Mord braucht Reklame - Dorothy L. Sayers - E-Book

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Dorothy L. Sayers

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Beschreibung

Das letzte Wort Kopfüber stürzt der junge Victor Dean die gusseiserne Treppe bei Pyms Werbedienst in London hinunter – er ist sofort tot. Ein Unfall? Oder hat jemand nachgeholfen? Nur wenige Tage nach Deans Beerdigung schleust Lord Peter Wimsey sich inkognito als Texter in die Agentur ein. Als Werber macht er sich gar nicht schlecht, doch in Wirklichkeit interessiert ihn nur, wie es zu dem tödlichen Sturz seines Bürovorgängers kommen konnte. Steht die Firma womöglich in Verbindung mit einem Rauschgiftring?

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Dorothy L. Sayers

Mord braucht Reklame

Ein Fall für Lord Peter Wimsey

Kriminalroman

Aus dem Englischen von Otto Bayer

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Das letzte Wort

 

Kopfüber stürzt der junge Victor Dean die gusseiserne Treppe bei Pyms Werbedienst in London hinunter – er ist sofort tot. Ein Unfall? Oder hat jemand nachgeholfen? Nur wenige Tage nach Deans Beerdigung schleust Lord Peter Wimsey sich inkognito als Texter in die Agentur ein. Als Werber macht er sich gar nicht schlecht, doch in Wirklichkeit interessiert ihn nur, wie es zu dem tödlichen Sturz seines Bürovorgängers kommen konnte. Steht die Firma womöglich in Verbindung mit einem Rauschgiftring?

Über Dorothy L. Sayers

Dorothy L. Sayers, Jahrgang 1893, legte als eine der ersten Frauen an der Universität ihres Geburtsortes Oxford ihr Examen ab. Mit ihren mehr als zwanzig Detektivromanen schrieb sie Literaturgeschichte, sie gehört neben Agatha Christie und P.D. James zur Trias der großen englischen «Ladies of Crime». Schon in ihrem 1923 erschienenen Erstling «Ein Toter zu wenig» führte sie die Figur des eleganten, finanziell unabhängigen Lord Peter Wimsey ein, der aus moralischen Motiven Verbrechen aufklärt. Dieser äußerst scharfsinnige Amateurdetektiv avancierte zu einem der populärsten Krimihelden des zwanzigsten Jahrhunderts.

Bevor sie die Übersetzung von Dantes «Göttlicher Komödie» vollenden konnte, starb die Autorin 1957 in Witham/Essex.

 

«Sayers ist eine der besten Krimiautorinnen überhaupt.» (Daily Telegraph)

 

Inhaltsübersicht

Vorbemerkung der Verfasserin1 Der Tod kommt zu Pyms Werbedienst2 Ärgerliche Indiskretion zweier Stenotypistinnen3 Neugierige Fragen eines neuen Texters4 Erstaunliche Kunststücke eines Harlekins5 Überraschende Metamorphose des Mr. Bredon6 Einmalige Unbeflecktheit einer tödlichen Waffe7 Bestürzendes Erlebnis eines Chefinspektors8 Schwerste Erschütterung einer Werbeagentur9 Herzlose Maskerade eines Harlekins10 Alarmierende Zuspitzung eines Bürokrachs11 Unverzeihliche Störung einer herzoglichen Gesellschaft12 Unverhoffte Errungenschaft eines jungen Reporters13 Peinliche Verstrickung eines Gruppenleiters14 Hoffnungsvolle Konspiration zweier schwarzer Schafe15 Plötzliches Hinscheiden eines befrackten Herrn16 Exzentrisches Verhalten einer Postdienststelle17 Heiße Tränen eines Herzogsneffen18 Unerwartetes Ende eines Cricketspiels19 Doppeltes Auftreten einer berüchtigten Person20 Angemessener Abgang eines ungeübten Mörders21 Der Tod verläßt Pyms Werbedienst

Vorbemerkung der Verfasserin

Ich kann mir nicht denken, daß es auf der Welt eine harmlosere und gesetzestreuere Sorte Menschen gibt als die Experten der britischen Werbewirtschaft. Die Vorstellung, daß in diesem Umfeld je ein Verbrechen geschehen könnte, ist so abwegig, daß sie nur der ungezügelten Phantasie eines Kriminalschriftstellers entspringen kann, der es gewohnt ist, die Tat dem jeweils Unverdächtigtsten in die Schuhe zu schieben. Sollte sich in diese frei erfundene Geschichte irgendwo ein Name oder Werbespruch eingeschlichen haben, von dem man auf eine wirkliche Person, Firma oder Ware schließen könnte, so wäre dies reiner Zufall und keineswegs in der Absicht geschehen, auch nur den kleinsten Schatten auf eine existierende Ware, Firma oder Person zu werfen.

1Der Tod kommt zu Pyms Werbedienst

«Ach, übrigens», sagte Mr. Hankin zu Miss Rossiter, die gerade aufstehen und gehen wollte, «wir bekommen heute einen neuen Texter.»

«Ja, Mr. Hankin?»

«Bredon heißt er. Viel kann ich Ihnen nicht über ihn sagen; Mr. Pym hat ihn persönlich eingestellt; aber Sie werden bitte dafür sorgen, daß man sich um ihn kümmert.»

«Ja, Mr. Hankin.»

«Er bekommt Mr. Deans Büro.»

«Ja, Mr. Hankin.»

«Ich würde meinen, daß Mr. Ingleby sich seiner annehmen und ihm zeigen könnte, was er zu tun hat. Sie könnten Mr. Ingleby mal zu mir schicken, wenn er einen Augenblick Zeit hat.»

«Ja, Mr. Hankin.»

«Das wär’s. Und – ach ja! Bitten Sie Mr. Smayle, mir die Dairyfield-Kladde zu überlassen.»

«Ja, Mr. Hankin.»

Miss Rossiter klemmte sich ihren Stenogrammblock unter den Arm, zog die verglaste Tür geräuschlos hinter sich zu und trippelte flink den Korridor entlang. Bei einem verstohlenen Blick durch eine andere Glastür sah sie Mr. Ingleby auf einem Drehstuhl sitzen, die Füße auf dem kalten Heizkörper, und sich angeregt mit einer jungen Frau in Grün unterhalten, die auf der Schreibtischkante saß.

«Verzeihung», sagte Miss Rossiter, um der Höflichkeit Genüge zu tun. «Mr. Hankin läßt fragen, ob Sie einen Augenblick Zeit für ihn haben, Mr. Ingleby.»

«Wenn’s wegen Tomboy-Toffees ist», antwortete Mr. Ingleby abwehrend, «das wird gerade getippt. Hier, nehmen Sie die zwei Dinger lieber mit, damit die kühne Behauptung einen gewissen Anstrich von Wahrhaftigkeit –»

«Es geht nicht um Tomboy-Toffees, es geht um einen neuen Texter.»

«Was, jetzt schon?» rief die anwesende junge Frau. «Bevor die Schuh’ verbraucht! Mein Gott, der kleine Dean ist erst am Freitag beerdigt worden.»

«Das ist das Tempo der modernen Zeit», sagte Mr. Ingleby. «Sehr betrüblich für so einen altehrwürdigen, vornehmen Laden. Vermutlich darf ich mal wieder das Knäblein abrichten. Warum nur immer ich?»

«Quatsch!» meinte die junge Frau. «Sie brauchen ihm nur einzuschärfen, daß er das Direktionsklo nicht benutzen und nicht die Eisentreppe runterfallen darf.»

«Sie sind die Herzlosigkeit in Person, Miss Meteyard. Na ja, solange sie den Kerl nicht auch noch zu mir reinsetzen –»

«Da können Sie beruhigt sein, Mr. Ingleby. Er bekommt Mr. Deans Büro.»

«Aha! Was ist er für einer?»

«Mr. Hankin sagt, er weiß es auch nicht. Mr. Pym hat ihn eingestellt.»

«Ach du lieber Himmel! Ein Günstling der Direktion», stöhnte Mr. Ingleby.

«Dann habe ich ihn schon gesehen, glaube ich», sagte Miss Meteyard. «Farblos, wirkt ziemlich eingebildet. Ich bin ihm gestern über den Weg gelaufen, wie er aus Pymies Büro kam. Hornbrille. Kreuzung zwischen Ralph Lynn und Bertie Wooster.»

«Tod, wo ist dein Stachel? Na ja, dann sollte ich mal Leine ziehen und mich um ihn kümmern.»

Mr. Ingleby nahm die Füße vom Heizkörper, rekelte sich langsam zur vollen Höhe empor und trottete unglücklich davon.

«Na, das bringt wenigstens ein bißchen Abwechslung», meinte Miss Meteyard.

«Finden Sie nicht, daß wir davon in letzter Zeit eher etwas zuviel hatten? Übrigens, könnte ich wohl Ihren Obolus für den Kranz haben? Ich sollte Sie daran erinnern.»

«Ach ja, natürlich. Wieviel macht’s? Einen Shilling? Hier haben Sie zweieinhalb, davon können Sie dann gleich meinen Einsatz mit abziehen.»

«Heißen Dank, Miss Meteyard. Hoffentlich ziehen Sie diesmal ein Pferd.»

«Wird höchste Zeit. Ich bin schon fünf Jahre in diesem Laden und habe noch nie einen Platz gezogen. Ich glaube, ihr mogelt bei der Auslosung.»

«Bestimmt nicht, Miss Meteyard, sonst würden wir die Pferde nicht immer in die Druckerei gehen lassen. Wollen Sie nicht mal selbst ziehen? Miss Parton tippt gerade die Namen.»

«Na schön.» Miss Meteyard ließ sich langbeinig von der Schreibtischkante gleiten und folgte Miss Rossiter ins Schreibzimmer.

