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Wie wir unsere inneren Leerstellen erkennen und auflösen Vom renommierten Autor und bekannten Gefühlsexperten Udo Baer Beleuchtet alle Facetten der Leere Konkrete Hilfestellungen und Impulse für ein erfülltes Leben Wir alle kennen das Gefühl der Leere. Manchmal ist es die süße Leere der Entspannung, nach der wir uns sehnen, wenn wir zu voll und überfordert sind. Doch häufiger begegnen wir der Leere, an der wir leiden. Wenn wir uns anlehnen wollen, aber da ist niemand. Wenn wir gehört werden wollen, aber wir werden überhört oder übertönt. Wenn wir die Hand ausstrecken, aber ins Leere greifen. Wenn alles da ist, aber dennoch irgendetwas fehlt. Diese Erfahrungen schmerzen. Wenn sie sich wiederholen oder dauerhaft anhalten, werden sie zum Drama der Leere. Udo Baer beschreibt in diesem Buch die unterschiedlichen Facetten der Leere und wie die Leere zwischen den Menschen entsteht und zu einer inneren Leere werden kann. Er stellt auf dem Hintergrund seiner 35-jährigen Erfahrung als Therapeut und Pädagoge die Folgen der Leere-Erfahrungen dar und was konkret dagegen hilft. Ein Buch, das verändert – zu einem Thema, das alle kennen, für das aber kaum jemand Worte findet.
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Seitenzahl: 277
Udo Baer
Das Drama der Leere
Wie wir der Leere begegnen und unser Herz heilen können
Klett-Cotta
Dieses Werk wurde vermittelt durch Aenne Glienke/Agentur für Autoren und Verlage, http://www.aenneglienkeagentur.de
Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.
Klett-Cotta
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Cover: Jutta Herden, Stuttgart
unter Verwendung einer Abbildung von © Elena Kalinicheva/iStock by Getty Images
Gesetzt von Eberl & Koesel Studio, Kempten
Gedruckt und gebunden von CPI – Clausen & Bosse, Leck
Lektorat: Susanne Klein, Hamburg
ISBN 978-3-608-98840-6
E-Book ISBN 978-3-608-12368-5
PDF-E-Book ISBN 978-3-608-20692-0
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Die Leere und der blinde Fleck – eine Einstimmung
Teil A
Der Leere begegnen – Gesichter der Leere
1 Von der bitteren Sehnsucht nach der süßen Leere
2 Die Leere hinter dem »komischen Gefühl« und der rasenden Wut
3 Im Nebel
4 Ohne Verbindung keine Bindung
5 Leere und die Einsamkeit
6 »Ich bin nichts«
7 Sucht und Angst ohne Maß – Leere hat keinen Anfang und kein Ende
8 »Ich leiste, also bin ich«
9 »Ich kann mich einfach nicht entscheiden«
10 Wenn Hoffnung und Sinn erstorben sind
11 Die Heimat in der Ferne suchen
12 Die Beziehungskälte und die innere Kälte
13 Leere als Machtausübung und Abhängigkeit
14 Resonanz-Leere: Wenn es kein Echo gibt
15 Sich fremd sein und sich verlieren
16 Hilflose Aggressivität, die der Leere entspringt
17 Versuche der Selbstrettung
Teil B
Die verborgenen Quellen der Leere
1 Die Flucht-Leere: Nichts ist wirklich leer, doch es fühlt sich so an
2 Die Verlust-Leere: Zwei Erfahrungen, zwei Konsequenzen
3 Die Primäre Leere: Wenn Kinder ins Leere greifen, blicken, tönen …
4 Von der Leere zwischen den Menschen zur inneren Leere
5 Die Sekundäre Leere: Die Leere danach und die Trauma-Leere
6 Die transgenerative Leere: Nichts zu greifen
7 Die Dissoziationsleere: Leid und Schutz
8 Die Identitätsleere: »Wer bin ich?«
9 Die Kern-Leere
10 Die Tertiäre Leere: Verluste ohne Trost
11 Leere ohne Verlustgefühle
12 Die »leere Person« – ungekannt und unerkannt
13 Depression und Leere – wenn das Pulsieren erstirbt
14 Die erzwungene Leere und die Diktatur des Willens
Teil C
Wenn Menschen in der Partnerschaft ins Leere gehen
1 Wie sich Leere auswirkt – von der Hilflosigkeit bis zur lärmenden Stille
2 »Warum passiert das immer mir?«
3 Die eigenen Leere-Erfahrungen und die der anderen
4 »Was hilft mir aus der Ohnmacht?«
5 Liebeskummer
Teil D
Lasst unsere Kinder nicht ins Leere gehen!
1 Wie Kinder ins Leere gehen
2 Leere als Strafe
3 Leiden ohne Worte
4 Kinder »außer sich«
5 Was Leere-Kinder brauchen
Teil E
Was hilft dem Herzen zu heilen?
