Mein Körper ist immer bei mir - Dirk Heinen - E-Book

Mein Körper ist immer bei mir E-Book

Dirk Heinen

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Beschreibung

In einer Welt, in der das Leben zum Objekt, zum Gegenstand intellektueller Vorstellung und kalter wissenschaftlicher Betrachtung verkommt, scheinen all jene großen Geister verstummt, die hier etwas von Metaphysik, Transzendenz oder Mystik zu erzählen hätten und nicht zuletzt auch von Gott. Es sind die Dichter und Denker der Antike, des Hochmittelalters, der Frühromantik oder Aufklärung, Weise, Mystiker, Religionsstifter und Gelehrte hoher Kulturen, seit Menschengedenken und bis hinein in unsere Zeit. Kann das weg? Ist das Leben schlussendlich verstanden? Ist es eben nur die rationale Sache? "Mein Körper ist immer bei mir" will eine Gegenposition zu solchen Behauptungen entwickeln, mit dem Ansatz dem Leben und seinen Phänomenen so offen zu begegnen, wie es uns als Menschen bei vollem Bewusstsein und bei Sinnen nur möglich ist. Die notwendige Erklärung des Begriffs Bewusstsein wird durch verschiedene philosophische, spirituelle und auch naturwissenschaftliche Betrachtungen führen, weltanschauliche Konsequenzen mit inbegriffen. Es ist der Versuch schließlich von der Kunst zu Leben zu reden, die auch darin besteht, Fertigkeiten im Umgang mit falschem Bewusstsein zu erwerben.

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Vorwort zur 2. Auflage

In einer Welt, in der das Leben zum Objekt, zum Gegenstand intellektueller Vorstellung und kalter wissenschaftlicher Betrachtung verkommt, scheinen all jene großen Geister verstummt, die hier etwas von Metaphysik, Transzendenz oder Mystik zu erzählen hätten und nicht zuletzt auch von Gott. Es sind die Dichter und Denker der Antike, des Hochmittelalters, der Frühromantik oder Aufklärung, Weise, Mystiker, Religionsstifter und Gelehrte hoher Kulturen, seit Menschengedenken und bis hinein in unsere Zeit. Kann das weg? Ist das Leben schlussendlich verstanden? Ist es eben nur die rationale Sache?

„Mein Körper ist immer bei mir“ will eine Gegenposition zu solchen Behauptungen entwickeln, mit dem Ansatz dem Leben und seinen Phänomenen so offen zu begegnen, wie es uns als Menschen bei vollem Bewusstsein und bei Sinnen nur möglich ist. Es ist der Versuch die besondere Beziehung von Diesseits und Jenseits, von Vorstellungswelt und Metaphysischem, sichtbar zu machen und so ihre vermeintlich wechselseitige Ausschließlichkeit aufzulösen. Die hierzu notwendige Erklärung des Begriffs Bewusstsein wird durch verschiedene philosophische, spirituelle und auch naturwissenschaftliche Betrachtungen führen, weltanschauliche Konsequenzen mit inbegriffen.

Diese Schrift will integrieren, aber über das Integrierte hinausführen. Sie will anschlussfähig bleiben sowohl an spirituelle und intellektuelle wie auch wissenschaftliche und alltägliche Vorstellungswelten. Sie will nicht im Theoretischen stecken bleiben und so gestaltet sie sich auch in empirischen und praktischen Facetten aus. Es ist der Versuch schließlich von der Kunst zu Leben zu reden, die auch darin besteht, Fertigkeiten im Umgang mit falschem Bewusstsein zu erwerben.

Es mag sein, dass an einigen Stellen im Text weiterführende Erklärungen oder Vertiefungen notwendig erscheinen. Dieser Eindruck sollte Impuls sein, sich genau an diesen Stellen auf die eigene Suche zu begeben.

Im Dienst des Herrn München im Mai 2024

Inhalt

Weltkrisen

Auf der Suche nach dem falschen Bewusstsein

Heisenbergs Schüler

Altes Denken in der Physik

Neues Denken in der Physik

Schopenhauers Welt als Wille und Vorstellung

Das Wesen der Vorstellung

Vernunft und ihre Grenzen in Sprache und Wissen

Jenseits von allem Vorstellbaren: Der Wille

Ethik und Recht

Die Botschaft von Eckhart Tolle

Schema des falschen Bewusstseins

Ewiges Leben – Eine Weltanschauung

Immer wieder Abitur – Empirischer Teil

Bewusstseinsforschung

Träume

Leiden

Der freie Wille

Bedeutung der Hingabe

Wie Leben? – Praktischer Teil

Irrwege – Also sprach Zarathustra

Kritik der Moral

Eine Staatskritik

Bewusste Hingabe statt Askese – Eine Schopenhauerkritik

Leben als Künstler

Schluss

Epilog

Weltkrisen

Die Welt Anfang der 2020er Jahre ist eine Welt der Krisen: Finanzkrise, Klimakrise, Wirtschaftskrise, Demokratiekrise, ökologische Krise, Migrationskrise, Kapitalismuskrise, Corona Krise, … „A crisis (from the Greek κρίσις - krisis;[1] plural: "crises"; adjectival form: "critical") is any event that is going (or is expected) to lead to an unstable and dangerous situation affecting an individual, group, community, or whole society.“ 1 Diese gegenwärtige, allgemein gültige Definition vom Krisenbegriff, und als solches kann die englischsprachige Wikipedia verstanden werden, erklärt zwar nicht das Krisenphänomen an sich, sie wirft aber eine Reihe von Fragen auf, die uns einer Erklärung näherbringen können: Was ist hier gefährdet? Von woher droht Gefahr? Gibt es krisenübergreifende Muster? Was ist in diesem Zusammenhang ein „Any Event“?

