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Colonel Derek Delborough ist in verdeckter Mission unterwegs, um dem gefährlichen Anführer eines Geheimbunds das Handwerk zu legen. Eine junge Dame ist dabei das Letzte, wofür er Zeit erübrigen kann. Die unerschrockene Deliah Duncannon lässt sich indes nicht abweisen und heftet sich hartnäckig an seine Fersen. Unversehens geraten Derek und seine schöne Begleiterin in einen wilden Strudel aus Mord, Verrat und Intrigen. Und schon bald ist nicht nur Dereks Leben in Gefahr, sondern auch sein Herz …
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Seitenzahl: 560
Colonel Derek Delborough ist in verdeckter und vor allem sehr gefährlicher Mission unterwegs, um dem Furcht erregenden Anführer eines Geheimbunds das Handwerk zu legen. Eine junge Dame ist dabei das Letzte, wofür er auf seiner Reise Zeit erübrigen kann. Die unerschrockene Deliah Duncannon lässt sich indes nicht abweisen und heftet sich hartnäckig an seine Fersen. Schließlich wurde ihr fest zugesichert, dass der Colonel sie nach Humberside eskortiert, und sie wird ihn mit allen Mitteln dazu bringen, dieses Versprechen zu halten. Zuerst tut Derek alles dafür, den Plagegeist wieder loszuwerden, doch dann geraten er und seine schöne Begleiterin in einen wilden Strudel aus Mord, Verrat und Intrigen. Und schon bald ist nicht nur Dereks Leben in Gefahr, sondern auch sein Herz …
Stephanie Laurens begann mit dem Schreiben, um etwas Farbe in ihren wissenschaftlichen Alltag zu bringen. Ihre Bücher wurden bald so beliebt, dass sie ihr Hobby zum Beruf machte. Stephanie Laurens gehört zu den meistgelesenen und populärsten Liebesromanautorinnen der Welt und lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Töchtern in einem Vorort von Melbourne, Australien.
Von Stephanie Laurens bei Blanvalet lieferbar:
Verheißungsvolle Küsse/Der Liebesschwur (Doppelband; 37372) · Verheißungsvolle Küsse (35806) · In den Armen des Eroberers (35838) · Der Liebesschwur (35839) · In den Fesseln der Liebe (36098) · Nur mit deinen Küssen (36490) · Küsse im Morgenlicht (36529) · Verführt zur Liebe (36759) · Was dein Herz dir sagt (36806) · Hauch der Verführung (36807) · Eine Nacht wie Samt und Seide (36808) · Sturm der Verführung (37298) · Im Feuer der Nacht (37376) · Eine skandalöse Versuchung (37448) · Ein verführerischer Schuft (37449) · Stolz und Verführung (37549)
Indien, 1822
»Ich kann gar nicht oft genug betonen, wie wichtig es ist, diesem Scheusal den Kopf abzuschlagen.« Francis Rawdon-Hastings, Marquis of Hastings und seit neun Jahren Generalgouverneur von Indien, stapfte hinter seinem Schreibtisch auf und ab.
Die fünf Offiziere, die lässig in den eleganten Rattansesseln vor dem riesigen Mahagonitisch im Büro des Generalgouverneurs saßen, blieben still und stumm; Hastings Herumgetigere war das Einzige, was die drückend schwüle Luft in Bewegung brachte.
Der alte Herr hatte einen hochroten Kopf, seine Fäuste waren geballt, die Muskeln an Schulter und Armen gespannt. Colonel Derek Delborough, Spitzname Del, der an einem Ende der Sesselreihe saß, registrierte die Hinweise auf die Erregung seines obersten Dienstherrn mit kühler Zurückhaltung. Der Generalgouverneur hatte sich lange Zeit gelassen, ehe er ihre Truppe, die von Hastings selbst ausgewählte Spezialeinheit, zu sich gerufen hatte.
In der weiß verputzten Wand hinter Hastings befanden sich zwei Teakholzfenster, die, obwohl sie von einem breiten Balkon beschattet wurden, wegen der brüt enden Hitze mit Läden verschlossen waren. Zwischen den Fenstern hing ein Bild des Königs, gemalt, als er noch als Prinz Florizel der Liebling Europas gewesen war, aus dem er auf diesen Außenposten der reichen und mächtigen englischen Nation herabsah. Das Büro war üppig ausgestattet. Rosenholztische und Teakholzschränke mit feinen Schnitzereien und Intarsien glänzten im Licht, das durch die geschlossenen Läden fiel und sich in den unzähligen kunstvollen Messingbeschlägen spiegelte.
Der luftige, makellos saubere, reich und exotisch möblierte Raum verströmte trotz seiner Zweckmäßigkeit eine zeitlose Gelassenheit, so wie der ganze Subkontinent, der zu einem großen Teil nun von Hastings verwaltet wurde.
Immun gegen jede beruhigende Ausstrahlung lief Hastings nach wie vor ärgerlich hin und her.
»Diese Überfälle auf unsere Konvois müssen aufhören – mit jedem Tag, der ungenutzt verstreicht, jeder Attacke, die ungesühnt bleibt, büßen wir mehr Autorität ein.«
»Soweit ich weiß … « – Dels gedehnte Sprechweise, ein Hinweis auf seine unerschütterliche Ruhe, stand in scharfem Kontrast zu Hastings knappem Ton – »… haben die Aktivitäten der Schwarzen Kobra in letzter Zeit stark zugenommen.«
»Ja, verdammt noch mal! Und unser Büro in Bombay hat es bis vor ein paar Monaten nicht einmal für nötig gehalten, das zu melden, geschweige denn, etwas dagegen zu tun, und jetzt jammern sie, dass sie die Situation nicht in den Griff kriegen. « Hastings blieb hinter seinem Schreibtisch stehen, wühlte gereizt in einem Stapel von Dokumenten und legte einige davon auf dem Tisch aus, ehe er sie über die polierte Platte schob.
»Das sind einige der jüngsten Berichte – nur damit Sie wissen, worauf Sie sich einlassen.«
Die vier Männer rechts von Del sahen ihn an. Auf sein Nicken hin nahm jeder einen Bericht, lehnte sich zurück und begann zu lesen.
»Ich habe gehört«, sprach Del weiter, wodurch die Aufmerksamkeit des Generalgouverneurs sich wieder auf ihn richtete, »die Sekte sei 1819 aufgetaucht. Gibt es irgendeine Vorgeschichte, oder hat die Schlange in dem Jahr zum ersten Mal ihr Haupt erhoben?«
»Damals gab es die ersten Gerüchte, selbst die Einheimischen hatten nie zuvor davon gehört. Natürlich kann man nicht sagen, ob die Kobra nicht irgendwo im Hintergrund gelauert hat – in Indien gibt es weiß Gott genug von diesen geheimen Sekten –, aber vor 1819 gibt es keinerlei Hinweise darauf, nicht einmal von älteren Maharadschas. «
»Wenn ein neuer Kult entsteht, ist meist ein neuer Anführer im Spiel.«
»Stimmt, und genau den sollen Sie eliminieren. Wenn das nicht klappt, dezimieren Sie seine Truppen … « – Hastings deutete auf die Dokumente, die von den anderen vier Männern gelesen wurden – » … diese Fanatiker, die er zum Morden, Vergewaltigen und Plündern einsetzt – damit dieses Scheusal sich wieder unter dem Stein verkriecht, unter dem es hervorgekommen ist.«
»Mit ›Morden, Vergewaltigen und Plündern‹ scheint das Tun der Schwarzen Kobra nur unzureichend beschrieben zu sein.« Major Gareth Hamilton, einer der vier Offiziere, die Del unterstellt waren, schaute auf und heftete seinen braunen Blick auf Hastings.
