Musik - Ausdruck - Emotion - Benjamin Senz - E-Book

Musik - Ausdruck - Emotion E-Book

Benjamin Senz

0,0

Beschreibung

Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine leicht abweichende Variante der wissenschaftlichen Hausarbeit für das erste Staatsexamen. In der Arbeit wird die Methode der "emotionstheoretischen Analyse" entwickelt und auf Brahms "Ein deutsches Requiem" sowie R. Strauss "Metamorphosen - Studie für 32 Solostreicher" angewendet. Auf diesem Weg ist die Arbeit auch hervorragend geeignet, sich einen Überblick über bestehende Emotionstheorien zu verschaffen, nicht nur in Verbindung mit Musik. Ausgesprochenes Ziel ist es allerdings, musikimmanente emotionale Wirkungen mithilfe dieser Theorien zu erklären und durch die emotionstheoretische Analyse ein Instrument bereitzustellen, mit dessen Hilfe es möglich ist, die emotionale Wirkung von Musik ein Stück vorhersagbar zu machen. Insbesondere für musikpädagogische und musiktherapeutische Forschungsfelder gibt die Arbeit so interessante und hilfreiche Anstöße.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 121

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Vorwort

Die vorliegende Arbeit „Musik-Ausdruck-Emotion: Psychologische Grundlagen und Kompositionstechniken am Beispiel der Trauer“ ist eine leicht abweichende Fassung meiner gleichnamigen Hausarbeit für das Erste Staatsexamen, welche ich im August 2009 im Fachbereich „Systematische Musikwissenschaft“ bei Prof. Dr. Hans Neuhoff an der Hochschule für Musik und Tanz in Köln abgelegt habe. Die Arbeit wurde mit der Note 1,3 bewertet. In der hier vorliegenden Druckversion durfte aus rechtlichen und verlagstechnischen Gründen eine ursprünglich anbei liegende Audio-CD mit den in der Arbeit genannten Klangbeispielen nicht eingefügt werden. Ich verweise unter diesen Bedingungen auf das gründliche Studium der Partituren, anhand der in der Arbeit angegebenen Taktzahlen. Ich empfehle darüber hinaus, die im Anhang dieser Arbeit genannten Aufnahmen der Werke hinzuzunehmen, um zusätzlich zum Studium der Partituren das musikalische Geschehen hörend nachzuvollziehen.

In zusätzlichen Studien widme ich mich der Anwendung meiner emotionstheoretischen Überlegungen und Erkenntnisse aus dieser Arbeit. Zum Beispiel wende ich diese beim Komponieren von Filmmusik an. Ein solches Beispiel kann ich Ihnen, wenn persönliches Interesse besteht, gerne zukommen lassen.

Besonders gut adaptieren lassen sich die emotionstheoretischen Erkenntnisse darüber hinaus auf pädagogische Kontexte. Sie haben, wie auch aus der vorliegenden Arbeit hervorgeht, besondere Relevanz für den Musikunterricht.

Über kurz oder lang wird es daher mein Ziel sein, eine emotionstheoretisch begründete Fachdidaktik des Musikunterrichts zu entwickeln, in welcher emotionstheoretische Erkenntnisse aus kognitiver Psychologie und neuere neurologische Befunde kombiniert werden sollen, speziell auf den Unterrichtsgegenstand Musik abgestimmt.

Für weitere Informationen zu Studien und Materialien, sowie kritische Anmerkungen schreiben Sie mir gerne eine Email an [email protected].

Köln, 06.07. 2010

Benjamin Senz

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung – Begründung der Themenstellung

