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In vielen Unternehmen herrscht eine Wertschätzungs- und Anerkennungsdürre. Mitarbeiter beklagen, dass ihre Leistungen nicht angemessen anerkannt werden und sie sich als Mensch nicht ausreichend wertgeschätzt fühlen. Niedrige emotionale Bindung zum Arbeitgeber sowie Demotivation und Unzufriedenheit der Mitarbeiter sind die Folge. Doch das muss nicht sein. Es sind oft schon die kleinen und einfachen Dinge des betrieblichen Alltags, die zu einer erheblichen Verbesserung der Situation beitragen können. Sie sind die Erfolgsfaktoren, die zu einem "Mehr" an Wertschätzung und Anerkennung sowohl auf der Seite des Gebers als auch zu einem empfundenen "Mehr" auf der Seite des Empfängers beitragen. Sie bilden die Basis für die Steigerung der Motivation und des persönlichen Wohlbefindens in Betrieb und Büro. Damit sind sie zugleich wichtige Schlüsselfaktoren für den persönlichen Erfolg und den Geschäftserfolg. Hierzu kann jeder seinen Beitrag leisten, egal auf welcher Ebene. Von der Führungskraft bis zum Auszubildenden. Lassen Sie sich zum Nachdenken einladen und für die positiven Aspekte von (mehr) Respekt, Wertschätzung und Anerkennung im Job sensibilisieren. Viele Praxisbeispiele und Fragen zur Selbstreflexion bieten umfangreiche Denkanstöße und Handlungsansätze. Denkanstöße und Handlungsansätze wie Mitarbeiter und Führungskräfte durch mehr Respekt, Wertschätzung und Anerkennung die betriebliche Zusammenarbeit fördern und die Beziehungsqualität verbessern können. So nähern Sie sich ganz persönlich dem Thema und können Ihren individuellen Nutzen ziehen. Nutzen auf dem Weg zur Verbesserung des Betriebsklimas und zu einer anderen Unternehmenskultur.
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Über den Autor:
Carsten Bach
Carsten Bach
Mehr Wertschätzung und Anerkennung im Job
© 2012 Carsten Bach
Lektorat, Korrektorat: Saskia Schulte
Verlag: tredition GmbH, Hamburg
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de
In vielen Unternehmen herrscht eine Anerkennungs- und Wertschätzungsdürre. Dies belegt eine Vielzahl von aktuellen Studien und Untersuchungen. Auch in Mitarbeiterbefragungen kritisieren die Mitarbeiter regelmäßig und massiv, dass sie sich im betrieblichen Alltag nicht ausreichend für ihre Leistung anerkannt und als Mensch wertgeschätzt fühlen. Innere Kündigung, niedrige emotionale Bindung zum Arbeitgeber sowie gestiegenes Krankheitsrisiko, Demotivation und Unzufriedenheit der Mitarbeiter sind die Folge. In Zeiten des demografischen Wandels und des Wettbewerbs um qualifizierte Mitarbeiter ein bedenklicher Zustand. Auch wenn das Bewusstsein für betriebliches Gesundheitsmanagement in vielen Unternehmen steigt. Dass es tatsächlich auch anders gehen kann, zeigen die nachfolgenden Praxisbeispiele:
„Wir sind geblieben, weil wir Sie mochten.“ – Die Mitarbeiter zum ausscheidenden Chef, bevor sie sich nach dessen Ausscheiden dann auch selbst beruflich verändert haben.
„Warum ich mich für Ihre Gesellschaft entschieden habe? Sie waren die Einzigen, die nicht auf meinen Super-Noten rumgeritten sind, sondern die mich auch als Mensch kennenlernen wollten. Dies konnte man spüren, im gesamten Gespräch.“ – High Potential-Bewerber zum Personalleiter nach Unterschreiben des Arbeitsvertrags.
„Was mir besonders gut gefallen hat: das offene Ohr und die offene Tür. Ich fühlte mich jederzeit willkommen. Selbst der Abteilungsleiter hat sich für mich Zeit genommen.“ – Praktikant in seiner Abschlussbeurteilung über die Firma. Bei dieser Firma begann er nach dem Studium zu arbeiten, und er ist heute noch gerne dort tätig.
„Mit niemandem konnte ich so gut streiten wie mit Ihnen. Wir waren nicht immer einer Meinung. Aber Sie waren stets fair. Und wir haben immer eine Lösung gefunden, die uns beiden dienlich war.“ – Mitarbeiter auf seiner Abschiedsfeier vor Eintritt in den Ruhestand an seinen Chef.
Natürlich handelt es sich um Einzelfälle, die es hoffentlich in jedem Unternehmen gibt. Gleichwohl lohnt sich der Blick darauf, was insbesondere die Führungskräfte hier anders gemacht haben als anscheinend viele andere. Sie haben Wertschätzung und Anerkennung wirklich gelebt. Sie haben den Einzelnen Respekt und Interesse erfahren lassen. Dafür brauchten sie keine komplizierten Fachkonzepte. Und schon gar keine Arbeitsanweisungen von oben, ganz nach dem Motto: „Ab jetzt sind unsere Werte: Offenheit, Ehrlichkeit …“ oder wie die oft bemühten Tugenden auch sonst alle heißen. „Schönheit kommt von innen“, lehrt man uns in der Werbung. Das Gleiche gilt für das Thema Wertschätzung und Anerkennung. Es sind die einfachen und kleinen Dinge, in denen die größte Wirkung liegt, wenn sie nachhaltig verfolgt werden. Lippenbekenntnisse helfen dabei nicht weiter. Denn jeder Einzelne im Unternehmen muss diese Wertschätzung und Anerkennung erleben. Erleben, dass Dinge innerhalb des Unternehmens oder in den zwischenmenschlichen Beziehungen tatsächlich so ablaufen, wie Sie dem Einzelnen wichtig sind oder wie er sie gerade braucht. Und dies kann er nur, wenn sie getan werden. Ein alltäglicher Kampf um Anerkennung und Wertschätzung hingegen vergeudet unnötig Energien oder führt zu Resignation und Demotivation. Wenn Sie erkennen, was der andere braucht, und es dann im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten auch umsetzen, werden Sie sein Herz gewinnen. Und über das Herz gewinnen Sie auch den ganzen Menschen. Dies gilt in beide Richtungen, sowohl von der Führungskraft in Richtung Mitarbeiter als auch vom Mitarbeiter in Richtung Führungskraft.
