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Die Geschichte einer Wandlung: von der Neuentdeckung der Leidenschaft. Vera, Anfang Vierzig, arbeitet als Lektorin in einem renommierten Verlag. Nach einer nun schon viele Jahre zurückliegenden, von Demütigungen geprägten Beziehung hat sie ihre Emotionen in den hintersten Winkel ihres Inneren verbannt. Bei einem Segeltörn mit dem naturverbundenen Jugendfreund Armin lernt Vera eine andere Welt kennen, das Wattenmeer. Die herbe Schönheit der Landschaft und Armins unaufdringliche Nähe ermöglichen es ihr, lang verdrängte Gefühle wieder zuzulassen und mit dem Freund einen neuen Anfang zu wagen. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)
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Seitenzahl: 132
Birgit Rabisch
Möglichkeit der Liebe
Roman
FISCHER E-Books
Für Bernd, in möglicher Liebe
Die Frau in der Gesellschaft
Herausgegeben von Ingeborg Mues
Hölle.
Es konnte Tage dauern, Wochen. Ihre Haut gespannt, jede flüchtige Berührung Qual. Brandwunden inneren Glosens, unsichtbar, die Epidermis glatt, ohne Befund.
Sie saßen am Abendbrottisch, sprachen angelegentlich über die Fahrpreiserhöhungen oder über Kafka.
Sie stellte das Geschirr in die Spüle, kühlte ihre Hände im heißen Wasser. Palmolive pflegt Ihre Hände schon beim Spülen streichelzart. Er trocknete ab. Streicheln. Zart. Weiter über Kafka. Liebe ist, daß du mir das Messer bist, mit dem ich in mir wühle. Er polierte die Gläser. Er haßte Undurchsichtigkeiten. Nach dem letzten Glas hängte er das Geschirrtuch an den Haken, stellte sich hinter sie. Sie schloß sofort die Augen, fühlte seine Hand langsam über ihre Brüste streichen. Er preßte sich an sie, ließ sie seinen Anflug von Begehren spüren. Aus dem Glosen schlugen Flammen, lichterloh.
Dann sein kurzes Lachen. Abbrechen. Abwenden. Ich geh noch auf ein Bier in DIE HÖLLE. Pause. Kommst du mit?
Das leise Schließen der Tür. Zum Fenster rennen. Ihn davoneilen sehen. Tränenfluten, kein Löschwasser. Sie brannte weiter. Sie ging ins Wohnzimmer. There’s a sexual moon out tonight. Und Wein. Und Zigaretten. Weiterbrennen. Höllenglut. Sie zog sich aus. Sie rieb sich an der Ecke des IKEA-Sofas. Zehn, zwanzig Orgasmen. Keine Erlösung. Kein Mann über, in ihr. Nur Erschöpfung übermannte sie.
Er kam nach Mitternacht. Roch nach Kneipe. Sie saß mit dem Strickzeug auf dem Sofa.
Du hast doch nicht auf mich gewartet?
Aber nein, ich wollte nur diesen Ärmel fertigstricken.
Im Bett hielt er zehn Sekunden ihre Hand. Gähnen.
Bier macht müde. Gute Nacht.
Sie lauschte seinem gleichmäßigen Atmen. Vollmond drängte sich durch die Lamellen der Jalousie. Ihre Hölle war nicht seine.
Die Lektorin brüht sich ihren Kaffee auf. Handfilter. Zuerst nur einen Schuß Wasser. Zuschauen, wie es sich braun am Filterpapier hochsaugt. Dann einen Schwall. Es fängt an zu pütschern. Sie liebt dieses Geräusch.
Sie zündet eine Kerze an. Zwei Tage vor Weihnachten. Die längste Nacht des Jahres hat sie hinter sich gebracht. Mithras verjagt die Finsternis. Sie hat gut geschlafen, muß keine Träume vergessen. Sie gießt einen zweiten Schwall nach, wirft einen Toast ein. Das elektrische Feuer scheint milder als die Kerze. Bis es laut klackt und sich ausgepütschert hat. Jetzt wirft das Stövchen den zweiten Schein, Butter schmilzt, Sahnewölkchen ziehen Spiralen. Kaffeegalaxien.
Die Lektorin setzt sich, zieht einen zweiten Stuhl heran, lagert die Beine hoch. Die alten Römer wußten noch, daß man sitzend nicht essen kann. Gequetschter Magen, eingeklemmte Gedärme. Sie balanciert den Teller auf der einen Hand, führt mit der anderen den Toast zum Mund. Danach der heiße Kaffee. Biologisch angebaut und fair gehandelt. So läßt sich der Tagesbeginn unbeschwert genießen.
