My Sweetest Escape - Die schönste Zeit meines Lebens - Chelsea M. Cameron - E-Book

My Sweetest Escape - Die schönste Zeit meines Lebens E-Book

Chelsea M. Cameron

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Beschreibung

Noch vor wenigen Monaten führte Joscelyn Archer das perfekte Teenagerleben. Dann kam dieser Abend, an dem ihre Welt zerbrach. Seitdem ist ihr alles egal. Niemals wird sie wieder das Mädchen werden, das sie einst war. Doch Campus-Bad-Boy Dusty scheint aus irgendeinem Grund entschlossen, sie aus ihrem Schneckenhaus herauszulocken. Und wenn sie nicht aufpasst, wecken seine grünen Augen und sein schelmisches Lächeln Gefühle in ihr, die sie nicht mehr verdient hat. Sie ahnt nicht, dass auch Dusty ein Geheimnis hat. Aus jener Nacht, in der ihr altes Leben endete. Ein Geheimnis, das so schwer wiegt, dass es die Seele von Jos mit einem Schlag erneut zerschmettern könnte.

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Seitenzahl: 506

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Chelsea M. Cameron

My Sweetest Escape – Die schönste Zeit meines Lebens

Roman

Aus dem Amerikanischen von Sophie Schweitzer

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2015 by MIRA Taschenbuch

in der Harlequin Enterprises GmbH

Deutsche Erstveröffentlichung

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

My Sweetest Mistake

Copyright © 2014 by Chelsea Cameron

erschienen bei: HQN Books, Toronto

Published by arrangement with

Harlequin Enterprises II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Covergestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Thorben Buttke

Titelabbildung: Getty Images, München

Autorenfoto: © Harlequin Enterprises S.A., Schweiz

ISBN eBook 978-3-95649-393-5

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.

Alle handelnden Personen in dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.

1. KAPITEL

Ich kann einfach nicht fassen, dass deine Eltern dich zwingen, von hier wegzugehen. Ist das nicht illegal? Schließlich bist du schon über achtzehn. Warum weigerst du dich nicht einfach?“ Kelly saß auf einer der Kisten, in die ich schon fast alle meine Sachen aus meinem Zimmer im Studentenwohnheim gepackt hatte, und ließ ihr Kaugummi knallen. Als wir uns kennenlernten, hatte mich diese Angewohnheit von ihr ohne Ende genervt, doch inzwischen hatte ich mich daran gewöhnt.

„Ich wünschte, das könnte ich, aber sie zahlen mein Schulgeld, daher kann ich im Moment nichts machen“, sagte ich. Mal ganz abgesehen davon, dass niemand sich meiner Mutter widersetzte. Absolut niemand.

„Warum brichst du das Studium nicht einfach ab?“ Tja, darüber hatte ich schon mindestens tausend Mal nachgedacht. Aber es war unmöglich, die Dynamik meiner Familie jemandem wie Kelly zu erklären, die schon auf der Highschool bei ihren Eltern aus- und in eine eigene Wohnung gezogen war.

„Keine Ahnung“, erwiderte ich achselzuckend und verschloss eine weitere Kiste mit Klebeband. Kelly warf ihre blonden zum Pferdeschwanz gebundenen Dreadlocks nach hinten und ließ ihr Kaugummi wieder knallen. Sie hatte mir zwar ihre Hilfe beim Packen angeboten, doch bisher hatte sie mich eher nur davon abgehalten.

„Du kommst doch wenigstens mal zu Besuch, oder?“, fragte sie.

„Ja, klar“, sagte ich mit einem kleinen Lächeln. Wir wussten beide, wie unwahrscheinlich es war, dass ich jemals wieder herkommen würde. Ich legte meine University-of-New-Hampshire-Decke zusammen und stopfte sie in eine weitere Kiste. Meine Mom hatte sie mir im Sommer vor zwei Jahren zum College-Einstand geschenkt.

Ich war eins von nur zwei Kindern unter meinen zahlreichen Geschwistern und Stiefgeschwistern, die die Highschool abgeschlossen hatten und an einem College angenommen worden waren. Weder meine Mom noch mein Dad noch eines meiner Stiefelternteile hatte überhaupt die Schule zu Ende gemacht. Für jemanden aus unserer Familie war es also eine ziemlich große Sache, es so weit geschafft zu haben. Die Einzige, der das ebenfalls gelungen war, war Renee, und das war auch der Grund, weshalb sie mich zurück nach Maine schickten, um bei ihr zu wohnen, nach … nach allem, was passiert war.