»Das hier liest sich eher wie eine willkürliche Terrorisierung von Dörfern mit dem Ziel, sie gefügig zu machen. Ziemlich ehrgeizig für eine Sekte – neben der gewöhnlichen Erpressung von Geld und Waren eine Machtübernahme zu versuchen.«
»Und eine Schreckensherrschaft einzurichten.« Captain Rafe Carstairs, drei Sessel von Del entfernt, warf seinen Bericht auch auf den Tisch zurück. Seine aristokratische Züge waren angewidert, beinahe angeekelt verzerrt, was dem Colonel verriet, dass das, was sein Freund soeben gelesen hatte, wirklich schrecklich sein musste.
Die fünf Männer, die vor Hastings’ Schreibtisch saßen, hatten allesamt Massaker erlebt, die für die meisten Menschen unvorstellbar waren; sie hatten im Spanischen Unabhängigkeitskrieg gekämpft, gemeinsam in der Kavallerie unter Paget gedient, in Waterloo im dichtesten Getümmel gestanden und sich dann bei der Ehrenwerten Ostindischen Kompanie verdingt, die sie als Spezialeinsatztruppe unter Hastings’ Befehl gezielt zu den schlimmsten Aufständen und Unruhen geschickt hatte, die in den vergangenen sieben Jahren auf dem Subkontinent ausgebrochen waren.
Major Logan Monteith, der zwischen Gareth und Rafe saß, verzog den Mund und ließ den Bericht, den er gelesen hatte, mit einer Drehung seines tief gebräunten Handgelenks über den Schreibtisch zu den anderen schlittern.
»Im Vergleich mit der Schwarzen Kobra wirken Kali und ihre Schläger ja geradezu zivilisiert.«
Hinter Rafe saß der letzte und jüngste der fünf, Captain James MacFarlane, der trotz seiner neunundzwanzig Jahre noch sehr jung aussah. Er beugte sich vor und legte das Dokument, das er studiert hatte, bedächtig zu den anderen.
»Hat Bombay keine Ahnung, wer dahinterstecken könnte? Keine Spur – zu Verbündeten oder in die Gegend, in der der Anführer dieser Sekte sein Hauptquartier haben könnte?«
»Nach mehr als fünf Monaten intensiver Suche hat Bombay tatsächlich nichts weiter als den Verdacht, dass einige Kleinkönige der Marathen die Sekte insgeheim unterstützen.«
Rafe schnaubte.
»Jeder Narr hätte das voraussagen können. Seit wir sie 1818 besiegt haben, sehnen sie sich nach einer Revanche – egal wie, jedes Mittel ist ihnen recht.«
»Exakt,« Hastings Ton war bitter, bissig; »wie Sie wissen, ist augenblicklich Elphinstone Gouverneur in Bombay. In allen anderen Bereichen macht er eine gute Figur, aber er ist ein Diplomat, kein Soldat, und er gibt offen zu, dass er im Hinblick auf die Schwarze Kobra überfordert ist.« Hastings ließ den Blick über die Männer vor seinem Schreibtisch gleiten und schließlich auf Del ruhen.
»An der Stelle kommen Sie ins Spiel.«
»Ich gehe davon aus«, sagte der Colonel, »dass Elphinstone sich nicht vor den Kopf gestoßen fühlt, wenn die Kavallerie einreitet.«
»Ganz im Gegenteil – er wird Sie mit offenen Armen empfangen. Er ist mit seiner Weisheit am Ende, versucht, die Händler zu beruhigen und gleichzeitig schwarze Zahlen für London zu schreiben – nicht leicht, wenn jeder fünfte Transport geplündert wird.« Hastings hielt inne, und einen Augenblick lang war ihm anzusehen, wie anstrengend es war, eine so große Kolonie wie Indien zu regieren. Dann biss er die Zähne zusammen und schaute den Offizieren in die Augen.
»Ich kann die Wichtigkeit dieser Mission gar nicht überbewerten. Die Schwarze Kobra muss aufgehalten werden. Die Verwüstungen und Scheußlichkeiten, die in ihrem Namen angerichtet werden, haben ein Ausmaß erreicht, das nicht nur die Kompanie, sondern England selbst bedroht – denn abgesehen vom Handel nimmt auch unser Einfluss ab, und Sie sind alle lange genug hier, um zu wissen, wie wichtig gerade Letzterer ist, um die Interessen unserer Nation zu wahren. Und schließlich … « – mit dem Kopf deutete er auf die Berichte auf seinem Schreibtisch – » … geht es um Indien, und die Bewohner dieser Dörfer, die von der Schwarzen Kobra befreit werden müssen.«
»Ganz Ihrer Meinung.« Rafe raffte sich aus der für ihn typischen Flegelhaltung auf und erhob sich zusammen mit den anderen.
Hastings musterte die Männer in ihren Uniformen, die Schulter an Schulter vor seinem Schreibtisch standen wie eine undurchdringliche rote Wand. Sie waren allesamt über eins achtzig groß und harte, kampferprobte Exgardisten. Jedem, auch MacFarlane, stand ins Gesicht geschrieben, dass ihm nichts Menschliches mehr fremd war.
Zufrieden mit dem, was er sah, nickte Hastings.
»Gentlemen, Ihr Auftrag lautet, die Schwarze Kobra zu identifizieren, zu fangen und der Justiz zu übergeben. Bei der Wahl der Mittel und Wege haben Sie freie Hand. Mir ist egal, wie Sie es anstellen, Hauptsache, am Ende siegt die Gerechtigkeit. Über die Mittel und Truppen der Kompanie können Sie wie gewöhnlich nach eigenem Ermessen verfügen.«
Wie üblich war es Rafe, der für die ganze Gruppe antwortete, wenn auch mit eigenen Worten.
»Sie haben davon gesprochen, dass wir der Schlange den Kopf abschlagen sollen.« Sein Ton war locker und wie immer versprühte er seinen lässigen Charme, ganz so als befände er sich auf einer Teeparty und spräche über Krocket.
»Bei Sekten ist das normalerweise der beste Ansatz. Können wir davon ausgehen, dass es Ihnen lieber wäre, wenn wir uns den Anführer greifen – oder sollen wir vorsichtig vorgehen und eher versuchen, in erster Linie die Konvois zu schützen?«
Hastings sah Rafe in die arglosen blauen Augen.
»Sie, Captain, wissen doch gar nicht, was Vorsicht ist.«
Dels Mundwinkel zuckten und aus den Augenwinkeln sah er, dass es Gareth ähnlich ging. Rafe, der den Spitznamen »Draufgänger« aus gutem Grund bekommen hatte, bewahrte seine Unschuldsmiene trotz Hastings’ zynischem Blick.
Schließlich räusperte sich der Generalgouverneur.
»Ihre Annahme ist korrekt. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie die Schwarze Kobra persönlich anvisieren, sie identifizieren und eliminieren. Was den Rest angeht, tun Sie, was möglich ist, aber die Zeit drängt, und Vorsicht können wir uns nicht mehr leisten.«
Wieder musterte Hastings seine Männer.
»Sie dürfen meine Befehle auslegen, wie Sie wollen – nur bringen Sie die Schwarze Kobra vor Gericht.«
»Hastings hat gesagt, wir können seine Befehle interpretieren, wie wir wollen – und wir hätten freie Hand bei der Wahl der Mittel und Wege.« Rafe lehnte die Schultern an die Wand in seinem Rücken, schnappte sich eins der Gläser, die der Barjunge gerade auf den Tisch gestellt hatte, und nahm einen großen Schluck vom dunklen, bernsteinfarbenen Bier.
