Nur mit deinen Küssen - Stephanie Laurens - E-Book

Nur mit deinen Küssen E-Book

Stephanie Laurens

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Beschreibung

Witzig, romantisch und prickelnd erotisch!

Gyles Rawlings, der Earl of Chillingworth, will durch eine arrangierte Vermählung den Fesseln der Liebe entfliehen. Doch als er vor dem Altar den Schleier seiner Braut lüftet, sieht er sich der leidenschaftlichsten Frau gegenüber, der er jemals begegnet ist. Gyles ist verwirrt, denn nun sehnt er sich nach nichts anderem mehr, als das Herz seiner eigenen Ehefrau zu erobern ...

Stephanie Laurens ist eine Meisterin im Schreiben historischer Liebesromane!

Die gesamte Cynster-Reihe auf einen Blick

Band 1: In den Armen des Eroberers

Band 2: Der Liebesschwur

Band 3: Gezähmt von sanfter Hand

Band 4: In den Fesseln der Liebe

Band 5: Ein unmoralischer Handel

Band 6: Nur in deinen Armen

Band 7: Nur mit deinen Küssen

Band 8: Küsse im Mondschein

Band 9: Küsse im Morgenlicht

Band 10: Verführt zur Liebe

Band 11: Was dein Herz dir sagt

Band 12: Hauch der Verführung

Band 13: Eine Nacht wie Samt und Seide

Band 14: Sturm der Verführung

Band 15: Stolz und Verführung

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Seitenzahl: 695

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Copyright © der Originalausgabe 2001 by Savdek Management Proprietory Ltd. Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2006 by Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Garbsen. Umschlagillustration: Agentur Schlück/Daeni Redaktion: Ingola Lammers LW ⋅ Herstellung: Heidrun NawrotISBN : 978-3-641-02907-4V003
www.blanvalet-verlag.de
www.penguinrandomhouse.de
Inhaltsverzeichnis
 
Buch
 
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
 
Copyright
Buch
Gyles Rawlings, der Earl of Chillingworth, will wie alle Männer des Cynster-Clans einer Liebesheirat entgehen. Anders als seine Cousins wählt er nicht die Flucht, sondern sucht sein Heil in einer arrangierten Ehe. Als Braut hat er sich die wohlerzogene, liebliche Francesca Rawlings ausgesucht. Sie soll der ruhende Pol in seinem Leben sein und ihm einen Erben schenken. Die Freuden der Liebe will er sich wie bisher bei seinen Mätressen holen … Doch als er am Traualtar den Schleier seiner Braut lüftet, glaubt er seinen Augen nicht zu trauen: Vor ihm steht nicht das brave Fräulein, das er sich als Ehefrau ausersehen hat, sondern die heißblütigste und sinnlichste Frau, der er jemals begegnet ist. Obwohl sich Francesca ebenfalls leidenschaftlich zu dem charmanten Gyles hingezogen fühlt, ist sie keine leichte Beute. Und so steht der sonst so gewandte Verführer vor der schwersten Aufgabe seines Lebens: das Herz seiner eigenen Frau zu gewinnen …
Autorin
 
Stephanie Laurens begann zu schreiben, um etwas Farbe in ihren trockenen wissenschaftlichen Alltag zu bringen. Ihre Romane wurden bald so beliebt, dass sie aus ihrem Hobby den Beruf machte. Heute gehört sie weltweit zu den meistgelesenen und populärsten Autorinnen historischer Liebesromane. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Töchtern in einem Vorort von Melbourne/Australien.
Als Blanvalet-Taschenbuch außerdem lieferbar:
Ein verheißungsvoller Kuss (35806) – In den Armen des Eroberers (35838) – Der Liebesschwur (35839) – Gezähmt von sanfter Hand (36085) – In den Fesseln der Liebe (36098) – Ein unmoralischer Handel (36009) – Nur in deinen Armen (36472)
Die amerikanische Originalausgabe erschien 2001 unter dem Titel »All About Passion« bei Avon Books, New York.
1
LONDON, AUGUST 1820
 
