Mit einem wohlgezielten Hieb - Karl Plepelits - E-Book

Mit einem wohlgezielten Hieb E-Book

Karl Plepelits

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Beschreibung

Helenos, ein junger "alter" Grieche, findet seine große Liebe: Helena. Nun ist er aber schon verlobt. Doch ist dies bei weitem nicht die größte Hürde, die es zu überwinden gilt, bis Helenos und Helena endlich ihr Liebesglück finden. Die allergrößte Hürde stellt der Apostel Philippos dar. Er verdammt nicht nur die Homosexualität als todeswürdigen Gräuel, sondern auch die "heidnische" Ehe als Hurerei. Ihm gelingt es, Helena und ihre Angehörigen zu bekehren und schließlich sogar Helenos selbst – aber leider zu spät. Denn nun leidet er unter seiner jugendlichen Sexualität und macht sich, veranlasst durch einen bekannten Ausspruch Jesu, sich selbst zu einem Eunuchen. Doch inzwischen entdeckt Helena, dass sie schwanger ist. Sie lässt ihr Kind abtreiben und stirbt an den Folgen der Abtreibung. Zu Tode betrübt, sagt sich Helenos von Philippos und seiner Lehre los und zieht sich in die Einsamkeit zurück.

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Karl Plepelits

Mit einem wohlgezielten Hieb

Liebesdrama in vier Akten

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Impressum neobooks

Kapitel 1

Mit einem wohlgezielten Hieb

Liebesdrama in vier Akten

ERSTER AKT

Ach, ich Unglückswurm, ich lebender Leichnam!

Einsam und verlassen sitze ich hier – in einem Grab, in einer von Menschen geschaffenen Felsenhöhle, in Modergeruch und ewiger Finsternis und trauere meinem verlorenen Glück, meinem verlorenen Leben, meiner verlorenen Liebe nach.

Denn Glück ist Leben, und Leben ist Liebe. Doch die Liebe ist mir fremd geworden. Durch eigene Schuld ist sie mir fremd geworden. Und darum bin ich, ein angeblich Lebender, in Wahrheit tot.

Leben heißt nämlich lieben und zugleich geliebt werden – wahrhaft lieben und wahrhaft geliebt werden, nicht so, wie es diese neue Religion, das Christentum, lehrt, sondern wie sie Eros, der geflügelte, pfeil- und bogenbewehrte göttliche Dreikäsehoch den Menschen schenkt. Und wie Platon das Phänomen erklärt:

Jeder von uns ist die Hälfte eines Menschen, weil wir von Zeus in zwei Hälften zerschnitten worden sind, weil aus einem zwei geworden sind. Daher sucht ein jeder ständig nach seiner anderen Hälfte. Wenn nun einer seiner eigenen wahren Hälfte begegnet, sind die beiden vor Liebe, Freundschaft und Verlangen auf wunderbare Weise wie von Sinnen und wollen auch für kurze Zeit sozusagen nicht mehr voneinander lassen, sondern würden am liebsten zusammenwachsen, sodass sie aus zweien eins werden und, wenn sie sterben, auch dort im Hades nicht zwei, sondern nur eins sind. Und dafür ist eben das der Grund, dass dies unsere ursprüngliche Natur war und wir ganz waren; und das Verlangen nach dem Ganzen heißt Liebe.

So weit Platon. Was soll man nun also von einer Religion halten, die die Menschen zu ewigem Glück zu führen verspricht und gleichzeitig Folgendes lehrt: Es gibt Eunuchen, die aus dem Mutterleib so geboren worden sind, und es gibt Eunuchen, die von den Menschen zu Eunuchen gemacht worden sind, und es gibt Eunuchen, die um des Himmelreiches willen sich selbst zu Eunuchen gemacht haben. Wer das begreifen kann, der begreife es.

O ja, wir begreifen es: So gewinnt der Mensch nach seinem Tod ewiges Leben und ewiges Glück. Wir wollen einmal annehmen, dass diese Verheißung nicht bloß ein schönes Märchen ist. Doch zugleich begreifen wir auch, dass dieses ewige Leben und dieses ewige Glück nach dem Tod mit bitterem Unglück in diesem Leben erkauft wird.

Und so sitze ich jetzt einsam und verlassen in einem Grab, in einer von Menschen geschaffenen Felsenhöhle, in Modergeruch und ewiger Finsternis und vegetiere nur noch dahin und trauere meinem verlorenen Leben nach. Aufrecht hält mich allein die süße Erinnerung an eine bessere Zeit, als ich lebte, als ich liebte und geliebt wurde und als ich glücklich war.

Und damit mich diese süße Erinnerung nicht verlässt, damit sie mich auch weiterhin aufrecht hält, will ich diesem Papyrus die Geschichte meines wahren Lebens anvertrauen. Das Schreibrohr soll die süße (aber zum Teil auch bittere) Erinnerung festhalten und mir so einigen Trost in meinem Elend verschaffen.

Kapitel 2

Beginnen will ich mit meiner unvergesslichen Einweihung in die Mysterien des Eros. Ich war schon fast siebzehn Jahre alt, als ich in die Mysterien des Liebesgottes eingeweiht wurde. Und diese Einweihung traf mich wie ein Blitz. Ich war von heute auf morgen ein völlig neuer Mensch.

Dabei begann alles so harmlos in meiner Vaterstadt Ephesos, beinahe wie ein Kinderspiel. Mein bester Freund hieß Didymos. Eingeweiht war er schon längst. Das lag vielleicht daran, dass er wohlhabende Eltern hatte, die ihn nach Strich und Faden verwöhnten und ihm großzügig Geld zusteckten, über das er frei verfügen konnte. Und was tat er mit dem vielen Geld? Er gab es für die Liebe aus, das heißt, er besuchte damit die Hetären (Freundinnen).

Was Hetären sind, davon hatte ich lange keine rechte Vorstellung, und vor allem verstand ich nie, wieso man ihnen dafür, dass man eine Freundin besucht, auch noch etwas zahlen soll.

Eines Tages begleitete ich ihn auf dem langen Weg zu seiner Lieblingshetäre. So nannte er sie. Sie wohnte nämlich weit draußen in der Vorstadt Koressos nahe dem berühmten Tempel der Artemis.

Ich weiß noch, wie er mich nervte, indem er pausenlos von ihren Vorzügen schwärmte, wie hübsch und wie nett sie doch sei.

„Wenn sie wirklich so hübsch und so nett ist“, sagte ich, „warum nimmst du mich dann nicht einmal mit und zeigst sie mir?“

Daraufhin überkam ihn ein sagenhafter Lachkrampf, sodass mit der Zeit die übrigen Passanten auf uns aufmerksam wurden. Er klopfte mir auf den Rücken und schrie: „Na, du hast Ideen. Aber ja. Komm nur mit.“

Vor einem bestimmten Haus machte er halt und sagte: „Na, was ist? Kommst du mit, oder kommst du nicht mit? Weißt du was? Du bist mir sowieso viel zu schüchtern. Das kann so nicht weitergehen. Du kommst jetzt mit und siehst einmal, wie nett meine Perikleia ist.“

Er führte mich in einen sehr geschmackvoll eingerichteten Raum, in dem uns bereits, umgeben von mehreren Mädchen, die Herrin erwartete. War das seine Lieblingshetäre Perikleia?

Offensichtlich ja. Denn sie sprang augenblicklich auf, stürzte sich freudestrahlend auf Didymos und begrüßte ihn, indem sie ihm um den Hals fiel und ihn mit einer Heftigkeit küsste, wie ich das noch nie erlebt hatte. Danach schenkte sie mir das allersüßeste Lächeln und sagte zu Didymos: „O mein süßer Liebling, was für ein entzückendes Bürschchen hast du mir denn da mitgebracht?“

Ihr süßer Liebling war zu meiner Überraschung jetzt auf einmal verlegen, bekam einen hochroten Kopf und brachte kein Wort heraus.

„Ist er dein Freund?“, fragte sie, wohl, um ihm in seiner Verwirrung zu helfen.

Didymos nickte heftig. „Ja, ja, mein bester.“

„Aha“, fuhr sie fort, „wie Achilleus und Patroklos, ja? Und du hast ihn mitgebracht, damit er mit dir gemeinsam ...?“

„Nein, nein. Nein, nein. Nur, damit er ...“

Er verstummte abrupt und fuhr mit wesentlich ruhigerer Stimme fort: „Ja, weißt du, meine liebste Perikleia, Helenos hier ...“

„Ah, Helenos heißt du also?“, warf sie ein und blickte mich freundlich an. Ich konnte nur stumm nicken.

„Ja, das ist Helenos, mein bester Freund. Er ist nämlich so ... Du weißt doch, es ist die Pflicht des Freundes, für den Freund ...“

„... zu sorgen?“ ergänzte Perikleia versuchsweise.

„Nein ... Ja ... Ich meine, wenn man sieht, dass der Freund ... sich nicht traut ... Schwierigkeiten hat ... noch so schüchtern ist ...“

„Ah, ich verstehe ... gegenüber den Frauen?“

„Du sagst es“, rief Didymos eifrig. „Bei den Frauen. Er ist bei den Frauen noch immer viel zu schüchtern.“

„Da hat er, scheint’s, noch nicht genügend Erfahrung?“

„So ist es. Gar keine Erfahrung. Und drum habe ich mir gedacht ... das heißt, eigentlich ist er selber auf die Idee gekommen ...“

„... dich zu begleiten?“

„Genau. Wie klug du bist. Klug, hübsch und nett. Das habe ich ihm nämlich auf dem Weg hierher erzählt, und darauf hat er gesagt ... Weißt du, was er gesagt hat?“

„Nein?“

Doch anstelle einer Antwort brach Didymos erneut in einen Lachkrampf aus, der dem früheren auf der Straße an Heftigkeit nur wenig nachstand.