Das Schreibzimmer war eine kleine, ungemütliche Zelle und im Augenblick zum Bersten voll. Ein pummeliges junges Mädchen mit Brille, den Kopf zurückgelegt und die Augen zusammengekniffen, um den Rauch ihrer Zigarette nicht hineinzubekommen, hämmerte auf einer Schreibmaschine die Namen der für das Rennen gemeldeten Pferde herunter, assistiert von einer Freundin, die ihr aus dem Morning Star diktierte. Ein gelangweilter junger Mann in Hemdsärmeln schnitt die Namen der Tototeilnehmer von einer vorgetippten Liste und drehte die Zettel zu geheimnisvollen kleinen Rollen zusammen. Ein magerer, lebhafter junger Mann, der auf einem umgedrehten Papierkorb saß, blätterte in den Durchschlägen in Miss Rossiters Ablagekorb und gab ironische Kommentare zu den Texten ab, während der stämmige, dunkelhaarige junge Mann mit Brille, an den seine Bemerkungen gerichtet waren, in einen Roman von P.G. Wodehouse vertieft saß und aus einer großen Dose Kekse stibitzte. An den Türpfosten lümmelten sich, so daß sie den Eingang versperrten, ein junges Mädchen und ein weiterer junger Mann, anscheinend Besucher aus einer anderen Abteilung, und unterhielten sich rauchend über Tennis.

«Hallo, ihr Süßen!» rief Miss Rossiter fröhlich. «Miss Meteyard nimmt heute die Ziehung vor. Und wir kriegen einen neuen Texter.»

Der stämmige junge Mann sah kurz auf, sagte: «Armer Teufel!» und vertiefte sich wieder in sein Buch.

«Einen Shilling für den Kranz und sechs Pence fürs Toto», fuhr Miss Rossiter fort und kramte in einer Blechdose herum. «Kann mir einer zwei Shilling wechseln? Wo ist die Liste, Parton? Streich Miss Meteyard durch, ja? Hab ich Ihren Beitrag schon, Mr. Garrett?»

«Bin pleite bis Samstag», sagte der Wodehouse-Leser.

«Hört euch den an!» rief Miss Parton entrüstet. «Man sollte uns glatt für Millionäre halten, wenn wir hier immer die Abteilung finanzieren müssen.»

«Zieht mir mal einen Gewinner», antwortete Mr. Garrett, «dann könnt ihr’s nachher davon abziehen. Ist der Kaffee noch immer nicht da?»

«Sehen Sie mal nach, Mr. Jones», sagte Miss Parton zu dem jungen Mann am Türpfosten, «ob der Laufjunge nicht bald kommt. Und du geh noch mal die Pferde mit mir durch, Kindchen. Meteor Bright, Tooralooral, Pheidippides II, Roundabout –»

«Roundabout ist gestrichen», sagte Mr. Jones. «Und da kommt der Laufjunge.»

«Gestrichen? Nein, wann denn? Wie schade. Auf den hab ich doch beim Morning Star-Wettbewerb gewettet. Wer sagt das?»

«Der Evening Banner. Extraausgabe. Im Stall ausgerutscht.»

«Mist!» sagte Miss Rossiter kurz und bündig. «Da geht mein Tausender flöten! Ach ja, so ist das Leben. Danke, mein Kleiner. Stell’s auf den Tisch. Hast du an die Gurke gedacht? Brav. Wieviel? Einen Shilling, fünf Pence? Leih mir mal ’nen Penny, Parton. Hier, bitte. Moment noch, Mr. Willis, ja? Ich brauche mal ’nen Bleistift und Radiergummi für den Neuen.»

«Wie heißt er?»

«Bredon.»

«Wo kommt er her?»

«Weiß Hankie auch nicht. Aber Miss Meteyard hat ihn schon gesehen. Bertie Wooster mit Hornbrille, sagt sie.»

«Aber älter», sagte Miss Meteyard. «Guterhaltener Vierziger.»

«Du liebes bißchen! Wann kommt er?»

«Heute morgen. Ich an seiner Stelle hätte noch bis morgen gewartet und wäre zum Rennen gegangen. Ah, da kommt Mr. Ingleby. Der wird’s wissen. Kaffee, Mr. Ingleby? Haben Sie schon was gehört?»

«Star of Asia, Twinkletoes, Sainte-Nitouche, Duke Humphrey …»

«Zweiundvierzig», sagte Mr. Ingleby. «Danke, keinen Zucker. War noch nie in der Werbung. Balliol College.»

«O Gott!» stöhnte Miss Meteyard.

«Sie sagen es. Wenn etwas noch widerwärtiger ist als alles andere, dann ist es Balliolität», pflichtete Mr. Ingleby ihr bei, denn er hatte am Trinity studiert.

«Bredon ging aufs Balliol

Und saß zu Füßen von Gamaliel»,

sang Mr. Garrett, indem er sein Buch zuklappte.

«Um nichts er sich scherte,

Ganz wie sich’s gehörte»,

ergänzte Miss Meteyard. «Wetten, daß Sie jetzt keinen Reim mehr auf Balliol finden?»

«Flittermouse, Tom Pinch, Fly-by-Night …»

«Und seine Sprache war universiell»

«Welch klassische Verskunst!»

«Man tut, was man kann.»

«Dreh die Zettel ganz fest zusammen, Kindchen. Leg sie in den Deckel der Keksdose. Zum Teufel! Das ist Mr. Armstrongs Summer. Stell eine Untertasse auf meinen Kaffee. Wo ist mein Stenoblock?»

«Zwei Doppelfehler hintereinander, und da hab ich gesagt …»

«Ich finde die Durchschläge von Magnolia nicht …»

«Angefangen mit fünfzig zu eins …»

«Wer hat meine Schere eingesteckt?»

«Entschuldigen Sie, Mr. Armstrong möchte seine Nutrax-Durchschläge …»

«Und gut durchschütteln …»

«Mitgegangen, mitgefangen, mitgehangen …»

«Mr. Ingleby, haben Sie einen Augenblick Zeit für mich?»

Bei Mr. Hankins leicht sarkastischem Ton löste das Gruppenbild sich wie von Zauberhand auf. Die Pfostensteher und Miss Partons Busenfreundin verzogen sich unauffällig auf den Korridor; Mr. Willis, den Ablagekorb in der Hand, sprang hastig auf, riß wahllos einen Durchschlag heraus und starrte ihn zürnend an; Miss Partons Zigarette fiel ohne großes Aufheben zu Boden; Mr. Garrett, der seine Kaffeetasse nicht schnell genug loswerden konnte, lächelte geistesabwesend und machte ein Gesicht, als habe er sie nur zufällig in die Hand genommen und wisse gar nicht, daß sie da war; Miss Meteyard legte die Lose geistesgegenwärtig auf einen Stuhl und setzte sich darauf; Miss Rossiter, die Mr. Armstrongs Durchschläge in der Hand hielt, benutzte diesen glücklichen Umstand, um beschäftigt auszusehen; nur Mr. Ingleby verschmähte allen Schein: Mit leicht unverschämtem Grinsen stellte er seine Kaffeetasse hin und näherte sich gehorsam seinem Vorgesetzten.

«Das», sagte Mr. Hankin, indem er taktvoll die allseitige Verlegenheit übersah, «ist Mr. Bredon. Sie werden – äh – ihm zeigen, was er zu tun hat. Ich habe die Dairyfield-Kladde in sein Büro schicken lassen. Sie könnten ihm zunächst die Margarine geben. Äh, ich glaube nicht, daß Mr. Ingleby zu Ihrer Zeit in Oxford war, Mr. Bredon, er war am Trinity. An Ihrem Trinity, meine ich, nicht an unserem.» (Mr. Hankin hatte in Cambridge studiert.)

Mr. Bredon streckte eine gepflegte Hand aus. «Guten Tag.»

«Guten Tag», echote Mr. Ingleby.

Sie musterten einander mit der Reserviertheit zweier Katzen bei ihrer ersten Begegnung. Mr. Hankin lächelte sie beide an.

«Und wenn Ihnen zur Margarine etwas eingefallen ist, Mr. Bredon, kommen Sie damit zu mir, damit wir es uns ansehen.»

«Abgemacht», antwortete Mr. Bredon schlicht.

Mr. Hankin lächelte wieder und trottete friedlich davon.

«Na, dann mache ich Sie am besten mal erst mit allen bekannt», sagte Mr. Ingleby schnell. «Miss Rossiter und Miss Parton sind unsere beiden Schutzengel – sie tippen unsere Texte, verbessern unser Englisch, versorgen uns mit Bleistiften und Papier und füttern uns mit Kaffee und Kuchen. Miss Parton ist die Blonde und Miss Rossiter die Brünette. Die Herren der Schöpfung bevorzugen im allgemeinen blond, aber ich persönlich finde sie beide gleich engelhaft.»

Mr. Bredon verneigte sich.

«Miss Meteyard – Somerville College. Eine der strahlenderen Zierden unserer Abteilung. Sie dichtet die ordinärsten Limericks, die je in diesen keuschen Mauern erklungen sind.»

«Dann werden wir uns gut verstehen», versicherte Mr. Bredon in herzlichem Ton.

«Mr. Willis zu Ihrer Rechten, Mr. Garrett zu Ihrer Linken – beides Leidensgefährten. Das wäre schon die ganze Abteilung, außer Mr. Hankin und Mr. Armstrong, die allerdings Direktoren sind, und Mr. Copley, einem Mann von Gewicht und Erfahrung, der nicht zum Herumalbern ins Schreibzimmer kommt. Er nimmt seinen Elf-Uhr-Imbiß außer Haus ein und wähnt sich über uns stehend, was ihm indessen nicht zukommt.»

Mr. Bredon ergriff die Hände, die sich ihm entgegenstreckten, unter höflichem Murmeln.

«Möchten Sie sich an unserem Renntoto beteiligen?» erkundigte sich Miss Rossiter mit einem Blick zur Geldbüchse. «Sie kommen gerade noch zur Ziehung zurecht.»

«O ja, bitte», sagte Mr. Bredon. «Was kostet das?»

«Sechs Pence.»

«Ja, bitte. Ich meine, furchtbar nett von Ihnen. Natürlich, klar – man muß doch beim Renntoto mitmachen, wie?»