»Guten Morgen, Mylord. Ihr Onkel ist soeben eingetroffen. Er wartet in der Bibliothek auf Sie.«
Gyles Frederick Rawlings, der fünfte Graf Chillingworth, war gerade dabei, sich seines Mantels zu entledigen, als er innehielt, die Schultern zuckte und den schweren Mantel in die ausgestreckten Hände seines Butlers fallen ließ. »Ah ja?«
»Ich habe gehört, dass Lord Walpole bald nach Schloss Lambourn zurückfahren wird. Er lässt fragen, ob Sie irgendwelche Nachrichten für die Gräfin Dowager haben.«
»Mit anderen Worten«, brummte Gyles und rückte seine Manschetten zurecht, »ist er auf die neuesten Klatschgeschichten erpicht und wird sich davor hüten, sie Mama und meiner Tante vorzuenthalten.«
»Wie Sie meinen, Mylord. Außerdem wollte Ihnen Mr. Waring einen Besuch abstatten. Er ging davon aus, dass Sie am Abend zurück sein würden, und hinterließ eine Nachricht, dass er sich bereithalten und Eure Lordschaft aufsuchen werde, wann immer es Ihnen genehm ist.«
»Danke, Irving.« Gyles schlenderte in die Eingangshalle. Hinter ihm schloss ein Lakai leise die Tür. Gyles blieb in der Mitte der Halle mit dem grün-weiß gefliesten Boden stehen und drehte sich nach Irving um, der in seiner schwarzen Livree geduldig dort stand und wartete. »Lassen Sie Waring kommen.« Gyles ging durch die Halle. »Schicken Sie ihm die Kutsche und einen Lakaien. Es ist bereits spät.«
»Umgehend, Mylord.«
Ein anderer höflicher Lakai öffnete die Tür zur Bibliothek. Gyles ging hinein und die Tür schloss sich hinter ihm.
Sein Onkel, Horace Walpole, saß in einem Sessel, die Beine weit von sich gestreckt, in einer Hand ein halb volles Glas Weinbrand. Er öffnete zuerst ein Auge, dann beide und setzte sich aufrecht hin. »Da bist du ja, mein Junge. Ich habe mich schon gefragt, ob ich ohne irgendwelche Neuigkeiten zurückfahren muss, und überlegt, was ich mir alles ausdenken könnte, ohne ertappt zu werden.«
Gyles ging auf den Karaffenständer zu. »Ich glaube, du kannst dir deine Lügen sparen. Waring wird bald hier sein.«
»Der Mann, der sich um deine Angelegenheiten kümmert?«
Gyles nickte. Mit einem Glas in der Hand ließ er sich in seinen Lieblingssessel sinken und genoss das wohlige Gefühl weichen Leders. »Er ist gerade dabei, etwas für mich herauszufinden.«
»Oh? Und worum handelt es sich dabei?«
»Um die Frage, wer meine Frau werden soll.«
Horace starrte ihn an, dann setzte er sich aufrecht hin. »Zum Teufel! Es ist dir wirklich ernst.«
»Die Ehe ist kein Thema, worüber ich zu scherzen beliebe.«
»Das freut mich zu hören.« Horace nahm einen großen Schluck von seinem Weinbrand. »Henni sagte bereits, dass du dich mit Heiratsabsichten trägst, aber ich hätte wirklich nicht geglaubt, du würdest sie in die Tat umsetzen – hm, jedenfalls jetzt noch nicht.«
Gyles versuchte, sein bitteres Lächeln zu verbergen. Horace war sein Vormund, seitdem sein Vater gestorben war. Gyles war sieben Jahre alt gewesen, als er starb, und es war Horace gewesen, der ihn von klein auf begleitet hatte. Es gelang ihm jedoch immer wieder, Horace zu überraschen. Seine Tante Henrietta jedoch, von allen kurz Henni genannt, schien seine Meinung zu wichtigen Fragen genau zu kennen, obwohl er sich in London aufhielt und sie auf seinem Landsitz in Berkshire weilte. Er war seiner Mutter, die ebenfalls auf Schloss Lambourn wohnte, schon lange dankbar dafür, dass sie ihre Gedanken und Gefühle für sich behielt. »Ich kann die Ehe ja nicht einfach so umgehen.«
»Da hast du Recht«, pflichtete ihm Horace bei. »Keinem von uns würde es gefallen, wenn Osbert der nächste Graf würde. Auf keinen Fall Osbert.«
»Das sagt mir Großtante Millicent auch ständig.« Gyles deutete auf den großen Schreibtisch am anderen Ende des Zimmers. »Dort liegt ein weiteres Schreiben, in dem von mir verlangt wird, dass ich meiner Familie gegenüber meine Pflicht erfüllen, ein angemessenes junges Ding auswählen und sie so schnell wie möglich heiraten soll. Jede Woche bekomme ich einen solchen Brief.«
Horace verzog das Gesicht.
»Und jedes Mal, wenn Osbert mir über den Weg läuft, schaut er mich an, als wäre ich seine einzige Rettung.«
»Nun, das bist du ja auch. Wenn du nicht heiratest und einen Erben zeugst, muss er es tun. Und der Gedanke, dass Osbert in den Grafenstand erhoben wird, ist einfach zu deprimierend.« Horace trank sein Glas leer. »Dennoch hätte ich nicht vermutet, dass du dich von der alten Millicent und Osbert dazu drängen lässt zu heiraten, nur um ihnen zu gefallen.«
»Gott behüte! Aber wenn du es unbedingt wissen willst, und ich bin sicher, dass Henni es ganz bestimmt wissen will, ich beabsichtige, nur deshalb zu heiraten, weil ich es so will. Schließlich bin ich schon fünfunddreißig. Das Unvermeidliche weiterhin zu ignorieren, wird eine spätere Umstellung nur noch komplizierter machen – ich bin in meinen Gewohnheiten sowieso schon so festgefahren.« Gyles erhob sich und streckte die Hand aus.
Horace verzog das Gesicht und reichte ihm sein Glas. »Die Ehe ist ein teuflisches Geschäft – das kannst du mir glauben. Bist du sicher, dass all diese Cynster, die gerade erst geheiratet haben, dich nicht auch angesteckt haben, dich in das Abenteuer Ehe zu stürzen?«
»Genau dort war ich heute – in Somersham beim Familientreffen, wo sämtliche neuen Ehefrauen und Kinder vorgeführt wurden. Hätte ich einen Beweis für die Glaubwürdigkeit deiner These benötigt – der heutige Tag hätte ihn erbracht.«
Gyles füllte ihre Gläser und verdrängte das ungute Gefühl, das die neuesten teuflischen Machenschaften seines alten Freundes Devil Cynster in ihm auslösten. »Devil und die anderen haben mich zum Ehrenmitglied des Cynster-Clans gemacht.« Er wandte sich vom Karaffenständer ab und reichte Horace sein Glas, dann setzte er sich wieder. »Ich habe sie darauf aufmerksam gemacht, dass ich, obwohl wir vielleicht viele Gemeinsamkeiten haben, keinesfalls ein Cynster bin und auch nie einer sein werde.«
Er würde auf keinen Fall aus Liebe heiraten. Dieses Schicksal würde ihm erspart bleiben. Das hatte er Devil immer wieder versichert.
Jedes männliche Mitglied des Cynster-Clans schien früher oder später zu kapitulieren: Sie verzichteten auf Karrieren legendären Ausmaßes zugunsten von Frauen, die ihnen Liebe und Geborgenheit schenkten. Sie waren zu sechst und allgemein unter dem Namen Bar Cynster bekannt, und jetzt waren alle verheiratet und hatten ihr Leben ausschließlich auf ihre Ehefrauen und den Familienzuwachs ausgerichtet. Wenn Gyles einen Funken Neid verspürte, so ließ er sich nichts anmerken. Der Preis, den die anderen gezahlt hatten, war ihm zu hoch.
Horace schnaubte. »Liebesheiraten sind die Stärke der Cynsters und heutzutage wohl äußerst modern, aber glaub mir, eine arrangierte Ehe ist auch nicht zu verachten.«
»Das denke ich auch. Im Frühsommer habe ich Waring damit beauftragt, alle in Frage kommenden Kandidatinnen zu überprüfen, um festzustellen, welche von ihnen, falls überhaupt, Grundbesitz hat, der zum materiellen Nutzen der Grafschaft beitragen würde.«
»Grundbesitz?«
»Wenn man nicht aus Liebe heiratet, kann man genauso gut aus anderen Gründen heiraten.« Und er wollte einen Grund für seine Wahl, damit sich die Lady, für die er sich endgültig entscheiden würde, keine falschen Vorstellungen davon machen würde, warum er ausgerechnet sie erwählt hatte. »Meine Auflagen lauteten: Die künftige Gräfin soll wohlerzogen und sanftmütig sein und einigermaßen passable Umgangsformen, ausgezeichnetes Benehmen und sicheres Auftreten in der Öffentlichkeit haben.« Kurzum, eine Lady, die ihm zur Seite stehen und keinen negativen Einfluss auf sein Leben haben würde; sozusagen eine wohlerzogene Marionette, die ihm Kinder gebären und seine Art zu leben nicht allzu sehr beeinträchtigen würde.
Gyles nahm einen kleinen Schluck Brandy. »Zufällig habe ich Waring auch darum gebeten in Erfahrung zu bringen, wer der gegenwärtige Eigentümer des Gatting-Besitzes ist.«
Horace nickte verstehend. Der Gatting-Besitz gehörte damals zum Lambourn-Anwesen. Ohne ihn war das Hauptanwesen wie ein Kuchen, aus dem ein Stück herausgeschnitten war. Der Rückkauf des Gatting-Besitzes war der Lebenstraum von Gyles’ Vater und seines Großvaters gewesen.
»Bei der Suche nach dem Eigentümer fand Waring heraus, dass die Grundeigentumsurkunde auf einen entfernten Verwandten der Rawlings übergegangen war und nach dessen Ableben seiner Tochter übertragen wurde, die gegenwärtig im heiratsfähigen Alter ist. Die Information, die Waring augenscheinlich unbedingt loswerden will, betrifft die Tochter.«
»Sie ist im heiratsfähigen Alter?«
Gyles senkte den Kopf. Plötzlich dröhnte das Schrillen der Glocke an der Eingangstür durch das Haus. Einige Sekunden später wurde die Tür zur Bibliothek geöffnet.
»Mr. Waring, Mylord.«
»Danke, Irving.«
Waring, ein schwergewichtiger Mann Anfang dreißig, mit rundem Gesicht und Stoppelfrisur, betrat den Raum. Gyles deutete auf den gegenüberstehenden Sessel. »Sie kennen Lord Walpole. Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«
»Danke, Mylord, leider nein.« Waring nickte Horace zu, dann setzte er sich und legte eine Aktentasche auf seine Knie. »Ich weiß, wie erpicht Sie darauf waren, dieser Sache nachzugehen, daher habe ich mir die Freiheit erlaubt, eine Nachricht zu hinterlassen …«
»Natürlich. Ich nehme an, Sie haben irgendwelche Neuigkeiten?«
»Das ist richtig.« Waring setzte seine Brille auf und zog ein Bündel Papiere aus seiner Aktentasche. »Wie wir erfahren haben, hatten sowohl der Gentleman als auch sein Haushalt ihren ständigen Wohnsitz in Italien. Beide Eltern, nämlich Gerrard Rawlings und seine Frau Katrina, sind offenbar gemeinsam ums Leben gekommen. Nach ihrem Tod kehrte die Tochter Francesca Hermione Rawlings nach England zurück und wohnte bei ihrem Onkel und Vormund, Sir Charles Rawlings, in Hampshire.«
»Ich versuche mich zu erinnern …« Gyles drehte das Glas in seiner Hand. »Waren Charles und Gerrard die Söhne von Francis Rawlings?«
Waring sortierte seine Unterlagen und nickte. »Ja. Francis Rawlings war der Großvater besagter Dame.«
»Francesca Hermione Rawlings.« Gyles ließ sich den Namen durch den Kopf gehen. »Und die Lady selbst?«
»Das war leichter herauszufinden, als ich vermutet hatte. Die Familie gab immer große Empfänge – Mitglieder der gehobenen Gesellschaft, die durch Norditalien fuhren, haben sie bestimmt kennen gelernt. Lady Kenilworth, Mrs. Foxmartin, Lady Lucas und die Gräfin von Morpleth haben sie mir genau beschrieben.«
»Und zu welchem Schluss sind sie gekommen?«
»Die alte Lady Kenilworth meinte, sie sei eine bezaubernde junge Dame. Angenehm, privilegiert, eine höchst amüsante Kreatur. Nach Aussage der Gräfin ist sie eine junge Dame mit ausgezeichneter Kinderstube.«
»Wer sagte ›privilegiert‹?«, fragte Horace.
»Eigentlich sagten das alle oder zumindest irgendetwas in diese Richtung.«
Waring betrachtete die Unterlagen, dann reichte er sie Gyles, der sie durchsah. »Die Zusammensetzung lässt auf etwas Hochkarätiges schließen.« Er hob die Brauen. »Du weißt doch, was man über einen geschenkten Gaul sagt.« Er reichte Horace die Dokumente. »Was ist mit dem Rest?«
»Die junge Lady ist jetzt vierundzwanzig Jahre alt, aber es steht weder irgendwo geschrieben noch wird gemunkelt, dass sie bald heiraten wird. Die Damen, mit denen ich mich unterhielt, hatten Miss Rawlings sogar aus den Augen verloren. Obwohl die meisten von dem tragischen Tod ihrer Eltern gehört hatten und wussten, dass sie nach England zurückgekehrt war, hat keiner sie seitdem gesehen. Das erschien mir merkwürdig und ich bin der Sache nachgegangen. Miss Rawlings wohnt mit ihrem Onkel in Rawlings Hall in der Nähe von Lyndhurst. Es war mir jedoch nicht möglich, irgendjemanden in der Hauptstadt ausfindig zu machen, der die Lady, ihren Vormund oder Mitglieder des Haushalts in den letzten Jahren gesehen hat.«
Waring sah Gyles an. »Wenn du willst, schicke ich jemanden hin, um die Lage an Ort und Stelle zu beurteilen. Natürlich äußerst diskret.«
Gyles dachte nach. Ungeduld machte sich in ihm breit. Er wollte die ganze Eheangelegenheit so schnell wie möglich hinter sich bringen. »Nein, ich kümmere mich selbst darum.« Er lächelte Horace zynisch an. »Schließlich bringt es einige Vorteile mit sich, das Oberhaupt der Familie zu sein.«
Nachdem er Waring für dessen ausgezeichnete Arbeit gelobt hatte, begleitete er ihn in die Eingangshalle. Horace folgte ihnen, er ging, nachdem Waring weg war und sagte, dass er am nächsten Tag nach Schloss Lambourn zurückkehren würde. Nachdem sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, stieg Gyles die breite Treppe hinauf.
Schlichte Eleganz und der unverkennbare Charme etablierten Reichtums umgaben ihn. Dennoch wirkte sein Haus äußerst kalt und leer, so dass es ihn fror. Obwohl es solide gebaut und zeitlos klassisch war, fehlte es an menschlicher Wärme. Vom oberen Treppenabsatz sah er auf die eindrucksvolle Halle hinab und fand, dass es höchste Zeit war, eine Frau zu finden, die alldem Abhilfe leisten würde.
Francesca Hermione Rawlings stand eindeutig ganz vorne auf der Liste der jungen Damen, die für diese Aufgabe infrage kamen. Mehr als alles andere war Gyles daran interessiert, die Grundstücksurkunde für das Gatting-Anwesen zu erhalten. Auf seiner Liste standen auch andere Namen, aber keine andere Lady hatte die Qualifikationen, die Miss Rawlings besaß. Vielleicht würde sich herausstellen, dass sie aus irgendeinem Grund doch nicht infrage kam, aber das würde er morgen herausfinden.
Es galt keine Zeit zu verschwenden, damit das Schicksal ihm nicht noch ein Schnippchen schlagen würde.
 