Was liegt an? Ach ja, das Manuskript dieser jungen Autorin. Ob ihr Roman hält, was ihre Erzählungen versprechen? In ihnen klingt dieser leichte Ton an, der so selten den Texten von Frauen unterlegt ist. Meistens komponiert das Leiden, das tiefgegründete, die Melodie. Unter die Haut. Unerträglich, mittlerweile. Die Scham ist seit zwanzig Jahren vorbei. Die Häutungen vollzogen. Der Märchenprinz verabschiedet. Leiden! Unter Männern gar. Oh, Lucy!
Die Lektorin stellt das Radio an. Tschaikowsky. Noch keine Kriege und Katastrophen am frühen Morgen. Tonperlen. Der leichte Ton in der Literatur. Schwer. Sehr schwer. Wenn er aufkommt, wird er gleich so leicht, daß er sich bei Kamillentee und Champagner zum nächsten Mann verflüchtigt, bei dem alles besser wird. Autoren sind einfach souveräner im Umgang mit Worten und sich. Können sich lächelnd in Frage stellen, weil sie nicht von Geburt an in Frage stehen. Dank des medizinischen Fortschritts kann die Frage heute sogar schon vorgeburtlich gestellt … und beantwortet werden. Ein Mädchen? Absaugen und neuer Versuch. Das Geschlechterverhältnis ändert sich. Nicht inhaltlich, aber statistisch. Die Moderne ermöglicht archaische Träume.
Die Lektorin pustet die Kerze aus. Graues Tageslicht ernüchtert die Szenerie. Die Lektorin reißt sich zusammen.
Keine Entschuldigungen! Ja, Frauen sind nicht nur fast überall Ausländer auf der Welt. Sie haben bestenfalls eine Duldung und kämpfen meist vergeblich um eine dauerhafte Aufenthaltsberechtigung. Weil sie zu blöd sind, sie sich selbst auszustellen. Nein, keine Entschuldigungen, kein Selbstmitleid. Vorwärts und vergessen! Schließt die Reihen, ihr Kapitäninnen, Philosophinnen, Piratinnen, Bundestagspräsidentinnen, Autorinnen! Opfert eure Opferrolle!
Die Lektorin nimmt die Beine vom Stuhl, reckt sich, dehnt ihren Rücken, streckt die Arme hoch.
Wie peinlich! Sie hat sich in alte frauenbewegte Gedanken vergaloppiert. Nein und nochmals nein. Sie selbst hat sich auch am eigenen Schopf aus dem Sumpf gezogen. Sie akzeptiert keine Gründe mehr. Die Autorinnen sollen gute Literatur schreiben und keine Bücher darüber, warum sie es nicht können. Schreibt Satiren und keine Jammerlyrik! Von heute an kenne ich nur noch Menschen. Jawohl! Der Postfeminismus betont zwar wieder die kleinen Unterschiede, aber erkennt die großen nicht mehr an.
Die Lektorin stellt Teller und Tasse in den Geschirrspüler für den Einpersonenhaushalt. Der übermäßige Energieverbrauch der single-units belastet die CO2-Bilanz. Sie geht ins Bad. Weinrote Kacheln gegen den Widerstand von wie hieß er noch durchgesetzt. Damals. Als noch Bartstoppeln den Ausfluß verstopften. Sie putzt sich die Zähne, wirft einen flüchtigen Blick in den Spiegel.
Ihr seitenverkehrtes Gegenüber sieht nicht einundvierzigjährig aus. Große blaue Augen blicken klar, die Winkel ahnen nur feine Fältchen. Kurzes blondes Haar, frech geschnitten, Bardot-Mund. Hat Vater immer gesagt. Kennt die noch jemand als Frau und nicht als verrückte Tierschützerin? Sie preßt die Lippen leicht zusammen. Sinnliche Lippen konterkarieren ihr intellektuelles Styling. Ihre üppigen Augenbrauen zupft sie in gerade Striche. Keine Schminke. Auf dem Bord vor dem Spiegel nur Nivea-Creme, ein Kamm. Cela suffit. Alles ist Körper. Also négligeable. Negligé. Unsinnige Assoziation, écriture automatique, so beliebt in den Volkshochschulkursen für schreibende Frauen. Niederschrift ohne jede Kontrolle durch die Vernunft und jenseits jeder ästhetischen oder ethischen Überlegung. Mit ihr nicht.
Sie spült den Mund aus, bleckt kurz. Die Krone sitzt hervorragend. Sie lacht ihre Gedanken aus. Hervorragend natürlich gerade nicht. Perfekt.
