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Nach zwei Schlaganfällen und daraus resultierender halbseitiger Lähmung gelingt es dem Autor mit leidlicher Selbstdisziplin sich selbst und die ihn pflegenden Mitmenschen zu "bewältigen".Nach einem Jahr hat er es geschafft, ohne Pflegepersonal wieder allein zurecht zu kommen. Er kommt soweit mit seinen Mitmenschen zurecht, daß er mit der ihn betreunden Brigitte in seine eigentliche Wohnung auf Rügen fahren kann. Die Autobiographie ist geeignet für Clienten des Kreuzbundes.
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Seitenzahl: 143
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Diese Autobiographie ist nahezu authentisch. Jede Ähnlichkeit mit Handlungen, Personen oder Orten ist rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Vorwort: Warum? Weshalb? Wieso?
Hauptteil: Mein Drama
Rehsümäh
Man ist an keinem Ort der Welt so allein als in dem halb abgedunkelten Auffangsaal der Kardiologie samt den sedierten, leicht röchelnden Patienten.
Vorwort: Warum? Weshalb? Wieso?1
Warum tue ich mir das an: Beschreiben meines Lebens nach dem zweiten Schlaganfall? Ganz einfach! Weil ich es trotz und gerade wegen meines desolaten Zustandes will. Ja, ich will es! Ich hätte nie gedacht, wie voreingenommen meine Mitmenschen in dieser Hinsicht sein können. Es liegt in der Natur der Sache, daß einem nach einem Schlaganfall manche Bewegungen nicht mehr oder nur unvollständig gelingen. Etliche Male habe ich es dann erleben müssen, daß man meinte, mich wie einen Zweijährigen ermahnen zu müssen: „Du mußt aber...“ oder noch schlimmer wie hirnamputiert also nicht zurechnungsfähig zu behandeln. Die Krönung solcher Behandlung war dann, wenn ich mich dagegen verwahrte, ein „Du bist aber empfindlich!“ Mitgefühl und Verstehen sind das bestimmt nicht und jedes gedeihliche Miteinander augenblicklich abgewürgt.
Meine eigenen Ziele waren jedoch ganz anders begründet und aus meiner Sicht sehr naheliegend. Durch das rechtsseitige Ausfallen der Handbeweglichkeit war es dringend notwendig, die Fertigkeiten und vor allem die Schreibfähigkeit wiederzugewinnen. Außerdem lag mir daran, mein logisches Denken und meine Formulierungsfähigkeit nachzuweisen.
Manche(r) mag sich vielleicht wundern, daß ich soviel Wert darauf lege. Das liegt offensichtlich daran, daß es nur wenigen Menschen gegeben zu sein scheint, sich in die beklemmende Situation eines Schlaganfallopfers hineinzudenken. Nicht nur für die Angehörigen ist es sicher nicht ohne Folgen, nach einem Schlaganfall einen völlig veränderten Menschen vor sich zu haben: er ist meist mindestens zum Teil in seiner Mobilität eingeschränkt, hat oft Sprachschwierigkeiten und ist in seinem täglichen Leben von einem Pflegedienst abhängig. Ist außerdem eine Gesichtshälfte, insbesondere die Mundpartie, und das Schlucken beeinträchtigt, gepaart mit einer übermäßigen Schleimentwicklung im Mund-Nasen-Bereich, so daß die Artikulationsfähigkeit nachhaltig beeinträchtigt ist, dann ist das Vorurteil über eine geistige Beschränktheit für manche Menschen oft sehr naheliegend, ohne daß sie sich dessen wirklich bewußt werden können.
In seiner körperlichen Begrenztheit ist ein Opponieren gegen solche Vorurteile leider meist erfolglos und kann leicht zum Resignieren vor den anderen und - noch schlimmer – vor sich selbst führen. In der Folge zum Resignieren macht sich eine verhängnisvolle Apathie und Willenlosigkeit breit. Das Bett wird zum letzten Fluchtort und damit eine folgenreiche Bewegungsarmut. Die Dystrophie ist dann die unvermeidbare Folge. Und setzt der Muskelschwund erst einmal ein, dann ist es auch mit dem Rest an Mobilität bald vorbei. Das ist der Grund für meine oft mit Leiden verbundene Aktivitäten, um sowohl körperlich fit als auch geistig einigermaßen kreativ zu bleiben.
