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Tazio Chappars wird mit einem Messer in der Hand neben der Leiche der reichen Mrs Paulson gefunden. Wird es Mary Minor 'Harry' Haristeen gelingen, ihre Freundin von dem schrecklichen Verdacht reinzuwaschen? Zu Hilfe eilen: Mrs. Murphy, Pewter und Tee Tucker. Es ist Mitte September, und der Herbst hält Einzug in Crozet, Virginia. Da werden die Vorbereitungen für den großen Ball im Sommerhaus von Thomas Jefferson von einer schrecklichen Nachricht überschattet: ein Frauenarzt wurde ermordet. Auf dem Ball schließlich geschieht ein weiterer Mord. Der Verdacht fällt auf die junge Architektin Tazio Chappars, die neben der Leiche von Carla Paulson mit einem Messer gefunden wird. Die reiche, egozentrische Carla und Tazio hatten sich Tage zuvor heftig über Planungsfehler bei Carlas neuem Anwesen gestritten. Mary Minor 'Harry' Haristeen und Mrs. Murphy können nicht länger zusehen. Niemals hat ihre Freundin Tazio einen Mord begangen. Und Harry hat auch schon einen Verdacht: Sie traut weder dem undurchsichtigen Bauinspektor Mike McElvoy noch der jungen Arzthelferin aus der Praxis des Frauenarztes.
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Das Buch
Es ist Mitte September, und der Herbst hält Einzug in Crozet, Virginia. Da werden die Vorbereitungen für den großen Ball im Sommerhaus von Thomas Jefferson von einer schrecklichen Nachricht überschattet: Ein Frauenarzt wurde ermordet. Auf dem Ball schließlich geschieht ein weiterer Mord. Der Verdacht fällt auf die junge Architektin Tazio Chappars, die neben der Leiche von Carla Paulson mit einem Messer gefunden wird. Tazio und Carla hatten sich Tage zuvor heftig über angebliche Planungsfehler bei deren neuem Anwesen gestritten. Mary Minor »Harry« Haristeen und Mrs. Murphy können nicht tatenlos zusehen. Niemals hat ihre Freundin Tazio einen Mord begangen. Und Harry hat auch schon einen Verdacht: Sie traut weder dem undurchsichtigen Bauinspektor Mike McElvoy noch der jungen Arzthelferin aus der Praxis des Frauenarztes.
Die Autorin
Rita Mae Brown, geboren in Hanover, Pennsylvania, wuchs in Florida auf. Sie studierte in New York Filmwissenschaft und Anglistik und war in der Frauenbewegung aktiv. Berühmt wurde sie mit dem Titel Rubinroter Dschungel und durch ihre Romane mit der Tigerkatze Sneaky Pie Brown als Koautorin. Weitere informationen finden Sie unter:www.ritamaebrown.com
Von Rita Mae Brown sind bereits erschienen:
Die Mrs.-Murphy-Krimis:
Schade, daß du nicht tot bist – Rache auf leisen Pfoten – Mord auf Rezept – Die Katze lässt das Mausen nicht – Die Katze im Sack – Da beißt die Maus keinen Faden ab – Die kluge Katze baut vor – Eine Maus kommt selten allein – Mit Speck fängt man Mäuse – Die Weihnachtskatze – Die Geburtstagskatze – Mausetot – Vier Mäuse und ein Todesfall
Die Krimiserie mit Sister Jane:
Auf heißer Fährte · Fette Beute · Dem Fuchs auf den Fersen · Mit der Meute jagen · Schlau wie ein Fuchs
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Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen,wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung,Speicherung oder Übertragungkönnen zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.
Ungekürzte Ausgabe im Ullstein Taschenbuch
1. Auflage Juli 2010
2. Auflage 2012
© für die deutsche Ausgabe Ullstein Buchverlage GmbH,
Berlin 2009/Ullstein Verlag
© 2008 by American Artists, Inc.
Titel der amerikanischen Originalausgabe: The Purrfect Murder
(Bantam Books, New York 2008)
Umschlaggestaltung: Büro Jorge Schmidt, München
Titelabbildung: Jakob Werth, Teisendorf
E-Book-Konvertierung: CPI books GmbH, Leck
ISBN 978-3-8437-1034-3
Für Fred und Doris Duncan,diese wunderbaren Menschen, die wissen:Die Natur schenkt uns die Nüsse,knacken müssen wir sie selbst.
Mary Minor »Harry« Haristeen. Die ehemalige Posthalterin von Crozet versucht neuerdings, sich mit Farmarbeit über Wasser zu halten. Sie ist im August vierzig geworden, was ihr angeblich nichts ausmacht.
Pharamond »Fair« Haristeen, Doktor der Veterinärmedizin und Harrys Ehemann.
Der Pferdearzt versucht, seine Frau aus Scherereien herauszuhalten – mit mäßigem Erfolg.
Susan Tucker, Harrys beste Freundin seit Kindertagen, staunt oft, wie Harrys Verstand funktioniert. Die zwei kennen sich so gut, dass die eine die Sätze der anderen zu Ende sprechen könnte.
Mrs. Miranda Hogendobber. Miranda beobachtet viel, behält aber das meiste für sich. Die fromme Christin ist Ende sechzig und bemuttert Harry, die mit etwa zwanzig Jahren ihre Mutter verlor.
Marilyn »Big Mim« Sanburne. Die Queen von Crozet sieht und weiß alles – oder will es zumindest. Sie verbessert unerbittlich jedermanns Los, ist aber alles in allem ein gutherziger Mensch.
Marilyn »Little Mim« Sanburne junior. Sie tritt endlich aus dem Schatten ihrer Mutter, was ihrer Mutter missfällt, alle anderen dagegen freut. Ganz besonders erfreut ist ihr frischgebackener Ehemann Blair Bainbridge.
Jim Sanburne ist der Bürgermeister von Crozet, seine Tochter ist Vizebürgermeisterin. Er ist es gewohnt, zwischen Ehefrau und Tochter zu jonglieren. Jim ist kein bisschen eingebildet, im krassen Gegensatz zu Big Mim, die mit einem silbernen Löffel im Mund geboren wurde.
Tante Tally Urquhart. Dieses wilde Weib muss eine glühende Anhängerin des Gottes Pan sein, denn sie läuft zur Hochform auf, wenn die Hölle los ist. Sie ist Big Mims Tante und macht sich ein Vergnügen daraus, ihre prüde Nichte zu schockieren.
Deputy Cynthia Cooper. Sie ist klug, Ende dreißig und Harrys Nachbarin. Wie Fair versucht sie, Harry aus Scherereien herauszuhalten, wenn sie kann. Sie liebt den Polizeidienst.
Sheriff Rick Shaw. Er ist Gesetzeshüter mit Leib und Seele, einsichtig, aber korrekt. Er hat genug von den politischen Aspekten seines Amtes, bekommt aber nie genug davon, Verbrecher ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Er kann Harry gut leiden, aber sie kommt ihm ab und zu in die Quere.
Olivia »BoomBoom« Craycroft. Sie ist mit Anfang dreißig Witwe geworden und hat, schön wie sie ist, stets eine Schar Männer im Schlepptau. Einer von ihnen war Fair Haristeen. Er hatte eine Affäre mit ihr, als er von Harry getrennt lebte. Inzwischen sind Harry und Fair aber wieder verheiratet. BoomBoom kann zupacken, wenn es darauf ankommt.
