlich auf dasselbe hinausläuft.«

Danielson wurde puterrot. »Dr. Heller, haben Sie Commander Taylor für einsatzfähig erklärt?«

»Ja, Sir.« Dem Blick, den Jonas ihm zuwarf, wich der Arzt geflissentlich aus.

»Commander Taylor, ich erteile Ihnen den Befehl, sich Punkt neun Uhr an Ihrem Boot einzufinden. Falls Sie sich weigern, kommen Sie vor ein Militärgericht, und Mr. Royston nimmt Ihren Platz ein. Haben Sie mich verstanden?«

Jonas stand auf. Einen langen Moment starrten er und Da­­nielson sich an, dann drehte sich der Tauchboot-Pilot um und löste den Gürtel seiner Hose, um sie samt seinen Boxershorts feierlich herunterzulassen, bis sein nackter Hintern zum Vorschein kam. »Die Vitaminspritze kommt am besten gleich hier rein«, sagte er.

Vierzig Minuten später saß Jonas Taylor in der Sea Cliff und ging wie gewohnt seine Checkliste durch – für einen Tauchgang, der sein ganzes rest­liches Leben prägen würde.

2

Marinestützpunkt Guam

Die Inselkette der Marianen, gelegen in der als Mikronesien bekannten Region im Westpazifik, ist ein bogenförmiger, aus fünfzehn vulkanischen Bergen bestehender Archipel. Entstanden sind diese Inseln vor Jahrmillionen durch Lava, die aus dem Meeresboden der Philippinensee quoll, bis sich der west­liche Rand der Pazifischen Platte unter die Philippinische Platte schob. An dieser vulkanisch aktivsten Kontinentalplattengrenze der Erde ist auch deren tiefste Region entstanden, der Marianengraben. Verbunden mit dem Subduktionsvorgang ist eine hydrothermale Aktivität entlang der Verwerfungslinie. Durch sie wird das am Grund des bis zu 11 000 tiefen und 2400 Kilometer langen Grabens befind­liche Wasser erhitzt.

Die größte und südlichste Insel der Marianen ist Guam, ursprünglich Heimat der Chamorro, eines Seefahrervolkes mit einer über viertausendjährigen Geschichte. Als die Insel nach dem Spanisch-Amerikanischen Krieg von den Vereinigten Staaten annektiert wurde, veränderte sich ihre Identität drastisch. Ihre strategische Position zwischen Hawaii und dem asiatischen Festland macht sie zu einem idealen Ort für einen Militärstützpunkt. Inzwischen beherbergt Guam fünf dieser Einrichtungen, darunter den Marinestützpunkt auf der Orote-Halbinsel an der Westküste und die Andersen Air Force Base an der nordöst­lichen Spitze.

Command Master Chief Steven Leiffer wandte den Blick von dem dunkelgrauen Himmel ab, um ihn auf den schwarzen Cadillac-SUV zu richten, der auf das Haupttor zugefahren kam. Die unangekündigten Besuche von Konteradmiral Kevin Quercio waren keine tatsäch­lichen Inspektionen, sondern hatten einen eher geselligen Charakter. Begleitet wurde er immer von politischen Verbündeten und VIPs aus dem militärisch-industriellen Komplex. Im Grunde handelte es sich um mit Steuergeldern finanzierte, teils mehrtägige Vergnügungsfahrten, bei denen sich alle königlich amüsierten.

Da Danielson auf See und ein Taifun im Anzug war, waren der partyfreudige Admiral und seine angeheiterten Gäste allerdings das Letzte, was Leiffer momentan gebrauchen konnte.

Er salutierte vor Quercio, während dieser seinen massigen Leib aus dem Wagen wuchtete.

»Willkommen in Guam, Admiral!«

»Schön, Sie wiederzusehen, Chief. Erinnern Sie sich noch an Senator Michaels?«

Der republikanische Politiker aus Alaska nickte Leiffer zu.

»Und diese beiden Gentlemen … na, nennen wir sie einfach Mr. Black und Mr. Blue, um das Ganze nicht unnötig zu verkomplizieren.«

Leiffer kannte die beiden bereits. Es waren Manager der Baufirma KBR und des Ölkonzerns BP. »Meine Herren, ich muss Sie um Ihr Verständnis bitten. Admiral, Captain Danielson ist momentan unterwegs, und wir hier sind damit beschäftigt, uns auf Taifun Marian vorzubereiten. Wenn ich Ihnen allerdings eine Unterkunft außerhalb des Stützpunkts besorgen soll …«

»Ist schon geregelt, Leiffer, wir übernachten im Radisson. Allerdings habe ich unseren Gästen einen Rundflug mit dem Hubschrauber versprochen. Wo ist Mac?«

Leiffer stockte der Atem. »Sir, Commander Mackreides ist damit beschäftigt, seine Maschinen im Hangar zu sichern. Vielleicht kann ich es einrichten, dass Commander Rosario sich um Sie und Ihre Gäste kümmert.«

Admiral Quercio legte Leiffer den Arm um die Schultern und führte ihn einige Schritte von den anderen weg. »Versuchen Sie bloß nicht, mich auf den Arm zu nehmen, mein Lieber. Suchen Sie Mac und sagen Sie ihm, er soll in exakt zehn Minuten zum Landeplatz kommen. Sonst seid ihr beide dran.«

Commander James »Mac« Mackreides hob den Blick von den beiden Buben in seiner rechten Hand und richtete seine Adleraugen auf ein olivgrünes T-Shirt, das sich über üppige Brüste spannte. »Du bluffst schon wieder, Rudd. Woher ich das weiß? Weil dann deine Brustwarzen steif werden.«

