Inhaltsverzeichnis
Buch
Autorin
Von Stephanie Laurens außerdem lieferbar:
Der Stammbaum des Cynster-Clans
Kapitel 1
Kapitel 2
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Buch
Harold Henry Cynster - von seiner Familie und seinen Freunden Demon genannt - verlässt das heiße Pflaster London und zieht sich in die Einsamkeit seiner Ländereien zurück. Denn die resoluten Damen der Gesellschaft haben schon viele seiner Cousins - ehe die sich’s versahen - mit ihren Töchtern in den Stand der Ehe befördert. Diesem Schicksal will der überzeugte Junggeselle Demon auf jeden Fall entfliehen. Doch kaum hat er einen Fuß auf sein Gestüt gesetzt, als er sieht, dass jemand auf seinem Landgut herumspioniert. Es ist Felicity Parteger. Als Demon sie das letzte Mal sah, war sie noch ein Kind, und nun steht eine atemberaubende Schönheit mit funkelnden Augen vor ihm - und bittet ihn um Hilfe. Demon ist wie vom Donner gerührt und sieht alle seine guten Vorsätze davonschwimmen. Felicity weiß, dass Demon einer der begehrtesten Junggesellen weit und breit ist und ein Schuft von der übelsten Sorte, aber er ist der Einzige, der ihr helfen kann, ihren Freund Dillon vor den Machenschaften eines Wettsyndikats zu retten. Also lässt sie sich auf einen Handel mit Demon ein. Er setzt all seinen Einfluss ein, um das Syndikat auffliegen zu lassen - und Felicity zeigt sich dafür als Frau erkenntlich. Doch obwohl sie sich leidenschaftlich in Demon verliebt hat, weigert sich Felicity, Demons Heiratsantrag anzunehmen. Die junge, temperamentvolle Frau will erst einwilligen, wenn Demon ihr seine Liebe eingesteht …
Autorin
Stephanie Laurens begann zu schreiben, um etwas Farbe in ihren trockenen wissenschaftlichen Alltag zu bringen. Ihre Romane wurden bald so beliebt, dass sie aus ihrem Hobby den Beruf machte. Heute gehört sie weltweit zu den meistgelesenen und populärsten Autorinnen historischer Liebesromane. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Töchtern in einem Vorort von Melbourne /Australien.
Von Stephanie Laurens außerdem lieferbar:
Ein verheißungsvoller Kuss (35806) - In den Armen des Eroberers (35838) - Der Liebesschwur (35839) - Gezähmt von sanfter Hand (36085)
www.randomhouse.de/Liebesromane
Der Stammbaum des Cynster-Clans
Der Stammbaum des Cynster-Clans
Die Cynster-Clan-Serie Band 1 »Devil’s Bride«, dt. »In den Armen des Eroberers« Band 2 »A Rake’s Vow«, dt. »Der Liebesschwur«
Namen der männlichen Cynsters mit Großbuchstaben gekennzeichnet * Zwillinge
1
1. März 1820Newmarket, Suffolk
Unbegrenzte Freiheit! Er war entkommen.
Mit einem arroganten Lächeln ließ Harold Henry Cynster - von allen, sogar von seiner Mutter in ihren schwächeren Augenblicken, nur Demon genannt - seinen zweirädrigen Zweispänner im Hof hinter seinem Stall in Newmarket anhalten. Er warf seinem Stallknecht Gillies die Zügel zu, der hinten von der eleganten Equipage gesprungen war und sie auffing, dann trat Demon in den gepflasterten Hof. Schwungvoll fuhr er mit der Hand über das glänzende Fell seines Leitpferdes und warf dann einen Blick voller Besitzerstolz über den Hof.
Hier gab es keine Ränke schmiedende Mutter und auch keine Witwe, die ihn mit ihren missbilligenden Blicken durchbohrte.
Noch einmal tätschelte er liebevoll sein Pferd, dann ging Demon zur offenen Hintertür des Stalles. Er hatte London völlig unerwartet zur Mittagszeit verlassen und sich dann vom frischen Fahrtwind das übertrieben süße Parfüm einer ein wenig anstößigen Gräfin aus dem Kopf vertreiben lassen. Er war mehr als zufrieden, all die Ballsäle, die Partys und die unzähligen Fallen hinter sich zu lassen, die von den Müttern aufgestellt wurden, um Gentlemen wie ihn dazu zu bringen, ihre Töchter zu heiraten. Dabei fiel es ihm normalerweise nicht einmal schwer, solchen hinterhältigen Fallen zu entkommen, doch in letzter Zeit lag ein besonderer Duft in der Luft, eine Vorahnung von Gefahr, und er war viel zu erfahren, um das zu ignorieren.
Zuerst hatte es seinen Cousin Devil erwischt, dann seinen eigenen Bruder, Vane, und jetzt auch seinen ihm am nächsten stehenden Cousin Richard - wer würde der Nächste aus der Gruppe der sechs werden, der Bar Cynster, wie sie genannt wurden, den das Schicksal in die Arme einer liebenden Ehefrau treiben würde?
Wer auch immer es sein würde, er war es ganz sicher nicht.
Er blieb vor der offenen Stalltür stehen, dann wandte er sich um und blinzelte im grellen Sonnenlicht. Einige seiner Pferde befanden sich mit den Stalljungen auf den Weiden. Auf der Heide dahinter trainierten eine Reihe von Pferden aus anderen Ställen unter den Augen ihrer Eigentümer und Trainer.
Die Szene war ausschließlich männlich. Die Tatsache, dass er sich hier vollkommen zu Hause fühlte - er merkte bereits nach wenigen Minuten, dass alle Spannung von ihm abfiel war reine Ironie. Er konnte wohl kaum behaupten, dass er Frauen nicht mochte und ihre Gesellschaft nicht genoss, und auch nicht, dass er nicht sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart eine beträchtliche Zeit dafür aufgewendet hatte, sie zu umwerben.
Und er konnte ebenfalls nicht leugnen, dass ihm solche Eroberungen Freude und auch eine gewisse Befriedigung bereiteten. Immerhin war er ja ein Cynster.
Er lächelte. All das stimmte, allerdings …
Auch wenn die anderen Mitglieder der Bar Cynster als reiche, wohlerzogene Gentlemen die Tatsache akzeptiert hatten, dass sie irgendwann heiraten und eine Familie gründen würden, so hatte er sich doch geschworen, es anders zu halten. Er war entschlossen, niemals zu heiraten, niemals das Schicksal zu versuchen, mit dem sein Bruder und seine Cousins gekämpft und gegen das sie verloren hatten. Eine Ehe, um die Verpflichtungen der Gesellschaft gegenüber einzuhalten, war ja recht gut, aber eine Lady zu heiraten, die man liebte, war bis jetzt das verhängnisvolle Schicksal aller männlichen Cynsters gewesen.
Ein verhängnisvolles Schicksal, in der Tat, für einen geborenen Krieger - für immer der Gnade einer Frau ausgeliefert zu sein. Einer Frau, die sein Herz, seine Seele und seine Zukunft in ihrer kleinen, zerbrechlichen Hand hielt.
Das genügte, um auch den stärksten Krieger erbleichen zu lassen.
Davon wollte er nichts wissen.
Er warf noch einen letzten Blick über den Hof, stellte fest, dass das Pflaster sauber gefegt und die Zäune in ausgezeichnetem Zustand waren, dann wandte Demon sich um und betrat den Hauptstall, in dem seine Rennpferde untergebracht waren. Die Arbeit des Nachmittags hatte bereits begonnen - er würde sich seine Pferde beim Training ansehen, zusammen mit seinem sehr fähigen Trainer, Carruthers.
Demon war auf dem Weg zu seinem Gestüt, das drei Meilen weiter südlich der Rennbahnen in einem sanften, hügeligen Gelände, das an die Heide grenzte, lag. Da er die Absicht hatte, für den Rest seines Lebens einer Ehe zu entkommen, und da die Atmosphäre in London zu vibrieren schien, weil die Ballsaison kurz bevorstand, und seine Tanten und auch seine Mutter voller Aufregung waren über Hochzeiten, Ehefrauen und zu erwartende Babys, hatte er sich entschieden, sich rar zu machen und die Saison aus der sicheren Entfernung seines Gestütes und der ungefährlichen Gesellschaft in Newmarket zu beobachten.
Das Schicksal hätte keine Möglichkeit, ihn hier zu erwischen.
Er sah nach unten, um den unvermeidlichen Hinterlassenschaften seiner bevorzugten Lieblinge auszuweichen, dann ging er lässig den langen zentralen Gang zwischen den leeren Pferdeboxen entlang, die sich links und rechts von ihm öffneten. Am anderen Ende des Gebäudes war ein großes Tor geöffnet, das auf die Heide führte. Es war ein schöner Tag, der leichte Wind fuhr den Pferden durch die Mähnen und ließ die langen Schwänze wehen - seine Pferde waren draußen und taten das, was sie am besten konnten. Sie rannten.