Viele Führungskräfte sagen: „Ich will doch auch gar keine Herzen gewinnen. Ich bin ja schließlich nicht bei einer Partnervermittlung. Ich will, dass meine Leute ihren Job machen. Und zwar gut. Nicht mehr und nicht weniger. Denn genau dafür werden sie ja auch bezahlt. Für mich zählen nur Ergebnisse. Wenn ich nett sein will, dann gehe ich in die Kirche und lege etwas in den Klingelbeutel.“ Diesen Menschen kann man nur entgegenhalten: Was würden Sie denken, wenn Ihr Chef eine solche Meinung hätte? Wie gerne würden Sie für solch eine Führungskraft arbeiten und wie würde sich dies auf Ihre Arbeitseinstellung und Motivation auswirken? Bedenken Sie auch, welche positiven Aspekte Ihnen vermutlich entgehen würden. Mit Wertschätzung und Anerkennung gewinnen Sie die Basis für ein Mehr an Wohlbefinden und Zufriedenheit, ein Mehr an Gesundheit, ein Mehr an Motivation und Loyalität – und am Ende erhalten Sie vielleicht auch ein Mehr an Gewinn, an unternehmerischem Ergebnis sowie ein besseres Betriebsklima bzw. eine andere Unternehmenskultur.
Dies bedeutet selbstverständlich nicht, dass Sie nun zukünftig mit einer rosaroten Brille umherlaufen, alles und jeden in Watte packen, nicht mehr laut werden, nicht mehr fordernd, hart oder in manchen Fällen unnachgiebig sein oder keine eigene Meinung mehr vertreten dürfen, weil es dem anderen vielleicht nicht gut tut, wenn Sie sich mit ihm streiten. Auf diese Weise entstehen bloß „Ja Sager“ oder die Leute werden Sie ausnutzen, weil man es mit Ihnen ja machen kann. Wertschätzen und Anerkennen heißt, die Dinge so anzusprechen, wie sie sind. Wenn es super war, dann kann man dies doch auch sagen. Und wenn es Mist war, dann auch. Aber jeden Mist loben sollte man eben nicht. Und wenn Sie anderer Meinung sind, dann suchen Sie auch weiter die Diskussion. Sie können sich mit jemand anderem sachlich heftig auseinandersetzen, ihn aber als Mensch anerkennen. Beim Wertschätzen und Anerkennen geht es vielfach um die Form. Der Ton macht die Musik. Das „Wie“ ist oft noch viel entscheidender als das „Was“.
Und hier setzt das Buch an. Es möchte Sie weiter sensibilisieren. Es gibt Ihnen Denkanstöße und Handlungsansätze, wie ein „Mehr“ an Anerkennung und Wertschätzung im betrieblichen Alltag erreicht werden könnte. Ein „Mehr“ sowohl auf der Seite des Gebers als auch ein empfundenes „Mehr“ auf der Seite des Empfängers. Dies gelingt nur, wenn sowohl der Blickwinkel der Führungskräfte als auch der der Mitarbeiter berücksichtigt werden, wenn ein Perspektivenwechsel stattfindet und sie es wechselseitig schaffen, sich in den anderen hineinzuversetzen. Damit wendet sich das Buch an Mitarbeiter auf allen Ebenen, also beispielsweise an Führungskräfte, Projektleiter, Abteilungsleiter, Teamleiter, Angestellte, Sachbearbeiter, Mitarbeiter im Sekretariat oder Auszubildende.
Neben meinen langjährigen eigenen Führungserfahrungen sind in dieses Buch auch die Erfahrungen aus einer Vielzahl von engagiert und teilweise sehr emotional geführten Gesprächen mit Mitarbeitern, Kollegen oder Kunden eingeflossen. Wertschätzung ist ein Thema, mit dem ich mich persönlich schon lange beschäftige und mit welchem ich stark verbunden bin. Denn es ist Teil meiner Auffassung von Führung und der Gestaltung des betrieblichen Miteinanders, mit der ich sehr viele positive Erfahrungen gemacht habe. Dies war letztlich auch die Motivation, um dieses Buch zu schreiben. Es hat den Ausbau wertschätzender, gelingender Beziehungen zwischen Menschen zum Gegenstand, denn die Beziehungsqualität ist der Nährboden für mehr Wertschätzung und Anerkennung. Ihren Kernbausteinen, nämlich der Grundhaltung und persönlichen Einstellung sowie der Methodenkompetenz und den jeweils daraus abgeleiteten Denkanstößen und Handlungsansätzen, sind daher auch die größten Abschnitte in diesem Buch gewidmet. Da auch diejenigen, die über zu wenig Anerkennung klagen, möglicherweise selbst noch etwas tun müssen, weil sie nicht sichtbar genug sind, finden sich im Buch auch einige Tipps für das Selbstmarketing. Sichtbarkeit ist schließlich die Voraussetzung dafür, dass der andere überhaupt erkennt, dass es etwas zum Anerkennen gibt.
Dieses Buch kann kein vorgefertigtes Kochrezept sein. Gerade bei dem sehr persönlichen Thema „Wertschätzung und Anerkennung“ kann es logischerweise keine „Man nehme“-Rezepte mit der Garantie für ein gelungenes Drei-Sterne-fünf-Gang-Menü geben. Aber es gibt die guten Zutaten, aus denen Sie in Ihrer individuellen „Küche“ ein schmackhaftes Gericht zaubern können, welches Sie dann im Laufe der Zeit immer weiter verfeinern. Das Buch ist aus der Praxis für die Praxis geschrieben und die Theorie daher so weit wie möglich ausgeblendet. Wer dazu mehr wissen möchte, sei auf das Literaturverzeichnis und die dort genannten Quellen verwiesen, die ihrerseits weiterführende Hinweise enthalten. Die beschriebenen Zusammenhänge, Anregungen und Gedankenansätze sind praxiserprobt, z. B. weil sie so erlebt, empfunden oder erzählt wurden. Und weil sie den Erfahrungen nach wirken, auch wenn sie vielleicht nicht zu einer Theorie passen.
Außerdem soll das Buch insbesondere auch eine Einladung zum Nachdenken sein. Sie werden daher eine Vielzahl von Praxisbeispielen und Fragen zur Selbstreflexion finden, die es Ihnen erlauben, sich dem Thema persönlich weiter zu nähern und hoffentlich Ihren Nutzen daraus zu ziehen. Die Fragen verfolgen die Idee des Selbstcoachings. Ein Coaching, das gerade keine Lösung vorgibt, sondern welches Ihnen über die Beantwortung der Fragen die Möglichkeit gibt, sich auch aus Ihrer ganz persönlichen Situation heraus individuelle Denkanstöße und Handlungsansätze zu erarbeiten.