„Komm, sag es selbst“, befahl er mir danach.

„Wenn sie wirklich so hübsch und so nett ist, wie du sagst, warum nimmst du mich dann nicht mit, um sie mir vorzustellen?“, wiederholte ich gehorsam.

„Ah“, war alles, was sie darauf erwiderte.

„Er ist halt leider noch nicht eingeweiht“, bemerkte Didymos.

„In die Mysterien des Eros?“

„Du sagst es, Liebste. In die Mysterien des Eros. Und da dachte ich, es ist meine Freundespflicht ...“

„... mir aufzutragen, ihn einzuweihen?“

„Nein, so natürlich nicht. Wo denkst du hin. Sondern indem wir beide ... Na, kurz und gut: würde es dich stören, Liebste, ihn zuschauen zu lassen, wenn wir beide ...?“

„Ach, jetzt verstehe ich endlich, was du meinst. Aber nein. Solange es dir selber nichts ausmacht ... Und wenn du glaubst, dass es ihm hilft ... Mich stört es nicht. Wenn wir damit ein gutes Werk tun ... mir soll’s recht sein.“

„Was für ein gutes Werk, bitte?“, rief ich verärgert aus. „Und von welcher Einweihung redet ihr da eigentlich?“

„In die Mysterien des Eros“, flötete sie. „Weißt du, was die Mysterien des Eros sind?“

„Na ja,“ brummte ich, „so ungefähr. Sowas Religiöses halt. So ähnlich wie die Mysterien der ägyptischen Göttin Isis wahrscheinlich. Ich kenne einen, der ist in die eingeweiht. Aber wie diese Einweihung aussieht und was da passiert, das hat er mir nie erzählt; das ist angeblich ein strenges Geheimnis.“

Auf meine Worte antwortete Didymos mit geradezu unverschämtem Kichern. Da fuhr ich ihn reichlich ungnädig an und sagte: „Was kicherst du denn so? Habe ich vielleicht was Falsches gesagt?“

Doch der ganze Erfolg war, dass sich Didymos’ unverschämtes Kichern nur noch verstärkte. An seiner Stelle sagte Perikleia, und dabei flötete sie noch süßer als zuletzt: „Nein, du hast nichts Falsches gesagt. Aber trotzdem darfst du auf deinen Freund hier nicht böse sein. Er meint es nämlich nur gut mit dir. Außergewöhnlich gut sogar. Aber ich fürchte, du hast da etwas missverstanden. Die Mysterien des Eros haben nämlich nichts mit Religion zu tun, weißt du. Man bezeichnet damit das Liebesleben der Erwachsenen.“

„Oho“, entfuhr es mir. Das Liebesleben der Erwachsenen. Davon hatte ich damals noch höchst unzureichende Vorstellungen, und es war mir vollkommen klar, dass ich nicht zu den Erwachsenen gehören konnte, solange sich das nicht grundlegend änderte. Andererseits hing ich irgendwie an meiner kindlichen Existenz und zögerte, sie abzulegen, wohl wissend oder vielmehr ahnend, dass sie, sobald man sie ablegt, für immer verloren ist.

Während ich solchen Gedanken nachhing, merkte ich kaum, wie mir die Schuhe ausgezogen und die Füße gewaschen wurden. Und dann hörte ich plötzlich, wie aus weiter Ferne, Perikleias dunkle, samtige Stimme.

„Nun, mein Helenos, bist du bereit? Na, dann setz dich auf diesen Stuhl hier.“

Zugleich zog sie mich am Arm zu einem bestimmten Stuhl und drückte mich auf ihn nieder. „Von hier aus hast du, glaube ich, den besten Blick. Hier sind Naschereien“, und sie deutete auf einen Teller, der auf einem Tischchen neben dem Stuhl stand. „Iss davon nach Herzenslust. Wein soll dir gleich gebracht werden“, und sie beauftragte eines ihrer Mädchen, Wein für alle drei zu bringen. „Trink davon nach Herzenslust. Schau gut zu und lauf nicht davon.“

„Tut es denn so weh?“, stieß ich hervor, worauf Didymos zu meinem Ärger den nächsten Lachkrampf bekam. Aber auch die verbliebenen Mädchen brachen jetzt in unterdrücktes Kichern aus und warfen mir belustigte Blicke zu, während sie sich die Hand vor den Mund hielten, und sogar Perikleia hatte sichtlich Mühe, sich das Lachen zu verbeißen, und flötete: „Aber überhaupt nicht. Hab keine Angst.“

Kapitel 3

Der Wein wurde gebracht, die Mädchen verließen, immer noch leise kichernd, den Raum, und wir drei blieben allein zurück. Während ich anfing, mir durch krampfhaftes Essen und Trinken Mut zu machen, tänzelte Perikleia zu Didymos zurück, der immer noch unschlüssig herumstand und sich anscheinend doch nicht gar so wohl fühlte, und fiel ihm unvermittelt um den Hals, küsste ihn aber nicht, sondern begann ihm im Flüsterton, soweit ich ihre Worte verstand, tolle Komplimente zu machen, zuerst wegen seiner Freundes- und Nächstenliebe, also offenbar meinetwegen, sodann wegen seiner Treue, wegen seines guten Aussehens, wegen seiner männlichen Haltung, wegen seiner ungewöhnlichen Fähigkeiten in der Kunst, sie glücklich zu machen, und schließlich – ich traute meinen Ohren nicht – wegen der Größe und Schönheit seines Phallus. Und als ich daraufhin verblüfft hinblickte, erkannte ich zu meiner Bestürzung, dass sie sich mit ihrer rechten Hand an eben diesem Körperteil meines Freundes zu schaffen machte, zuerst noch über der Tunika. Doch wie es schien, fand sie das auf die Dauer langweilig oder zu wenig reizvoll und griff ihm völlig ungeniert unter die Tunika.

Gleichzeitig begann sie ihn wie wild zu küssen und zog ihn in Richtung eines riesigen Bettes, das ich bis dahin noch kaum beachtet hatte. Jetzt aber fiel es mir auf, und ich dachte: Was braucht dieses zarte Persönchen so ein riesiges Bett? Sie war nämlich in der Tat ein auffallend zartes, schmächtiges Persönchen, obwohl deutlich älter als ich und Didymos.

Auf diesem Bett machten es sich die zwei gemütlich und begannen, für mich damals jedenfalls, höchst merkwürdige Dinge zu tun, die mich beim Zuschauen erneut in Verwirrung setzten. Meine Erinnerung lässt mich weitgehend im Stich. Sicher ist nur, dass Didymos irgendwann anfing, fürchterlich zu schnaufen und nicht nur zu stöhnen, sondern herzergreifende Klagelaute auszustoßen. Desgleichen Perikleia. Zusätzlich stieß sie spitze Schreie aus.

Doch dann erlitt ich einen schlimmen Schock, als Didymos zu brüllen anfing. Er brüllte sic

h die Seele aus dem Leib, wie ich ihn noch nie brüllen gehört hatte, ohrenbetäubend und mit einer Intensität, dass mir das Blut in den Adern gefror.

Und dann war es plötzlich still. Didymos verstummte und war wie gelähmt. Perikleia verstummte, ließ sich auf ihn fallen und war wie gelähmt. Sollte ich Didymos zu Hilfe kommen? Schließlich war er mein bester Freund.

Aber den Göttern sei Dank. Die zwei waren einfach eingeschlafen. Und wachten irgendwann auch wieder auf, blieben aber noch ein schönes Weilchen liegen und scherzten miteinander, hauptsächlich über mich und meine Naivität.

Schließlich erhoben sie sich wieder, und Perikleia legte mir ihre Hände auf beide Schultern, blickte mir mit geheimnisvollem Schmunzeln ins Gesicht und sagte mit auffallend feierlicher Stimme: „O Helenos, dein Freund hier hat mich beauftragt, dich in die Mysterien des Eros einzuweihen. Richtig?“

„Ja, ja“, murmelte ich verblüfft und wusste nicht weiter.

„Und findest du“, fuhr sie fort, „dass die Einweihung schon vollendet ist?“

„Ich weiß nicht ... Aber so, wie du fragst, meinst du sicher: Nein.“

„Genau. Es fehlt die Vollendung. Und das meint auch Didymos.“

Sie zwinkerte ihm zu, und er nickte, belustigt grinsend.

„Und was ist die Vollendung?“, fragte ich zögernd. Denn mir schwante schon etwas.

„Ich sagte es schon: Dass wir dich zum Mann machen.“

„Ihr?“ sagte ich, halb belustigt, halb erschrocken.

„Nein, nein“, warf Didymos ein. „Nur Perikleia.“

„Perikleia?“ Ich spürte, wie ich schlagartig wildes Herzklopfen bekam und von einer unerklärlichen Erregung durchflutet wurde. Und jetzt ahnte ich schon mehr oder weniger, was die zwei von mir wollten.