Natalie Rudd warf ihm einen Handkuss zu. »Ich setze hundert, Mac. Rein oder raus, wie deine Nutten sagen würden?«

»Das sind keine Nutten, Rudd, sondern eine Eskorte.« Mac warf einen Blick auf die Chips, die der Zahnarzthelferin verblieben waren. »Wie wär’s damit – ich gehe mit und erhöhe um hundert.«

»Arschloch. Du weißt doch, dass ich keine zweihundert mehr hab, sondern bloß sechzig.«

Warrant Officer Vicky Baker verdrehte die Augen. »Jetzt ist es wieder so weit. Na, was schlägst du denn diesmal vor, Mac? Drinks bei Geronimo’s oder einen Ausflug nach Facpi Point?«

»Klappe, Baker, wir verhandeln gerade. Tja, Rudd, wenn du verlierst, wie wäre es dann mit einem Wochenende in Pago Bay? Nur du, ich und das Meer.«

»Vic, leih mir doch mal vierzig Dollar, damit ich den Bluff von diesem Wüstling aufdecken kann.«

»Zeig mir mal deine Karten.«

Rudd hielt ihrer Freundin das Blatt unter die Nase.

»Call«, sagte Vicky und legte ihre eigenen Chips auf den Haufen.

»Wenn du so sicher bist, Baker, wieso erhöhst du dann nicht?«

»Damit du die Chance hast, noch was draufzulegen und mich in deine kindischen Spielchen reinzuziehen? Kommt nicht in die Tüte.«

»Denk doch mal nach, Baker – du, ich und Rudd zu dritt in einem Bungalow.«

»Klingt interessant, Mac, aber da bist du nur das dritte Rad am Wagen.«

Die Männer, die rund um den Tisch standen, stießen einen Pfiff aus.

»Okay, Rudd, das wär’s dann. Zeig mir deine Titten … äh, ich meine natürlich dein Blatt.«

Die Brünette drehte ihre Karten um. »Full House mit drei Zehnen und zwei Dreien.«

Mac knirschte so heftig mit den Zähnen, dass das Streichholz in seinem Mund zerbrach. »Na, dann …«

Rudd klatschte ihre Freundin ab. »Ist immer wieder ein Vergnügen, Geschäfte mit dir zu machen, James!«, sagte sie zu Mac gewandt.

»Ach, der arme Kerl«, flötete Vicky Baker. »Sieht aus, als hätte er sich an ’nem Big Mac verschluckt, weil er den Mund zu voll genommen hat.«

Mac wollte gerade etwas erwidern, als er sah, wie ein Jeep vor den offenen Hangartoren stoppte. Steve Leiffer kam hereingelaufen.

»Na, wenn das nicht der stellvertretende Kommandant ist!«, begrüßte ihn Mac. »Wo brennt’s denn, Nummer zwei? Ist Da­­nielson auf hoher See ersoffen, als er versucht hat, seine Golfbälle aus dem Wasser zu fischen?«

»Hör bloß mit den verdammten Späßen auf, Mac. Gerade ist Konteradmiral Quercio mit einem republikanischen Senator und zwei nervigen Zivilisten eingetroffen. Er sagt, du sollst samt deiner Maschine in zehn Minuten zur Verfügung stehen.«

»Abgelehnt, Stevie. Erstens sind meine Leute gerade damit fertig geworden, die Vögel in ihren Nestern zu verstauen. Und zweitens – was noch wichtiger ist – hat Quercio meinen Mädels bei den letzten beiden Malen keinen Cent extra gegeben. Ich bringe ihn nur zur Lagune runter, wenn er da ordentlich was springen lässt.«

»Mac, bitte …«

»Vergiss es. Nimm doch Baker und Rudd hier, die werden ihn sicher gerne unterhalten.«

»Das könnt ihr euch abschminken«, sagte Rudd, während sie ihre Chips einlöste.

»Mac, der lässt uns beide in den Bau stecken.«

Vicky Baker grinste. »Mac täte das bestimmt ganz gut.«

Leiffer ignorierte die Bemerkung. »Du bist mir was schuldig, Mac. Letzen Monat hab ich dich gleich zwei Mal bei Danielson rausgehauen.«

»Meine Mädels müssen ihre Familien unterstützen, Stevie, die wollen anständig bezahlt werden. Von nix kommt nix.«

»Na gut, ich wollte das zwar eigentlich nicht aufs Tapet bringen, aber wenn du mich jetzt hängen lässt, erzähle ich Danielson von der Sache mit Ashley Kushnel.«

Natalie Rudd riss die Augen auf. »Das war doch diese Intensivkrankenschwester mit den Tattoos, oder? Mann, in die war Danielson total verknallt. Erinnerst du dich an sie, Vicky?«

»Wie könnte ich die vergessen, schließlich hat er mich wegen ihr um Rat gefragt. Sie hat ihn um den kleinen Finger gewickelt. Er hat sie ständig ausgeführt; sogar ’nen Ring hatte er schon ausgesucht. Zwei Tage nach seinem Antrag hat sie beantragt, sich versetzen zu lassen.«

»Da war nur Mac dran schuld«, sagte Leiffer.

»Was hast du ihr denn angetan, Mac?«

»Nichts in der Richtung. Ich hab ihr nur meine professionelle Meinung über ihren zukünftigen Verlobten mitgeteilt.«

»Deine professionelle Meinung? Du bist ein Heli-Pilot!«

»Stimmt, aber in erster Linie betrachte ich mich als Lebensberater.«

»Stevie, wie hat unser Ritter von der traurigen Gestalt es überhaupt geschafft, dass die Frau ihm zugehört hat? Hat er sie etwa besoffen gemacht?«

Leiffer grinste. »Keineswegs. Kushnel hat die Aufforderung erhalten, sich beim psychologischen Berater unseres Stützpunkts zu ihrer jähr­lichen Evaluation vorzustellen.«

»Bei was für einem psychologischen Berater?«, sagte Rudd. »So was haben wir hier doch gar nicht!«

»Wer hat diese Evaluierung denn durchgeführt?«, fragte Vicky Baker.