Am Ende werden Sie hoffentlich sehen, dass es sich lohnt, sich für mehr Wertschätzung und Anerkennung einzusetzen, und vor allem, dass es eigentlich ganz einfach sein kann. Die kleinen Dinge sind mächtig. Man muss nur einmal anfangen, wenigstens mit dem Nachdenken darüber, besser noch mit dem Tun. Kleine Schritte auf dem Weg zu mehr Zufriedenheit – wenn dies mit diesem Buch erreicht wird und Sie am Ende zufriedener sind, dann bin ich es auch.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine anregende Lektüre.
Ihr Carsten Bach
PS: Der Einfachheit und besseren Lesbarkeit halber wird im Buch nur von der männlichen Form handelnder Personen gesprochen. Selbstverständlich sind aber immer beide Geschlechter gemeint.
„Er hat es schon wieder getan. Warum muss er sich bloß immer so aufspielen? Als ob er allein auf der Welt wäre. Mit keiner Silbe hat er vor den anderen Bereichsleitern erwähnt, dass es meine monatelangen Bemühungen waren, die den Kunden überhaupt erst zu uns gebracht haben, dass meine Ideen ihn so begeistert haben, dass er uns jetzt diesen großen Auftrag gegeben hat. Nein, stattdessen prahlt er herum, dass sein (!) Vorschlag zum gemeinsamen Abendessen mit dem Kunden den Ausschlag gebracht hätte. Dort hätte er (!) den Kunden für die Firma gewinnen können. Dabei hätte er gar nichts sagen können, wenn ich ihn nicht vorher so umfassend eingewiesen hätte. Wenn ich ihm nicht gesagt hätte, über welche Themen der Kunde gerne spricht. Und dann hat er sich darauf noch nicht einmal vorbereitet. So ein Ignorant. Fast wie ein toter Fisch hat der Chef da in der Ecke gesessen. Die ganze Konversation habe ich geführt. Die drei schlappen Worte vom Chef haben den Kunden nicht überzeugt. Im Gegenteil, er war darüber eher noch irritiert. Das hat er mir im Anschluss im Vertrauen noch mal gesagt. Mein Konzept und meine Flexibilität hätten für den Kunden letztlich den Ausschlag gegeben. Und jetzt? Jetzt hat der Chef wieder alle Lorbeeren alleine eingeheimst. Und anstatt mich teilhaben zu lassen oder auch einmal vor den anderen zu loben, muss er noch grinsend darauf herumreiten, dass wir den Abgabetermin für das Angebot fast nicht gehalten hätten, weil mir bei der Organisation ein kleiner Flüchtigkeitsfehler unterlaufen war, den ich aber gerade noch rechtzeitig bemerkt hätte. Warum drückt der Chef mir auch immer zusätzlich noch solche Aufgaben auf? Dafür haben wir doch Profis im Haus. Ich habe schon gar keine Lust mehr. Wofür habe ich mir denn in der letzten Woche die halben Nächte um die Ohren geschlagen? Mein Einsatz wird überhaupt nicht adäquat gewürdigt. Es ist wie immer. Er will nur, dass ich funktioniere.
Dieser Ausbeuter. Seine Erwartungen sind viel zu hoch. Die werde ich nie so erfüllen können, dass er mich einmal lobt. So komme ich nie weiter. Und immer haut er mich in die Pfanne. Nur in diesem Punkt ist er wirklich berechenbar. Aber sagen kann ich ihm das ja auch nicht. Er ist immer so cholerisch und rastet immer gleich aus. Ich bin in einer totalen Zwickmühle. Jetzt rege ich mich schon wieder so auf, dass ich Magenkrämpfe bekomme. Typisch. Ich werde noch ganz krank hier. Soll er doch sehen, wie er das nächste Mal klarkommt. Da helfe ich ihm nicht mehr so viel. Ich muss auch einmal an mich selber denken.“
Fallen Ihnen ähnliche Vorkommnisse ein, wo Ihre eigene Leistung nicht ausreichend gewürdigt wurde und Sie sich über den Chef oder den Kollegen ähnlich massiv geärgert haben?
Wenn nein, dann gratuliere ich Ihnen von ganzem Herzen. Ehrlich. Möglicherweise bewegen Sie sich tatsächlich in einem Umfeld jenseits der Mehrheit der typischen betrieblichen Alltage. Oder Sie leben im Schlaraffenland. Falls Sie aber die Frage mit Ja beantwortet haben, dann heiße ich Sie herzlich willkommen in der Realität. Denn Sie haben dieses Buch gekauft und damit bereits einen wichtigen Schritt für die weitere Sensibilisierung für das Thema Wertschätzung und Anerkennung getan.
Schauen wir uns einmal die Gedanken des Chefs in der gleichen Situation an: „Super gelaufen. Die Zielerreichung für dieses Jahr sollte ich mit dem neuen Auftrag in der Tasche haben. Und wie die anderen geschaut haben. Richtig neidisch waren die auf meinen Erfolg. Sogar der Bereichsvorstand hat mir eine kurze Mail geschickt. Klasse. Ich habe schon gut reagiert in dem Gespräch mit dem Kunden. Das war ein entscheidender Abend. Gut, dass ich dem Müller so viel Freiheit gelassen habe, den Kunden richtig aufzubohren. Ein bisschen Anschieben dazu hat er ja schon gebraucht. Endlich macht er mal das, was ich von ihm erwarte. Wurde aber auch Zeit. Und fast wäre es doch noch gescheitert. Wegen dem Flüchtigkeitsfehler. Zum Glück hat der Müller den auch noch rechtzeitig bemerkt. Er kann auch ruhig mal ein bisschen dankbarer sein. Schließlich habe ich ihn mit dem kleinen Seitenhieb in der Runde vorhin doch so gelobt. War ja auch lustig. Und wie der rot geworden ist. Wo er jetzt so gut in Schwung ist, kann er sich eigentlich gleich um den nächsten Problemkunden kümmern. Dann muss ich das nicht machen. Ist so lästig. Wenn ich den Kunden dann auf diese Weise auch noch reinhole, dann klappt es vielleicht dieses Mal mit der Gehaltserhöhung. Eine Erfolgsstory für das nächste Bereichsleitermeeting könnte ich dann auch wieder daraus machen.“
Merken Sie was? Gleicher Sachverhalt, aber zwei völlig unterschiedliche Sichtweisen. Der Chef sieht nur sich und sein eigenes Fortkommen, seine Erfolgsgeschichten, seine persönlichen Vorteile. Alles andere ist nur Mittel zum Zweck. Material eben. Die Empfindungen des Mitarbeiters sind ihm im Prinzip egal. Hier geht es nur ums Ergebnis und um seinen Vorteil. Das Ergebnis ist gut, der Kunde wurde gewonnen. Damit ist logischerweise für ihn der Weg zum Ergebnis ebenfalls gut. Ob und inwieweit aber neben den harten Fakten die „weichen“ Faktoren, wie z. B. die Empfindungen des Mitarbeiters, für seinen zukünftigen Erfolg eine Rolle spielen, dies sieht er nicht. Das Ergebnis, in diesem Fall der gewonnene Kunde, heiligt die Mittel. Wenn für ihn das Ergebnis gut ist, dann muss es logischerweise auch für den oder die Mitarbeiter gut sein. Wenn der Chef „gute Gefühle“ hat, dann hat natürlich doch auch der Mitarbeiter „gute Gefühle“. Schließlich arbeiten doch alle in der gleichen Firma und haben damit das Wohl der Firma im Auge. Und das Wohl des Chefs. Denn nur darauf kommt es letztlich an. Denn wenn es dem Chef gut geht, dann geht es auch den Mitarbeitern gut. Oder etwa nicht? Deshalb kann der Mitarbeiter auch gleich weiter „funktionieren“ und sich um den nächsten Auftrag kümmern. Und gelobt hat der Chef den Mitarbeiter ja schließlich auch. Also ist doch eigentlich alles in Butter? Schauen wir uns dazu nochmals Herrn Müller an.