„Nun, wenn du lieber eines meiner Mädchen möchtest ...“, begann sie unsicher. Aber ich ließ sie nicht ausreden, sondern rief schnell dazwischen: „Nein, nein. Nur, das kann ich ja nicht.“

„Das kannst du nicht?“, flötete sie in ironischem Ton und fasste mir gleichzeitig mit der Hand an den Phallus. Dieser aber war, wie mir erst jetzt bewusst wurde, urplötzlich angeschwollen und in die Höhe geschossen, sodass sich in meiner Kleidung eine höchst verräterische Ausbuchtung gebildet hatte.

Das kam derart überraschend, dass mir der Mund offen stehen blieb. Sie aber fuhr, völlig unbeeindruckt von meiner Überraschung, fort: „Mein Süßer, da täuschst du dich aber. Das kannst du nämlich wunderbar. Das erkennt sogar ein Blinder.“

„Aber ...“, stammelte ich, „ich habe das noch nie gemacht ...“

„Na eben. Gerade darum wollen wir dich ja einweihen und zum Mann machen. Möchtest du das nicht?“

„O doch. Nur, ich habe ja kein Geld.“

„Ach, wenn das der ganze Grund ist ... Ich bin doch keine von denen, die bloß aufs Geld aus sind. Nein, nein, komm nur, und dein Freund soll zuschauen und dir zeigen, wie’s geht.“

Sie löste mir den Gürtel, zog mir meine Kleidung aus. Splitternackt und mit hoch aufgerichtetem Phallus und wild pochendem Herzen stand jetzt vor ihr. Sie umarmte mich, zog mich ans Bett und damit an sich heran und begann mich zu küssen, wie mich noch nie zuvor ein Mensch geküsst hatte. Und ihre Lippen und ihre Arme und ihre Brüste und ihre Zunge und ihre Zähne ... all dies zusammen versetzte mich binnen kürzester Zeit in eine nie gekannte Erregung, und ich vergaß Didymos und vergaß alles um mich herum und spürte nur noch ihren herrlichen, weichen, glatten Körper, der mich liebkoste und mein gesamtes Bewusstsein erfüllte, und spürte ihren heißen Atem und spürte ihren erregenden Duft und ließ mich willenlos von ihr aufs Bett ziehen und kam irgendwie auf ihrem Bauch zu liegen und geriet so sehr außer mich, dass ich, ohne die geringsten Bedenken zu haben, meinerseits ihr Gesicht und ihren Hals und ihre Brüste mit Küssen bedeckte, und spürte plötzlich die herrliche, erregende Haut ihrer Schenkel an Hüften und Schenkeln und ihre weiche Hand am Phallus und hatte schließlich irgendwie das Gefühl, in ihr zu versinken. Und dieses Gefühl wurde immer stärker und immer zwingender und immer überwältigender, und alsbald glaubte ich nicht mehr in ihr, sondern in einem Ozean der Glückseligkeit zu versinken, und zuletzt, ja, zuletzt wurde ich von einem derart heftigen Glücksgefühl übermannt, dass ich in diesem Ozean geradezu zu ertrinken glaubte.

Aus dieser Ekstase oder Lähmung, oder wie immer ich es nennen soll, weckte mich erst plötzliches Händeklatschen und gleich darauf Didymos’ Stimme. Sie drang wie aus weiter Ferne an mein Ohr, und der Sinn seiner Worte blieb meinem Verstand verborgen; aber sie bewirkte, dass ich wieder zu mir kam, und dass mir bewusst wurde, was geschehen war.

Ja, was war geschehen? Ich lag immer noch mit Perikleia Liebe vereinigt, wie Homer sagt. Und darin täuschte ich mich bestimmt nicht. Ich schaute nämlich eigens nach. Ich stützte mich mit den Ellbogen auf und blickte an meinem und zugleich Perikleias Körper hinab; und dabei entdeckte ich eben, dass ich, oder genauer: mein Phallus tatsächlich in ihr, das heißt, in ihrer Körpermitte steckte, dass wir also in Liebe vereinigt waren.

Plötzlich hörte ich Didymos scherzen: „He, wie gut du das schon kannst. Mit welcher Frau hast du denn so fleißig geübt?“

Und dazu lachte er reichlich unverschämt, so kam mir vor. Aber ich achtete kaum darauf. Denn ich fühlte mich mit einem Mal irgendwie verändert, verwandelt, verzaubert. Ich spürte deutlich, dass ich soeben ein völlig neuer Mensch geworden war, dass Gott Eros von mir Besitz ergriffen hatte, dass ich in gewisser Weise selber zu einem Gott geworden war. In der Tat, ich hatte damals das zwingende Gefühl, von nun an übermenschlich und unsterblich, ja eben: göttlich zu sein, mit anderen Worten, dem Geschlecht der ewig glücklichen Götter anzugehören.

Kapitel 4

Plötzlich hörte ich Perikleia sagen: „War’s denn nicht schön für dich, bester Helenos?“

Ihre Stimme klang besorgt.

„O doch, o doch. Es ist nur ...“

„Ja?“

„Na ja, wie soll ich sagen ... ich weiß nicht, war das Wirklichkeit oder nur ein schöner Traum?“

„Oh, sei unbesorgt, mein Süßer, es war Wirklichkeit. Du bist jetzt ein wahrhaft Eingeweihter, eingeweiht in die Mysterien des Eros. Und denk immer daran, dass ich dich einst zum Mann gemacht habe.“

Reichlich abrupt, so schien es mir, fuhr sie fort: „Hast du keine Herrin? Ich meine, eine Geliebte?“

„O ja, schon“, erwiderte ich zögernd.

„Erzählst du mir von ihr, während wir uns anziehen? Wie heißt sie denn?“

„Rhode“, antwortete ich und spürte zugleich, wie ich errötete.

„Rhode? Was für ein hübscher Name. Er lässt an eine zartblühende und süßduftende Rose (rhodon) denken. Hat sie Dornen?“

„Dornen? Das kann man wohl sagen.“

„Darf ich raten? Du liebst sie und wärst zu ihr gern zärtlich, aber sie ziert sich und ist unnahbar. Ist es so?“

„Aber Perikleia.“ rief ich verblüfft aus. „Bist du eine Zauberin oder eine Hellseherin? Oder wie hast du das erkannt?“

„Also habe ich richtig geraten? Also, deine Rhode liebt dich zwar, kann oder will dir aber ihre Liebe nicht recht zeigen und ziert sich und ist unnahbar? Oder liebt sie dich etwa gar nicht?“

„Hm, dass sie mich liebt, glaube ich schon. Nur ...“

„... du liebst sie mehr als sie dich? Willst du das sagen?“

„Genau. Sie erlaubt mir ja nicht einmal, ihre Hand zu halten, geschweige denn etwas Intimeres zu tun. Dabei habe ich den Eindruck, ihre Eltern würden es nicht ungern sehen, wenn ich sie heiraten wollte. Diesbezügliche Bemerkungen hat nämlich ihre Mutter schon mehr als einmal fallen lassen. Aber solange sich Rhode so abweisend gibt ...“

„Liebster Didymos“, sagte Perikleia, „möchtest du deinem Freund nicht meinen Garten zeigen?“

Ich ließ ihn aber gar nicht zu Wort kommen. „O ja, den Garten würde ich mir sehr gern ansehen.“

Und so kam es, dass jenes einmalige, ja, einschneidende Erlebnis der Einweihung in die Mysterien des Eros ganz beschaulich und sittsam mit einem gemütlichen Rundgang durch Perikleias wunderschönen und liebevoll gepflegten Garten abschloss. Das heißt, wunderschön war er ja wirklich. Aber gar so liebevoll gepflegt kam er mir eigentlich nicht vor. Und das erwähnte ich auch.

Perikleia nickte, machte ein bekümmertes Gesicht. „Stimmt leider. Ja, die Nachbarsfrau, die mir den Garten betreut …“

„… und die du regelmäßig finanziell unterstützt, weil sie und ihre Familie ziemlich bedürftig ist“, warf Didymos eifrig ein, ohne Perikleia ausreden zu lassen.

Sie errötete und warf ihm einen liebevollen Blick zu. „Na gut. Was ich eigentlich sagen wollte: Die Gärtnerin ist nun schon seit geraumer Zeit nicht mehr gekommen. Ich muss einmal nachfragen, was denn los ist“.

Und mit einem süßen Kuss für Didymos und einem süßen Kuss für mich verabschiedete sie sich und eilte ins Haus zurück, nicht ohne uns eingeladen zu haben, den Garten zu genießen, solange wir Lust haben.

Ich dankte Didymos, dass er mich hierher mitgenommen hatte. „Du hast ja damit quasi bewirkt, dass ich endlich zum Mann herangereift bin. Ja, das habe ich dir und deiner reichen Erfahrung mit den Frauen zu verdanken.“

„Na ja, reiche Erfahrung ist leider noch etwas übertrieben ...“

„Aber nicht völlig daneben, was? Na ja. Und sag, da hast du noch nie einen Korb gekriegt?“

Das war ja mein Problem bei meiner Rhode: Ich war viel zu schüchtern und hatte ständig Angst, einen Korb zu kriegen.