Kellys Handy vibrierte. Sie schrieb eine kurze Antwort auf die SMS und grinste mich an.

„Mac will mich auf einen Kaffee treffen.“ Wie üblich wünschte ich mir, sie würde Kaffee in Anführungszeichen setzen, denn wie wir beide wussten, bedeutete das eigentlich, dass sie sich zukifften und auf dem Rücksitz seines verrosteten Pontiac rummachten. Kelly und ihr Freund waren berühmt-berüchtigt; sie waren sogar schon mal am helllichten Tag von der Campus-Security erwischt worden. Es war ein Wunder, dass sie noch nicht vom College geflogen waren. Meiner Meinung nach hing ihre akademische Laufbahn an einem extrem dünnen Faden.

„Dann viel Spaß.“ Ich hatte schon geahnt, dass sie mich für Mac sitzen lassen würde; das tat sie immer. Kelly war eine lausige Freundin, aber sie war die einzige, die ich hatte. Die anderen hatten mich schon vor Monaten fallen gelassen.

„Ruf mich an, bevor du losfährst. Ich will mich wenigstens noch von dir verabschieden.“ Sie stand auf und umarmte mich halbherzig. Es war mehr ein Vorbeugen, das die Arme mit einschloss, und schon vorbei, ehe es richtig begonnen hatte.

„Bis später“, sagte sie und knallte die Tür hinter sich zu. Kelly war einfach nicht in der Lage, einen Raum leise zu verlassen.

Ich starrte auf meine zusammengepackten Sachen. Meine Mitbewohnerin mied mich, und das schon seit Anfang des Semesters. Wir hatten gerade mal zwei Gespräche miteinander geführt – das eine am Tag unseres Einzugs und das andere, als sie mich eines Nachts bewusstlos vor der Tür fand, nach einem etwas aus dem Ruder gelaufenen Abend mit Kelly, Mac und ein paar anderen Leuten, die ich nie wieder gesehen hatte. Vermutlich hätte ich mich sowieso nicht an sie erinnern können.

Ich setzte mich auf die Kiste, auf der Kelly zuvor gesessen hatte, zog die Knie an die Brust und stützte mein Kinn darauf.

Der Streit mit meiner Mutter, als sie mir mitgeteilt hatte, dass ich wieder zurück nach Maine ziehen müsse, ging mir wieder und wieder durch den Kopf. Eigentlich hatten die ganzen Weihnachtsferien aus einem einzigen, nicht enden wollenden Streit bestanden.

Was ist nur los mit dir, Joscelyn? Reiß dich mal zusammen. Du kommst gefälligst zurück nach Maine, andernfalls komme ich zu dir und schleife deinen Hintern persönlich hierher, verstanden?

Reiß dich mal zusammen? Zu Befehl, Mom. Das kam gerade von der Richtigen. Meine Eltern brachten es gemeinsam auf ein halbes Dutzend Ehen und jede Menge Kinder und Stiefkinder. Es war allein schon ein Vollzeitjob, den Überblick über sie alle zu behalten.

Ich hatte mich heiser geschrien, aber das hatte nichts bewirkt. Sie hatte sogar kurzzeitig das Kriegsbeil mit Dad begraben, ihn angerufen und dazu gebracht, mich ebenfalls anzuschreien.

Gegen beide auf einmal kam ich nicht an.

Und dann war da noch Renee.

Wenn meine Mom mich nicht zurück nach Maine gezerrt hätte, dann hätte Renee das übernommen. In gewisser Weise war sie fast schlimmer als Mom.

Wenn man vom Teufel spricht … Mein Handy klingelte, und als ich sah, wer es war, überlegte ich, ob ich überhaupt rangehen sollte.

„Hey“, sagte ich und duckte mich unwillkürlich in Erwartung des Redeschwalls, der sich garantiert über mich ergießen würde.

„Du solltest besser deinen Kram zusammenpacken und endlich losfahren“, sagte sie anstelle einer Begrüßung.