Nachdem er die letzten Stunden in seinem Wagen verbracht hatte, die Schultern von der Sonne gewärmt, war es im schattigen Stall kühl. Ein unerwartet kalter Hauch strich ihm über die Schultern, und ein eisiger Schauer rann ihm über den Rücken.
Demon runzelte die Stirn und zog die Schultern hoch. Als er die Stelle erreicht hatte, an der sich der Gang zu dem Platz ausweitete, wo die Reiter auf die Pferde stiegen, blieb er stehen und sah auf.
Ein wohl bekannter Anblick bot sich ihm - ein Junge oder ein Trainer schwang das Bein über den glatten Rücken eines seiner Champions. Das Pferd zeigte ihm sein Hinterteil, doch Demon erkannte sofort eines seiner Lieblingspferde, einen irischen Wallach, der in der kommenden Saison ganz sicher gut laufen würde. Das jedoch war es nicht, was ihn innehalten ließ und warum er plötzlich wie angewurzelt stehen blieb.
Er konnte von dem Reiter nur den Rücken sehen und ein Bein. Der Junge hatte seine Mütze tief ins Gesicht gezogen, trug eine schäbige Reitjacke und eine weite Cordhose. Die Hose war weit, bis auf eine Stelle - wo sie sich eng um den Po des Reiters schmiegte, der gerade sein Bein über den Sattel schwang.
Carruthers stand neben dem Pferd und gab Anweisungen. Der Junge setzte sich in den Sattel, dann stellte er sich in die Steigbügel, um sich in die richtige Position zu bringen. Wieder spannte sich die Cordhose.
Demon zog scharf den Atem ein. Mit zusammengezogenen Augenbrauen und entschlossen vorgeschobenem Kinn ging er nach vorn.
Carruthers schlug dem Pferd auf das Hinterteil. Der Reiter nickte und ließ dann das Pferd, The Mighty Flynn, hinaus in den Sonnenschein trotten.
Carruthers wandte sich um und kniff die Augen zusammen, als Demon näher kam. »Oh, Sie sind das.« Trotz der knappen Begrüßung und dem mürrischen Ton lag eine warme Zuneigung in Carruthers Blick. »Sie sind wohl gekommen, um zu sehen, wie sie sich machen, wie?«
Demon nickte, seine Augen ruhten noch immer auf dem Reiter, der auf The Mighty Flynn saß. »In der Tat.«
Zusammen mit Carruthers ging er langsam hinter The Flynn her, dem letzten seiner Pferde, das auf die Heide hinausritt.
Schweigend beobachtete Demon, wie seine Pferde ihre Arbeit machten. The Mighty Flynn bekam heute nur ein leichtes Training, Gehen, Traben, dann wieder Gehen. Obwohl er auch beobachtete, wie die anderen Pferde trainierten, so ruhte Demons Blick die meiste Zeit auf The Flynn.
Carruthers stand neben ihm und beobachtete seine Schützlinge ganz genau. Demon sah in sein altes Gesicht mit den vielen Falten, vom Wetter gegerbt wie abgetragenes Leder. Seine blassbraunen Augen waren weit geöffnet, während er jeden Schritt, jede Bewegung beobachtete. Carruthers machte sich niemals Notizen, man brauchte ihn auch nicht daran zu erinnern, welches Pferd was getan hatte. Wenn seine Schützlinge in den Stall kamen, würde er ganz genau wissen, wie es jedem einzelnen Pferd ging und was nötig war, um das Beste in ihnen herauszuholen. Carruthers war der erfahrenste Trainer in ganz Newmarket, er kannte seine Pferde besser als seine Kinder, und genau deshalb hatte Demon ihn geplagt und verfolgt, bis er endlich einverstanden gewesen war, Demons Pferde zu trainieren und seine Zeit ausschließlich Demons Pferden zu widmen.
Demon sah wieder zu dem großen Braunen. »Dieser Junge auf The Flynn - er ist neu, nicht wahr?«, murmelte er.
»Aye«, antwortete Carruthers, doch er ließ den Blick nicht von den Pferden. »Es ist ein Junge aus Lidgate. Ickley ist abgehauen - wenigstens nehme ich das an. Er ist eines Morgens nicht mehr aufgetaucht, und seither habe ich ihn nicht mehr gesehen. Ungefähr eine Woche später kam der junge Flick und suchte nach Arbeit, also habe ich ihn auf eines der reizbaren Pferde gesetzt.« Carruthers deutete mit dem Kopf in die Richtung, in der The Flynn gerade ritt. Er hielt Schritt mit dem Rest der Pferde, und die kleine Gestalt auf seinem Rücken hatte ihn erstaunlich gut im Griff. »Er hat dieses Pferd ganz leicht geritten, also habe ich ihn auf The Flynn gesetzt. Noch nie habe ich gesehen, dass ein Pferd so willig seine Arbeit getan hat. Der Junge hat das richtige Händchen, daran besteht kein Zweifel. Ein ausgezeichnetes Händchen und einen guten Hintern.«
Demon gestand sich insgeheim, dass er da nicht widersprechen konnte. »Gut« war jedoch nicht das Adjektiv, das er benutzt hätte. Aber er musste sich geirrt haben. Carruthers war ein zuverlässiges Mitglied der Bruderschaft, er war der Letzte, der eine Frau auf eines seiner Pferde steigen lassen würde, geschweige denn, der einer Frau The Flynn anvertrauen würde.
Und dennoch …
In seine Gedanken hatte sich ein leiser Zweifel eingeschlichen, eine ständige Störung, etwas, das stärker war als nur Misstrauen. Und auf einer ganz bestimmten Ebene - auf der Ebene, die von seinem Gefühl beherrscht wurde - wusste er, dass er sich nicht irrte.
Kein Junge hatte einen solchen Hintern.
Dieser Gedanke rief ihm den Anblick wieder ins Gedächtnis. Demon trat unruhig von einem Fuß auf den anderen und fluchte innerlich. Er hatte die Gräfin erst vor wenigen Stunden verlassen, seine lüsternen Dämonen sollten eigentlich gar nicht munter sein, geschweige denn, ihren Kopf heben. »Dieser Flick …« Als er den Namen aussprach, fühlte er einen Anflug - eine Erinnerung? Wenn der Junge hier aus der Gegend kam, war er ihm vielleicht schon einmal begegnet. »Wie lange ist er schon bei uns?«
Carruthers war noch immer in den Anblick der Pferde versunken, die jetzt abgekühlt wurden, ehe sie zurück in den Stall kamen. »Ungefähr zwei Wochen.«
»Und er arbeitet den ganzen Tag?«
»Ich habe ihn nur auf halbe Bezahlung gesetzt - eigentlich brauchte ich bei der Stallarbeit keine Hilfe mehr. Ich brauchte ihn nur zum Reiten - zum Training und zum Galoppieren. Wie es sich herausstellte, passte ihm das recht gut. Seiner Mutter geht es nicht so gut, also kommt er hierher geritten, macht am Morgen die Arbeit im Stall und reitet dann nach Lidgate zurück, um sich um seine Mutter zu kümmern, und am Nachmittag kommt er wieder.«
»Hm.« Die ersten Pferde kamen bereits zurück, Demon trat in den Stall, und zusammen mit Carruthers stand er an dem Platz, an dem die Pferde abgesattelt wurden, als die Jungen auf ihren Pferden in den Stall geritten kamen. Die meisten der Jungen kannte er. Während sie einander begrüßten und die letzten Neuigkeiten austauschten, während Demon mit Kennerblick seine Pferde betrachtete, ließ er doch The Flynn nicht aus dem Auge.
Flick ritt am Ende der Reihe. Er hatte höchstens mal kurz mit dem Kopf genickt und ab und zu ein Wort mit den anderen Jungen gewechselt. Inmitten der allgemeinen Kameradschaft schien Flick ein Einzelgänger zu sein. Aber die anderen Jungen schienen nichts Ungewöhnliches darin zu sehen. Sie gingen an ihm vorüber, während er auf dem riesigen Braunen herangeritten kam, dem Pferd den seidigen Hals tätschelte, und Demon konnte an den Ohren des Tieres erkennen, dass Flick ihm anerkennende Worte zumurmelte. Innerlich fluchte Demon und fragte sich noch einmal, ob er sich wirklich geirrt haben konnte.