Die fünf Freunde – Del, Gareth, Logan, Rafe und James – saßen an einem Ecktisch in der Bar neben der Offiziersmesse. Sie hatten den Tisch gewählt, weil er gewisse Annehmlichkeiten bot, unter anderem freie Sicht auf den ganzen Raum – die von der Offiziersmesse abgetrennte vordere Veranda – und den Paradeplatz vor dem Haus. Außerdem – der größte Vorzug des Tisches – konnte sich wegen der dicken Steinmauern hinter ihnen und an einer Seite weder innen noch außen irgendjemand unbemerkt nähern und ihre leise Unterhaltung belauschen.
Die Bambusrollos zwischen den vorderen Säulen der Veranda waren im Moment heruntergelassen, um die tief stehende Nachmittagssonne und den Staub abzuhalten, den eine Truppe von Sepoys beim Exerzieren aufwirbelte, sodass die Bar in kühlen Schatten getaucht war. Abgesehen vom leisen Gemurmel der Offiziere an zwei Tischen ein Stück weiter weg war nur das Klacken von Billardkugeln im Alkoven am anderen Ende der langen Veranda zu hören.
»Stimmt,« auch Gareth nahm sich ein Glas, »aber ich bezweifle, dass unser Chef uns damit auffordern wollte, ihn zu hintergehen.«
»Ich denke, wir haben keine andere Wahl.« Logan und seine drei Freunde sahen Del an.
Der Colonel, der in sein Bier starrte, spürte ihre Blicke und schaute auf.
»Wenn wir richtig liegen mit der Vermutung, dass Roderick Ferrar die Schwarze Kobra ist, wird Hastings uns für die Nachricht nicht danken.«
»Aber er tut trotzdem seine Pflicht, oder?« James griff nach dem letzten Glas, das noch auf dem Tablett stand.
Del sah ihn an.
»Ist dir das Portrait hinter Hastings’ Schreibtisch aufgefallen?«
»Das vom Prinzen?«
Del nickte.
»Es gehört Hastings, nicht der Kompanie. Er hat seinen Posten dem Prinzen – Pardon, Seiner Majestät – zu verdanken, und er weiß, dass er das nicht vergessen darf. Falls wir ihm einen unwiderlegbaren Beweis bringen, dass Ferrar der Gesuchte ist – immer vorausgesetzt, wir können einen auftreiben – , bringen wir ihn in die unangenehme Lage, sich entscheiden zu müssen, welchem Herrn er dienen will – seinem Gewissen oder seinem König.«
Nachdenklich drehte James sein Glas in den Händen.
»Ist Ferrar wirklich so unantastbar?«
»Ja«, sagten Del, Gareth, Logan und Rafe wie aus einem Mund.
»Hastings ist dem König verpflichtet«, erklärte Del, »und der König ist Ferrar senior verpflichtet, dem Earl of Shrewton. Außerdem ist allseits bekannt, dass der Earl Ferrar, obwohl er der zweitgeborene Sohn ist, den anderen vorzieht.«
»Den Gerüchten nach«, sagte Rafe und beugte sich über den Tisch, »hat Shrewton den König in der Tasche – was durchaus vorstellbar ist –, das heißt, falls es zwischen Hastings und Shrewton nicht irgendwelche bislang unbekannten Animositäten gibt, wird Hastings sich wahrscheinlich verpflichtet fühlen, einen eventuellen Beweis zu ›verlieren‹.«
Logan schnaubte.
»Verdammt – es würde mich nicht wundern, wenn ein Teil des Geldes, das die Schwarze Kobra von den Gewinnen der Kompanie abzweigt, auf Umwegen in den Taschen Seiner Majestät landet.«
»Hastings«, erinnerte Gareth die anderen, »hat klar und deutlich gesagt, dass wir ›die Schwarze Kobra vor Gericht bringen‹ sollen, nicht aber, dass das in Bombay sein muss.« Er sah Del an und zog eine Augenbraue hoch.
»Glaubst du, Hastings hat einen Verdacht, und dies – unser Einsatz – ist seine Art, für Gerechtigkeit zu sorgen, ohne dass sein königlicher Dienstherr verärgert wird?«
Dels Lippen verzogen sich zu einem zynischen Lächeln.
»Der Gedanke ist mir auch gekommen. Überlegt mal – wir haben kaum zwei Wochen gebraucht, um herauszufinden, dass die Schwarze Kobra entweder einen Maulwurf im hiesigen Gouverneursbüro haben muss oder aber selbst zum Stab des Gouverneurs gehört. Danach haben wir noch wie viele? – sechs Wochen? – darauf verwandt, die Konvois zu beobachten, um festzustellen, welche angegriffen wurden, dann deutete alles auf Ferrar. Als zweiter Adjutant des Gouverneurs von Bombay war er und nur er über alle angegriffenen Konvois informiert – andere wussten Einzelheiten zu einzelnen Transporten, aber nur er kannte die Routen und Reisedaten aller. Hastings besitzt ähnliche Informationen, die über Monate zurückgehen. Er muss zumindest eine leise Ahnung haben, wer hinter dieser Sekte steckt.«
»Und er weiß auch«, mischte Rafe sich ein, »wann Roderick Ferrar die Stelle in Bombay übernommen hat – Anfang 1819, etwa fünf Monate bevor die Schwarze Kobra und ihre Jünger zum ersten Mal von sich reden machten.«
»Für einen cleveren Jungen wie Ferrar sind fünf Monate Zeit genug, um die Möglichkeiten zu sehen, Pläne zu schmieden und Anhänger um sich zu scharen«, sagte Logan.
»Mehr noch, als Adjutant der Gouverneurs konnte er kinderleicht und offiziell abgesegnet mit den unzufriedenen Kleinkönigen der Marathen Kontakt aufnehmen – genau jenen Hitzköpfen, die, wie wir mittlerweile wissen, der Schwarzen Kobra heimlich ihre privaten Räuberbanden zur Verfügung gestellt haben.«
»Ferrar«, fuhr Del fort, »hat sich bei Hastings in Kalkutta vorgestellt, ehe er dem Stab des hiesigen Gouverneurs zugeteilt wurde – ein Posten, um den er, wie unsere Kontaktleute in Kalkutta bestätigen, ausdrücklich gebeten hat. Er konnte auch eine Stelle in Hastings’ Hauptquartier haben – er hätte nur zuzugreifen brauchen, und welcher junge Mann, der in der Kompanie Karriere machen möchte, würde nicht gern für den Chef persönlich arbeiten? Aber nein, Ferrar wollte einen Posten in Bombay, und war anscheinend sehr zufrieden mit dem Schreibtisch des zweiten Adjutanten.«
»Was uns zu der Frage führt«, meinte Gareth, »ob die Hauptattraktion dieses Schreibtisches nicht darin besteht, dass ein ganzer Subkontinent zwischen ihm und dem möglicherweise wachsamen Auge des Generalgouverneurs liegt.«
»Tja, James, mein Lieber …« – Rafe klopfte dem jungen Captain auf die Schulter – »… all das lässt vermuten, dass die Anweisung, ›die Schwarze Kobra vor Gericht zu bringen‹, und zu diesem Zweck alles zu tun, was wir für nötig halten, höchstwahrscheinlich eine Formulierung ist, mit der ein gewiefter Politiker eine Aufgabe delegiert.« Rafe schaute in die Runde.
»Und Hastings kennt uns gut genug, um zu wissen, dass wir diese Drecksarbeit für ihn machen.«
James musterte die Gesichter der anderen, sah, dass sie alle einer Meinung waren, und nickte zögernd.
»Einverstanden. Wir lassen Hastings aus dem Spiel. Aber wie soll es weitergehen?« Er schaute zu Del hinüber.