»Dr. James Mackreides.«

Mac zwinkerte. »Wir haben vier Stunden miteinander verbracht, außerdem das folgende Wochenende, und zwar in Honolulu. Das arme Mädchen hatte so viel auf dem Herzen, was sie loswerden musste. Ich würde euch gern ein bisschen was davon erzählen, aber ihr wisst schon, die ärzt­liche Schweigepflicht …«

Der Sikorsky H-3 Sea King war ein zweimotoriger, für jedes Wetter geeigneter Mehrzweckhubschrauber, der von der Navy eingesetzt worden war, um feind­liche Unterseeboote zu entdecken, zu identifizieren, zu verfolgen und zu vernichten. Als man ihn in den 1990er-Jahren durch den SH-60F Sea Hawk ersetzt hatte, waren vier der zweiundzwanzig Meter langen und fünfeinhalb Tonnen schweren Kolosse nach Guam verlegt worden. Seitdem hielt sie ein Mechanikerteam unter Leitung von James Mackreides in Schuss.

Eine dieser Maschinen flog nun an der Südwestküste von Guam entlang, gebeutelt von Winden, die eine Geschwindigkeit von über fünfzig Stundenkilometern erreichten. Das Ziel, das Mac anvisierte, war eine kleine Siedlung namens Merizo, die auf der Südhalbinsel an der Cocos Lagoon lag. Admiral Quercio saß vorne, seine Gäste hatten sich an den Sitzen im Laderaum festgeschnallt.

»Mac, die zwei hübschen jungen Damen, denen Sie mich beim letzten Mal vorgestellt haben … wie hießen die noch mal?«

»Ihre Chamorro-Namen sind zu schwierig auszusprechen. Nennen wir sie einfach Ginger und Mary Ann.«

»Reizend. Sobald meine Gäste untergebracht sind, arrangieren Sie ein Rendezvous für mich, ja?«

»Gingers Vater hat Diabetes und letztes Jahr ein Bein verloren, Mary Ann hat ein Kind. Da erwarten die beiden, für ihre Dienste anständig bezahlt zu werden.«

»Dann kümmern Sie sich doch darum!« Der Admiral quetschte Macs Schulter. »Ich weiß doch, dass Sie bei jeder Transaktion einen hübschen Betrag abzweigen. Betrachten Sie meine Ausflüge einfach als notwendige Geschäftsausgabe.«

Mac knirschte mit den Zähnen, bevor er den Admiral boshaft angrinste. »Für die VIPs unter unseren Kunden haben wir uns übrigens was Neues ausgedacht. Sozusagen unsere Version des Mile High Clubs. Ich habe hinten zwei Luftmatratzen liegen. Wie wär’s, wenn ich Sie und die beiden Süßen ein Weilchen über die Lagune fliege? Die Mädels sind in so einem privaten Rahmen weniger gehemmt, und die Rotoren machen so viel Lärm, dass sie keiner kreischen hört.«

»Ein fliegendes Bordell, hm? Aber was ist mit dem Wind?«

»Ginger und Mary Ann haben es gern ein bisschen rustikal.«

Der Admiral grinste. »Na, dann nur zu.«

3

An Bord der Tallman26 Seemeilen nordöstlich des Challengertiefs

Die Tallman, ein 84 Meter langes, von zwei Maschinen mit jeweils 653 PS angetriebenes Forschungsschiff, setzte ihren Zickzackkurs nach Südwesten fort. Das sich im Besitz der kanadischen Firma Agricola Industries befind­liche Fahrzeug und seine Mannschaft wurden regelmäßig an Ölkonzerne vermietet, um die vor und nach einer Bohrung notwendigen Untersuchungen durchzuführen und Pipelines zu inspizieren. Außerdem nutzten es Bergungsfirmen, um Informationen über zu hebende Wracks zu sammeln. Durch solche Aufträge finanzierte das Schiff sich zwar, doch was seine Besitzer wirklich interessierte, waren anspruchsvollere wissenschaft­liche Unternehmungen – wie jene, die gerade kurz vor dem Abschluss stand.

Eine internationale wissenschaft­liche Expedition hatte die Tallman an ihren derzeitigen Standort in der Philippinensee geführt. Paul Agricola, der Sohn des Firmenchefs, war damit beauftragt worden, Daten über einen Tiefsee-Vulkan namens NW Rota-1 zu sammeln. Seit seiner Entdeckung vor drei Jahren war sein bereits eindrucksvoller Kegel durch die ständigen Ausbrüche um weitere fünfundzwanzig Meter gewachsen. Nun ragte er zwölf Stockwerke hoch vom Grund des tiefsten Grabens der Erde auf.

Um derartige Tiefen zu erforschen, waren hochsensible Ortungsgeräte erforderlich. Daher war ein vier Meter langer, gondelförmiger Behälter am Kiel der Tallman befestigt, der ein multistatisches Sonar beherbergte. Mit den auf zwei Frequenzen ausgesandten Schallimpulsen konnte selbst der tiefste Meeresboden kartografiert werden. Eine besondere Herausforderung stellte die hydrothermale Rauchfahne dar, die in neuneinhalbtausend Metern Tiefe die Wirkung des Sonars beeinträchtigte. Dieses Problem hatte man mit der Sea Bat gelöst, einem ferngesteuerten Tauchboot mit Flügeln, von dem sich zwei Exemplare an Bord befanden. Über ein Kabel mit dem Ortungssystem an Bord des Schiffs verbunden, sank es wie ein Unterwasserdrachen unter die Rauchschicht, um die von seinem eigenen Sonar empfangenen Impulse nach oben zu melden. Dabei konnte es jedes Objekt innerhalb seiner akustischen Reichweite identifizieren.