„Nein, noch nie ... das heißt, o ja, schon; aber das waren halt Ausnahmen.“

„So? Und wie viele Ausnahmen, wenn ich fragen darf?“

„Freilich darfst du fragen. Wir haben ja keine Geheimnisse voreinander, oder? Nun, lass mich nachdenken. Da war einmal die Jüdin ...“

„Eine Jüdin?“

„Ja, ja. Aber ich weiß gar nicht, ob ich sie überhaupt unter die Ausnahmen zählen soll. Weil, ich hatte durchaus den Eindruck, dass sie sich nur zu gern von mir hätte verführen lassen, sich aber nicht traute, weil .. na ja, ich weiß es natürlich nicht genau, aber sie deutete an, dass es die Mädchen und auch die Frauen bei den Juden ungleich schwerer haben als bei uns Griechen und dass sie entsetzlich streng überwacht und bevormundet werden und, falls sie sich bei einem sogenannten Fehltritt erwischen lassen, fürchterliche Strafen zu gewärtigen haben. Aber hübsch war sie, das kann ich dir sagen.“

„Und weiter?“

„Weiter? Ach so, ja, die zweite Ausnahme. Also hör zu. Du wirst es mir vielleicht gar nicht glauben ... Stell dir vor, wo ich die kennengelernt habe.“ Und nach einer kleinen Pause, wohl, um die Spannung zu erhöhen: „Hier, in diesem Garten.“

„In genau diesem Garten der Perikleia?“

„Ja, stell dir nur vor. Erinnerst du dich, wie Perikleia von der Frau gesprochen hat, die ihr diesen Garten betreut?“

„Aber sicher. Eine bedürftige Nachbarin, die sie regelmäßig unterstützt. Ah, und die wolltest du verführen?“

„Nein, nicht sie selber. Ihre Tochter, die ihr dabei zur Hand geht.“

„Und die wolltest du hier, im Garten deiner Lieblingshetäre, vor den Augen der Mutter, verführen? Pfui, schäm dich, Didymos.“

Da lachte er herzlich und sagte mit natürlich gespielter Zerknirschung: „O ja, mein Bester, ich schäme mich ja so. Aber sei beruhigt, die Strafe folgte auf dem Fuß.“

„So? Wie denn?“

„Na, hör zu. Ich komme mit Perikleia nach getanem Werk …“

„Getanem Werk ist gut.“

„Geh, unterbrich mich nicht. Also: Ich komme mit Perikleia hierher in den Garten, um mich noch ein wenig von den Anstrengungen des Liebesgenusses zu erholen. Da sehe ich dieses Mädchen und werde sofort von Neugier, Interesse, ja, Verlangen erfasst. Sie war gemeinsam mit einer älteren Frau, die sich als ihre Mutter herausstellte, dabei, Unkraut zu jäten oder Pflanzen zu setzen, oder was weiß ich. Ich war nämlich so entzückt, so fasziniert von ihr, dass ich gar nicht darauf achtete, was sie tat. Nun, beide schauten von ihrer Arbeit auf, als sie uns bemerkten, und grüßten höflich. Aber während die Mutter nur blöd schaute, strahlte mich die Junge an, dass ich schon glaubte, ich gefalle ihr oder irgend sowas. Und dann rief sie begeistert aus: O Didymos! Hallo! Was für eine Überraschung! Als ich sie daraufhin nur verblüfft anstarrte, rief sie: Kennst du mich denn nicht mehr? Ich schüttelte den Kopf, und sie fuhr fort: Aber wir haben doch früher zusammen die Schulbank gedrückt. Erinnerst du dich nicht mehr? Und als ich weiterhin schwieg, rief sie: Aber ich bin doch die Helena, und wir haben gemeinsam die Elementarschule meines Vaters Timon besucht. Jetzt glaubte ich mich dunkel erinnern zu können, griff mir an die Stirn und sagte: Helena! Tatsächlich. Du musst entschuldigen. Das ist ja schon so lang her. Und du bist inzwischen so hinreißend hübsch geworden, dass ich dich nicht gleich erkannt habe. Und ich ging auf sie zu, um ihr die Hand zu drücken. Aber das ließ sie nicht zu und erklärte, ihre Hände seien viel zu schmutzig, um von mir gedrückt zu werden. Gleichzeitig wurde sie feuerrot im Gesicht, ich weiß nicht, ob vor Scham wegen ihrer schmutzigen Hände oder vor Verlegenheit, weil ich erwähnt hatte, dass sie so hinreißend hübsch geworden ist. Ja, das war’s im Wesentlichen. Viel mehr konnte ich damals mit ihr nicht reden und schon gar nicht flirten. Schließlich hatte ich ja Perikleia an meiner Seite. Entweder hatte sie an jenem Tag keine Arbeiten mehr zu erledigen, oder sie glaubte sich verpflichtet, mich nicht allein in ihrem Garten sitzen zu lassen. Und dabei hätte ich mir damals nichts sehnlicher gewünscht. Denn die Mutter kümmerte mich nicht. Schlimmstenfalls hätte ich sie unter irgendeinem Vorwand fortgeschickt. Sag mir, Helenos, kannst du dich noch an die Helena erinnern?“

Ich wiegte den Kopf, dachte krampfhaft nach und sagte schließlich: „Ich weiß nicht ... Sagtest du, die Tochter unseres Elementarlehrers Timon?“

„Ja, ja.“

„Du, ich glaube, ich kann mich an eine sehr stille, sehr blasse, sehr kleine, sehr zarte und auffallend blonde Mitschülerin erinnern, die für unseren Lehrer immer was zum Essen und Trinken eingesteckt hatte ...“

„Genau die war’s.“

„... und die von ihm immer viel strenger versohlt wurde als alle anderen.“

„So?“, sagte Didymos zweifelnd. „Na, daran erinnere ich mich nicht. Nur daran, dass er uns alle immer großzügig mit Schlägen bedachte. Aber an eins erinnere ich mich noch sehr gut – weil du erwähnt hast, dass sie eine sehr stille, blasse, kleine und zarte Mitschülerin war: dass sie dich immer bewundernd anschaute.“

„Mich?“

„Jawohl. Dich.“

Ich schüttelte ich den Kopf. „Ist mir nie aufgefallen. Und bewundernd?“

„Na, wenn ich’s dir sage.“

„Aber damals hast du mich darauf nie aufmerksam gemacht.“

„Klar. Weil ich eifersüchtig war.“

„Was? Du auf mich? Dass ich nicht lache. Aber erzähl doch weiter. Wo bleibt die Strafe, die auf dem Fuß folgte?“

„Ach, Helenos, ich bitte dich. Erspar mir die Einzelheiten. Die sind nicht gar so interessant, und das Ergebnis kennst du ja schon.“

„Du meinst: dass sie dir einen Korb gegeben hat?“

„Genau. Dass sie mir einen Korb gegeben hat. Gehen wir?“

„Oho, mir scheint, das ärgert dich aber immer noch gewaltig.“

„Ach, überhaupt nicht ... Oder ja, doch. Ich will’s zugeben, dass mich das gewaltig ärgert.“

„Und sag, warum eigentlich?“

„Warum mich das so ärgert?“

„Nein, nein. Warum sie dir einen Korb gegeben hat.“

„Warum sie mir ... Ja, wenn ich das wüsste. Ich habe keine Ahnung, ehrlich. Komm, gehen wir. Es wird ja schon finster.“

Und so verließen wir in gedrückter Stimmung diesen wundervollen Garten und dieses Haus, in dem wir eben erst so viele und so herrliche Freuden erlebt hatten.

Kapitel 5

So endete der Tag der Wunder, der Tag meiner zweiten Geburt, der Tag meiner ruhmvollen Einweihung in die Mysterien des Liebesgottes.

Er endete. Noch nicht hingegen endeten seine Wunder. Tatsache ist, dass er für mich noch weitere Wunder bereithielt. Und das kam so.

Wir verließen, wie gesagt, Perikleias Haus in gedrückter Stimmung. Um Didymos zu trösten und die Stimmung etwas zu heben, versuchte ich unser Gespräch wieder in Gang zu bringen und begann: „Also das war jetzt die zweite. Gibt’s noch weitere?“

„Weitere was?“, erwiderte er etwas unwirsch.

„Na, Ausnahmen halt. Du weißt schon: Ausnahmen von der Regel, dass du nie einen Korb kriegst.“

„Ach so.“ Und nach kurzem Nachdenken: „Nein.“

„Na also. Dann brauchst du dich doch nicht so zu ärgern. Und dem gegenüber stehen ... wie viele erfolgreiche Eroberungen?“

Doch genau in diesem Moment, und ehe noch Didymos irgend etwas darauf erwidern konnte, flog neben uns ein Haustor auf, und eine schmächtige Gestalt kam herausgestürmt und rannte schnurstracks in mich hinein. Dies geschah mit einem derartigen Schwung, dass ich selbst um ein Haar das Gleichgewicht verloren hätte und gegen Didymos plumpste, der auf der Straßenseite marschierte und dadurch meinen drohenden Sturz auffangen konnte, und naturgemäß nicht nur meinen, sondern zugleich den der schmächtigen Gestalt.

