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»Was ist eigentlich Krieg?« Wie wir Kindern Angst nehmen und Sicherheit geben Der Ukraine-Krieg hat nicht nur viele Erwachsene tief erschüttert. Auch Kinder und Jugendliche bekommen mit, was passiert, und haben Angst. Wie können wir mit ihnen über den Krieg reden? Sollen wir überhaupt davon sprechen? Wie können wir das altersgerecht und angemessen tun? Dieses Buch liefert Antworten und konkrete Hilfen für schwierige Gespräche. Das Thema reicht über die aktuellen Ereignisse hinaus. Es wird immer wieder Kriegshandlungen und Kriegsfolgen geben, die diese Fragen aufwerfen. Das neue Buch von Udo Baer wendet sich an alle, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben. Der Autor widmet sich seit vielen Jahren der Unterstützung von Kindern, Jugendlichen und deren Bezugspersonen. Auch in seinem neuen Buch geht er einfühlsam auf zahlreiche Fragen ein. Und er differenziert sowohl nach Altersgruppen als auch nach den Settings Elternhaus, Kita und Schule.
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Seitenzahl: 161
Udo Baer
Mit Kindern über Krieg reden
Erste Hilfe für schwierige Gespräche
Klett-Cotta
Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.
Dieses Werk wurde vermittelt durch Aenne Glienke/Agentur für Autoren und Verlage, http://www.aenneglienkeagentur.de
1. Auflage, 2022
Klett-Cotta
www.klett-cotta.de
© 2022 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart
Alle Rechte vorbehalten
Cover: Bettina Hermann, Stuttgart,
unter Verwendung einer Abbildung von FatCamera/iStock by Getty Images
Gesetzt von Eberl & Koesel Studio, Altusried-Krugzell
Gedruckt und gebunden von CPI – Clausen & Bosse, Leck
ISBN 978-3-608-98683-9
E-Book ISBN 978-3-608-11970-1
PDF-E-Book ISBN 978-3-608-20602-9
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Kapitel 1
Vorbemerkung
Kapitel 2
Warum sollen wir mit Kindern über Krieg reden?
2.1 »Mama, warum weint die Frau?« – Was Kinder alles mitbekommen
2.2 »Papa, was ist Krieg?« – Nur darüber sprechen, wenn Kinder danach fragen?
2.3 »Der hat es mir einfach weggenommen« – Kindliche Konflikte und Krieg
Fragen zur Reflexion
Kapitel 3
Angst, Zorn und Traurigkeit – Kinder und ihre Gefühle
3.1 »Ich verstehe, dass du dich fürchtest« – Angst ernst nehmen und Schutz bieten
3.2 »Mama, kann ich mitkommen?« – Klammern und die Sehnsucht nach Geborgenheit
3.3 »Die nehmen das nicht ernst« – Heiliger Zorn und aggressive Gefühle
3.4 »Genau wie damals« – Wie herauskommen aus Ohnmacht und Hilflosigkeit?
3.5 »Weine ruhig …« – Der Sinn vom Traurigsein
3.6 »Du bist nicht schuld!« – Kindern die Schuldgefühle nehmen
3.7 »Das ist doch nur ein Film« – Vom Wert des Mitgefühls
Fragen zur Reflexion
Kapitel 4
Mit Kindern in verschiedenen Altersstufen reden
4.1 »Wann ist mein Kind noch zu klein?« – In den ersten beiden Lebensjahren
4.2 »Warum schießen die?« – Im Kita-Alter
4.3 »Wer will darüber reden?« – Im Grundschulalter
4.4 »Was beunruhigt dich?« – Kinder ab elf Jahre
Fragen zur Reflexion
Kapitel 5
Sich Zeit nehmen – Wo man wie mit Kindern reden kann
5.1 »Ich will jetzt kuscheln« – Im Elternhaus
5.2 »Ich war zuerst hier« – In der Kita
5.3 »Heute wieder Ukraine-Pause?« – In der Schule
Fragen zur Reflexion
Kapitel 6
Die Weisheit der Kinder
Fragen zur Reflexion
Kapitel 7
Vom Umgang mit den eigenen Gefühlen
7.1 »Was, wenn der Krieg zu uns kommt?« – Eigene Ängste
7.2 »Ich fürchte mich doch selbst so« – Wenn die eigene Angst zu groß ist
7.3 »Oma, was ist denn los?« – Die Ängste der Großeltern
Fragen zur Reflexion
Kapitel 8
»Ich schieß dich tot!« – Wenn Kinder Krieg spielen
Fragen zur Reflexion
Kapitel 9
»Wer sind die Guten, wer die Bösen?« – Kinder verlangen nach Parteilichkeit
Fragen zur Reflexion
Kapitel 10
Was müssen traumatisierte Kinder durchmachen?