The Flynn kam als Letzter in den Stall. Demon hatte die Hände in die Hüften gestützt. Er stand neben Carruthers im Schatten, der durch die strahlend helle Sonne im Westen noch tiefer wurde. Flick ließ den Braunen noch einmal tänzeln, dann beruhigte er ihn und lenkte ihn in den Stall. Als die Hufe des Pferdes auf den Pflastersteinen dröhnten, sah Flick auf.
Augen, die an das Sonnenlicht gewöhnt waren, blinzelten, richteten sich auf Carruthers und glitten dann schnell weiter zu Demon.
Flick zog die Zügel an und riss seine Augen auf.
Einen angespannten Augenblick lang starrten Eigentümer und Reiter einander an. Dann zerrte Flick an den Zügeln, The Flynn wirbelte herum, und Flick warf Carruthers einen entsetzten Blick zu. »Er ist immer noch unruhig - ich reite noch einmal schnell los.« Mit diesen Worten waren die beiden verschwunden wie in einem Wirbelwind.
»Was, zum …!« Carruthers machte ein paar Schritte nach vorn, dann blieb er stehen, weil er wusste, dass jede Verfolgung vergeblich wäre. Verwirrt wandte er sich an Demon. »So etwas hat er noch nie zuvor gemacht.«
Ein Fluch war Demons einzige Antwort. Er rannte bereits den Gang entlang. An der ersten offenen Box blieb er stehen, wo gerade einer der Jungen den Sattelgurt eines der kräftigeren Pferde löste.
»Lass das.« Demon schob den Jungen beiseite. Mit einer Handbewegung befestigte er den Gurt wieder, dann sprang er in den Sattel und lenkte das Pferd rückwärts aus der Box.
»Hier - ich kann einen der Jungen hinter ihm herschicken.« Carruthers trat einen Schritt zurück, als Demon auf dem Pferd an ihm vorüberritt.
»Nein, überlassen Sie das nur mir. Ich knöpfe mir den Jungen schon vor.«
Demon bezweifelte, dass Carruthers die doppelte Bedeutung verstanden hatte, doch er hatte nicht die Absicht, anzuhalten und ihm eine Erklärung zu geben. Er murmelte ein paar Worte vor sich hin, dann machte er sich an die Verfolgung.
In dem Augenblick, als sein Pferd den Stall hinter sich gelassen hatte, grub er ihm die Fersen in die Seiten, und das Pferd ging vom Trab über zum Galopp. Zu diesem Zeitpunkt hatte Demon seine Beute schon erspäht, die weit weg gerade im Schatten von einigen Bäumen verschwand. Hätte er noch eine Minute länger gezögert, er hätte sie verloren.
Er biss die Zähne zusammen und kämpfte mit den Steigbügeln, während er weiterritt. Seine Flüche verwehten im Wind. Endlich hatte er die Steigbügel richtig eingestellt, setzte sich im Sattel zurecht und machte sich an die Verfolgung.
Die auf und ab hüpfende Gestalt auf The Flynn warf einen Blick zurück und sah dann wieder nach vorn. Eine Sekunde später vergrößerte The Flynn sein Tempo.
Demon änderte die Richtung und versuchte, die Lücke zu schließen, indem er diagonal ritt - doch dann stellte er fest, dass er dadurch nur auf unebenes Gelände kam. Er war gezwungen, langsamer zu reiten und sich seitwärts zu wenden. Als er aufsah, stellte er fest, dass Flick abrupt in die andere Richtung gewechselt war. Statt die Entfernung zu verkürzen, war der Abstand zwischen ihnen noch gewachsen.
Demon schob entschlossen sein Kinn vor und kniff die Augen zusammen, er vergaß seine Flüche und konzentrierte sich auf seinen Ritt. Innerhalb von zwei Minuten hatte er seinen ursprünglichen Plan geändert - Flick einzuholen und eine Erklärung zu verlangen -, jetzt war er nur noch darauf aus, diese verdammte Frau nicht aus den Augen zu verlieren.
Sie ritt wie der Teufel - oder sogar noch besser. Es schien nicht möglich, aber …
Er selbst war ein ausgezeichneter Reiter, wahrscheinlich der geschickteste Reiter seiner Zeit. Er konnte alles reiten, was vier Beine und eine Mähne hatte, überall, auf jedem Gelände. Aber Flick bot ihm eine fröhliche Jagd. Und dabei war es nicht einmal so, dass sein Pferd bereits müde war oder dass er wesentlich schwerer war als sie. Auch The Flynn war müde, und er wurde noch härter geritten. Flick floh vor ihm, und er folgte ihr nur. Doch sie schien mit ihrem Pferd eins geworden zu sein, auf eine Art, die nur ein anderer Experte richtig verstehen konnte.
Er verstand es und konnte nicht anders, als sie brummend zu bewundern, selbst dann noch, als ihm klar wurde, dass es keinerlei Hoffnung für ihn gab, sie einzuholen.
Sie. Daran bestand jetzt kein Zweifel mehr. Jungen hatten nicht so zierliche Schultern, so schwanengleiche Hälse und Hände, die sogar noch in Lederhandschuhen klein und schmal wirkten. Und was ihr Gesicht betraf: das wenige, das er davon über dem dicken Wollschal gesehen hatte, den sie um Nase und Kinn gebunden hatte, war viel madonnenhafter gewesen als das Gesicht eines Mannes.
Eine Frau mit dem Namen Flick. Irgendwo in seinem Kopf erwachte eine Erinnerung, doch viel zu schwach, um ihm ein richtiges Bild zu geben. Er versuchte, diese Erinnerung ans Licht zu bringen, aber das gelang ihm nicht. Er war sicher, noch niemals eine Frau Flick genannt zu haben.
Sie war noch immer gut eine Viertelmeile vor ihm, und sie hielt diesen Abstand mit Leichtigkeit. Sie ritten jetzt direkt nach Westen, hinaus auf die weniger belebte Heide. Sie waren an einigen der Pferde vorübergeritten, die draußen trainierten, und die Reiter hatten überrascht die Köpfe gehoben, um ihnen nachzusehen. Demon bemerkte, dass Flick sich noch einmal umschaute, und einen Augenblick später änderte sie erneut die Richtung. Mit grimmiger Entschlossenheit kniff Demon die Augen vor der untergehenden Sonne zusammen und folgte ihr.
Er war vielleicht nicht in der Lage, sie einzuholen, aber er würde sie, verdammt noch mal, nicht aus den Augen verlieren.
Sogar Flick hatte seinen Entschluss mittlerweile begriffen. Sie stellte ein paar Überlegungen an über die Schwerenöter, die in London lebten und sich dann ohne Vorankündigung entschieden, ihr Gestüt zu besuchen, um sich ihr in den Weg zu stellen, sie aus der Bahn zu werfen und sie in eine lächerliche Nervosität zu versetzen, doch dann erwog sie irritiert und ein wenig verzweifelt ihre Möglichkeiten.
Viele waren es nicht. Und auch wenn sie leicht noch eine Stunde so weiterreiten könnte, so konnte The Flynn das nicht. Und das Pferd, auf dem Demon ritt, war noch viel schlimmer dran. Trotz ihrer Panik hatte es keinen Zweck, noch weiter vor ihm davonzulaufen.
Sie würde sich auf die eine oder andere Art, entweder jetzt oder ein wenig später, Demon stellen müssen. Sie wusste nicht, ob er sie erkannt hatte, aber in diesem einen Augenblick des Schreckens im Stall, als der Blick seiner blauen Augen auf ihr geruht hatte, hatte sie den Eindruck gehabt, dass er ihre Verkleidung durchschaut hatte.
In der Tat hatte sie den Eindruck gehabt, dass er direkt durch ihre Kleidung hatte hindurchsehen können - ein deutlich unangenehmes Gefühl.
Und dennoch, selbst wenn er erkannt hatte, dass sie eine Frau war, so hatte doch ihre impulsive Reaktion eine Konfrontation unvermeidlich gemacht. Sie war weggelaufen - und das konnte sie ihm unmöglich erklären, nicht, ohne ihm viel zu viele Andeutungen über ihre Identität zu geben.
Sie versuchte, zu Atem zu kommen, und warf einen Blick zurück. Er war noch immer da; entschlossen verfolgte er sie. Sie wandte den Kopf wieder nach vorn und sah sich um. Sie war zuerst nach Westen geritten, dann nach Süden, war um die Ställe und die Weiden herumgeritten, der Rennbahn ausgewichen und dann weiter auf die offene Heide geflohen. Sie warf einen Blick zur Sonne. Es war mindestens noch eine Stunde Zeit bis zur Dämmerung. Da alle anderen zurück in den Ställen waren, wo sie die Pferde für die Nacht vorbereiteten, lag dieser Teil der Heide jetzt verlassen da. Wenn sie einen Ort finden könnte, an dem sie einigermaßen versteckt waren, dann wäre das eine gute Stelle für eine Unterredung, der sie, wie es schien, jetzt sowieso nicht mehr ausweichen konnte.
