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Ab in den Urlaub mit der schaurig-lieben Monsterfamilie! Opa Dracula wird stolze 590 Jahre alt. Und dieser Geburtstag soll auf einer Urlaubsreise mit Familie und Freunden gebührend gefeiert werden. Mit von der Partie sind nicht nur Yeti, Werwolf Archie und Zombie van Helsing, sondern natürlich auch Draculas drei Enkel Rhesus, Vira und Globinchen. Egal, wo die Reisegesellschaft landet, die drei sorgen für jede Menge Chaos – ob zwischen zerstrittenen Elfen und Trollen in Island, beim Chupacabra in Südamerika oder in der Nähe von Tokio, wo der sagenumwobene König der Monster sein Unwesen treibt.
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Seitenzahl: 154
Memento Monstrum (Bd. 1)Vorsicht, bissig!
Memento Monstrum (Bd. 2)Achtung, haarig!
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eISBN 978-3-649-64958-8
© 2024 Coppenrath Verlag GmbH & Co. KG,Hafenweg 30, 48155 Münster
Alle Rechte vorbehalten, auch auszugsweise.
Die Nutzung des Werkes für das Text- und Data-Miningnach § 44b UrhG ist durch den Verlag ausdrücklichvorbehalten und daher verboten.
Text: Jochen Till
Illustrationen: Alexandra Langenbeck,nach Illustrationen von Wiebke RauersVor- und Nachsatz, Vignette auf S. 188: Wiebke RauersLektorat: Jutta Knollmann
www.coppenrath.de
Die Print-Ausgabe erscheint unter der ISBN 978-3-649-67206-7.
Jochen Till
Nach einer Idee von Wiebke Rauers, mit Illustrationen von Alexandra Langenbeck
Die kurze Geschichte vom Igel, der einen Vampir reinlegen wollte
Die ganz und gar zänkische Geschichte von Frosch Romeosson und Jalka Juliasdottir
Wie aus einem Bock ein Gärtner wurde
Die Geschichte von Godzilla ganz klein und Bumm ganz groß
Ich kann das nicht. Ich konnte das noch nie. Es ist einfach zu viel, das reinste Chaos. Wer soll denn da noch durchblicken? Ich bin mir sicher, ich habe etwas vergessen. Ich vergesse immer etwas, das war schon früher so und wird mit zunehmendem Alter natürlich nicht besser. Dass ich mit meinen mittlerweile 589 Jahren noch einmal derartige Strapazen auf mich nehmen muss, hätte ich allerdings auch nie vermutet. Aber ich wurde ganz eindeutig überlistet, sonst hätte ich mich nie darauf eingelassen. Sie haben sich alle gegen mich verschworen. Diese hinterhältige Brut! Ja, ich weiß, ich bin selbst daran schuld, es ist schließlich meine hinterhältige Brut. Dass selbst meine über alles geliebte Gattin Selena dabei mitmacht, hätte ich jedoch nicht erwartet. Das wird dir guttun, hat sie gesagt. Wer rastet, der rostet, hat sie gesagt. Bei mir rostet gar nichts und ich raste sehr viel. Nichts bereitet mir mehr Freude als mein gemütliches Sofa in unserem leeren, ruhigen Schloss. Und das wird ja wohl auch erlaubt sein in meinem Alter. Schließlich war ich über fünfhundert Jahre lang fast überall in der Welt unterwegs und habe die unglaublichsten Abenteuer erlebt. Ich finde, ich habe mir meinen Ruhestand redlich verdient, vor allem die Ruhe, aber davon werde ich in nächster Zeit höchstens träumen können. Denn eins steht unverrückbar fest: Das wird das Gegenteil von ruhig. Ach ja, und noch etwas steht definitiv fest: Ich habe garantiert etwas vergessen.
„Ach, Hasenpups. Bist du etwa immer noch nicht fertig?“
Selena steht plötzlich hinter mir.