Deswegen habe ich den Versuch gewagt, das Wiedererwachen meiner Lebensgeister und die Früchte meines Willens nach dem Schlaganfall aufzuschreiben. Vielleicht ist es ein Ansporn für jemand in ähnlicher Situation mit Pflegestufe 3, auch die Eigeninitiative zu ergreifen nach dem Motto „Hilf Dir selbst, denn Du hilfst dir am besten!“
1 Im Folgendem werde ich in solchen Fußnoten, wenn nötig, zusätzliche Informationen oder persönliche Meinungen unterbringen, die ansonsten den Erzählfluß stören würden.
Hauptteil: Mein Drama
Eigentlich war dieser nasskalte Freitag vor Totensonntag ein ganz normaler Novembertag, nichts für depressive Menschen. Als ich frühstückte, trottete wie jeden Morgen gegen 9.00 Uhr der Nachbar Möller mit seinem Hund Sputnik, der vor ihm laut kläffend zur Gartenpforte vorauslief, zu seinem creme-farbenen EssJuWie. Dort werkelte Machmuth, ein seit Jahren arbeitsloser Marokkaner, wieder einmal am Mercedes seiner Schwiegermutter herum. Sonst war niemand bei diesem Matschwetter auf der Straße zu sehen.
Aber dieser neblige Freitag sollte ganz anders enden, als ich es mir momentan vorstellen konnte. Nach dem Schlaganfall im vorigen Jahr waren links Arm und Bein zunächst gelähmt. Doch ich gab nicht auf. Nach und nach konnte ich den Arm wieder anheben, die Hand drehen, die Finger krümmen. Aber keine dieser Bewegungen erfolgte automatisch, sondern ich mußte ganz bewußt die jeweilige Bewegung wollen. Diese kleinen Erfolge beglückten mich natürlich, ließen aber auch die Furcht wachsen, ob denn diese Anzeichen zu mehr Selbständigkeit auch von Dauer sein werden.
Meine Bedenken sollten leider dramatisch bestätigt werden: Als ich mich an diesem Freitag nichtsahnend auf das Sofa gesetzt hatte, fing mein rechter Unterarm heftig an zu kribbeln, als wenn ich meine rechte Hand in einen Ameisenhaufen gesteckt hätte. Mich überfiel ein beklemmendes Erstaunen ob diesen Gekribbels, als es nun auch im linken Unterarm einsetzte. Geradezu panische Angst packte mich, als das Gekribbel nun in beiden Armen nach oben zu den Schultern stieg. In einer Art Fluchtreaktion vermeinte ich der drohenden Gefahr, daß dieses Gekribbel mein Herz errei-chen könne, zu entkommen, indem ich mühsam von dem Sofa aufstand. Ich hielt mich an der Lehne eines in der Nähe stehenden Sessels fest.
Bis dahin kann ich mich an Alles erinnern. Nun aber fiel ich zu Boden wie eine Marionette, der man plötzlich mit einem Schnitt sämtliche Halteschnüre gekappt hat. Woran ich mich erinnern kann, ist eine zaghafte Zuversicht, daß nichts wehtat und ich Arme und Beine noch leidlich bewegen konnte. Ich versuchte, auf allen Vieren zum nächsten Stuhl zu kriechen. Dort gelang es mir, mich knieend am Stuhl so weit hoch zu ziehen, daß ich mit dem Oberkörper auf der Sitzfläche lag. Weiter kam ich nicht, meine Beine gehorchten mir nicht mehr. In dieser mißlichen Lage fand mich mein Nachbar vor, ich mußte wohl eine Zeitlang das Bewußtsein verloren haben. Er packte mich unter den Achseln und stellte mich wieder auf die Füße. Versuchsweise wagte ich ein paar Schritte, wobei ich mich mit beiden Händen an der Kommode längs der Wand mehr oder weniger krampfhaft abstützte. So gelangte ich aus dem Zimmer schließlich ins Treppenhaus und damit ans rettende Treppengeländer. Ich kann es heute noch nicht glauben, daß ich es flink, als wäre nichts geschehen, die Treppe hinauf in den ersten Stock schaffte und damit in meinen Rollstuhl. In einer Art kindischem Aberwitz glaubte ich wohl das Geschehen durch meine bravouröse „Flucht“ irgendwie ungeschehen zu machen.