Herr Müller sieht zwar auch das positive Ergebnis, aber er sieht vor allem auch den Weg dahin und den Umgang mit dem Ergebnis. Der Weg war aus seiner Sicht nicht gut. Er kritisiert das Verhalten des Chefs. Er kritisiert, dass nicht alle „gemeinsam“ gewinnen, sondern der Chef alleine die Lorbeeren einheimst. Für ihn sind sowohl der Weg als auch die Art und Weise der Kommunikation des Ergebnisses wichtig.
Trotz dieser unterschiedlichen Elemente haben die Sichtweisen aber doch etwas gemeinsam. Beide – sowohl Chef als auch Mitarbeiter – fokussieren auf die Anerkennung und die Wertschätzung Ihrer eigenen Leistung. Der Chef in der Bereichsleiterrunde, der Mitarbeiter durch den Chef oder hilfsweise einen Dritten. In dieser Hinsicht unterscheiden Sie sich nicht. Allerdings sehr wohl hinsichtlich ihrer Anerkennungsbilanz.
Der Chef hat Anerkennung bekommen: von den anderen Bereichsleitern und sogar vom Bereichsvorstand durch die E-Mail. Er hat insoweit ausgesprochene und ausgeschriebene Anerkennung erhalten. Das sind gewichtige „Anerkennungs-Guthaben“. Das motiviert ihn. Er denkt schon gleich an den nächsten Auftrag. Was hat der Chef selbst an Anerkennung gegeben? Aus seiner Sicht viel, denn er hat lobend erwähnt, dass Herr Müller den Flüchtigkeitsfehler ja noch rechtzeitig gefunden hat, und wollte damit mittelbar auch die Leistung von Herrn Müller für den gewonnenen Auftrag insgesamt hervorheben. Aus seiner Sicht hat er damit ausgesprochene Anerkennung gegeben. Er wird daher im Zweifel von einem durchaus ansehnlichen Anerkennungsguthaben bei Herrn Müller ausgehen.
Dass dies aber ein Trugschluss ist, sehen wir, wenn wir die Anerkennungs-Bilanz von Herrn Müller aus dessen Sicht betrachten. Was hat er an Anerkennung bekommen? Aus seiner Sicht nichts. Ausgeschrieben tatsächlich nichts. Und ausgesprochen? Die aus Sicht des Chefs ausgesprochene Anerkennung ist bei ihm als solche gar nicht angekommen und dürfte auch bei den anderen Bereichsleitern nicht als solche gewertet worden sein. Auch die vom Chef mittelbar gedachte Anerkennung nicht. Bei Herrn Müller steht als „Anerkennungs-Guthaben“ also eine dicke Null. Hinzu kommt: Die ausgesprochene Anerkennung und das gesamte Verhalten des Chefs wirken absolut negativ auf ihn. Der Chef hat die Tipps für das Kundengespräch ignoriert, er hat sich nicht vorbereitet, man kann mit ihm nicht reden, weil er immer so cholerisch ist. Die vielleicht sogar positiv gedachte mittelbare Anerkennung durch den Chef hat sich bei Herrn Müller sogar ins Gegenteil verkehrt. Er hat den Seitenhieb als offene Kritik empfunden. Er sieht wieder einmal seinen Einsatz nicht gewürdigt. Er ist demotiviert. Er wird nur noch Dienst nach Vorschrift machen. In seiner Anerkennungsbilanz steht ein Verlust. Ein Verlust, den der Chef nicht sieht und auf den er daher auch nicht reagieren kann.
Welche Erkenntnisse kann man bereits aus dieser kleinen Geschichte ableiten, die wir in den nachfolgenden Kapiteln dann noch weiter beleuchten werden?
Das Anerkennungsempfinden ist oft unausgeglichen
Die Menschen gieren danach, Anerkennung und Wertschätzung zu bekommen, insbesondere ausgeschriebene oder ausgesprochene. Es handelt sich um ein Grundbedürfnis. Hier setzen die Menschen den Erwartungsmaßstab sehr hoch an: Es kann nie zu viel sein. Daher wird häufig ein Defizit in erhaltener Anerkennung empfunden.
Das „Anerkennung-Geben“ hingegen fällt prinzipiell schwerer und wird auch gerne einmal vergessen. Anerkennung zu geben, ist leider kein Grundbedürfnis des Einzelnen. Zudem ist die vermeintlich gegebene Anerkennung vielfach nur „gedacht“ in der Annahme, dass der Betroffene oder die anderen es schon richtig verstehen werden. Den anderen wird die Gottesgabe unterstellt, zwischen den Zeilen das unausgesprochene Lob heraushören zu können. Dies ist aber typischerweise nicht der Fall.