Sobald ich sie wieder aufgerichtet hatte, stieß sie atemlos hervor: „Danke ... Entschuldigt mich bitte ... Ich war ...“

Weiter kam sie nicht, denn im selben Augenblick brach es aus Didymos hervor: „O Helena. Du bist’s? Du hast uns nicht schlecht erschreckt.“

„Ah, Didymos. Grüß dich. Es tut mir ja so leid ...“

„Aber das braucht dir doch nicht leid zu tun, liebste Helena. Im Gegenteil. Wie ich mich freue, dich zu sehen.“

„Ach, sag doch das nicht. Ich glaube eher ...“

„O doch. Mein Freund Helenos hier ist mein Zeuge.“

„Oh, Helenos? Tatsächlich, Helenos! O Helenos, kennst du mich gar nicht mehr? Wir sind doch gemeinsam in die Schule gegangen.“

Und sie starrte mich mit großen Augen an. Bevor ich aber in meiner Verwirrung noch irgendetwas erwidern konnte, rief Didymos dazwischen: „Ja eben. Und er kann bezeugen, dass ich ihm soeben von dir vorgeschwärmt habe, wie süß und wie hübsch und wie begehrenswert du geworden bist. Nicht wahr, Helenos?“

Ich nickte heftig und spürte, wie mir das Blut ins Gesicht schoss. Mit beiden Händen ergriff ich ihre mir bereits entgegengestreckte Rechte und drückte sie.

Endlich gelang es mir wenigstens zu stammeln: „O doch … Jetzt, wo ich dich wiedersehe ... O ja, ich kann’s bezeugen ... Didymos hat mir gerade eben erzählt, wie ihr euch in diesem hübschen Garten wiedergefunden habt“, und ich deutete mit dem Kopf die Richtung an. „Von dort kommen wir nämlich gerade her ...“

Weiter kam ich nicht, denn Didymos stieß mir seinen Ellbogen unsanft in die Rippen.

„O Helena“, flötete er, „dass wir uns jetzt begegnet sind und noch dazu so stürmisch – da muss das Schicksal seine Hand im Spiel gehabt haben.“

Aber sie starrte weiterhin mich mit großen Augen an, ohne Didymos zu beachten.

Dieser aber flötete weiter. „Was meinst du, liebste Helena? Sollten wir nicht diesen Wink des Schicksals befolgen? Komm doch in meine Arme, damit du fühlen kannst, wie mein Herz nach dir schlägt.“

Und er breitete die Arme aus, offensichtlich in der Erwartung, dass sie sich augenblicklich an seine Brust werfen wird, um zu fühlen, wie sein Herz nach ihr schlägt. Doch der einzige Erfolg seiner Worte war, dass sie nun zwischen mir und ihm hin- und herblickte und dabei einen reichlich verwirrten Eindruck machte.

Das erinnerte ihn offenbar an ihren stürmischen Auftritt von vorhin, und er sagte: „Aber was ist denn eigentlich los, liebste Helena? Gerade eben hattest du es so eilig, und jetzt stehst du nur herum und starrst uns an und bist stumm wie ein Fisch?“

Diese Worte meines lieben Freundes Didymos fand ich weder besonders nett noch besonders charmant, und Helena allem Anschein nach auch nicht. Denn sie warf ihm daraufhin einen merkwürdigen und fast empörten Blick zu, brach sodann in Tränen aus, murmelte: „Lebt wohl“, drehte sich brüsk um und stürzte im nächsten Moment ins Haus zurück. Doch ehe sie das Tor, das übrigens die ganze Zeit offen gestanden war, hinter sich schloss, blickte sie noch einmal kurz zu uns – oder zu mir? – zurück und flüsterte: „Wir sehen uns wieder, ja?“ Und dabei glaubte ich trotz der Dunkelheit zu erkennen, wie über ihr verheultes Gesicht der Hauch eines Lächelns huschte.

Wir selbst standen währenddessen wie zwei Ehrenstatuen vor dem Tor und starrten ihr noch eine ganze Weile nach.

Plötzlich wandte sich Didymos nach mir um, warf mir kopfschüttelnd einen höchst merkwürdigen Blick zu, drehte sich im nächsten Augenblick um und setzte sich, ohne ein Wort zu verlieren, wieder in Bewegung. Und ich hatte ganz schön zu tun, um ihm zu folgen.

„Du, ich verstehe nicht, wie du dich nur wegen des einen Korbes, den du da bekommen hast, so ärgern kannst, und das nach einem so schönen Tag“, murmelte ich unsicher.

„Das kannst du auch nicht verstehen“, knurrte er. „Du weißt ja nicht, was Liebeskummer ist.“

Und ich: „Liebeskummer? Wegen der einen Helena? Aber geh. Wo dir doch alle anderen Mädchen zu Füßen liegen.“

Und er: „Jawohl. Wegen der einen Helena. Und gerade nach der Szene von vorhin noch viel mehr.“

Und ich: „Wieso gerade nach der Szene von vorhin?“

Und er: „Na, hast du nicht gemerkt, wie sie die ganze Zeit nur dich angeglotzt hat? Nur für dich hat sie Augen gehabt. Mich hat sie ja kaum wahrgenommen.“

Und ich, zögernd: „O ja, jetzt, wo du’s sagst. Aber ist das nicht ganz natürlich? Mich hat sie ja gerade erst wiedergefunden, während sie dich schon kennt.“

Und er: „Ach, Helenos, du bist ja sowas von naiv.“

Und damit verstummte er und war durch nichts mehr aus seiner Reserve hervorzulocken, bis wir schließlich zu der Kreuzung kamen, wo sich unsere Wege trennten. Dort blieb er stehen, packte mich an den Schultern, schaute mir intensiv in die Augen und brummte: „Du? Sei mir nicht böse, ja? Ich habe es nicht so gemeint.“

Da lachte ich leise und erwiderte: „Aber ich bitte dich. Wie könnte ich dir denn jemals böse sein? Im Gegenteil, ich habe dir sehr zu danken.“

Damit waren Friede und Eintracht wiederhergestellt, und wir verabschiedeten uns voneinander mit der altgewohnten Herzlichkeit und Vertrautheit.

Kapitel 6

Als ich am nächsten Morgen, tief in Gedanken versunken, wie gewohnt zum Gymnasion wanderte, beschloss ich, den Unterricht diesmal zu schwänzen und dafür lieber in die Vorstadt Koressos zu pilgern, um die Stätte meiner gestrigen Abenteuer aufzusuchen und zu sehen, ob vielleicht wieder jemand aus dem Haus gestürmt kommt.

So stand ich schließlich vor Helenas verschlossenem Hauseingang. Was sollte ich jetzt tun? Einfach ans Tor klopfen? Ausgeschlossen. Nach längerem Hin und Her beschloss ich, genau das zu tun, was ich ohnehin die ganze Zeit vorgehabt hatte: zu warten, ob vielleicht wieder jemand aus dem Haus gestürmt kommt.

Plötzlich öffnete sich die Tür. Und wen sehe ich zu meiner unaussprechlichen Freude? Helenas lieblich geröteten Kopf, wie er hinter dem halb geöffneten Haustor hervorspäht und offensichtlich etwas (oder jemanden?) sucht. Sie trat aus dem Tor und kam schnurstracks auf mich zu, blieb vor mir stehen, gab mir die Hand und sagte mit einem zarten Lächeln: „Hallo, Helenos.“

„Hallo, Helena“, stammelte ich und wusste nicht weiter. Und so standen wir uns nun die längste Zeit stumm gegenüber und schauten uns bloß an.

Endlich brach sie das Schweigen und sagte, wenn auch im Flüsterton: „Ich freue mich, dich wiederzusehen. Ehrlich.“

„Ich mich auch“, murmelte ich.

Sie blickte sich nach allen Seiten um. „Bist du allein?“

Ich nickte und stammelte: „Didymos ist leider im Gymnasion. Das heißt, ich vermute es.“

Da glaubte ich zu bemerken, wie ihre Augen aufleuchteten, und sie flüsterte: „Macht nichts. Bist du übrigens zufällig hier, oder wolltest du gar mich besuchen?“

„So ist es. Dich wollte ich besuchen.“ Und mit festerer Stimme: „O Helena, ich muss mit dir reden.“

„Oh, ist das wahr?“

Wieder fiel mir auf, wie ihre Augen aufleuchteten, und diesmal war ich mir dessen ziemlich sicher. „Aber wollen wir nicht hineingehen? Wenn wir noch länger so herumstehen, werden sich die Nachbarn bestimmt alsbald die Mäuler zerreißen und uns für ein Liebespaar halten. Du weißt ja, wie Nachbarn sind. Außerdem muss ich auf mein Schwesterchen aufpassen.“

Helena führte mich in den Peristylhof, wo ein allerliebstes, rothaariges kleines Mädchen so hingebungsvoll mit seinen Puppen spielte, dass es unsere Ankunft gar nicht registrierte oder vielleicht auch gar nicht registrieren wollte. Wir schauten ihrem Spiel ein Weilchen schweigend zu.

Plötzlich rollten dicke Tränen über Helenas Wangen.

„Aber Helena“, rief ich leise aus. „Du weinst ja. Warum weinst du denn?“

Sie wischte sich die Tränen aus den Augen und murmelte: „Ach, es ist nichts.“ Und damit verfiel sie erneut in ihr Schweigen.