2. Psychologische Grundlagen

2.1 Emotionstheorien

2.1.1 Die kognitive Emotionstheorie von George Mandler

2.1.2 Die Anwendung Mandlers kognitiver Theorie bei Dowling und Harwood

2.1.3 Weitere relevante emotionstheoretische Ansätze

2.2 Zur Universalität musikalischer Ausdrucksmuster

2.3 Untersuchungen über emotionale Wirkungen von Musik – physiologische Reaktionen auf Musik

3. Die Emotion

Trauer

3.1 Emotionspsychologische Kennzeichnung

3.2 Trauer als musikalischer Topos

4. Emotionstheoretische Analysen an zwei musikalischen Beispielen

4.1 Johannes Brahms – Ein deutsches Requiem

4.1.1 Universelle Ausdrucksmuster für Trauer in Brahms’

Ein deutsches Requiem

4.1.2 Erwartungen und unterbrochene Handlungsabläufe

4.1.3 Der „Chill-Effekt“

4.2 Richard Strauss – Metamorphosen (Studie für 23 Solostreicher)

4.2.1 Universelle Ausdrucksmuster für Trauer in Strauss’ Metamorphosen

4.2.2 Weitere emotionstheoretische Überlegungen

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

7. Anhang

1. Einleitung – Begründung der Themenstellung

Ziel dieser Arbeit ist es, einen Überblick über emotionstheoretische Überlegungen in Verbindung mit Musik zu geben und diese dann an konkreten Beispielen (sowohl an zwei konkreten Musikbeispielen, als auch einer konkreten Emotion, nämlich „Trauer“) zu erproben. Das Ergebnis der Arbeit ist also die Anwendung von Emotionstheorien und emotionstheoretischen Untersuchungen auf ein jeweiliges Musikstück am Beispiel der Emotion Trauer. In diesem Zusammenhang werden Kompositionstechniken nicht nur aus allgemeiner musiktheoretischer Sicht betrachtet, sondern aus dem Blickwinkel verschiedener Emotionstheorien und emotionstheoretischer Untersuchungen. Dieses Vorgehen benennt der Autor der Arbeit „emotionstheoretische Analyse von Musik“. Die emotionstheoretische Analyse soll darüber Aufschluss geben, wie ein spezifisches Stück seine individuelle emotionale Wirkung entfaltet. Daraus können musikalische Ausdrucksmuster, Strukturen und Parameter abgeleitet werden, die emotionale Situationen beim Musikhören beeinflussen.1 Die Analysen beziehen sich auf den Prozess des emotionalen Geschehens, der durch das Musikhören in Gang gesetzt wird. Emotionale Situationen, die durch eigene Musikpraxis oder in Verbindung mit öffentlichen und sichtbaren Musikinterpretationen (z.B. im Konzert), sowie anderen audiovisuellen Reizen beim Musikhören entstehen (z.B. bei Musik im Film oder in der Werbung), werden nicht, oder nur am Rande, berücksichtigt. Es geht also in den Betrachtungen primär um die auditive musikalische Reizwahrnehmung und dadurch ausgelöste emotionale Prozesse. Die Betrachtung richtet sich sowohl auf durch Musik induzierte (d.h. real empfundene und erlebte), als auch durch Musik repräsentierte (d.h. dargestellte, wahrgenommene, doch nicht notwendigerweise real bei sich selbst erlebte) Emotionen, wobei der Schwerpunkt auf die induzierten Emotionen beim Musikhören gelegt wird.

Um eine emotionstheoretische Analyse durchzuführen, ist die nähere Ausführung musiktheoretischer Grundlagen unerlässlich. Dies ist vor allem dann von Bedeutung, wenn konkrete musikalische Ausdrucksmuster näher beschrieben und gekennzeichnet werden, um sie mit einer Emotionstheorie oder deren theoriegeleiteter Forschung in Verbindung zu bringen. Deswegen ist die grundsätzliche Kenntnis musikanalytischer Verfahrensweisen bei der Lektüre notwendig. Juslin und Sloboda bemängeln zwar das „Fehlen eines allgemein anerkannten Verfahrens der Musikanalyse und Strukturbeschreibung“ (Juslin & Sloboda 2005, S. 805), da sich unsere emotionstheoretischen Analysen aber zunächst nur auf Beispiele der abendländischen Musiktradition2 beziehen, reichen kulturspezifische, musiktheoretische Kenntnisse zum Beschreiben von musikalischen Strukturen aus. Zum Nachvollzug der emotionalen Situation beim Hören, liegt eine Audio-CD mit den entsprechenden Musikbeispielen der Arbeit bei (s. Anhang, aus urheberrechtlichen Gründen liegt diese CD nur dem Original der Arbeit bei). Die Analyse erfordert darüber hinaus zwingend die zu Hilfenahme der jeweiligen Partitur (nicht beiliegend).

Die Konzeption der Arbeit gibt folgende Gliederung vor: Zunächst werden psychologische Grundlagen der Emotionstheorien beschrieben. Die später in den emotionstheoretischen Analysen angewandten Theorien und Untersuchungen werden darin zusammenfassend dargestellt, mit Ausblick auf weitere in jeweiligen Kontexten wichtige theoretische Untersuchungen. Dann geht der Autor der Arbeit auf den Aspekt universeller musikalischer Ausdrucksmuster ein. Die Darstellung dieser Grundlagen erfolgt vor allem anhand der Literatur von Juslin, Sloboda und Gabrielsson, die eine umfassende Übersicht über die verschiedensten Aspekte emotionstheoretischer Überlegungen geben,3 und wird an gegebener Stelle erweitert. Dies geschieht bspw. in der ausführlichen Darstellung der kognitiven Emotionstheorie Mandlers (1979; 1984) und der Anwendung derselben bei Dowling & Harwood (1986), sowie der Darstellung empirischer Untersuchungen von Sloboda (1991).