»Hast du Nachricht aus England?«
Del blickte über die Veranda, um sich zu vergewissern, dass niemand sie belauschen konnte.
»Die Fregatte, die heute Morgen angekommen ist, hat ein sehr dickes Päckchen für mich gebracht.«
»Von Devil?«, fragte Gareth.
Del nickte.
»Einen Brief von ihm, und dazu noch einiges von einem seiner Bekannten – dem Duke of Wolverstone. «
»Wolverstone?«, Rafe runzelte die Stirn, »ich dachte, der alte Herr wäre so etwas wie ein Einsiedler.«
»War er auch«, erwiderte Del, »aber sein Sohn – der augenblickliche Herzog – ist anders. Wir kennen ihn, oder besser, wir haben öfter von ihm gehört, allerdings unter dem Namen Dalziel.«
Die anderen vier rissen die Augen auf.
»Dalziel war in Wahrheit Wolverstone?«, fragte James.
»Damals offenbar noch der Erbe von Wolverstone«, erwiderte Del, »sein alter Herr ist Ende 1816 gestorben, nachdem wir hierhergekommen sind.«
Gareth rechnete nach.
»Da war Dalziel wohl schon aus dem Dienst ausgeschieden.«
»Wahrscheinlich. Jedenfalls ist Devil als Duke of St. Ives gut mit ihm bekannt. Nachdem unser Freund den Brief erhalten hat, in dem ich ihm unser Dilemma geschildert habe, hat er ihn Wolverstone gezeigt, weil Devil der Ansicht ist, dass niemand uns bessere Ratschläge geben kann. Wie ihr euch vielleicht noch erinnert, war Dalziel mehr als ein Jahrzehnt für alle britischen Agenten auf fremdem Boden verantwortlich und kennt jeden Trick, wenn es darum geht, heikle Informationen über den Kontinent nach England zu schaffen. Außerdem ist Wolverstone, wie Devil erschöpfend ausgeführt hat, am ehesten in der Lage, Shrewton die Stirn zu bieten. Er steht nicht in der Schuld des Königs – es ist eher andersherum, und das ist Seiner Majestät sehr wohl bewusst. Wenn Wolverstone beweisen kann, dass Ferrar junior die Schwarze Kobra ist, werden weder der König noch Shrewton es wagen, die Mühlen der Justiz anzuhalten.«
Rafe grinste.
»Ich wusste, dass es gut war, sich in Waterloo mit den Cynsters zusammenzutun.«
Gareth lächelte gedankenversunken.
»Verdammt feine Soldaten, obwohl sie nicht zur Truppe gehörten.«
»So etwas liegt im Blut.« Logan nickte weise.
»Und ihre Pferde waren einfach klasse«, fügte Rafe hinzu.
»Wir haben ihnen oft genug den Rücken freigehalten, jetzt revanchieren sie sich.« Del hob sein Glas und wartete, bis die anderen mit ihm angestoßen hatten.
»Auf unsere alten Waffenbrüder.«
Nachdem sie getrunken hatten, suchte Logan Dels Blick.
»Hat Wolverstone uns den gewünschten Rat gegeben?«
Del nickte.
»Bis ins Detail. Zunächst einmal hat er zugesichert, dass er bereit ist, jeden Beweis, den wir auftreiben können, entgegenzunehmen und in die richtigen Hände zu geben – er hat die nötigen Kontakte und den passenden Leumund. Allerdings sagt er ausdrücklich, dass dieser Beweis eindeutig sein muss, wenn er Ferrar junior zu Fall bringen soll. Seine Schuld muss auf den ersten Blick klar ersichtlich sein, ohne dass eine umständliche Erklärung nötig wäre, geschweige denn die Kenntnis der Lage vor Ort.«
Gareth murmelte:
»Also sollte es etwas sein, was Ferrar ohne jeden Zweifel direkt mit der Sekte in Verbindung bringt.«
»Exakt.« Del setzte sein leeres Glas ab.
»Sobald wir diesen Beweis haben – und Wolverstone hat betont, dass es sinnlos ist, ohne einen solchen Beweis Anklage zu erheben –, also falls wir etwas finden, hat er bereits einen … nennen wir es einfach ›Schlachtplan‹ ausgearbeitet; genaue Anweisungen, die wir befolgen sollen, um dieses Corpus Delicti sicher nach England zu bringen und ihm zu übergeben.« Del sah die anderen an und verzog die Lippen zu einem trockenen Lächeln.
»Wenn man sich den Plan anschaut, fällt es nicht schwer zu verstehen, warum er in seiner früheren Position so erfolgreich war.«
»Also, wie lauten diese Anweisungen?« Höchst interessiert stützte Logan die Arme auf den Tisch. Auch die anderen waren neugierig.
»Nachdem wir Kopien von diesem Beweis angefertigt haben, sollen wir uns trennen und auf unterschiedlichen Wegen nach Hause zurückkehren – vier von uns mit Fälschungen, einer mit dem Original. Wolverstone hat fünf versiegelte Briefe geschickt – fünf Reisepläne – einen für den Kurier mit dem Original, vier für die Lockvögel. Darin steht, über welche Häfen wir reisen sollen – bei unserer Ankunft in England werden wir von einer Eskorte erwartet. Diese Männer wissen, wohin sie uns bringen sollen.«
Logan grinste in sich hinein.
»Sieht so aus, als hätte Wolverstone kein großes Vertrauen in die Menschen.«
Del lächelte.
»Wir sollen folgendermaßen vorgehen: Während jeder weiß, was er bei sich trägt – Fälschung oder Original – und wie er nach Hause kommt, erfährt keiner von uns, was die anderen transportieren und auf welchem Weg. Das Gute daran ist, dass nur einer weiß, wer das Original hat und über welche Route und welchen Hafen es nach England gelangt, nämlich derjenige, der es hat.« Del lehnte sich zurück.
»Dalziel möchte, dass wir Lose ziehen und direkt danach auseinandergehen.«
Rafe nickte.
»Das ist auf jeden Fall sicherer.« Er schaute in die Runde.
»So können wir die anderen nicht verraten, falls wir geschnappt werden.« Ungewöhnlich ernst stellte er sein leeres Glas vorsichtig wieder aufs Tablett.
»Nachdem wir die Schwarze Kobra mehrere Monate gejagt haben und ihre Methoden aus erster Hand kennen … halte ich es nur für klug, dafür zu sorgen, dass den anderen nichts passieren kann, wenn einer von uns erwischt wird. Was wir nicht wissen, können wir auch nicht weitersagen.«
In der folgenden kurzen Stille dachten alle an die Scheußlichkeiten, die sie gesehen hatten, als sie mit ihren Kommandos ins hügelige Hinterland geritten waren, um die Schwarze Kobra und die Räuberbanden, die einen Großteil ihrer fanatischen Anhängerschaft ausmachten, in die Enge zu treiben und den Beweis zu finden – den hieb- und stichfesten Beweis, der nötig war, um die Herrschaft der Schwarzen Kobra zu beenden.
Gareth holte tief Luft und stieß sie wieder aus.
»Also lasst uns diesen Beleg suchen, dann fahren wir nach Haus«. Er schaute in die Runde.
»Sollen wir Urlaub nehmen oder endlich den Dienst quittieren?«
Rafe fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, als müsse er die furchtbaren Bilder, die er gerade wieder vor sich gesehen hatte, fortwischen.
»Ich hör auf.« Auch er sah die anderen der Reihe nach an und musterte ihre Gesichter.
»Wir haben alle schon daran gedacht – selbst wenn wir Witze darüber gemacht haben, erwogen haben wir es trotzdem.«
»Stimmt.« Logan drehte sein leeres Glas zwischen den Fingern.