Aber mein Schicksal sollte an diesem Freitag noch Einiges für mich in petto haben. Es fing damit an, daß meine Physiotherapeutin auftauchte und sofort, als ich ihr dummerweise von meinem Sturz erzählte, in einen hysterischen Alarmismus verfiel. Da müsse sie sofort den Notarzt alarmieren und ich müßte auf der Stelle in die Klinik. Meine Gegenwehr nützte überhaupt nichts, sie gab mir zu verstehen, daß sie allein wisse, was jetzt notwendig sei und es komme jetzt auf jede Minute an. Sie alarmierte per Handy sofort den Notarzt und die Notfallstation in der Humboldt-Klinik. Im Grunde genommen gab ich wieder einmal zu meinen Ungunsten viel zu schnell klein bei. Hätte ich da schon ahnen können, in was für ein Desaster ich unaufhaltsam hineinschliddern würde?
Aus heutiger Sicht ist es mir unverständlich, wie ich mich von dieser Frau Halali (so oder so ähnlich hieß sie) herumkommandieren ließ. Mein Zutrauen hatte sie doch schon vor geraumer Zeit verloren, als sie aus ihrer Umhängetasche verschiedene, kleine Töpfchen hervorkramte und daraus stark nach Minze und Fichtennadeln duftende Tinkturen und Salben auf meinen Schultern und Oberarmen verrieb. Dabei versicherte sie mir, daß diese speziellen Reagenzien aus Indien hervorragend verhindern würden, wenn sich meine Oberarmgelenke zu entzünden drohen würden. Indessen kann ich ihr aber nicht die Schuld geben für das folgende Desaster, hatte ich selbst doch wieder einmal zu schnell klein beigegeben in der Hoffnung, daß sich in Zukunft alles schon von selbst regeln würde; daß ich also heute nur kurz ins Krankenhaus gebracht werden und spätestens heute Abend wieder zu Hause sein würde. Was sollte mir schon passieren? Das war ein folgenschwerer Irrtum!
Im Krankenwagen auf der Liege – Tragbahre sagt man wohl besser nicht? - konnte ich während der Fahrt neugierig verfolgen, wohin es gehen sollte. Ich war einigermaßen beruhigt, als der Krankenwagen auf der Umgehungsstraße am Dominikus-Krankenhaus vorbeifuhr und offensichtlich ein anderes Ziel ansteuerte. Meine beiden Betreuer – wenn ich sie denn so euphemistisch bezeichnen darf – zeigten kein Interesse mehr an mir. Der Fahrer saß in seiner Kabine am Steuer. Sein Kollege saß vor mir, hatte mir den Rücken zugewandt und tratschte mit dem Fahrer durch ein geöffnetes Schiebefenster in der Art, wie er es wahrscheinlich auch abends in seinem Stammlokal an der Theke gewohnt war.
Das war der Anfang einer Reihe von Tagen, an denen mir meine Umwelt keinerlei Empathie mehr entgegenbrachte. Ich war nur noch eine Nummer in einem medizinischen Versorgungssystem. Das war mir allerdings zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewußt. So kamen wir schließlich zur Notfallaufnahme der Humboldt-Klinik.
Ich mußte aus meinem Rollstuhl aufstehen, mich auf eine Liege setzen und mich schließlich darauf ausstrecken. Alles unter den strengen Blicken einer recht drallen Schwester Rosi, an deren Figur Rubens sicher malerisches Gefallen gefunden hätte. Rosi nahm meine Personalien auf. Das war in den nächsten zwei Wochen das letzte Mal, daß mich jemand nach meinem Namen fragte. Das ausgefüllte Formular befestigte Rosi auf einem Klemmbrett am Fußende meiner Liege. Dabei war sie mit ihren Gedanken längst schon wieder bei den beiden Sanitätern und bot ihnen in kumpelhaftem Ton Kaffee an, ich war offensichtlich ein erledigter Fall.