Drei Monate lang war die Tallman in dem Bereich über dem submarinen Vulkan gekreuzt, hatte Wasserproben gesammelt und Aufnahmen des üppigen Ökosystems gemacht, das in der warmen Wasserschicht gedieh. Wolken aus Garnelen und Krabben flohen bei jedem Ausbruch der Schlote, um anschließend zu ihrer Nahrung zurückzukehren – den sich rasch vermehrenden Bakterien, die das erste Glied einer Nahrungskette bildeten, zu der unter anderem große Schwärme von weißen, fünfeinhalb Meter langen Tintenfischen und einzelne Riesenkalmare gehörten.

Da die Tallman ihre aktuelle Operation beendet hatte, sollte die Sea Bat gerade hochgezogen werden, als im Blickfeld des Sonars plötzlich ein großes Objekt auftauchte. Das Signal war eindeutig biologischer Natur. Aber worum handelte es sich?

Das Sonar ortete ein sehr großes Tier mit einer Länge von mehr als fünfzehn Metern und einem Umfang, der auf ein Gewicht von fünfzehn bis fünfundzwanzig Tonnen schließen ließ. Um einen Riesenkalmar konnte es sich also nicht handeln, und angesichts der Tiefe des Objekts – 8026 Meter – kamen auch ein Pottwal oder irgendein anderes bekanntes Säugetier nicht infrage.

Die drei an Bord befind­lichen Meereskundler kamen zu dem Konsens, dass man es höchstwahrscheinlich mit einem sehr großen Walhai zu tun hatte.

Nur der jüngste Wissenschaftler war anderer Meinung.

Paul Agricola war zwar kein Unternehmer wie sein Vater Peter, doch der zweiunddreißigjährige Biologe ließ sich nur selten eine günstige Gelegenheit durch die Finger gleiten. Er verschob die Abfahrt des Schiffes und wies den Kapitän an, im Kreis zu fahren, während er einige Experimente mit dem Sonar durchführte. Die Sea Bat diente ihm dabei als Köder.

Die geheimnisvolle Kreatur aktiv mit 24 Kilohertz anzupingen, zeigte keine Wirkung, während mit der niedrigeren Frequenz von zwölf Kilohertz ausgesandte Schallimpulse dazu führten, dass das riesenhafte Tier aus der Tiefe emporschoss – ein Verhalten, das für Walhaie völlig untypisch war. Nach Paul Agricolas Meinung handelte es sich eindeutig um ein Raubtier, das sich nicht von Krill, sondern von größeren Beutetieren er­­nährte, aber so aggressiv die Kreatur auch war, sie war nicht dazu zu bringen, die hydrothermal erwärmte unterste Schicht der hadopelagischen Zone zu verlassen.

»Ein Walhai ist es eindeutig nicht, aber auf jeden Fall ein Hai«, sagte Paul Agricola. »Die sensible Reaktion auf die bioelektrischen Felder des Sonars weist darauf hin, dass dieses Lebewesen Lorenzinische Ampullen besitzt … weshalb wir es offenbar mit einer Art der Gattung Carcharodon zu tun haben.«

»Aufgrund welcher Indizien?«, fragte Eric Stamp, von Beruf Ichthyologe, zweifelnd.

»Vor allem der Größe wegen. Der Körperumfang übertrifft den jedes Walhais, der bisher gesichtet wurde.«

»Mag sein, aber ein solches Größenwachstum kann eine adaptive Reaktion auf das eiskalte Wasser der Tiefsee darstellen. Denken Sie an die Bergmann’sche Regel – die Körpergröße nimmt zu, je niedriger die Umgebungstemperatur ist. Diese Anpassung sorgt dafür, dass im Verhältnis zur Größe eine geringere Körperoberfläche mit der Umgebung in Kontakt kommt, was den Wärmeverlust reduziert.«

»Richtig, Professor Stamp, aber Ihr Argument wird durch die Tatsache abgeschwächt, dass dieses geheimnisvolle Monster sich weigert, die wärmeren Schichten des Marianengrabens zu verlassen.«

»Das heißt, es handelt sich um einen Bodenbewohner, was auf Carcharodon eindeutig nicht zutrifft.«

»Es ist zweifellos ein Tiefseebewohner, Professor, aber nicht notwendig ein Bodenbewohner, und weder Bodenbewohner noch Walhaie greifen ferngesteuerte Geräte an. Übrigens vermute ich, dass der Hai die warme Schicht verlassen könnte, wenn er nur wollte.«

»Na, du Genie, jetzt würde ich aber gern hören, woher du das wissen willst!« Der Einwand stammte von Lucas Heitman, dem Kapitän der Tallman. Er stammte aus New Jersey, war mit Paul in derselben Studentenverbindung gewesen und versäumte keine Gelegenheit, dem Ego seines Freundes einen Dämpfer zu versetzen.