»Und nach den letzten Monaten – plus der Zeit, die wir noch brauchen, bis wir den gewünschten Beweis liefern können – werde ich wohl endgültig die Nase voll haben.« Er blickte auf.
»Ich hätte nichts dagegen, mich zur Ruhe setzen.«
Del nickte.
»Mir geht es genauso.« Er schaute Gareth an.
Der nickte ebenfalls.
»Mein ganzes Leben lang war ich Soldat – so wie ihr. Und es hat mir Spaß gemacht, aber das, was wir jetzt vor uns haben, ist kein Feldzug. Dieses Land braucht keine Armee mehr, keine Kavallerie und keine Waffen. Es muss anständig verwaltet werden, und das ist nicht unsere Sache.« Er sah die anderen an.
»Ich glaube, ich will damit sagen, dass unsere Arbeit hier erledigt ist.«
»Oder besser, erledigt sein wird«, korrigierte Del, »sobald wir die Schwarze Kobra beseitigt haben.«
Rafe richtete den Blick auf James.
»Was ist mit dir, mein Junge?«
Obwohl James seit Waterloo zu ihnen gehörte, betrachteten sie ihn als das Baby der Gruppe. Er war zwar nur zwei Jahre jünger als Rafe, doch was die Erfahrung und besonders das Temperament anbelangte, war der Unterschied viel größer; vom Wissen, der Einstellung und der Durchsetzungskraft her konnte Rafe es mit Del aufnehmen. Rafe hatte eine Beförderung immer wieder ausgeschlagen und war freiwillig Captain geblieben, um näher bei seinen Männern zu sein und sie für ihre Aufgabe begeistern zu können. Rafe war ein außergewöhnlich guter Anführer im Feld.
Del, Gareth, Logan und Rafe waren ebenbürtig und respektierten einander, auch wenn ihre Stärken nicht genau gleich verteilt waren. James dagegen behielt, egal in welchem Kampf er kämpfte, welche Gräueltaten er sah und welches Gemetzel er erlebte, immer einen Hauch jener kindlichen Unschuld, die er gehabt hatte, als er zu ihnen gestoßen war – als Nachwuchsoffizier in ihrer alten Kavallerie-Truppe. Daher die väterliche Zuneigung, die Angewohnheit, ihn als wesentlich jünger zu betrachten und ihn ständig zu necken wie einen kleinen Jungen, auf dessen Wohlergehen nach wie vor – wenn auch unauffällig – geachtet werden musste.
James zuckte mit den Schultern.
»Wenn ihr alle den Abschied einreicht, tu ich’s auch – meine Eltern freuen sich, wenn ich nach Hause komme. Sie haben im letzten Jahr ständig gedrängelt, dass es an der Zeit wäre, zurückzukommen und sesshaft zu werden – all diese Dinge.«
Rafe kicherte.
»Wahrscheinlich haben sie eine junge Dame für dich ausgeguckt.«
Völlig unbeeindruckt, wie immer, wenn die anderen ihn auf den Arm nahmen, lächelte James bloß.
»Wahrscheinlich.«
James war der Einzige von ihnen, dessen Eltern noch lebten. Del hatte zwei Tanten väterlicherseits, während Rafe, der jüngere Sohn eines Viscounts, mit zahlreichen Freunden und Verwandten gesegnet war, die er jahrelang nicht mehr gesehen hatte, doch es gab niemanden, der in England auf ihn wartete – genau wie bei Gareth und Logan.
Sie alle wollten heim, aber nur James hatte ein echtes Zuhause, in das er zurückkehren konnte. Für die anderen war »Zuhause« eine nebulöse Vorstellung, die sie erst definieren mussten, wenn sie wieder auf englischem Boden waren. Bei den vier Älteren war die Heimkehr in gewissem Sinn eine Reise ins Unbekannte, doch Del spürte, dass für ihn die Zeit gekommen war. Und es überraschte ihn nicht, dass die anderen genauso empfanden.
Er machte dem Barjungen ein Zeichen, eine neue Runde zu bringen. Als die Getränke da waren und der Junge sich wieder zurückgezogen hatte, hob er sein Glas.
»Indien hat uns reich gemacht, uns mehr gegeben, als wir erwarten konnten. Es scheint mir nur folgerichtig zu sein, uns bei dem Land zu revanchieren, indem wir …« – er schaute Rafe an und grinste – »… der Schwarzen Kobra den Kopf abschlagen, und wenn wir dabei, wie es aussieht, nach England zurückgeführt werden, erscheint mir das sehr passend.« Er sah seinen Freunden in die Augen.
»Wir machen das zusammen.« Er hob sein Glas und stieß mit den anderen an.
»Auf unsere eventuelle Rückkehr nach England.«
»Auf die Heimat«, sagte Rafe, als die Gläser klirrten.
Alle tranken, dann fragte Gareth, der Praktische:
»Also, wie kommen wir an unseren Beweis heran?«
Sie hatten in den letzten drei Monaten – seit sie zu dem Schluss gekommen waren, dass Roderick Ferrar, der zweite Adjutant des Gouverneurs von Bombay, die Schwarze Kobra sein musste – immer wieder versucht, Rodericks geheime Identität zu lüften, aber ohne Erfolg. Nun erzählte jeder von seinem letzten Vorstoß in das, was schnell als »Revier der Schwarzen Kobra« bekannt geworden war; all diese Expeditionen hatten darauf abgezielt, irgendeine Fährte, eine Spur, eine handfeste Verbindung zu Ferrar herzustellen. Doch alles, was sie entdeckt hatten, waren geplünderte Dörfer, manche niedergebrannt, andere von allen noch Lebenden verlassen, und überall Hinweise auf Vergewaltigungen und Folter.
Mutwillige Zerstörungen und ein Hang zu Sadismus galten mittlerweile schon als Markenzeichen der Schwarzen Kobra, doch trotz all des Blutes, durch das sie gewatet waren, war nicht ein einziges Beweisstück aufgetaucht.
»Er ist clever, das muss man dem Bastard lassen«, sagte Rafe.
»Jedes Mal, wenn wir einen seiner Anhänger erwischen, hat er seine Anweisungen entweder von jemandem bekommen, den er nicht kennt, oder er setzt uns auf eine Fährte, die am Ende nur zu einem anderen Gefolgsmann führt …«
»… der wieder nicht weiß, von wem er seine Befehle bekommt.« Logan wirkte angewidert.
»Es ist wie bei ›Stille Post‹, nur dass hier keiner weiß, wer damit angefangen hat.«
»Der Aufbau der indischen Gesellschaft – dieses Kastensystem – kommt der Schwarzen Kobra entgegen«, sagte James.
»Die Sektenmitglieder gehorchen widerspruchslos und finden es normal, dass sie nichts von ihren Anführern wissen – außer dass sie über ihnen stehen und daher das Sagen haben.«
»Es ist, als kämpfe man gegen Gespenster«, meinte Gareth.
»Und da der Kult von den üblichen Geheimnissen umrankt ist«, fügte Rafe hinzu, »halten die Anhänger es für ganz natürlich, dass sie die Schwarze Kobra niemals zu Gesicht bekommen – soweit wir wissen, werden die Befehle auf Papierzettel geschrieben und auf undurchsichtigen Wegen weitergeleitet.«
»Laut Wolverstone und Devil«, sagte Del, »ist die gesamte Familie Ferrar für ihre rücksichtslose Ausbeuterei bekannt – so ist der Earl of Shrewton schließlich in seine Position gekommen. In der Hinsicht schlägt Roderick Ferrar offenbar ganz nach dem Vater.«
»Also, was sollen wir tun?«, fragte Rafe.