Ehrlichkeit war ihre einzige Möglichkeit. Und das war ihr auch lieber - Lügen und Ausflüchte waren nie ihr Stil gewesen.
Etwa hundert Meter weiter entdeckte sie eine Hecke. Ihre Erinnerung sagte ihr, was dahinter lag. The Flynn wurde langsam müde. Sie beugte sich vor und streichelte seinen glänzenden Hals, flüsterte ihm Worte des Lobes zu und ermunterte ihn. Dann bereitete sie ihn auf die Hecke vor.
The Flynn flog darüber hinweg und kam problemlos dahinter auf. Flick fühlte einen Augenblick lang ein heißes Glücksgefühl, dann lenkte sie das Pferd nach links in die langen Schatten einer kleinen Baumgruppe. An der Stelle zwischen der Hecke und der Baumgruppe, die von drei Seiten nicht einzusehen war, zügelte sie das Pferd und wartete.
Und wartete.
Nach fünf Minuten begann sie sich zu fragen, ob Demon im entscheidenden Augenblick vielleicht weggesehen hatte und so nicht bemerkt hatte, wohin sie geritten war. Als noch eine weitere Minute verging und sie kein Hufgetrappel hörte, runzelte sie die Stirn und richtete sich in ihrem Sattel auf. Sie wollte gerade die Zügel anziehen und ihr Versteck verlassen, um ihren Verfolger zu suchen, als sie ihn entdeckte.
Er war nicht über die Hecke gesprungen. Trotz seines Wunsches, sie einzuholen, hatte die Sorge um sein Pferd den Vorrang gehabt. Er war an der Hecke entlanggeritten, bis er eine Lücke gefunden hatte. Jetzt kam er angetrabt, im Licht des späten Nachmittags, seine breiten Schultern waren gestrafft, die langen Beine entspannt, den Kopf hatte er erhoben, und die Sonne warf einen goldenen Schein auf sein glänzendes Haar. Sein Gesicht war grimmig verzogen, als er mit den Augen das Gebiet vor sich absuchte und sie zu entdecken versuchte.
Flick erstarrte. Es war verlockend - so verlockend -, still sitzen zu bleiben. Sie konnte ihn in aller Ruhe betrachten, konnte ihn an sich vorbeireiten lassen und ihre Sinne befriedigen, während sie in ihrem sicheren Versteck blieb. Wenn sie kein Geräusch machte, würde er sie wahrscheinlich nicht entdecken. Sie würde sich ihm nicht stellen müssen … doch leider gab es auf diesem Weg zu viele Hürden. Sie reckte sich, riss sich zusammen und hob das Kinn. »Demon!«
Sein Kopf fuhr herum. Er lenkte sein Pferd in ihre Richtung und entdeckte sie dann. Selbst auf diese Entfernung erkannte sie seinen bohrenden Blick, dann sah er sich die Umgebung an. Offensichtlich zufrieden lenkte er seinen Grauen auf sie zu und verlangsamte das Tempo.
Er trug einen eleganten Rock, so blau, dass er zu seinen Augen passte, seine langen Schenkel steckten in einer eng anliegenden Lederhose. Dazu trug er ein elfenbeinfarbenes Hemd, eine elfenbeinfarbene Halsbinde und glänzende Stiefel. Er sah genauso aus, wie sie ihn sich immer vorstellte - der Ausbund eines Schwerenöters aus London.
Flicks Blick ruhte auf seinem Gesicht, und sie wünschte sich sehr, dass sie größer wäre. Je näher er kam, desto kleiner fühlte sie sich, immer mehr wie ein Kind. Sie war aber kein Kind mehr, auch wenn sie ihn schon seit ihrer Kinderzeit kannte. Es fiel ihr schwer, das nötige Selbstvertrauen aufzubringen. Mit der Kappe, unter der ihr Gesicht im Schatten lag, ihrem Schal, der Nase und Kinn bedeckte, konnte sie sich nicht vorstellen, wie er sie sah - als Mädchen mit Zöpfen oder als junge Dame, die bemüht gewesen war, ihm aus dem Weg zu gehen. Sie war beides gewesen, doch nichts davon zählte jetzt mehr. Jetzt befand sie sich auf einem Kreuzzug, bei dem sie seine Hilfe gebrauchen konnte. Wenn er damit einverstanden war, ihr diese Hilfe zu gewähren.
Unter ihrem Schal presste sie die Lippen zusammen, dann hob sie ihr Kinn und hielt seinem wütenden Blick stand.
Demons Erinnerungen waren geweckt, als er sein Pferd in den Schatten der Baumgruppe lenkte. Sie hatte ihn »Demon« genannt - nur jemand, der ihn kannte, würde ihn so nennen. Bilder aus der Vergangenheit kamen und gingen, Bruchstücke aus den Jahren eines Kindes, eines Mädchens, das ihn Demon nannte, ohne dabei zu erröten. Bilder eines Mädchens, das reiten konnte - o ja, geritten war sie schon immer, aber wann hatte sie es zu einer solchen Meisterschaft gebracht? -, ein Mädchen, dem er schon vor langer Zeit die Qualitäten zugeschrieben hatte, die Carruthers einen »guten Hintern« nannte - dieser offene Mut, der schon beinahe an Leichtsinn grenzte.
Als er sein Pferd gegenüber von The Flynn anhielt, hatte er sich ein gutes Bild von ihr gemacht. Sie war nicht Flick. Sie hieß Felicity.
Seine Augen hatte er zu Schlitzen zusammengezogen, als er sie jetzt eindringlich ansah, dann streckte er die Hand aus und zog ihr den Schal vom Gesicht.
Und stellte fest, dass er in das Gesicht eines Engels von Botticelli sah.
Er ertrank fast in diesen klaren blauen Augen, die heller waren als seine. Sein Blick wurde unwiderstehlich angezogen von einem Mund, der perfekt geformt war, und von Lippen von dem zartesten Rosa, das er je gesehen hatte.
Er holte Luft, zog sich ein wenig von ihr zurück und war innerlich erschrocken darüber, wie tief er bereits in sie versunken war. Er schüttelte die Verzauberung ab, dann warf er der Ursache dieser Verzauberung einen bösen Blick zu. »Was, zum Teufel, denkst du dir eigentlich?«
2
Sie hob das Kinn - ein zierliches, ein wenig spitzes Kinn, das entschieden störrisch aussah.
»Ich verkleide mich als Stallbursche in deinem Stall, damit ich …«
»Was für ein verdammt dummer Spaß! Was, zum Teufel …«
»Es ist kein Spaß!« Ihre blauen Augen blitzten, ihr Gesichtsausdruck wurde kampflustig. »Ich tue es für den General!«
»Für den General?« General Sir Gordon Caxton war Demons Nachbar und Mentor und Felicitys - Flicks - Vormund. Demon verzog grimmig das Gesicht. »Du willst doch nicht etwa behaupten, dass der General etwas davon weiß?«
»Natürlich nicht!«
The Flynn bewegte sich. Mit fest zusammengepressten Lippen wartete Demon, während Flick das große Tier beruhigte.
Ihr Blick ruhte einen Augenblick lang auf ihm, irritiert und abschätzend, dann sah sie ihm ins Gesicht.
»Es ist alles wegen Dillon.«
»Dillon?« Dillon war der Sohn des Generals. Flick und Dillon waren im gleichen Alter. Demons letzte Erinnerungen an Dillon waren die an einen dunkelhaarigen Jungen, der großspurig im Haus des Generals in Hillgate End herumlief, angab und unverdiente Aufmerksamkeit forderte.
»Dillon steckt in Schwierigkeiten.«
Demon hatte den deutlichen Eindruck, dass sie nur mit Mühe das Wort »wieder einmal« vermied.
»Er wurde verwickelt - ganz ungewollt - in eine Gaunerei, bei der der Ausgang von Pferderennen abgesprochen wird.«
»Was?« Er biss sich auf die Zunge und beruhigte dann sein Pferd. Bei der Erwähnung von Rennbetrug lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken.
Flick sah ihn mit gerunzelter Stirn an. »Das ist eine Sache, bei der die Jockeys dafür bezahlt werden, ein Pferd zurückzuhalten oder ein Durcheinander zu verursachen oder …«
Er sah sie wütend an. »Ich weiß, worum es bei einem Rennbetrug geht. Das erklärt allerdings noch nicht, was du damit zu tun hast.«
»Ich habe nichts damit zu tun!« Ihre Wangen röteten sich vor Empörung.