Kurz darauf blickte das kleine Mädchen auf und krähte: „Ich muss Pipi.“

„Na, dann komm“, sagte Helena und streckte eine Hand nach ihr aus. „Gehen wir in die Latrine. Schau, das ist Helenos. Gibst du ihm schön die Hand? Aber die rechte, ja?“

Nun schenkte sie mir zum ersten Mal Beachtung, die Kleine, entzog Helena ihre Rechte und streckte sie mir entgegen. Ich ergriff sie, schüttelte sie höflich, ging in die Knie, um mit ihr auf gleicher Höhe zu sein, und sagte so freundlich wie möglich: „Jawohl, ich heiße Helenos. Und wie heißt du?“

„Heliodora“, krähte sie, und dann: „Bist du mein neuer Papi?“

Da musste ich schmunzeln, blickte kurz zu Helena auf, stellte fest, dass sie nicht schmunzelte, sondern ungewöhnlich ernst dreinschaute, blickte wieder auf die Kleine und sagte: „Nein, nur ein Freund.“

„Ach so“, krähte sie, und es klang reichlich enttäuscht. Ich hörte noch, wie sie krähte: „Hunger habe ich auch.“ Und dann waren sie im Hausinnern verschwunden, und ich machte es mir inzwischen auf einer Bank bequem. Als die zwei wieder zurückkamen, brachte mir Helena sogar eine Kleinigkeit zum Essen und Trinken mit. Sie setzte sich neben mich auf die Bank und nahm Klein-Heliodora auf ihren Schoß. Die hatte im Augenblick offenbar vom Puppenspielen genug oder hatte auch einfach Wichtigeres zu tun: mich mit großen Augen zu betrachten.

„Aha, das ist also dein Schwesterchen?“ sagte ich zu Helena und lächelte gleichzeitig die Kleine an. Helena nickte feierlich, und Heliodora zeigte auf sie und krähte: „Und das ist meine Mami.“

„Ich wusste ja gar nicht, dass du ein Schwesterchen hast“, fuhr ich fort, ohne Heliodoras Kommentar zu beachten.

„Kein Wunder.“ erwiderte Helena. „Als wir zusammen in die Schule gingen, war sie ja noch nicht geboren.“

Ich griff mir an die Stirn und rief: „Na klar. Wie alt ist sie denn genau?“

„Vier Jahre und acht Monate.“

„Ja, dann ... Aber auffallend der Unterschied. Du so wunderbar blond, und sie so entzückend rot.“

„Ja, da hast du recht. Weißt du, sie hat nämlich eine andere Mutter als ich.“

„Ach so? Ist deine Mutter ...“

„Nein, nein. Sie hat uns verlassen.“

„Verlassen?“

„Ja. Sie hat nämlich irgend so einen Römer kennengelernt, ihn geheiratet und ist mit ihm nach Rom gegangen. Bald darauf hat mein Vater ein zweites Mal geheiratet.“

„Sodass du jetzt eine Stiefmutter hast?“

„Ja, sicher. Aber weißt du, was ich dir sage? Lieber eine Stiefmutter als gar keine Mutter.“

„Aber deine eigene Mutter fehlt dir sicher sehr? War das der Grund, warum du vorhin geweint hast?“

„O nein, das war nicht der Grund. Aber ob mir meine eigene Mutter sehr fehlt? Na klar. Und wie.“

„Und wie verstehst du dich mit deiner Stiefmutter?“

„Oh, an und für sich ganz gut. Und ihr habe ich ja schließlich mein Schwesterchen hier zu verdanken.“

Und während sie das sagte, drückte sie Klein-Heliodora zärtlich an sich und küsste sie liebevoll auf die Stirn.

Da bückte ich mich zu ihr hinunter und sagte: „Na, deine große Schwester hat dich aber sehr lieb, was?“

Darauf, ganz ernsthaft, die Kleine: „Das ist aber meine Mami.“

Ich blickte schmunzelnd zu Helena auf. Diese erwiderte mein Schmunzeln nicht und erwiderte unerwartet: „Du wolltest mit mir reden? Worüber denn?“

Nun verließ mich der ganze Mut. Ich blickte mich unsicher um und flüsterte: „O Helena, können wir nicht irgendwohin gehen, wo wir ungestört sind?“

Sie lachte leise. „Wir sind hier völlig ungestört. Und wegen der Heliodora brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Sie wird ganz bestimmt nichts ausplaudern.

„Aber wieso sind wir hier eigentlich völlig ungestört? Sind denn die anderen alle außer Haus?“

Auf diese meine so harmlose Frage hin passierte etwas vollkommen Unerwartetes. Anstatt sie zu beantworten, ließ sie den Kopf hängen und begann herzzerreißend zu schluchzen. Und ich saß hilflos neben ihr und starrte sie überrascht, entsetzt und verständnislos an.

Erst als sie mir, noch immer unter Tränen, schüchtern zulächelte, raffte ich mich auf und begann: „O Helena, warum weinst du denn so? Doch nicht etwa wegen dem, was ich gesagt habe? Ich habe dich ja nur gefragt, ob wir hier ungestört sprechen können und ob außer uns niemand im Haus ist.“

Wieder nickte sie und murmelte: „Das ist es ja eben. Alle anderen sind außer Haus.“

„Ist das so schlimm?“

„O Helenos, ich fürchte, das kannst du nicht verstehen. Du weißt sicher nicht, wie das ist, wenn Mutter und Vater fortgehen und mir die kleine Schwester überlassen.“ Und nach kurzem Schweigen sagte sie: „Wie gesagt, meine Stiefmutter und mein Vater sind fortgegangen ...“, und verstummte wieder.

Um ihr weiterzuhelfen, sagte ich: „Aus Ephesos?“ Und als sie darauf nur nickte: „Aber sie werden doch sicher bald wieder zurückkommen? Schließlich hat dein Vater hier in Ephesos seine Schule.“

„Das ist es ja gerade“, rief sie unwillig aus. „Er vernachlässigt sogar seine beruflichen Pflichten. Wovon sollen wir denn leben, wenn das so weitergeht? Für nichts werden ihm die Kinder kein Schuldgeld mitbringen, oder was meinst du? Aber schuld ist sie.“

„Wer? Deine Stiefmutter?“

„Na klar. Sie ist nämlich als erste fortgegangen. Gestern. Drum war ich ja gestern Abend so außer mir. Ich glaubte es nämlich im Haus herinnen nicht mehr auszuhalten. Du kannst dir ja gar nicht vorstellen, wie wild mein Vater war. Na, und heute früh, im ersten Morgengrauen, ist er zusammen mit unserem einzigen Sklaven fortgegangen, um ihr nachzueilen und sie zurückzuholen, wenn es sein muss, mit Gewalt. Und nachdem nun unsere einzige Sklavin einkaufen gegangen ist, bin ich eben mit Heliodora allein im Haus.“

„Und mit mir.“

Helena warf mir einen Blick zu, unter dem ich dahinschmolz. „Ich bin dir wirklich sehr dankbar. Du weißt nicht, wie dankbar ich dir bin, dass du mich besuchen gekommen bist, dass du mir Gesellschaft leistest, dass du dir so geduldig meine Sorgen anhörst.“

„Also, dein Vater ist wegen deiner Stiefmutter fortgegangen. Das verstehe ich. Aber warum ist sie fortgegangen? Haben sie gestritten oder was?“

„Ach nein“, erwiderte sie, „überhaupt nicht. Sie haben sich, glaub ich, meistens recht gut verstanden. Sie haben, soweit ich das beurteilen kann, immer eine gute Ehe geführt, wahrscheinlich eine bessere als meine eigene Mutter und er. Jedenfalls bis vor kurzem.“

„Ja, dann ... dann hat vielleicht auch hier ein anderer Mann seine Hand im Spiel?“

„Ja, ein anderer Mann. Aber nicht so, wie du denkst. Nicht so wie bei meiner eigenen Mutter, sondern ... Ich weiß nicht, wie ich dir das erklären soll ... Na, hör zu. Du kennst ja die Schule meines Vaters. Das Haus, in dem diese untergebracht ist, gehört einem Juden oder wird von einem Juden und dessen Familie bewohnt; so genau kenne ich mich da selber nicht aus. Na ja, und Ariste, so heißt meine Stiefmutter, liebte meinen Vater, zumindest bis vor kurzem, so sehr, dass sie ihn, sooft sie nur konnte, in der Schule besuchte, ihm das Mittagessen oder auch nur etwas zum Naschen brachte und ihm bei Gelegenheit sogar beim Unterrichten half oder sonst im kleinen Hof hinter dem Unterrichtslokal wartete, bis er mit seiner Arbeit fertig war, um ihn anschließend nach Hause zu begleiten.“