10.1 »Aus der Welt gefallen« – Trauma, Traumafolgen, Co-Traumatisierung
10.2 »Niemals geht man so ganz« – Was brauchen Kinder, die vor dem Krieg flüchten mussten?
10.3 »Wie damals in Afghanistan« – Wenn ein Kind durch Kriegsbilder retraumatisiert wird
10.4 »Kreative Stärkungsgruppen« – Lücken im Hilfesystem schließen
Fragen zur Reflexion
Kapitel 11
»Egal, wo Du herkommst« – Kein Kind hat den Krieg befohlen
Fragen zur Reflexion
Kapitel 12
»Gegen Ohnmacht hilft machen« – Wenn Reden nicht reicht
Fragen zur Reflexion
Kapitel 13
»Würdigen, was ist« – Wie wir trösten können
Fragen zur Reflexion
Kapitel 14
»Manches bleibt unerklärlich« – Das Unfassbare und die Hoffnung
Kapitel 15
Materialien und Hinweise
Kapitel 1
Was mich veranlasste, dieses Buch zu verfassen, war die große Verunsicherung vieler Eltern und pädagogischer Fachkräfte, wie sie mit Kindern und Jugendlichen über den Ukraine-Krieg sprechen könnten. Viele Erwachsene waren und sind durch den Krieg selbst verunsichert und ängstlich, und sie hören die ausgesprochenen und die unausgesprochenen Fragen der Kinder und Jugendlichen. In vielen Vorträgen und Diskussionen habe ich mit Eltern und Großeltern, mit Erzieherinnen und Erziehern in Kitas und mit Lehrerinnen und Lehrern in Schulen gesprochen und versucht, sie zu unterstützen. Diese Erfahrungen sind der Hintergrund dieses Buches.
Die Verunsicherung war auch deshalb so groß, weil der Ukraine-Krieg zusätzliche Belastungen für Kinder und Jugendliche hervorrief. Er begann nach zwei Jahren Pandemie, die schon viele soziale und seelische Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche und ihre Familien bewirkt hatte. Andere Probleme und Bedrohungen wie die Klimakatastrophe kamen und kommen hinzu und beschäftigen die Menschen, junge wie alte. Die Folgen des Krieges in der Ukraine auf hier lebende Menschen sind vielleicht deshalb so intensiv. Sie sind nachhaltig und werden bei vielen Kindern und Jugendlichen nicht mit dem Ende des Krieges aufhören. Wie mit Kindern über Krieg geredet werden kann, wird eine Herausforderung bleiben, auch für die nächsten Monate und Jahre.
Es gibt und wird leider immer wieder auch andere Kriegsereignisse geben. Dieses Buch habe ich während des Ukraine-Krieges geschrieben. Deshalb beziehe ich mich in den Beispielen auf dieses Kriegsgeschehen. Ich gehe aber auch darüber hinaus. Ich möchte eine praxisnahe Hilfestellung geben, wie mit Kindern über Krieg geredet werden kann, jetzt und in der Zukunft, und ich möchte Möglichkeiten aufzeigen, über das Reden hinaus die Gefühle der Kinder und Jugendlichen ernst zu nehmen und zu unterstützen.