„Nein“, sage ich seufzend. „Ich bin mir sicher, ich habe irgendetwas vergessen.“
„Und wie immer hast du viel zu viel eingepackt“, sagt sie lächelnd. „Ich glaube nicht, dass du vier Wintermäntel brauchen wirst.“
„Aber es könnte ziemlich kalt werden“, erwidere ich. „Gerade an unserem ersten Ziel.“
„Ja, aber dann reicht doch ein Mantel“, sagt Selena. „Du kriegst doch den Koffer so gar nicht mehr zu.“
„Weil er zu klein ist, der blöde Koffer“, fluche ich. „Meine Koffer sind immer zu klein.“
Selena lacht auf. „Sind sie nicht. Du bist nur einfach sehr schlecht im Kofferpacken, das ist alles. Und genau deswegen hatte ich dir ja angeboten, dass ich das für dich mache. Aber das wolltest du ja nicht, du alter Sturkopf.“
Natürlich nicht. Ich werde ja wohl noch einen Koffer packen können. Ich habe meine Koffer immer selbst gepackt, mein Leben lang. Es gibt keinen Grund, warum sich daran etwas ändern sollte. Ganz davon abgesehen, dass ich diesen Koffer eigentlich überhaupt nicht packen will. Ich will hier nicht weg. Ich will zu Hause bleiben!
„Am besten, ihr fahrt einfach ohne mich“, brumme ich. „Dann muss der Koffer gar nicht gepackt werden.“
„Haha, genau!“ Selena stemmt die Hände in die Hüften. „Das könnte dir so passen, du alter Brummbär! Netter Versuch! Aber damit kommst du nicht durch! Schon vergessen? Der Anlass für diese Reise ist dein 590. Geburtstag nächste Woche. Den wirst du garantiert nicht hier allein verbringen, während ein Großteil deiner Familie gemeinsam mit deinen besten Freunden durch die Weltgeschichte fliegt.“
Hrmpf. Ich wusste, dass ich mit meinem Vorschlag nicht durchkommen werde. Genau damit haben sie mich nämlich reingelegt, meine herzallerliebste Familie und allen voran mein allerbester Freund: mit meinem dämlichen Geburtstag. Dass ich den nicht wie jeden anderen in den letzten Jahren in aller Ruhe mit Selena hier auf dem Sofa verbringen kann, habe ich einzig und allein Archie zu verdanken, diesem niederträchtigen Werwolf. Nein, das ist er natürlich nicht, er ist nicht niederträchtig, ich liebe ihn sehr. Und er hat es ja nur gut gemeint. Aber wie heißt es doch so treffend? Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Klar waren alle sofort Feuer und Flamme für seinen Vorschlag, zur Feier meines Geburtstags in den Urlaub zu fliegen, vor allem meine Enkel, die drei kleinen Racker. Wäre mir an ihrer Stelle ebenso gegangen. Ein schickes Flugzeug, ferne Länder … aufregender und verheißungsvoller könnte die Aussicht auf einen Urlaub für sie kaum sein. Aber ich bin nicht mehr in ihrem Alter. Für mich verheißt diese Reise nur jede Menge Unruhe, pausenloses Kindergeschrei und andere unerwünschte Strapazen. Und es ist schließlich mein Geburtstag, der hier als Anlass dafür vorgeschoben wird. Nach 589 Geburtstagen brauche ich das alles nicht mehr, die Glückwünsche, den Trubel, die Geschenke und schon gar keine neunköpfige Reisegruppe, die ständig um mich herumschwirrt. Aber sag mal deiner gesamten verzückt klatschenden Familie, dass du den äußerst großzügigen Vorschlag deines allerbesten Freundes alles andere als gut findest. Ganz davon abgesehen, dass mich sowieso niemand gehört hätte, weil Globinchen fünf Minuten lang vor Begeisterung ohrenbetäubend quiekend Purzelbäume über den Tisch geschlagen hat. Das habe ich einfach nicht übers Herz gebracht, kein Opa, Vater und liebender Ehemann hätte das geschafft. Damit war mein Schicksal besiegelt und jetzt stehe ich hier völlig überfordert und schlecht gelaunt vor diesem viel zu vollen Koffer.