Alicia Palmer. Sie war ein großer Filmstar, ist jetzt Ende fünfzig und heilfroh, wieder auf der Farm in Crozet zu sein. Sie ist auch heilfroh, BoomBoom gefunden zu haben, denn die zwei ergänzen sich ideal.
Tazio Chappars. Ehe die junge Architektin sich’s versieht, steckt sie in fürchterlichen Schwierigkeiten.
Paul de Silva. Er ist Big Mims Stallmeister und liebt Tazio. Als sie ins Gefängnis muss, ist er todunglücklich.
Dr. William Wylde. Der geachtete, verantwortungsvolle und warmherzige Gynäkologe hat halb Crozet auf die Welt geholt.
Benita Wylde. Wills Ehefrau ist begeisterte Golfspielerin und lernt einige schmerzliche Lektionen über das Leben. Sie zeigt sich der Situation gewachsen.
Margaret Westlake. Sie ist die rechte Hand in Dr. Wyldes Praxis.
Kylie Kraft. Sie ist die jüngste Helferin in Dr. Wyldes Praxis und vernascht Männer wie Kartoffelchips.
Dr. Harvey Tillach. Er ist Arzt und kann Will Wylde nicht ausstehen.
Mike McElvoy. Jeder Bezirk hat mindestens einen Bauinspektor. Albemarle County hat zwei, aber Mike ist derjenige, der allen das Leben schwer macht.
Carla Paulson. Sie ist eine gutaussehende Dame mittleren Alters und baut gerade ein neues Haus. Tazio Chappars ist die Architektin und Mike McElvoy der Inspektor, was zu einem explosiven Dreiecksverhältnis führt.
Folly Steinhauser. Sie hat während der letzten zwei Jahre ebenfalls ein großes Haus gebaut, und seither verabscheut sie Mike McElvoy.
Sie ist ziemlich reich und nicht abgeneigt, Big Mim herauszufordern. Ron, ihr Ehemann, ist habgierig, befindet sich aber auf dem absteigenden Ast. Außerdem ist er sehr viel älter als Folly und bekommt neuerdings eine Menge nicht mit.
Mrs. Murphy, eine hübsche getigerte Katze, klug, schnell und von einigermaßen gemäßigtem Temperament. Sie weiß, dass sie Harry, ihren Menschen, kaum vor Scherereien bewahren kann, aber sie kann sie manchmal herausholen, wenn sie in die Bredouille geraten ist.
Tee Tucker. Die Corgihündin, die an Harry hängt, ist sehr mutig und kriegt es hin, mit zwei Katzen zusammenzuleben.
Das besagt eine Menge.
Pewter. Die graue Kanonenkugel, als die sie zu ihrem Missvergnügen bekannt ist, hegt eine Abneigung gegen Menschen, aber sie liebt Harry und Fair. Sobald es jedoch eine Möglichkeit gibt, einen weiten Weg oder Ärger zu vermeiden, ist sie die Erste, die diesen Pfad einschlägt.
Simon. Das Leben im Stall mit den vielen Pferden gefällt dem Opossum, das auch Harry mag, soweit es imstande ist, Menschen zu mögen. Sie bringt ihm Leckerbissen.
Plattgesicht. Die große Ohreule, die wie Simon auf dem Heuboden wohnt, schaut auf erdgebundene Geschöpfe herab, im wörtlichen wie im übertragenen Sinn. In einer brenzligen Situation jedoch kann man auf Plattgesicht zählen.
Matilda, eine große Kletternatter und die dritte Bewohnerin des Heubodens. Ihr Sinn für Komik grenzt an schwarzen Humor.
Owen. Tee Tuckers Bruder gehört Susan Tucker, die den Wurf gezüchtet hat. Er versteht nicht, wie seine Schwester die Katzen ertragen kann. In Katzengesellschaft weiß er sich zu benehmen, aber er hält Katzen für Snobs.
Da Mrs. Murphy, Tucker und Pewter auf einer Farm leben, kreuzen diverse Geschöpfe ihre Wege, von Bären und Füchsen bis zu einem unausstehlichen Blauhäher. Sie lieben die Pferde, was auf einige der anderen Geschöpfe nicht zutrifft, aber Pferde sind ja auch domestiziert. Pewter behauptet, sie sei nicht domestiziert, sondern residiere lediglich in einem Haus mit regelmäßigen Mahlzeiten.
Das Morgenlicht, das aussah wie gesponnenes Gold, machte Harry bewusst, warum sie den September so liebte. Das Licht wurde sanfter, die Nächte wurden frisch, während die Tage warm blieben. An diesem Donnerstag, dem 18. September, zeigte sich nur ein Hauch von Gelb an den Wipfeln der Weiden, die sich Mitte Oktober in einen Farbenrausch verwandeln würden.
Der alte 1978er Ford ratterte die Schotterstraße entlang. Das Geräusch des starken Motors begeisterte Harry. Sie liebte alles, was einen Motor hatte.
Ihre zwei Katzen, Mrs. Murphy, eine getigerte, und Pewter, eine graue Katze, sowie ihre Corgidame Tee Tucker hatten ebenfalls Gefallen an dem Rattern, das sie oft in den Schlaf wiegte. Heute hockten sie alle auf der Sitzbank und waren hellwach. Eine Fahrt in die Stadt verhieß Leckereien und einen Besuch bei anderen Tieren, außerdem wusste man nie, was sonst noch alles passieren würde.
Harry war am 7. August vierzig geworden, und sie behauptete, das lasse sie kalt. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Fair, ihr geliebter Ehemann, hatte sie mit einer großen Geburtstagsparty überrascht, und sie hatte sich darin gesonnt, im Mittelpunkt zu stehen, auch wenn es um den Eintritt ins mittlere Alter ging. Sie trug den herrlichen Hufeisenring, den ihr Mann ihr beim Shelbyville-Turnier gekauft hatte. Protzerei oder Mädchenkram lag ihr ansonsten gar nicht, doch jedes Mal, wenn sie auf das Prachtstück blickte, musste sie grinsen.
»So, Kinder, benehmt euch, verstanden? Ich will nicht, dass ihr auf Tazios Blaupausen springt. Keine Radiergummis auf den Boden werfen. Nicht auf den Gummienden von Bleistiften rumkauen. Tucker.« Harrys Stimme behielt den Kommandoton bei. »Dass du Brinkley keine Knochen klaust. Das ist mein voller Ernst.«
Die drei Tiere richteten die Blicke auf sie. In ihren Augen stand Liebe und das Versprechen, brav zu sein.
Tazio Chappars, eine junge Architektin in Crozet, erhielt große Aufträge für öffentliche Gebäude, aber auch eine stattliche Anzahl von Aufträgen für schöne, teure Privathäuser, überwiegend von Nichtvirginiern. Für alteingesessene Virginier waren diese Häuser zu protzig.
Doch wie wir alle in dieser Welt, musste Tazio ihren Lebensunterhalt verdienen, und wenn der Kunde ein marmorverkleidetes Badezimmer von der Größe einer Garage wünschte, dann bekam er es auch.
Als Harry den Wagen abstellte, bemerkte sie auf dem kleinen Parkplatz einen nagelneuen Range Rover, der flammend orange lackiert war. Sie ging hin, um ihn zu bewundern.
»Toller Wagen«, murmelte sie vor sich hin.