Sie brauchten die nächste halbe Stunde und eine weitere Runde Bier, um zu klären, welche Dörfer und Außenposten einen Besuch wert waren.
»Schon wenn wir mit wehender Fahne einreiten, wird das als Herausforderung betrachtet«, meinte Logan.
»Falls wir eine Reaktion provozieren können, schnappen wir vielleicht jemanden, der eine nützliche Information für uns hat.«
»Ob derjenige dann redet, ist eine andere Frage.« Rafe sah die anderen an.
»Da draußen regiert die nackte Angst – keiner wagt es, den Mund aufzumachen, aus Furcht vor der Rache der Schwarzen Kobra.«
»Die«, warf James ein, »wirklich furchtbar ist. Ich sehe den Mann, den ich letzte Woche vom Galgen abgeschnitten habe, immer noch vor mir.« Er zog eine Grimasse.
»Uns bleibt nichts anderes übrig, als Druck aufzubauen«, sagte Del.
»Wir brauchen diesen Beweis – den unstrittigen Beleg, der Ferrar den Kopf kostet. Gareth und ich konzentrieren uns darauf, irgendetwas aus den Kleinkönigen herauszubekommen, die Ferrar kontaktiert hat – zuerst befragen wir die, mit denen er über das Gouverneursbüro zu tun hatte. Angesichts seines Charakters hat er sich bestimmt ein paar Feinde gemacht – vielleicht haben wir Glück und einer davon redet, bei gekränkten Herrschern ist das wahrscheinlicher als bei Dörflern.«
»Stimmt.« Logan wechselte einen Blick mit Rafe und James.
»Unterdessen machen wir damit weiter, in den Dörfern und Städten Staub aufzuwirbeln.«
»Damit erreichen wir zumindest«, sagte Gareth, »dass der Feind sich nach draußen orientiert statt nach innen, sodass Del und ich nicht gleich auffliegen.«
James verzog das Gesicht.
»Mich könnt ihr in den nächsten Wochen nicht einplanen – anscheinend bin ich woanders eingeteilt worden. Der Gouverneur möchte, dass ich einen Trupp Männer nach Poona bringe und seine Nichte nach Bombay zurückbegleite.«
Die anderen gaben mitleidige Töne von sich, während sie vom Tisch aufstanden.
Rafe klopfte James auf die Schulter.
»Mach dir nichts draus – so hast du wenigstens Gelegenheit, ein paar Tage die Füße hochzulegen. Und die meisten Memsahibs verbringen die Regenzeit mit ihren liebreizenden Töchtern dort oben. Wer weiß? Vielleicht findest du sogar einen hübschen Zeitvertreib.«
James schnaubte.
»Du meinst, ich muss an steifen Abendessen teilnehmen und Konversation machen und hinterher mit kichernden Mädchen tanzen, die mit den Wimpern klimpern, während du und Logan euch damit vergnügt, die Schwarze Kobra und ihre Anhänger zu jagen. Danke, aber ich würde lieber etwas Sinnvolles tun.«
Rafe lachte und legte einen Arm um die Schultern seines Freundes.
»Falls Logan und ich einen dieser Fanatiker zum Sprechen bringen, bist du rechtzeitig zurück, um bei den nächsten Einsätzen dabei zu sein.«
»Ja, aber denk nur, wie langweilig die kommenden Wochen für mich sein werden.« Rafe und James gingen zum Rundbogen, der nach draußen führte.
»Wenn ich wieder da bin, habe ich einen besonders vielversprechenden Einsatz verdient.«
Lächelnd über James’ eifriges Bemühen, nach seiner Rückkehr aus Poona einen schönen Auftrag zu ergattern, schlenderte Del mit Gareth und Logan hinter den beiden her.
Ein heißer, trockener Wind fegte über den Paradeplatz und verwirbelte den Staub, den die Sepoys beim Exerzieren losgetreten hatten, während die Sonne blutrot im Westen versank.
Del saß in einem niedrigen, landestypischen Liegestuhl auf der Veranda der Kaserne, die Füße auf den ausgeklappten Armlehnen, ein Glas in der Hand, und wartete zusammen mit Gareth, der ähnlich entspannt neben ihm lag, auf die anderen. Logan und Rafe sollten heute von den neuesten Erkundungsritten zurückkehren, und James wurde aus Poona zurückerwartet. Es wurde Zeit, wieder Bilanz zu ziehen und die nächsten Schritte zu erwägen.
Logan war vor einer halben Stunde mit seiner Truppe ins Fort geritten. Staubbedeckt hatte er dem Kommandanten Bericht erstattet und war dann zur Kaserne gekommen. Als er die niedrigen Stufen zur Veranda hochgestiegen war, noch bevor Del oder Gareth fragen konnten, wie es ihm ergangen war, hatte er grimmig den Kopf geschüttelt und war im Gebäude verschwunden, um sich frisch zu machen.
Del sah zu, wie die Sepoys unermüdlich auf dem Paradeplatz übten, und bemerkte, wie sehr diese Fehlschläge ihn bedrückten. Den anderen ging es ganz genauso. Sie hatten immer wieder Druck gemacht – in Rafes Fall immer waghalsiger – , um den entscheidenden Beweis zu finden, doch nichts von dem, was sie herausgefunden hatten, konnte Wolverstones Kriterien erfüllen.
Immerhin war ihnen bestätigt worden, dass Ferrar und kein anderer hinter der Schwarzen Kobra steckte. Rafe und Logan hatten ehemalige Sektenmitglieder aufgestöbert, die früher hohe Ränge in der Hierarchie bekleidet hatten, jedoch vom Terrorregime der Schwarzen Kobra abgestoßen worden waren und sich daher aus ihren Fängen befreit hatten; ihren Aussagen nach war der oberste Anführer ein »Anglo« – ein Engländer – und sprach mit dem kultivierten Akzent, der für die Oberklasse typisch war.
Zusammengenommen mit den früheren Verdachtsmomenten sowie den Dokumenten und Kommentaren, die Del und Gareth den verschiedenen Kleinkönigen entlockt hatten, gab es keinen Zweifel mehr, dass sie den richtigen Mann ins Visier genommen hatten.
Aber sie mussten es noch beweisen.
Schwere Schritte kündigten Logans Rückkehr an. Er ließ sich neben seinen Freunden in einen Liegestuhl fallen, legte den Kopf zurück und schloss die Augen.
»Wieder kein Glück gehabt?«, fragte Gareth, obwohl die Antwort offensichtlich war.
»Schlimmer.« Logan machte die Augen nicht wieder auf.
»In jedem Dorf, durch das wir kamen, ging die Angst um. Die Menschen wollten nicht einmal in unsere Nähe kommen. Die Schwarze Kobra hat sie fest im Griff, sie fürchten sich – und nach allem, was wir gesehen haben, völlig zu Recht.«
Logan zögerte, dann redete er leiser und immer noch mit geschlossenen Augen weiter.
»Vor den meisten Dörfern waren abschreckende Beispiele für die Rache der Schwarzen Kobra aufgespießt – nicht nur Männer, auch Frauen und Kinder.«
Bekümmert schöpfte er Atem, dann setzte er sich auf und fuhr mit beiden Händen über sein Gesicht.
»Es war … mehr als grausig.« Nach einer kurzen Pause sah er seine Freunde an.
»Wir müssen diesen Irren aufhalten.«
Del schnitt eine Grimasse.
»Hast du Rafe gesehen?«
»Nur am Anfang. Er wollte weiter nach Osten, in die Hügel. Wenn möglich, bis zur Grenze des Sektenterritoriums vorstoßen, um herauszufinden, ob irgendwelche Dörfer Widerstand leisten, weil er gehofft hat, Informationen gegen Hilfe eintauschen zu können.«
Gareth schnaubte.