„Freut mich auch sehr, dich zu hören, liebe Schwester.“

„Hör auf mit dem Scheiß, Jos. Davon hab ich so die Schnauze voll. Entweder du machst dich innerhalb der nächsten Stunde auf den Weg oder …“

„Ich weiß, ich weiß. Oder du schneidest mir die Finger ab und nähst sie mir eigenhändig an den Hintern. Ich weiß.“ Eine Schwester zu haben, die sich mit chirurgischen Eingriffen auskennt und außerdem gerade wütend auf einen ist, kann echt nerven.

„Hey, solche Sprüche kannst du dir sparen. Du kannst echt froh sein, dass du hier bei mir wohnen wirst und nicht bei Mom.“ Da war was dran. Bei Mom wäre ich in einem Meer aus Stief- und Halbgeschwistern untergegangen, darunter ein vierjähriges Zwillingspärchen, neben dem der Teufel wirkte wie Mutter Teresa.

„Ich weiß“, sagte ich. Das schien gerade mein Lieblingssatz zu sein.

„Dir soll nur klar sein, dass ich an dir kleben werde wie der Reis am Sushi, und wenn ich nicht da bin, dann wird das jemand anders für mich übernehmen. Du ziehst in ein Haus voller Leute, die jede deiner Bewegungen beobachten und dich im Bedarfsfall zur Rede stellen werden. Verstanden?“

Großer Gott.

„Jupp.“

„Okay. Ich warte auf dich. Ruf mich an, sobald du losfährst.“

„Mach ich. Bis dann.“

Bevor sie noch irgendetwas sagen konnte, legte ich auf. Dann schlug ich die Hände vors Gesicht und schrie hinein. Das Ganze war ein Albtraum, der kein Ende mehr zu nehmen schien.

Ob ich schlief oder wach war, er ließ mich nicht mehr los.

Doch jetzt war ich wach und musste langsam in die Gänge kommen. Also erhob ich mich von der Kiste und hievte sie hoch.

2. KAPITEL

Nachdem ich ungefähr zwölf Mal hin und her gelaufen war und ohne Ende geschwitzt und geflucht hatte, war endlich mein ganzer Kram im Auto verstaut. Obwohl es draußen eiskalt war und mein Atem deutlich in der Januarluft zu sehen war, hatte ich meine Winterjacke ausgezogen und nur noch mein verlottertes Sweatshirt an. Die Leute, die an mir vorbeigingen, warfen mir wissende Blicke zu. Ich wusste, was sie dachten: Noch eine Studentin, die es nicht gepackt hat und der mitgeteilt wurde, dass sie nach den Weihnachtsferien gar nicht erst wieder erscheinen müsse.

Die hatten ja keine Ahnung.

Ich ging zurück in das halb leere Zimmer und schaute mich ein letztes Mal um.

Freiheit ade.

Ich machte mir noch nicht mal die Mühe, meiner Mitbewohnerin eine Nachricht zu hinterlassen, sondern zog einfach nur die Tür hinter mir zu. Sie hätte sowieso keinen Wert darauf gelegt.

Dann schrieb ich Kelly, dass ich jetzt losfuhr, doch sie antwortete nicht. Das überraschte mich nicht. Und außer Kelly gab es niemanden an der University of New Hampshire, von dem ich mich noch hätte verabschieden müssen. Von Matt hatte ich nichts mehr gehört, seit er im Sommer mit mir Schluss gemacht hatte. Und die Leute aus meinem alten kleinen Freundeskreis hatten schon vor langer Zeit den Kontakt mit dem durchgeknallten Emo-Girl abgebrochen, das ich für sie war. Ich hatte mehr als einmal mitbekommen, wie meine Freundinnen hinter meinem Rücken darüber getuschelt hatten, wie sehr ich mich verändert hatte.

Als ich zu meinem Auto zurückkam, fing es gerade an zu schneien. Im Rückspiegel konnte ich kaum etwas erkennen, doch das war egal, ich würde ohnehin die meiste Zeit auf dem Highway fahren.

Ich schloss meinen iPod an das Autoradio an und stellte ihn auf Shuffle. Es würde eine lange Fahrt werden und Musik meine einzige Gesellschaft sein. Der Ärmel meines Sweatshirts rutschte hoch und ließ das Armband zum Vorschein kommen, das ich niemals abnahm. Es war schlicht und bestand nur aus einer Kette mit einem kleinen Elefantenanhänger daran. Ich behielt es als Mahnung, als ständige Mahnung.