Darauf folgt eine kurze emotionspsychologische Eingrenzung des Begriffes „Trauer“, sowie die Kennzeichnung seiner Bedeutung als musikalischer Topos.

Auf Basis dieser Grundlagen werden die emotionstheoretischen Analysen am Beispiel von Brahms’ Ein deutsches Requiem und Strauss’ Metamorphosen durchgeführt, die daraus abgeleiteten Ergebnisse systematisiert und resümiert.

1 Eine Übersicht hierzu geben Gabrielsson & Juslin (2003, S. 521)

2 Der Autor der Arbeit verwendet diesen Begriff zur Kennzeichnung der Musik, die in westlichen Kulturkreisen gemeinhin als „klassische Musik“ bezeichnet wird, d.h. eine Form von Kunstmusik, die ihren Ursprung hauptsächlich in Westeuropa hat.

3 bspw. Juslin & Sloboda 2001; 2005, Juslin 2004, Juslin & Gabrielsson 2003, Sloboda 1991.

2. Psychologische Grundlagen

„Arguably, emotion is first and foremost a psychological concept (e.g. given the ‘mentalistic’ nature of the construct and its relation to behaviour).” (Juslin & Sloboda 2001, S. 7)4

Wie die Literaturrecherche ergab, sind die meisten Emotionstheorien und emotionstheoretischen Untersuchungen Teilgebieten der Psychologie entsprungen. Die Teilgebiete der Psychologie, die hier zum Tragen kommen, sind vor allem die der kognitiven, Evolutions- und Wahrnehmungs-Psychologie. Der Autor der Arbeit beschäftigt sich in diesem Abschnitt vor allem mit psychologischen Grundlagen der Emotionsforschung in der kognitiven Psychologie. Dabei soll, wo notwendig, auch ein Ausblick auf andere bedeutende Wissenschaftsbereiche und deren relevante Ergebnisse zur Emotionsforschung gegeben werden. Hierzu gehören z.B. Ergebnisse aus der Neurologie (Neurophysiologie) und Biologie (Neurobiologie), auch dort, wo die bisher genannten Wissenschaftsdisziplinen verknüpft werden.

In diesen Wissenschaften wird einerseits die Bedeutung von Musik als „Sprache der Gefühle“ – so wie diese auch in naiven Alltagstheorien gekennzeichnet wird – hervorgehoben und untersucht. So unterstreichen Gaver und Mandler die Bedeutung von Musik für die Emotionsforschung. Sie scheinen im Gegensatz zu Juslin und Sloboda (s.o.) für ihren Wissenschaftsbereich keinen Mangel in der Strukturbeschreibung von Musik zu sehen:

„Another reason that music is a valuable domain in which to study emotion is that music has a structure that is rich, and yet fairly well known.” (Mandler & Gaver 1987, S. 260)5

Sie stellen besonders die Bedeutung der Struktur des spezifischen musikalischen Inputs in das informationsverarbeitende System (Mensch) in den Vordergrund und vertreten damit die kognitive Perspektive.

Andererseits werden Erkenntnisse, die in der allgemeinen Emotionsforschung gewonnen werden, in den systematischen Musikwissenschaften, vor allem der Musikpsychologie (aber auch in Musiksoziologie und der neueren Wissenschaftsdisziplin Biomusikologie) auf Musik angewendet. Dass solche wechselseitigen Beziehungen zwischen Bereichen der allgemeinen Emotionsforschung und musikbezogener Emotionsforschung erkenntnisbringend sind, zeigt z.B. die konkrete Anwendung Mandlers’ allgemeiner Emotionstheorie (1979, 1984) von Dowling und Harwood (1986) auf musikalische Ereignisse und Strukturen.

Es gibt weiterhin auch Emotionstheorien der Philosophie, diese sind jedoch in unserem Kontext nicht relevant. Aus Kapazitätsgründen kann ebenso wenig auf diese, wie auch auf sozialpsychologische oder anthropologische Sichtweisen eingegangen werden.