»Das ist eine simple Schlussfolgerung, basierend auf der Körpermasse eines Hais, wovon du bekanntlich keine Ahnung hast. Nehmen wir beispielsweise Carcharodon carcharias, den Weißen Hai. Die Natur hat große Haie mit einer Anatomie ausgestattet, die sie widerstandsfähig gegen Kälte macht – ihre Seitenlinienorgane bestehen aus einer netzähn­lichen Struktur aus Venen und Arterien. Während der Hai schwimmt, erzeugt die Bewegung seiner Muskeln Wärme im venösen Blut, das wiederum das arterielle Blut erwärmt wie ein innerer Blasebalg. Man bezeichnet das als Gigantothermie. Auch der Hai da unten muss über so ein System verfügen, was bedeutet, dass er pro­blemlos genügend Wärme erzeugen könnte, um in höhere Wasserschichten vorzustoßen. Trotzdem tut er das nicht. Weshalb? Weil er dazu konditioniert ist, in seinem tropischen Habitat zu bleiben.«

»Wodurch konditioniert?«

»Durch die letzte Eiszeit. Konzentrier dich ein bisschen, Lucas, ich werde versuchen, es so zu erklären, dass es selbst ein Fünftklässler verstehen würde. Die Abkühlung während der letzten Eiszeit hat die warmen Meeresströmungen beeinträchtigt, wodurch sich die Nahrungsketten in den drei gemäßigten Ozeanen verändert haben. Ein Tiefseegraben wie der hier enthält jedoch vulkanische Hotspots. Wie wir am Rota-1 gesehen haben, sorgt deren Wärme für das Wachstum von Bakterien, und die bilden die Grundlage eigener Nahrungsketten. Wenn sich Exemplare der Haiart, mit der wir es hier zu tun haben, zu Beginn der Eiszeit in einer Region mit einer Hadalzone befanden, konnten sie überleben, indem sie sich in die warme Wasserschicht unter der hydrothermalen Rauchfahne begaben. Ihre Artgenossen hingegen haben die extreme Kälte nicht ausgehalten und sind zugrunde gegangen.«

»Ihre Artgenossen? Das hört sich ganz so an, als wüsstest du, um was für ein Tier es sich handelt!«

»Das tue ich auch. Angesichts seiner Größe, seiner Aggressivität und der Tatsache, dass es alleine jagt, würde ich mit siebenundneunzigprozentiger Gewissheit sagen, dass wir es mit Carcharodon megalodon zu tun haben.«

»Mit einem Megalodon?« Professor Stamp zog eine spöttische Grimasse.

Die beiden anderen Meereskundler waren sichtlich fasziniert von dieser Theorie. »Paul, das Meg hat Wale gejagt«, wandte der eine skeptisch ein. »Aus den Zehntausenden von fossilen Zähnen, die man in der Nähe des Festlands gefunden hat, wäre eigentlich zu schließen, dass es eher seichtere Gewässer vorgezogen hat.«

»Vielleicht werden die meisten Megalodon-Zähne ja nur deshalb gerade in solchen Gewässern gefunden, weil sie da auch leichter zu finden sind. Man hat jedoch auch in größeren Tiefen welche entdeckt. Bei der Challenger-Expedition wurden sogar genau hier, im Marianengraben, welche gefunden. Nein, meine Herren, es ist eindeutig ein Megalodon, und ich habe vor, den Beweis dafür zu erbringen.«

Kapitän Heitman bekam eine Gänsehaut. »Aber wie, Paul? Wie willst du es beweisen?«

Paul Agricola verzog den Mund zu dem strahlenden Lä­­cheln, das er von seinem Vater geerbt hatte. »Lucas, alter Kumpel, wir werden es nach oben locken.«

4

An Bord der DSV-4 Sea Cliff

Langsam löste der sich der knapp dreißig Tonnen schwere Ko­­loss aus seiner Halterung und verschwand, Ströme von Luftbläschen hinter sich herziehend, aus dem Blickfeld des Taucherteams. Der Glasfaserrumpf, in dem sich auch die zehn Zentimeter dicke Mannschaftskapsel aus Titan befand, diente in erster Linie als Gehäuse für die Silber-Zink-Batterien, die gesamte Elektrik, darunter das Lebenserhaltungssystem, und die beiden Hydraulikmotoren, von denen der Propeller angetrieben wurde. Video- und Fotokameras, Scheinwerfer, Sonare mit kleiner Reichweite, zwei für sieben Funktionen ausgelegte, hydraulisch betriebene Greifarme, ein Sammelkorb für bis zu 115 Kilogramm Inhalt und eine Art Super-Staubsauger zum Sammeln von Proben waren außen an den Rumpf montiert.

Paarweise vorne und mittschiffs angebrachte Ballasttanks verhinderten, dass das Tauchboot in der Tiefe versank wie ein Anker. Falls es durch Strömungen aus dem Gleichgewicht geriet, konnte der Pilot das vom Battelle-Institut entwickelte Trimmsystem einsetzen – Kugeln aus gesintertem Wolframcarbid, die sich an beiden Enden des Rumpfs in einer Hydraulikflüssigkeit bewegten.

An der Unterseite des Rumpfs waren Stahlplatten befestigt. Um aufzusteigen, warf der Pilot diese sechs Tonnen Ballast einfach ab, woraufhin die veränderte Auftriebskraft das Fahrzeug an die Oberfläche schweben ließ.

Aufgrund einer Vorwärtsgeschwindigkeit von lediglich zweieinhalb Knoten waren die Tauchgänge der Sea Cliff örtlich be­­grenzt. Im Grunde handelte es sich um eine mechanische Tauchschildkröte deren wasserdichter Titanpanzer drei Passagiere beherbergte.

Von den drei Teams, die man der Expedition zugeteilt hatte, fand Jonas das aus Richard Prestis und Mike Shaffer bestehende Wissenschaftlerduo am sympathischsten. Im Gegensatz zu ihren reichlich aufgeblasen wirkenden Kollegen stellten die beiden gut vierzigjährigen Geologen einen kind­lichen Humor zur Schau – besonders zur Essenszeit, wenn Prestis in unbeobachteten Momenten versuchte, Shaffer etwas vom Teller zu klauen, worauf dieser ihn aus Rache in die Brustwarzen kniff.