Kopfschüttelnd ließ ich das Wohnheim hinter mir und machte mich auf in Richtung Highway und in das nächste Kapitel meines Lebens. Doch ein Neuanfang hat keine Bedeutung, wenn die Schatten der Vergangenheit einen überallhin begleiteten.

Ich brauchte länger als erwartet von New Hampshire zum Haus meiner Schwester in Bangor, Maine. Eigentlich war es gar nicht ihr Haus. Sie wohnte bei einem Typen namens Hunter, der angeblich steinreich war und das Haus gekauft hatte. Renee war gut darin, reiche Freunde zu finden. Außerdem war sie auch wieder mit ihrem Freund Paul zusammen, was ich nur gutheißen konnte, denn sie war eine noch größere Nervensäge als sonst, wenn sie gerade nicht mit ihm zusammen war.

Ich hatte das Haus noch nie gesehen und war daher leicht schockiert, als ich vor der Adresse parkte, die Renee mir gegeben hatte.

„Scheiße“, entfuhr es mir. Es war einfach riesig. Viel größer als Renee hatte durchblicken lassen. Ich hatte mir ein in die Jahre gekommenes, kleines Häuschen vorgestellt, doch dieses hier war größer als sämtliche Häuser, in denen ich je mit Mom oder Dad gewohnt hatte.

Ich nahm meinen Rucksack und stieg die Treppe zur Veranda hinauf. Dabei warf ich einen Blick auf die in der Einfahrt geparkten Autos. Ich erkannte gleich Renees darunter, die Adresse musste also stimmen.

Das Haus hatte sogar eine richtige Klingel. Ich wollte sie gerade betätigen, als die Tür aufflog.

„Da bist du ja! Ich hatte schon Angst, du bist irgendwo im Graben gelandet“, sagte Renee und drückte mich an sich. Überrumpelt von der Umarmung blieb ich stehen und erwiderte sie halbherzig.

„Da bin ich.“

Irgendwie hatte ich es geschafft, ausgerechnet das rezessive Rothaar-Gen aus dem Genpool unserer Familie abzugreifen. Ich hatte karottenfarbenes Haar, Sommersprossen und grüne Augen. Renee hingegen hatte die guten Gene erwischt, mit ihren blauen Augen und ihrem blonden Haar, das sie kaum aufhellen lassen musste. Unsere Gesichtszüge ähnelten sich, doch in der Farbgebung waren wir so unterschiedlich, dass nie jemand uns als Schwestern erkannte.

Schließlich entließ sie mich aus ihrer Umarmung, hielt jedoch meine Schultern fest umklammert und schob mich sogleich ins Haus, als hätte sie Angst, ich würde sofort wieder weglaufen. Wohin ich laufen sollte, war mir allerdings schleierhaft. Renee hatte irgendetwas davon gesagt, dass Stephen King gleich die Straße runter wohnte, aber ich bezweifelte, dass ich mich in seinem Haus sicherer fühlen würde.

„Wie war die Fahrt?“ Renee schloss die Tür hinter uns. Das Geräusch des einrastenden Schlosses hatte etwas Endgültiges.

„Gut“, sagte ich und sah mich um. Scheiße. Ich hatte keine Ahnung, wer das Haus eingerichtet hatte, aber die Person hatte sich ganz offensichtlich an einem dieser Hochglanz-Wohnmagazine orientiert.

Eins war jedenfalls sicher – es sah hier nicht aus wie in einer typischen College-WG. Zum einen war alles blitzsauber, und zum anderen schien die gesamte Einrichtung aufeinander abgestimmt zu sein. Es waren außerdem ziemlich viele Pfauenfedern zu sehen, und auch alles andere war in Pfauenfedernfarben gehalten. Renee hatte irgendwann erwähnt, dass ihre Mitbewohnerin Taylor eine Pfauenfeder-Manie hatte. Ich wusste nicht mehr, weshalb. Ich hatte damals irgendwann aufgehört zuzuhören, wenn Renee von ihrem großartigen und spannenden Leben erzählte, während meines sich in einer Abwärtsspirale befand, die kein Ende zu nehmen schien.