Toll war er, das schon, doch der nächste Händler war hundertvierzig Kilometer entfernt in Richmond, was den Reiz ein wenig schmälerte. Dazu kam dann noch der Preis.
Bevor sie die Tür erreichte, drang eine Schimpfkanonade an ihre Ohren. Als sie die Tür öffnete, bekam sie die volle Ladung ab.
»Wurmholz! Ist mir egal, was es kostet und ob da der Holzwurm reinkommt. Ich will Wurmholz!« Eine ausgesprochen gepflegte Dame von Mitte vierzig fuchtelte mit bunten Plänen vor Tazios Nase herum.
»Gerne, Mrs. Paulson. Aber das wird die Fertigstellung der Bibliothek verzögern, weil es Monate dauert, um das Holz zu präparieren.«
»Ist mir egal. Tun Sie, was ich Ihnen sage.«
Tazios Gesicht lief dunkelrot an, aber sie sagte nichts.
Mrs. Paulson drehte sich auf ihren aquamarinblauen Dreihundert-Dollar-Schuhen um und musterte Harry. Harrys weißes T-Shirt ließ einen üppigen Busen erkennen, ihre Jeans saß perfekt auf einem trainierten Körper, der von der Sonne gebräunt war. Mrs. Paulson blieb einen Moment stehen, denn obwohl sie nicht aus Virginia war, hatte sie intuitiv erkannt, dass oftmals die reichsten Leute oder jene aus alten Familien Sachen trugen, die für ihren Geschmack Kleidung für Wanderarbeiter waren. Carla Paulson würde sich niemals in weißem T-Shirt und einer Wrangler unter die Leute wagen. Sie konnte nicht verstehen, warum Harry in aller Öffentlichkeit wie eine Farmarbeiterin herumlief.
Sie kannte Harry flüchtig vom Sehen, deswegen schaltete sie auf »Cafeteria-Lady«.
Tazio kam um ihren Zeichentisch herum. »Mrs. Paulson, Sie kennen doch Harry Haristeen? Ihre Mutter war eine Hepworth, ihr Vater ein Minor.« Tazio wusste genau, dass Mrs. Paulson keine Ahnung von Harrys Abstammung hatte, aber allein, dass Tazio es erwähnte, bedeutete »wichtige Person«.
Was Harry allerdings völlig schnuppe war.
Die gutgekleidete Frau streckte die Hand aus, setzte ein strahlendes Lächeln auf und gurrte: »Ja natürlich.«
Harry ergriff höflich ihre Hand mit exakt so viel Druck, wie es ihr die Drachen im Anstandsunterricht Jahr für Jahr eingetrichtert hatten. »Ich sehe, Sie haben die begabteste Architektin des Staates angeheuert.« Sie hielt inne. »Ihr neuer Wagen ist der Hammer.«
»Ist die Innenausstattung nicht herrlich? Hab ihn erst letzte Woche gekauft.« Carla Paulsons Miene hellte sich auf. Sie sah auf ihre mit Diamanten besetzte Rolex. »Ich rufe später noch mal an wegen eines neuen Termins. Oh, eh ich’s vergesse, Michael McElvoy sagte, er ist morgen um elf auf der Baustelle.«
Tazio wollte schon sagen, dass sie um die Zeit einen Termin hatte – was stimmte –, aber wenn ein Bezirksbauinspektor auf die Baustelle kam, dann sollte sie besser auch dort sein. Michael lebte dafür, Mängel zu entdecken.
»Gut. Ich werde da sein.« Lächelnd begleitete Tazio Mrs. Paulson zur Tür. Mrs. Murphy und Pewter sprangen auf den hochbeinigen Stuhl und von da auf den Zeichentisch. Die Katzen waren entzückt von den rosa Radiergummis. Tazio hatte auch rechteckige weiße, die quietschten, wenn man in sie hineinbiss.
Brinkley, ein junger gelber Labrador, den Tazio während eines Schneesturms von einer halbfertigen Baustelle gerettet hatte, kaute an einem Knochen. Tucker legte sich vor das wunderschöne Tier, bettete den Kopf auf die Pfoten und sah den Knochen sehnsüchtig an.
Sobald Carla Paulson fort war, atmete Tazio tief durch.
»Murphy, Pewter, was hab ich euch gesagt?«, warnte Harry.
Murphy warf den rechteckigen weißen Radiergummi vom Tisch. Beide Katzen wetzten hinterher.
»Lass nur. Ich hab im Vorratsschrank einen ganzen Karton voll. Ich schenk euch einen.« Sie holte tief Luft. »Die Frau raubt mir den letzten Nerv. Eigentlich dachte ich, Folly Steinhauser ist hochnäsig und Penny Lattimore eine Diva, aber Carla ist eine Marke für sich.«
»Wie wahr.«
Tazio lächelte hinterhältig. »Die Diamanten-Rolex ist so was von protzig.«
»Lieber schlichtes Platin tragen. Ist mehr wert und nicht angeberisch. Die meisten Leute halten es tatsächlich für Stahl.« Harry stützte sich auf den Zeichentisch. »Aber wenn Carla eine Rolex aus Platin besäße, müsste sie allen erzählen, dass sie nicht aus Stahl ist, und damit wär’s natürlich verschenkt.«
»Harry«, sagte Tazio lachend, »du bist so durch und durch Virginia.«
»Das musst du gerade sagen.«
»Ich bin aus St. Louis, schon vergessen?«
»Spielt keine Rolle. Du hast die Angeber-Uhr erwähnt, nicht ich.«
Tazio war halb italienisch, halb afroamerikanisch und ganz und gar umwerfend. Ihre Familie, die in St. Louis sehr angesehen war, hatte ihr die beste Ausbildung ermöglicht sowie sicheres gesellschaftliches Auftreten vermittelt, da ihre Mutter in allen nur denkbaren Komitees saß. Von klein auf hatte ihre Mutter sie zu diversen Festen, Bällen und Wohltätigkeitsveranstaltungen geschleppt.
»Ich bin fix und fertig, weil sie dauernd mit neuen Ideen kommt. Zugegeben, auf dem Wurmholz bleibt sie bestehen, aber jedes Mal, wenn sie was ändert, schnellen die Kosten nach oben. Es ist nicht mein Geld, aber wenn ein Fenster um zwei bis drei Zentimeter versetzt wird, muss entweder Orrie« – das war der Spitzname des Bauunternehmers – »oder ich den Bauinspektor anrufen. Michael McElvoy, du hast es gehört.«
Harry musste kichern. »Du Glückspilz.«
»Na ja, jeder hat so seine Probleme. Du bist gekommen, um die Berechnungen für die verschiedenen Heizungsanlagen für St. Lukas abzuholen. Ich hab sie fertig.« Sie trat an ihren großen, polierten Mahagonischreibtisch, der etwa drei Meter vom Zeichentisch entfernt stand. Sie nahm eine Mappe und sagte: »Da. Verdau das erst mal, dann lass es uns vor der nächsten Vorstandssitzung durchsprechen.«
Harry schlug die Mappe auf. »Jesses.«
»Es gibt eine Menge Alternativen, und jede hat ihre Vor- und Nachteile.«
»Hat Herb eine Kopie?« Herb war Reverend Herbert Jones, der Pastor von St. Lukas.