Der Volksmund liefert eine passende Beschreibung des Krisenphänomens, wenn er auf die offensichtliche Lücke „zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ hinweist. Wer so spricht hat die Überspannung von Fiktionen bzw. Vorstellungen eines falschen Bewusstseins im Verhältnis zur Wirklichkeit erkannt und diese für sich in einer Art heilsamen Enttäuschung entladen. Fiktionen bzw. Vorstellungen entspringen, wie später noch ausgeführt wird, der menschlichen Vernunft, die in einer ganz besonderen Beziehung steht, zu dem was wirklich ist. Diese prinzipielle Möglichkeit zur Abstraktion, zur Abkoppelung von dem was wirklich ist, diese Begabung zur Vernunft und ihrer Vorstellungskraft, gilt es an ihren rechten Platz zu rücken, um nicht der Illusion oder gar Wahnvorstellung zu unterliegen, Herr über das Leben selbst zu sein.

Überspannungen solcher Art finden sich im Außen, auf den politischen, öffentlichen Bühnen, in den Fiktionswelten z.B. der Kreditfinanzierung, der sozialen Gerechtigkeit, der Nationen, von Public Health und Wealth. Es ist dies, wie Yuval Noah Harari so brilliant entdeckt, die Welt der intersubjektiven Fiktionen, der Narrative, jenem sozialen Kitt anonymer Gruppen2. Im Inneren, Subjektiven, sind es die Fiktionen von Menschen über sich selbst, ist es die Welt des Egos samt seinen dramatischen Geschichten von Freud und Leid, gesponnen aus Vergangenheit und Zukunft.

Der „Any Event“, treffender Anytime Event, ist nichts weiter, als das plötzliche Eintreten eines Bewusstseins in dem sich die Überspannungen entladen, die Fiktionen in ihren Wirklichkeitskern hinein implodieren. Die Welt der Krisen ist die Welt all jener Fiktionen, samt ihrer Schöpfer und Anhänger, denen ein solches Ereignis noch bevorsteht.

Seitdem in der Philosophie von der Vernunft die Rede ist, besteht Klarheit über die Begrenztheit jeder Weltanschauung, die nichts weiter sein kann, als die Summe ihrer Vorstellungen bzw. Fiktionen. Entspringen diese einem falschen Bewusstsein, dann werden auch die aus ihnen errichteten Weltanschauungen in die Krise kommen, ja kommen müssen.

In seiner Kritik der zynischen Vernunft von 1983 entdeckt Peter Sloterdijk den Zynismus als Fortsetzung der „... bisherigen Formenreihe des falschen Bewusstseins – Lüge, Irrtum, Ideologie ...“ 3 und er bringt ihn zu einer ersten Definition als „aufgeklärtes falsches Bewusstsein“. In der Tradition der Vernunftkritik liest sich diese Entdeckung als die Einsicht, dass Aufklärer unter Vernunftbedingungen, wenn überhaupt, auf das Richtige wohl nur über die Entdeckung seiner Negation, des Falschen, hinweisen können. „Ich nenne es: Kynismus der Zwecke. Inspiriert von einem Kynismus der Zwecke könnte einem Leben wieder warm werden, das am Zynismus der Mittel die Kälte des Machens, Herrschens und Zerstörens erlernt hat. Die Kritik der instrumentellen Vernunft drängt darauf, als Kritik der zynischen Vernunft zu Ende geführt zu werden. In ihr geht es darum, Heideggers Pathos zu entkrampfen und es von der Anklammerung an das bloße Todesbewusstsein zu befreien. „Eigentlichkeit“, wenn der Ausdruck überhaupt Sinn geben soll, erfahren wir eher in Liebe und sexuellem Rausch, in Ironie und Gelächter, Kreativität und Verantwortung, Meditation und Ekstase. Bei dieser Entkrampfung verschwindet jener existentialistische Einzige, der am eigenen Tod sein eigenstes Eigentum zu haben meint. Auf dem Gipfel des Seinkönnens erfahren wir nicht nur den Weltuntergang im einsamen Tod, sondern mehr noch den Ich-Untergang in der Hingabe an die gemeinsamste Welt.“4