»Er sucht den Kampf, wie immer«, sagte er ohne Groll.
Logan schaute über den Paradeplatz hinweg.
»Tun wir das nicht alle?«
Del folgte seinem Blick und entdeckte weit jenseits der offenen Kasernentore eine Staubwolke, die stetig näher kam.
Als die Wolke die fernen Tore passiert hatte, enthüllte sie Rafe an der Spitze einer Truppe einheimischer Reitersoldaten, die er bei diesem Einsatz befehligt hatte.
Ein Blick auf Rafes Gesicht, als er ein paar Meter vor ihnen anhielt, um ihnen den unvermeidlichen Staub zu ersparen, reichte aus, um ihre dringendste Frage zu beantworten. Ihm war es bei seiner Suche auch nicht besser ergangen als Logan.
Rafe reichte seinem Sergeant die Zügel und kam zur Veranda; jede Linie seiner großen Gestalt verriet seine Müdigkeit – nein, Erschöpfung. Unter Umgehung der Treppe trat er direkt an das Geländer, hinter dem seine Freunde saßen, stützte die Arme auf und legte den verwuschelten, staubigen Blondschopf darauf ab. Dann forderte er mit gedämpfter, seltsam rauer Stimme:
»Bitte sagt mir, dass ihr etwas gefunden habt – irgendetwas, das wir benutzen können, um dieses Scheusal aus dem Verkehr zu ziehen.«
Er bekam keine Antwort.
Seufzend ließ Rafe die Schultern sacken, dann hob er den Kopf und zeigte sein Gesicht. Sein Blick war mehr als nur niedergeschlagen.
Logan beugte sich vor.
»Du hast etwas entdeckt.«
Rafe holte tief Luft, blickte zurück zu seinem auseinandergehenden Kommando und nickte.
»In einem Dorf, in dem die Ältesten sich bereits den Forderungen der Schwarzen Kobra gebeugt hatten; wusstet ihr, dass sie die Hälfte – die Hälfte! – dessen beansprucht, was die Bauern der Erde abringen können? Die Kobra stiehlt den Kindern das Brot vom Mund, im wahrsten Sinne des Wortes!«
Nach einer kurzen Pause sprach er weiter.
»Dort war nichts zu erfahren, aber einer von den jüngeren Männern hat auf uns gewartet, als wir wieder aufbrachen – er hat uns erzählt, dass sich ein Dorf weiter östlich gegen die Sekte zur Wehr setzt. Wir sind geritten, so schnell wir konnten.«
Rafe legte eine weitere Pause ein und schaute über den Paradeplatz. Als er weitersprach, war seine Stimme noch leiser und rauer.
»Wir sind zu spät gekommen. Das Dorf war dem Erdboden gleichgemacht. Überall lagen Leichen … Männer, Frauen und Kinder, vergewaltigt und verstümmelt, gefoltert und verbrannt.« Er hielt kurz inne, dann sagte er kaum hörbar:
»Es war die Hölle auf Erden. Wir konnten nichts tun. Wir haben die Leichen eingeäschert und sind zurückgekehrt.«
Keiner der anderen sagte irgendetwas; es gab nichts, was man sagen konnte, um das schreckliche Bild, das furchtbare Wissen zu verscheuchen.
Schließlich atmete Rafe tief ein und drehte sich um.
»Also, was ist hier passiert?«
»Ich bin auch mit leeren Händen zurückgekommen«, erwiderte Logan.
Del wechselte einen Blick mit Gareth, dann sagte er:
»Wir haben einiges in Erfahrung gebracht – und noch mehr munkeln hören – aber das sind alles nur Gerüchte. Nichts, was vor Gericht Bestand hätte oder gut genug wäre, um es nach Hause zu bringen.«
»Das ist das Positive«, meinte Gareth, »das Negative ist, dass Ferrar nun ganz bestimmt weiß, dass wir ihn auf dem Kieker haben und hinter ihm her schnüffeln.«
Logan zuckte die Achseln.
»Das war unvermeidlich. Er ist zu schlau, um nicht zu bemerken, dass wir hier sind, und zwar auf Hastings’ direkten Befehl und ohne uns Mühe zu geben, unsere Mission zu vertuschen.«
Rafe nickte.
»Das kann jetzt auch nicht mehr schaden. Vielleicht macht er einen Fehler, wenn er weiß, dass wir ihm auf der Spur sind.«
Del schnaubte.
»Bislang war er jedenfalls unglaublich geschickt darin, sich nicht ertappen zu lassen. Wir haben sogar noch mehr von diesen Dokumenten aufgetrieben, die man als Verträge zwischen ihm und den verschiedenen Kleinkönigen bezeichnen könnte, doch dieser dreiste Verbrecher hat immer das spezielle Siegel der Schwarzen Kobra benutzt, und das ist ein Stempel, keine Unterschrift.«
»Seine Handschrift ist völlig normal«, fügte Gareth hinzu, »es könnte deine oder meine seine.«
Wieder ging ein Moment mürrischen Brütens vorbei, dann fragte Rafe:
»Wo ist James?«
»Offenbar noch nicht eingetroffen«, erwiderte Del.
»Er wird heute zurückerwartet – ich dachte, er würde früher kommen, doch er muss aufgehalten worden sein.«
»Wahrscheinlich schätzt die junge Dame es nicht, wenn zu schnell geritten wird.« Rafe brachte ein schwaches Lächeln zustande und drehte er sich wieder zum Paradeplatz um.
»Da kommt ein Trupp«, sagte Logan.
Alle Augen richteten sich auf die Gruppe, die sich dem Tor näherte. Es schien sich nicht um eine vollzählige Kompanie zu handeln, eher um einen berittenen Geleitzug für einen Wagen. Es war der verhaltene, gesetzte Schritt, den die kleine Kavalkade angeschlagen hatte, und die düstere Ruhe der Soldaten, die ahnen ließen, dass es schlechte Nachrichten gab.
Eine Minute verstrich, bis der ganze Zug durch das Tor geritten war.
»O nein.« Rafe stieß sich vom Geländer ab und rannte los.
Die zusammengekniffenen Augen fest auf die Kavalkade gerichtet erhoben Del, Gareth und Logan sich langsam, dann fluchte Del, und die drei sprangen über das Geländer und liefen Rafe nach.
Ihr Freund hatte den Trupp bereits zum Halten gebracht. Während er sich dem Wagen näherte, verlangte er einen Bericht.
Der ranghöchste Soldat, ein Sergeant, saß ab und folgte eilig seiner Aufforderung.
»Es tut uns sehr leid, Captain-Sahib – wir konnten es nicht verhindern.«
Rafe erreichte den Wagen als Erster und blieb stehen. Leichenblass unter seiner Sonnenbräune starrte er auf das, was auf der Ladefläche lag.
Del trat an seine Seite und entdeckte die drei Toten ebenfalls – sie waren sorgfältig aufgebahrt, doch nichts konnte die Verstümmelungen, Folterungen, Qualen verbergen, die dem Tod vorangegangen waren.
Del starrte auf James MacFarlanes Leichnam hinab und registrierte nur am Rande, dass auch Logan und Gareth an den Wagen traten.
Er brauchte einen Moment, um zu erkennen, dass die Männer neben James sein Leutnant und der Korporal der Truppe waren.
Es war Rafe – derjenige von ihnen, der vom grässlichen Werk der Schwarzen Kobra mehr gesehen hatte, als ein Mensch allein jemals sehen sollte –, der sich mit einem wüsten Fluch als Erster abwandte.