»Ich dachte, erst mal sollten wir die Köpfe zusammenstecken. Er ist wegen des St.-Lukas-Treffens nächsten Monat sowieso überlastet.«
Das Treffen würde am Samstag, dem 25. Oktober stattfinden. Jedes Jahr im Oktober veranstaltete die St.-Lukas-Gemeinde eine Zusammenkunft mit sämtlichen Mitgliedern. Viele, die aus Mittelvirginia fortgezogen waren, fanden sich ein, sodass es an die dreihundert Teilnehmer sein würden.
»Okay. Ich mach mich gleich dran. Wäre prima, wenn die Anlage vor der Sitzung installiert werden könnte, falls es kalt wird.«
»Mit etwas Glück dürfte der alte Kessel noch ein, zwei Monate halten. Der erste Frost schlägt gewöhnlich Mitte Oktober zu. Wir kriegen es hin, hoffe ich. Der alte Heizkessel ist aus Gusseisen. Ein Schweißer muss ihn zerlegen, damit er abtransportiert werden kann. Das dauert Tage. So was wird heute gar nicht mehr hergestellt«, sagte Tazio mit breitem Grinsen.
Harry sah zu Tucker hinüber. »Was habe ich dir gesagt?«
Tazio ging in den Vorratsraum und kam mit einem grünen Kauknochen zurück. Den gab sie der dankbaren Tucker. »In Missouri hergestellt.«
»Dann muss er ja gesund sein.« Harry lachte. »Kommt, Kinder.«
»Ich will den Radiergummi.« Mrs. Murphy nahm ihn ins Maul.
Harry griff herunter, um ihn ihr abzunehmen, doch Tazio sagte: »Behalt ihn. Wirklich. Ich hab einen ganzen Karton voll.«
»Danke. Du verwöhnst meine Schätzchen.«
»Du etwa nicht?« Eine Augenbraue hob sich über einem grünen Auge.
»Hm …«
»Wenn du Fair so verwöhnen würdest wie diese drei, wäre er fett wie eine Zecke.« Fair war Harrys Ehemann, der eins neunzig groß war und kein Gramm Fett am Leib hatte.
»Weißt du was, ich glaube nicht, dass Fair jemals dick wird. Wenn er es sich nicht abrackert, dann sorgt er es sich ab.«
»Mir kommt er nicht vor wie einer, der sich viel sorgt.«
»Vielleicht nicht im herkömmlichen Sinn, aber er denkt dauernd über die Zukunft nach, erprobt neue Techniken und Medikamente. Sein Verstand steht nie still.«
»Deiner auch nicht. Deswegen seid ihr wie füreinander geschaffen.«
»Mag sein. Also dann, Madam. Ich melde mich wieder.«
Sie hielt inne. »Apropos füreinander geschaffen, bei dir und Paul scheint es auch so zu sein.«
Tazio wurde rot und zuckte die Achseln.
Harry öffnete die Tür, und die drei fröhlichen Freundinnen schossen vor ihr hinaus. Sie stieg in den Ford, erledigte ein paar Besorgungen und fuhr dann Richtung Westen zur Farm. Als sie die lange Zufahrt erreicht hatte, konnte sie ihr Feld mit Sonnenblumen sehen, die Köpfe der Sonne zugewandt, und ihren Viertelmorgen Land mit den reifenden Petit-Manseng-Trauben. Alles perfekt.
Ein Feld mit gewöhnlichen Sonnenblumen überragte ein weiteres mit einer italienischen Sorte. Die schönen Köpfe waren der Sonne zugewandt. Die samenschweren Blütenkörbe regten sich kaum im leichten Wind, der die Blätter an den dicken Stengeln bewegte.
Harry parkte den Transporter vor dem Stall, stellte den Motor ab und sprang hinaus. Ehe sie sich an die Arbeit machte, blieb sie stehen, die Hände in die Hüften gestemmt, und bewunderte das satte Gelb der großen Sonnenblumen und das grün angehauchte Weiß der italienischen Sorte. Ein vier Meter breiter Grasstreifen verlief zwischen den Sonnenblumenfeldern und den Weinfeldern, wo die schönen Trauben an den Rebstöcken hingen. Da dies das erste Jahr war, wurden die Trauben nicht geerntet, sondern durften am Stock überwintern. Das würde die Füchse und Vögel entzücken.
»Kommt.«
Mrs. Murphy und Tucker folgten ihr.
Pewter zögerte. »Ich brauche ein Nickerchen.«
»Na klar«, stimmte Mrs. Murphy ihr zu.
Die prompte Zustimmung der Tigerkatze machte Pewter misstrauisch. Mrs. Murphy und Tucker wollten ihr offenbar etwas vorenthalten.
Harry ging weiter, Tucker neben ihr, dahinter Mrs. Murphy, und Pewter bildete die Nachhut.
»Ich dachte, du wolltest ein Nickerchen machen«, rief Tucker über die Schulter.
»Hab’s mir anders überlegt. Ich brauch Bewegung.«
Pewters dunkelgraues Fell glänzte, ein Zeichen, dass sie kerngesund war.
Auf dem Weg durch die Reihen mit Sonnenblumen und summenden Insekten blieb Harry stehen, fuhr mit den Fingern über einen Blütenkopf und ging dann weiter. »Höchste Zeit, dass es regnet.«
Eine große Vogelscheuche in Gestalt einer Eule auf einer Stange hatte einige Vögel vertrieben, doch der Blauhäher blieb davon unbeeindruckt. Infolgedessen hatte er im letzten Monat so viel gefressen, dass er träge geworden war. Eine mächtige Roteiche auf der Weide neben dem Sonnenblumenfeld bot ihm Zuflucht. Er stellte seinen Schopf auf, sobald die Katzen in Sicht kamen. Beim Auffliegen umrundete er die Gesellschaft einmal.
»Mistbande.«
Pewter sah hoch. »Stinksteiß.«
Der Häher stieß herab und verpasste Pewter knapp, als er ausschied, was er zuvor gefressen hatte. Zufrieden kehrte er zu der Roteiche zurück.
»Eines Tages«, grummelte Pewter.
»Wenigstens war es kein Volltreffer.« Tucker neigte stets dazu, alles positiv zu betrachten. Der Hund spitzte die großen Ohren und bellte dann: »Susan.«
Die Katzen blieben stehen, wandten die Köpfe und lauschten auf den Kombi. Er war vierhundert Meter vom Haus entfernt, aber auch sie konnten den Motor hören. Nur wenige Menschen können die ganz speziellen Geräusche von unterschiedlichen Reifensätzen auseinanderhalten, doch für den Hund und die Katzen war das so einfach, wie jemanden an seinen Schuhen zu erkennen.
Als der Wagen sich dem Haus näherte, hörte auch Harry ihn endlich. Sie drehte sich um und sah eine Staubwolke aufwirbeln. »Verdammt, wir brauchen wirklich Regen.«
Sie gingen rasch zum Haus.
Susan kam ihnen entgegen. »Hey, Süße.«
Harry breitete strahlend die Arme aus. »Ist das zu glauben?«
Susan blieb stehen und stemmte die Hände in die Hüften. »Fruchtbarkeit und Üppigkeit ohnegleichen.«
»Mach mir Sorgen, weil’s nicht regnet.«
»Mich, mich, mich.« Susan bückte sich und kraulte Tuckers Ohren.
»Mach weiter.«
»Mich auch.« Pewter rieb sich an Susans Bein, und sie tätschelte die graue Kanonenkugel.