„Na, das nenne ich wahre Liebe. Oder ist es einfach wahre Eifersucht?“

„Wer weiß? Aber lass mich weiterberichten. Es ist jetzt vielleicht einen Monat her, da nahm die erwähnte jüdische Familie einen Gast bei sich auf, der, wie sich herausstellte, ebenfalls Jude ist, sogar Jude aus Palästina, der ursprünglichen Heimat der Juden. Philippos heißt er. Er war aber kein normaler Gast. Ein normaler Gast verhält sich möglichst ruhig und unauffällig und macht seinen Gastgebern keine unnötigen Scherereien, nicht wahr? Dieser hingegen begann in ihrem Haus lange Vorträge zu halten, nicht nur den Hausgenossen selbst, sondern auch zahlreichen Fremden, Männern und besonders Frauen und Jungfrauen, die er Tag für Tag entweder anschleppte oder durch die Kunde von seinen Vorträgen anlockte. Ariste hörte mit, ob sie wollte oder nicht, und wurde binnen kürzester Zeit von diesen Vorträgen so gefesselt, dass es mein Vater immer schwieriger fand, sie nach Unterrichtsschluss von ihnen loszureißen, um mit ihm nach Hause zu gehen. Und als es den Gastgebern schließlich zu bunt wurde – sie hatten sich nämlich angeblich den Unwillen oder gar den Hass der übrigen Juden der Stadt zugezogen, weil sie diesem Philippos das Gastrecht gewährten und weil dieser, scheint’s, eine Lehre verkündet, die von ihrer eigenen irgendwie abweicht – als es, wie gesagt, seinen Gastgebern zu bunt wurde und sie ihn kurzerhand vor die Tür setzten, da bestürmte Ariste meinen Vater so lange, bis er ihn in unserem Haus aufnahm. Das ist jetzt sechs oder sieben Tage her. Na, was glaubst du, was danach geschah? Er setzte seine Vorträge einfach fort, jetzt eben nicht mehr vor einem größeren Publikum, sondern nur mehr vor Ariste, und diese saß nun praktisch Tag und Nacht zu seinen Füßen und lauschte seinen, zugegeben, wohlgesetzten Worten. Ich konnte nämlich nicht umhin, das eine oder andere von ihnen aufzuschnappen. Aber ich versuchte, nicht hinzuhören, denn sie waren mir zutiefst zuwider, weil mir nicht verborgen blieb, wie mein Vater unter dieser ganzen Situation litt.“

„Also, dein Vater litt darunter?“

„Na, was glaubst du. Und wie. Das kannst du dir gar nicht vorstellen ...“

„O doch. Das kann ich mir sehr gut vorstellen. Warum hat er’s denn nicht einfach so gemacht wie die früheren Gastgeber dieses Philippos und ihn aus dem Haus geworfen?“

„Sehr einfach, weil er Ariste liebt. Aber gerade, was das betrifft ... O nein, mein Bester, du kannst dir das nicht vorstellen, wie er darunter litt, denn er ... denn sie ... O Helenos, dir ist doch sicher schon bekannt, dass Mann und Frau einander auch ihre körperliche Liebe schenken.“

Ich musste schmunzeln und nickte schweigend.

„Ja, und dieser Philippos scheint nun Ariste so sehr den Kopf verdreht zu haben, dass sie sich von heute auf morgen weigerte, ihrem eigenen Ehemann ihre körperliche Liebe zu schenken.“

„Aha, hat sie sich doch in diesen Philippos verknallt, wie?“

„O nein, eben nicht, jedenfalls nicht so, wie sich meine eigene Mutter in jenen Römer verknallt hat. Sie hat mit ihm nichts; so beteuert sie. Sondern wenn ich sie richtig verstanden habe, lautet seine Lehre: Der Mensch muss auf die Freuden der Liebe vollkommen verzichten.“

„Wirklich? Wieso?“

„Was weiß ich? Ich versteh’s ja genauso wenig. Also wenn das stimmt, was sie behauptet, dann schläft sie jetzt weder mit meinem Vater noch auch mit diesem Philippos noch mit sonst jemandem, sondern lebt enthaltsam.“

„Aha. Und wie lang soll das dauern?“

„Du wirst es nicht für möglich halten: für immer. Das ganze Leben lang. Kannst du dir jetzt vorstellen, was mein armer Vater mitmacht? Aber das Beste kommt erst. Vorgestern erklärt dieser Philippos plötzlich, Ephesos verlassen und in die nächste Stadt weiterziehen zu müssen.“

„Na also“, entfuhr es mir.

„Nein, nein. Gestern verließ er uns, und sie ging mit ...“

„Sie ging mit?“

„Sie ging mit und ließ nicht nur ihren Ehemann, sondern sogar ihr kleines Kind zurück. Von mir oder dem Haushalt oder dem Gerede der Leute will ich gar nicht reden. Und unsere flehentlichen Bitten, bei uns zu bleiben, beachtete sie nicht einmal, weder meine noch die unserer beiden Sklaven. Mein Vater hatte nämlich zu diesem Zeitpunkt bereits das Haus verlassen, um den weiten Weg in seine Schule zurückzulegen, sodass er erst am Abend nach seiner Rückkehr merkte, was passiert war. Ich hatte nämlich bis dahin inständig gehofft, dass Ariste sich’s doch noch anders überlegen und rechtzeitig wieder heimkehren wird. Aber das war nicht der Fall, und als mein Vater schließlich die Wahrheit erfuhr, da bekam er einen sagenhaften Tobsuchtsanfall und begann vor allem mit mir zu toben, als ob ich an der ganzen Misere schuld wäre, bis ich’s schließlich nicht mehr aushielt und völlig kopflos aus dem Haus stürzte ...“

„... und mich niederzurennen versuchtest“, warf ich schmunzelnd ein.

„Mhm, und du hast mich aufgefangen und wunderschön getröstet.“

„Getröstet?“

„Freilich: du hast mich getröstet und mir Mut gemacht.“

„Ja? Aber dann war das zur Hälfte Didymos’ Werk.“

„O nein ... Apropos: wolltest du mir nicht irgendwas über Didymos erzählen?“

Da griff ich mir an den Kopf und sagte: „Du hast recht. Ja, Didymos, über ihn muss ich mit dir unbedingt reden.“

Und ich begann sein Loblied zu singen: was für ein edler und wertvoller Mensch er sei und was für ein treuer, rücksichtsvoller und hilfreicher Freund und so weiter. Sodann versuchte ich ihr zu schildern, wie sehr er in sie verliebt ist, wie süß, hübsch und begehrenswert er sie findet und wie sehr er darunter leidet, dass sie ihn zu wenig beachtet und ihm jedes Mal einen Korb gibt und so weiter. Und schließlich empfahl ich ihr, ja, bat sie sie rundheraus, ihn in Hinkunft zu erhören und ihm ihre Gunst zu schenken.

Heute kann ich mich über meine damalige Naivität wirklich nur wundern. Wie hatte Didymos selbst gesagt? Du bist ja sowas von naiv. Und wie recht er hatte!

Nicht weniger staune ich über Helenas Reaktion. Weder lachte sie mich aus, noch wurde sie ungehalten oder zornig. Sie wandte sich weder beleidigt ab, noch verabreichte sie mir eine schallende Ohrfeige. Sie nahm mir meine Worte weder übel, noch verachtete sie mich ihretwegen. Sondern hörte sich meine Tirade mit größter Geduld an, schaute mir sodann die längste Zeit mit tiefernster Miene in die Augen und erwiderte mit süßer Stimme: „Also aus lauter Edelmut?“ schenkte mir das allersüßeste Lächeln. Und dieses Lächeln und dieser Blick setzte mich vollständig außer Gefecht.

Doch es zeigte sich, dass Helena meine Vorspiegelung reinen Edelmutes durchschaute und erkannte, dass ich nicht aus Edelmut, sondern aus reinem Eigennutz zu ihr gepilgert bin, weil ich schon in sie verliebt war. Denn bei jener Begegnung am Vorabend hatte mich der Pfeil des Eros getroffen. Und Liebe ist nicht edelmütig, nicht selbstlos, sondern eigensüchtig und will nur eins: den Anblick oder gar den Besitz der geliebten Person. Ich will ja gar nicht, was ich mit meinem Mund von ihr verlange. Mein sehnlichster Wunsch lautet: Helena möge mir ihre Gunst schenken und sonst keinem, auch nicht meinem besten Freund Didymos.

Das weiß wohl auch Helena selbst. Denn plötzlich – ich wüsste nicht, wer damit begonnen hat – trafen meine Lippen und Helenas Lippen aufeinander und vereinigten sich zu einem überwältigenden Kuss. Gleichzeitig legten sich meine Arme um ihre Schultern und legten sich ihre Arme um meine Schultern. Und diese keusche Umarmung und diesen keuschen Kuss empfand ich als so köstlich, dass sich die ganzen Freuden der Liebe, die ich am Vortag im Nachbarhaus genossen hatte, im Vergleich damit geradezu ein Nichts waren.

Nachdem wir uns ein schönes Weilchen ganz verklärt angeschaut und geschwiegen hatten, neigte sich sich vor und drückte mir einen kurzen, aber unbeschreiblich süßen Kuss auf die Lippen.

„O mein Lieber“, sagte sie danach, „jetzt muss ich dir etwas gestehen. Du sollst nämlich wissen, dass ich schon als Kind ... dass ich schon, als wir zusammen in die Schule gingen, in dich verliebt war. Seither habe ich all die Jahre hindurch dein Bild in meinem Herzen getragen.“

Darauf konnte ich nichts erwidern. So überrascht, so entzückt war ich über Helenas Worte.

„Natürlich wusste ich damals noch nicht, dass es Liebe ist. Aber jetzt weiß ich’s. Und als ich dich gestern Abend so plötzlich und unerwartet wiedersah, da flammte das alte Feuer der Liebe sofort wieder auf ... oder besser: da wusste ich plötzlich, dass ich dich lieb habe ... dass ich unsterblich in dich verliebt bin. So, jetzt ist es gesagt. Jetzt weißt du’s.“

Kapitel 7

Unterdessen hatten wir uns ins Haus zurückgezogen. Klein-Heliodora verlangte nach Speis und Trank. Danach fielen ihr die Äuglein zu. Also war ein Mittagsschläfchen fällig.