»Und was tust du dann hier, verkleidet als Stalljunge?«
Ihre sanften blauen Augen blitzten. »Wenn du aufhören würdest, mich zu unterbrechen, dann wäre ich in der Lage, es dir zu erklären!«
Demon riss sich zusammen und wartete. Nach einem Augenblick des Schweigens trafen sich ihre Blicke, Flick nickte und reckte dann das Kinn vor.
»Dillon wurde vor ein paar Wochen von einem Mann angesprochen und gebeten, einem Jockey eine Nachricht zu überbringen, in der es um das erste Rennen der Saison ging. Er hat keinen Grund dafür gesehen, warum er das nicht tun sollte, also hat er zugestimmt. Ich habe angenommen, dass er geglaubt hat, es wäre ein Spaß - oder dass er darin eine Möglichkeit gesehen hat, noch mehr in den engeren Kreis um die Rennen einbezogen zu werden -, und er erklärte sich damit einverstanden, dem Jockey diese Nachricht zu überbringen. Am Ende hat er es dann doch nicht getan. Er konnte nicht hingehen, denn er wurde krank, er bekam eine Erkältung, und Mrs. Fogarty und ich bestanden darauf, dass er im Bett blieb - wir haben ihm sogar seine Kleidung weggenommen, also hatte er gar keine andere Wahl. Natürlich hat er uns nicht gesagt, warum er so verzweifelt versucht hat aufzustehen. Wenigstens damals nicht.«
Sie holte tief Luft. »Also wurde die Nachricht nicht überbracht. Es war eine Anweisung, bei dem Rennen zu betrügen, und am Ende gab es diesen Betrug nicht. Und jetzt scheint es so zu sein, dass dieser Mann, der damals mit Dillon gesprochen hat, für so eine Art Syndikat arbeitet - irgendeine Gruppe -, und weil bei dem Rennen nicht betrogen wurde und sie das nicht gewusst haben, haben sie eine Menge Geld verloren.«
Sie seufzte. »Männer haben nach Dillon gesucht - grobe Männer. Glücklicherweise hat Jacobs und Mrs. Fogarty ihre Art nicht gefallen, und die beiden haben behauptet, dass Dillon verreist ist. Also hat er sich jetzt versteckt und fürchtet um sein Leben.«
Demon holte tief Luft und setzte sich in seinem Sattel zurecht. Nach allem, was er von diesen fragwürdigen Typen wusste, die sich mit Rennbetrug abgaben, hatte Dillon einen guten Grund, sich Sorgen zu machen. Er betrachtete Flick. »Wo versteckt er sich?«
Sie reckte sich und sah ihn eindringlich an. »Das kann ich dir nicht sagen - es sei denn, du bist bereit, uns zu helfen.«
Demon begegnete ihrem Blick ernst und entschieden ärgerlich. »Natürlich werde ich euch helfen!« Was glaubte sie denn von ihm? Insgeheim fluchte er. »Wie wird der General das verarbeiten, wenn man seinen Sohn beschuldigt, beim Rennen betrogen zu haben?«
Flicks Gesichtsausdruck wurde sofort weicher. Demon wusste, dass er sie nicht besser hätte überzeugen können. Sie war diesem Mann mehr ergeben, als wenn sie seine eigene Tochter gewesen wäre, und verhielt sich dem alternden General gegenüber sehr fürsorglich. Sie hielt unendlich viel von ihm, genau wie er von ihr. Schließlich nickte sie anerkennend.
»Genau. Und das, so fürchte ich, ist eines der Dinge, vor dem wir ganz besondere Angst haben, denn der Mann, der Dillon angesprochen hat, hat ganz genau gewusst, dass er der Sohn des Generals ist.«
Insgeheim verzog Demon das Gesicht. Der General war ein herausragender Experte auf dem Gebiet der englischen und irischen Pferdezucht und wurde in der ganzen Rennbranche verehrt. Das Syndikat hatte gut geplant. »Also, wo versteckt Dillon sich?«
Flick betrachtete ihn nachdenklich, warf ihm einen letzten abschätzenden Blick zu. »In einem heruntergekommenen Häuschen, am anderen Ende deines Landes.«
»Meines Landes?«
»Das war sicherer als irgendwo auf dem Landsitz von Caxton.«
Da konnte er nicht widersprechen - der Caxton-Landsitz bestand nur aus dem Haus und dem umliegenden Park. Der General hatte ein Vermögen in Fonds investiert und brauchte keine Ländereien, die ihn nur ablenken würden. Er hatte schon vor Jahren sein Land verkauft - Demon selbst hatte damals einiges davon gekauft. Jetzt warf er Flick einen Blick zu, die es sich auf dem Rücken von The Flynn bequem gemacht hatte. »Meine Pferde, mein Haus - was hast du sonst noch von mir benutzt?«
Sie errötete ein wenig, doch sie antwortete nicht. Demon konnte nicht anders, als zu bemerken, wie sanft ihre Haut war, makellose elfenbeinfarbene Seide, die jetzt rosig angehaucht war. Sie war der Traum eines jeden Malers, sogar Botticelli hätte ihr zu Füßen gelegen. Der Gedanke ließ die nur hauchdünn bekleideten Engel des Malers vor seinem inneren Auge erstehen, und er stellte sich Flick ähnlich bekleidet vor. Und dann kam ihm die verlockende Frage, wie diese elfenbeinfarbene Haut, von der er schwören könnte, dass sie an ihrem ganzen Körper so aussah, wohl sein würde, wenn sie vor Leidenschaft gerötet war.
Abrupt riss er sich zusammen. Guter Gott - was dachte er da nur? Flick war das Mündel des Generals und nicht viel mehr als ein Kind. Wie alt war sie wohl? Mit gerunzelter Stirn betrachtete er sie. »Nichts von allem, was du mir erzählt hast, erklärt, was du hier tust, so gekleidet, auf meinem Pferd.«
»Ich habe gehofft, dass ich vielleicht den Mann identifizieren kann, der sich mit Dillon in Verbindung gesetzt hat. Dillon ist ihm nur bei Nacht begegnet - er hat ihn nicht gut genug gesehen, um ihn erkennen oder beschreiben zu können. Und jetzt, wo Dillon nicht da ist, um als Bote zu fungieren, wird der Mann mit jemand anderem in Kontakt treten müssen, mit jemandem, der Verbindung zu den Rennjockeys hat.«
»Also hängst du am Morgen und am Nachmittag in meinem Stall herum und hoffst, dass dieser Mann auf dich zukommen wird?« Entsetzt starrte er sie an.
»Nicht auf mich. Auf einen der anderen - einen der älteren Jungen, der all die Rennjockeys kennt. Ich bin nur hier, um aufzupassen und alles zu hören.«
Noch immer starrte er sie an, während er in Gedanken all die Lücken in ihrem Plan durchging. Offensichtlich musste er eine Lücke nach der anderen füllen. »Wie, zum Teufel, hast du Carruthers davon überzeugt, dich einzustellen? Oder weiß er etwa Bescheid?«
»Natürlich nicht. Niemand weiß etwas. Aber es war nicht schwer, diese Arbeit zu bekommen. Ich habe gehört, dass Ickley verschwunden ist - man hatte Dillon gesagt, dass Ickley damit einverstanden war, für diese Saison als Bote zu arbeiten, doch er hat im letzten Augenblick seine Meinung geändert. Deshalb ist man ja auch auf Dillon zugegangen. Also wusste ich, dass Carruthers einen Mann zu wenig hatte.«
Demon presste die Lippen zusammen, und Flick sprach weiter. »Ich habe mich also entsprechend gekleidet.« Mit einer ausladenden Handbewegung deutete sie auf ihre Kleidung. »Und dann bin ich zu Carruthers gegangen. Alle in Newmarket wissen, dass Carruthers nicht so gut sehen kann, also habe ich nicht angenommen, dass ich Schwierigkeiten bekommen würde. Ich brauchte nur für ihn zu reiten, und er würde mich einstellen.«
Demon unterdrückte einen Fluch. »Und was ist mit den anderen - den anderen Jungen und den Jockeys? Sie sind nicht alle halb blind.«
Der Blick, mit dem Flick ihn bedachte, war der Ausbund weiblicher Verachtung. »Hast du jemals in einem Stall gestanden und gesehen, wie oft die Männer - die Jungen oder auch die Trainer - einander ansehen? Die Pferde, ja, die sehen sie an, aber mehr als einen Blick schenken sie den anderen Männern nicht, die neben ihnen arbeiten. Die anderen sehen mich die ganze Zeit, aber sie schauen nie genau hin. Du bist der Einzige, der hingesehen hat.«
Ihre Stimme klang vorwurfsvoll. Demon schluckte die Antwort hinunter - dass er hätte tot sein müssen, um sie nicht zu bemerken. Er widerstand auch dem Wunsch, ihr zu sagen, dass sie ihm dafür hätte dankbar sein sollen, denn allein der Gedanke, auf was sie sich so unbedacht eingelassen hatte, als sie sich darangemacht hatte, ein Syndikat zu enthüllen, das bei den Rennen betrog, schickte ihm einen eisigen Schauer über den Rücken.