Harry hakte sich bei Susan ein, und so standen sie einen Augenblick und bewunderten das Sonnenblumenfeld. »Ackerbau ist nach wie vor die Grundlage allen Wohlstands. Industrie oder Hochtechnologie kann’s nicht geben, wenn die Menschen nicht essen können.«
Susan nickte. »Was die meisten Menschen natürlich vergessen haben.«
Harry lächelte, während sie zum Haus gingen und der Blauhäher ihnen nachkreischte.
Als sie am Stall vorbeikamen, steckte Simon, das Opossum, den Kopf aus der offenen Heubodentür. »Heb mir ein paar Plätzchen auf.«
Harry und Susan sahen zu dem halbzahmen Tier hoch.
Pewter kicherte. »Wenn ich sie nicht zuerst esse.«
»Du sollst Diät halten, Mädchen«, merkte Mrs. Murphy mahnend an.
»Und du sollst die Klappe halten.« Pewter sauste allen voraus, stieß die Fliegentür auf und quetschte sich durch die Tierklappe und die Küchentür.
In der Küche schenkte Harry gesüßten Tee ein und stellte Obst und Käse hin.
Susan kam auf den Grund ihres Besuches bei ihrer besten Freundin zu sprechen. »Du wirst es nicht glauben.«
»Was?« Harry beugte sich vor.
»Folly Steinhauser hat sich verpflichtet, für das gesamte St.-Lukas-Treffen am fünfundzwanzigsten Oktober aufzukommen.«
»Was?«
»Ja, wirklich.«
»Aber sie geht doch erst seit zwei Jahren in die St.-Lukas-Kirche. Ich meine, sie lebt erst seit zwei Jahren hier und ist erst seit« – Harry überlegte kurz – »seit einem Jahr im Kirchenvorstand.«
»Es war strategisch schlau von Herb, sie in den Vorstand zu holen.«
»Tja, Susan, wenn sie einen Betrag ausspuckt, der sich auf rund dreißigtausend Dollar belaufen wird, dann wundert es mich nicht.«
»Das habe ich zuerst nicht gewusst.« Susan schloss anerkennend die Augen, als sie den Tee trank; ein frischer Minzezweig aus dem Hausgarten bereicherte das Aroma. »Es war klug von ihm, weil sie eine Zugezogene ist und weiß, wie man mit den anderen Zugezogenen redet.«
»Ich hab gar nicht gewusst, dass man mit denen redet. Ich dachte, wir tumben Hinterwäldler lauschen einfach auf ihren Weisheitsschwall.«
»Sei nicht so bissig.«
»Na schön. Wie wär’s hiermit: Ich hab’s satt, mir von denen anhören zu müssen, wie sie’s im Norden halten.«
»Harry, sie sind nicht alle aus dem Norden.«
»Ach?«
»Manche kommen aus dem Mittelwesten.«
»Die sind genauso schlimm, verflixt noch mal.« Harry brach in Lachen aus.
»Du bist so voreingenommen.«
»Jawohl, Ma’am.« Sie seufzte. »Da ich nun vierzig geworden bin, ist es mir vielleicht gestattet, ins Reich der Gereizten einzutreten.« Sie hob eine Augenbraue. »Aber auf dich höre ich.«
»Folly ist im Gremium von Planned Parenthood, und sie hat die anderen Mädels – Carla Paulson, Penny Lattimore und Elise Brennan – dazu gebracht, Sachen für die stille Auktion beizusteuern. Sie hat sogar einige Ärzte überredet, kostenlose Beratungen anzubieten.«
»Müssen wir vorher schwanger werden?«
»Das sind nicht alles Gynäkologen, du Schlaukopf. Komm schon, mach Folly nicht so schlecht. Es ist eine tolle Sache und entlastet Herb enorm. Alle Jahre musste er sich abstrampeln, um das Geld für das Treffen zusammenzukriegen.«
»Das ist bei mir ein wunder Punkt. Ich predige seit Jahren, er soll wenigstens so viel Unkostenbeitrag verlangen, dass die Verpflegung abgedeckt ist.«
»Das macht er aber nicht. Herb sagt, alle sollen nach St. Lukas heimkehren, ohne das Gefühl zu haben, einen Scheck ausstellen zu müssen.« Susan erinnerte Harry an etwas, das sie längst wusste.
»Brot und Fische.«
»Menschenskind, es gab Jahre, wo wir um ein Wunder beten mussten, aber dieses Jahr ist es eingetreten.«
»Schön«, Harry legte das Kinn in die Hand, den Ellbogen hatte sie auf den Tisch gestützt, was ihre verstorbene Mutter erzürnt haben würde, »das Wunder ist eingetreten, aber es macht mich wütend, dass diese Leute sich ihren Eintritt erkaufen wollen.«
»Den Eintritt zu St. Lukas?«
»Susan, du bist ein politischer Mensch. Du weißt so gut wie ich, dass die Episkopalkirche und die lutherische Kirche die zwei gesellschaftlich führenden Kirchen sind. Gottesverehrung ist die eine Seite. Mit Leuten verkehren, die einem geschäftlich nützen können oder einem das Gefühl geben, zur Elite zu gehören, das ist eine ganz andere.«
»Und wie lässt uns das dastehen?« Susan schnitt eine schmale Ecke Brie ab und legte sie auf einen großen Cracker.
»Wir sind so geboren. Ich komm mir nicht gesellschaftlich führend vor. Dieser ganze Kram ist mir schnuppe. Ich denke, es verletzt die Gefühle der Menschen.«
»Das ist wahr, aber die Menschen brauchen ihre Grüppchen. Dort fühlen sie sich geborgen.«
»Du hast wohl Edmund Burkes Betrachtungen über die französische Revolution wieder gelesen.« Harry lächelte. Sie und Susan verschlangen Bücher, und durchaus keine leichte Kost.
»Hm, nein, aber ich habe sie noch gut im Gedächtnis. Um auf dein Thema zurückzukommen. Ja, es kann Gefühle verletzen. Aus einer Gruppe ausgeschlossen sein, das tut weh.«
Harry zuckte die Achseln. »Dann sucht man sich eben eine andere Gruppe.«
»Sei nicht so gehässig. Wir müssen uns auf der nächsten Vorstandssitzung bei Folly bedanken, und ich finde, was immer sie in Zukunft vorhat, wir sollten uns zumindest an einem Projekt beteiligen.« Susan hielt inne. »Hast du gehört?«
»Ja«, sagte Harry. »Mir ist gerade was eingefallen. Bin gleich wieder da.« Sie stand auf und eilte aus der Tür. Die Fliegentür schlug hinter ihr zu, und Tucker folgte ihr. Als sie zurückkam, legte sie Tazios Papiere vor Susan hin. »Hab noch keinen Blick drauf geworfen.«
»Sie hat dir einen Begleitbrief geschrieben.«
Harry beugte sich über Susans Schulter, und zusammen lasen sie den Brief. »Sie hat recht.«
In dem Brief erklärte Tazio, auf lange Sicht würden sie Geld sparen, wenn sie den Heizkessel für die Büroräume und Herbs Wohnhaus zusammen mit dem Kessel für die Kirche austauschten. »Die Material- und Arbeitskosten werden mit den Jahren so sicher in die Höhe gehen, wie die Sonne im Osten aufgeht. Macht es jetzt«, lautete ihr höflicher, aber bestimmter letzter Satz.