Die Titankapsel war allerdings viel zu klein, um darin herum­zublödeln. Sie war mit einem Whirlpool vergleichbar, in dem drei erwachsene Männer unter einem kuppelförmigen Deckel voller Instrumente saßen. Die drei elf Zentimeter großen Sichtfenster trugen wenig dazu bei, das ständige, unterschwellige Gefühl der Klaustrophobie zu lindern. Aus diesem Grund waren die beiden Wissenschaftler gezwungen, ihre kognitive Leistungsfähigkeit mit Valium abzusichern.

Für Jonas war ein solcher Luxus tabu. Er konnte sich keinerlei Konzentrationsschwäche leisten, vor allem am heutigen Tag nicht.

In gewissem Sinne drohten dem Piloten eines Tiefsee-Tauchboots ähn­liche Gefahren wie einem Fernfahrer, der durch die hypnotische Wirkung einer langen, monotonen Autobahnfahrt in einen Erschöpfungszustand verfallen konnte. Nachts einen Tieflader zu lenken war zehnmal gefähr­licher als bei Tag; die Gedanken schweiften ab, wodurch die Entscheidungsfähigkeit und die Reaktionszeit beeinträchtigt wurden.

Immerhin konnte ein Lastwagenfahrer an einer Raststätte halten, um sich die Beine zu vertreten oder ein paar Stunden aufs Ohr zu legen. In einem Tauchboot dagegen war es immer Nacht, zumindest nachdem man die ersten paar Hundert Tiefenmeter hinter sich gelassen hatte.

Drei Tauchgänge in acht Tagen …

Einundfünfzig Stunden am Steuer in einem Zeitraum von weniger als 190 Stunden.

Jonas blickte über Mike Shaffers Schulter hinweg durch das vordere Fenster und sah, wie die blaue Leere sich in Violett verwandelte, als die Sea Cliff eine Tiefe von zweihundert Metern und damit die mesopelagische Zone erreichte. Gut hundert Meter weiter verschwand auch der letzte graue Schleier Sonnenlicht, und das Boot sank in eine samtige Dunkelheit hinab.

Damit hatte die Reise offiziell begonnen.

Bald sind es fünfhundert Meter … gerade mal ein Zwanzigstel des Wegs bis in die warme Wasserschicht. Fünf Stunden bis nach unten, drei bis fünf Stunden zum Sammeln von Proben, dann weitere vier Stunden an die Oberfläche zurück, vielleicht auch weniger, wenn ich mich beeile. Morgen früh ist das Meer bestimmt noch unruhiger; schließlich sitzt uns dieser verdammte Taifun im Nacken. Der Höhepunkt des Tages wird der Anblick von Danielson sein, wenn er über die Reling kotzt.

Jonas rutschte auf seinem engen Platz herum, wobei er darauf achten musste, dem dösenden Dr. Prestis keinen Fußtritt zu verpassen. Dann blickte er auf das Fenster zwischen seinen Füßen, eine grapefruitgroße Öffnung, hinter der sich die Finsternis ausbreitete.

Wenig später wurde das dunkle Nichts plötzlich lebendig. Unzählige kleine Lichter blitzten auf.

Die Sea Cliff hatte ihre Besatzung in ein anderes Universum transportiert: das von tausend bis viertausend Tiefenmeter reichende Bathypelagial. Es beherbergte das größte Ökosystem der Erde, bestehend aus über zehn Millionen Spezies. Die Bewohner dieser Welt hatten sich an das Leben in der ewigen Dunkelheit angepasst, indem sie große, kugelförmige Augen entwickelt hatten, die selbst für kleinste Lichtmengen empfänglich waren … und indem sie ihr eigenes Licht erzeugten.

Die Biolumineszenz von Lebewesen entsteht durch eine chemische Reaktion. In diesem Fall wurden Licht erzeugende Luciferine unter Beteiligung von Adenosintriphosphat durch die Enzyme sogenannter Luciferasen dazu gebracht, mit Sauerstoff zu reagieren. Seit Jonas in einem Labor der Navy einen Vampirtintenfisch seziert hatte, war er mit solchen Leuchtorganen vertraut.

Je tiefer das Tauchboot sank, desto neugieriger wurden die Lebewesen in seiner Umgebung. Silberbeilfische stießen mit ihren vor Zähnen starrenden Mäulern an das dicke Fensterglas, offenbar angelockt von den blinkenden Lichtern der Instrumente. Mehrere Minuten lang war durch das Steuerbordfenster ein Anglerfisch zu sehen, der das Tauchboot begleitete. Seine leuchtende Angel wurde vom Fenster reflektiert, weshalb er unwissentlich nach seinem eigenen Spiegelbild schnappte.

Als Jonas merkte, dass das Geschehen ihn regelrecht hypnotisierte, wandte er den Blick ab und richtete seine Aufmerksamkeit auf die Instrumente. Die Wassertemperatur war auf zehn Grad Celsius abgesunken, während der Druck bereits 1935 psi überschritten hatte.

Jonas versuchte es mit einer mentalen Übung zur Schärfung seiner Sinne: Er schloss die Augen, um nicht zu schummeln, und machte sich daran, ihre momentane Tiefe zu berechnen. Der Wasserdruck nimmt pro zehn Tiefenmeter mit einer Rate von 14,7 Pfund pro Quadratzoll zu. 1935 Pfund pro Quadratzoll geteilt durch …

Ein plötz­liches Schwindelgefühl warf ihn fast von seiner ge­­polsterten Bank. Schnell öffnete er die Augen und sah sich in der Kapsel um.