Der eine denkt, er hätte Anerkennung gegeben. Bei dem anderen ist aber gar nichts angekommen. Dies weiß der eine aber nicht. Es entstehen Diskrepanzen und Missverständnisse. Wenn diese Diskrepanzen unausgesprochen bleiben, kann das durchaus negative Folgen haben. Dies zeigt bereits das kleine Beispiel oben. Um für mehr Wertschätzung und Anerkennung zu sensibilisieren, muss man sich daher mit der Grundhaltung des Einzelnen beschäftigen. Es geht um die Frage, was die Bereitschaft des Einzelnen zum „Anerkennung-Geben“ bestimmt. Ebenfalls muss man sich mit dem Kommunikationsverhalten und der Kommunikationsform beschäftigen, damit Anerkennungs-Diskrepanzen und ihre negativen Folgen möglichst reduziert werden. Hier geht es somit um die Beziehungskompetenz.
Lob und Kritik äußern will gelernt sein
Dies ist ebenfalls eine Frage der Beziehungskompetenz. Sich wertschätzend zu verhalten, bedeutet auch, an der richtigen Stelle und in fairer Art und Weise Lob und Kritik zu äußern. Ohne diesen Spiegel von außen kann sich niemand wirklich weiterentwickeln. Das Äußern angemessener Kritik ist die Anerkennung der Weiterentwicklungskompetenz des anderen. Wenn man nicht davon ausgehen würde, dass der andere die Kritik annimmt oder sich zumindest mit ihr auseinandersetzt, bräuchte man ja auch gar nichts zu sagen. Auch Kritik äußern heißt, Interesse am anderen zu zeigen.
Es können sich Folgewirkungen auf die Gesundheit ergeben
Fehlende Anerkennung oder stetige Anerkennungs-Diskrepanzen können gesundheitsschädlich sein. Herr Müller hat Magenschmerzen. Die psychische Belastung schlägt sich auf den Körper nieder. Ein Alarmzeichen, welches er ernst nehmen sollte.
Fehlendes Vertrauen und negative Erwartungen beeinflussen das Verhalten
Wo Vertrauen fehlt, ist die Arbeitsbasis belastet. Vertrauen entsteht nicht nur durch Worte, sondern auch durch tatsächliches Verhalten. Herr Müller sagt: „Er hat es schon wieder getan.“ Mithin hat er bereits eine Reihe von negativen Erfahrungen gemacht. Diese negativen Erfahrungen führen zu einer negativen Erwartungshaltung gegenüber dem Verhalten und der Kommunikation des Chefs, die dieser auch permanent bestätigt. Da Herr Müller sich aber nach wie vor extrem aufregt über dessen Verhalten, keimt in ihm immer noch ein Fünkchen Hoffnung, dass es dieses Mal anders sein könnte. Ist es aber nicht. Herr Müller wird immer weiter enttäuscht. Auf diese Weise wird das Vertrauen sukzessive zerstört. Fehlende Wertschätzung kann somit auch das langsam wirkende Gift für das Vertrauensverhältnis sein. Falsche Erwartungen aber genauso.
Feedback und Kritik muss man auch annehmen können
Wer austeilt, muss auch einstecken können. Wertschätzung und Anerkennung heißt auch, Feedback und Kritik anzunehmen. Herr Müller sagt, dass er das Verhalten seines Chefs diesem gegenüber nicht äußern kann, weil dieser immer gleich ausrastet. Der Chef kann (oder will) also nichts annehmen. Die beiden können hierüber noch nicht einmal reden. Was bleibt: Herr Müller frisst den Ärger in sich hinein und wird weiter frustriert.
Bevor wir tiefer in die genannten Themen einsteigen, wollen wir kurz versuchen, die Begrifflichkeiten Anerkennung und Wertschätzung zu fassen. Zunächst einmal ist Anerkennung im weiteren Sinne der Oberbegriff. Geht es um die Anerkennung einer Person oder Sache an sich, sprechen wir von Wertschätzung. Sie betrifft den Menschen als Ganzes und ist daher prinzipiell unabhängig von Aktivitäten oder Leistungen. Gleichwohl können diese auch die subjektive Einschätzung einer Person beeinflussen. Anerkennung im engeren Sinne bezieht sich hingegen auf die Leistung oder einen Einsatz. Die Anerkennung einer Leistung wäre ein Lob, die Anerkennung eines Einsatzes ein Dank.
Zurück zu unserem Beispiel von eben. Herr Müller ist sauer. Herr Müller will bzw. wird sich zurückziehen, auch weil er keine Möglichkeit sieht, an dem beschriebenen Zustand etwas zu ändern. Er wird demnächst nur noch Dienst nach Vorschrift machen. Folgt man den Kategorien des von Gallup jährlich veröffentlichten Engagement Index, gehört er damit zur Gruppe der Mitarbeiter mit nur geringer emotionaler Bindung an das Unternehmen bzw. an seinen Arbeitgeber. Er befindet sich dabei leider in guter Gesellschaft, denn nach dieser Studie gehören rd. 63 % der Befragten zu dieser Gruppe. Eine erschreckende Zahl.
Was würde es bedeuten, wenn mehr Mitarbeiter eine hohe emotionale Bindung hätten? Eine hohe emotionale Bindung hat den Befragungsergebnissen zufolge z. B. positive Wirkungen auf die Motivation, sie führt zu geringeren Fehlzeiten sowie zu einer höheren Innovationsfähigkeit. Letztlich hat sie damit auch positive Wirkungen auf die betriebswirtschaftlichen Kennzahlen des einzelnen Unternehmens. Also müsste sich jeder Arbeitgeber die Frage stellen, wie eine solche hohe emotionale Bindung erreicht werden kann. Eine Antwort ist, dass die erhaltene Anerkennung sowie ein „Als Mensch-gesehen-Werden“ wichtige Kernbausteine dafür sind.
Auch einer Studie von Towers Perrin (2006, S. 11) zufolge liegen die Hauptmotivatoren für Mitarbeiter gerade nicht im Bereich der monetären Faktoren, sondern neben den Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten vor allem im Arbeitsumfeld. Der Top-Treiber für die Motivation ist laut Studie das Interesse des Senior Managements am Mitarbeiter selbst. Mithin haben die Führungskräfte eine herausfordernde Aufgabe, denn Interesse gegenüber anderen Menschen ist ebenfalls ein Ausdruck von Wertschätzung. Hier geht es auch um das Interesse an der Person an sich, nicht nur an ihrem Arbeitsergebnis und ggf. dessen Zustandekommen.
An zweiter Stelle der wesentlichen Treiber für die Motivation der Mitarbeiter steht die ausreichende Entscheidungsfreiheit. Die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen hängt u. a. vom Kontroll- und Delegationsverhalten der Führungskraft ab. Delegieren ist Wertschätzung durch Vertrauensvorschuss, was motivierend wirkt. Starkes Kontrollieren hingegen ist Motivation durch Druck. Bleibt der Druck weg, geht in der Folge auch die Motivation zurück.