Über den Krieg zu reden, ist schwierig. Die meisten Kinder haben keine Kriegserfahrung und keine wirkliche Vorstellung von Krieg. Selbst wenn die älteren Kinder kriegsähnliche Kämpfe in Filmen oder Computerspielen mitbekommen haben, wissen sie doch, dass das Filme und Spiele sind und nicht die Wirklichkeit. Wenn kleinere Kinder Bilder vom Krieg und von den Kriegsfolgen sehen, erschrecken sie oft, und es macht ihnen Angst. Auch für die Älteren können die hervorgerufenen Gefühle massiv sein. Krieg ist ihnen also fern und nahe zugleich. Das bedarf besonderer Würdigung, zumal auch wir Erwachsene in unseren Gefühlen betroffen sind. Wir dürfen die Kinder mit den seelischen Kriegsfolgen nicht allein lassen, ganz gleich, in welcher Funktion und an welchen Orten wir sie begleiten: im Familienalltag, in der Kita, in der Schule, in der Jugendhilfe.
Mit Kindern und Jugendlichen über Krieg zu reden, geht über den Austausch von Worten hinaus. Wichtig sind mir hierbei vor allem vier Aspekte:
Erstens sind immer, wenn es um Krieg geht, auch Gefühle beteiligt: Angst und Zorn, Hilflosigkeit und Trauer und viele andere mehr. Deshalb werde ich, noch bevor ich Gesprächsformen und -settings beschreibe, auf die Gefühle eingehen, die im Reden über Krieg und Frieden mit Kindern und Jugendlichen besondere Bedeutung haben. Reden beschränkt sich nicht auf den Austausch von Worten, es ist auch eine Begegnung der Herzen.
Zweitens verschieben sich in der öffentlichen Darstellung und Wahrnehmung die Schwerpunkte und Interessen. Am Anfang des Ukraine-Krieges standen Fragen im Vordergrund wie: Was ist Krieg? Warum gibt es Krieg? usw. In dem Maße, in dem immer mehr Menschen aus der Ukraine in den Westen kamen, in der Mehrzahl Kinder, verschob sich das Interesse hin zu Fragen der Fluchtbewegungen und der Flüchtlingshilfe. Ich versuche, auf möglichst viele der unterschiedlichen Aspekte einzugehen und Anregungen zum Umgang damit zu geben.
Drittens werden viele Menschen, Erwachsene wie Kinder, durch Kriege und Kriegsfolgen traumatisiert. Kriegstraumatisierte Kinder aus der Ukraine begegnen traumatisierten Kindern aus Syrien oder Afghanistan, und sie treffen auf traumatisierte und nicht-traumatisierte Kinder aus München oder Osnabrück. Manche Kinder können durch Bilder und Erzählungen von Kriegserfahrungen wieder traumatisiert werden. Deshalb werde ich immer wieder auch darauf eingehen, wie traumatische Erfahrungen und Retraumatisierungen bei Kindern zu erkennen sind und wie Erwachsene damit umgehen können und sollten.
Viertens geht es nicht nur um die Kinder, wenn wir mit ihnen über Krieg und die Kriegsfolgen reden. Auch wir Erwachsene sind beteiligt, nicht nur mit unserem Wissen, sondern auch mit unserem Herzen, mit unseren Unsicherheiten, Ängsten und anderen Gefühlen. Auch darauf gehe ich ein.
Das Buch richtet sich sowohl an interessierte Eltern als auch an alle Fachkräfte, die Kinder begleiten, ob in Schule oder Kita, Jugendhilfe oder Sozialarbeit oder in anderen Bereichen. Momentaufnahmen aus meinem beruflichen Alltag, vor allem aus zahlreichen Begegnungen mit Kindern und Jugendlichen, Bezugspersonen und Fachkräften, habe ich in Form von Fallvignetten in das Buch einfließen lassen. Dabei wurden selbstverständlich alle Namen anonymisiert.
Wenn Sie Fragen haben, die in diesem Buch nicht beantwortet werden, oder Kritik üben oder Wünsche an mich äußern wollen, dann lade ich Sie ein, mir zu schreiben. Dies geht am leichtesten über die Webseite www.kinderwuerde-udo-baer.de.
Udo Baer, April 2022
Kapitel 2
Bevor ich darauf eingehe, wie wir mit Kindern über Krieg reden sollten, ist es wichtig, sich darüber klar zu werden, warum wir das tun sollten und welche Absichten wir damit verfolgen.
Kinder und Jugendliche bekommen von Kriegen zumeist viel mehr mit, als Erwachsene wahrnehmen oder auch nur vermuten.