Mich übernahm eine kleine, schwarz bezopfte Asiatin. Sie schob mich auf der Liege in einen grell von Neonröhren erleuchteten Gang, der in der Mitte durch graue Stoffbahnen separierte, jedoch auf den Schmalseiten offene Abschnitte aufgeteilt war. In den meisten standen bereits Krankenliegen mit laut stöhnenden oder jammernden Patienten. Meine jetzige Betreuerin – vermutlich aus Thailand oder von den Philippinen – fand endlich einen leeren Stellplatz und begann dort, meine Handrücken auf geeignete Adern zur Blutentnahme zu untersuchen. Nach etwa fünfzehn erfolglosen „Probestichen“ hatte sie endlich zwei Spritzen mit meinem Blut gefüllt. Dann legte sie noch eine Manschette um meinen linken Oberarm und maß meinen Blutdruck. Zu meiner Verwunderung waren dies die einzigen medizinischen Zuwendungen an diesem Nachmittag in der Humboldt-Klinik, obwohl ich doch mit meinem Schlaganfall sofortiger Hilfe2 (!) bedurft hätte.
Doch noch wartete ich auf die erste ärztliche Untersuchung. Ab und zu eilten oder schlenderten Weißkittel an dem Fußende meiner Liege vorbei, nahmen von mir als Mensch keinerlei Notiz, sondern lasen kurz, wenn überhaupt, nur die Notizen auf dem Klemmbrett durch. Die Situation erinnerte mich in makabrer Weise an Szenen im Fernsehen, wenn in der Pathologie die Mordopfer an dem Notizzettel an ihrem großen Zeh kenntlich gemacht sind. Nach und nach konnte ich das Pflegepersonal von den Ärzten unterscheiden: die Ärzte liefen mit offenem, gleichsam wehendem Kittel herum, meist mit um den Hals geschlungenem Stethoskop; die Krankenschwestern und Pfleger dagegen mit hoch geschlossenen Kitteln und mindestens nackten Unterarmen.
Langsam bezweifelte ich, daß endlich einer von diesem Weißkittel-Ballett auf dem Gang vor meiner Liege geruhen würde, sich ernsthaft für mich zu interessieren. Das grelle Neonlicht strengte meine Augen an. Die Liege drückte im Kreuz und ließ nicht zu, daß ich mich allein auf die Seite drehen konnte. In dieser aussichtslosen Lage muß mein Kreislauf irgendwann gestreikt haben, denn ich kann mich nicht mehr erinnern, was in der Zwischenzeit passiert war.
Als ich wieder zu mir kam, schob man mich auf einer Liege durch einen nur schwach erleuchteten Flur. Es war wohltuend kühl und still. Zwei Pfleger halfen mir von der Liege in ein richtiges Bett. Soviel ich im Halbdunkel mitbekommen konnte, war ich allein in diesem Zimmer. Ich schlief sofort wieder ein. Was ich damals nicht mitbekommen habe: Man hatte mich von der Humboldt-Klinik ins Jüdische Kranken-haus verlegt. In dieser Nacht erlitt ich meinen zweiten Schlaganfall. Ich bin überzeugt, daß er hätte vermieden werden können, wenn man in der Humboldt-Klinik sofort fachgerecht (!!!) gehandelt hätte.
Am Morgen kam ich auf der Stroke Unit wieder zu mir. Die nächste Etappe meines Leidenswegs begann. Mein Bett stand am Fenster eines weiß gekachelten Raumes mit insgesamt weiteren fünf Betten, die alle voreinander durch Stellwände verdeckt waren. An den jeweiligen Kopfenden der Betten befanden sich identische Batterien von Monitoren und Apparaturen mit blinkenden Lämpchen. Ein Gewirr von Schläuchen und Kabeln hing herab zu den Patienten, die ich aber nicht sehen konnte. Mir war es nicht möglich, den Kopf zu heben, nur nach beiden Seiten konnte ich ihn drehen. Meine rechte Körperhälfte konnte ich zwar noch fühlen, aber Bein und Arm konnte ich – wenn überhaupt – nur mühsam bewegen. Die linke Wange und der linke Mundwinkel waren willentlich nur wenig beherrschbar. Also alle Vorraussetzungen für einen hilflosen, sabbernden Alten.
Linksseitiger progressiver Medianinfarkt, Lysetherapie aufgrund von Apixaban-Einnahme nicht möglich. In der neurologischen Untersuchung entwickelte der Patient eine Hemiparese rechts. Dysarthrie und Schluckstörung. Im LZ-EKG gab es keinen Hinweis auf Vorhofflimmern.