Syndikate, die bei den Rennen betrogen, waren gefährlich, sie wurden kontrolliert von Männern, denen das Leben anderer nichts bedeutete. Das Leben von Menschen wie Ickley. Demon nahm sich vor, herauszufinden, was mit Ickley geschehen war. Der Gedanke, dass Flick sich als Ickleys Ersatz gemeldet hatte, genügte, um ihm graue Haare wachsen zu lassen. Als er jetzt in ihr Gesicht sah und ihre Entschlossenheit erkannte, lag es ihm auf der Zunge, sie sofort wieder zu entlassen.
Doch die Erinnerung daran, wie sie zuvor ihr Kinn vorgeschoben hatte, brachte ihn dazu, seine Worte zurückzuhalten. Ein hübsches kleines Kinn, zierlich geformt. Und viel zu störrisch.
Es gab eine ganze Menge, was er noch nicht wusste und noch nicht verstand.
Die Pferde hatten sich mittlerweile abgekühlt, langsam sank die Sonne. Sein Pferd bewegte sich unruhig, und Demon holte tief Luft. »Lass uns zurückreiten, dann werde ich Dillon einen Besuch abstatten.«
Flick nickte und lenkte The Flynn aus dem Schatten. »Ich werde mitkommen. Nun ja, ich muss mitkommen. Denn dort ziehe ich mich um und wechsele die Pferde.«
»Die Pferde?«
Sie warf ihm einen vorsichtigen Blick zu. »Ich kann wohl kaum auf Jessamy zur Arbeit reiten - das würde ganz sicher auffallen.«
Jessamy, erinnerte sich Demon, war eine anmutige Stute von außergewöhnlicher Abstammung, die der General im letzten Jahr gekauft hatte. Offensichtlich für Flick. Er schaute sie an. »Und …?«
Flick holte tief Luft, dann sah sie in die Ferne. »Also habe ich mir das kleine alte Pferd geborgt, das du auf deiner Weide stehen hast. Ich reite ihn höchstens im Trab, wenn überhaupt, und ich gehe sehr sorgfältig mit ihm um.«
Sie sah auf, und er hielt ihren Blick gefangen. »Hast du dir sonst noch etwas von mir ausgeborgt?«
Ihre großen blauen Augen wurden noch größer. »Ich glaube nicht.«
»Also gut. Wir reiten auf diesen beiden Pferden zurück, dann kletterst du auf den alten Gaul und reitest nach Hause. Ich werde in meinem Wagen wegfahren. Ich fahre nach Hause, und dann reite ich los. Wir werden uns an der geborstenen Eiche auf dem Weg nach Lidgate treffen.«
Sie nickte. »Gut. Aber wir müssen uns beeilen. Komm schon.« Sie beugte sich vor und trieb The Flynn ohne große Mühe zum Trab an.
Und ihm blieb nichts anderes, als ihr nachzustarren. Mit einem Fluch grub er seinem Pferd die Fersen in die Seiten und ritt ihr hinterher.
Er erreichte die geborstene Eiche vor ihr.
Als sie endlich erschien, auf dem alten Gaul, der seine beste Zeit längst hinter sich hatte, hatte Demon entschieden, dass, was auch immer mit Dillon los sein würde, er dafür sorgen würde, dass eines deutlich war: Von jetzt an hatte er das Sagen. Sie hatte ihn um seine Hilfe gebeten, und die würde sie auch bekommen. Doch nur zu seinen eigenen Bedingungen.
Von jetzt an würde er führen, und sie würde ihm folgen.
Als sie näher kam, glitt ihr Blick von ihm zu seinem Pferd, einem verwegenen grauen Jagdpferd, das den bezeichnenden Namen Ivan der Schreckliche trug. Er war ein stolzes und hinterhältiges Tier, mit einem gefährlichen, potenziell tödlichen Temperament. Als der alte Gaul näher kam, rollte Ivan mit den Augen und stampfte mit den Hufen.
Der Gaul war viel zu alt, um auch nur im Geringsten davon beeindruckt zu sein. Flick zog allerdings die Augenbrauen hoch und betrachtete mit Kennerblick Ivan, während sie die Zügel anzog. »Ich weiß, dass ich den noch nicht gesehen habe.«
Demon antwortete nicht. Er wartete - und wartete -, bis sie sein Pferd eingehend betrachtet hatte und ihm ins Gesicht sah. Dann erst lächelte er. »Ich habe ihn im letzten Jahr gekauft.« Flicks Augen, die auf seinem Gesicht ruhten, weiteten sich ein wenig. »Oh«, sagte sie nur, dann sah sie weg.
Seite an Seite ritten sie weiter, der Gaul trottete gelassen dahin, während Ivan ruhelos einen Huf vor den anderen setzte. »Was hast du Carruthers gesagt?«, wollte Flick wissen, die ihm einen schnellen Blick von der Seite zuwarf. Auf dem Weg zurück in den Stall war Flick vorangeritten. Carruthers hatte mit den Händen in den Hüften an der Stalltür gewartet. Demon, der hinter Flick geritten war, hatte ihm zugewinkt zu verschwinden. Carruthers hatte ihn verständnislos angestarrt, doch als Flick dann auf The Flynn herangetrabt kam, war er zur Seite getreten und hatte sie ohne eine weitere Frage vorbeigelassen. Zu diesem Zeitpunkt waren Carruthers und der Nachtwächter, ein pensionierter Jockey, die einzigen Männer im Stall gewesen.
Demon hatte sein Pferd dem Nachtwächter übergeben, der es absatteln sollte, dann hatte er sich darangemacht, Carruthers zu beruhigen.
»Ich habe ihm erzählt, dass ich dich schon als kleines Kind kannte, dass du aus der Nähe von Lidgate kommst und dass du Angst hattest, dass ich dich sofort wegschicken würde, wenn ich dich erkennen würde.« Die Dämmerung brach herein, und sie ritten so schnell, wie es für den alten Gaul möglich war. »Doch nachdem ich dich reiten gesehen habe und du mir von deinem inbrünstigen Wunsch erzählt hast, mit meinen Pferden zu arbeiten, war ich einverstanden, dass du bleiben kannst.«
Flick runzelte die Stirn. »Er ist reingekommen und hat mich förmlich weggeschoben. Er hat behauptet, er würde The Flynn schon versorgen und ich sollte so schnell wie möglich nach Hause gehen.«
»Ich habe erwähnt, dass ich deine kranke Mutter kenne, und habe ihm gesagt, sie würde sich Sorgen machen, wenn du nicht pünktlich zu Hause wärst, und ich habe Carruthers angewiesen, dass du keine Arbeiten verrichten solltest, bei denen du noch spät im Stall sein musst, denn du musst genügend Zeit haben, um noch vor der Dunkelheit nach Hause zu kommen.«
Obwohl Demon die Landschaft betrachtete und Flick nicht ansah, so bemerkte er doch ihren misstrauischen Blick. Er bestätigte ihn in seiner Meinung, dass sie nichts von den anderen Anweisungen zu erfahren brauchte, die er seinem Trainer gegeben hatte. Carruthers war, Gott sei Dank, kein geschwätziger Mann, und er besaß auch kein lebhaftes Vorstellungsvermögen. Er hatte ihn nur angestarrt, dann hatte er mit den Schultern gezuckt und geschwiegen.
Sie verließen die Straße und bogen auf einen Weg ein, der zwischen zwei Feldern entlanglief. Der alte Gaul, der fühlte, dass er seinem Stall und seinem Futter näher kam, brach in einen leichten Trab aus, Ivan, der gezwungen war, an seiner Seite zu bleiben, akzeptierte das Tempo schlecht gelaunt, warf den Kopf zurück und zerrte an den Zügeln.
»Er braucht offensichtlich Auslauf«, meinte Flick.
»Ich werde ihn später laufen lassen.«
»Es überrascht mich, dass du zulässt, dass er eine so schlechte Laune zeigt.«
Demon unterdrückte eine passende Antwort. »Er war hier, ich war in London, und außer mir kann niemand ihn reiten.«
»Oh.«
Flick hob den Blick und sah zu der Stelle, wo der Weg in ein kleines Wäldchen bog. Sie betrachtete die Bäume.