«Damit beträgt der erste Preis genau ein Pfund», sagte Miss Rossiter mit einem dankbaren Seufzer. «Ich hatte schon Angst, ich müßte selbst zwei Lose kaufen. Schreib ein Los für Mr. Bredon aus, Parton. B-R-E-D-O-N – wie ‹Sommer auf dem Bredon-Berg›, ja?»

«Ganz recht.»

Miss Parton tippte gehorsam den Namen und legte eine weitere Niete in die Keksdose.

«Na, dann sollte ich Sie mal gleich in Ihre Hundehütte führen», meinte Mr. Ingleby mit Leichenbittermiene.

«Aber ja!» sagte Mr. Bredon. «O ja, natürlich.»

«Wir sind alle auf diesem Flur», fuhr Mr. Ingleby fort, indem er voranging. «Sie werden sich mit der Zeit schon zurechtfinden. Hier ist Mr. Garretts Zimmer, und hier ist das von Mr. Willis, und da ist Ihres, zwischen Miss Meteyards und meinem. Diese Eisentreppe gegenüber führt ein Stockwerk tiefer; da sind hauptsächlich Gruppenleiter und Konferenzräume. Fallen Sie da übrigens nicht runter. Der Mann, dessen Zimmer Sie bekommen, ist vorige Woche runtergepurzelt und war tot.»

«Was, wirklich?» rief Mr. Bredon bestürzt.

«Genick gebrochen und Schädel eingeschlagen», sagte Mr. Ingleby. «An einem dieser Knöpfe.»

«Was haben Knöpfe auf einem Treppengeländer verloren?» entrüstete sich Mr. Bredon. «Damit die Leute sich den Schädel daran einschlagen? Das gehört sich nicht.»

«Allerdings nicht», sagte Miss Rossiter, die mit Notizblöcken und Löschblättern beladen hinzukam. «Angeblich sollen sie verhindern, daß die Laufjungen auf dem Geländer runterrutschen, aber es ist die Treppe selbst, die so – hoppla, gehen Sie lieber weiter. Da kommt Mr. Armstrong. Die Firma hört es nicht gern, wenn allzuviel über die Eisentreppe gesprochen wird.»

«So, und hier sind Sie zu Hause», sagte Mr. Ingleby in Befolgung dieses Rats. «Nicht viel anders als die andern, außer daß die Heizung nicht besonders gut funktioniert. Aber das soll im Augenblick nicht Ihre Sorge sein. Hier hat Dean gearbeitet.»

«Der die Treppe runtergefallen ist?»

«Ja.»

Mr. Bredon sah sich in der kleinen Zelle um, die einen Tisch, zwei Stühle, einen wackligen Schreibtisch und ein Bücherregal enthielt, und sagte:

«Oh!»

«Es war wirklich schrecklich», sagte Miss Rossiter.

«Muß es wohl», stimmte Mr. Bredon ihr aus vollem Herzen zu.

«Ich war gerade bei Mr. Armstrong zum Diktat, als wir diesen entsetzlichen Krach hörten. Er hat gesagt: ‹Großer Gott, was ist denn das?› Und ich hab gedacht, das ist einer von den Laufjungen, denn letztes Jahr ist einer von ihnen mal mit einer Schreibmaschine da runtergefallen, und das hat sich genauso angehört, nur noch schlimmer. Und da hab ich gesagt: ‹Ich glaube, da muß einer von den Jungen die Treppe runtergefallen sein, Mr. Armstrong›, und er darauf: ‹Kann wohl nicht aufpassen, der Kerl›, und dann hat er weiterdiktiert, und mir hat die Hand so gezittert, daß ich kaum noch einen geraden Strich machen konnte, und dann ist Mr. Ingleby vorbeigelaufen, und Mr. Daniels’ Tür ist aufgegangen, und dann haben wir einen fürchterlichen Schrei gehört, und Mr. Armstrong hat gesagt: ‹Gehen Sie besser mal nachsehen, was da los ist›, und da bin ich rausgegangen und hab runtergeguckt, aber sehen konnte ich nichts, weil da unten so viele Leute standen, und dann ist Mr. Ingleby raufgerannt gekommen, mit so einem Gesicht – Sie waren weiß wie ein Blatt Papier, Mr. Ingleby, wirklich.»

«Schon möglich», meinte Mr. Ingleby ein wenig pikiert. «Drei Jahre in diesem abstumpfenden Beruf haben mir noch nicht jede menschliche Regung nehmen können. Aber das wird schon noch kommen.»

«Mr. Ingleby hat gesagt: ‹Er hat sich erschlagen!› Und ich hab gefragt: ‹Wer?› – ‹Mr. Dean›, sagt er, und ich darauf: ‹Das ist doch nicht wahr!› Und er: ‹Leider doch›, und da bin ich wieder zu Mr. Armstrong reingegangen und hab gesagt: ‹Mr. Dean hat sich erschlagen!› Und er hat gemeint: ‹Was heißt das – sich erschlagen?› Und da ist Mr. Ingleby reingekommen, und Mr. Armstrong hat ihn nur angesehen und ist rausgegangen, und ich bin die andere Treppe runtergegangen und hab gesehen, wie sie Mr. Dean ins Konferenzzimmer getragen haben, und sein Kopf hing ganz schief herunter.»

«Passiert so was öfter?» erkundigte sich Mr. Bredon.

«Nicht mit solch katastrophalen Folgen», antwortete Mr. Ingleby, «aber diese Treppe ist und bleibt eine Todesfalle.»

«Ich bin ja selbst mal runtergefallen», sagte Miss Rossiter, «und hab mir die Absätze von beiden Schuhen gerissen, und das war furchtbar unangenehm, weil ich doch kein zweites Paar bei mir hatte, und –»

«Kinder, ich hab ein Pferd gezogen!» verkündete Miss Meteyard, indem sie ohne Umstände eintrat. «Sie hatten leider kein Glück, Mr. Bredon.»

«Ich war schon immer ein Unglücksrabe.»

«Beschäftigen Sie sich erst mal einen Tag mit Dairyfields Margarine, dann wissen Sie, was Unglück ist», sagte Mr. Ingleby düster. «Für mich wohl auch nichts, wie?»

«Ich fürchte nein. Natürlich hat Miss Rawlings wieder mal den Favoriten gezogen – wie immer.»

«Hoffentlich bricht das Vieh sich die Beine», sagte Mr. Ingleby. «Kommen Sie nur rein, Tallboy, kommen Sie rein. Wollen Sie was von mir? Sie dürfen Mr. Bredon ruhig stören, er wird sich schon noch daran gewöhnen, daß sein Zimmer ein öffentlicher Versammlungsraum im wahrsten Sinne des Wortes ist. Das ist Mr. Tallboy, Gruppenleiter für Nutrax und noch ein paar so komische Sachen. Mr. Bredon, unser neuer Texter.»

«Guten Tag», sagte Mr. Tallboy knapp. «Sehen Sie mal her, dieser halbseitige Zweispalter für Nutrax – könnten Sie da nicht vielleicht noch drei Zeilen rauskürzen?»

«Nein, kann ich nicht», sagte Mr. Ingleby. «Ich hab das Ding sowieso schon bis auf die blanken Knochen zusammengestrichen.»

«Sie werden aber leider müssen. Bei einem zweizeiligen Untertitel ist einfach kein Platz mehr für all den Quatsch.»

«Da ist Platz genug.»

«Eben nicht. Wir müssen doch noch den Geschenkcoupon für die Schlaguhren unterbringen.»

«Hol der Teufel die Schlaguhren und den Coupon! Was glauben die, wie ich das alles in einem Zweispalter unterbringen soll?»

«Weiß ich auch nicht, aber sie wollen es so haben. Hören Sie mal, könnten wir dieses ‹Wenn die Nerven Ihnen Streiche spielen› nicht rausnehmen und anfangen mit ‹Nerven brauchen Nutrax›?»

«Armstrong fand das mit dem Streichespielen gut. Menschliches Verständnis und so. Nein, nehmen wir lieber den patentierten Sprungdeckel raus.»

«Den werden sie sich nie rausnehmen lassen», wandte Miss Meteyard ein. «Auf die Erfindung sind sie doch so stolz.»

«Glauben die vielleicht, die Leute kaufen Nutrax wegen des Sprungdeckels? Ach was! Ich kann’s nicht jetzt gleich machen. Geben Sie her.»

«Die Druckerei will es spätestens um zwei haben», wandte Tallboy unsicher ein.

Mr. Ingleby wünschte die Druckerei zum Teufel, nahm das Blatt Papier und begann unter leisen Verwünschungen den Text zu kürzen.

«Von allen gräßlichen Tagen der Woche ist der Dienstag der gräßlichste», bemerkte er. «Da gibt es keine Ruhe, bis wir diesen vermaledeiten halbseitigen Zweispalter vom Hals haben. So! Jetzt habe ich zwei Zeilen raus, und damit müssen Sie sehen, wie Sie zurechtkommen. Sie können dieses ‹mit› noch in die obere Zeile reinquetschen und damit die ganze restliche Zeile einsparen.»

«Na gut, ich werd’s versuchen», gab Mr. Tallboy nach. «Alles um des lieben Friedens willen. Sieht aber wohl ein bißchen voll aus da oben.»

«Ich gäbe was drum, wenn ich voll wäre», sagte Mr. Ingleby. «Nehmen Sie um Himmels willen das Ding und verschwinden Sie damit, bevor ich zum Mörder werde.»

«Ich geh ja schon, geh ja schon», meinte Mr. Tallboy und zog sich eilig zurück.

Miss Rossiter hatte sich während des Streitgesprächs bereits entfernt, und Miss Meteyard verabschiedete sich nun mit den Worten: «Wenn Pheidippides gewinnt, gibt’s für alle Kuchen und Tee.»

«So, und nun wollen wir Ihnen mal auf die Sprünge helfen», meinte Mr. Ingleby. «Hier ist die Kladde. Blättern Sie die mal durch, damit Sie eine Vorstellung bekommen, worum es geht, und dann denken Sie sich ein paar Überschriften aus. Im Text sollte natürlich rauskommen, daß Dairyfields ‹Grüne Aue›-Margarine alles das ist, was Butter sein sollte, aber nur Pence das Pfund kostet. Und dann hätten die noch gern eine Kuh im Bild.»