Am nächsten Morgen fuhr er nach Hampshire und erreichte Lyndhurst am frühen Nachmittag. Bei dem Schild von Lyndhurst Arms bog er ein. Er inspizierte die Räume dort und befahl seinem Stallknecht Maxwell die Pferde zu satteln. Mit einem schönen, gut gebauten Fuchs ritt er in Richtung Rawlings Hall.
Der schwatzhafte Gasthausbesitzer hatte ihm erzählt, dass Gyles’ entfernter Verwandter, Sir Charles Rawlings, zurückgezogen im New Forest lebte. Die Straße nach Hall war nicht sehr steil und die Tore standen offen, als Gyles das Anwesen erreichte. Er ritt auf den Hof, und auf der Kiesauffahrt hörte man rhythmisches Hufklappern. Der Baumbestand wurde dünner und machte ausgedehnten Rasenflächen Platz, die um ein Gebäude aus rotem Ziegelstein herum angelegt waren. Einige Abschnitte waren mit Giebeln, andere mit Zinnen und einem Turm auf jeder Seite versehen. Keines der Gebäude war neu, sie stammten nicht einmal aus georgianischer Zeit. Rawlings Hall war zwar sehr gepflegt, jedoch nicht protzig.
Vom vorderen Innenhof erstreckte sich ein Parterre, das eine alte Steinmauer von den Rasenflächen, die um einen künstlich angelegten See herum angelegt waren, trennte. Hinter der Mauer versteckt verlief parallel zum Haus ein Garten, dahinter lagen symmetrisch angeordnete Gebüsche.
An der Vordertreppe zog Gyles die Zügel an. Das Trippeln von herannahenden Schritten war zu hören. Er stieg ab und reichte die Zügel dem Stallknecht, der sofort herbeigerannt kam, dann stieg er die Stufen hinauf und klopfte an die Tür.
»Guten Tag, Sir, kann ich Ihnen helfen?«
Gyles betrachtete den großen Butler, der vor ihm stand. »Ich bin der Graf von Chillingworth und möchte Sir Charles Rawlings sprechen.«
Um ihm Anerkennung zu zollen, blinzelte der Butler einmal kurz mit den Augen. »Natürlich, Sir – Mylord. Wenn Sie bitte näher treten würden, ich werde Sir Charles umgehend über Ihre Ankunft unterrichten.«
Gyles wurde in den Salon geführt. Er ging unruhig auf und ab, seine Ungeduld wurde durch das unerklärliche Gefühl verstärkt, von seinem Schicksal nur einen Schritt entfernt zu sein. Das war natürlich Devils Schuld. Selbst als Ehrenmitglied der Cynsters forderte er das Schicksal zu weit heraus.
Die Tür wurde geöffnet, und Gyles fuhr herum, als ein Gentleman eintrat, der ihm sehr ähnlich sah. Er war älter und vergrämter als Gyles, hatte jedoch die gleiche hoch gewachsene Statur und ebenfalls kastanienbraunes Haar. Gyles war Charles Rawlings noch nie zuvor begegnet, wusste aber sofort, dass er mit ihm verwandt war.
»Chillingworth? Schön!« Auch Charles schien die Ähnlichkeit zu verblüffen, was eine Antwort auf seine Frage erübrigte. »Willkommen, Mylord. Was führt Sie zu mir?«
Gyles lächelte und erzählte ihm seine Geschichte.
»Francesca?«
Sie hatten sich in Charles’ Büro zurückgezogen. Nachdem er Gyles einen bequemen Sessel zugewiesen hatte, nahm Charles an seinem Schreibtisch Platz. »Es tut mir Leid, aber ich sehe einfach nicht, welches Interesse Sie an Francesca haben.«
»Was das betrifft, bin ich nicht sicher, aber mein … Dilemma, sagen wir mal, ist eigentlich nichts Ungewöhnliches. Als Familienoberhaupt stellt man an mich die Erwartung, dass ich heirate. In meinem Fall ist es so etwas wie eine Notwendigkeit angesichts der Tatsache, dass man von mir erwartet, einen Erben zu zeugen.« Gyles hielt inne, dann fragte er: »Kennen Sie Osbert Rawlings?«
»Osbert? Ist das Henrys Sohn?« Gyles nickte, woraufhin Charles’ Gesicht einen gleichgültigen Ausdruck annahm. »Ist das nicht derjenige, der Dichter werden will?«
»Das wollte er ursprünglich, ja. Jetzt ist er ein Dichter, und das ist wesentlich schlimmer.«
»Du lieber Himmel! Ist das der schlaksige Bursche, der ziemlich zerstreut ist und nicht weiß, was er mit seinen Händen machen soll?«
»Ja, das ist Osbert. Jetzt verstehen Sie, warum die Familie auf mich zählt, dass ich meine Pflicht erfülle. Um ihm gerecht zu werden: Osbert hat große Angst, dass ich es nicht tue. Dann würde er in meine Fußstapfen treten müssen.«
»Das kann ich mir vorstellen. Selbst als er noch ein junger Bursche war, hatte er nicht viel Rückgrat.«
»Deshalb bin ich momentan damit beschäftigt, mir eine Frau zu suchen. Schließlich bin ich schon fünfunddreißig.«
»Und Sie haben dabei an Francesca gedacht?«
»Bevor wir nähere Einzelheiten besprechen, möchte ich eines klarstellen. Ich möchte eine Frau, die gehorsam ist und sich auf eine arrangierte Heirat einlässt.«
»Eine arrangierte …?« Charles runzelte die Stirn. »Sie meinen, eine Vernunftehe?«
Gyles zog die Brauen hoch. »Das scheint mir ein Widerspruch in sich zu sein. Wie kann eine Ehe vernünftig sein?«
Charles verzog keine Miene. »Vielleicht erklären Sie mir, was Sie genau suchen.«
»Ich möchte eine arrangierte Ehe mit einer Lady von angemessener Herkunft, guter Kinderstube und hervorragendem Benehmen, die meine Gräfin sein wird und mir und meiner Familie die notwendigen Erben schenkt. Außer dem Haushalt und den öffentlichen Pflichten, die mit der Ausübung der Rolle als Gräfin von Chillingworth verbunden sind, würde ich darüber hinaus keine weiteren Ansprüche an die Lady stellen. Als Gegenleistung werde ich ihr – zusätzlich zu der Position und allem, was damit verbunden ist, wie Garderobe, eigene Kutsche und Bedienstete – eine Zulage gewähren, die ihr für den Rest ihres Lebens ein Leben in Luxus ermöglichen wird. Schließlich bin ich nicht gerade arm.«
»Mit allem Respekt, aber Francesca auch nicht.«
»Das habe ich gehört. Mit Ausnahme der Übereignungsurkunde für das Gatting-Anwesen, das ich wieder dem Lambourn-Grundbesitz einverleiben möchte, werden die verschiedenen Erbschaften weiterhin ihr gehören, und sie kann damit tun und lassen, was sie möchte.«
Charles hob die Augenbrauen. »Das ist wirklich äußerst großzügig.« Sein Blick schien in die Ferne zu schweifen. »Ich muss zugeben, dass auch meine Ehe arrangiert war …« Kurze Zeit später richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf Gyles. »Ich fürchte, ich muss Sie fragen, Cousin – gibt es einen besonderen Grund, weswegen Sie auf einer arrangierten Ehe bestehen?«
»Wenn Sie meinen, ich hätte schon seit Jahren eine Geliebte, die ich nicht kaltstellen möchte oder etwas in der Art, so lautet meine Antwort nein.«
Gyles musterte Charles, seine offenen und ehrlichen braunen Augen. »Der Grund dafür, warum ich meine Ehe auf eine geschäftsmäßige Basis stellen möchte, ist, dass ich mir unter dem Begriff Liebe in der Ehe absolut nichts vorstellen kann. Liebe ist ein höchst überbewerteter Aspekt, mit dem ich überdies keine nähere Bekanntschaft machen möchte. Ich will nicht, dass meine künftige Ehefrau davon ausgeht, dass ich sie lieben werde, weder jetzt noch in irgendeiner rosigverklärten Zukunft. Als Erstes soll sie wissen, dass Liebe nicht Teil unserer Abmachung ist. Ich sehe keinen Nutzen darin, irgendwelche Hoffnungen zu wecken, und werde ausdrücklich darauf bestehen, dass ihr meine Absichten von Anfang an klar sind.«
Charles betrachtete ihn eine Zeit lang, dann nickte er. »Man kann wohl sagen, dass Sie ehrlicher sind als andere, die das Gleiche denken.«
Gyles hüllte sich in Schweigen.
»Also gut, jetzt verstehe ich, was Sie suchen, aber warum muss es ausgerechnet Francesca sein?«
»Wegen des Gatting-Anwesens.Vor vielen hundert Jahren war es Witwenbesitz und damals wahrscheinlich der Grund für eine arrangierte Ehe – das Anwesen gehört zu den Lambourn-Ländereien. Es hätte eigentlich nie davon getrennt werden dürfen, aber weil es nicht Teil des Erbes war, vermachte es irgendein irregeleiteter Vorfahr seinem jüngeren Sohn und daraus wurde so etwas wie eine Tradition …« Gyles runzelte nachdenklich die Stirn. »Gerrard war der Ältere, nicht wahr? Wie kommt es, dass Sie sein Anwesen erbten und er Gatting?«
»Wegen meinem Vater.« Charles verzog das Gesicht. »Er hat sich mit Gerrard überworfen, weil dieser sich weigerte, eine von seinem Vater arrangierte Ehe einzugehen. Gerrard heiratete dann aus Liebe und ging nach Italien, während ich …«