Unter halb gesenkten Augenlidern schaute Demon sie an. Sie hatte sein Pferd so gründlich gemustert, dass sie wahrscheinlich jede einzelne Linie seines Körpers kannte, doch ihn selbst hatte sie kaum angesehen. Ivan war in der Tat ein gut aussehendes Tier, so wie alle von Demons Pferden, doch war Demon es nicht gewöhnt, nach seinem Pferd den zweiten Platz einzunehmen. Das schien vielleicht arrogant, doch er kannte die Frauen - Mädchen und Ladys, Frauen jeder Art - sehr gut.
Es war nicht einmal einfach nur so, dass sie nicht hingeschaut hatte. Seine Sinne, die mit den Jahren geschult worden waren, konnten in der Frau neben ihm nicht den geringsten Anflug von Interesse entdecken, nicht den leisesten Schimmer von Bewusstsein.
Und das war, seiner Erfahrung nach, eigenartig. Wirklich eigenartig.
Die Tatsache, dass ihr Mangel an Bewusstsein das seine bemerkenswert ansteigen ließ, war ihm nicht entgangen, und es überraschte ihn nicht einmal, schließlich war er der geborene Jäger. Wenn seine Beute keine Deckung suchte, so sah er das als eine Herausforderung, wenigstens der Teil von ihm, der nur dem Instinkt gehorchte.
Und das war in diesem Fall vollkommen lächerlich.
Es gab keinen Grund, dass ein Mädchen wie Flick, die geruhsam auf dem Land groß geworden war, auf irgendeine sexuelle Art einen Gentleman wie ihn bemerken sollte, ganz besonders nicht einen Mann, den sie schon ihr ganzes Leben lang kannte.
Demon runzelte die Stirn und zog die Zügel fester an, weil Ivan Anstalten machte loszugaloppieren. Der große Graue schnaubte verärgert, und Demon gelang es gerade noch, nicht das Gleiche zu tun.
Noch immer hatte er keine Ahnung, wie alt sie eigentlich war. Er warf ihr einen schnellen Blick von der Seite zu und bestätigte insgeheim die Einzelheiten, die ihm bereits aufgefallen waren. Sie war schon immer zierlich gewesen, obwohl er sie in den letzten Jahren nicht mehr gesehen hatte. Heute hatte sie nur auf einem Pferd gesessen, doch bezweifelte er, dass ihr Kopf bis an seine Schulter reichen würde. Ihre Gestalt blieb ein Geheimnis für ihn, bis auf ihren eindeutig weiblichen Po - der die klassische Herzform hatte und ein wenig gerundet war. Den Rest ihres Körpers hatte sie mit ihrer Verkleidung als Stalljunge entsprechend verhüllt. Ob sie ihre Brüste eingebunden hatte, was viele andere Reiterinnen taten, konnte er nicht sagen, aber immerhin waren die Proportionen, die er erkennen konnte, recht ordentlich. Schlank und rank - es könnte sich herausstellen, dass sie recht begehrenswert war.
Auf dem Weg zurück zum Stall hatte sie ihren Schal über Nase und Kinn gezogen und somit den größten Teil ihres Gesichtes vor seinen Blicken verborgen. Ihr Haar hatte sie unter die Kappe geschoben, sodass er nicht sagen konnte, was für eine Frisur sie trug, er erinnerte sich lediglich daran, dass es die Farbe hellen Goldes hatte. Ein paar Strähnen hatten sich gelöst und hingen in ihren Nacken, wie gesponnenes Gold kräuselten sie sich um ihren Kragen.
Er sah nach vorne und machte sich Sorgen. Nicht nur die Tatsache, dass es eine Menge Dinge gab, die er von ihr nicht wusste, störte ihn. Dass er es überhaupt wissen wollte, machte ihm Sorgen. Das hier war Flick, das Mündel des Generals.
General Sir Gordon Caxton war seit Demons sechstem Lebensjahr sein Berater gewesen, in all den Dingen, die Pferde betrafen. Damals hatte er bei einem Besuch bei seiner Großtante Charlotte den General zum ersten Mal gesehen. Danach hatte er immer, wenn er in dieser Gegend war, so viel Zeit wie nur möglich mit dem General verbracht. Von ihm hatte er alles gelernt, was mit der Zucht von Pferden zu tun hatte. Der General war es gewesen, der sein Wissen mit ihm geteilt und mit seinen großzügigen Ermunterungen dazu beigetragen hatte, dass er, Demon, jetzt einer der herausragendsten Züchter von Qualitätspferden auf der britischen Insel war.
Er schuldete dem General sehr viel.
Eine Tatsache, die er niemals vergessen würde. Er tröstete sich mit diesem Gedanken, während er neben Flick her zu den Bäumen ritt, hinter denen das alte Häuschen stand.
Früher einmal war es das Heim eines Bauern gewesen, doch jetzt war es beinahe nur noch eine Ruine. Von dem ausgefahrenen Weg aus, der zu seiner verzogenen und schief in den Angeln hängenden Tür führte, sah das Haus vollkommen unbewohnt aus. Nur bei näherer Betrachtung konnte man erkennen, dass das Dach des Hauptraumes noch immer zum größten Teil in Ordnung war und die vier Wände darum noch standen.
Mit einer gebieterischen Handbewegung führte ihn Flick um das Haus herum. Demon sah kurz zum Himmel, dann folgte er ihr und ritt auf eine mit Gras bewachsene Lichtung zwischen den Bäumen. Lautes Wiehern begrüßte sie. Flick drängte den alten Gaul weiter. Als Demon über die Lichtung schaute, entdeckte er Jessamy, eine hübsche Stute mit goldenem Fell, blasser Mähne und Schweif und der herrlichsten Gestalt, die er je gesehen hatte. Sie war an einer langen Leine angebunden.
Auch Ivan hatte Jessamy entdeckt und schien mit Demon einer Meinung zu sein. Er stieg hoch und wieherte laut. Nur seine ausgezeichneten Reflexe bewahrten Demon davor, aus dem Sattel geworfen zu werden. Er unterdrückte einen Fluch, zwang Ivan wieder nach unten und lenkte ihn dann auf die andere Seite der Lichtung. Dabei ignorierte er die ein wenig beleidigenden Blicke von Flick, Jessamy und dem alten Gaul.
Demon stieg ab und band Ivan besonders fest an einen großen Baum. »Benimm dich«, befahl er dem Pferd, dann wandte er sich ab und ließ den Hengst stehen, der mit hoch erhobenem Kopf und in vollkommener Verzückung auf die andere Seite der Lichtung starrte.
Nachdem Flick den alten Gaul abgesattelt hatte, legte sie den Sattel auf einen alten Baumstumpf und tätschelte Jessamy, die ihr offensichtlich vollkommen ergeben war. Dann winkte sie Demon zu sich und führte ihn zum anderen Ende des Hauses.
Demon murmelte etwas vor sich hin, dann folgte er ihr.
Er ging um das Haus herum. Flick war nirgendwo mehr zu sehen. Ein Schuppen war auf einer Seite an das Haus angebaut, die äußere Wand war verfallen, und die Hälfte des Daches war zusammengesunken. Flick war durch eine Öffnung verschwunden, ein Zugang zum Haus, der nie geplant gewesen war. Demon hörte ihre Stimme in dem Raum hinter dem Schuppen, duckte sich unter einigen herunterhängenden Balken hindurch und schob sich dann durch eine schmale Öffnung, stieg über den Schutt hinweg und betrat das Haus.
Und er entdeckte Flick, die neben Dillon Caxton stand, der an einem Ende eines alten Tisches saß und ein paar Decken um seine Schultern gelegt hatte. Sie hatte sich über ihn gebeugt, und als Demon in das Zimmer trat, richtete sie sich mit gerunzelter Stirn wieder auf; die Hand hatte sie auf Dillons Stirn gelegt. »Du zeigst aber keine Anzeichen von Fieber.«
Dillon antwortete nicht, seine Augen, groß und dunkel, mit langen schwarzen Wimpern, waren auf Demon gerichtet. Er hustete und sah zuerst zu Flick und dann zu Demon. »Ah … hallo. Komm herein! Ich fürchte, es ist ziemlich kalt hier - wir wagen es nicht, ein Feuer anzuzünden.«
Insgeheim dachte Demon, dass dieses Haus immerhin ihm gehörte, doch er nickte nur. Auf einem so flachen Land würde man den Rauch leicht sehen können, und wenn er aus einer Gegend käme, die als unbewohnt galt, würde er sicher Aufmerksamkeit erregen. Er hielt Dillons vorsichtigem Blick stand und machte dann ein paar Schritte auf den Tisch zu, um sich einen Hocker heranzuziehen, der so aussah, als würde er sein Gewicht tragen können. »Flick hat erwähnt, dass es da irgendwelche Gentlemen gibt, deren Gesellschaft du vermeiden möchtest.«
Eine heiße Röte stieg in Dillons blasse Wangen. »Ah, ja. Flick hat gesagt, du seist bereit, uns zu helfen.« Mit einer Hand strich er eine dicke Locke seines Haares zurück, die er sich im Stil von Byron in die Stirn gekämmt hatte, dann lächelte er gewinnend. »Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich das zu schätzen weiß.«
Demon hielt einen Augenblick lang Dillons unglaublich unschuldigem Blick stand, dann setzte er sich und versagte es sich, zu erwähnen, dass er das für den General tat und für Flick und dass er sich auf ein Durcheinander einließ, das er, als Eigentümer von Rennpferden, am liebsten gleich den Behörden übergeben hätte.