1 Ein Bild der Leere
2 Das Herz unter dem Geröll suchen
3 Mein innerer Kern
4 Mein Würde-Ich
5 Wirksamkeit
6 Gerichtet sein
7 Meinhaftigkeit
8 Trauern: »Was habe ich verloren? Was habe ich nie gehabt?«
9 Verbindungsobjekte
10 Die Sprache der Gefühle lernen
11 Neue Beziehungserfahrungen
12 Spürende Begegnungen
13 Durch das Misstrauen hindurch
14 Halt, Parteilichkeit und Rückendeckung
15 Leere und Würde-Achtsamkeit
Nachwort: Leere hat keine Parteizugehörigkeit, ist aber politisch
Literatur
»Ich habe Macht, große Macht«, sagt die Leere von sich. »Auch wenn diese Macht mehr im Geheimen wirkt … Mein Sinn könnte darin bestehen, dass Menschen mich spüren, um sich von mir abwenden zu können.«1
Wir Menschen haben alle »blinde Flecken«. Damit meine ich Leerstellen in unserer Wahrnehmung und in unserem persönlichen Erleben, die uns unbekannt sind und uns »blind« machen. Sie gehören zu uns, zu unserer Persönlichkeit. Solange wir nicht darunter leiden oder andere darunter leiden lassen, gibt es keinen Anlass oder zumindest keine Notwendigkeit, sich damit zu beschäftigen.
In der Optik wird der Punkt, an dem die Sehnerven auf die Netzhaut treffen, als blinder Fleck bezeichnet. Wir Menschen nehmen ihn normalerweise gar nicht wahr, oder erst dann, wenn er mehr oder weniger krankhaft die Sehfähigkeit einschränkt. Auch den blinden Fleck der Wahrnehmung und des Erlebens merken wir erst, wenn er uns einschränkt und behindert, uns Schwierigkeiten und Leid verursacht.
Blinde Flecken sieht man nicht. Sie sind Leerstellen in doppelter Hinsicht: Erstens bleiben sie für die jeweilige Person unbekannt und unsichtbar. Die Wahrnehmung der blinden Flecken ist leer. Zweitens können blinde Flecken Folgen haben, die für die Menschen nicht fassbar sind. Zum Beispiel kann eine Frau einen blinden Fleck haben, der sie daran hindert, wahrzunehmen, wenn andere Menschen um sie werben. Sie nimmt es einfach nicht wahr. Das mag sich nicht dramatisch anhören und auch nicht so auswirken. Problematisch ist es für diese Frau aber, weil damit ein Teil ihres Sehnens nach Zuneigung und Liebe eingeschränkt ist. Wenn sie Glück hat, wird sie von anderen wohlmeinenden Menschen in konkreten Begegnungen darauf hingewiesen, sodass sich ihr Blickwinkel erweitern kann. Ein Geschäftsführer kann, so ein anderes Beispiel, nicht erkennen, nicht einmal erahnen, dass andere Menschen ihn anlügen. Fakes sind für ihn ein blinder Fleck. Seine Vertrauensseligkeit schadet ihm beruflich, verunsichert ihn darüber hinaus zunehmend in seiner Persönlichkeit. In einem anderen Fall wird ein Mann von Kolleg*innen darauf aufmerksam gemacht, dass er auf kritische Bemerkungen sehr dünnhäutig, oft sogar aggressiv reagiert. Es selbst bekommt das nicht mit und hält sich für ausgesprochen fähig, Kritik anzunehmen. Verunsichert befragt er dazu seine Frau, die ihm seinen blinden Fleck bestätigt.
Warum stimme ich Sie gerade mit diesem Bild des blinden Flecks auf das ein, was Sie in diesem Buch erwartet? Worin liegen der Sinn und der Zusammenhang mit dem, was ich als »Drama der Leere« bezeichne und mit deren unterschiedlichen »Gesichtern« ich in diesem Buch anregen möchte, sich zu beschäftigen?
Meine Antwort: Weil ich aufzeigen möchte, wie sinnvoll es sein kann, sich mit den Leerstellen im eigenen Erleben und menschlichen Miteinander zu beschäftigen. Oft geschieht etwas in der Kommunikation mit anderen, in Begegnungen und Beziehungen, was nicht zu greifen und erst recht nicht zu begreifen ist. Das verwirrt und verunsichert oft, es schränkt Lebendigkeit ein und birgt auch das Potenzial großen Leids in sich.
Ich bin Therapeut und Pädagoge und habe am eigenen Leib und in der Begegnung mit anderen Menschen dieses Leid erfahren. Es war ein langer, manchmal schmerzlicher und mühsamer Weg, die Erscheinungsformen der Leere zu erkennen, zu ergründen und Leere-Erfahrungen als das zu spüren und zu diagnostizieren, was sie sind: leidvolle, prägende Erfahrungen in der Biografie von uns Menschen. Sie haben als eines der »Monster der Entwürdigung« ihren Platz und ihre Bedeutung neben den anderen Monstern wie Gewalt, Beschämung und Erniedrigung.
Leere zu erkennen, sie zu identifizieren und sie mit den jeweils individuellen biografischen Quellen zu verbinden, ist meiner Meinung nach eine Grundvoraussetzung, um Wege aus diesem Leid zu finden. Ich möchte Ihnen, meinen Leser*innen, unabhängig davon, ob Sie sich als unmittelbar Betroffene oder als therapeutisch, pädagogisch oder im Coaching Tätige für dieses Thema interessieren, Orientierungshelfer auf diesem Weg sein. Ich habe das, was ich darüber weiß und erfahren habe, in diesem Buch zusammengetragen und darüber hinaus mit fachlichen Anmerkungen besonders für Therapeut*innen versehen. Damit möchte ich meinen Beitrag dazu leisten, dass Menschen ihren »blinden Flecken« nicht mehr ausgeliefert sein müssen und sich so nicht länger in der Leere verlieren und an den Folgen leiden. Hinweise darauf, was auf diesem Weg des Erkennens und Heilens helfen kann, werden Sie in jedem Kapitel finden.