Die fünfjährige Clara1 hat auf dem Couchtisch die Tageszeitung gesehen. Auf der Titelseite ist das Bild einer weinenden Frau abgebildet, die geschockt nach einem Bombeneinschlag vor ihrem zerstörten Haus steht. Clara fragt ihre Mutter: »Mama, warum weint die Frau?«
Bilder haben eine große Wirkung auf Kinder. Sie setzen sich in ihnen fest. Nach Wochen oder Monaten können sie sich abschwächen, aber zunächst einmal erschrecken sie die Kinder oder berühren sie in ihren Gefühlen. Dass Kinder solche Bilder sehen, kann man versuchen einzuschränken, aber es ganz zu verhindern, ist oft unmöglich, will man nicht die Lebenswelt der Kinder massiv einengen.
Der 14-jährige Aron wirkt seit einigen Tagen verstört. Er isst weniger als zuvor und redet nicht. Dafür sitzt Aron sehr viel am Computer und surft. Er ist erschrocken über den Krieg in der Ukraine und will alles darüber wissen. In seiner Schule wird viel darüber gesprochen. Die Eltern denken, er würde am Computer spielen. Doch das tritt zurzeit in den Hintergrund. Er ist fast süchtig nach den neuesten Nachrichten.
Sobald Kinder ein Smartphone oder einen Computer mit Internetzugang haben, erreichen Kriege und Kriegsbilder die Kinderzimmer und Schulhöfe. Das, was sie dort erfahren, hören und sehen, hat Auswirkungen. Vor allem dann, wenn Kinder wie Aron nicht über ihre Eindrücke mit Erwachsenen, denen sie vertrauen, reden können.
Der 11-jährige Marc hat keinen Internetzugang, aber ein Handy, damit er seine Eltern erreichen kann, wenn er unterwegs ist, wenn er aus der Schule abgeholt werden soll oder sich bei Freunden aufhält. In der Pause zeigt ihm ein Mitschüler ein Foto auf dessen Smartphone mit den Worten: »Guck mal, ist das nicht krass?« Das Foto zeigt Menschen, die sich in einem ukrainischen Dorf Panzern entgegenstellen, ohne Waffen. Marc hat Angst um diese Frauen und Männer. Er fürchtet, dass sie von den Panzern überrollt werden könnten. In dieser Situation ist es nicht geschehen. Die Panzer haben angehalten und sind umgedreht. Doch das weiß Marc nicht. Er hat Angst.
Kriege beschäftigen viele Erwachsene und Kinder, vor allem, wenn sie in Europa stattfinden. Das gilt für den Krieg in der Ukraine, und das galt für die Kriege zwischen den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien. Die meisten Kinder in Deutschland, Österreich und der Schweiz haben nie einen Krieg erlebt. Und das ist gut so. Umso fremder und manchmal auch faszinierender sind Bilder von Kriegsereignissen. Es wird über sie geredet, und sie werden untereinander gezeigt. All das können Eltern nicht verhindern. Auch Erzieher:innen und Lehrkräfte sind da machtlos.
Der Weg, über den Kinder am stärksten Kriege mitbekommen, sind Atmosphären. Der Ukraine-Krieg macht den meisten Menschen Angst, auch Eltern, auch Erzieher:innen, auch Lehrkräften. Viele sorgen sich, dass aus diesem Konflikt ein Atomkrieg entstehen könnte, manche fürchten die wirtschaftlichen Folgen für die eigene Familie, andere sorgen sich darum, dass der Krieg auf Zentraleuropa übergreifen könnte. Kinder und Jugendliche bekommen diese Atmosphäre mit. Sie spüren, dass etwas »in der Luft« liegt. Sie nehmen wahr, dass sich Eltern oder andere Menschen, die sie mögen und schätzen, Sorgen machen. All das kann Kinder beunruhigen. Es kann dazu führen, dass die Kinder das, was die Erwachsenen beschäftigt, in sich hineinsaugen. Denn Kinder lieben ihre Eltern, ganz gleich, wie kritisch oder belastet die Beziehung zwischen Eltern und Kindern sein mag. Sie wollen nicht, dass die Eltern Kummer haben, auch nicht die Großeltern, auch nicht andere Personen, die sie schätzen und mögen, in der Verwandtschaft, in der Kita und in der Schule. Wenn sie merken, dass in ihrem Umfeld eine Atmosphäre der Kriegsangst herrscht, dann wollen sie die erwachsenen Menschen retten und deren Kummer beseitigen. Doch das kann nicht gelingen. Sie scheitern, so sehr sie sich auch anstrengen. Die Rettung gelingt den Kindern umso weniger, je weniger offen von den Erwachsenen über den Kummer und ihre Sorgen gesprochen wird. Da lauert die Verzweiflung.