„Hey, Jos. Wie geht’s?“ Paul kam um die Ecke. Er war auf seine nerdige Mittelklasseart ganz niedlich. Mein Typ war er jedoch nicht. Auch wenn ich nicht wirklich einen bestimmten Typ hatte, jedenfalls nicht mehr …

„Alles gut.“ Das war eine Stufe besser als einfach nur „gut“. Niemand fragte groß nach, wenn man „alles gut“ sagte. Aber wenn man nur „gut“ sagte, dann dachten alle, es stimme etwas nicht.

Er umarmte mich etwas ungelenk. Zuletzt hatte ich ihn an Weihnachten gesehen, wo er sich fast durchgehend darum bemüht hatte, Mom und Renee davon abzuhalten, sich gegenseitig zu erwürgen – mit wechselndem Erfolg. Ich hatte versucht, ihm klarzumachen, dass das völlig aussichtslos war, doch er hatte sich nicht davon abbringen lassen.

„Wo sind die anderen alle?“ Ich freute mich darauf, Darah zu sehen und ihren neuen Freund kennenzulernen. Sie gehörte zu den nettesten Menschen, die ich kannte, und ich wusste, wenn mich jemand nicht verurteilen würde, dann war sie es.

„Die wollten uns ein bisschen Zeit alleine geben. Sie kommen später.“ Irgendetwas an der Art, wie sie das sagte, ließ mich misstrauisch werden.

„Sie werden doch keine große Sache draus machen, oder?“ „Nein“, sagte Renee, sah jedoch dabei nicht mich an, sondern warf Paul einen vielsagenden Blick zu. Irgendetwas war hier faul.

„Wie wär’s, wenn wir erst mal deine Sachen reinbringen? Komm, Paul.“ Renee packte Paul an der Hand und zerrte ihn zur Tür hinaus.

„Äh, okay.“ Ich blieb alleine im Flur zurück und beschloss, mir das Wohnzimmer anzuschauen. Es war wunderschön eingerichtet, bis auf einen schäbigen Sessel und die Videospiele, die vermutlich die Jungs hatten herumliegen lassen. Ich entdeckte die Hülle von „Skyrim“ und musste lächeln. Renee konnte nicht genug von diesem Spiel bekommen; über Weihnachten hatte sie stundenlang davorgesessen.

Ich ließ mich auf die Couch fallen und starrte an die Decke. Sogar die war sauber.

Kurze Zeit später war ein dumpfes Geräusch zu hören, und Renee und Paul kamen mit ein paar meiner Taschen herein.

„Da wir nur drei Schlafzimmer haben, wirst du, liebe Schwester, im frisch renovierten Souterrain wohnen. Du kannst froh sein, dass wir beschlossen haben, dort ein Gästezimmer einzurichten“, sagte Renee keuchend.

„Warum zeigst du ihr nicht das Haus und ich hole ihre restlichen Sachen?“, schlug Paul vor. Ich erhob mich von der Couch, und Renee führte mich die Treppe hinunter ins Untergeschoss.

„Willkommen im Jungskeller“, sagte Renee und machte eine ausholende Geste mit dem Arm. Eindeutig ein Jungskeller. Eine Bar, ein Billardtisch, eine weitere riesige Couch und ein Fernseher, der die Größe einer Kinoleinwand hatte. An den Wänden hingen Poster verschiedener Sportteams, darunter die Red Sox, die Patriots und die Celtics.

Renee führte mich zum anderen Ende des Raums, von dem ein kleines Gästezimmer abging, mit einem Bad gleich daneben. Gott sei Dank. Ich würde mir das Bad also nicht teilen müssen. Im Wohnheim hatte ich das so lange gemusst, dass es mir für den Rest des Lebens reichte.

„Also, das ist das Zimmer.“ Der Raum war in Hellbraun und Schwarz gehalten, was etwas langweilig, aber ganz hübsch aussah.

Ich setzte mich auf das große Bett und sah mich in meinem neuen Zuhause um.

„Also, es gibt da ein paar Grundregeln“, sagte Renee und lehnte sich gegen die Kommode. Komm zum Punkt, Schwester, dachte ich.