«Wieso? Wird Margarine aus Rinderfett gemacht?»

«Wenn Sie mich fragen, ja, aber sagen dürfen Sie das nicht. Das würde den Leuten nicht gefallen. Die Kuh erinnert eben nur unterschwellig an Butter. Und der Name – ‹Grüne Aue› – läßt einen gleich an Kühe denken, verstehen Sie?»

«Ich denke dabei eher an dieses Theaterstück, das mit den Negern», meinte Mr. Bredon.

«Lassen Sie Neger aus dem Spiel», entgegnete Mr. Ingleby. «Und vor allem die Religion. Keine Anspielungen auf Psalm 23, bitte. Gotteslästerung.»

«Aha. Also etwas wie ‹Besser als Butter und halb so teuer›. Spricht das Portemonnaie an.»

«Schon, aber Sie dürfen nichts gegen Butter sagen. Die verkaufen nämlich auch Butter.»

«Oh!»

«Sie können sagen: ‹So gut wie Butter.›»

«Aber wenn das so ist», begehrte Mr. Bredon auf, «was kann man dann noch zugunsten von Butter sagen? Ich meine, wenn das andere Zeug genauso gut ist und weniger kostet, gibt es kein Argument mehr, Butter zu kaufen.»

«Sie brauchen keine Argumente, um Butter zu kaufen. Das ist ein natürlicher menschlicher Instinkt.»

«Aha, verstehe.»

«Machen Sie sich jedenfalls über Butter keine Gedanken. Konzentrieren Sie sich auf ‹Grüne Aue›-Margarine. Wenn Sie was fertig haben, lassen Sie’s tippen und schwirren damit ab zu Mr. Hankin. Klar? Kommen Sie zurecht?»

«Ja, danke», sagte Mr. Bredon mit gründlich verwirrtem Gesichtsausdruck.

«Und gegen eins schaue ich mal wieder rein und zeige Ihnen, wo man hier am anständigsten essen kann.»

«Besten Dank.»

«Tja, bis dann!» Mr. Ingleby verzog sich in sein eigenes Zimmer.

«Der hält hier nicht lange durch», sagte er bei sich. «Aber einen guten Schneider hat er. Möchte nur wissen –»

Er hob die Schultern und setzte sich hin, um einen Hochglanz-Prospekt über Sliders Bürostahlmöbel zu entwerfen.

Mr. Bredon, alleingelassen, nahm nicht sogleich die Margarine in Angriff. Wie eine Katze, mit der er in seiner behutsamen Neugier eine gewisse Ähnlichkeit hatte, machte er sich zuerst einmal mit seiner neuen Behausung vertraut. Besonders viel gab es hier allerdings nicht zu sehen. In seiner Schreibtischschublade fand er ein eingekerbtes, tintenfleckiges Lineal, ein paar zerbissen aussehende Radiergummis, etliche kleine Zettelchen mit tiefschürfenden Gedanken über Tee und Margarine und einen kaputten Füllfederhalter. Auf dem Bücherregal standen ein Wörterbuch, ein abstoßend wirkender Band mit dem Titel Direktoren von A bis Z, ein Roman von Edgar Wallace, eine hübsch aufgemachte Broschüre mit dem Titel Alles über Kakao, Alice im Wunderland, Bartletts Zitaten-Handbuch, die Globe-Edition der Werke von William Shakespeare und fünf wahllose Nummern der Kinderenzyklopädie. Das Innere des Stehpults hatte mehr Erforschenswertes zu bieten; es war angefüllt mit alten, verstaubten Papieren, darunter ein Regierungsbericht über das Gesetz zur Beschränkung von Konservierungszusätzen in Lebensmitteln von 1926, eine Anzahl (in jedem Sinne) derber Zeichnungen von ungeübter Hand, ein Bündel Probeabzüge von Anzeigen für Dairyfield-Erzeugnisse, ein paar private Briefe und ein paar alte Rechnungen. Mr. Bredon rieb sich den Staub von den verwöhnten Fingern, ließ von diesem Behältnis ab und inspizierte einen Haken nebst Kleiderbügel an der Wand sowie einen ramponierten Ordner mit Zeitungsausschnitten in einer Ecke, dann setzte er sich auf den Drehstuhl vor dem Schreibtisch. Nachdem er hier kurz einen Leimtopf, eine Schere, einen neuen Bleistift, eine Löschrolle, zwei Notizblöcke und einen schmutzigen Kartondeckel voller Krimskrams begutachtet hatte, schlug er die Dairyfield-Kladde auf und begann die Meisterwerke seines Vorgängers zum Thema ‹Grüne Aue›-Margarine zu studieren.

Eine Stunde später drückte Mr. Hankin die Tür auf und sah zu ihm herein.

«Na, wie geht’s voran?» erkundigte er sich freundlich.

Mr. Bredon sprang auf.

«Nicht besonders, fürchte ich. Anscheinend habe ich die Atmosphäre noch nicht ganz in mich aufgenommen, wenn Sie verstehen.»

«Das kommt schon noch», sagte Mr. Hankin. Er war ein hilfsbereiter Mensch und vertrat die Auffassung, daß neue Texter nur der Ermunterung bedurften. «Lassen Sie mich mal sehen, was Sie da machen. Sie fangen mit den Überschriften an? Ganz richtig. Eine gute Schlagzeile ist die halbe Werbeschlacht. WENN SIE EINE KUH WÄREN – nein, nein, das geht nicht, wir können die Kunden nicht mit Kühen vergleichen. Außerdem hatten wir fast die gleiche Schlagzeile schon einmal vor – Augenblick – ich glaube, so um 1923 herum. Die hatte Mr. Wardle sich ausgedacht; Sie finden sie in der viertletzten Kladde. Sie lautete: SELBST WENN SIE SICH EINE KUH IN DER KÜCHE HALTEN, bekommen Sie keinen besseren Brotaufstrich als ‹Grüne Aue› und so weiter. Das war gut. Fiel ins Auge, gab ein treffendes Bild und sagte alles Nötige in einem Satz.»

Mr. Bredon neigte den Kopf wie einer, der das Gesetz des Propheten vernahm. Der Cheftexter wanderte mit nachdenklichem Bleistift über die hingekritzelten Schlagzeilen und hakte eine von ihnen an.

«Die gefällt mir:

BESSERES BUTTRIGES

GUT FÜR IHR GELD

Das ist der richtige Ton. Dazu könnten Sie einen Text verfassen, und vielleicht auch noch hierzu:

SIE WÜRDEN WETTEN,

ES IST BUTTER –

Obwohl ich mir da nicht ganz sicher bin. Die Leute bei Dairyfield sind ein bißchen zugeknöpft, was das Wetten angeht.»

«So? Schade! Ich hatte noch ein paar von der Art. RISKIEREN SIE EIN BISSCHEN – … Gefällt Ihnen das nicht?»

Mr. Hankin schüttelte bedauernd den Kopf.

«Zu direkt, fürchte ich. Stiftet die Arbeiterklasse zur Geldverschwendung an.»

«Aber das tun sie doch sowieso – die Frauen lieben alle so ein bißchen Nervenkitzel.»

«Ich weiß, ich weiß. Aber unser Kunde macht da bestimmt nicht mit. Sie werden bald merken, daß der Kunde immer das größte Hindernis für eine gute Werbung ist. Die haben alle ihren Tick. So eine Schlagzeile wäre für Darlings gerade richtig, aber nicht für Dairyfield. Wir hatten 1926 mal eine erfolgreiche Schlagzeile mit sportlicher Note – SETZEN SIE AUFS RICHTIGE PFERD – AUF DARLINGS UNVERWÜSTLICHEN HANDTUCHHALTER – die haben in der Ascot-Woche 80000 Stück verkauft. Das war allerdings teilweise auch Zufall, denn wir hatten im Text ein richtiges Pferd mit Namen genannt, das dann mit 50 zu 1 herauskam, und alle Frauen, die darauf gesetzt hatten, sind hingegangen und haben aus Dankbarkeit Darlings unverwüstliche Handtuchhalter gekauft. Die Leute sind schon komisch.»

«O ja», pflichtete Mr. Bredon ihm bei. «Muß wohl so sein. Ich glaube, hinter der Werbung steckt doch mehr, als man mit bloßem Auge sieht.»

«Und ob», sagte Mr. Hankin ein wenig grimmig. «Also, dann schreiben Sie mal ein paar Texte dazu und kommen damit zu mir. Sie wissen, wo Sie mich finden?»

«O ja – am Ende des Korridors, neben der Eisentreppe.»

«Nein, da liegt Mr. Armstrongs Zimmer. Am anderen Ende des Korridors, neben der anderen Treppe – nicht der eisernen. Übrigens –»

«Ja?»

«Ach, nichts», sagte Mr. Hankin unsicher. «Das heißt – nein, nichts.»

Mr. Bredon sah der sich entfernenden Gestalt nach und schüttelte nachdenklich den blonden Kopf. Dann wandte er sich seiner Aufgabe zu, schrieb ziemlich schnell ein paar Absätze zum Lob der Margarine und ging damit aus dem Zimmer. Er wandte sich nach rechts, blieb vor der Tür zu Mr. Inglebys Zimmer stehen und betrachtete unentschlossen die Eisentreppe. Während er noch dastand, ging eine Glastür auf der gegenüberliegenden Seite des Korridors auf und ein Mann mittleren Alters kam herausgeschossen. Als er Bredon sah, stoppte er auf seinem eiligen Weg zur Treppe und fragte:

«Suchen Sie irgendwas oder irgendwen?»

«Oh, vielen Dank! Nein – ich meine, ja. Ich bin der neue Texter. Ich suche das Schreibzimmer.»

«Am andern Ende.»

«Aha, ja, herzlichen Dank. Das ist ziemlich verwirrend hier. Wohin führt denn diese Treppe?»

«Runter, zu einigen anderen Abteilungen. Hauptsächlich sind da die Gruppenleiter und Konferenzzimmer und Mr. Pyms Zimmer und einige Direktorenzimmer und die Druckerei.»