Dilan und Serdar bemühen sich, besonders brav zu sein. Denn die Geschwister merken, dass sich ihre Eltern große Sorgen machen. Worüber, das wissen sie nicht. Die Eltern waren aus dem Norden des Irak nach Deutschland geflüchtet, und alle Wunden sind nun durch die aktuellen Kriegsbilder wieder aufgerissen. Doch sie wollen damit ihre Kinder nicht belasten. Also erzählen sie Dilan und Serdar nichts davon. Doch die Kinder lieben ihre Eltern und spüren deren Kummer und deren Angst. Dadurch werden sie auch ängstlich …
Kinder bekommen mit, was »in der Luft« liegt. Dadurch spüren sie die Sorgen und Ängste der Erwachsenen, als wären es ihre eigenen.
Wenn Kinder nach dem Krieg und nach Kriegsfolgen fragen, dann sollten wir sie ernst nehmen und ihnen antworten.
Die vierjährige Yvonne fragt: »Mama, was ist das: Krieg?« Die Mutter antwortet: »Das ist, wenn zwei Länder miteinander kämpfen, mit Soldaten und mit Waffen. Manchmal bekommen sie ihre Streitigkeiten nicht miteinander geregelt. Krieg ist auch, wenn die Chefs eines Landes ein anderes Land überfallen und erobern wollen.«
Daraus werden sich weitere Fragen und Gespräche ergeben. Manchmal reicht es aber auch, nur einen Satz zur Erklärung zu sagen, und das Kind gibt sich damit zunächst zufrieden.
Der 13-jährige Pepe fragt: »Kann es hier einen Atomkrieg geben? Ich habe gelesen, dass Putin Atombomben hat und dass er sie einsetzen will.« Die Frage wird beim gemeinsamen Abendessen gestellt, und die Eltern versuchen zu erklären, dass sie das nur für eine Drohung halten und nicht für eine Ankündigung. Sie erläutern, dass die russische Regierung ziemlich sicher keinen Selbstmord begehen will, denn die NATO verfügt auch über Atomwaffen. Beide Seiten haben ein Interesse daran, einen Atomkrieg zu vermeiden. Pepes Vater hat als junger Mann gegen die Aufrüstung mit Atombomben durch die amerikanische Armee in Zentraleuropa demonstriert.
Neben den Kindern, die nach einem Krieg fragen, gibt es andere Kinder, die das nicht tun. An manchen Kindern gehen das Kriegsgeschehen und die Folgen vorbei. Sie sind robust oder gerade mit anderem beschäftigt, mit der neuen Freundin, mit einer Erkrankung, mit dem Schulabschluss oder der neuen Playstation. Wenn das so ist, dann soll man sie nicht beunruhigen.
Es gibt aber auch Kinder, die beunruhigt sind, aber sich nicht trauen, die Eltern oder Erwachsenen zu fragen. Das kann verschiedene Gründe haben. Vielleicht fehlen ihnen die Worte, vielleicht trauen sie ihren eigenen Gefühlen nicht. Vielleicht sind sie mit ihren Fragen schon einmal ins Leere gegangen oder haben unbefriedigende Antworten bekommen und haben danach das Fragen aufgegeben. Manche Kinder wollen auch mit ihren Fragen die Eltern oder anderen Erwachsenen nicht beunruhigen, weil sie merken, dass die Erwachsenen selbst sehr ängstlich und mit dem Krieg beschäftigt sind. Doch viele dieser Kinder zeigen dennoch Verhaltensweisen, die deutlich machen, dass sie beunruhigt sind und dass der Krieg sie beschäftigt.