„Nun zieh nicht so ein Gesicht, du alter Brummbär“, sagt Selena. „Du wirst sehen, wir werden eine ganz wunderbare Zeit haben. Hast du denn deine Badehose eingepackt?“
„Badehose?“, frage ich verwundert. „Wir gehen baden?“
Auch das noch. Seit ich mit Kong fast den kompletten Weg von Macapá nach New York durch den Atlantik geschwommen bin, halte ich mich von größeren Wassermengen so weit wie möglich fern. Manchmal könnte ich schwören, ich spüre die eiskalte Nässe von damals immer noch durch mein Fell kriechen. Darauf kann ich gut und gern verzichten!
„Na ja, wir haben doch keine Ahnung, welche Länder Archie noch ausgesucht hat“, antwortet Selena.
Genau, das ist auch so ein Punkt, der mich an diesem Urlaub stört: Ich weiß bis auf unser erstes Ziel überhaupt nicht, wohin uns diese Reise führen wird. Dabei weiß Archie ganz genau, dass ich Überraschungen ebenso wenig mag wie baden.
„Ja, aber es reicht doch, wenn die anderen baden gehen“, sage ich. „Dafür brauche ich doch keine Badehose. Ich besitze gar keine, glaube ich.“
„Doch, tust du.“ Selena zwinkert mir zu. „Ich hatte dir eine richtig schicke aus Paris mitgebracht.“
Selena geht an meine Unterhosenschublade und zieht eine knielange Badehose mit Regenbogenmuster heraus.
„Tadaa!“, sagt sie lächelnd. „Da ist sie! Erinnerst du dich? Du hast sie sogar einmal anprobiert. Sie steht dir fantastisch.“
Stimmt, jetzt erinnere ich mich wieder. Ich hatte sie an und Selena war ganz entzückt davon.
„Na gut“, sage ich entwaffnet. „Die Badehose kommt mit. Aber es ist doch kein Platz mehr in meinem Koffer. Und bestimmt habe ich noch mehr Sachen vergessen.“
„Das lass mal meine Sorge sein, mein herzallerliebster Grummelbär.“ Selena drückt mir zärtlich einen Kuss auf die Stirn. „Das Packen übernehme ich ab jetzt, sonst werden wir nie rechtzeitig fertig. Du kannst ja schon mal …“
„OMA? OPA?“, unterbricht sie eine Stimme vom Flur her. „WO SEID IHR DENN?“
Das ist unverkennbar unser kleiner Wirbelwind Globinchen. Ihre Mutter hat die Kinder gestern Abend schon samt Gepäck hier abgeliefert und sich schnell wieder aus dem Staub gemacht. Unsere liebe Tochter Aima kommt nämlich nicht mit auf Überraschungsreise. Angeblich, weil sie ihren Gatten Cassidy bei irgendeiner wichtigen Aktion gegen die Erderhellung unterstützen muss. Ich glaube ja eher, dass sie die Chance nutzt, ihre drei Racker für ein paar Tage loszuwerden, aber das kann ich ihr nicht verdenken. So sehr ich meine Enkelkinder auch liebe, wenn ich sie jeden Tag um mich hätte, würde ich wahrscheinlich wahnsinnig werden.
„Wir sind hier drin, Schätzchen!“, ruft Selena. „Was gibt es denn? Brauchst du Hilfe?“
Globinchen stürmt ins Zimmer.
„Ich brauche einen Koffer!“, verkündet sie. „Einen großen! Unbedingt! Ich habe nämlich etwas vergessen einzupacken!“
„Aha“, sagt Selena grinsend in meine Richtung. „Wie dein Opa.“
„Ich vergesse immer etwas“, sage ich und nehme Globinchen auf den Arm. „Das hat sozusagen Tradition. Und Oma muss mir dann helfen.“
„Was Opa aber meistens erst sehr spät zugibt“, sagt Selena. „Nicht wahr, Hasenpups?“
Sie zwinkert mir zu, ich zwinkere zurück.