Die Wichtigkeit von Anerkennung und Wertschätzung findet sich auch als Ergebnis einer Studie von Mercer (2012), in der von den Befragten Respekt als wichtigster Motivationsfaktor für die Mitarbeiter gesehen wurde.
In einer INQA-Studie aus dem Jahr 2006 steht die „Behandlung als Mensch durch Vorgesetzte“ mit 84 % Zustimmung der Befragten hinter dem festen und verlässlichen Einkommen, der Sicherheit des Arbeitsplatzes und dem Spaß an der Arbeit auf Platz 4 der Anforderungen an gute Arbeit aus Sicht der Erwerbstätigen. Auch hier wird bemängelt, dass es den Vorgesetzten anscheinend nicht gelingt, ausreichend Anerkennung zu vermitteln.
Nicht nur die Motivation wird durch Wertschätzung und Anerkennung positiv beeinflusst. Wertschätzung und Anerkennung sind zudem wichtige Gesundheitsfaktoren. Gesundheit hat ganzheitlich betrachtet drei Dimensionen:
Die körperliche Gesundheit: z. B. Gesundheit bezüglich der normalen körperlichen Funktionen.
Die psychische Gesundheit: z. B. Gesundheit im Sinne des persönlichen Wohlbefindens oder der Sinnhaftigkeit des persönlichen Tuns.
Die soziale Gesundheit: z. B. die Kontaktfähigkeit, die erlebte soziale Unterstützung.
Anerkennung und Wertschätzung wirken insbesondere in den Bereichen der sozialen und psychischen Gesundheit. Die Untersuchungen von Antonovsky zeigen beispielsweise, dass der Gesundheitszustand bzw. der Krankheitszustand eines Menschen wesentlich durch sein Kohärenzgefühl, also die allgemeine Grundhaltung des Individuums zu sich selbst und zur Welt bestimmt wird. Dieses Kohärenzgefühl wird durch drei Komponenten generiert:
Verstehbarkeit: Hier geht es um die Fähigkeit, die Zusammenhänge des Lebens zu verstehen, sie voraussehen oder zumindest erklären zu können, falls sie einmal überraschend auftreten.
Handhabbarkeit bzw. Bewältigbarkeit: Wer von einem hohen Grad an Handhabbarkeit bzw. Bewältigbarkeit ausgeht, hat die Überzeugung, das eigene Leben gestalten zu können. Probleme werden als lösbar angesehen, weil Ressourcen zur Verfügung stehen, um diesen Anforderungen zu begegnen. Diese Ressourcen können sowohl eigene Ressourcen sein als auch solche, die von Personen des Vertrauens kontrolliert werden. Dazu gehört sowohl das familiäre als auch das berufliche Umfeld. Mithin ist auch eine Führungskraft, zu welcher der Mitarbeiter Vertrauen hat, eine Ressource in diesem Sinne.
Bedeutsamkeit bzw. Sinnhaftigkeit: Die an den Einzelnen gestellten Anforderungen sind etwas, wofür sich Anstrengung und Engagement lohnen.
Je ausgeprägter das Kohärenzgefühl ist, umso „gesünder“ ist die Person bzw. umso schneller wird sie gesund. Es wird heute davon ausgegangen, dass auch bei erwachsenen Menschen noch eine Beeinflussung des Kohärenzgefühls möglich ist. Somit bietet die positive Gestaltung der drei Komponenten des Kohärenzgefühls auch im Arbeitsalltag einen Ansatzpunkt zur Gesundheitsförderung des Einzelnen.
Beispiele für die positive Beeinflussung der Verstehbarkeit sind etwa klare Arbeitsanweisungen, klar formulierte Erwartungen, Berechenbarkeit der Kollegen und Führungskräfte sowie ausbildungs- und anforderungsgerechte Aufgaben.
Beispiele für die Handhabbarkeit und Bewältigbarkeit sind Mitsprachemöglichkeiten und Entscheidungsbeteiligungen, soziale Unterstützung durch Kollegen und Vorgesetzte sowie Ausbildungsangebote.
Beispiele für die Bedeutsamkeit bzw. Sinnhaftigkeit sind offene Informationspolitik, Transparenz über Hintergründe von Entscheidungen sowie Aufgaben, eine Feedback- und Kommunikationskultur und auch Wertschätzung, Anerkennung und Dank.
Nach Antonovsky sind dabei Bedeutsamkeit und Sinnhaftigkeit die wichtigsten Aspekte. Wenn alles „keinen Sinn ergibt“ oder etwas als „nicht bedeutsam“ angesehen wird, dann lohnen sich Anstrengung und Einsatz nicht, dann besteht auch kein Interesse, die Dinge zu verstehen oder sie bewältigen zu wollen. Wenn aber Sinn und Bedeutung gegeben sind, es sich somit aus Sicht des einzelnen Menschen also lohnt, dann hat dieser auch Interesse, an den Ressourcen zur Verbesserung der Handhabbarkeit und am Verständnis zu arbeiten. Wir sehen, es handelt sich sämtlich um Ansatzpunkte, die mittelbar oder unmittelbar im Zusammenhang mit unserem Thema stehen. Dies wird insbesondere im Abschnitt „Die Grundhaltung“ noch weiter deutlich werden.
Dass Wertschätzung und Anerkennung als Gesundheitsfaktoren einzustufen sind, zeigen auch die Untersuchungen von Johannes Siegrist, einem Düsseldorfer Medizinsoziologen, zur sogenannten Gratifikationskrise. Hiernach entsteht – stark vereinfacht gesprochen – Stress aus einem Ungleichgewicht zwischen Verausgabung und Belohnung (Gratifikation). Stress entsteht also, wenn Menschen das Gefühl haben, dass sie für ihren Arbeitseinsatz nicht angemessen belohnt werden.
Zur Belohnung gehören nicht nur Geld, sondern auch nichtmaterielle Formen der Belohnung, wie z. B. die Sicherheit des Arbeitsplatzes, Karriere- und Aufstiegsmöglichkeiten, aber auch das allgemeine Ansehen und die Anerkennung und Wertschätzung durch Vorgesetzte und/oder Kollegen. Im Falle eines solchen Ungleichgewichts (mehr Verausgabung als Belohnung) erhöht sich nach den Untersuchungsergebnissen das relative Risiko eines Herzinfarkts erheblich. Es „lohnt“ sich also auch in dieser Hinsicht, sich für ein Mehr an Anerkennung und Wertschätzung einzusetzen. Ist dies nicht vielleicht sogar ein Anreiz, um ausgetretene Pfade zu verlassen und Gewohnheiten im Umgang mit anderen Menschen zu ändern? Eine japanische Weisheit sagt: „Der Frosch im Brunnen ahnt nichts von der Weite des Meeres.“ Reichen Sie doch dem Frosch einfach einmal die Hand und helfen ihm wenigstens ein Stückchen aus dem Brunnen heraus.