Links von ihm schlummerte Richard Prestis, unter einer Decke zu einer unbequemen Fötusposition zusammengerollt.

Zu seiner Rechten saß Michael Shaffer und starrte ihn an. Die Augen des Geologen waren so groß wie die des Beilfischs, den Jonas gerade gesehen hatte; er umklammerte ein zerfledertes Taschenbuch so fest, dass die Knöchel seiner Hand weiß geworden waren. »Bitte sag mir, dass du fit bist!«

»Ich bin fit. Wie ein Turnschuh.«

»Gut. Dann solltest du vielleicht, äh, deinen Gurt anlegen, oder was meinst du?«

»Den Gurt? Tja. Gute Idee.« Jonas griff nach den beiden Enden und versuchte, die Schnalle zu schließen, doch dafür zitterten seine Hände viel zu stark.

Shaffer wartete scheinbar geduldig, doch das Herz schlug ihm bis zum Hals. Er warf einen Blick auf den Tiefenmesser. Die orangefarbenen LED-Ziffern zeigten 2160 Meter an. Da haben wir kaum ein Viertel des Wegs hinter uns, und Jonas kippt schon aus den Latschen. Ich muss ihn aufheitern, um seine Konzentrationsfähigkeit zu wecken … oder wenigstens das, was davon noch übrig ist.

»Hör mal, Jonas, hab ich dir schon mal von diesem Wettbewerb um den besten Trinkspruch des Abends erzählt? Gewonnen hat ihn ein braver irischer Bursche namens John O’Reilly, der sein Bierglas hob und sagte: ›Auf den Ort, an dem ich hienieden am liebsten bleib – zwischen den Schenkeln von meinem großbusigen Weib!‹ Als John dann zu später Stunde randvoll nach Hause kam, wollte seine Frau wissen, wofür er den Pokal in seiner Hand gewonnen hatte. ›Tja, Mary‹, sagte er, ›den hab ich für den besten Trinkspruch des Abends bekommen: Auf den Ort, an dem ich hienieden am liebsten bleib – in der Kirche zuseiten von meinem Weib!‹«

Shaffer machte eine Kunstpause, bevor er fortfuhr. »Am nächsten Tag traf Mary zufällig auf einen von Johns Trinkkumpanen. Der starrte auf ihre Titten, während er fragte: ›Na, Mary, hast du schon gehört, dass John gestern im Pub mit ’nem Trinkspruch auf dich den ersten Preis gewonnen hat?‹ ›Ja, hat er mir gleich stolz erzählt‹, sagte Mary. ›Allerdings hab ich mich ziemlich gewundert, weil er in den letzten vier Jahren bloß zweimal an besagtem Ort gewesen ist. Einmal ist er eingepennt, und das zweite Mal musste ich ihn an den Ohren ziehen, damit er überhaupt gekommen ist.‹«

Jonas grinste schwach. »Es ist eine lange Fahrt. Hoffentlich hast du was Besseres auf Lager, wenn wir im Fegefeuer sind.«

»Ach, danach wollte ich dich sowieso fragen! Wer hat sich den Namen für diesen Teil des Grabens eigentlich ausgedacht?«

»Soweit ich weiß, stammt der von einem der Wissenschaftler an Bord der HMS Challenger. Laut einem Eintrag in seinem Tagebuch hat man in diesem Bereich einige der größten fossilen Haizähne der ganzen Expedition hochgeholt. Manche davon waren weniger als zehntausend Jahre alt.«

»Wie lang waren die Dinger denn?«

»Fünfzehn bis achtzehn Zentimeter, und an den Rändern gezackt wie ein Steakmesser.«

»Welche Haiart hatte denn …«

»Das Megalodon. Ein prähistorischer Verwandter des Weißen Hais. Wenn man davon ausgeht, dass zweieinhalb Zentimeter Zahnlänge drei Metern Hailänge entsprechen, kann man sich ungefähr vorstellen, womit man es zu tun hat.«

»Das war ja ein wahres Monstrum!«

»Wirklich gruselig ist Folgendes: Wenn die Zähne weniger als zehntausend Jahre alt waren, bedeutet das, dass einige dieser Haie die letzte Eiszeit überlebt haben, indem sie sich in die warme Wasserschicht des Grabens geflüchtet haben. Bekanntlich herrscht da unten eine höllische Temperatur.«

»Ist mir bekannt. Aber das Wort ›Fegefeuer‹ klingt so, als wären die Haie dort hängen geblieben.«

Jonas deutete auf die Temperaturanzeige, die inzwischen eisige fünf Grad anzeigte. »Da unten herrschen Temperaturen von einundzwanzig Grad, und bis zum Sonnenlicht muss man fast zehntausend Meter kaltes Wasser überwinden. Wenn du in einer Oase mit ausreichend Nahrung lebst, würdest du dann riskieren, die Wüste zu durchqueren, um eine andere Oase zu erreichen, von deren Existenz du nicht mal eine Ahnung hast?«

Shaffer grinste. »Nur wenn es sich bei der Oase um Las Vegas handelt. Für mich ist das der schönste Ort auf Erden. Und die Mädels dort …«

An Bord der Tallman17 Seemeilen nordnordöstlich von Guam

Lucas Heitman breitete die bathymetrische Karte auf dem beleuchteten Kartentisch aus. »Wir befinden uns hier, gut fünfzehn Meilen nordöstlich von Guam. Unser monströser Begleiter ist etwa eine halbe Meile vor uns und bewegt sich in einer Tiefe von zehntausend Metern mit kontinuierlich fünf Knoten vorwärts. Wir pingen mit sechzehn Kilohertz, was ausreicht, um das Tier zu orten, ohne es zu verärgern – aus dieser Entfernung jedenfalls.«

»Ob wir ihn wohl mit einem Sender versehen können?«, überlegte Paul Agricola.