„Das wollte ich ja schon immer mal fragen“, wendet sich Globinchen an Oma. „Wieso nennst du Opa eigentlich Hasenpups? Er ist doch kein Hase. Und er riecht zwar komisch, aber nicht wie ein Pups. Nur, wenn er gerade gepupst hat.“
Selena und ich müssen lachen.
„Ich werde manchmal mit einem Hasen verwechselt“, erkläre ich.
„Was? Echt?“, sagt Globinchen verwundert. „Glaub ich nicht! Du siehst überhaupt nicht aus wie ein Hase! Hasen sind doch total süß!“
Ich überlege kurz, ob ich beleidigt sein soll, entscheide mich aber dagegen – Hasen sehen in der Tat süßer aus als ich.
„Doch, das stimmt, Schätzchen“, sagt Selena und wendet sich an mich. „Erzähl ihr die Geschichte mit dem Igel, Hasenpups.“
„Oh ja, eine Igel-Geschichte!“, jubelt Globinchen. „Igel sind auch ganz schrecklich süß!“
„Die ist aber nur ganz kurz“, erwidere ich.
„Das ist schon okay, Opa“, sagt Globinchen. „Aber nur heute, weil ich noch was einpacken muss. Sonst mag ich nämlich viel lieber lange Geschichten.“
„Also gut“, sage ich. „Dann erzähle ich dir jetzt …“
Es geschah im Jahre 1840 in einem Wald in der Nähe von Buxtehude. Ich war gerade auf dem Weg nach Hamburg, um von dort aus ein Schiff nach London zu nehmen. Mein Freund, der fabelhafte Schriftsteller Charles Dickens, hatte mir geschrieben. Nach seinem großen Erfolg mit der Geschichte eines Waisenjungen plante er, als Nächstes eine Weihnachtserzählung mit einem überaus boshaften alten Vampir in der Hauptrolle zu verfassen, und wünschte sich dafür ein paar Anregungen von mir. Da ich in meinem langen Leben einige boshafte alte Vampire getroffen hatte und die Gesellschaft des lieben Charlie ohnehin sehr schätzte, war es mir eine große Freude, seiner Einladung zu folgen. Letztendlich haben unsere Gespräche dazu geführt, dass diese Figur doch kein Vampir wurde, weil Charlie mich so sehr mochte und unsere Art nicht weiter in Verruf bringen wollte. Aber ich kann immerhin nicht ohne einen gewissen Stolz behaupten, an der Namensgebung seines Bösewichts beteiligt gewesen zu sein, denn ich kannte mal einen äußerst heimtückischen Artgenossen namens Ebenezer. Das war 1789, als ich …
„Opa!“, unterbricht mich Globinchen. „Du wolltest doch was mit einem Igel erzählen! Ich hab keine Zeit für noch mehr hundert Jahre zurück!“
„Oh, ja, natürlich“, sage ich ertappt. „Da bin ich wohl etwas abgeschweift, Verzeihung. Also, wo waren wir?“
„Wir waren noch nirgendwo!“, ruft Globinchen ungeduldig. „Bis jetzt gab’s keinen einzigen Igel!“
„Stimmt, Moment, der kommt gleich“, verspreche ich.
Die Sonne war gerade im Begriff unterzugehen. Ich hatte am Grund eines hohlen Baumstamms übertagt und lief nun durch den Wald. Das mache ich ganz gern, wenn es noch zu früh zum Fliegen ist. Besonders in der Dämmerung muss man sehr aufpassen. Wenn man zu hoch fliegt, kann es immer passieren, dass einen plötzlich noch einer der letzten Sonnenstrahlen am Himmel erwischt. In Vorfreude auf mein Treffen mit Charlie lief ich also ein fröhliches Lied pfeifend durch diesen Wald, als mir plötzlich jemand den Weg versperrte – ein Igel stand mit verschränkten Armen und finsterem Blick vor mir.