Dillon entging nicht, dass Flick ein wenig die Stirn gerunzelt hatte. »Flick hat mir gar nicht gesagt, wie viel sie dir erzählt hat …«
»Genug, um zu verstehen, was los ist.« Demon stützte die Arme auf den Tisch und schaute Dillon genauer an, doch was er da entdeckte, gefiel ihm gar nicht. Die Tatsache, dass Flick beschützend neben Dillon stand, trug allerdings nur wenig zu seiner Einschätzung bei. Viel aufschlussreicher waren seine Erinnerungen und Beobachtungen, die er über die Jahre hinweg gemacht hatte, und die Tatsache einer verzwickten Lage, die nicht so war, wie Flick sie ihm in ihrer Unschuld beschrieben hatte, sondern so, wie er sie einschätzte.
Er zweifelte nicht daran, dass sie ihm wahrheitsgemäß all das erzählt hatte, was sie wusste, doch die Wahrheit, das hingegen wusste er, war wesentlich vernichtender.
Sein Lächeln verriet genau das richtige Maß männlicher Kumpelhaftigkeit, die einen Jungen wie Dillon beeindrucken würde. »Ich möchte gern deine Einschätzung der Dinge hören. Fange einfach an mit deiner Begegnung mit diesem Kerl, der dich gebeten hat, die Nachricht zu überbringen.«
»Was möchtest du denn wissen?«
»Wie, wann und wo. Erzähle mir ganz genau, was er gesagt hat.«
»Nun ja, es ist ungefähr drei Wochen her, es war kurz vor dem ersten Rennen des Jahres.«
»Kurz davor?«
Dillon nickte. »Zwei Tage vorher.«
»Zwei Tage?« Demon zog die Augenbrauen hoch. »Das scheint mir sehr knapp bemessen, um einen Betrug zu arrangieren, findest du nicht auch? Normalerweise schmieden diese Syndikate ihre Pläne schon weit im Voraus. Das ist unvermeidlich, wenn man an die Zahl der Buchmacher denkt und an die anderen Menschen, die in eine solche Sache verwickelt sind.«
Dillons Blick wurde ausdruckslos. »Oh?« Doch dann lächelte er. »Eigentlich hat dieser Mann mir auch gesagt, dass sie noch einen anderen Boten hatten - Ickley -, der im Stall gearbeitet hat und diese Aufgabe übernehmen sollte. Doch er hat wohl seine Meinung geändert. Also brauchten sie jemand anderen.«
»Und deshalb sind sie zu dir gekommen. Warum?«
Diese Frage schien Dillon zu erstaunen, doch dann zuckte er mit den Schultern. »Ich weiß es nicht - ich nehme an, sie haben jemanden gesucht, der sich auskennt. Ich kenne die Jockeys und weiß, wohin man gehen muss, um die richtigen Leute zu treffen.«
Flick setzte sich auf einen Hocker. Ihre Stirn hatte sich noch mehr gerunzelt, doch sie richtete ihre Aufmerksamkeit jetzt auf Dillon.
»Warum glaubst du, hat der Mann dich nicht gebeten, ihm einen ganz besonderen Jockey zu zeigen, mit dem er dann selbst sprechen konnte?«
Dillon zog die Augenbrauen hoch, doch nach einem kurzen Augenblick schüttelte er den Kopf. »Ich weiß nicht, worauf du hinauswillst.«
»Sicher hast du dich doch gefragt, warum dieser Mann überhaupt einen Boten brauchte?« Demon hielt Dillons Blick gefangen. »Wenn diese Botschaft unschuldig war, warum hat dieser Mann dann dich gebeten - oder sonst jemanden -, um diese Botschaft zu überbringen?«
Wieder lächelte Dillon. »Ah, aber diese Botschaft war ja gar nicht so unschuldig, musst du wissen.«
»Oh, ich verstehe«, versicherte ihm Demon. »Aber das hast du wohl nicht gewusst, ehe sie dich darum gebeten haben, nicht wahr?«
»Nun ja … nein.«
»Warum also hast du diesem Mann nicht einfach gesagt, wo er den gewissen Jockey finden konnte? Warum wolltest du zwischen den beiden vermitteln?«
»Nun ja, weil … ich denke, ich habe geglaubt, dass er nicht gesehen werden wollte … nein, das wollte er wohl nicht.«
Demon sah Dillon tief in die Augen. »Nein, in der Tat. Wie viel haben sie dir gezahlt?«
Alle Farbe wich aus Dillons Gesicht, seine Augen wurden noch dunkler und weiteten sich noch mehr. »Ich … ich weiß nicht, was du meinst.«
Demon ließ ihn nicht aus den Augen. »Ich würde sagen, das hier ist nicht die richtige Zeit für eine Lüge. Wie viel haben sie dir gezahlt?«
Dillon errötete.
Flick sprang auf. »Du hast Geld dafür genommen?« Hinter ihr fiel der Hocker zu Boden. »Du hast Geld genommen, um eine Botschaft zu überbringen, damit bei einem Rennen betrogen wurde?«
Der Vorwurf in ihrer Stimme war so heftig, dass sogar der Teufel zusammengezuckt wäre. Doch Dillon blieb ungerührt. »Es waren nur fünfzig Pfund - nur für die eine Nachricht. Ich hätte es danach nicht noch einmal getan. Deshalb haben sie auch Ickley geholt.«
»Nicht noch einmal?« Flick starrte ihn an. »Was willst du damit sagen, ›nicht noch einmal‹?«
Dillon verzog störrisch das Gesicht, Flick stützte beide Hände auf den Tisch und sah ihm in die Augen. »Dillon - wie lange? Wie lange hast du schon Geld von diesen Leuten bekommen, um ihre Botschaften zu überbringen?«
Er versuchte zu schweigen, versuchte, die Forderung in ihren Worten zu überhören, dem Zorn in ihrem Blick auszuweichen. »Seit letztem Sommer.«
»Seit letztem Sommer?« Flick richtete sich wieder auf und schob verärgert den Tisch ein Stück von sich. »Gütiger Gott! Warum?« Sie starrte Dillon an. »Was, um alles in der Welt, hat dich dazu gebracht?«
Demon schwieg. Als Racheengel war Flick entschieden im Vorteil.
Dillon wurde mürrisch; er stieß sich vom Tisch ab. »Natürlich ging es um Geld.« Er versuchte, verächtlich zu schnaufen, doch Flick war so wütend, dass sie gar nicht darauf achtete.
»Der General hat dir ein großzügiges Taschengeld gezahlt - warum solltest du noch mehr Geld wollen?«
Dillon lachte schrill und stützte beide Arme auf den Tisch. Er vermied Flicks wütenden Blick.
Doch das dämpfte ihren Zorn nicht. »Und wenn du mehr Geld brauchst, dann weißt du, dass du nur hättest fragen müssen. Ich habe immer genügend …« Sie hielt inne, blinzelte, doch dann blitzten ihre Augen. Sie richtete den Blick erneut auf Dillon. »Du hast wieder gespielt, du bist wieder zu den Hahnenkämpfen gegangen, nicht wahr?« Wut - reine Verachtung - war aus ihren Worten zu hören. »Dein Vater hat es dir verboten, aber du konntest einfach nicht aufhören. Und jetzt …« Ihr Zorn war so groß, dass sie nicht weitersprechen konnte und nur heftig mit den Händen gestikulierte.
»Hahnenkämpfe sind doch gar nicht so schlimm«, gab Dillon zurück. Noch immer sah er mürrisch vor sich hin. »Das ist ja nicht so, als würden andere Gentlemen nicht auch hingehen.« Er warf Demon einen schnellen Blick zu.
»Mich brauchst du dabei nicht anzusehen«, antwortete Demon. »So etwas ist überhaupt nicht mein Stil.«
»Es ist abscheulich!« Flick sah Dillon in die Augen. »Du bist
Die amerikanische Originalausgabe erschien 1999 unter dem Titel »A Rogue’s Proposal« bei Avon Books Inc., New York.
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Deutsche Erstausgabe Dezember 2004 Copyright © der Originalausgabe 1999 by Savdek Management Proprietory Limited Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, Garbsen.
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