Ich beginne mit einem Kapitel über die oft bittere Sehnsucht nach der süßen Leere. Die »süße Leere« ist eine Bezeichnung, die ich von einer Klientin übernommen habe. Auf diese Art von Leere richtet sich nicht mein Hauptinteresse, ebenso wenig wie auf die Leere als philosophische Kategorie oder als hocherwünschter Zustand nach großer Anstrengung. Ich bin oft der Leere in ihrer meist diffusen Schmerzlichkeit begegnet. Mein persönliches und professionelles Interesse lässt mich den Spuren dieser Leere-Erfahrungen folgen, sodass Menschen letztendlich aus ihrer damit verbundenen Verlorenheit, Einsamkeit und anderen Folgen herausfinden können.
Die meisten Menschen, die ich therapeutisch begleitet habe, litten in der einen oder anderen Form unter Erfahrungen der Leere. Diese Leere-Erfahrungen waren für sie nicht der offensichtliche und ausgesprochene Anlass, sich in therapeutische Begleitung zu begeben, sondern sie blieben für sie als eine Quelle ihres Leidens zunächst verborgen und schälten sich erst im Laufe der gemeinsamen Arbeit heraus. Einige von ihnen hatten Blog-Beiträge von mir gelesen oder Vorträge gehört, in denen ich Leere-Erfahrungen zwischen Menschen und im Erleben der Menschen angesprochen hatte. Das hatte etwas in ihnen anklingen lassen, sie manchmal auch irritiert und neugierig gemacht. Da tauchte ein Wort auf, das scheinbar irgendetwas mit ihnen selbst zu tun hatte, für das sie aber selbst bisher keine Worte, keine Erklärungen und keine Zusammenhänge hatten.
Leere-Erfahrungen bleiben den meisten Menschen verborgen. Viele wissen und spüren, dass sie leiden, aber sie wissen nicht, dass es die Leere ist, unter der sie leiden. In Gedichten und Romanen wird oft beschrieben, dass und wie Menschen darunter leiden, Leere-Erfahrungen machen zu müssen. In der psychologischen Fachliteratur dagegen wird – wenn überhaupt – das Thema nur am Rande behandelt. Man beschäftigt sich mehr mit dem, was offensichtlich ist, also mit den Themen, Konflikten, Kommunikations- und Verhaltensmustern, die »auf der Hand liegen«, und nicht so sehr mit dem, was nicht sichtbar und nicht greifbar ist. Mir ist es ein Anliegen, dazu beizutragen, diese Lücke zu schließen und diese Leerstelle zu erschließen.
Manchmal fällt die Leere auf: Mein Portemonnaie ist leer. Ich habe nicht mehr viel Geld auf dem Konto. Oder ich habe meinen Arbeitsplatz verloren und muss mich darauf einstellen, meinen Alltag neu zu strukturieren. Oder ich spüre, dass das Haus leer ist, nachdem die Kinder ausgezogen sind, oder dass mir nach einem Abschied oder einer Trennung von einem nahen Menschen vielleicht die Geborgenheit fehlt. Bei sicht- und spürbaren Verlusten kann ich mich, kann man sich darüber ärgern oder darum trauern. Damit können viele Menschen umgehen. Manche, vor allem diejenigen, bei denen ein anderer Mensch oder mehrere Menschen zu Leerstellen geworden sind, haben es schwer damit. Fast alle brauchen in irgendeiner Weise dabei Unterstützung, zumindest freundschaftlich-kollegiale, manchmal auch therapeutische Begleitung. Sie brauchen vertrauensvolle und vertrauenswürdige Menschen, wie ich diese Unterstützer*innen in meinem Buch nenne.
Aber was ist mit dem diffusen Gefühl der inneren Leere? Was ist, wenn man gegenüber Eltern (oder auch Kindern!) oder einem Partner oder einer Partnerin mit den eigenen Impulsen, Wünschen, Vorwürfen und Sehnsüchten immer wieder ins Leere geht? Viele Menschen wollen das nicht wahrhaben, strengen sich ungemein an, um dem eigenen Gefühl der Leere nicht zu begegnen oder den anderen dazu zu bewegen, ein greifbares Gegenüber zu sein. Den Schmerz, die Hilflosigkeit und die Unwirksamkeit zu spüren, würde bedeuten, sich das Scheitern ihrer Versuche einzugestehen, würde Illusionen zerplatzen lassen und höchstwahrscheinlich soziale Konsequenzen nach sich ziehen. Also werden – verständlicherweise – oft solche Leere- Erfahrungen als Irritation beiseitegelegt und verniedlicht. Es wird nach Erklärungen gesucht, warum das jetzt in diesem Moment so ist, wie es ist, und warum es ganz bestimmt später besser wird, wenn erst einmal … Das Gefühl der inneren Leere ist oft ebenso wenig zu greifen wie die Leere zwischen den Menschen, sie sind eher zu erahnen als zu spüren. Die innere Leere ist vielen Menschen so selbstverständlich geworden wie manchen ihre Leere-Erfahrungen mit anderen Menschen. Sie entziehen sich damit der Achtsamkeit.