«Ah, ja. Nochmals danke. Wo kann man sich hier die Hände waschen?»

«Auch unten. Ich kann es Ihnen zeigen, wenn Sie wollen.»

«O ja, danke – allerherzlichsten Dank.»

Der andere raste die steile, klappernde Wendeltreppe hinunter wie von einer Sehne geschnellt. Bredon folgte ihm etwas vorsichtiger.

«Ein bißchen steil hier, wie?»

«Ja, schon. Seien Sie lieber vorsichtig. Einer aus Ihrer Abteilung hat sich hier neulich erschlagen.»

«Nein, wirklich?»

«Genick gebrochen. War schon tot, als wir ihn fanden.»

«Na so was! Aber wie ist denn das passiert? Hat er vielleicht nicht gesehen, wohin er trat?»

«Ausgerutscht, nehme ich an. Muß zu schnell gelaufen sein. Die Treppe ist eigentlich ganz in Ordnung. Mir ist noch nie was passiert. Sie ist auch sehr gut beleuchtet.»

«Gut beleuchtet?» Mr. Bredon betrachtete gedankenverloren das Oberlicht und den Flur, der wie der obere rechts und links von Glastüren gesäumt war. «Doch, ja, das kann man sagen. Sehr gut beleuchtet. Natürlich, er wird wohl ausgerutscht sein. Wie leicht kann man auf einer Treppe ausrutschen! Hatte er Nägel unter den Schuhsohlen?»

«Weiß ich nicht. Auf seine Schuhe habe ich nicht geachtet. Ich hatte nur einen Gedanken – die Reste aufzusammeln.»

«Haben Sie ihn gefunden?»

«Na ja, ich habe den Krach gehört, wie er da runtergerauscht ist, und bin gleich hingerannt und war einer von den ersten, die dazukamen. Übrigens, mein Name ist Daniels.»

«Ach ja? Daniels, soso. Aber ist denn bei der Untersuchung nicht von den Schuhen die Rede gewesen?»

«Nicht daß ich wüßte.»

«Aha. Na, dann wird er wohl keine Nagelschuhe angehabt haben. Ich meine, wenn er welche angehabt hätte, wäre sicher darüber gesprochen worden. Ich meine, das wäre ja sozusagen eine Entschuldigung, nicht?»

«Entschuldigung für wen?» wollte Daniels wissen.

«Für die Firma. Ich meine, wenn man eine Treppe hinbaut, und da fällt einer runter, dann will doch die Versicherung meist wissen, warum. Heißt es wenigstens. Ich bin selbst noch nie eine Treppe hinuntergefallen – auf Holz klopfen.»

«Das versuchen Sie auch lieber nicht», wich Daniels der Frage nach der Versicherung aus. «Zum Waschraum geht es durch diese Tür und links den Gang hinunter.»

«Herzlichen Dank.»

«Keine Ursache.»

Mr. Daniels stürzte davon in einen Raum voller Schreibtische und ließ Mr. Bredon allein mit der schweren Schwingtür fertig werden.

Im Waschraum fand er Ingleby.

«Oh!» sagte dieser. «Sie haben schon selbst den Weg gefunden. Den hätte ich Ihnen noch zeigen sollen, hab’s aber vergessen.»

«Mr. Daniels hat mich hergeführt. Wer ist das?»

«Daniels? Ein Gruppenleiter. Er ist für einige Kunden zuständig – Sliders und Harrogate Brothers und noch ein paar. Sorgt für das Layout und schickt die Klischees an die Zeitungen und so weiter. Kein übler Kerl.»

«Er ist auf die Eisentreppe nicht gut anzusprechen, scheint mir. Ich meine, er war ganz freundlich, bis ich andeutete, daß die Versicherung sich wohl mit diesem Unfall befassen würde, da wurde er mit einemmal ganz eisig.»

«Er ist schon lange bei der Firma und hat es nicht gern, wenn jemand ein schlechtes Licht auf sie wirft. Schon gar nicht, wenn ein Neuer das tut. Es ist überhaupt besser, sich nicht zu wichtig zu machen, bevor man nicht mindestens zehn Jahre hier arbeitet. Das wird nicht gern gesehen.»

«Oh! Vielen Dank für den Hinweis.»

«Diese Firma wird ganz im Stil einer staatlichen Behörde geführt», fuhr Mr. Ingleby fort. «Eile ist unerwünscht, und Initiative und Neugier bekommen höflich die Tür gewiesen.»

«Das stimmt», mischte sich ein kampflustig dreinblickender, rothaariger Mann ein, der sich gerade die Finger mit Bimsstein schrubbte, als wollte er die Haut gleich mit abscheuern. «Ich wollte neulich 50 Pfund für eine neue Linse haben – und was hab ich zur Antwort bekommen? Sparsamkeit, bitte, in allen Abteilungen – wie bei der Regierung –, und dabei bezahlen sie Leute wie euch dafür, daß ihr den Leuten weismacht, je mehr sie ausgäben, desto mehr könnten sie sparen! Jedenfalls werde ich hier nicht mehr alt, das ist schon ein Trost.»

«Das ist Mr. Prout, unser Fotograf», sagte Ingleby. «Er ist seit fünf Jahren drauf und dran, uns zu verlassen, aber wenn es ernst wird, sieht er ein, daß wir ohne ihn nicht auskommen, und läßt sich von unseren Bitten und Tränen erweichen.»

«Tja!» sagte Mr. Prout.

«Die Direktion hält Mr. Prout für einen so wertvollen Mitarbeiter», fuhr Mr. Ingleby fort, «daß sie ihm ein ganz großes Zimmer gegeben hat –»

«– in dem man sich nicht umdrehen kann», sagte Mr. Prout. «Und ohne Lüftung. Mord ist das, was die hier machen. Wie die schwarzen Löcher von Kalkutta, und Treppen, auf denen man sich das Genick bricht. Was wir in diesem Land mal brauchten, wäre ein Mussolini, der Ordnung schafft. Aber was nützt alles Reden? Trotzdem, eines schönen Tages, Sie werden es erleben.»

«Mr. Prout ist unser zahmer Revolutionär», bemerkte Mr. Ingleby nachsichtig. «Kommen Sie mit rauf, Bredon?»

«Ja. Ich muß das Zeug hier noch tippen lassen.»

«Ganz recht. Hier lang, bitte. Die Treppe neben dem Aufzug hinauf, durch den Versand, und da sind wir schon – hinter dieser Tür finden Sie Englands ganze Schönheit versammelt. Kinder, Mr. Bredon bringt euch was Schönes zum Abtippen.»

«Geben Sie her», sagte Miss Rossiter, «und – ach ja, Mr. Bredon! Schreiben Sie doch mal bitte Ihren Namen und Adresse auf diese Karte – die brauchen das unten für die Personalakten.»

Bredon nahm gehorsam die Karte.

«Bitte in Druckschrift», fügte Miss Rossiter hinzu, nachdem sie einen gequälten Blick auf die soeben empfangenen Manuskripte geworfen hatte.

«Ach, gefällt Ihnen etwa meine Handschrift nicht? Ich finde sie eigentlich ganz leserlich. Sauber, aber nicht protzig. Na ja, wenn Sie meinen –»

«Druckschrift», wiederholte Miss Rossiter bestimmt. «Hallo! Da ist ja Mr. Tallboy. Er will sicher was von Ihnen, Mr. Ingleby.»

«Was, schon wieder?»

«Nutrax hat den Zweispalter gestrichen», verkündete Mr. Tallboy finster triumphierend. «Sie haben uns eben frisch aus einer Konferenz heraus mitgeteilt, daß sie etwas speziell als Gegengewicht zur Slumbermalt-Kampagne haben wollen, und Mr. Hankin sagt, Sie möchten sich bitte etwas einfallen lassen und es ihm in einer halben Stunde vorlegen.»

Ingleby stieß einen gellenden Schrei aus, und Bredon legte seine Personalkarte hin und starrte ihn offenen Mundes an.

«In Teufels Küche mit Nutrax!» rief Mr. Ingleby. «Und sollen alle ihre Direktoren die Elefantenkrankheit, lokomotorische Ataxie und eingewachsene Zehennägel kriegen!»

«Sehr richtig», sagte Tallboy. «Sie bringen uns also was, ja? Wenn ich es bis drei Uhr durchkriege, kann die Druckerei – Heda!»

Mr. Tallboy, der seinen Blick ziellos im Zimmer hatte umherschweifen lassen, hatte Bredons Karteikarte gesehen. Miss Rossiters Blick folgte dem seinen. Auf der Karte stand in säuberlichen Druckbuchstaben nur ein Wort:

DEATH

«Seht euch das mal an!» sagte Miss Rossiter.

«Oho!» machte Ingleby, der ihr über die Schulter sah. «Sie sind also der Tod, Bredon? Na, ich kann nur sagen, da müßten Sie eigentlich bei jedem ankommen. Das hat so was Allgemeingültiges.»

Mr. Bredon lächelte bedauernd.

«Sie haben mich so erschreckt», sagte er. «Mir derart in die Ohren zu brüllen.» Damit nahm er die Karte und füllte sie fertig aus:

DEATH BREDON

12 A Great Ormond Street

London W.C. 1

2Ärgerliche Indiskretion zweier Stenotypistinnen

Zum zwanzigstenmal studierte Mr. Death Bredon den gerichtlichen Untersuchungsbericht über den Tod Victor Deans.