Zubettgehen.
Zieh den Pyjama nicht an, sagte er.
Sie legte sich nackt aufs Bett.
Er stellte sich daneben, faltenfrei bekleidet, schaute auf sie herunter.
Sie machte sich blind. Sah ihn sehen. Was?
Sie hatte eisern Diät gelebt in den letzten Wochen, sich Pölsterchen an Hüften und Bauch weggehungert. Er liebte keine üppigen Formen. Dein Barockleib. Er begehrte schlanke, knabenhafte Frauen. Sagte er. Sie bemühte sich, schlank zu sein. Knabenhaft würde ihr nie gelingen. Ihr Busen war zu groß. Er ließ sich nicht aushungern. Groß und weich verriet er ihren Körper. Schwoll jetzt auch noch. Die Brustwarzen richteten sich auf, sehnten sich. Nur Blicke berührten sie. Mißbilligten. Sie sah es blind. Sie zitterte. Gänsehaut lief zu ihrem blonden Schamhaar. Ihre Frauenlippen bebten. Sesam öffne mich.
Zieh den Pyjama doch lieber an, sagte er.
Die Lektorin geht in ihr Arbeitszimmer. Sie setzt sich an ihren Schreibtisch. Ein Sekretär aus Nußbaum. Ihre Sekretärin im Verlag ist aus härterem Holz geschnitzt. Frau Benckendorf-Färber hält ihr unverlangt eingesandte Manuskripte, unerwünschte Telefonate und unverschämt eindringende Arbeiterinnen des Wortes vom Hals. Zum Glück sind Schriftstellerinnen nicht so penetrant wie ihre männlichen Kollegen. Seit ihrem Karrieresprung vor einem halben Jahr von der Lektorin der Belletristik-Abteilung eines mittleren Verlages zur Lektorin der angesehendsten Frauenbuchreihe eines Buchkonzerns muß sie die herumscharwenzelnden, schwänzelnden Autoren nicht mehr ertragen, die glauben, notfalls mit ihrem Schwanz in die Literaturgeschichte einsteigen zu können. Sie ließ sie schmeicheln, werben, tänzeln, betrachtete den Mottentanz vergnügt, vergab Noten fürs Cour machen. Die wenigsten verstanden etwas davon. Sie schickten Blumen (mit Fleurop-Kärtchen!), riefen an (ich höre Ihre Stimme so gern!), oder luden sie zum Essen ein. Bei Pizza funghi und drittklassigem Wein sollte sie sich die Leidensgeschichte ihrer erfolglosen Verlagssuche anhören, zum Nachtisch viertklassige Gedichte, garantiert selbstgeschnitzt. Das war nicht einmal das abschließende Vergnügen wert, sie bei Schoko-Eis mit Sahne kalt abblitzen zu lassen. Eiskalt. Auf der anderen Seite die Namen, die sie umwerben mußte. Die gut eingeführten Autoren. Die Auflagenhengste, deren Abwandern in einen anderen Stall sie verhindern mußte. Lieber ein schlechtes Manuskript von einem bekannten Autor als ein gutes von einem unbekannten. Sie ist schon zu lange im Geschäft, um sich noch Illusionen zu machen. Auch die Frauenbuchreihe, die sie jetzt betreut, benutzt den Idealismus der Gründerinnenzeit nur noch als Logo. Unter dem Label verkaufen sich die Bücher besser. Die Gesetze der Marktwirtschaft sind wirklich nicht schwer zu erlernen.