Einem jungen Mann waren zum Beispiel seine Leere-Erfahrungen so selbstverständlich geworden, dass er auf mein aufrichtiges Interesse an seinem Leben, an seiner Geschichte, an seinen Wünschen und Visionen mit Verwirrung und Misstrauen reagierte. Mein Interesse und meine Neugier waren ihm fremd. Das kannte er nicht. Dass er in seiner Familie wie eine Leerstelle behandelt wurde, dass seinem Befinden, seinen Erlebnissen, seinen Gedanken, seinen Empfindungen keine Bedeutung beigemessen wurde, das kannte er hingegen durchaus, das war ihm selbstverständlich, das war »normal«. Erst durch diese kleine Szene und in den folgenden therapeutischen Begegnungen mit mir wurde ihm nach und nach bewusst, was ihm gefehlt hatte und worunter er litt.
In meiner therapeutischen, pädagogischen, beraterischen und supervisorischen Praxis bemühe ich mich selbstverständlich, das zu würdigen, was an Themen, Befindlichkeiten, Nöten und Fragen meiner Klient*innen wahrnehmbar ist und Achtung und Beachtung verdient. Gleichzeitig schenke ich auch dem Achtsamkeit, was nicht da ist, also den inneren Leerstellen und den Beziehungsleerstellen, die ich allenfalls in meiner Resonanz erahnen kann – und biete mich so meinen Klient*innen in Spürenden Begegnungen als Gegenüber an.
Im Teil A dieses Buches beschreibe ich die Gesichter der Leere-Erfahrungen, denen wir begegnen. Im Teil B versuche ich dann, diese Gesichter der Leere in Beziehung zu setzen mit den verschiedenen, oft verborgenen Quellen der Leere und herauszuarbeiten, in welchen biografischen Erfahrungen sie ihre Wurzeln haben. Beide Aspekte werden sich teilweise überschneiden, immer wieder ergänzen und somit im weiteren Verlauf des Buches Wiederholungen einschließen. So ist das immer, wenn es um menschliches Erleben geht. Da gibt es keine klar abgetrennten Regale und Ordner. Mir geht es darum, mit dem Scheinwerfer das eine oder andere zu beleuchten und in Kauf zu nehmen, dass dabei immer auch anderes, was am Rande meiner Aufmerksamkeit liegt, auch mit ans Licht kommt. Manches, was dabei in Ihr Blickfeld gerät, wird Sie vielleicht berühren und dazu anregen zu verweilen, anderes wird wahrscheinlich nicht Ihr Interesse wecken (oder zu einem anderen Zeitpunkt) und wieder anderes werden Sie vielleicht als überflüssig oder als zu kurz gegriffen empfinden. Mein Wunsch ist hier, dass Sie Ihre Reaktionen und Resonanzen wahrnehmen und sie ernst nehmen.
Teil C behandelt die Leere zwischen Menschen in Partnerschaften. Ich habe dem einen eigenen Teil gewidmet, weil ich sehr vielen Personen begegnet bin, die in der Partnerschaft trotz aller Anstrengungen ins Leere gehen und daran verzweifeln. Im Teil D stelle ich die Leere-Erfahrungen von Kindern in den Mittelpunkt. Viele Studien besagen, dass die Gewalt gegen Kinder abgenommen hat. Doch nach meinen Erfahrungen müssen immer mehr Kinder und Jugendliche die Erfahrung machen, dass sie ins Leere gehen – mit zum Teil dramatischen Folgen.
In diesen ersten vier Teilen gebe ich schon häufig, vor allem anhand von Beispielen aus meiner therapeutischen Praxis, Hinweise dazu, was gegen diese Leere-Erfahrungen und deren Folgen hilft oder geholfen hat. Im Teil E habe ich dann unter der Überschrift »Was hilft dem Herzen zu heilen?« explizit in den Vordergrund gestellt, Ihnen Hinweise und konkrete Anregungen zu geben, was Ihrem Herzen, das an Leere-Erfahrungen leidet, helfen könnte. Ich hoffe, damit gleichzeitig auch den Kolleg*innen in Therapie, Pädagogik und Coaching, zu deren professionellem Selbstverständnis die Selbsterfahrung und Resonanzbereitschaft gehört, Anregungen und Hinweise aus meinen Erfahrungen zu vermitteln, die ihre berufliche Praxis bereichern. Auch in diesem Teil finden sie Anmerkungen, die nicht nur weiterführende Literaturhinweise, sondern auch fachliche Hinweise über kreativ-leibtherapeutische Modelle und Methoden zu ihrer besonderen Rolle beinhalten.
Wenn Sie dieses Buch lesen, werden Sie sich bestimmt an eigene Leere-Erfahrungen erinnern. Das kann Sie aufwühlen. Es lohnt sich, dieses Risiko einzugehen, weil Sie damit auch die Chance ergreifen, sich besser zu verstehen und die Folgen der Leere-Erfahrungen zu vermindern. Nach meinen Erfahrungen – und darauf möchte ich an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich hinweisen – ist es hilfreich und manchmal notwendig, bei der persönlichen Auseinandersetzung mit dem Thema Leere das Gespräch und den Austausch mit einer Person zu suchen, der Sie vertrauen.
Wenn Sie Anregungen, Kritik, Ergänzungen oder sonstige Kommentare zu diesem Thema und zu diesem Buch haben, würde ich mich freuen, wenn Sie sie mir mitteilen. Sie erreichen mich unter anderem über die Webseite des Semnos Verlags: www.semnos.de. Aktuelle Hinweise über Veranstaltungen und Veröffentlichungen finden Sie auf der Webseite www.baer-frick-baer.de, wo sie auch den kostenlosen Newsletter BaerNews bestellen können. Doch zuerst einmal wünsche ich Ihnen Neugier, Geduld und Anregungen, wenn Sie dieses Buch lesen und durcharbeiten und damit nach etwas greifen, was so schwer greifbar ist.