Da war die Aussage Mr. Prouts, des Fotografen:

«Es war ungefähr um die Teezeit. Der Tee kommt so gegen halb vier. Ich kam gerade aus meinem Zimmer im oberen Stockwerk, mit Kamera und Stativ in der Hand. Mr. Dean ging an mir vorbei. Er kam sehr schnell den Korridor entlang und eilte auf die Eisentreppe zu. Er lief nicht gerade – aber er ging sehr schnell. Unter einem Arm hatte er ein großes, schweres Buch. Ich weiß jetzt, daß es der Times-Atlas war. Ich wandte mich in dieselbe Richtung wie er. Ich sah ihn die Eisentreppe hinuntergehen; es ist eine recht steile Wendeltreppe. Er hatte vielleicht ein halbes Dutzend Stufen hinter sich, als er plötzlich regelrecht in sich zusammenfiel und meinem Blick entschwand. Es gab einen gewaltigen Krach. Man könnte es ein Poltern nennen – ein in die Länge gezogenes Krachen. Ich setzte mich in Trab, als Mr. Daniels’ Tür aufging und er herauskam und gegen mein Stativ stieß. Während wir noch so ineinander verheddert waren, lief Mr. Ingleby an uns vorbei den Flur entlang. Von unten hörte ich einen schrillen Schrei. Ich legte die Kamera hin, und Mr. Daniels und ich liefen zusammen zur Treppe. Noch ein paar andere kamen dazu – Miss Rossiter, glaube ich, und ein paar von den Textern und Sekretären. Wir sahen Mr. Dean zu einem Knäuel zusammengesunken unten am Fuß der Treppe liegen. Ich konnte nicht einmal sagen, ob er die Treppe hinunter oder durchs Geländer gefallen war. Die Treppe bildet eine rechtsdrehende Spirale und macht eine volle Umdrehung. Die Stufen bestehen aus perforierten Stahlplatten. Auf dem Geländer befinden sich mehrere eiserne Knöpfe, etwa walnußgroß. Die Stufen sind ein bißchen rutschig. Die Treppe ist gut beleuchtet. Über ihr befindet sich ein Oberlicht, und außerdem bekommt sie noch Licht durch die Glastür zu Mr. Daniels’ Zimmer sowie durch die Glastüren auf dem unteren Korridor. Ich habe hier ein Foto, das ich persönlich gestern um halb vier gemacht habe – also am Tag nach dem Unglück. Es zeigt den oberen Anfang der Treppe. Das Bild wurde bei normalem Tageslicht aufgenommen. Die Platte war eine Actinax Special Rapid mit der H&D-Nummer 450. Die Belichtungszeit war ⅟₅ Sekunde, Blende 16. Die Lichtverhältnisse waren ähnlich wie zur Zeit von Mr. Deans Tod. Beide Male schien die Sonne. Der Korridor verläuft ungefähr in Nord-Süd-Richtung. Der Verunglückte ist die Treppe hinuntergegangen und bekam das Licht von oben und hinten; daß ihm die Sonne in die Augen geschienen haben könnte, ist unmöglich.»

Es folgte Mr. Daniels’ Aussage:

«Ich stand an meinem Schreibtisch und sprach mit Mr. Freeman über das Layout einer Annonce. Plötzlich hörte ich ein Krachen. Ich dachte, da muß wieder einer von den Laufjungen die Treppe hinuntergefallen sein. Da ist nämlich schon mal so ein Junge runtergefallen. Ich halte die Treppe nicht für gefährlich. Ich nehme an, daß der Junge zu schnell gelaufen war. Ich kann mich nicht erinnern, Mr. Dean über den Flur gehen gehört zu haben. Gesehen habe ich ihn auch nicht. Ich stand mit dem Rücken zur Tür. Es gehen dauernd Leute über den Flur, darauf achtet man gar nicht mehr. Als ich den Sturz hörte, bin ich schnell hinausgegangen. Ich begegnete Mr. Prout und stolperte über sein Stativ. Gefallen bin ich nicht direkt, aber gestolpert, so daß ich mich an ihm festhalten mußte, um nicht zu fallen. Sonst war niemand auf dem Korridor, als ich hinauslief, nur Mr. Prout. Das kann ich beschwören. Mr. Ingleby kam dann an uns vorbei, während wir uns nach dem Zusammenstoß erst wieder aufrappelten. Er kam nicht aus seinem Zimmer, sondern vom anderen Ende des Korridors. Er ging die Eisentreppe hinunter, und Mr. Prout und ich liefen ihm nach, so schnell wir konnten. Ich hörte unten jemanden schreien. Ich glaube, das war kurz bevor oder kurz nachdem ich gegen Mr. Prout rannte. Ich war in diesem Moment ziemlich durcheinander und kann das nicht mit Bestimmtheit sagen. Wir sahen Mr. Dean unten am Fuß der Treppe liegen. Es standen ziemlich viele Leute herum. Dann kam Mr. Ingleby die Treppe sehr schnell wieder heraufgerannt und rief: ‹Er ist tot!› oder: ‹Er hat sich erschlagen.› Seine genauen Worte kann ich nicht beschwören. Zuerst wollte ich es gar nicht glauben. Ich dachte, er übertreibt. Dann bin ich selbst die Treppe hinuntergegangen. Mr. Dean lag zusammengekrümmt da, den Kopf nach unten. Seine Beine waren zum Teil noch auf der Treppe. Ich glaube, daß schon jemand versucht hatte, ihn aufzuheben, bevor ich unten war. Ich habe mit Toten und Verwundeten einige Erfahrung; ich war Krankenträger im Krieg. Ich habe ihn untersucht und gesagt, daß er meiner Meinung nach tot sei. Ich glaube, Mr. Atkins war schon zu derselben Überzeugung gekommen. Ich habe geholfen, die Leiche hochzuheben und ins Konferenzzimmer zu tragen. Dort haben wir ihn auf den Tisch gelegt und uns bemüht, ihm Erste Hilfe zu geben, obwohl ich keinen Augenblick zweifelte, daß er bereits tot war. Wir sind nicht auf den Gedanken gekommen, ihn liegen zu lassen, wo er lag, bis die Polizei kam, denn es hätte natürlich sein können, daß er doch nicht tot war, und da konnten wir ihn nicht mit dem Kopf nach unten an der Treppe liegen lassen.»

Als nächster hatte Mr. Atkins ausgesagt und erklärt, daß er Gruppenleiter sei und in einem der unteren Räume arbeite.

«Ich kam gerade aus meinem Zimmer, von dessen Tür aus man die Eisentreppe sehen kann. Es liegt nicht direkt der Treppe gegenüber, aber man kann ihre untere Hälfte überblicken. Wer diese Treppe herunterkommt, wendet mir den Rücken zu, wenn er von der letzten Stufe tritt. Ich hörte ein lautes Krachen und sah den Mann kopfüber die Treppe herunterstürzen. Er schien überhaupt keinen Versuch zu machen, sich zu fangen. Er hatte ein großes Buch unterm Arm. Das ließ er im Fallen nicht einmal los. Er schien von einer Seite der Treppe gegen die andere zu schlagen und fiel sozusagen wie ein Kartoffelsack. Unten schlug er mit dem Kopf auf. Ich hatte ein Tablett mit lauter Glasgefäßen in den Händen. Das habe ich abgestellt und bin hingelaufen. Ich wollte ihn aufheben, aber in dem Moment, als ich ihn anfaßte, war ich sicher, daß er tot war. Meiner Ansicht nach hatte er sich das Genick gebrochen. Zu der Zeit war Mrs. Crump auf dem Korridor. Mrs. Crump hat unseren Aufwartedienst unter sich. Ich sagte zu ihr: ‹Großer Gott, er hat sich das Genick gebrochen!› Und sie stieß einen lauten Schrei aus. Gleich darauf erschienen noch etliche andere auf der Szene. Einer sagte: ‹Vielleicht hat er sich’s nur verrenkt.› Mr. Daniels sagte zu mir: ‹Wir können ihn nicht so liegen lassen.› Ich glaube, es war Mr. Armstrong, der dann den Vorschlag machte, ihn ins Konferenzzimmer zu tragen. Ich habe geholfen, ihn dorthin zu tragen. Der Tote hielt das Buch so fest unterm Arm, daß wir es ihm nur mit Mühe wegnehmen konnten. Er hatte sich seit dem Sturz nicht mehr bewegt und nicht zu sprechen versucht. Ich zweifelte keinen Augenblick, daß er nach dem Sturz auf der Stelle tot war.»

Mrs. Crump bestätigte diese Aussage nach bestem Wissen. Sie sagte: «Ich bin Oberaufwärterin bei Pyms Werbedienst. Zu meinen Pflichten gehört es, jeden Nachmittag gegen halb vier mit dem Teewagen durch die Büros zu fahren. Das heißt, ich trete die Runde um Viertel nach drei an und beende sie um Viertel vor vier. Ich war im Untergeschoß fast fertig und wollte gerade zum Aufzug zurück, um den Tee in den ersten Stock zu bringen. Demnach muß es etwa halb vier gewesen sein. Ich kam den Flur entlang und hatte die Eisentreppe vor mir. Da sah ich Mr. Dean herunterfallen. Er fiel wie ein Bündel. Es war schrecklich. Er schrie nicht und gab im Fallen nicht einen Ton von sich. Er plumpste einfach herunter wie ein toter Gegenstand. Mir blieb fast das Herz stehen. Ich war so erschlagen, daß ich mich eine ganze Zeit nicht rühren konnte. Dann kam Mr. Atkins angelaufen, um ihn aufzuheben. Er sagte: ‹Er hat sich das Genick gebrochen›, und da habe ich einen Schrei von mir gegeben. Ich konnte nicht anders, ich war einfach fertig. Ich finde, daß diese Treppe ein heimtückisches, gefährliches Ding ist. Immerzu warne ich die anderen Frauen davor. Wenn man da mal ausrutscht, kann man sich kaum noch irgendwo festhalten, besonders wenn man etwas in den Händen hat. Den ganzen Tag laufen da Leute rauf und runter, und dadurch werden die Stufen so glatt, das glaubt man gar nicht, und manche sind an den Kanten schon richtig abgetreten.»