1en.wikipedia.org, 25.11.2020

2 Vgl. Yuval Noah Harari, Eine kurze Geschichte der Menschheit, Teil 1

3 Peter Sloterdijk, Kritik der zynischen Vernunft, S. 33

4 Peter Sloterdijk, Kritik der zynischen Vernunft, S. 390

Auf der Suche nach dem falschen Bewusstsein

Es muss in meinem dritten oder vierten Lebensjahr gewesen sein, ein Moment in dem ich meine Eltern mit folgendem Satz überraschte: „Mein Körper ist immer bei mir.“ Dieses Erlebnis aus früher Kindheit scheint mir heute wie ein kurzer sehr bewusster Moment und eine frühe Ahnung von dem, was ich erst viele Jahre später tiefer und nachhaltiger erkennen sollte. Es war offenbar ein Bewusstseinszustand gegenwärtig, der zwischen einem Sein als Beobachter und einem Sein als beobachtetes Objekt zu unterscheiden vermochte: Ich bin nicht identisch mit meinem Körper, aber mein Körper ist offenbar immer bei mir. Diese Anekdote aus frühen Kindheitstagen sollte schließlich auch Anlass für den Titel dieser Schrift sein.

Es folgen hier nun und im Sinne einer thematischen Eröffnung, Schilderungen von Erkenntnis- bzw. Bewusstwerdungsprozessen in Naturwissenschaft, philosophischer Erkenntnistheorie und Ethik sowie Psychologie. Ihrer Auswahl sei eine Begründung vorangestellt: Mit Hans-Peter Dürr begegnen wir einem Schüler Werner Heisenbergs, Mitbegründer der Quantentheorie der Physik. Dürr ist interdisziplinärer Erklärer und Deuter dieser Physik, die er wie kaum jemand in ihren weltanschaulichen Konsequenzen verstanden hat. Mit Arthur Schopenhauer treffen wir den Philosophen der deutschen Aufklärung und Vernunftkritik, der auf das herausragende Werk Immanuel Kants aufbauen konnte und der seine interdisziplinäre Kompetenz als Universalgelehrter und Freund alter indischer Weisheitslehren beweist. Und in der Tradition der Weisen Indiens und Galiläas oder der deutschen Mystiker stehend, begegnen wir nicht zuletzt dem spirituellen Lehrer5 Eckhart Tolle, der für sich steht.

Dort, wo die Enttäuschungen eines falschen Bewusstseins zusammenfallen, bleibt wohl etwas übrig, das als Keim einer bewussteren, aufgeklärteren Vorstellungswelt interpretiert werden darf. Dort könnte eine Entdeckung gelingen, zu der jener Imperativ auffordert, der schon über dem Eingang des Orakels von Delphi eingemeißelt stand: Erkenne dich selbst!

5 So bezeichnet sich Eckhart Tolle selber.

Heisenbergs Schüler

Helgoland Ende Mai / Anfang Juni 1925, gegen drei Uhr morgens. Werner Heisenberg in Erregung: „Im ersten Augenblick war ich zutiefst erschrocken. Ich hatte das Gefühl, durch die Oberfläche der atomaren Erscheinungen hindurch auf einen tief darunter liegenden Grund von merkwürdiger innerer Schönheit zu schauen, und es wurde mir fast schwindlig bei dem Gedanken, dass ich nun dieser Fülle von mathematischen Strukturen nachgehen sollte, die die Natur dort unten vor mir ausgebreitet hatte.“6

Die Szene aus Werner Heisenbergs populärer Schrift „Der Teil und das Ganze“ schildert ideal Plötzlichkeit und Qualität des Eintritts eines neuen Bewusstseins, im vorliegenden Fall eines neuen Bewusstseins über das, was Materie sei. Es ist, im Vorgriff auf das spätere Kapitel über die Hingabe, die Schilderung einer ekstatischen Erfahrung.

Den Folgenreichtum der Erkenntnisse von 1925 und der darauf bauenden Quantentheorie der Physik verstand einer ganz besonders: Hans-Peter Dürr, Physiker, Schüler Werner Heisenbergs sowie Träger des alternativen Nobelpreises. Dürr mahnt in Büchern und Vorträgen die zwingende Notwendigkeit zu einem neuen Denken in der Physik an, mit revolutionären Folgen für ein etabliertes Selbst- und Weltverständnis. Dieses neue Denken wäre zugleich Chance und Schicksal der Menschheit ein altes Denken zu überwinden, das in seinem blinden Wirken zerstörerisch und zutiefst lebensfeindlich geworden sei.

Altes Denken in der Physik

Das von Dürr als altes Denken in der Physik Bezeichnete ist weltanschaulich gesprochen in seinem Ergebnis das mechanistische Weltbild. Dieses Weltbild, entstanden wohl im Europa des 18. Jahrhunderts und in Folge der Newtonschen Mechanik, ist etwas, das „unserer greifenden Hand angemessen“7 ist und in dem die weltlichen Objekte im wörtlichen Sinne durch den Verstand begreifbar sind. Das alte Denken ist geprägt durch eine reduktionistische wissenschaftliche Vorgehensweise, die durch vollständiges Zerlegen in greifbare d.h. exakt bestimmbare letztmögliche Einzelteile auf den wahren Grund der Natur vor zu stoßen glaubt. Hinweise auf logische Widersprüche innerhalb einer solchen Methodik finden sich beim „Who is who“ der deutschen Vernunftkritik, Aufklärung oder Naturphilosophie.