Mein Dank geht an Christa Grohé für ihre Literaturhinweise. Ich widme dieses Buch Ihnen, also allen Menschen, die unter Leere-Erfahrungen gelitten haben und leiden. Und ganz besonders widme ich dieses Buch meiner Frau, Geliebten, Kollegin und Unterstützerin Gabriele Frick-Baer, ohne deren Hilfe ich meinen Weg aus der Leere nicht gefunden hätte und dieses Buch nicht zustande gekommen wäre.
Teil A
Eine Frau erzählte, dass sie jede Woche am Freitagnachmittag von einer großen Sehnsucht nach Leere überfallen wird: »Ich bin dann so voll von all den Arbeitssachen, dass ich auf nichts mehr Lust habe, dass mir alles zu viel ist, jeder Anruf, jede Mail, jeder noch so nette Kontakt. Ich brauche dann nur einfach nichts. Ich möchte abtauchen.«
Ich fragte: »Gelingt Ihnen das?«
»Eigentlich nur ganz selten. Am Freitagabend bin ich einfach voll und so erschöpft. Da bin ich auch gar nicht leer, da habe ich nur die Sehnsucht. Am Samstag muss ich einkaufen, manchmal putzen und dies und jenes erledigen, was während der Woche liegen geblieben ist. Wenn ich dann zur Ruhe kommen will, gehen mir Gedanken durch den Kopf, was ich noch alles tun müsste. Und so weiter. Dann bekomme ich ein schlechtes Gewissen, und das ist auch keine Leere, nach der ich mich sehne. Die ist dann eher bitter als süß.«
Sie berichtete davon, dass sie im Urlaub oft mehrere Tage brauche, um »herunterzufahren«: »Das ist so wie beim Treppen-Runterlaufen. Es geht immer eine Stufe tiefer. Manchmal dauert es eine ganze Woche. Deswegen brauche ich eigentlich immer einen längeren Urlaub, weil die Kurzurlaube mir nicht reichen.«
So wie dieser Frau geht es vielen Menschen. Sie fühlen sich voll und sehnen sich nach dem Nichts. Vielleicht war das schon immer so. Vielleicht hat das aber auch in den letzten Jahrzehnten zugenommen durch die vielen medialen Anreize und Anforderungen, die an uns Menschen herangetragen werden. Warum auch immer, die Leere, um die es hier geht, ist eine positiv gedachte und gefühlte Leere. Benennen wir sie so, wie die Frau sie bezeichnete: als eine süße Leere, eine süße Sehnsuchtsleere. Wenn Menschen wirklich »abschalten«, können sie sich von den Sorgen und Anforderungen des Alltags »entleeren« und leiden dann nicht daran. Allerdings leiden sie häufig darunter, dass sie gerade das nicht können oder es ihnen nur unter großen Schwierigkeiten möglich ist, sich dem anzunähern.
Viele Menschen sind voll, zu voll – von ihren Gedanken, ihren Gefühlen, ihren Vorhaben, von dem, was sie tun wollen, und von dem, was von anderen an sie herangetragen wird. Dann ist der Impuls richtig und sinnvoll, sich zu entleeren. Mit einer vollen Hand kann man nicht greifen. Wenn man es doch versucht, ist dies anstrengend und wird immer anstrengender. Man sollte – das wissen die meisten – versuchen loszulassen, um auch nach Neuem greifen zu können. Nach diesem Loslassen sehnen sich viele Menschen. Doch wie kann es gelingen, dieser Sehnsucht zu folgen? Einfach abzuschalten und umzuschalten von »voll« auf »leer«, von Vollgas auf Stillstand, ist für die meisten Menschen schwierig, oft unmöglich. Denn das, was »voll« ist, ist vorhanden und wirkt nach. Es gibt ganze Industrien, die versuchen, Menschen darin zu unterstützen, etwas loszulassen, abzuschalten, umzuschalten. Von der Meditation bis zum Sport, vom Flug ans Mittelmeer, generell die Reise in eine andere Umgebung bis zur alkoholisierten Party – die Wege, die angeboten werden, um diese Sehnsuchtsleere zu erreichen, sind so vielfältig wie die Menschen.
Es ist wichtig und richtig, dass sich jede und jeder um den eigenen Weg bemüht. Allgemeingültige Rezepte existieren da nicht. Viele Menschen stellen sich vor, dass sie loslassen könnten, wenn sie die Umgebung wechseln. Doch das, was sie füllt und was ihnen zu viel ist, befindet sich oft in ihrem Erleben und braucht Zeit und Gelegenheit, dass sich seine Kraft vermindert und es sich entfernt. Ein nach meinen Erfahrungen wichtiger Zwischenschritt besteht darin, das was »voll« und »zu viel« ist, konkreter zu betrachten. Ich bat zum Beispiel die erwähnte Frau, unsortiert, wie es ihr gerade in den Sinn kam, aufzuschreiben, was ihr alles einfällt, das gerade oder »immer« zu viel ist. Sie tat dies, und der Papierbogen füllte sich. Wir sprachen darüber. Sie erwähnte Kleinigkeiten und große Verantwortlichkeiten.