»… die arrangierte Ehe akzeptierte, die Ihr Bruder abgelehnt hatte?«
Charles nickte. »Deshalb hat Papa sein Testament geändert. Gerrard bekam Gatting, das eigentlich mir zugestanden hätte, und ich erhielt die Hall.« Er lächelte. »Gerrard war es egal. Selbst nach Papas Tod ist er in Italien geblieben.«
»Warum ist er gestorben?«
»Er hatte eines Nachts einen Bootsunfall am Luganer See. Gerrard und Katrina sind ebenfalls ertrunken. Erst einen Tag später hat man davon erfahren.«
»Und dann ist Francesca zu Ihnen gekommen.«
»Ja. Sie lebt schon fast zwei Jahre bei uns.«
»Wie würden Sie sie beschreiben?«
»Francesca?« Charles’ Miene wurde weich. »Sie ist ein wunderbares Mädchen! Wie ein Hauch frischer Luft und ein Sonnenstrahl in einem. Es ist merkwürdig, obwohl sie ziemlich lebhaft ist, ist sie auch ruhig – ein Widerspruch, ich weiß, aber …« Charles blickte Gyles an.
»Ich habe gehört, dass sie vierundzwanzig ist. Gibt es einen Grund dafür, warum sie noch nicht verheiratet ist?«
»Eigentlich nicht. Vor ihrem Ableben hatten Gerrard und Katrina mit Francesca darüber gesprochen, die Frage eines Ehemannes ernsthafter in Erwägung zu ziehen, aber der Unfall kam dazwischen. Francesca bestand strikt darauf, die Trauerzeit einzuhalten – sie war das einzige Kind und ihren Eltern sehr verbunden. Erst seit ungefähr einem Jahr geht sie wieder aus.« Charles verzog den Mund. »Ich möchte Ihnen nicht unbedingt sagen, warum, aber wir laden nicht ein. Francesca nimmt an den Gesellschaften und Tanzveranstaltungen unter der Schirmherrschaft von Lady Willingdon, einer Nachbarin, teil …« Charles’ Stimme wurde immer leiser.
Gyles hob eine Augenbraue. »Was?«
Charles blickte ihn an, dann schien er zu einer Entscheidung gekommen zu sein. »Seit dem letzten Jahr ist Francesca auf der Suche nach einem Ehemann. Auf ihre Bitte hin habe ich mich deshalb an Lady Willingdon gewandt.«
»Und hat sie jemanden kennen gelernt, den sie als angemessen erachtet?«
»Nein. Ich denke, sie hat die Hoffnung fast aufgegeben, einen passenden Ehemann zu finden, der von hier ist.«
Gyles hatte den Blick fest auf Charles gerichtet. »Es ist zwar eine ziemlich taktlose Frage, aber meinen Sie, Ihre Nichte könnte mich für geeignet halten?«
Charles lächelte bitter. »Nach dem zu urteilen, was ich gehört habe, würde sie Sie bestimmt für den geeigneten Freier halten, wenn Sie das möchten. Sie würden sicher jeder unschuldigen jungen Dame den Kopf verdrehen.«
Gyles’ Lächeln war genauso bitter. »In diesem Fall könnten sich meine besonderen Talente als kontraproduktiv erweisen. Ich möchte eine gehorsame Braut, keine, die in mich vernarrt ist.«
»Da haben Sie Recht.«
Gyles blickte Charles an, dann streckte er die Beine aus und schlug sie übereinander. »Charles, ich werde Sie in die unangenehme Situation versetzen und von Ihnen das Recht auf Hilfe einfordern, das mir als Familienoberhaupt zusteht. Gibt es irgendeinen Grund, der dagegen spricht, dass Francesca Rawlings die nächste Gräfin Chillingworth wird?«
»Keinen. Absolut keinen.« Charles hielt seinem Blick stand. »Francesca wäre die geeignete Kandidatin für diese Position und hätte die Bewunderung der gesamten Familie.«
Gyles hielt Charles’ Blick einige Sekunden lang stand, dann nickte er. »Ausgezeichnet.« Er spürte, dass ihm ein Stein vom Herzen gefallen war. »In diesem Fall halte ich hiermit offiziell um die Hand Ihrer Nichte an.«
Charles blinzelte. »Einfach so?«
»Einfach so.«
»Nun gut« – Charles erhob sich -, »ich lasse sie herkommen.«
»Auf keinen Fall.« Gyles machte eine abwehrende Handbewegung. »Sie vergessen – ich möchte, dass diese ganze Angelegenheit äußerst förmlich behandelt wird. Ich möchte nicht nur auf dem Papier, sondern auch durch Taten klarstellen, dass dies eine arrangierte Ehe ist und nicht mehr. So wie Sie Ihre Nichte beschreiben, sehen sie auch andere Leute, z. B. die grandes dames der gehobenen Gesellschaft, die umfangreiche Erfahrungen darin haben, die Qualitäten heiratsfähiger junger Damen zu bewerten. Alle sagen, dass Francesca Rawlings eine tadellose parti ist, ich brauche keine weiteren Meinungen dazu zu hören. Unter diesen Umständen sehe ich keinen Grund dafür, Miss Rawlings offiziell kennen zu lernen. Sie sind Ihr Vormund, und über Sie halte ich um ihre Hand an.«
Charles trug sich mit dem Gedanken, sich mit Gyles anzulegen; Gyles wusste genau, wann ihm die Erkenntnis, dass es verschwendete Mühe war und darüber hinaus auch noch ziemlich unverschämt von ihm, gedämmert hatte. Schließlich war er das Oberhaupt der Familie.
»Also gut. Wenn das Ihr Wunsch ist, nennen Sie mir die Einzelheiten, und ich werde heute Abend mit Francesca sprechen … Ich schreibe es besser auf.« Charles suchte nach Feder und Papier.
Dann begann Gyles zu diktieren, während Charles den offiziellen Ehevertrag zwischen dem Grafen Chillingworth und Francesca Hermione Rawlings niederschrieb.
Als Charles bei der letzten Verfügung angekommen war, sagte Gyles grübelnd: »Es ist nicht von Bedeutung, den Verwandtschaftsgrad zu erwähnen, da es sich um eine entfernte Verwandte handelt. Es wäre besser, darzulegen, dass das Angebot ausdrücklich vom Grafen kommt.«
Charles zuckte mit den Schultern. »Es kann nicht schaden. Frauen lieben Titel.«
»Gut. Wenn Sie von mir keine weiteren Informationen benötigen, werde ich Sie jetzt alleine lassen.« Gyles stand auf.
Auch Charles erhob sich und öffnete den Mund, dann zögerte er. »Ich wollte Ihnen vorschlagen, noch etwas bei uns zu bleiben oder zumindest mit uns zu Abend zu essen …«
Gyles schüttelte den Kopf. »Ein andermal vielleicht. Ich wohne im Lyndhurst Arms, falls Sie mich brauchen.« Er wandte sich der Tür zu.
Charles betätigte den Klingelzug, dann folgte er Gyles. »Ich werde die Sache heute Abend mit Francesca besprechen …«
»Und ich werde morgen früh vorbeikommen, um ihre Antwort zu hören.«
Gyles blieb stehen, als Charles ihn einholte. »Noch eine letzte unverschämte Frage. Sie sagten, Ihre Ehe sei arrangiert gewesen. Waren Sie glücklich?«
Charles sah ihm in die Augen. »Ja, das waren wir.«
Gyles hielt inne und senkte dann den Kopf. »Dann wissen Sie also, dass Francesca von mir nichts zu befürchten hat.«
In Charles’ Augen war tiefer Schmerz zu erkennen. Gyles wusste, dass Charles verwitwet war, aber er hatte nicht voraussehen können, wie tief der Schmerz saß. Charles hatte der Verlust seiner Frau fast um den Verstand gebracht. Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Er ging Charles in die Halle voraus, und sie gaben einander die Hand. Dann folgte Gyles dem Butler durch das Haus.
Als sie sich der vorderen Halle näherten, murmelte der Butler: »Ich schicke den Lakaien, um Ihr Pferd zu holen, Mylord.«
Sie betraten die Halle, aber ein Lakai war nirgendwo zu sehen. Die grüne Friestür am Ende der Halle schwang heftig hin und her. Eine Sekunde später kam eine Magd schreiend aus der Küche gerannt. Sie ignorierte Gyles und stürmte auf den Butler zu.
»Oh, Mr. Bulwer, kommen Sie schnell! In der Küche flattert ein Huhn umher! Der Koch jagt mit einem Hackebeil hinter ihm her, aber es lässt sich nicht einfangen!«
Der Butler wirkte betroffen und fühlte sich schuldig. Er warf Gyles einen hilflosen Blick zu, während die Magd mit aller Kraft an seinem Ärmel zog. »Verzeihung, Mylord – ich werde Hilfe holen …«
Gyles lachte. »Keine Angst, ich finde meinen Weg hinaus. Vielleicht wäre es besser, wenn Sie sich um die Küche kümmern würden, wenn Sie heute zu Abend essen möchten.«
In Bulwers Gesicht machte sich Erleichterung breit. »Danke, Mylord. Der Stallbursche hat inzwischen bestimmt Ihr Pferd gesattelt.« Bevor er noch mehr sagen konnte, wurde er fortgezogen. Gyles hörte, wie er die Magd ausschimpfte, während die beiden durch die Schwingtür verschwanden.