 

2.1 Emotionstheorien

„Everyone knows what an emotion is, until asked to give a definition“ (Fehr & Russel 1984, S. 464)6

Bevor die Darstellung konkreter Theorien erfolgt, stellt sich die Frage, was eine Emotion überhaupt ist. Es ist bisher noch nicht möglich, eine allgemein gültige Definition von Emotion zu geben. Das liegt an dem hohen Subjektivitätsgrad, der nicht nur in Alltagstheorien von Emotion („Jeder denkt und fühlt unterschiedlich, individuell“) zum Ausdruck kommt. Auch in den systematischen Wissenschaften sind bisher kaum konkrete Aussagen darüber getroffen worden, was Emotionen in ihrem Wesen ausmachen. Wenn überhaupt eine wissenschaftlich tragfähige Definition vorgenommen werden kann, dann von einer jeweiligen Theorie geleitet.7

An dieser Stelle wird deswegen erst einmal dargestellt, wie die Eingrenzung des Begriffes Emotion aus übergreifender Sicht vorgenommen wird und zwischen Begriffen wie Affekt, Stimmung, Emotion und anderen „emotionalen Begriffen“ unterschieden werden kann.

Sloboda und Juslin ordnen Emotionen den sog. „evaluativen Prozessen“ zu (Sloboda & Juslin 2005, S. 768). Hierzu gehören z.B. Affekt, Stimmung, Aktivierung, Gefühl, Präferenz und Vorlieben. Sie diskriminieren wie folgt zwischen den Begriffen Affekt, Emotion und Stimmung (ebd. S. 771):

Affekte

beziehen sich nur auf die positive oder negative Valenz emotionalen Erlebens, sind grundlegendes Merkmal emotionalen Lebens und sind phylo- und ontogenetisch

8

primitiver als Emotionen.

Emotionen

treten meistens dann auf, wenn adaptive Handlungen erforderlich sind.

Stimmungen

dagegen besitzen die Tendenz, die Informationsverarbeitung so zu beeinflussen, dass hiervon Gedächtnisfunktion, Entscheidungsfindung, Bewertung und Denken tangiert sind

Eine Definition von Emotion, die versucht verschiedene wissenschaftliche Perspektiven zu vereinen, stammt von Altenmüller und Kopiez (2005):

„Beim Menschen versteht man unter Emotion ein Reaktionsmuster, dass auf vier Ebenen wirksam wird:

(1) als subjektives Gefühl

(2) als motorische Äußerung, zum Beispiel als Ausdrucks-verhalten in Mimik, Gestik, und Stimme

(3) als physiologische Reaktion des autonomen Nervensystems zum Beispiel in einer Gänsehaut und

(4) als kognitive Bewertung.“

(Altenmüller & Kopiez 2005, S. 163)

Eine „Arbeitsdefinition“ von Emotion, sozusagen als kleinster gemeinsamer Nenner aller wissenschaftlichen Theorien, versuchen Reisenzein und Horstmann (2006, S. 438):9

„(1) Emotionen sind normalerweise bewusste, episodische psychische Zustände wie zum Beispiel Freude, Traurigkeit, Furcht, Hoffnung, Erleichterung, Enttäuschung, Ärger, Mitleid, Stolz usw. (Wir schreiben „normalerweise“ bewusst, um die theoretische Möglichkeit unbewusster Emotionen nicht von vorneherein auszuschließen) (2) Als bewusste Zustände (Gefühle) sind Emotionen durch eine charakteristische Erlebnisqualität gekennzeichnet, sowie typischerweise auch durch Objektgerichtetheit.

(3) Emotionen werden mehr oder weniger regelmäßig von mehr oder weniger emotionsspezifischen physiologischen Veränderungen, Ausdrucksreaktionen und Handlungen begeleitet.“

Wie Gabrielsson (2001) feststellt, kann Musik sowohl bei der Entstehung von zeitlich ausgedehnten Stimmungen, als auch bei situativ auftretenden Emotionen beteiligt sein. Erstere Funktion kommt ihr vor allem in musiktherapeutischem Kontext zu.

Bisher ist es jedoch selten vorgenommen worden, einzelne Emotionstheorien oder emotionstheoretische Untersuchungen konsequent zur Erklärung der emotionalen Wirkung von Musik heranzuziehen. Juslin und Sloboda (ebd. S. 779) bemängeln, dass es vergleichsweise wenige Abhandlungen gibt, die sich mit emotionalen Reaktionen auf Musik beschäftigen. Grund dafür seien mögliche Unterschiede zwischen emotionalen Reaktionen auf Musik und anderen emotionalen Ereignissen. Die Autoren sind jedoch der Meinung, dies seien keine grundlegenden Unterschiede. Ein weiterer Grund für die Vernachlässigung von Musik in der Emotionsforschung ist ihrer Meinung nach, dass von Musik ausgelöste Emotionen als weniger bedeutsam eingeschätzt werden. Im Gegenzug führen sie an, dass gegenwärtig zahlreiche Funktionen von Musik im alltäglichen Gebrauch diskutiert werden (vgl. bspw. Merriam 1971; Mauerhofer 1990; Oerter 2007; Neuhoff 2007), was die Annahme bekräftigt, dass Musik durchaus eine größere Bedeutung im Leben der Menschen einnimmt.