Die Lektorin blickt aus dem Fenster. Der Tag wird nicht hell. Die frischgeputzten Scheiben verschlieren vom Nieselregen. Dabei hat Herr Amirzada sich soviel Mühe beim Polieren gegeben. Sie hat lange nach einem Putzmann gesucht, um ihr Gewissen nicht mit der obligatorischen türkischen Putzfrau zu belasten, und sie nennt ihn auch nicht beim Vornamen. Herr Amirzada kommt aus Afghanistan. Dort hat er als Mudjaheddin die Russen verjagt. Dann haben die Mudjaheddin sich gegenseitig verjagt. Heute putzt er gern ihre Fenster. Sagt er. Er trinkt auch gern Bier. Ob er das denn dürfe als Moslem? Er hat sie verschmitzt angelächelt. Das nur kleine Sünde. Allah ist groß. Allah verzeiht. Besser als Peng Peng Leute tot. Recht hat er, ihr schöner dunkelhäutiger Herr Amirzada. Sie bewundert gern seine fein gekräuselten schwarzen Haare auf den Armen, wenn er sein Hemd hochkrempelt und nach dem Putzlappen greift. Das Spiel seiner Muskeln, wenn er ihren Pitchpine-Boden bearbeitet. Sie stellt sich vor, wie er mit der Kalaschnikow durch die afghanischen Wälder streift. Ein ausgesprochen schöner Mann. Seine tiefdunklen Augen, sein dichtes schwarzes Haar, sein feingeschnittenes Gesicht – wenn Männer sie noch reizen könnten, hätte sie ihn sich längst ins Bett geholt. Aber dieses leidige Kapitel hat sie hinter sich gelassen. Er darf seiner Frau treu bleiben, der er schon vier Töchter gemacht hat und der er vorwirft, daß sie ihm den Sohn nicht schenkt. Er wird nicht aufgeben. Seine Unkenntnis von Amniozentese und vorgeburtlicher Geschlechtsbestimmung hat vier Mädchen das Leben nicht genommen. A man’s world. Sie kann darauf verzichten. Vor neun Jahren hat sie den letzten Mann, der glaubte, sich in ihrer Wohnung breitmachen zu dürfen, mitsamt dem Fernseher rausgeschmissen. Seit neun Jahren Zölibat, freiwillig, keine Sexualität mehr, diese letztmögliche Feindseligkeit zwischen zwei Menschen. Die wahren Abenteuer finden im Denken statt. Kant konnte dem wechselseitigen Gebrauch der Geschlechtsorgane auch nichts Berauschendes abgewinnen. Aber dem Ding an sich. Rausch des Denkens. Alles, was sie braucht, ist in ihren grauen Zellen. Den Dualismus von Körper und Geist hat sie längst aufgehoben. Es gibt keinen Körper. Sie ist die Dame ohne Leib. Das Soma nur Fiktion. Ihre Welt ist Wille und Vorstellung.
Die Lektorin schaltet ihre Schreibtischlampe an und nimmt den Schnellhefter zur Hand. Arbeitstitel: Die ungnädige Bibliothek steht auf dem Rücken. Nach zwei Seiten liest sie nur noch quer, ausschnittweise, blättert. Schade. Die Autorin hat sich mit ihrem Dreihundert-Seiten-Werk übernommen. Alles reingepowert, was gut und postmodern ist. Das Rhizom und die metaphorische Bibliothek, intertextuelle Bezüge (auf der ersten Seite schon drei!) und das endlose Sprechen. Zu viel des Guten. Kunsthandwerk. Brave Ausführung am Gängelband einer Theorie. Aber nicht unintelligent, die Frau. Sie schrieb wenigstens nicht aus dem Bauch. Oder aus der Klitoris. Sie würde sie zu einem Gespräch bitten. Die Kurzgeschichten zeigten ja ihre poetische Begabung. Sie durfte sich nicht von Theorien erschlagen lassen. Mußte Mut zu ihrer eigenen Wahrnehmung fassen. Nicht auf halbem Wege stehen bleiben. Zur Literatur gehört Mut, wird sie ihr sagen. Mut, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen. Pfeif auf die Kritiker, die dir einreden wollen, Sprache sei den Menschen gegeben, um nichts mitzuteilen. Das endlose Geschwätz. Du brauchst ein gutes Werkzeug, wenn du etwas Gutes herstellen willst. Aber das gute Werkzeug ist noch kein gutes Produkt. Schreib, Mädchen, schreib. Schreib deine Wahrheiten in deiner Sprache, schreib deine Irrtümer in deinen Worten. Dein Name ist nicht der Name der Rose. Suche deinen Namen! Vielleicht ist es der Name der Petersilie.
Zu Beginn des Treffens wurde die Spendenbüchse herumgereicht, eine umfunktionierte Kaffeedose, lila bemalt, mit Frauenpowerfaust und der Aufschrift: FÜR EIN FRAUENHAUS! HELFT DEN GESCHLAGENEN FRAUEN!
Sie zwängte ein Fünfmarkstück durch den Schlitz.
Danach diskutierten sie den Mythos vom vaginalen Orgasmus. Konsens: ein Mythos. Und die Männer keine Ahnung von weiblicher Sexualität. Immer nur rauf und rein. Penetrationszwang. Frau sollte sich verweigern. Die Emanzipation beginnt im Bett. Petting war doch viel schöner, warum sahen die Männer das nicht ein? Dieses phantasielose Gerammel. Nichts als Machtdemonstration.
Sie konnte prahlen. Meiner will fast nur Petting. Wenn er überhaupt etwas will, aber das sagte sie nicht. Sie ließ ihre feministisch korrekte Beziehung bewundern. Sie verschwieg ihren allabendlichen stummen Schrei nach seinem Vorstoß.