»Ja. Wenn die Arbeiter schon mal da sind, wird alles auf einmal gemacht, und dann laufen Wohn- und Bürohaus über dasselbe System. Aber ach, was das kostet.«
»Hm, wenn Folly uns dreißigtausend Dollar gibt, da können wir uns doch mächtig anstrengen, die Kosten für das Treffen niedrig zu halten, und den Überschuss stecken wir in die Überholung der Heizung«, schlug Harry vor.
»Absolut vernünftig, aber Folly müsste einverstanden sein. Immerhin hat sie das Geld für das Treffen vorgesehen, und sie wird bestimmt nicht an einem gesellschaftlichen Ereignis sparen wollen.« Susan überflog rasch die diversen Systeme in Tazios Mappe. »Meine Güte, dafür brauch ich einen Techniklehrgang.«
»Stimmt.« Harry schenkte Tee aus der großen Kanne nach. »Jesus hatte es leicht. Er musste nichts weiter tun als in seinen Latschen in Judäa herumlaufen. Keine Gebäude unterhalten. Keine Autos.«
»Harry.« Susan schüttelte den Kopf.
»Du bist natürlich zutiefst schockiert.«
»Nein. Ich denke, Christus hatte es leichter als wir, weil er vor der Kreditkarte geboren wurde.«
Harry verschluckte sich an ihrem Tee. Tränen traten ihr in die Augen. Susan sprang auf, um ihr ordentlich auf den Rücken zu klopfen.
Als sie sich wieder erholt hatte, wischte Harry sich die Augen und murmelte, weil ihr das Sprechen noch schwerfiel: »Du machst mich völlig fertig.«
Da mussten sie beide lachen.
Dann sagte Susan: »Wie du weißt, sind bei Planned Parenthood überwiegend Demokraten, daher hat Ned gute Verbindungen zu denen. Würde mich nicht wundern, wenn Folly irgendwann was für die wollte.«
Ned, Susans Mann, bestritt seine erste Amtszeit als Vertreter der Legislative.
»Das will ich nicht hoffen. Religion und Politik gehören nicht zusammen.«
»James Madison hat uns das gezeigt, aber Harry, du weißt so gut wie ich, dass die Religion gegenwärtig dazu benutzt wird, uns von den eigentlichen politischen Themen abzulenken. Planned Parenthood ist keine religiöse Einrichtung und wird von Christen vom rechten Flügel als Zielscheibe benutzt.«
»Amerika zerfällt.« Harry lehnte sich zurück und schluckte noch einmal, um den Schmerz in der Kehle zu lindern. »Es ist ein uralter Trick, und mich wundert, dass die Menschen darauf reinfallen. Man lässt sie über etwas Oberflächliches, aber Emotionales außer sich geraten, damit sie nicht merken, dass unsere Autobahnen repariert werden müssen, dass wir entsetzlich hoch verschuldet sind und dass wir im Nahen Osten in einem Schlamassel stecken, der noch Generationen andauern wird. Und weißt du was? Ich will meine Weinreben und Sonnenblumen anbauen. Ich will Nutzholz aus unserem gemeinsamen Waldstück gewinnen. Ich hab’s satt, mich um die Welt zu sorgen. Die kommt auch ohne mich ganz gut zurecht.«
»Es ist eine trügerische Hoffnung, sich ausschließlich seinen privaten Belangen widmen zu können.« Wie Harry hatte auch Susan die selbst verschuldeten Krisen ebenso satt wie die echten. »Um auf mein Thema zurückzukommen: Sei nett zu Folly.«
»Ich bin immer nett zu Folly.«
»Du kannst sie nicht leiden.«
»Ich bin nett zu ihr.«
»Harry.«
Harry hob die Stimme. »Ich bin nett zu ihr.«
»Ich kenne dich von klein auf. Du kannst die Frau nicht ausstehen.«
»Das weiß sie aber nicht.« Harry seufzte.
»Natürlich nicht. Sie weiß nicht, wie wir hier bei uns die Dinge regeln. Drum sei weiterhin nett zu ihr.«
»Bin ich. Apropos, jemand nicht leiden können: Carla Paulson hat Tazio Flüche an den Kopf geworfen. Sie hat aufgehört, als ich ins Büro kam. Die ist ja wohl das Hinterletzte.«
»Ja, nicht wahr?« Susan versteckte ihr Lächeln hinter der Hand, obwohl sie unter sich waren.
»Ein falscher Fuffziger.«
»Fuffziger hat sie genug. Harry, dies ist so ein Fall, zu dem deine Mutter gesagt hätte: ›Lobe eine dumme Nuss, auf dass sie nützlich werde.‹«
Harry seufzte. »Mutter war in solchen Dingen sehr viel klüger als ich.«
»Es ist nicht zu spät, es zu lernen.« Susan schnitt noch Brie ab und reichte Harry einen Cracker. »Du bist nicht verletzend. Du sagst bloß manchmal zu offen, was du denkst.«
»Ich weiß.«
»Du kannst dasselbe auch etwas verblümter sagen.«
»Ich weiß. Fair hält mir das auch immer vor.«
»Also, auf der nächsten Vorstandssitzung wirst du Folly anstrahlen.«
Wieder hielt ein Auto in der Zufahrt, ein Streifenwagen, und Tucker raste nach draußen, um ihre nächste Nachbarin zu begrüßen, die drei Kilometer Luftlinie entfernt wohnte.
Officer Cynthia Cooper kam herein; sie war auf dem Nachhauseweg nach der Arbeit. »Hab gehört, hier ist eine Tee-Party im Gange.«
»Wir planen eine Revolution.« Susan stand auf, bevor Harry sich erheben konnte, und holte Glas, Teller und Besteck.
»Was ist los?« Harry hatte Coop gern.
»Zwei Verkehrsunfälle am Barracks Road Einkaufszentrum. Ein Raubüberfall auf die Bank an der Rio Road und, ihr werdet lachen«, sie beugte sich zu ihnen vor, »der Kerl hat eine Waffe gezogen und seinen Führerschein auf den Boden fallen lassen. Wie kann einer so blöd sein?«
Harry lachte. »Nicht so blöd wie der Typ, der die frei stehenden Geldautomaten bei Wachovia gerammt hat.« Sie sprach von einer großen Bankenkette.
»Das Geld hat er gekriegt, aber das Auto war leicht zu verfolgen.« Coop lachte auch.
Die drei genossen ihr Beisammensein.
Susan erzählte Coop von Follys Großzügigkeit. Coop fragte, ob sie eine Fuhre Mist für ihren Garten aufladen könne. Ihr Mobiltelefon spielte »Leader of the Pack«.
»Ich dachte, du hast Feierabend«, sagte Harry.
»Hab ich auch.« Coop klappte das kleine Handy auf. Als sie die Stimme des Sheriffs vernahm, sagte sie nur »Chef«. Dann schwieg sie besorgt und stand vom Tisch auf, das Telefon noch am Ohr.
Harry und Susan standen ebenfalls auf, als Cooper zur Tür hastete.
Sie gingen mit ihr hinaus, während sie das Telefon zuklappte.
»Können wir helfen?«, fragte Harry.
»Nein. Will Wylde ist erschossen worden.«
Dr. Will Wylde, Gynäkologe, war im Vorstand von Planned Parenthood.