Grinsend schlenderte Gyles auf die Eingangstür zu. Er ging hinaus, stieg die Treppe hinunter und – einem Impuls folgend – wandte sich nach links. Er ging durch das Parterre und bewunderte die gestutzten Hecken und Nadelbäume. Auf der linken Seite grenzte die Steinmauer an den Pfad, dann setzte eine Eibenhecke die Reihe lückenlos fort. Bei der nächsten Gelegenheit bog er wieder nach links ab, bis er zu einem Torbogen in der Hecke kam. Von dort führte ein Weg durch das Gebüsch. Vor sich sah er das Stalldach, das hoch über die Hecken hinausragte.
Er ging durch den Torbogen und blieb stehen. Nach rechts und links bog ein Weg ab. Er blickte in Richtung des Hauses und konnte bis dorthin sehen, wo die Steinmauer, an der er entlanggegangen war, an den Winkel des Hauses grenzte. In der Nähe des Hauses war ein Steinsitz aus der Mauer herausgehauen worden.
Auf dem Sitz saß eine junge Dame.
Sie las in einem Buch, das aufgeschlagen auf ihrem Schoß lag. Die Spätnachmittagssonne tauchte sie in goldenes Licht. Ihr helles, flachsfarbenes Haar war nach hinten gekämmt, ihr Teint schimmerte zartrosa. Aus der Entfernung konnte Gyles ihre Augen nicht sehen, ihre Gesichtszüge erschienen ihm jedoch nicht besonders bemerkenswert, angenehm, aber nicht gerade umwerfend. Ihre Haltung, der geneigte Kopf, die niedrigen Schultern, ließ darauf schließen, dass sie leicht zu beherrschen und auf natürliche Weise unterwürfig war.
Sie war nicht die Sorte Frau, die ihn auf irgendeine Art und Weise erregte, nicht die Art von Frau, für die er sich normalerweise die Zeit nahm, um sie zu ergründen.
Sie war genau die Art von Frau, die er suchte. War sie etwa Francesca Rawlings?
Als hätte eine höhere Macht seine Gedanken erraten, hörte er eine Frauenstimme rufen. »Francesca?«
Das Mädchen blickte auf. Sie klappte ihr Buch zu und raffte ihren Umhang, während die Frauenstimme erneut rief. »Francesca? Franni?«
Das Mädchen erhob sich und antwortete: »Ich bin hier, Tante Ester.« Ihre Stimme klang zart und hell.
Dann war sie verschwunden.
Gyles lächelte und setzte seinen Spaziergang fort. Er hatte Charles vertraut und war nicht enttäuscht worden – Francesca Rawlings besaß genau die richtigen Eigenschaften, um seine gehorsame Braut zu werden.
Der Weg führte zu einem grasbewachsenen Innenhof. Gyles ging hinein.
Ein Derwisch in einem smaragdgrünen Kleid hätte ihn beinahe zu Boden gerissen. Wie eine Naturgewalt prallte die Gestalt gegen ihn – eine kleine Frau, die ihm kaum bis zur Schulter reichte. Ihre schwarzen Locken fielen ungebändigt über ihre Schultern und wieder nach vorne. Das smaragdgrüne Kleid war ein Reitkleid aus Samt. Sie trug Stiefel und hielt eine Reitpeitsche in der Hand.
Er fing sie auf und half ihr, das Gleichgewicht wiederzufinden. Hätte er nicht die Arme um sie gelegt, wäre sie bestimmt hingefallen.
Bevor sie wieder zu Atem kam, hatte er seinen Griff etwas gelöst. Sein verwegener Verstand hatte ihre üppigen Rundungen registriert, ihr Fleisch war fest, jedoch nicht zu fest, durch und durch feminin, für ihn war sie die pure Herausforderung. Seine Hände glitten über ihren Rücken, dann schloss er leicht die Arme um sie und hielt sie umfangen. Ihre vollen Brüste wärmten seine Brust, ihre weichen Hüften seine Schenkel.
Ein unterdrücktes »Oh!« drang aus ihrer Kehle.
Sie sah zu ihm auf.
Die grüne Feder an ihrer Kappe, die auf ihren glänzenden Locken thronte, strich über seine Wange. Gyles nahm davon kaum Notiz.
Ihre Augen waren von einem Grün, das intensiver war als das Smaragdgrün ihres Kleides. Weit aufgerissen und voller Erstaunen, von einem dichten Wimpernkranz gesäumt. Ihre makellose elfenbeinfarbene Haut hatte einen blassen goldenen Schimmer, ihre leicht geschwungenen Lippen waren von einem dunklen Rosa, die Unterlippe sinnlich voll. Ihr Haar war zurückgekämmt und hochgesteckt, was ihre breite Stirn und den zart geschwungenen Bogen ihrer schwarzen Augenbrauen betonte. Große und kleine Locken umrahmten ein herzförmiges Gesicht, das auf unwiderstehliche Weise interessant und faszinierend war. Gyles hätte zu gerne gewusst, woran sie gerade dachte.
Ihre erschrockenen Augen begegneten seinem Blick, durchforschten sein Gesicht, dann weiteten sie sich noch mehr und kehrten zu seinen Augen zurück.
»Es tut mir Leid, aber ich habe Sie nicht gesehen.«
Er fühlte ihre Stimme mehr als dass er sie hörte, sie war wie ein Streicheln, eine Aufforderung rein körperlicher Art. Ihre Stimme klang … rauchig, erotisch und benebelte seine Sinne.
Seine allzu willigen Sinne. Sie erkannten einander mit einem einzigen Augenaufschlag. Das wilde Tier in ihm schnurrte. Seine Lippen verzogen sich leicht nach oben.
Sie senkte den Blick auf seine Lippen und schluckte. Ihre Wangen färbten sich hellrot, die schweren Lider senkten sich und verhüllten ihre Augen. Sie lehnte sich in seine Arme zurück. »Wenn Sie mich bitte freilassen, Sir …«
Er wollte es nicht, ließ sie jedoch langsam und mit deutlichem Widerstreben los. Sie hatte sich in seinen Armen beschützt und lebendig gefühlt. Sehr lebendig sogar.
Sie trat einen Schritt zurück, und ihre Wangen röteten sich, als seine Hände über ihre Hüften streiften. Sie schüttelte ihre Röcke aus und weigerte sich, ihn anzusehen.
»Wenn Sie mich entschuldigen wollen, ich muss jetzt gehen.«
Ohne seine Antwort abzuwarten, schlüpfte sie an ihm vorbei und ging mit schnellen Schritten den Pfad hinunter. Er wandte sich um und sah, wie sie sich entfernte.
Dann verlangsamten sich ihre Schritte und sie blieb stehen.
Sie drehte sich herum und schaute ihn an. In ihrem Blick war alles andere als Furcht zu erkennen. »Wer sind Sie?«
Sie war eine Zigeunerin in einem grünen Kleid und stand inmitten der Hecken. Die Offenheit in ihrem Blick, ihre Haltung war die reinste Herausforderung.
»Chillingworth.« Er wandte sich zu ihr um und machte eine Verbeugung, wobei er den Blick unverwandt auf sie gerichtet hielt. Als er sich wieder aufrichtete, fügte er hinzu: »Und ganz bestimmt zu Ihren Diensten.«
Sie starrte ihn an, dann machte sie eine vage Handbewegung. »Ich bin spät dran …«
Sie sahen einander unverwandt in die Augen, und ein primitiver Urinstinkt bemächtigte sich ihrer, ein Versprechen, das keiner Worte bedurfte.
Dann ließ sie ihren Blick gierig über ihn schweifen, so als würde sie ihn tief in sich aufnehmen: Er tat es ihr gleich, er sehnte sich nach dem Anblick dieser Lady, die kurz davorstand, die Flucht zu ergreifen.
Was sie auch tat. Sie wirbelte herum, raffte ihr Kleid und lief in einen Seitenpfad, der zum Haus führte. Dann war sie aus seinem Blickfeld verschwunden.
Gyles unterdrückte den starken Drang, ihr zu folgen. Langsam ließ seine Erregung nach. Das Lächeln auf seinen Lippen war alles andere als vergnügt. Sinnliche Vorfreude war ihm nicht unbekannt und gehörte zu seinem täglichen Leben. Die Zigeunerin wusste genau, wie sie ihn erregen konnte.
Er erreichte den Stall und befahl dem Burschen, den Fuchs zu holen. Während er auf ihn wartete, fiel ihm ein, dass man jetzt von ihm erwartete, sich Gedanken über seine künftige Braut zu machen, und er dachte an die blasse, junge Dame mit dem Buch. Innerhalb weniger Sekunden wurden seine Gedanken durch ein lebendigeres, sinnlicheres Bild von der Zigeunerin, so wie er sie zuletzt gesehen hatte, verdrängt; und er sah das jahrhundertealte Versprechen, das in ihren Augen loderte. Er musste sich sehr anstrengen, um seine Aufmerksamkeit wieder auf andere Dinge zu richten.
Insgeheim freute er sich, denn schließlich wusste er genau, warum er eine Marionette heiraten wollte: Sie würde ihm nicht im Wege stehen, was seine fleischlichen Gelüste betraf. Darin hatte sich Francesca Rawlings bereits als perfekt erwiesen – innerhalb weniger Minuten, nachdem er sie gesehen hatte, war sein Kopf voller lüsterner Gedanken an eine andere Frau.