Del fasste ihn am Arm und sagte einfach:
»Überlass das mir.«
Er musste tief Luft holen, sich richtiggehend dazu zwingen, den Blick von den Toten loszureißen, ehe er den Kopf heben und den wartenden Anführer der Truppe ansprechen konnte.
»Was ist passiert?«
Selbst für seine eigenen Ohren hörte sich seine Stimme furchtbar an.
Doch der Offizier war kein Feigling. Mit anerkennenswertem Mut reckte er das Kinn und nahm Haltung an.
»Wir hatten schon mehr als die halbe Strecke zwischen hier und Poona geschafft, als der Captain-Sahib bemerkte, dass wir verfolgt wurden. Wir sind schnell weitergeritten, aber dann hat der Captain-Sahib an einer Stelle gehalten, wo die Straße enger wird, und uns weitergeschickt. Nur der Leutnant ist bei ihm geblieben und drei andere Soldaten. Dem Rest von uns hat der Captain-Sahib hastig befohlen, die Memsahib zu begleiten.«
Del schaute auf die Ladefläche.
»Wann war das?«
»Vor ein paar Stunden, Colonel-Sahib.«
»Und wer hat euch wieder zurückgeschickt?«
Der Offizier trat von einem Fuß auf den anderen.
»Als Bombay in Sicht kam, hat die Memsahib darauf bestanden, dass wir umkehren. Der Captain-Sahib hatte uns aufgetragen, sie bis zum Fort zu begleiten, aber sie war sehr aufgeregt. Sie hat nur zweien von uns gestattet, sie zum Haus des Gouverneurs zu begleiten. Der Rest ist umgekehrt, um zu sehen, ob wir dem Captain-Sahib und dem Leutnant helfen können.« Der Offizier verstummte, dann fuhr er leise fort:
»Aber als wir wieder an dem Engpass ankamen, lagen dort nur noch diese Leichen.«
»Sie haben zwei aus eurer Truppe gefangen?«
»An den Spuren konnten wir sehen, dass sie hinter den Pferden her geschleift worden sind, Colonel-Sahib. Wir dachten, eine Verfolgung würde nicht viel bringen.«
Trotz des Gleichmuts, mit dem diese Worte geäußert wurden, und trotz der äußeren Gelassenheit der einheimischen Soldaten wusste Del, dass jeder Einzelne von ihnen innerlich sehr erregt war.
Genau wie er, Gareth, Logan und Rafe.
Aber sie konnten rein gar nichts tun.
Del nickte, trat zurück und zog Rafe mit sich.
»Wir bringen sie zur Krankenstation, Colonel-Sahib.«
»Ja.« Del sah dem Offizier in die Augen und nickte.
»Danke.«
Wie betäubt drehte er sich um. Dann ließ er Rafe los und ging vor den anderen her zur Kaserne zurück.
Als sie die niedrigen Treppenstufen hochstiegen, fasste Rafe wie gewöhnlich den Gedanken, der sie quälte, in Worte.
»Mein Gott, warum?«
Warum?
Diese Frage, die sie sich auf die eine oder andere Art immer wieder stellten, ließ sie nicht mehr los. James war vielleicht jünger als sie, aber weder unerfahren noch ruhmsüchtig – er war nicht der mit dem Spitznamen »Draufgänger«.
»Sagt, warum hat er sich gestellt, verdammt, statt die Flucht wenigstens zu versuchen? Solange sie in Bewegung geblieben sind, hatten sie eine Chance – das muss er doch gewusst haben.« Rafe ließ sich auf den Stuhl fallen, den er immer nahm, wenn sie ihren Tisch in der Bar der Offiziersmesse belegten.
Del überlegte und erwiderte:
»Weil es einen Grund dafür gab – deshalb.«
Logan trank einen Schluck von dem Arrak, den Del anstelle des üblichen Bieres bestellt hatte. Die Flasche stand mitten auf dem Tisch und war bereits halb leer. Mit zusammengekniffenen Augen sagte er:
»Es muss etwas mit der Nichte des Gouverneurs zu tun haben.«
»Das habe ich auch gedacht.« Gareth setzte sein leeres Glas ab und griff nach der Flasche.
»Ich habe seine Truppe befragt – die Soldaten behaupten, sie reitet gut, sogar wie der Teufel. Sie hätte sie nicht aufgehalten. Und sie hat versucht, James davon abzuhalten zurückzubleiben, aber er hat sich nichts sagen lassen und ihr befohlen weiterzureiten.«
»Pffff.« Rafe kippte ein Glas Arrak in sich hinein und griff nach der Flasche.
»Also, was steckt dahinter? James mag mausetot in der Krankenstation liegen, aber ich will verdammt sein, wenn ich glaube, dass er ohne einen guten Grund zurückgeblieben ist – das sieht ihm nicht ähnlich.«
»Nein«, sagte Del, »du hast recht – das war nicht seine Art.«
»Achtung«, sagte Rafe, den Blick auf die Veranda gerichtet, »Röcke im Anmarsch.«
Die anderen sahen sich um. Die besagten Röcke gehörten einer schlanken jungen Dame – einer sehr englischen jungen Dame mit hellem Porzellanteint und glattem braunem Haar, das an ihrem Hinterkopf zu einem Knoten zusammengefasst war. Sie stand auf der Schwelle der Bar und spähte in den dämmrigen Raum, von einer Gruppe von Offizieren zur nächsten. Als ihr Blick die vier Freunde in der Ecke erreichte, blieb er hängen, doch dann trat der Kellner an die Dame heran und lenkte sie ab.
Allerdings zeigte der Junge, von der Lady befragt, ebenfalls in die Ecke der vier Freunde und die junge Dame schaute erneut in ihre Richtung. Dann drückte sie den Rücken durch, dankte dem Jungen und näherte sich mit hoch erhobenem Kopf.
Ein indisches Mädchen in einem Sari folgte ihr wie ein Schatten.
Die Herren erhoben sich langsam, als die junge Lady über die Veranda schritt. Sie war etwas kleiner als der Durchschnitt, und da Del und seine Freunde sehr groß gewachsen waren und genauso grimmig aussahen, wie sie sich fühlten, wirkten sie sehr einschüchternd, doch die junge Frau zauderte nicht.
Kurz bevor sie die Männer erreichte, blieb sie kurz stehen und befahl dem Mädchen leise, in einiger Entfernung zu warten.
Dann ging sie weiter. Als sie an den Tisch trat, war zu sehen, dass ihr Gesicht bleich und gefasst war, der Ausdruck starr und streng kontrolliert. Die Augen hatten einen leicht geröteten Rand, und die Spitze ihrer kleinen Nase war rosa angelaufen.
Doch ihr rundes Kinn war entschlossen vorgestreckt.
Die Lady ließ den Blick an der Herrenriege entlangwandern, doch nicht an den Gesichtern, sondern auf Schulterhöhe – um ihren Rang abzulesen. Bei Del angekommen blieb der Blick haften und hob sich zögernd. »Colonel Delborough?«
Del verneigte sich.
»Ma’am?«
»Ich bin Emily Elphinstone, die Nichte des Gouverneurs. Ich …« Miss Elphinstone warf einen Blick auf die anderen Männer, »... dürfte ich bitte ein privates Wort mit Ihnen wechseln, Colonel?«
Del zögerte, dann sagte er:
»Die Männer an diesem Tisch sind alte Freunde und Kollegen
Die Originalausgabe erschien 2009 unter dem Titel »Untamed Bride« bei Avon Books,An Imprint of HaperCollinsPublishers, New York
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Deutsche Erstausgabe Oktober 2011 bei Blanvalet, einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
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Redaktion: Sabine Wiermann
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Satz: DTP Service Apel, Hannover
eISBN 978-3-641-08254-3
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