Elina ist sieben Jahre alt. Sie kann nicht mehr gut einschlafen. Lange liegt sie wach, kommt oft nach einer Stunde oder sogar später noch einmal zu den Eltern und sagt: »Ich kann nicht schlafen.« Wenn die Eltern dann fragen: »Was ist denn los?«, dann zuckt sie nur mit den Schultern und sagt: »Ich weiß nicht.«
Finn, zwölf Jahre, zieht sich sehr zurück. Er war vorher immer sehr lebendig und kommunikativ, plapperte viel und hatte große Lust, mit anderen zu spielen, zu reden, manchmal auch zu toben. Doch nun wirkt er eher in sich gekehrt und wird immer stiller.
Beide Kinder sind innerlich mit den Kriegsfolgen beschäftigt. Wenn Eltern oder andere Erziehende solche Verhaltensänderungen feststellen, sollten sie diese als Zeichen dafür nehmen, dass Kinder möglicherweise Angst haben und mit dem Krieg beschäftigt sind, darüber aber nicht reden können. Dann ist es gut und sinnvoll, wenn Erwachsene auf diese Kinder zugehen und sagen: »Komm, lass uns mal zusammen einen Kakao trinken und ein bisschen reden.« Dann kann es sinnvoll sein, ungefragt Themen wie Krieg, Kriegsbilder oder Kriegsfolgen anzusprechen.
»Vielleicht hast du es ja mitbekommen, dass jetzt in einem anderen Land Krieg ist und die Soldaten aufeinander schießen. Mit tun die armen Leute leid. Ich bin da auch etwas ängstlich und beunruhigt …«
Ein guter Einstieg in ein solches Gespräch kann darin bestehen, dass die Erwachsenen selbst über sich erzählen, über die eigene Beunruhigung, die eigenen Sorgen, die eigenen Gedanken und Gefühle. Nicht über alles, aber wenigstens über einiges. Das macht den Kindern Mut, sich auch zu öffnen, und es kann die Folgen der Verhaltensänderungen lindern.
Wenn ein Kind nicht reden möchte, dann ist das manchmal ein Selbstschutz. Es hat vielleicht Angst, dass die Gefühle zu stark werden, dass es von der eigenen Not überwältigt wird. Dann ist es für uns Erwachsene wichtig, das zu akzeptieren, indem wir zum Beispiel sagen:
»Gut, ich akzeptiere, dass du nicht darüber reden möchtest. Das musst du auch nicht. Das ist dein Recht. Doch wenn du irgendwann mit mir darüber sprechen möchtest, dann bin ich jederzeit für dich da. Versprochen!«
Kinder kennen Konflikte. Diese Konflikte haben einerseits Ähnlichkeiten mit den Kriegsgeschehnissen, andererseits gibt es wichtige Unterschiede zwischen beidem. Wenn wir mit Kindern über Krieg reden, wollen sie meist wissen, warum es Krieg gibt oder was zu dem Krieg geführt hat. Dann können wir an den eigenen Konflikterfahrungen der Kinder und Jugendlichen anknüpfen. Selbstverständlich kann sich das je nach Alter durchaus unterschiedlich anhören.
Wir können zum Beispiel sagen: »Wenn du einen Streit mit anderen Kindern hast, kennst du es doch bestimmt auch, dass manchmal andere Kinder alles bestimmen wollen. So ist das auch manchmal zwischen Ländern oder zwischen Regierungen. Wenn eine Regierung alles bestimmen möchte über ein anderes Land, dann kann das Land noch so viel reden, und es kann trotzdem zu einem Krieg kommen. Du kennst es auch vielleicht, dass andere Kinder einfach zuschlagen oder dir etwas wegnehmen. Das gibt es auch unter Erwachsenen, und das gibt es auch unter den Chefs und Chefinnen von Ländern. Wenn eine Regierung einem anderen Land etwas wegnehmen möchte, dann kann das zu einem Krieg führen.«
An solchen und ähnlichen Erfahrungen können wir Erwachsene anknüpfen, und wir sollten daran anknüpfen. Sie als Eltern oder pädagogische Fachkräfte kennen die Kinder und solche Situationen sicherlich gut und können noch viel konkreter an den Erfahrungen der Kinder andocken, als es hier so allgemein beschreibbar ist. Versuchen Sie, so konkret wie möglich die Kinder und Jugendlichen in ihren Erfahrungen abzuholen.