Seine Zigeunerin. Wer war sie? Wieder hörte er ihre heisere, erotische Stimme. Sie hatte einen kleinen Akzent und betonte die Vokale stärker und die Konsonanten dramatischer, als es die Engländer normalerweise taten. Der Akzent verlieh ihrer Stimme einen zusätzlichen sinnlichen Touch. Er dachte an den Hauch von Oliv, der ihre Haut in Gold verwandelt hatte. Dann fiel ihm ein, dass Francesca Rawlings die meiste Zeit ihres Lebens in Italien verbracht hatte.
Der Stallbursche führte den großen Fuchs nach draußen. Gyles dankte dem Jungen, bestieg das Pferd und galoppierte die Auffahrt hinunter. Ihr Akzent und ihre Hautfarbe ließen darauf schließen, dass die Zigeunerin vermutlich Italienerin war. Und was ihr Benehmen anging: sanftmütige, unterwürfige englische Ladys hätten ihn niemals so forschend angesehen, wie sie es getan hatte. Sie war ganz bestimmt Italienerin, entweder eine Freundin oder Gefährtin seiner künftigen Braut. Sie war sicherlich keine Magd, so wie sie gekleidet war. Außerdem hätte keine Magd es gewagt, ein derart forsches Benehmen an den Tag zu legen.
Dort, wo der Weg in den Wald führte, zog Gyles die Zügel an und warf einen Blick zurück auf Rawlings Hall. Er war sich noch nicht sicher, wie er die Karten, die ihm gerade ausgeteilt worden waren, am besten spielen würde. Sein Hauptziel blieb, sich eine fügsame Braut an Land zu ziehen. Trotz der sexuellen Begierde, die sie in ihm hervorrief, musste die Verführung der Zigeunerin erst einmal hintenanstehen.
Er verengte seine Augen zu Schlitzen und sah, anstelle von ausgewaschenen Ziegelsteinen, ein Paar smaragdgrüne Augen, in denen Verstehen, Wissen und Spekulation blitzten, die weit über den Horizont einer bescheidenen jungen Lady hinausgingen.
Er würde sie bekommen.
Wenn seine brave Braut ihm erst einmal zu verstehen gegeben hatte, dass sie willens war, würde er sie ganz nach seinem Geschmack erobern. Er genoss diese Vorstellung, machte eine Kehrtwendung und galoppierte den Pfad hinunter.
2
Francesca eilte durch den Garteneingang ins Haus. Sie blieb abrupt stehen und wartete, bis ihre Augen sich an das trübe Licht gewöhnt hatten. Wartete darauf, dass sie wieder zur Besinnung kommen würde.
Du lieber Himmel! Sie hatte das letzte Jahr damit zugebracht, den Mangel an Leidenschaft bei englischen Männern zu beklagen. Umso bemerkenswerter war, was die Götter ihr soeben beschert hatten. Selbst wenn sie zwölf Monate damit zugebracht hätten, um ihn zu finden, sie würde sich auf keinen Fall beklagen.
Vielleicht sollte sie auf die Knie gehen und ein Dankgebet sprechen.
Diese Vorstellung entlockte ihr ein heiteres Lachen, und das Grübchen in ihrer linken Wange begann zu zittern. Doch ihre Ungezwungenheit verschwand sofort wieder. Wer immer er auch sein mochte, er hatte sie nicht aufgesucht. Vielleicht würde sie ihn nie wieder sehen. Bestimmt war er ein Verwandter – es bestand eine Ähnlichkeit zwischen ihm und ihrem Vater und ihrem Onkel. Mit düsterem Blick betrat sie das Haus.
Sie war gerade von einem Ausritt zurückgekehrt, als Ester nach ihr gerufen hatte, und war umgehend vom Stall ins Haus gerannt. Sie war länger als sonst weg gewesen und Ester und Charles hatten sich bestimmt Sorgen gemacht. Dann war sie mit dem Fremden zusammengestoßen.
Er war mit Sicherheit ein Gentleman und hatte womöglich auch noch einen Titel; schwer zu sagen, ob Chillingworth sein Nachname oder sein Titel war. Chillingworth. In Gedanken wiederholte sie den Namen, rollte ihn auf der Zunge. Er hatte einen bestimmten Klang, der zu dem Mann passte. Ihr fiel noch einiges zu ihm ein, er war genau das Gegenteil von diesen langweiligen Gentlemen aus der Provinz, die sie seit letztem Jahr getroffen hatte. Chillingworth, wer immer er auch sein mochte, war aber ganz und gar nicht langweilig.
Ihr Puls raste noch immer, ihr Blutdruck stieg, und das war bestimmt nicht auf das Reiten zurückzuführen. Sie glaubte nicht, dass ihr rasender Puls oder ihre Atemlosigkeit, die langsam abebbte, irgendetwas mit ihrem Ausritt zu tun hatte. Sie waren die Folge davon, dass er sie so eng an sich gedrückt und sie angelächelt hatte, wie ein Leopard, der seine Mahlzeit beäugt, und sie wusste genau, was er gedacht hatte.
Seine grauen Augen hatten gefunkelt und sich verdunkelt, seine Lippen hatten sich deshalb nach oben verzogen, weil er unschickliche Gedanken hatte. Gedanken an nacktes Fleisch, das sich an nacktes Fleisch presste, seidene Laken, die sich hin und her schoben, während sich nackte Körper in einem uralten Rhythmus darauf vereinigten. In ihren Gedanken nahmen diese schamlosen Bilder Gestalt an.
Sie errötete und verbannte sie aus ihrem Kopf. Dann ging sie den Flur hinunter. Sie blickte sich um, und als sie niemanden sah, wedelte sie mit der Hand vor ihrem Gesicht herum. Sie wollte Ester nicht erklären müssen, warum sie errötet war.
Aber wo war Ester? Sie betrat den mittleren Flügel und machte einen Abstecher in die Küche; von Ester keine Spur. Das Personal hatte sie rufen gehört, wusste aber nicht, wohin sie gegangen war. Francesca schlüpfte durch die Tür in die Eingangshalle.
Auch dort war niemand. Ihre Stiefelabsätze klapperten auf dem gefliesten Boden, als sie zur Treppe hinüberging. Sie hatte die Hälfte der Treppe bereits erklommen, als die Tür zum Arbeitszimmer ihres Onkels geöffnet wurde. Ester kam heraus, sah sie und lächelte. »Da bist du ja, Liebes.«
Francesca änderte ihre Taktik. »Es tut mir so Leid, es war ein so schöner Tag, und ich bin die ganze Zeit über geritten und habe völlig vergessen, wie spät es schon war. Ich habe dich rufen gehört und bin sofort losgerannt. Ist irgendetwas passiert?«
»Nein.« Ester, eine große Frau mit einem großen Gesicht, aber den freundlichsten Augen, die man sich vorstellen kann, lächelte liebevoll, als Francesca vor ihr stehen blieb. Sie streckte den Arm aus und zog die alberne Reitkappe von Francescas wildem Lockenschopf. »Dein Onkel möchte mit dir reden, und obwohl nichts passiert ist, nehme ich an, dass du dennoch an dem, was er zu sagen hat, interessiert bist. Ich bringe die Kappe« – Ester erblickte die Handschuhe und die Reitpeitsche, die Francesca in der Hand hielt und nahm ihr beides ab – »und diese Sachen für dich nach oben. Geh jetzt hinein – er will unbedingt mit dir sprechen.«
Ester deutete mit dem Kopf auf die offen stehende Tür. Neugierig trat Francesca ein und schloss die Tür. Charles saß an seinem Schreibtisch und las einen Brief. Als er das Schloss klicken hörte, sah er auf und strahlte.
»Francesca, meine Liebe, komm und setz dich. Ich habe gerade eine höchst interessante Nachricht erhalten.«
Er deutete auf den Sessel neben seinem Schreibtisch, und Francesca konnte sich jetzt selbst davon überzeugen, wie Charles’ Augen strahlten. Diesmal waren sie nicht von Sorgen umschattet, wie es so oft der Fall war. Allzu oft war sein trauriges Gesicht von Kummer und Sorgen gezeichnet, doch jetzt strahlte es unverkennbar vor Freude. Sie ließ sich in den Sessel fallen. »Und diese Nachricht hat etwas mit mir zu tun?«
»In der Tat.« Charles wandte sich Francesca zu und stützte die Unterarme auf die Knie, damit sein Gesicht auf gleicher Höhe mit dem ihren war. »Meine Liebe, gerade hat jemand um deine Hand angehalten.«
Francesca starrte ihn an. »Wer denn?«
Sie hörte ihre ruhige Frage und war erstaunt darüber, dass sie es überhaupt fertig gebracht hatte, sie zu stellen. Ihre Gedanken schnellten wild spekulierend in ein Dutzend verschiedene Richtungen, und ihr Herz begann wieder zu rasen. Sie kämpfte mit sich, ruhig sitzen zu bleiben und sich dazu zu bringen, ein mustergültiges Benehmen an den Tag zu legen.
»Ein Gentleman, nun, eigentlich ist er ein Adeliger. Der Antrag kommt von Chillingworth.«
»Chillingworth?« Ihre Stimme klang gekünstelt. Sie wagte kaum ihren Ohren zu trauen. Dann erschien die Vision …
Charles lehnte sich nach vorne und nahm ihre Hand. »Meine Liebe, Graf Chillingworth hat dir einen offiziellen Heiratsantrag gemacht.«
 