Sie untersuchten sich gegenseitig mit einem Spekulum. Eine Gynäkologin hatte einen ganzen Schwung mitgebracht. In einem Taschenspiegel zwischen ihren Beinen sah sie zum ersten Mal ihre Cervix, blaue Hüterin ihrer Tiefen, leuchtende Perle. Sie besprachen Mittel gegen Ausfluß: Knoblauch im Mullpäckchen, Joghurt, löffelweise eingeführt. Keine Chemie. Männerwissenschaft. Böse. Zerstörerisch.
Nach dem Treffen der obligatorische Gang in die Sauna. Sieben schwitzende Frauenkörper, ideologielösende Hitze, aus den Poren getriebene Korrektheit. Deinen Busen möchte ich haben, deinen Hintern, deinen Bauch. Meiner ist zu klein, groß, ausladend, fest, schlaff, zu fett. Keine mochte ihren Körper, diesen ungeliebten Schuldigen, schuld an der Lieblosigkeit. Ach, schön sein! Das würde all die naßforschen Frösche in zärtliche Prinzen verwandeln.
Sie brachte eins der in Plastik eingeschweißten Spekula mit nach Hause. Er war fasziniert. Sie mußte ihm alles erzählen. Haarklein. Hautnah.
Sie lag mit gespreizten Beinen vor ihm. Er schob das Spekulum in sie hinein. Er tat ihr weh, aber er lehnte ihre Mithilfe ab. Er rastete die Öffnung auf der letzten Stufe ein. Sie klaffte.
Er leuchtete mit einer Taschenlampe ihre pulsierenden Ringe ab. Ihre Cervix träumte warme Tropfen.
Bist du sicher, daß du keine Pilze hast, fragte er.
Die Lektorin zerquetscht eine Knoblauchzehe, rührt sie in die pürierte Tomate, gibt Olivenöl, Basilikum, Oregano, einen Hauch Rosmarin, Kräutersalz und javanischen Pfeffer hinzu. Die erste Sauce fürs Fondue ist fertig. Sie kocht gern und kreativ.
Alleinleben. Nur einer fehlt. Ein zu Bekochender. Ein Hmmh und Ahh und Das schmeckt aber gut-Sager. Sogar dieses Vergnügen hat der letzte Partizipant ihres Lebens ihr mißgönnt. Er wollte nur ihre Leidenschaft. Leidenschaftlicher Koch bin ich selber. Auf ihrer Speisekarte standen Zucchini ripieni alla siciliana, Hummus bi Tahin, Brabanter Kartoffeln. Er bestellte immer wieder Erregung, Hingabe; Liebe zum Nachtisch. Diese Hausmannskost gehörte nicht mehr zu den Spezialitäten des Hauses. Sie verwies ihn an andere Lokale.
Jetzt schnippelt sie Gurken klein für die zweite Sauce, zerteilt Zwiebeln in feine Ringe. Heute wird sie einen Hmmmh und Ahh und Das schmeckt aber gut-Sager zu Gast haben. Ihren Weihnachtsmann. Seit sechs Jahren verbringen sie den Heiligen Abend zusammen. Abwechselnd bei ihm und bei ihr. Sie beginnt, von Tradition zu sprechen. Die mit einem zufälligen Wiedersehen in der Spirituosenabteilung eines Supermarktes begann. Sie kaufte einen Krim-Sekt; in seinem Einkaufswagen stand eine einsame Flasche Scotch-Whisky. Vor und hinter ihnen das gehemmte Drängeln der Frauen; überladene Metall-Lastesel wurden zur Zahlstelle getrieben.
Kein einziger Dominostein mehr aufzutreiben, stöhnte er, wie soll ich den Abend überstehen?
Ich habe noch eine Schachtel zu Hause.
Sie schob ein Schlemmerfilet Bordelaise aus ihrem eisernen Vorrat in die Mikrowelle; er brachte aus seinem Kühlschrank ein ausgetrocknetes Stück Schafskäse und Oliven mit, schwarz, mit Stein. Sie trank von seinem Whisky (wenig!); er ließ sich von ihrem Krim-Sekt einschenken (viel!). Ein netter Abend.
Sie plauderte gern mit ihm. Armin, ihr Sandkastenfreund. Nein, im Sandkasten hatten sie sich nicht kennengelernt. Sie backte ihre Sandkuchen nur mit den Nachbarsmädchen. Der Nachbarsjunge Armin brummbrummte mit den Nachbarsjungen über den Bürgersteig. Manchmal fischte er für sie eine Gurke aus dem Faß, wenn Mutter sie mit einem Groschen nach nebenan