Die zwei besten Freundinnen sahen Cynthia aus der Zufahrt düsen. Sie war so rücksichtsvoll, das Blaulicht erst einzuschalten, als sie auf die gepflasterte Straße kam.
»Ein verrückter Abtreibungsgegner«, stieß Susan zwischen zusammengepressten Lippen hervor.
»Sieht ganz danach aus«, erwiderte Harry.
Susan meinte zu Harry: »Wer sonst würde Will Wylde erschießen wollen?«
»Das weiß ich nicht, Susan, wirklich nicht, aber ich habe gelernt, dass die naheliegende Lösung nicht immer die richtige ist.«
Der Madison-Komplex, zwei identische unaufdringliche Ziegelbauten, in denen sogar im Kellergeschoss Büros untergebracht waren, klemmte zwischen Route 29 und Route 250 und dem Hintereingang zum Farmington Country Club. Dort befand sich Dr. Wyldes Praxis, bequem zu erreichen für seine Patienten, von denen die meisten aus dem Westen des weitläufigen Bezirks kamen. Er bewohnte ein hübsches Haus auf dem Gelände des Country Clubs, wo er und seine Frau Benita leidenschaftlich gerne Golf spielten. Somit war es auch für ihn bequem.
Coop und Sheriff Rick Shaw standen nebeneinander auf dem Dach des Hauses, das diagonal zu Wyldes Praxis stand. Die Hitze durchdrang die dicken Sohlen ihrer Schuhe.
»Keine Geschosshülsen?«, fragte Coop.
»Nein. Zu schlau dafür.« Rick hielt inne. »Wie wenn ein Vergewaltiger ein Kondom benutzt hätte.« Er hielt abermals inne. Da er Coop so gut kannte, wusste er, dass sie das nicht falsch verstehen würde.
Sie kniete sich hin, auf Augenhöhe mit dem Dachfirst. »Die Lage der Wunde wird Ihre Annahme zweifellos bestätigen. Es ist plausibel, denn um aus dem Praxisfenster zu schießen, hätte er das Sprechzimmer durchqueren müssen. Das hätte er nicht unbemerkt tun können. Hier sind sämtliche Büros voll besetzt.«
»Er hätte mit einer Waffe über den Flur oder ins Sprechzimmer gehen und sie rasch zusammensetzen müssen, falls es eine war, die man auseinandernehmen kann. Was ich vermute.« Rick sah zu, wie die Rettungsleute die Leiche schließlich in den Notarztwagen brachten; sie hatten warten müssen, bis Ricks Beamte alles gründlich untersucht hatten. »Deswegen ist er hier heraufgekommen – nicht weiter schwierig, da nur wenige Leute die Treppe benutzen –, hat gewartet, geschossen, ist runtergegangen und weggefahren.«
»Sein Auto parkte vor dem Gebäude in der Nähe des Treppenaufgangs?«
»Ja. Schotterstraße. Keine Abdrücke.«
»Und keiner hat jemanden wegfahren gesehen?«
»Coop, das ist es ja. Hier fahren andauernd Autos vor und wieder ab. Niemand hat einen Wagen hastig wegbrausen gesehen, und dass Wylde erschossen worden war, wurde erst schätzungsweise fünf Minuten später bemerkt, was mich auf den Gedanken bringt, dass der Täter einen Schalldämpfer benutzt haben könnte. Aus keinem der zwei Gebäude ist jemand herausgekommen. Wer auch immer weggefahren ist, es war ein alltäglicher Vorgang, zumindest sah es so aus. Die einzigen bislang identifizierten Personen, die um die entsprechende Zeit vom Parkplatz fuhren, sind Dr. Harvey Tillach und Kylie Kraft, eine Arzthelferin. Sie war gleich mit vier Müsliriegeln für die Belegschaft zurückgekommen.«
»Die Leute in Wills Praxis sind ganz durcheinander, ist ja verständlich.«
»Und wenn der Mörder Hilfe von drinnen hatte?« Rick versuchte die Teile zusammenzusetzen.
»Ah.« Coop bewunderte wieder einmal den Scharfsinn ihres Chefs.
»Die extremistischen Abtreibungsgegner sind subtiler und geduldiger geworden. Ich sage extremistisch, weil ich nicht glaube, dass die Mehrzahl der Abtreibungsgegner bereit ist, Ärzte umzubringen, um ihren Standpunkt klarzumachen; das würde das Gegenteil bewirken.«
»Vollmundig für das Leben eintreten und es dann jemandem nehmen, das passt nicht zusammen.« Coop nickte. »Chef, die Presse wird wie die Geier über diese Sache herfallen, ebenso über alle Lokal- und Staatspolitiker, egal auf welcher Seite sie stehen. Und darüber werden die Leute vergessen, dass Will ein guter Gynäkologe war, der zudem Schwangerschaftsabbrüche vornahm.«
Er drehte sich zu der Tür, die aufs Dach führte. »Ich weiß.« Er hielt Coop die Tür auf, und sie stiegen die Treppe hinunter, wobei ihre Schritte laut hallten.
Ehe sie hinausging, blieb Coop kurz stehen und kniete sich hin. Rick kniete sich neben sie und entnahm seiner Brusttasche einen kleinen wieder verschließbaren Plastikbeutel.
»Muss nichts zu bedeuten haben.«
»Eine Virginia-Slims-Kippe einzutüten lohnt sich immer.« Mit der Pinzette, die Cynthia ihm reichte, hob er die Zigarettenkippe auf, ließ sie in den Beutel fallen und verschloss ihn.
»Nicht meine Marke.«
»Meine auch nicht.« Er hielt inne. »Ich wusste gar nicht, dass Sie eine Marke bevorzugen. Ich dachte, Sie schnorren Fluppen nur bei mir.«
»Das hat gesessen.« Sie stand auf, wobei ihr linkes Knie knackte, obwohl sie erst knapp über dreißig war. »Ich wette um fünf Dollar, dass die Kippe nicht Wyldes Mörder gehört hat.«
»Wieso?«
»Erstens, Männer rauchen keine Virginia Slims. Zweitens, ich kenne keinen Fall, wo eine Frau einen Arzt umgebracht hat, der Abtreibungen vornimmt. Es sind immer Männer.«
»Dies könnte die Erste sein.« Rick stieß die Tür auf, und sie traten in gleißende Helligkeit hinaus.
»Gilt die Wette?«
»Klar, was sind schon fünf Dollar.« Sie überquerten den Parkplatz und betraten das Gebäude. Sie wandten sich nach rechts, wo Wills Praxis lag.
Margaret Westlake, Anfang vierzig und Dr. Wyldes rechte Hand, stand auf und begrüßte sie. Ihre geschwollenen, blutunterlaufenen Augen zeugten von ihrem Kummer.
Sophie Denham, mit Anfang fünfzig die älteste im Sprechstundenteam, stand mit einem Pappbecher in der Hand vor Kylie Kraft, einer jungen Arzthelferin, die einem hysterischen Anfall nahe war.
Sophie sah den Sheriff und seine Stellvertreterin an. »Gott sei Dank, dass Sie da sind.«
»Ich will nach Hause«, jammerte Kylie.
»Hab ihr Valium gegeben«, teilte Sophie, deren Hände leicht zitterten, ihnen mit.