Als Charles endlich zum Ende kam, er hatte ihr alles äußerst sorgfältig und bis ins kleinste Detail erklärt, war Francescas Erstaunen noch größer.
»Eine arrangierte Ehe.« Sie konnte es einfach nicht glauben. Von jedem anderen hätte sie es erwartet, schließlich waren die Engländer so … phlegmatisch. Aber von ihm – dem Mann, der sie in seinen Armen gehalten und sich gefragt hatte, wie es wohl sein würde, wenn … mit ihr … Irgendetwas stimmte da nicht.
»Er legt großen Wert darauf, dass du es verstehst.« Charles’ sanfter, ernster Blick ruhte auf ihrem Gesicht. »Liebes, ich dränge dich nicht, den Antrag anzunehmen, wenn du dich unwohl dabei fühlst, aber ich würde meiner Pflicht als dein Vormund nicht gerecht werden, wenn ich dir vorenthielte, dass Chillingworths Vorstoß ehrlich gemeint ist, auch wenn er ziemlich kühl ist. Viele Männer empfinden genauso, aber sie würden ihren Antrag fantasievoller gestalten, weil sie glauben, auf diese Weise dein Herz zu gewinnen.«
Francesca machte eine verächtliche Handbewegung.
Charles lächelte. »Ich weiß, dass du kein flatterhaftes Ding bist, das sich von falschen Beteuerungen den Kopf verdrehen lässt. Ich kenne dich gut genug, um sicher sein zu können, dass du ein Versteckspiel durchschauen würdest. Chillingworth gehört nicht zu den Männern, die eine Maske tragen, das entspricht nicht seinem Stil. Er ist von erstklassigem Rang, er besitzt, wie ich dir bereits gesagt habe, große Ländereien. Sein Antrag ist mehr als großzügig.« Charles machte eine Pause. »Gibt es irgendetwas, das du noch wissen möchtest, hast du irgendwelche Fragen?«
Francesca hatte Dutzende von Fragen, aber sie waren nicht die Art von Fragen, die ihr Onkel beantworten konnte. Ihr Freier würde sie ihr beantworten müssen. Er gehörte nicht zu den Männern, die eine kühle, gefühllose Verbindung gutheißen würden. Er war feurig und voller Leidenschaft, genau wie sie.
Was hatte das Ganze also zu bedeuten?
Dann dämmerte es ihr. »Hat er heute Nachmittag mit dir gesprochen, während ich reiten war?« Als Charles nickte, fragte sie: »Er hat mich nicht schon gesehen, oder? Ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern, dass ich ihm schon einmal begegnet bin.«
»Ich glaube nicht, dass er dich schon einmal gesehen hat.« Charles zog die Stirn in Falten. »Hast du ihn gesehen?«
»Ja, als ich aus dem Stall kam. Er wollte gerade … gehen.«
»Ja, dann.« Charles setzte sich aufrecht hin, und seine Miene erhellte sich zusehends. »Also …« Sein Blick war ins Weite geschweift, jetzt richtete er ihn wieder auf Francesca. Sie hatten lange miteinander geredet, und jetzt war es fast Zeit für das Abendessen. »Er wird morgen früh wieder vorbeikommen, um deine Antwort entgegenzunehmen. Was soll ich ihm mitteilen?«
Dass sie ihm nicht glaubte.
Francesca sah Charles’ ernsten Gesichtsausdruck. »Sag ihm … dass ich drei Tage brauche, ab heute Nachmittag zweiundsiebzig Stunden, um über seinen Antrag nachzudenken. Angesichts der Tatsache, dass dieser Antrag so plötzlich und unerwartet kam, muss ich gründlich über alles nachdenken. In drei Tagen werde ich entweder zustimmen oder ablehnen.«
Charles hatte die Augenbrauen in die Höhe gezogen. Als sie aufgehört hatte zu reden, nickte er. »Eine ausgezeichnete Idee. Du kannst in Ruhe überlegen, ob du es überhaupt willst und ihm dann« – Charles verzog das Gesicht – »oder besser gesagt mir deine Antwort mitteilen.«
»Das werde ich tun.« Voller Entschlossenheit stand Francesca auf. »Ich werde herausfinden, welche Antwort für mich die richtige ist, danach kann er sie haben.«
 