Jetzt, wo wir allein sind, dachte ich, wäre ein Bett auch für uns nicht schlecht.

„Wo schläfst eigentlich du?“, flüsterte ich.

Helena wies auf das Bett, auf dem wir saßen und in dem Klein-Heliodora friedlich schlummerte, und flüsterte: „Hier. Ich teile dieses Bett mit meinem Schwesterchen.“

Trotz des Flüsterns war ihrer Stimme deutlich anzumerken, dass sie zitterte. Etwa von Erregung? Mich hatte nämlich selbst auf einmal eine ungeheure Erregung ergriffen. Und dazu die altgewohnte Scheu vor dem anderen Geschlecht, die mir von meinen Begegnungen mit Rhode, meiner sogenannten Herrin, so wohlvertraut war.

Aber war ich nicht erst gestern in die Mysterien des Liebesgottes eingeweiht worden? Hatte ich nicht endlich gelernt, wie man mit Frauen umzugehen hat? War ich nicht inzwischen durch Perikleia zum Mann gemacht worden? Und wie hatte sie gesagt? Zuversichtlich und selbstbewusst – das brauchen die Frauen, glaub mir.

Und sogleich fiel ich über Helena her. Nein, ich ergriff ihre Hände und zog sie mit sanfter Gewalt an mich. Und küsste sie lang und intensiv. Und küsste sie wieder und wieder. Und meine süße Erregung stieg ins Unermessliche. Ich entkleidete sie und entkleidete mich selbst.

„Oh ... was hast du vor?“, flüsterte, nein, hauchte Helena. Und gleich darauf: „Bitte nicht.“ Und dabei schaute sie fast ein wenig erschrocken drein.

Als Antwort lächelte ich sie bloß an und bemühte mich, möglichst zuversichtlich und selbstbewusst zu wirken und sie nicht durch meine verdammte angeborene Schüchternheit anzuwidern und abzustoßen. Und drückte erneut heiße Küsse auf ihre Lippen. Sie aber flüsterte: „Oh, was tust du?“

Ich hob den Blick, schaute ihr ins Gesicht und las in ihren Augen Schrecken, aber zugleich auch Freude, Lust, Verlangen. Da wusste ich sogleich, was ich zu tun hatte. Ich durfte nicht schüchtern sein, damit sich Helena nicht ebenso abweisend und unnahbar zeigt wie Rhode, meine angebliche Herrin.

„O Helena, wie ich dich liebe“, stieß ich atemlos hervor und fiel nun mit dem erneuten Ausruf „O Helena, wie ich dich liebe“ endgültig über sie her. Gleichzeitig blickte ich ihr in die Augen und in ihnen zu meiner maßlosen Enttäuschung nicht Verlangen und auch nicht Lust. Sondern Angst.

Wie, Helena zittert vor Angst?

„O Helena, Liebste“, flüsterte ich, „hast du Angst?“

Sie nickte heftig. „Bitte nicht.“

Bitte nicht? Ich hatte gedacht ... Aber nein, nur nicht schwach und unmännlich werden, sonst fühlt sich Helena angewidert und abgestoßen.

„Hab keine Angst“, erwiderte ich. „Ich liebe dich ja.“

Als ich mich jedoch anschickte, mich auf sie zu werfen, da spürte ich ihre zitternden Hände rund um meine Unterarme. Und sie zitterten zwar, hielten sie aber mit unerwarteter Kraft umfasst und hinderten mich fürs erste, mein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Und noch einmal flehte sie: „Bitte nicht.“

Verblüfft und verwirrt starrte ich sie an. „Aber ... wieso denn nicht? Ich liebe dich doch. Liebst du mich denn nicht auch?“

„O ja“, erwiderte sie sehr ernsthaft und sehr bestimmt. „Ich liebe dich. Aber ich möchte das nicht ... noch nicht ... nicht so schnell.“

„Nicht so schnell?“, stammelte ich kopfschüttelnd und merkte gleichzeitig, wie meine ganze schöne Erregung dahinschwand.

„Nein, ich bin ja noch Jungfrau ... und ich bin noch nicht so weit. Bitte versteh das. Bei mir geht das einfach nicht so schnell. Und ich möchte doch zuvor das Einverständnis meines Vaters haben.“

„Was? Das Einverständnis deines Vaters?“, wiederholte ich ungläubig. „Ausgerechnet deines Vaters, der sich einen Dreck um dich schert?“

„Aber darum ist er ja trotzdem mein Vater. Ich habe ja keinen anderen. Und auch keine Mutter ...“

Sie verstummte und war offensichtlich den Tränen nahe, dachte aber ganz und gar nicht daran, ihren festen Griff um meine Arme zu lockern. Allerdings war mir das süße Verlangen inzwischen gänzlich vergangen und die süße Erregung sowieso. Und das erfüllte mich zunehmend einerseits mit Enttäuschung und Niedergeschlagenheit und andererseits mit Ingrimm und Verärgerung.

„Du kannst mich ruhig wieder auslassen“, brummte ich missvergnügt.

Daraufhin ließ sie tatsächlich meine Arme los und setzte sich auf, angelte sich ihre Tunika, streifte sie sich über und setzte sich wieder auf die Bettkante, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen, was mich nur noch mehr ergrimmte. Schließlich zog ich mich auch selbst wieder an, setzte mich resigniert neben sie und begann: „Ich weiß schon, was ich falsch gemacht habe.“

„Oh, du brauchst dich doch nicht zu entschuldigen“, erwiderte sie mit süßer Stimme und schenkte mir endlich wieder einmal einen Blick und sogar ein zaghaftes Lächeln. „Ich bin dir doch nicht böse. Ich liebe dich ja, und wer liebt, verzeiht, weißt du?“

Doch diese freundlichen und liebevollen Worte brachten mich leider nur noch mehr in Rage, und ich fauchte sie an: „Wer redet denn da vom Entschuldigen? Ich wollte nur sagen, dass es offenbar ein Fehler war, nicht gleich mit Geld oder reichen Geschenken anzurücken.“

„Wie bitte?“, erwiderte sie mit erschrockener oder gar empörter Stimme.

„Na sicher. Ich hätte wissen müssen, dass sich die Frauen nur dann vögeln lassen, wenn man ihnen genügend Geld bezahlt oder reiche Geschenke macht.“

„Aber Helenos“, hauchte sie und verstummte sogleich wieder und starrte mich nur noch mit weit aufgerissenen Augen an.

„Ja, aber ich habe halt kein Geld. Soll ich vielleicht stehlen gehen, damit du mich ...“

Weiter kam ich nicht, denn Helena sprang, wie von der Tarantel gestochen, auf, blickte mich mit funkelnden Augen an und zischte: „Raus! Wofür hältst du mich?“

Und dazu deutete sie mit zitterndem Finger zur Tür.

Jetzt war es an mir, sie mit weit aufgerissenen Augen anzustarren, und ich stammelte: „Aber Helena. Welcher Wahnsinn ist denn auf einmal in dich gefahren?“

„Welcher Wahnsinn?“, wiederholte sie mit vor Empörung zitternder Stimme. „Mit jedem Wort, das du sprichst, beleidigst du mich.“ Sie holte tief Atem und schrie – jawohl, schrie: „Bleib doch bei deinen Huren und lass dich ja nicht mehr blicken.“

Sie verstummte und brach in Tränen aus, holte noch einmal tief Atem und stieß schluchzend hervor: „Und ich will dich nie wieder sehen.“ Zugleich ertönte zu allem Überfluss verstörtes Kindergeheul.

Während ich noch, wie vom Donner gerührt, von der einen zur anderen blickte, packte mich die hemmungslos heulende Helena erneut am Arm und zwang mich faktisch, aufzustehen und mich in Bewegung zu setzen.

Sprach- und willenlos ließ ich mich aus dem Zimmer und bis zum Haustor führen. Erst dort ließ sie mich wieder los, öffnete die Tür und schob mich buchstäblich hinaus mit den Worten: „Hast du gehört? Ich will dich nie wieder sehen!“ Und schluchzte so bitterlich auf, dass mich Mitleid überkam. Doch ehe ich noch irgend etwas sagen oder tun konnte, hatte sie auch schon die Tür hinter mir zugeschlagen, und ich stand einsam und verlassen und übrigens auch ohne meine Schultasche auf der Straße und war wie vor den Kopf geschlagen und hatte das Gefühl, als müsste sich jeden Moment die Erde unter meinen Füßen auftun und mich verschlingen. Und mit der Zeit begann ich es sogar zu wünschen, als mir nämlich bewusst wurde, dass sich die Passanten neugierig nach mir umdrehten und mich argwöhnisch beobachteten und dass nicht nur die Kinder mit den Fingern auf mich zeigten.

Da erwachte ich aus meiner Betäubung und machte mich unverzüglich aus dem Staub. Während ich jedoch davonrannte, hörte ich hinter mir Schreie und Füßegetrappel. Ich warf einen raschen Blick zurück und erkannte, dass mir mehrere Verfolger auf den Fersen waren. Da legte ich mich ins Geschirr und rannte, was das Zeug hielt, ohne zu wissen, wohin. Zum Glück war ich damals vom Gymnasion her bestens trainiert. Die anderen aber allem Anschein nach auch. An den bedrohlichen Geräuschen hinter mir erkannte ich, dass sie sich nicht und nicht abschütteln ließen.