Anerkennung wirkt sogar selbstverstärkend auf die Motivation des Einzelnen. Jemand, der für seine Leistung Anerkennung erfährt, dem wird Positives zurückgespiegelt. Anerkennung steigert so das Selbstwertgefühl. Sie wirkt Angst reduzierend durch die erhaltene Bestätigung von außen. Dies lässt ihn optimistisch nach vorne blicken, er gewinnt Selbstvertrauen aufgrund der offensichtlich gelungenen Aufgabe. Durch das gestiegene Selbstvertrauen entsteht im Idealfall sogar Begeisterung für neue Aufgaben. Die Furcht vor Fehlern geht zurück. Da er gute Erfahrungen gemacht hat, möchte er diese wiederholen, das positive Gefühl bei Erhalt der Anerkennung erneut spüren. Dies ist Ansporn und Motivation. Er wird mit einer positiven Grundeinstellung an neue Aufgaben herangehen. Und dadurch werden ihm diese auch besser gelingen. Es entsteht eine positive Motivationsspirale. Erfolg kommt mit der Lust am Sieg und nicht mit der Furcht vor der Niederlage.
Bleibt hingegen eine erwartete oder erhoffte Anerkennung aus, besteht die Gefahr, dass der Mensch dies als Misserfolg sieht. Wohlgemerkt, wir sprechen hier vom Ausbleiben einer erwarteten oder auch nur erhofften Anerkennung und noch nicht von negativer Kritik. Selbst das Ausbleiben führt zu einem Mangel, denn ein Bedürfnis wird nicht befriedigt. Durch das Ausbleiben entsteht Pessimismus und das Selbstvertrauen sinkt. Beides führt zu nachlassender Leistung und für diese nachlassende Leistung wird der Mensch dann – oft zu Recht – negativ kritisiert. Durch die Kritik verstärkt sich der Pessimismus weiter, es kommt zu einer negativen Verstetigung. So wie bei Herrn Müller in unserem Beispiel. Für ihn bleibt die erwartete oder erhoffte Anerkennung vom Chef aus. Es kommt zu einer Demotivationsspirale.
Sie werden sich in Ihren Erfahrungen und Ihrer Intuition hinsichtlich der Bedeutung von Wertschätzung und Anerkennung jetzt hoffentlich bestätigt sehen.
Das Geben von Anerkennung und Wertschätzung erfordert eine Grundhaltung des Einzelnen, eine Form von Bereitschaft. Daher kann es auch nicht einfach von oben angeordnet werden, ganz nach dem Motto: „Ab jetzt verhalten wir uns alle wertschätzend.“ Jeder ist selbst gefordert zu erkennen, dass es lohnenswert ist, den Frosch aus dem Brunnen zu holen. Nehmen wir ein Beispiel, anhand dessen Sie selbst für sich einmal ausprobieren können, wie Sie so „ticken“.
Angenommen, Sie haben an einem Projekt mitgearbeitet. Heute ist der Tag der Vorstellung der Projektergebnisse vor der Geschäftsleitung. Sämtliche Projektmitarbeiter sind zur Präsentation ebenfalls eingeladen. Sie sitzen zusammen mit Ihren Kollegen im Plenum, im abgedunkelten hinteren Teil des Raums. Der Projektleiter Herr Projekt trägt vorne am Beamer die Projektergebnisse vor. Die Geschäftsleitung ist zufrieden. Nachdem Herr Projekt fertig ist, steht der Vorsitzende der Geschäftsleitung, Herr Vorsitz, auf und schüttelt Herrn Projekt freudestrahlend die Hand: „Vielen Dank, Herr Projekt, für diese hervorragende Leistung.“ Herr Projekt nimmt den Dank lächelnd entgegen. Die Sitzung ist beendet.
Was hätten Sie anstelle von Herrn Vorsitz gemacht oder gesagt?
Was hätten Sie anstelle von Herrn Projekt gemacht oder gesagt? Wie hätten Sie sich verhalten? Versetzen Sie sich in deren Lage und überlegen Sie einen kurzen Moment. Hätten Sie etwas anders gemacht? Wenn ja, was hat Sie gestört? Wobei hatten Sie vielleicht ein ungutes Gefühl?
Jetzt versetzen Sie sich wieder in die Rolle des Projektmitarbeiters. Was sind Ihre spontanen Gedanken, wenn Sie ein Projektmitarbeiter gewesen wären? Anbei ein paar Möglichkeiten:
Schön, dass die Geschäftsleitung ihre Zufriedenheit Herrn Projekt gegenüber ausgedrückt hat.
Da wir alle auch mit im Raum saßen, färbt der Dank auch auf uns ab. Wir wurden ja mittelbar mitgelobt. Auch ich fühle mich daher respektiert; ich bin motiviert für die nächsten Aufgaben.
Da wir alle auch im Raum saßen, hätte Herr Vorsitz die Gelegenheit nutzen können, um uns ebenfalls zu danken. Er weiß doch genau, dass Herr Projekt dies nicht allein gemacht hat. So hat er uns einfach ignoriert, als ob wir Luft wären. Das finde ich nicht in Ordnung.
Da hätte Herr Projekt nun Gelegenheit gehabt, uns auch zu danken. Anstatt die ganzen Lorbeeren alleine einzuheimsen. Aber ist doch typisch, er denkt immer nur an sich.
Schön, dass Herr Projekt so anerkannt wird. Er hat als Projektleiter auch einen wirklich guten Job gemacht.
Schön, dass Herr Projekt so anerkannt wird. Er war immer fair, hatte immer ein offenes Ohr und hat dafür gesorgt, dass die Stimmung im Team gut war.
Vielleicht haben Sie aber noch ganz andere Gedanken. Ihre spontanen Gedanken sagen etwas über Ihre Grundhaltung aus. In diesem Fall über Ihre Einstellung gegenüber der Anerkennung von anderen und der eigenen Anerkennung. Aber auch über Ihre Wertschätzungseinstellung gegenüber Herrn Projekt. Schauen Sie nur auf das Ergebnis (Projekt zur Zufriedenheit abgeschlossen) oder auch auf die menschliche Seite?