Umgekehrt haben auch Musikpsychologen erst spät damit begonnen, emotionale Reaktionen auf Musik aus der Sicht allgemeiner Emotionstheorien zu betrachten. Es ergeben sich aber, wie noch an den musikalischen Beispielen gezeigt wird, vielfältige Anwendungsmöglichkeiten aus unterschiedlichen Perspektiven. Daher ist es sinnvoll, möglichst viele Linsen unterschiedlicher Brennweite nacheinander aufzusetzen und so den persönlichen Erkenntnisgewinn zu maximieren.

Wie schon erwähnt, gibt es eine bedeutende Anwendung einer allgemeinen Emotionstheorie (Mandler 1984) auf musikbezogene Ereignisse, von Dowling und Harwood (1986). Aufschlussreich ist dabei auch die geleistete Verknüpfung mit der Zeichentheorie von Charles Peirce (1931–35). Eine in ihrer Bedeutung und Ausführlichkeit vergleichbare Anwendung einer Emotionstheorie gibt es bisher nicht, weswegen Mandler’s Emotionstheorie und Dowling und Harwood’s Explikation im Nachfolgenden ausführlich dargestellt werden, und auch später in den emotionstheoretischen Analysen von grundlegender Bedeutung sein soll.

 

2.1.1 Die kognitive Emotionstheorie von George Mandler

Besondere Bedeutung für die Anwendung einer Emotionstheorie auf Musik kommt der kognitiven Theorie von George Mandler zu. Mandler selbst plädierte 1987 für die Verwendung musikalischen Materials beim Studium von Emotionen weil ausreichend Wissen über die Ereignisstruktur der Musik vorhanden und diese so zum Verständnis der emotionalen Reaktionen beitragen könne (s. S. 10–11).

Bevor die Darstellung der Theorie erfolgt, geht der Autor der Arbeit an dieser Stelle kurz auf die historische Entwicklung emotionstheoretischer Überlegungen ein, die Mandler’s Theorie als Grundlage dienen.

Hier sind im Besonderen die Theorie von James (bekannt als „James-Lange-Theorie“) und die Theorie von Schachter bzw. Schachter und Singer zu nennen. Die Darstellung dieser Entwicklung ist größtenteils und sinngemäß bei Reisenzein und Horstmann (2006, S. 440 ff.) entnommen. Einen historischen Abriss gibt aber auch Mandler selbst (Mandler 1979, S. 118 ff.).

James war einer der ersten systematischen Emotionstheoretiker und stellte 1884 in seinem Aufsatz „Was versteht man unter einer Emotion?“ eben diese Frage. Gefühle sind für James „Erlebnisse von Erregtheit“ (vgl. James, 1894, S. 525). Solche Erlebnisse stellen sich als Empfindungen, der bei emotionalen Zuständen auftretenden körperlichen Veränderungen, ein. Somit sieht James körperliche Veränderungen als Ursache der Gefühle an, nicht etwa als Begleiterscheinung derselben, wie es gemeinhin angenommen wird. Notwendig und hinreichend für Gefühle sind für James peripher physiologische Reaktionen, mit denen insbesondere viszerale10 Reaktionen verbunden sind. Unterschiedliche Intensität von Gefühlen erklärt James damit, dass die körperlichen Reaktionen in ihrer Intensität variieren. Eine emotionale Qualität wie Trauer kommt durch ein spezifisches Erregungsmuster zustande.

Vielen Emotionstheoretiker gehen davon aus, dass Gefühle objektbezogen sind. In James’ Theorie vollzieht sich dieser Bezug indirekt, nämlich derart, dass durch objektgerichtete Wahrnehmung physische Reaktionen ausgelöst werden, die dann zur Erregungsempfindung und damit zu Gefühlen führen. Die Objekte sind sozusagen „indirekte“ Gefühlsursachen.

Besonders erwähnenswert ist die Tatsache, dass James annimmt, evaluative Prozesse seien für die Gefühlsentstehung nicht unverzichtbar. So entstünden manche Erregungsempfindungen direkt durch die bloße Wahrnehmung.