Das ärztliche Gutachten stammte von Dr. Emerson. «Ich wohne am Queen’s Square in Bloomsbury. Von meinem Haus bis zur Werbeagentur Pym in der Southampton Row geht man fünf Minuten. Ich erhielt den Anruf um 15 Uhr 40 und ging sofort hin. Der Verunglückte war bei meiner Ankunft tot. Ich kam zu dem Ergebnis, daß er seit etwa einer Viertelstunde tot sein müsse. Sein Genick war am vierten Wirbel gebrochen. Zudem hatte der Tote eine Quetschwunde an der rechten Schläfe, wo auch der Schädel zertrümmert war. Jede dieser beiden Verletzungen war eine hinreichende Todesursache. Ich würde sagen, daß der Mann unmittelbar nach dem Sturz gestorben ist. Außerdem war das rechte Schienbein gebrochen, wahrscheinlich weil er damit im Treppengeländer hängengeblieben war. Natürlich hatte er auch noch etliche Schürfungen und Quetschungen. Die Kopfwunde könnte der Form nach daher rühren, daß er im Fallen gegen einen der Knöpfe am Geländer geschlagen ist. Ob diese Wunde oder der gebrochene Nackenwirbel die eigentliche Todesursache war, kann ich nicht sagen, aber in beiden Fällen wäre der Tod auf der Stelle eingetreten. Ich gebe zu, daß diese Frage nicht von großer Bedeutung ist. Ich habe keine Hinweise auf ein Herzleiden oder eine sonstige Krankheit gefunden, die den Schluß nahelegen könnte, daß der Verstorbene an Schwindel- oder Ohnmachtsanfällen litt. Für Alkohol oder Drogensucht habe ich keine Anzeichen gefunden. Ich habe die Treppe gesehen und finde, daß man sehr leicht darauf ausrutschen kann. Soweit ich es beurteilen kann, schien die Sehkraft des Verstorbenen normal zu sein.»

Miss Pamela Dean, die Schwester des Verstorbenen, hatte ausgesagt, daß ihr Bruder zur Zeit des Unfalls bei guter Gesundheit gewesen sei und niemals irgendwelche Schwächeanfälle oder dergleichen gehabt habe. Er sei nicht kurzsichtig gewesen. Gelegentlich habe er unter Leberbeschwerden gelitten. Er sei ein guter Tänzer gewesen und gewöhnlich sehr sicher und flink auf den Beinen. Einmal habe er sich als Junge einen Knöchel verstaucht, aber soweit sie wisse, sei von daher keine dauernde Gelenkschwäche zurückgeblieben.

Es wurden auch Aussagen dahingehend gemacht, daß schon öfter Personen auf dieser Treppe verunglückt seien; andere Zeugen meinten, die Treppe sei nicht gefährlich, wenn der Benutzer gebührende Vorsicht walten lasse. Die Geschworenen erkannten auf Tod durch Unfall und merkten in der Begründung an, daß ihrer Meinung nach die Eisentreppe durch eine massivere Konstruktion ersetzt werden solle.

Mr. Bredon schüttelte den Kopf. Dann nahm er ein Blatt Papier von dem vor ihm liegenden Stoß und schrieb:

Er schien in sich zusammenzufallen.

Er machte keinen Versuch, sich zu fangen.

Er ließ das Buch nicht los.

Er schlug mit dem Kopf auf dem Boden auf.

Genickbruch, Schädelbruch: jede dieser Verletzungen für sich allein tödlich.

Gute Gesundheit; gute Augen; guter Tänzer.

Er stopfte sich eine Pfeife und starrte eine Zeitlang auf diese Liste. Dann kramte er in einer Schublade und fand ein Blatt Papier, das ein angefangener Brief oder der weggelegte Entwurf eines Briefes zu sein schien.

«Sehr geehrter Mr. Pym,

ich halte es für richtig, Sie wissen zu lassen, daß in dieser Agentur Dinge vorgehen, die höchst unerfreulich sind und zu ernsten –»

 

Nach nochmaligem längerem Nachdenken legte er dieses Schriftstück wieder fort und schrieb etwas auf ein anderes Blatt Papier, radierte und schrieb emsig wieder von vorn. Bald spielte ein zögerndes Lächeln um seine Lippen.

«Möchte wetten, daß da was dran ist», sagte er leise. «Und zwar etwas ziemlich Großes. Die Frage ist nur, wie man so was macht. Irgendwie muß man an das Geld herankommen – aber wo kommt es überhaupt her? Von Mr. Pym wohl kaum. Er dürfte selbst nichts damit zu tun haben, und man kann nicht eine ganze Belegschaft erpressen. Trotzdem frage ich mich … Wahrscheinlich würde er sich’s doch etwas kosten lassen, zu verhindern, daß –»

Er versank in Schweigen und Meditation.

 

«Und», fragte Miss Parton, indem sie das nächste Schokoladeneclair aufspießte, «was hältst du von unserem Mr. Bredon?»

«Pyms Schoßhündchen?» fragte Miss Rossiter zurück. «Du wirst noch ein Pfund ums andere zulegen, wenn du weiter so viel von diesem süßen Zeug futterst, Schätzchen. Also ich finde ihn nett, und seine Hemden sind einfach hinreißend. Diesen Stil wird er sich von Pyms Gehalt nur nicht lange leisten können, Bonus hin, Bonus her. Und die seidenen Socken auch nicht.»

«Das stimmt; wahrscheinlich ist er in Samt und Seide aufgewachsen», pflichtete Miss Parton ihr bei. «Einer der neuen Armen, stelle ich mir vor. Sein ganzes Geld bei einer Fehlspekulation verloren oder so.»

«Oder seine Familie hatte es satt, ihn durchzufüttern, und hat ihn vor die Tür gesetzt, damit er selbst nach Futter scharrt», meinte Miss Rossiter. Sie nahm es mit der schlanken Linie ernster als ihre Kollegin und neigte weniger zu Sentimentalität. «Ich habe ihn neulich mal quasi gefragt, was er getan hat, bevor er zu uns kam, und er hat gemeint, so dies und das, und mit Motoren will er ziemlich viel zu tun gehabt haben. Wahrscheinlich war er einer von diesen Silberzungen, die Autos in Kommission verkauften, und als an diesem Geschäft nichts mehr zu verdienen war, mußte er sich Arbeit suchen – sofern man das Texteschreiben Arbeit nennen kann.»

«Ich halte ihn für sehr gescheit», sagte Miss Parton. «Hast du diese irre Schlagzeile gesehen, die er gestern für die Margarine ausgetüftelt hat? ‹Alles in Butter mit Grüne-Aue-Margarine.› Hankie hat sich fast totgelacht. Ich glaube ja, Schoßhündchen wollte ihn nur auf den Arm nehmen. Aber ich meine, er würde auf so was Verrücktes nie kommen, wenn er keinen Grips hätte.»

«Aus ihm wird schon noch ein Texter», erklärte Miss Rossiter entschieden. Sie hatte so viele neue Texter kommen und wie ein Schiff in der Nacht wieder verschwinden sehen, daß sie sich ein ebenso sicheres Urteil erlauben konnte wie die Chefs der Textabteilung. «Er hat das Flair, wenn du verstehst, was ich meine. Der bleibt.»

«Hoffentlich», sagte Miss Parton. «Er hat so gute Manieren. Er wirft einem das Zeug nicht einfach hin, als wenn man ein Stück Dreck wäre, wie der junge Willis. Und er bezahlt seine Teerechnung ganz wie ein Gentleman.»

«Noch ist nicht aller Tage Abend», fand Miss Rossiter. «Bisher hat er eine Teerechnung bezahlt. Ich kriege richtig Bauchkrämpfe, wenn ich mir ansehe, was einige für ein Theater darum machen. Etwa dieser Garrett! Richtig ungezogen war der, wie ich am Samstag hingegangen bin. Er hat mir fast vorgeworfen, ich verdiente am Tee. Anscheinend findet er das lustig. Ich aber nicht.»

«Das hat er nur im Scherz gemeint.»

«O nein. Nicht nur. Und ewig hat er was zu knurren. Ob es Krapfen oder Cremeschnitten gibt, immer ist was nicht in Ordnung damit. Ich hab gesagt: ‹Mr. Garrett›, hab ich zu ihm gesagt, ‹wenn Sie Lust haben, jeden Tag Ihre Mittagszeit zu opfern, um herumzusuchen und nach Möglichkeit etwas zu finden, was jedem recht ist, dann dürfen Sie es herzlich gern machen.› – ‹Aber nicht doch›, sagt er, ‹ich bin doch kein Laufjunge.› – ‹Und was glauben Sie, was ich bin?› frag ich. ‹Vielleicht das Laufmädchen?› Da hat er gemeint, ich soll mich nicht gleich so aufregen. Ist ja alles gut und schön, aber man kriegt es langsam über, besonders bei dieser Hitze, immer herumzurennen für andere.»

Miss Parton nickte. Der Tee war ein ständiger Zankapfel.

«Freund Bredon», sagte sie, «macht jedenfalls keine Schwierigkeiten. Jeden Tag einen trockenen Keks und eine Tasse Tee. Das ist seine Bestellung. Und dann hat er gesagt, er ist gern bereit, genausoviel zu bezahlen wie alle andern, obwohl ihm ja eigentlich ein Nachlaß von 6 Pence zusteht. Ich hab’s gern, wenn ein Mann großzügig ist und höflich mit einem redet.»

«O ja, seine Zunge läuft auf Kugellagern», sagte Miss Rossiter. «Und wie man hört, ist er ein Naseweis.»

«Das sind sie doch alle», antwortete Miss Parton. «Aber sag mal, weißt du schon, was ich gestern gemacht habe? Es war fürchterlich. Bredon kam rein und fragte nach Mr. Hankins Durchschlägen. Ich war furchtbar in Eile mit so einem Quatsch vom alten Copley – der will ja immer alles in fünf Minuten fertig haben –, und da hab ich eben gesagt: ‹Bedienen Sie sich.› Na, und was meinst du? Zehn Minuten später wollte ich irgendwas vom Regal holen, und da sah ich, daß er Mr. Hankins Privatordner mitgenommen hatte. Er muß blind sein, denn da steht doch in großen roten Buchstaben PRIVAT darauf. Hankie hätte natürlich Zustände gekriegt, wenn er’s erfahren hätte. Ich also nichts wie hin zu Bredon, und da saß er da und blätterte seelenruhig in Hankies Privatkorrespondenz, also bitte! Ich sag: ‹Sie haben den falschen Ordner, Mr. Bredon.› Und er wurde nicht mal ein bißchen verlegen! Er gab ihn mir nur grinsend zurück und sagte: ‹Allmählich hatte ich auch den Eindruck. Es ist aber sehr interessant, zu sehen, was alle so verdienen.› Meine Güte, er hatte Hankies Personalliste gelesen! Ich sagte: ‹Aber Mr. Bredon, das dürfen Sie doch nicht lesen. Das ist streng vertraulich.› Und da sagt er nur drauf: ‹So?› und macht ein ganz erstauntes Gesicht.»