Jetzt variieren wir den Fall. Nehmen wir an, dass Herr Projekt auf den Dank von Herrn Vorsitz sagt: „Vielen Dank, Herr Vorsitz. Es freut mich, dass Sie so zufrieden sind. Aber diesen Erfolg habe ich nicht alleine erreicht. Daher möchte ich Ihren Dank gerne direkt weitergeben an mein Team, welches ja auch dahinten sitzt. Ohne diese tolle Team-Leistung wäre ein solches Projekt nicht möglich gewesen. Jeder Einzelne hat seinen Anteil daran, dass wir Ihnen heute diese Ergebnisse präsentieren können.“ Was sind jetzt Ihre spontanen Gedanken in Ihrer Rolle als Projektmitglied? Wieder ein paar Möglichkeiten:
Ja, so soll es ein. Das finde ich richtig gut, dass Herr Projekt uns als sein Team nicht vergisst.
Jetzt bin ich noch motivierter für die nächsten Aufgaben. So macht Projektarbeit Spaß.
Das hätte ja noch gefehlt, wenn Herr Projekt hier den Dank nicht an uns weitergegeben hätte. Schließlich haben wir ja die ganze Arbeit gemacht.
Eigentlich hätte uns Herr Projekt jetzt auch nochmals namentlich vorstellen können. Dies wäre eine gute Gelegenheit gewesen, dass auch ich einmal bei der Geschäftsleitung positiv auffalle.
Den Ball, den Herr Projekt Herrn Vorsitz zuspielt, hätte dieser ruhig aufnehmen und uns auch einmal die Hand schütteln können. Wir sind ja nicht bloß unpersönliche Arbeitsmasse für die da oben.
Ihre spontanen Gedanken sind somit auch von Ihren oft unbewussten Erwartungen geprägt. Haben Sie den Dank von Herrn Projekt erwartet? Haben Sie mehr erwartet? Wie stehen Sie zu dem Verhalten von Herrn Vorsitz?
Variieren wir den Sachverhalt noch weiter. Der Ablauf ist wie im vorherigen Beispiel. Nur, dass Herr Projekt nach seinem Dank an das Team noch einen Satz ergänzt: „Ganz besonders hervorheben möchte ich Herrn Fleißig. Er hat durch seinen unermüdlichen Einsatz dafür Sorge getragen, dass die Präsentation heute tatsächlich vorliegt.“ Was sind Ihre spontanen Gedanken in Ihrer Rolle als Projektmitglied, wobei wir annehmen, dass Sie nicht Herr Fleißig sind? Wieder ein paar Vorschläge:
Ich freue mich nach wie vor über den pauschalen Dank von Herrn Projekt.
Wieso hat er denn jetzt Herrn Fleißig besonders hervorgehoben? So toll war seine Leistung doch auch nicht. Er hat nicht mehr dazu beigetragen als ich auch. Das finde ich unfair.
Das Hervorheben von Herrn Fleißig macht den allgemeinen Dank an alle kaputt.
Ich freue mich für Herrn Fleißig, dass seine Leistung besonders herausgestellt wird.
Wenn Herr Projekt Herrn Fleißig so sehr hervorhebt, dann wird dies schon seine Berechtigung haben.
Ihre spontanen Gedanken zeigen hier, wie Sie mit Lob und Anerkennung umgehen, die einem Einzelnen statt allen gegenüber geäußert werden. Es zeigt auch, ob bzw. wie Sie akzeptieren, dass das Bild, welches Sie selbst von jemand anderem haben, nicht mit dem Bild übereinstimmt, das ein anderer von diesem Menschen hat.
Sehen wir uns noch eine letzte Variation an. Anstelle des letzten Satzes hebt Herr Projekt jetzt Sie (Herrn Toll) besonders hervor: „Ganz besonders hervorheben möchte ich Herrn Toll. Er hat durch seinen unermüdlichen Einsatz dafür Sorge getragen, dass die Präsentation heute tatsächlich vorliegt.“ Auch hier wieder ein paar Möglichkeiten:
Sie fühlen sich geehrt und besonders geschmeichelt.
Sie denken: Endlich sieht Herr Projekt einmal, welche hervorragende Arbeit ich leiste. Völlig okay, dass er mich hier nochmals extra namentlich erwähnt.
Es ist Ihnen peinlich, vor versammelter Mannschaft so gelobt zu werden. Was mögen die anderen jetzt über Sie denken?
Sie wiegeln ab und sagen: „Ist doch selbstverständlich.“
Sie stehen auf und sagen: „Vielen Dank, Herr Projekt. Aber auch allen anderen Kollegen, die hier sitzen, gebührt der Dank.“
Ihre Gedanken sagen neben dem Umgang mit Anerkennung und Erwartungen auch etwas aus über Ihre Selbstwertschätzung. Sind Sie stark genug, um Lob auch annehmen zu können? Unterstellen wir einmal, dass das Lob an Sie kein Gefälligkeitslob, sondern tatsächlich berechtigt war. Wenn Sie ehrliches Lob abwiegeln („ist doch selbstverständlich“), machen Sie sich unnötig klein. Wenn Herr Projekt meint, dass er Sie vor versammelter Mannschaft nochmals extra loben muss, dann hat er sich etwas dabei gedacht. Dann ist ihm Ihre Leistung aufgefallen, dann hält er es für wert, Ihre Leistung gesondert zu erwähnen. Er hätte ja auch gar nichts sagen brauchen. Dafür brauchen Sie sich nicht zu schämen. Stehen Sie dazu. Lernen Sie, Lob auch anzunehmen.
Auch der letzte Gedanke macht Sie faktisch – so wie er hier formuliert ist – kleiner, denn Sie reichen damit praktisch das Lob direkt an die anderen durch. „Ja, danke, aber die anderen sind ja noch viel wichtiger als ich.“ Der Effekt für Sie selbst wird stark abgemindert, auch wenn Sie sich hier den anderen gegenüber durch das Weitergeben wertschätzend verhalten.
Wie schon gesagt, es gibt keine ultimative Vorgehensweise. Die tatsächliche Wirkung bestimmt letztlich der Empfänger. Wichtig ist, sich überhaupt damit auseinanderzusetzen, wie ein Verhalten oder eine Aussage auf andere wirken könnte und wie man selbst denkt und reagiert. In einem zweiten Schritt kommt es darauf an, sich zu fragen, ob dies dem entspricht, was man eigentlich erreichen möchte. Mit genau diesen Punkten, also den Erwartungen, dem Selbstbild, dem Fremdbild und dem Selbstwert, wollen wir uns nachfolgend intensiver beschäftigen.