Ich wollte von ihr wissen: »Wenn Sie nun auf die Liste all der Dinge schauen, die Ihnen zu viel sind, und Sie sich fragen, was am leichtesten zu reduzieren oder gar aufzugeben ist, was fällt Ihnen da ein? Es muss nicht das sein, was am beschwerlichsten ist, sondern das, was Sie am leichtesten ändern können.«
Sie sagte spontan: »Abwaschen! Ich hasse es.« Sie war über ihre Eindeutigkeit erstaunt.
»Wen könnten Sie um Hilfe bitten?«
»Meinen Mann!«, antwortete sie. Daraufhin sprach sie ihn an, und sie teilten die Haushaltstätigkeiten neu auf.
Meine nächste Frage lautete: »Was wollen Sie unbedingt loswerden? Was hängt Ihnen ›zum Hals heraus‹?«
Das bedurfte einige Zeit des Nachdenkens. Schließlich kam: »Eigentlich ist das nicht ›zu viel‹, sondern eher ›zu wenig‹. Ich bin es so leid, dass ich im Büro überall einspringe, wo ein Engpass ist. Aber mein Chef tut so, als sei das selbstverständlich. Der besucht Seminare zur Personalführung, hat aber keine Ahnung davon. Es kommt kein Lob, keine Anerkennung, kein Wort. Dann wird das für mich zur Last, die immer größer wird.«
Sie beschloss, mit ihrem Chef darüber zu reden und auch zu versuchen, öfter einmal Nein zu sagen, wenn zusätzliche Aufgaben an sie herangetragen wurden. Sie fand also zwei konkrete Schritte, um das »Zuviel« zu reduzieren.
Diese Fragestellungen sind wichtig. Viele Menschen, die zu voll sind, sind so erschöpft und »fertig«, dass sie das, was zu viel ist, gar nicht mehr konkret betrachten können. Es verschwimmt im Nebel. Und wenn sie es doch versuchen, wollen sie gleich »alles« verändern oder zumindest mit dem beginnen, was sie am meisten belastet. Doch auch das gelingt nur sehr selten. Man sollte mit dem beginnen, was am leichtesten zu ändern ist, und sich dann das Nächste vornehmen. Schritt für Schritt.
Dabei tauchen fast immer Aspekte der Beziehung zu anderen Menschen auf. Die erwähnte Frau wollte mit ihrem Chef sprechen, um eine Belastung zu reduzieren oder loszuwerden. Sie bat ihren Mann um Hilfe. Beides fiel ihr nicht leicht, war aber notwendig, um die Not zu wenden.
Für die meisten Menschen geht es also eher darum, etwas konkret loszuwerden als einfach »pauschal« loszulassen. Wenn wir etwas in der Hand halten, können wir die Hand öffnen, damit es herausfällt und wir es also loslassen, aber bei unseren Erfahrungen, unserem Erleben, unseren Gedanken und Gefühlen ist es schwieriger. Deswegen passt das Wort »loswerden« häufig besser für die Beschreibung des Prozesses in Richtung der süßen Sehnsuchtsleere. Die Frau, von der ich erzähle, ist einige Pflichten losgeworden, wie zum Beispiel das Abwaschen. Vor allem ließ sie los, alles allein schaffen zu können bzw. zu müssen. Sie veränderte ihre Haltung und damit auch nach und nach die Beziehung zu anderen Menschen, vor allem zu ihrem Mann und ihrem Chef. Das Loswerden ist etwas Aktives, es beinhaltet auch Trauerarbeit und umfasst, dass wir Menschen etwas abschütteln und wegwerfen, ja auch zerstören, zum Beispiel Illusionen. Dieser aktive Prozess braucht Raum und Zeit. Da gibt es keine Schalter, die einfach umzulegen sind, damit der Prozess beginnt. Ich zumindest kenne keine.
Ich habe bei mir und anderen Menschen erlebt, dass es hilft, die Widersprüchlichkeiten in unserem Leben zu akzeptieren und auszuhalten. Ja, ich möchte abschalten und ich kann es noch nicht. Ja, ich bin schon weniger gestresst, manchmal sogar ruhig, und oft kommt mir noch dies und jenes in den Sinn, von dem ich eigentlich gar nicht möchte, dass es mir wieder in den Sinn kommt. Der Prozess des Loslassens bzw. des Loswerdens ist oft ein Prozess mit Windungen und Wendungen, ein lebendiger Prozess, der sich in Abstufungen und Wellen vollzieht. Wenn wir dagegen ankämpfen, verlängern wir diesen Prozess oft nur. Wenn wir ihn akzeptieren, so meine Erfahrung, wird er trotz all seiner Widersprüchlichkeiten kürzer.
Eine weitere Erfahrung war in diesem Zusammenhang für viele Menschen hilfreich. Dazu erzählte mir eine andere Frau: »Ich will einfach nur sein.« Doch was heißt das, einfach nur sein? Diese Frau haderte oft mit sich, da sie manchmal Tagträume hatte und vor sich hin döste. Als ich ihr spiegelte, dass andere Menschen viel Geld bezahlen und lange Meditationskurse belegen, um zu »dösen« und sich in Tagträumen zu suhlen, überraschte sie dieser Perspektivwechsel. Viele Menschen haben die Abwertung von Tagträumen verinnerlicht. Sie haben als Kinder gehört: »Träum nicht vor dich hin, mach endlich!« Doch Tagträume sind kostbar. Sie erlauben uns, in unsere als »innen« erlebte Welt zu tauchen und von dort hinaus ins Leben und in die Welt hinein zu wirken. Sie sind ein Ausdruck dessen, was gewürdigt werden will, ohne dass der Mensch etwas aktiv tun muss. Die süße Sehnsuchtsleere, die geträumt wird, ist nicht etwas, was irgendwann in ferner Zukunft an fernen Orten gelebt werden kann und Bedeutung findet. Wir leben immer wieder Momente davon auch in unserem Alltag, und diese sollten wir würdigen.