„Hey, Langohr!“, sprach er mich an. „Pfeifen ist in diesem Wald verboten! Vor allem für Hasen!“
Mir war sofort klar, dass es sich bei diesem Gesellen um einen Ganoven handelte. Für derart zwielichtige Gestalten hatte ich schon immer ein Gespür. Er führte ganz offensichtlich nichts Gutes im Schilde. Natürlich hätte ich seinen Irrtum bezüglich meiner Spezies sofort aufklären können, indem ich ihm meine Eckzähne zeigte, aber irgendwie war ich zu neugierig darauf, wie sich die Situation weiterentwickeln würde, und ließ ihn in dem Glauben, ich sei ein Hase.
„Dies ist ein freier Wald“, erwiderte ich. „Ich pfeife, so viel ich will.“
„Ist es nicht“, entgegnete der Igel. „Das ist mein Wald. Und wer hier pfeift, muss eine Strafe bezahlen. Vor allem Hasen.“
„Aha“, sagte ich. „Und wie hoch ist diese Strafe?“
„Wie viel hast du denn dabei?“ Der Igel grinste.
Meine Börse war gut gefüllt, ich brauchte schließlich Geld für die Reise nach London, deshalb trug ich in meinem Umhang eingenäht etwa einhundert Taler bei mir. Das würde ich diesem Halunken aber ganz sicher nicht auf die Nase binden.
„Das geht dich überhaupt nichts an“, erwiderte ich. „Die Strafe werde ich ohnehin nicht bezahlen. Fürs Fröhlichsein wird man nicht bestraft, in keinem Wald der Welt.“
„Mein Wald, meine Regeln“, gab der Schurke zurück. „Wenn du nicht bezahlst, machst du mit meinen Stacheln Bekanntschaft. Ich habe sie heute Morgen extra frisch angespitzt.“
Er drehte sich zur Seite und stellte seine Stacheln auf.
„In der Tat“, sagte ich. „Die sind wirklich schön spitz. Aber nicht so spitz wie die hier.“
Ich ließ meine Vampirzähne breit grinsend aufblitzen.
„Oh!“, entfuhr es dem Igel und er wich rasch ein Stück zurück. „Das ist aber … äh … sehr außergewöhnlich … für einen Hasen.“
„Ich bin auch kein gewöhnlicher Hase“, sagte ich und zog meine Zähne wieder ein. „Ich gehe dann jetzt mal weiter. Und pfeife ein fröhliches Lied.“
„Halt! Warte!“, hielt mich der Igel auf. „Wir können das auch anders regeln! Weißt du, ich brauche das Geld nämlich ganz dringend. Meine Frau ist sehr krank, sie leidet an kreisrundem Stachelausfall. Es gibt eine Tinktur dagegen, die ist allerdings sehr teuer, wir können sie uns nicht leisten. Aber ich würde meiner Frau so gern helfen, sie ist todunglücklich deswegen und weint von morgens bis abends. Es bricht mir das Herz, sie so zu sehen. Du scheinst mir ein sehr liebenswürdiger, gütiger und wohltätiger Hase zu sein und wirst uns bestimmt helfen, nicht wahr?“
Er streckte mir mit einem flehenden, mitleiderregenden Blick seine offene Pfote entgegen, aber ich glaubte ihm natürlich kein Wort.
„Verstehe ich das richtig?“, fragte ich. „Zuerst willst du dir mein Geld mit einer erfundenen Strafe ergaunern, dann drohst du mir mit deinen Stacheln und jetzt soll ich es dir einfach schenken? Für wie dumm hältst du mich?“ „Haha!“, lachte der Ganove auf. „Das war doch alles nur Spaß! Du bist selbstverständlich überhaupt nicht dumm, du bist offenbar ein sehr schlauer Hase, dir kann man nichts vormachen.“
„Gut erkannt“, sagte ich. „Ich bin dann mal weg.“
Ich wollte weiterlaufen, aber der Igel hielt mich am Arm fest. „Jetzt warte mal“, sagte er. „Wir haben uns doch gerade erst kennengelernt. Ich mag dich, du bist ein lustiger Geselle. Lass uns noch ein bisschen Spaß zusammen haben. Wie wäre es zum Beispiel mit einem Wettrennen? Hasen sind sehr schnell, oder? Ich bin der flinkeste Igel hier im Wald. Lass uns rausfinden, wer schneller ist, das wird sicher lustig.