Es war schon fast Nachmittag am nächsten Tag, als Gyles erneut die Auffahrt zu Rawlings Hall hinaufritt. Als er das Arbeitszimmer betrat, ging Charles gerade um seinen Schreibtisch herum. Er streckte die Hände aus und strahlte über das ganze Gesicht. Eigentlich hatte Gyles auch nichts anderes erwartet. Er schüttelte Charles’ Hand und nahm Platz.
Nachdem auch Charles Platz genommen hatte, sah er Gyles fest in die Augen. »Ich habe sehr lange und ausführlich mit Francesca gesprochen. Sie war Ihrem Antrag nicht abgeneigt, hat sich jedoch eine gewisse Zeit auserbeten, drei Tage, um genau zu sein, damit sie darüber nachdenken kann.«
Gyles spürte, wie sich seine Augenbrauen hoben. Die Bitte war ausgesprochen vernünftig. Es überraschte ihn jedoch, dass sie sie geäußert hatte.
Charles sah ihn sorgenvoll an, da er Gyles’ Ausdruck nicht deuten konnte. »Stellt das ein Problem dar?«
»Ganz und gar nicht.« Gyles überlegte einen Moment, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder Charles zuwandte. »Obwohl ich die Angelegenheit möglichst rasch hinter mich bringen möchte, kann ich Miss Rawlings’ Bitte unmöglich außer Acht lassen. Schließlich ist die Ehe eine ernste Angelegenheit, was ich hiermit unterstreichen möchte.«
»In der Tat. Francesca ist alles andere als flatterhaft, sie steht mit beiden Füßen fest auf dem Boden. Sie hat gestern versprochen, in drei Tagen ein klares Ja oder Nein als Antwort zu geben.«
»Also in zwei Tagen ab heute gerechnet.« Gyles nickte zustimmend und erhob sich. »In Ordnung. Ich werde mich hier in der Gegend aufhalten und am Nachmittag des vereinbarten Tages wieder vorbeikommen.«
Charles stand auf, und sie verabschiedeten sich. »Ich habe gehört«, sagte Charles, während er Gyles zur Tür begleitete, »dass Sie Francesca gestern gesehen haben.«
Gyles blieb stehen und blickte seinen Gastgeber an. »Ja, aber nur ganz kurz.« Sie musste bemerkt haben, dass er sie beobachtet hatte, und war so geschickt gewesen, sich nichts anmerken zu lassen.
»Trotzdem. Selbst ein kurzer Blick ist schon genug. Sie ist eine bezaubernde junge Dame, finden Sie nicht?«
Gyles blickte Charles an. Er war weicher, liebenswürdiger als er selbst; und sanftere Damen waren zweifellos mehr nach seinem Geschmack. Gyles erwiderte Charles’ Lächeln. »Ich denke, dass Miss Rawlings die Rolle meiner Frau in bewundernswerter Weise erfüllen wird.«
Er wandte sich der Tür zu, die Charles für ihn öffnete. Bulwer stand draußen, um ihn hinauszubegleiten. Gyles verabschiedete sich mit einem Nicken.
Er beschloss, einen Spaziergang zum Stalltrakt hinüber zu machen, wie am vorherigen Tage. Er schlenderte den Pfad hinunter und blickte um sich.
Er hatte Charles erklärt, dass er nicht den Wunsch habe, seine künftige Braut offiziell kennen zu lernen. Soweit er sehen konnte, konnte er dem nichts abgewinnen. Jetzt jedoch, da sie sich eine Wartefrist von drei Tagen ausbedungen hatte …
Vielleicht wäre es doch ratsam, die junge Dame, die ruhig und gelassen um drei Tage gebeten hatte, um seinen Antrag zu überdenken, zu treffen. Ihn und seinen außerordentlich großzügigen Antrag. Das zeigte eine Entschlusskraft, die er bei einer Frau wie Francesca Rawlings äußerst merkwürdig fand. Obwohl er sie nur ganz kurz gesehen hatte, war er Experte in der Beurteilung von Frauen. In einer Hinsicht hatte er seine Künftige jedoch falsch eingeschätzt. Es wäre vielleicht klug sicherzustellen, dass sie keine weiteren Überraschungen in petto hatte.
Das Schicksal meinte es gut mit ihm. Sie ging am Seeufer mit einer Meute Spaniels spazieren. Den Kopf hoch erhoben, den Rücken gerade aufgerichtet, ging sie genau in entgegengesetzte Richtung. Die Hunde tollten um sie herum. Er folgte ihr.
Er hatte sie fast eingeholt, als sie gerade das Ende des Sees umrunden wollte. »Miss Rawlings!«
Abrupt blieb sie stehen und wandte sich um. Das Tuch, das sie sich um die Schultern drapiert hatte, flatterte im Wind, die blaue Farbe betonte ihr feines, hellblondes Haar, das zu einem losen Knoten geschlungen war. Wehende Haarsträhnen rahmten ein süßes Gesicht ein, das eher hübsch als schön war. Das Beste an ihr jedoch waren ihre hellblauen Augen, die von einem blonden Wimpernkranz gesäumt wurden.
»Ja?«
Sie sah ihn näher kommen, ohne dass sie ihn erkannte oder besonders wachsam zu sein. Gyles hatte darauf bestanden, dass sein Adelsname in dem Heiratsantrag aufgeführt wurde. Sie verband ihn jedoch eindeutig nicht mit dem Gentleman, den sie zu heiraten beabsichtigte. »Gyles Rawlings.« Er verbeugte sich und lächelte, als er sich wieder aufrichtete. Jemand musste ihn gesehen haben, als er sie gestern beobachtet hatte und es Charles berichtet haben, war es vielleicht die Frau gewesen, die nach ihr gerufen hatte? »Ich bin ein entfernter Cousin. Könnte ich vielleicht ein kleines Stück mit Ihnen gehen?«
Sie blinzelte und erwiderte sein Lächeln; sie war so sanftmütig, wie er sie sich vorgestellt hatte. »Wenn Sie ein Verwandter sind, ist es in Ordnung.« Mit einer Handbewegung wies sie auf den Pfad, der am See entlangführte. »Ich führe gerade die Hunde spazieren. Das mache ich jeden Tag.«
»Sie haben ja ziemlich viele Tiere.« Die Hunde schnüffelten an seinen Stiefeln herum. Es waren keine Jagdhunde, sondern eine kleinere Ausgabe, fast schon Schoßhunde. Plötzlich kam ihm ein Gedanke. »Gehören sie Ihnen?«
»O nein. Sie wohnen nur hier.«
Er blickte sie an, um herauszufinden, ob sie das im Scherz gesagt hatte. Ihr Gesichtsausdruck zeugte jedoch vom Gegenteil. Er ging im Gleichschritt neben ihr her und warf einen raschen, abschätzenden Blick auf ihre Figur. Sie war durchschnittlich groß und reichte ihm kaum bis zum Kinn, hatte eine schlanke Figur, nicht sehr kurvig, aber dennoch passabel. Passabel.
»Die Hündin dort drüben«, sie wies auf ein Tier mit einem ausgefransten Ohr, »ist die älteste. Ihr Name ist Bess.«
Als sie ihren Weg um den See herum fortsetzten, fuhr sie fort, ihm die Namen aller Hunde zu nennen. Gyles fiel absolut kein passender Gesprächsstoff ein, mit dem er sie von ihrem Thema hätte ablenken können. Jedes Gesprächsthema, das sein normalerweise wacher Verstand ihm vorschlug, schien angesichts ihrer Naivität und offensichtlichen Arglosigkeit völlig unangemessen zu sein. Wenn er darüber nachdachte, war es schon ziemlich lange her, seitdem er zuletzt mit einer so unbedarften Frau Konversation gemacht hatte.
Was jedoch ihre Manieren und ihr Benehmen anbelangte, so gab es absolut nichts auszusetzen. Nachdem sie ihm den Namen des siebten Hundes genannt hatte, gelang es ihm, eine Bemerkung zu machen, auf die sie sofort reagierte. Sie legte eine unschuldige Offenheit an den Tag, die, wie Charles bereits bemerkt hatte, auf merkwürdige Art beruhigend war, vielleicht weil sie so anspruchslos war.
Sie erreichten das Ende des Sees, und sie drehte sich um, um in Richtung Parterre zu gehen. Er wollte ihr gerade folgen, als er etwas Smaragdgrünes aufblitzen sah. Dann erblickte er eine Gestalt in einem grünen Kleid, die in einiger Entfernung über eine Lichtung ritt. Durch die dichten Bäume erhaschte er nur einen kurzen Blick von ihr, dann war sie verschwunden. Mit gerunzelter Stirn ging er schnellen Schrittes weiter, bis er seine Zukünftige eingeholt hatte.
»Dolly ist eine gute Rattenfängerin …«
Während sie den Rasen überquerten, fuhr seine Gefährtin fort, ihm von der Herkunft der Hunde zu erzählen. Er schritt neben ihr her, war jedoch nicht mehr bei der Sache.
Die verdammte Zigeunerin war schnell geritten – außerordentlich schnell. Und das Pferd, auf dem sie gesessen hatte – lag es wirklich nur an der Entfernung und ihrer kleinen Gestalt, dass das Pferd ihm so riesig vorkam?
Im Parterre angekommen, bog seine Gefährtin in den Pfad ein, der um den künstlich angelegten Garten herumführte. Er blieb stehen. »Ich muss jetzt gehen.« Dann fiel ihm ein, warum er hier war. Er zauberte ein charmantes Lächeln hervor und verbeugte sich. »Danke für die Gesellschaft, meine Liebe. Ich wage die Äußerung, dass wir uns bald wiedersehen werden.«
Sie lächelte naiv. »Das wäre sehr schön. Sie sind ein sehr guter Zuhörer, Sir.«
Mit einem zynischen Nicken ließ er sie stehen.
Er ging durch die Büsche und hielt Ausschau nach grün gekleideten Derwischen, sah jedoch niemanden. Beim Stall angekommen, sah er hinein und rief nach dem Stallburschen. Als er keine Antwort erhielt, ging er den langen Gang hinunter. Von dem Stallknecht fehlte jede Spur. Er entdeckte den Fuchs, fand aber kein Pferd, das soeben dort abgestellt worden war. Die Zigeunerin hätte den Stall inzwischen erreicht haben müssen, sie war jedenfalls in diese Richtung geritten.
Er ging auf den Hof zurück und sah sich um. Niemand schien hier zu sein. Kopfschüttelnd wollte er gerade wieder in den Stall gehen, um sein eigenes Pferd zu holen, als ein Trippeln den Stallburschen ankündigte. Er stürmte in den Hof, einen Tragekorb hinter sich herzerrend. Als er Gyles bemerkte, kam er schlitternd zum Stehen.
»Für wen ist der?« Gyles deutete auf den Korb.
»Miss sagte, ich solle ihn sofort holen.«
Welche Miss?, hätte Gyles beinahe gefragt, aber wie viele gab es schon in Rawlings Hall? »Gib ihn mir. Ich bringe ihn zu ihr, während du mein Pferd holst. Wo ist sie?«
Der Bursche gab ihm den leeren Korb. »Im Obstgarten.« Er nickte in Richtung der Ställe.
Gyles machte sich auf den Weg und drehte sich noch einmal um. »Sollte ich noch nicht zurück sein, wenn du das Pferd gesattelt hast, kannst du es einfach an der Tür anbinden. Du hast sicher noch andere Arbeiten zu erledigen.«
»Jawohl, Sir.« Der Bursche tippte an seine Stirnlocke und verschwand dann im Stall.
Mit einem heimlichen Lächeln auf den Lippen ging Gyles in den Obstgarten.
Der riesige Garten war voller Apfel- und Pflaumenbäume, an denen noch viele unreife Früchte hingen. Dann erblickte Gyles das Pferd – ein riesiger Fuchs mit einer Brust von enormen Ausmaßen sowie einem Ehrfurcht gebietenden Hinterteil. Das grasende Tier war bereits gesattelt, und die Zügel schleiften hinter ihm her.
Er ging auf das Pferd zu; und dann hörte er ihre Stimme.
»Mein Gott, bist du ein schöner Kerl.«
Die rauchige, erotische Stimme klang verführerisch.
»Komm, ich möchte dich streicheln, meine Finger über deinen Kopf gleiten lassen. Ooooh, braver Kerl.«
Die Stimme fuhr fort, murmelnd, flüsternd, schmeichelnd; sie flüsterte Koseworte, forderte dazu auf, sich bedingungslos hinzugeben.
Gyles erstarrte. Er machte einen Schritt nach vorne und durchsuchte das hohe Gras nach dem grün gekleideten Drachen und dem Burschen, den sie gerade verführte …
Plötzlich hörte sie auf zu reden, und Gyles ging schneller. Er kam zu dem Apfelbaum, neben dem der Fuchs stand. Er suchte das Gras rundherum ab, konnte jedoch niemanden entdecken.
»Josh«, murmelte sie, »hast du den Korb?«
Gyles blickte in den Apfelbaum hinauf. Sie lag der Länge nach auf einem Ast, den einen Arm ausgestreckt, ihre Finger griffen nach …
Ihre Röcke waren bis zu den Knien hoch gerutscht und enthüllten einen Berg von weißen Unterröcken. Der Anblick ihres entblößten Beines über den Stiefelspitzen war einfach zu verlockend.
Gyles wurde es schwindlig, starke Gefühle überwältigten ihn. Er fühlte sich wie ein Narr, während ungerechtfertigter Zorn durch ihn hindurchfuhr und kein Ventil fand. Er war erregt, und die Tatsache, dass selbst der kleinste Blick auf ihre honigfarbene Haut eine derart große Auswirkung auf ihn hatte, machte ihm zu schaffen. Hinzu kam eine panische Angst um sie.
Die verdammte Zigeunerin war ziemlich weit vom Boden entfernt.
»Jetzt hab ich dich!« Sie pflückte etwas von den Ästen, das aussah wie ein großes Wollknäuel, und drückte es an ihren prallen Busen. Sie setzte sich auf den Ast, dann drehte sie sich herum, und zum Vorschein kamen zwei weitere Wollknäuel, die sie in der anderen Hand hielt.
Plötzlich bemerkte sie ihn.
»Oh!« Sie wippte hin und her, umklammerte die beiden Kätzchen mit einer Hand und konnte sich gerade noch rechtzeitig am Ast festhalten, um nicht zu Boden zu stürzen.
Die Kätzchen miauten herzzerreißend; Gyles hätte gerne mit ihnen getauscht.
Die Augen weit aufgerissen, die Röcke über ihren Knien eingeklemmt, starrte sie auf ihn hinab. »Was machen Sie denn hier?«
Er lächelte lüstern. »Ich bringe Ihnen den Korb. Josh ist anderweitig beschäftigt.«
Sie verengte die Augen zu schmalen Schlitzen und sah ihn missmutig an. »Da Sie den Korb nun schon gebracht haben, können Sie sich auch nützlich machen.« Sie deutete auf das Wollknäuel, das soeben die Spitze seines Stiefels entdeckt hatte. »Sie müssen eingesammelt und ins Haus gebracht werden.«
Gyles stellte den Korb ab, hob das Knäuel zu seinen Füßen hoch und schob es hinein. Dann suchte er die unmittelbare Umgebung ab. Als er sich versichert hatte, dass er nicht kurz davorstand, einen Mord zu begehen, trat er unter den Ast und streckte die Hände empor. »Reichen Sie sie mir.«