»Ihn?«

»Ihn oder sie. Meinetwegen auch es. Jedenfalls war es reines Glück, dass wir diesen Hai entdeckt haben. Ich will nicht das Risiko eingehen, ihn durch den verdammten Taifun zu verlieren. Deshalb müssen wir ihm einen Sender verpassen.«

»Gut, dann will ich dir mal was sagen. Erstens: Die viereinhalb Meter hohen Wellen, die dieser verdammte Taifun jetzt schon aufwühlt, werden bis heute Abend zu kleinen Bergen anwachsen. Wenn wir nicht bald nach Süden abdrehen, landen wir im Auge des Sturms, und das wollen wir auf keinen Fall, glaub mir. Und zweitens: Dein Freund da unten wird die warme Schicht unterhalb der hydrothermalen Rauchfahne sicher nicht verlassen. Das stellt ein gewaltiges Problem dar, Paul. Die Fahne ist ein tosender Strom aus Mineralien, der die Abschussvorrichtung für den Sender von jeder beliebigen Plattform reißen würde, die wir da runterlassen. Das macht jede Möglichkeit, einen Sender anzubringen, zunichte.«

»Auch wenn es die warme Schicht nicht endgültig verlassen will, können wir es bestimmt kurzfristig nach oben locken, um es zu markieren. Lass auf der Sea Bat II ein Betäubungsgewehr und die Überreste des Thunfischs anbringen, den wir gestern Morgen ins Netz bekommen haben. Wir locken das Meg mit der Sea Bat I nach oben, und sobald es in der Nähe der Sea Bat II ist: zack – direkt ins Maul!«

Paul Agricolas Augen funkelten so intensiv, dass sie fast manisch wirkten.

Lucas Heitman starrte seinen Freund an. »Ein Schuss ins Maul? Sag mal, was denkst du dir eigentlich? Schließlich haben wir es mit einem Hai zu tun, dessen Länge der Breite unseres Schiffs entspricht. Was passiert, wenn wir ihn aus seinem Habitat locken, und er kommt an die Oberfläche? Was hält ihn denn davon ab, der Sea Bat bis ganz nach oben zu folgen?«

»Kannst du dir die Schlagzeilen vorstellen? Das wäre ein größerer Knaller als damals, als man mit der Alvin die Titanic erkundet hat.«

»Jetzt hör bloß auf mit deinen Späßen!«

»Von Späßen kann keine Rede sein. Wenn du eine Ahnung davon hättest, wie schwierig es war, meinen Vater vom Nutzen dieses kleinen Abenteuers zu überzeugen, würdest du auch keine Späße machen. Gut bezahlte Aufträge, bei denen es um was anderes geht, als irgendwelche Pipelines zu inspizieren, sind ausgesprochen selten, und die meisten gehen an Schiffe, die schon länger im Geschäft sind. Wir brauchen eine Sensation wie diese, um die Tallman bekannt zu machen.«

»Ich verlange lediglich von dir, die Sache gründlich zu durchdenken. Wenn du dieses Monster aus der Tiefe hochlockst, Kumpel, dann bist du dafür verantwortlich.«

»Umso besser!«

»Das meine ich ganz ernst, Paul.«

»Zuerst verpassen wir ihm einen Sender, dann überlegen wir den nächsten Schritt. Einverstanden?«

»In Ordnung. Du hast bis achtzehn Uhr Zeit, Fangen zu spielen, aber dann drehen wir nach Süden ab.«

»Sagen wir zwanzig Uhr.«

»Paul, hast du je den Film gesehen, in dem es um ein Schiff namens Poseidon geht?«

»Okay, okay, achtzehn Uhr. Aber dann sorg dafür, dass die beiden Sea Bats innerhalb einer Stunde ausgerüstet und startbereit sind.«

5

Im Marianengraben

Der Marianengraben entstand entlang der Subduktionszone, an der sich die riesige Pazifische Platte unter die Kante der Philippinischen Platte schiebt. Viele Millionen Jahre lang strömte aus hydrothermalen Schloten – sogenannten Schwarzen Rauchern – hoch erhitztes Wasser in die 2400 Meter lange Schlucht. Die darin enthaltenen Mineralstoffe sammelten sich ungefähr eineinhalb Kilometer über dem Meeresgrund und bildeten eine Rußschicht, die den Bereich darunter vor dem eisigen Wasser der Tiefsee abschottete. Stabilisiert wurde die knapp zwanzig Meter dicke hydrothermale Rauchfahne durch die steilen Wände der Schlucht. Dadurch entstand am Grund des Westpazifiks ein weitgehend unerforschtes Reich mit gemäßigten Temperaturen.

Vor 1977 war die Wissenschaft davon überzeugt, dass mangels Sonnenlicht in der Tiefsee keinerlei Leben existieren könnte. Als man diese Theorie dann mit dem Tauchboot Alvin nachprüfte, stellte man verblüfft fest, dass es eine ganze Nahrungskette gab, deren Basis Röhrenwürmer darstellten – zweieinhalb bis drei Meter lange Wirbellose, die sich scheinbar von den Ausströmungen der hydrothermalen Schlote ernährten. In Wirklichkeit lebten die Würmer, denen man den Namen Riftia pachyptila gab, in einer symbiotischen Gemeinschaft mit Bakterien, die in speziellen Organen hausten, den hellroten Trophosomen. Die Bakterien wiederum ernährten sich von den toxischen chemischen Stoffen, die aus den Schloten ins Meer strömten. Der gesamte Vorgang wurde unter dem Begriff Chemosynthese bekannt.