Es gab bestimmt noch nie ein Wettrennen zwischen einem Igel und einem Hasen.“
Natürlich gab es das noch nie. Welcher Igel wäre schon so dumm, sich auf ein Wettrennen mit einem Hasen einzulassen? Jeder Hase ist schneller als jeder Igel, das ist ein Naturgesetz. Es war offensichtlich, er wollte mich reinlegen. Die Frage war nur: wie? Ich war neugierig.
„Lass mich raten“, sagte ich. „Wenn du gewinnst, kriegst du meine Taler?“
„Na ja, ohne einen Einsatz macht es doch nur halb so viel Spaß“, erwiderte der Igel. „Wie wäre es mit drei Talern für den Sieger?“
„Drei Taler?“, fragte ich zurück. „Kannst du dir das denn überhaupt leisten? Was ist mit deiner kranken Frau?“
„Ich bin gar nicht verheiratet“, sagte er und zwinkerte mir zu. „Also, was ist? Machst du mit? Ich meine, du bist ein Hase, ich bin ein Igel, das werden sehr leicht verdiente drei Taler für dich.“
Er streckte mir seine Pfote entgegen.
Wie gesagt, ich war sehr neugierig darauf, wie er mich reinlegen wollte. Und obwohl ich kein Hase war, war ich mir sehr sicher, einen Igel in einem Wettrennen locker schlagen zu können.
„Abgemacht“, sagte ich und schlug ein. „So schnell bist du noch nie drei Taler losgeworden.“
„Das werden wir ja gleich sehen, wer hier drei Taler verliert“, sagte der Igel. „Einfach den Weg entlang und dreimal rechts abbiegen. Wer zuerst wieder hier ist, hat gewonnen. Bei drei geht es los.“
Ich nickte und wir stellten uns nebeneinander auf. Er zählte bis drei, wir rannten los.
Die ersten Meter sah ich den Igel noch im Augenwinkel, er war wie erwartet sehr langsam. Als ich zum ersten Mal rechts abbog, war er schon nicht mehr hinter mir zu sehen. Ich nahm etwas Tempo heraus und trabte siegessicher weiter. Als ich auf die Zielgerade einbog, ging ich eigentlich nur noch spazieren – bis ich meinen Augen und Ohren auf einen Schlag nicht mehr traute.
„Ich bin schon da!“, rief mir der Igel vom Zielpunkt aus entgegen.
Ungläubig lief ich auf ihn zu. Das konnte nicht sein. Er hatte mich ja gar nicht überholt. Oder vielleicht doch?
„Was … Wie hast du das gemacht?“, fragte ich ihn verdutzt.
„Na ja, ich war einfach schneller“, antwortete er grinsend.
„Das macht dann drei Taler.“
„Aber am Start warst du doch noch hinter mir“, sagte ich.
„Ich habe nicht mitbekommen, wie du mich überholt hast.“
„Es ist schon ziemlich dunkel“, erwiderte er. „Und Hasenaugen sollen auch nicht unbedingt die besten sein, habe ich gehört.“
Das mochte durchaus sein. Aber ich war ja kein Hase und verfügte wie jeder Vampir über eine herausragende Sehkraft, insbesondere im Dunkeln. Wie war er bloß unbemerkt an mir vorbeigekommen?
„Drei Taler“, forderte er erneut mit einem überlegenen Grinsen auf seinem Ganovengesicht.
Dass mich dieser Halunke reinlegen wollte, hatte ich gewusst – dass es ihm gelingen würde, hatte ich allerdings nicht erwartet. Und es ärgerte mich maßlos.
„Ich fordere ein zweites Rennen!“, sagte ich deshalb. „Es kann nicht sein, dass du schneller bist als ich.“
„Von mir aus, sehr gern“, sagte der Igel. „Dann wären aber noch mal drei Taler fällig.“