Über die rechte Armbeuge erhielt ich eine Infusion einer farblosen Flüssigkeit. Auf meiner Brust waren mehrere Kabel mit Klebeplättchen befestigt. Durch einen Schlauch wurde mir ein Gasgemisch (Sauerstoff?) in die Nase geblasen. Derartig verkabelt lag ich hilflos im Bett, war apathisch und fast willenlos weil ohne Aussicht auf Erlösung. Ich fühlte mich allein gelassen und der Blick aus dem Fenster zu meiner Linken hätte auch jeden Gesunden in stumpfe Apathie verfallen lassen. In einzelnen großen Schneeflocken schüttete sich ein grauer Himmel über dem Klinikgelände aus. Ich fühlte mich allein gelassen ohne Hoffnung auf Rettung. Etwa vergleichbar mit einem Schiffbrüchigen, der getragen von einem Rettungsring auf hoher See ein Spielball der Wellen ist.
Mit Einsamkeit hatte ich bislang gut umgehen können, sie belastete mich nicht, wie ich es schon mehrmals auf einsamen Bergwanderungen im alpinen Bereich von über 2500 m erfahren hatte. Doch dies war mit der jetzigen Situation nicht vergleichbar: mir fehlte jegliche Hoffnung auf einen rettenden Aus- oder Rückweg. Medizinisch hätte man mich als depressiv bezeichnet und irgendwelche Pillen zum Einneh-men verordnet. Doch ich brauchte keine Pillen, sondern mir fehlte einfach menschliche Zuwendung und ein bißchen Teilnahme, vergleichbar der mütterlichen Tröstung nach einem Sturz und dem Verband um das blutende Knie. Mit dem tröstenden Zuspruch meiner Anverwandten, Herrn Wichtig und Frau Sorge, konnte ich auch nicht rechnen. Für ihr Kommen war mein Schlaganfall viel zu plötzlich gekommen. Wären sie gekommen, hätte das mir leider auch nichts genutzt. Frau Sorge hätte meinen Wunsch nach persönlicher Zuwendung als Gefühlsdudelei oder noch bündiger als Pillepalle abgetan. Herr Wichtig wäre bedeutend schwieriger zu verstehen gewesen. Er hätte stirnrunzelnd nachgedacht und dann angefangen, mir unter Hinweis auf Vorschriften und Verordnungen mit Hinweis auf bestimmte Paragraphen und Gesetzespassagen beizubringen, daß ich leider zu wenig geschädigt sei, um Anspruch zu haben. Er kenne aber einen gewissen Jürgen, der sei ein Fuchs in Sachen Sozialversicherung und den werde er mal fragen. Herr Wichtig hielt so etwas für Hilfe, ich aber nicht. Ich hatte mich im Laufe der Jahre daran gewöhnt und erwartete nichts anderes von ihnen. So hatte es nichts mit Resignation zu tun, daß ich beinahe froh darüber war, in meinem derzeitigen, desolaten Zustand nicht auch noch Frau Sorge und Herrn Wichtig ertragen zu müssen.
In Ermangelung jedes menschlichen Gegenübers war ich sehr erfreut über eine dick aufgeplusterte Amsel, die sich vor meinem Fenster auf dem kahlen Ast eines Hagebuttenbusches niedergelassen hatte. Ich bildete mir in einer Art Gefühlsduselei ein und war schließlich davon überzeugt, daß sie mich auch gesehen haben müßte. Aber diese armselige Vorstellung tröstete mich ungemein. Aus heutiger Sicht kann ich es nachvollziehen, wenn man mein damaliges Empfinden als kindisch erklärt, für mich in meinem Gefühl des Allein-gelassen-Seins war diese Amsel, die im winterlichen Schneetreiben zu mir gefunden hatte, wie der sprichwörtliche Strohhalm für einen Ertrinkenden.
Aus meiner Gefühligkeit wurde ich durch das Gewimmer einer Frau und Rumoren zu meiner Rechten hinter den Stoffbahnen der Trennwand wieder ins reale Leben zurückgeholt. Als ich den Kopf nach rechts wandte, betrat Schwester Bianca „die Bühne“; eine Rothaarige in engem Kittel mit – nun ja – ausladendem Decoltee. Schwester Bianca - sie bezeichnete sich selbst als Schwester Rabiata - , beugte sich über mich so nah, daß ich vermeinte, ihre Körperwärme von so viel „Fleischlichkeit“ zu spüren. Aber vielleicht war das Ganze auch nur eine spezielle medizinische Methode, bei den männlichen Patienten den Hormonhaushalt wieder in Schwung zu bringen. Aber Schwester Bianca verstand es, jede derartige Regung schon im