Rick, der wie Cynthia jede Menge hysterischer Anfälle miterlebt hatte, erwiderte: »Ein furchtbarer Schock. Ich weiß, dass Officer Sharpton Ihre Aussagen zu Protokoll genommen hat. Deputy Cooper und ich werden sie sorgfältig durchgehen. Auf die geringe Chance hin, dass Ihnen noch etwas eingefallen ist, nachdem er hier war, dachte ich, ich schau mal vorbei.«
Die drei sahen sich stumm an, aber Margaret und Sophie waren klug genug zu erkennen, dass Rick vorbeigekommen war, um sowohl sie als auch das Terrain auszuloten. Jeder, der mit Will Wylde in Verbindung stand, war potentiell verdächtig.
»War Dr. Wylde ein Spieler?«, fragte Cooper.
Margaret antwortete erstaunt: »Nein. Wieso?«
»Wenn jemand mit den Schulden in Rückstand geriete, könnte dies schon mal die Vergeltung sein«, erklärte Cooper ruhig.
Sophie blinzelte. »Soviel ich weiß, war er kein Spieler.«
Kylie griff nach Coopers schmaler Hand und stöhnte: »Kann ich denn nicht nach Hause?«
»Noch nicht«, antwortete Cooper, und Kylie ließ ihre Hand enttäuscht sinken. Sie war langsam ein bisschen benommen von dem Beruhigungsmittel.
»Weiber?«, fragte Rick.
Margaret schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Es gab da so ein Gerücht über Dr. Tillachs erste Frau«, ergänzte Sophie, kam sich dann aber dem verstorbenen Doktor gegenüber illoyal vor.
»Reines Phantasieprodukt.« Margaret kräuselte eine Lippe. »Typisches Charlottesville-Gerede. Alle lecken sich die Lippen, aber niemand spuckt Tatsachen aus. Die ganze Episode war abstoßend.« Sie beruhigte sich und sprach dann weiter: »Sheriff, nachdem es nach einem geplanten Mord aussieht – ich meine, niemand ist hier eingebrochen und hat schreiend mit einer Waffe herumgefuchtelt –, muss ich annehmen, dass die Sache einen politischen Hintergrund hat.«
»Das könnte auch der Fall sein, wenn jemand schreiend hereingekommen wäre. Dr. Wylde saß auf einem Pulverfass.« Cooper sagte dies in freundlichem Ton.
»Das stimmt.« Sophies Augen wurden feucht.
»Hat er je Namen von Leuten genannt, die er für gewalttätig hielt?«, fragte Rick.
Margaret verschränkte die Arme. »Wenn es nur so einfach wäre, Sheriff. Die knappe Antwort lautet, nein. Die Abtreibungsgegner, die zu Gewalt neigen, sind nie die eigenen Nachbarn, weil man die zur Verantwortung ziehen kann. Diese Antiorganisationen karren Leute in Bussen zu Demonstrationen, bewerfen die Ärzte mit Blutpäckchen …«
Kylie unterbrach sie jammernd: »Uns auch.«
Margaret ging nicht auf sie ein; sie war der Meinung, mit Schmerz habe man umzugehen, indem man ihn still ertrug, und nicht, indem man um Mitleid heischend heulte. »Ich will damit nicht sagen, dass keine Hiesigen dabei waren, als die Abtreibungsgegner vor unserer Praxis Barrikaden errichtet haben, aber Sie können darauf wetten, dass der Mörder nicht von hier ist. Das ist jedenfalls meine Meinung, die Meinung einer Frau.«
»Die ich gewiss respektiere.« Rick nickte ihr zu. »Meine Damen, Sie haben einen schweren Schlag erlitten. Es tut mir so leid für Sie und für Wills Familie. Ich verspreche Ihnen, wir werden der Sache auf den Grund gehen.« Er hielt inne. »Demnächst werde ich oder Deputy Cooper Sie vielleicht noch einmal aufsuchen. Ich bitte Sie im Voraus um Vergebung für die Belästigung.«
»Wir sind in jeder Hinsicht gerne behilflich«, erwiderte Margaret.
»Gewiss.« Sophie wischte sich wieder die Augen.
Rick öffnete die Tür zum Flur. Cooper folgte ihm, doch als sie zur Eingangstür kamen, kehrte sie schleunigst um und lief zu Wills Praxis zurück. Sie klopfte an.
Margaret schloss die Tür auf. »Kommen Sie herein.«
»Die Fernsehleute von Channel 29 sind eben vorgefahren. Schließen Sie die Tür wieder ab und ziehen Sie sich hier in der Praxis irgendwohin zurück, wo man Sie nicht sehen kann.«
Kylie wiegte sich vor und zurück und fing wieder an zu weinen.
Margaret sagte zu Sophie: »Bringen wir sie ins Behandlungszimmer und machen das Licht aus.«
»Ich denke, in einer Stunde sind die wieder weg. Sie werden mit den Leuten in den anderen Büros sprechen und dann vermutlich Aufnahmen von diesem Haus oder der Klinik machen. Aber wenn Sie Fragen aus dem Weg gehen wollen, verhalten Sie sich mindestens eine Stunde lang still.«
»Danke, Deputy Cooper.« Margaret schloss die Tür und schaltete das Licht aus.
Rick drehte sich um, als Cooper draußen zu ihm auf die Treppenstufen trat. »Und?«
»Sie schließen sich ein und verstecken sich im Behandlungszimmer.«
Er nickte. »Das lässt ihnen etwas Zeit. Zumindest bis morgen.« Er sah zu, wie das kleine Fernsehteam schnell alles aufbaute. »Kommen Sie, wir müssen zu Benita, ehe jemand anders hingeht, und auf alle Fälle, bevor sich die Sache verbreitet. Sie wissen ja, sobald die ihre Videoaufnahmen haben, werden sie jede laufende Sendung unterbrechen.«
»Verflixt.«
»Das ist ein netteres Wort als ›Scheiße‹. Ich muss besser auf meine Sprache achten.« Er holte tief Luft, reckte das Kinn und ging zu dem Fernsehteam. Er machte das Unterbrechungszeichen, bevor die Kamera lief. »Dinny, Sie kriegen einen Bericht von mir, ich halte Sie auf dem Laufenden, aber ich muss zu Benita Wylde, bevor sie es erfährt, okay?«
Dinny Suga, eine hübsche, zierliche Person, wusste nur zu gut, dass sie dies respektieren musste, weil sie sonst nie wieder eine gute Story von Shaw geliefert bekäme. Obwohl sie erst seit einem Jahr bei Channel 29 arbeitete, gehörte sie schon zur Gemeinde und fühlte sich dort wohl – wenn auch nur aus dem einen Grund, dass niemandem auch nur im Traum einfiel, sie als asiatisch-amerikanisch zu bezeichnen. Sie war Dinny Suga, basta.
»Verstehe.« Sie sah ihre Kamerafrau an, nickte, und das Licht über der Mini-Cam blinkte.
Sheriff Shaw gab eine knappe Verlautbarung ab. Der Mord sei gegen halb drei Uhr nachmittags geschehen. Es sei kein Verdächtiger festgenommen worden, und ja, Dr. Wylde sei früher einmal wegen Nötigung angegriffen worden.
»Danke, Sheriff.«
»Dinny, geben Sie mir eine Stunde. Wenn sie nicht zu Hause ist, ist sie höchstwahrscheinlich auf dem Golfplatz.«
»Okay.«
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