Ein Klient äußerte zu Beginn einer Therapiestunde sein Unbehagen: »Ich weiß nicht, wie es mir geht. Mir geht es nicht schlecht. Es ist nicht schlimm. Aber froh bin ich auch nicht, glücklich erst recht nicht.« Als ich ihn nach einem Gefühl fragte, sagte er: »Das einzige Gefühl, das ich spüre, ist ein komisches Gefühl.«
So ergeht es vielen. Manchmal ist dieses Unbehagen nur eine Zwischenphase, die zeitweilig kommt und dann wieder geht. Doch sie kann auch andauern, sich in uns einnisten und das Befinden prägen. Es lohnt sich immer, wenn Menschen darunter leiden, auf die Suche zu gehen und wahrzunehmen, was sich hinter dem komischen Gefühl oder dem Unbehagen verbirgt. Das gelingt oft über Farben, Gesten oder Töne.
Ich bat den Klienten, an das Klavier zu gehen und zu versuchen, mit einem Finger einen Ton für sein komisches Gefühl zu finden. Er probierte unterschiedliche Töne aus. Schließlich fand er einen Ton, wiederholte ihn und hörte ihm intensiv zu. Er hob den Blick und schaute mich mit fragenden Augen an.
Ich fragte: »Was hören Sie? Was ist gerade?«
Er sagte: »Das ist ganz komisch. Ich erinnere mich an eine Situation beim Abendessen mit meiner Mutter. Ich weiß nicht, warum.«
Ich ermutigte ihn, weiterzuerzählen.
Er berichtete, dass er damals am Nachmittag mit Freunden Fußball gespielt hatte und dabei sehr gut gewesen war und zwei Tore geschossen hatte. Er wollte seiner Mutter davon erzählen. Doch irgendwie brachte er es nicht über seine Lippen. Immer, wenn er sie anschaute, fühlte er sich, als würde er »abprallen«, als könne er sie nicht erreichen. Da war eine Leere zwischen ihm und seiner Mutter.
Als ich fragte, wer noch bei dem Abendessen dabei gewesen sei, sagte er: »Der Vater nicht. Der aß oft allein, oft erst später in seinem Sessel und las Zeitung.«
Eine weitere Leerstelle. Die Leere zwischen dem Kind und der Mutter und die Leerstelle Vater. Das Kind fand dafür keine Worte. Aber das Unbehagen über das, was für ihn nicht zu greifen und nicht zu begreifen war, klang in dem Ton nach, den er mit seinem Finger auf dem Klavier wiederholte. Er erzählte später, dass er oft solche Empfindungen habe: »Mir ist dann so, als würde etwas fehlen. Aber ich weiß nicht, was. Da ist auch ein Stück Sehnsucht dabei, irgendeine Suche. Aber ich weiß gar nicht, wonach ich suche.« Mir fällt dazu ein Vers von Heinrich Heine ein:
Ich lieb’ eine Blume, doch weiß ich nicht welche;
Das macht mir Schmerz.
Ich schau’ in alle Blumenkelche,
Und such’ ein Herz.
Die Leere zwischen den Menschen, die Leerstellen, das Abwesende in anderen sind nicht greifbar. Es bleibt diffus, und viele, vor allem Kinder, finden dafür keine Worte. Doch sie spüren es, und dieses Spüren äußert sich im berühmten »komischen Gefühl«, in einem andauernden oder immer wiederkehrenden Unbehagen. Das Unbehagen ist ein Indikator, ein Anzeichen für Leere-Erfahrungen – nicht immer, aber häufig. Es geht um Leere-Empfindungen, an denen Menschen leiden.
Viele kennen nicht nur das »komische Gefühl« als Indikator für Leere, sondern auch andere emotionale Regungen. Meist sind das Gefühle, die als sehr stark empfunden werden und einen Bedeutungsüberhang beinhalten, also eine Wucht innehaben, die die Menschen selbst als unangemessen erleben und die in den aktuellen Anlass hineinwirkt. Hier ein Beispiel: Ein junger Mann teilte mit, dass er manchmal eine rasende Wut empfinde. Er könne sich das nicht erklären und wolle es abstellen. Wir suchten danach, wann die Wutanfälle auftraten.
Nach einiger Zeit sagte er: »Jetzt wird es mir klar: Das kommt immer, wenn etwas im Ungefähren bleibt. Wenn mir jemand nicht klar sagt, was los ist, macht mich das fertig. Und Unverbindlichkeit hasse ist. Da greife ich ins Leere. Das halte ich nicht aus.«
Wie dieser Mann reagieren zahlreiche Menschen mit Wut und Zorn darauf, wenn sie ins Leere gehen. Unverbindlichkeit, aus welchen Gründen auch immer, kappt die Verbindung oder verhindert, dass überhaupt eine Verbindung entsteht. Dann können Wut und Zorn entstehen, die dies verändern, die die Leere abschaffen wollen. Da das aber nicht gelingt, steigert sich die Wut immer mehr. Und wenn die betreffende Person in ihrem Leben schon früher unter Leere-Erfahrungen litt, addiert sich oft verzweifelter Zorn über diese Erfahrungen zu dem aktuellen und wächst sich zu rasender Wut aus.