«So ein Esel!» meinte Miss Rossiter. «Hoffentlich hast du ihm gesagt, er soll es wenigstens für sich behalten. Bei ihrem Gehalt sind sie doch alle so empfindlich. Dabei weiß ich wirklich nicht, wieso. Aber alle wollen um ihr Leben gern wissen, was die andern verdienen, und haben eine Heidenangst, jemand könnte rauskriegen, was sie selbst bekommen. Wenn Bredon jetzt damit hausieren geht, wird’s einen ganz schönen Aufruhr geben.»

«Ich hab’s ihm eingeschärft», sagte Miss Parton, «und er schien das alles nur komisch zu finden und hat mich gefragt, wie lange er wohl brauchen wird, bis er auf Deans Gehalt kommt.»

«Mal sehen. Wieviel hat Dean denn gekriegt?»

«Sechs Pfund die Woche», antwortete Miss Parton, «und viel mehr war er in meinen Augen auch nicht wert. Ohne ihn wird in der Abteilung jedenfalls ein besseres Klima herrschen, das muß ich sagen. Der konnte einem ja manchmal auf den Wecker gehen!»

«Wenn du mich fragst», sagte Miss Rossiter, «finde ich es nicht gut, daß man die Studierten mit den anderen zusammenwürfelt. Die von der Uni, die können austeilen und einstecken, und keiner bleibt dem anderen etwas schuldig, aber die anderen passen da irgendwie nicht rein. Die fühlen sich immer auf den Schlips getreten.»

«Am meisten regt Ingleby sie auf. Der nimmt ja nie etwas ernst.»

«Das tun die eben alle nicht», legte Miss Rossiter ihren erfahrenen Finger zielsicher auf die offene Wunde. «Für die ist alles nur ein Spiel, aber für Copley und Willis ist alles todernst. Wenn Willis metaphysisch wird, rezitiert Ingleby Limericks. Ich persönlich bin ja tolerant. Mir gefällt das eigentlich sogar. Und die Uni-Leute streiten sich nicht so wie die anderen. Wenn Dean nicht die Treppe runtergefallen wäre, hätte es zwischen ihm und Willis noch mal einen schweren Krach gegeben.»

«Ich habe nie begriffen, worum es dabei ging», bemerkte Miss Parton, wobei sie bedächtig in ihrem Kaffee rührte.

«Ich glaube, daß es was mit einem Mädchen zu tun hatte», sagte Miss Rossiter. «Willis und Dean waren an Wochenenden immer viel zusammen, und plötzlich war’s aus damit. Im März hatten sie mal einen fürchterlichen Krach. Da hat Miss Meteyard sie in Deans Zimmer herumbrüllen hören.»

«Hat sie auch gehört, worum es ging?»

«Nein. Und wie sie nun mal ist, mußte sie an die Wand klopfen und dann hingehen und ihnen sagen, sie sollen doch den Mund halten. Anderer Leute Privatangelegenheiten interessieren sie nicht. Komische Frau. Na, ich glaube, wir verdrücken uns jetzt langsam nach Hause, sonst ist morgen früh überhaupt nichts mit uns anzufangen. War ein ganz guter Film, nicht? Wo ist die Rechnung? Du hast zwei Stück Kuchen mehr gegessen als ich. Deins macht einen Shilling und einen Penny, meins macht neun Pence. Wenn ich dir einen Shilling gebe, und du gibst mir zwei Pence und der Kellnerin zwei Pence und gehst an der Kasse bezahlen, sind wir quitt.»

Die beiden jungen Frauen verließen das Café durch den Ausgang Coventry Street, wandten sich nach rechts und überquerten den Piccadilly Circus, um zur U-Bahn hinunterzusteigen. Als sie das gegenüberliegende Trottoir erreichten, packte Miss Rossiter Miss Parton am Arm.

«Sieh mal! Schoßhündchen! Und groß in Schale!»

«Ach, geh!» erwiderte Miss Parton. «Das ist nicht Schoßhündchen. Doch, er ist es! Sieh dir nur mal diesen Umhang an, und die Gardenie, und – meine Güte! – das Monokel!»

Ohne von diesen Kommentaren etwas zu ahnen, kam der Herr, von dem die Rede war, nachlässig eine Zigarette rauchend auf sie zugeschlendert. Als er mit ihnen auf gleicher Höhe war, setzte Miss Rossiter ein fröhliches Grinsen auf und sagte: «Hallo!»

Der Mann lüftete mechanisch den Hut und schüttelte den Kopf, ohne die höfliche Miene zu verziehen. Miss Rossiters Wangen liefen feuerrot an.

«Er ist es nicht! Wie peinlich!»

«Und dich hat er für eine Dirne gehalten», sagte Miss Parton, ein wenig verlegen, aber nicht ganz ohne Genugtuung.

«Das ist doch nicht zu fassen», stammelte Miss Rossiter perplex. «Ich hätte schwören können –»

«Aber aus der Nähe sieht er ihm gar nicht ähnlich», meinte Miss Parton, im nachhinein klüger. «Ich habe dir ja gleich gesagt, daß er’s nicht ist.»

«Dann hast du gesagt, er ist es doch.» Miss Rossiter warf einen Blick über die Schulter, gerade rechtzeitig, um einen merkwürdigen kleinen Zwischenfall zu beobachten.

Aus Richtung Leicester Square kam eine Limousine angerollt und fuhr gegenüber der Criterion Bar dicht an den Randstein. Der Mann im Abendanzug ging darauf zu und richtete ein paar Worte an den Insassen, wobei er die Zigarette fortwarf und eine Hand auf den Türgriff legte, als wollte er einsteigen. Doch noch ehe er dazu kam, traten plötzlich zwei Männer stumm aus einem Geschäftseingang. Der eine von ihnen sprach mit dem Chauffeur, der andere legte dem eleganten Herrn die Hand auf den Arm. Es wurden ein paar kurze Sätze gewechselt; dann stieg der eine Mann neben dem Chauffeur ein, während der zweite die Tür zum Fond öffnete. Der Mann im Abendanzug stieg ein, der andere folgte, und die ganze Gesellschaft fuhr davon. Das Ganze war so schnell gegangen, daß alles schon so gut wie vorüber war, ehe Miss Parton sich auf Miss Rossiters erstaunten Ausruf hin umdrehen konnte.

«Verhaftet!» hauchte Miss Rossiter mit glänzenden Augen. «Das waren zwei Detektive. Was mag unser Monokelfreund wohl verbrochen haben?»

Miss Parton war ganz aufgeregt.

«Und wir haben ihn sogar noch angesprochen und gedacht, es ist Bredon.»

«Ich habe ihn angesprochen», verbesserte Miss Rossiter. Jetzt plötzlich konnte Miss Parton sich damit brüsten, und dabei hatte sie sich vor ein paar Minuten erst ausdrücklich von dem peinlichen Zwischenfall distanziert; beides konnte man ihr ja nun nicht zubilligen.

«Also gut, du», räumte Miss Parton ein. «Ich muß mich ja doch über dich wundern, Rossie – einfach mit so einem Edelganoven abziehen zu wollen! Jedenfalls, wenn Bredon morgen nicht aufkreuzt, wissen wir, daß er es doch war.»

Aber es konnte kaum Mr. Bredon gewesen sein, denn der erschien am nächsten Morgen wie immer zur Arbeit. Miss Rossiter fragte ihn, ob er einen Doppelgänger habe.

«Nicht daß ich wüßte», sagte Mr. Bredon. «Einer meiner Vettern sieht mir allerdings etwas ähnlich.»

Miss Rossiter erzählte ihm von dem Zwischenfall, wenn auch in leicht abgewandelter Form. Bei näherer Betrachtung fand sie es doch besser, nichts davon zu sagen, daß man sie für ein leichtes Mädchen gehalten hatte.

«Oh, das war bestimmt nicht mein Vetter», antwortete Mr. Bredon. «Er ist ein furchtbar anständiger Mensch. Geht im Buckingham-Palast aus und ein und so weiter.»

«Mir können Sie viel erzählen», sagte Miss Rossiter.

«Ich bin das schwarze Schaf der Familie», sagte Mr. Bredon. «Auf der Straße würde der mich nicht einmal sehen. Das muß also jemand ganz anderes gewesen sein.»

«Heißt Ihr Vetter auch Bredon?»

«O ja», sagte Mr. Bredon.

3Neugierige Fragen eines neuen Texters

Mr. Bredon arbeitete seit einer Woche bei Pyms Werbedienst und hatte bereits das eine und andere gelernt. Er hatte gelernt, wie viele Wörter durchschnittlich auf zehn Zentimeter Textraum passen; daß man Mr. Armstrong mit einem sorgfältig ausgearbeiteten Satzspiegel beeindrucken konnte, Mr. Hankin es dagegen als Zeitverschwendung für einen Texter ansah, sich auch noch darum zu kümmern; daß es gefährlich war, das Wörtchen «rein» zu benutzen, weil es bei leichtfertigem Gebrauch den Auftraggeber einer möglichen Strafverfolgung aussetzte, wohingegen Wörter wie «höchste Qualität», «beste Zutaten» und «unter optimalen Bedingungen verpackt» keinerlei juristische Bedeutung hatten und daher ungefährlich waren; daß es ein Unterschied war, ob man von einem Produkt behauptete, es gebe «Tausenden britischer Arbeiter in unserer Musterfabrik da-und-da Brot und Arbeit» oder ob man es als «durch und durch britische Arbeit» bezeichnete; daß man im Norden Englands die Butter und Margarine gesalzen vorzog, im Süden hingegen frisch; daß der Morning Star