Eine Frau erzählte: »Manchmal spüre ich, dass ich gar nicht wahrgenommen werde. Als wäre ich nicht vorhanden. Ich weiß nicht, ob das dann wirklich so ist, aber ich fühle das und bin mir in dem Moment sicher. Ich reagiere dann so, dass ich ganz klein werde. Ich kann nichts mehr sagen, auch nicht nachfragen und mich nicht bemerkbar machen. Am liebsten würde ich dann weglaufen, ganz verschwinden. Ja, das mache ich dann ja schon: Ich verschwinde.«
Auch hier sind Leere-Erfahrungen der Auslöser. Beim Betrachten einiger solcher konkreten Situationen bestätigte sich der Eindruck der Frau, dass sie zumindest teilweise nicht wahrgenommen und nicht ernst genommen wurde. Sie wurde zu einer Leerstelle gemacht. Auch sie kannte das seit vielen Jahren, vor allem von ihrem Vater und in ihrer ersten Ehe. Sie konnte ihre Reaktion nun nicht mehr nur als leidvoll erleben, sondern auch als eine Kompetenz betrachten, Leere-Erfahrungen besonders feinfühlig wahrzunehmen. Auf dieser Basis ihrer Erkenntnis war es ihr nun möglich, auf die Suche nach alternativen Reaktionsmöglichkeiten zu gehen. Besonders hilfreich wurde für sie der Satz: »Hallo, hier bin ich!« Sie brauchte großen Mut, ihn auszusprechen, doch dann fand sie Freude daran, sich mit mithilfe dieses Satzes bemerkbar zu machen.
Eine andere Frau Anfang 60 beklagte »Wellen der Einsamkeit«: »Eigentlich fühle ich mich nicht einsam. Ich habe Freundinnen und Freunde, gute Nachbarn und eine tolle Familie. Und doch schwappt manchmal so eine Welle über mich. Ich werde dann nicht nass und gehe auch nicht unter, aber fühle mich zutiefst einsam. Das macht mich auch traurig.«
Auch hier stellten sich Leere-Erfahrungen als Auslöser heraus. »Manchmal fühle ich mich als Frau in meinem Alter nicht ernst genommen. Man hört mir nicht zu, oder ich will jemanden um etwas bitten und erreiche diese Person nicht. Das macht mir dann so viel aus, dass diese Welle kommt.«
Diese Frau schenkte den leichten Leere-Erfahrungen in ihrem Alltag nur wenig Beachtung. Doch zusammen mit ihren früheren leidvollen Leere-Erfahrungen entfalteten sie eine solche Wucht, dass die »Wellen der Einsamkeit« über die Frau hinwegschwappten und sie dadurch erst auf diese Erfahrungen aufmerksam werden konnte.
All diese Reaktionen auf Leere – vom komischen Gefühl über die rasende Wut und das Erstarren bis zur Welle der Einsamkeit – sind wie viele andere den meisten Menschen nicht als Ausdruck von Leere-Erfahrungen bewusst. Doch diese Erfahrungen sind der heimliche Auslöser und Verstärker der beschriebenen Empfindungen und Verhaltensweisen.
Ein Mann kam zu mir für therapeutische Begleitung, weil er zunehmend Probleme mit seinem Partner hatte. Sie liebten sich, wussten aber nicht mehr, woran sie jeweils bei einander waren. Es gab so viel Verwirrung, Missverständnisse und Irritationen, die sich manchmal in Konflikten entluden oder zumindest eine gewisse Distanz zwischen ihnen schufen. Wir arbeiteten an dieser Beziehung und an den biografischen Beziehungserfahrungen des Klienten.
Dabei fiel mir auf, dass alle Aussagen, die ich machte, von ihm nochmals hinterfragt wurden. Auch Antworten, die ich auf seine Fragen gab, riefen wiederum eine Nachfrage hervor und brauchten eine Bestätigung. Als ich zu ihm nach einer Krankheitspause sagte: »Schön, dass Sie wieder gesund sind«, erwiderte er: »Ja. Meinen Sie?« Das empfand ich zuerst als Misstrauen mir gegenüber. Doch als wir darüber redeten, wurde mir deutlich, dass es kein Misstrauen war, sondern ein einfacher Reflex. Der Reflex ergab sich daraus, dass er nicht glauben konnte, was er hörte. In der Beschäftigung mit seiner Beziehungsbiografie war deutlich geworden, dass seine Mutter immer doppeldeutig gewesen war (der Vater war nicht präsent). Dieser Klient wusste nie, woran er war. Er war verwirrt und orientierungslos. In jeder sachlichen Aussage der Mutter war eine inhaltliche Aufforderung verborgen gewesen, die aber nicht ausgesprochen wurde. Also war er als Kind und Junge gezwungen gewesen, immer wieder alles, was er hörte, zu überprüfen, zu hinterfragen und eine Bestätigung zu suchen, was denn nun wirklich war. Er selbst beschrieb diesen Zustand, als würde er im Nebel herumirren.