„Nummer eins“, sagte sie und hielt einen Finger hoch. „Du hältst mich zu jeder Zeit darüber auf dem Laufenden, wo du mit wem zusammen bist. Du wirst über Handy mit mir in Kontakt bleiben und jederzeit rangehen, wenn ich anrufe, egal, was ist.“

Ich hielt den Mund. Ich wollte sie nicht provozieren, indem ich ihre Ansprache unterbrach, die sie eindeutig vorher geprobt hatte – wahrscheinlich mit Paul.

„Zweitens …“, sie hielt einen weiteren Finger in die Luft, „… keine Partys. Kein Alkohol. Keine Drogen. Keine Pillen außer Aspirin. Keine Filmrisse. Drittens wird es immer eine Zeit geben, zu der du zu Hause zu sein hast. Du wirst dich daran halten oder die Konsequenzen tragen. Viertens, auch wenn ich nicht Mom bin: Du wirst mich mit Respekt behandeln, und das gilt auch für die anderen in diesem Haus. Und fünftens …“ Sie schien jedoch keine Nummer fünf parat zu haben.

„Fünftens?“, fragte ich nach ein paar Sekunden Stille.

„Ich hatte noch etwas Fünftes, aber daran kann ich mich gerade nicht mehr erinnern“, blaffte sie. „Das ändert jedoch nichts an den ersten vier Punkten. Erklärst du dich mit denen einverstanden?“

„Ja“, erwiderte ich. Als ob ich eine Wahl hätte …

„Das Ja kam mir ein bisschen zu schnell. Ich glaub dir nicht.“ Guter Gott, jetzt wurde ich noch dafür kritisiert, zu einsichtig zu sein.

„Wie auch immer, Renee. Kann ich jetzt einfach mal alleine sein?“ Ich legte mich auf den Bauch und strich über die Bettwäsche, die zweifelsohne aus hochwertiger Baumwolle bestand und unglaublich weich war. Wie sollte es auch anders sein in diesem Haus.

„Hör mal“, sagte sie und setzte sich neben mich. Oh Mann, so fing sie immer ihre Predigten an. Genau wie Mom. Nur dass Renees immer sehr viel mehr Schimpfwörter enthielten als die von Mom.

„Du machst da einfach gerade eine schwierige Zeit durch. Die hatte ich auch mal, sogar Paul.“ Das konnte ich nicht so recht glauben. Und selbst wenn sie dachte, sie wüsste, was ich gerade durchmachte, hatte sie keine Ahnung, was wirklich in mir vorging. Das hatte niemand, und ich konnte es auch nicht erklären. Ich fummelte an dem Elefantenanhänger an meinem Armband herum.

Plötzlich boxte sie mir gegen die Schulter. Es schmerzte. „Aber jetzt ist es an der Zeit, dass du den Arsch hochkriegst und langsam wieder klarkommst. Verstanden?“

„Wieso so brutal?“ Ich drehte mich auf den Rücken, sprang auf und schubste sie weg. „Es ist nicht meine Schuld, dass Mom mich bei dir abgeladen hat. Ich will genauso wenig hier sein, wie du mich hier haben willst.“

Sie funkelte mich wütend an, ihr Gesicht wurde ganz rot. „Mir gefällt es nicht, dass meine früher immer so perfekte Schwester – die einzige, von der ich immer wusste, dass sie keinen Scheiß bauen würde – auf einmal so abrutschen würde. Du warst diejenige, um die ich mir nie Sorgen gemacht habe. Du hattest bessere Noten, als ich mir je hätte erhoffen können. Du warst immer die Gute. Und dann …“

Sie brauchte gar nicht weiterzureden. Und dann war all das passiert, und das Mädchen, das immer nur Einsen bekam, das in jedem Club die Vorsitzende werden wollte, das stets nichts Geringeres angepeilt hatte, als Jahrgangsbeste zu werden und eines Tages eine große Firma zu leiten oder für die Regierung zu arbeiten und irgendwas Bedeutendes aus ihrem Leben zu machen, war verschwunden.

Vor neun Monaten hatte sich auf einen Schlag mein ganzes Leben geändert, und alles, was ich früher gewollt hatte, war mir plötzlich dumm und sinnlos erschienen. Oder mir war nur endlich klar geworden, wie dumm und sinnlos es war. Das hatte weniger mit dem zu tun, was passiert war, sondern vor allem mit ihm. Allein der Gedanke an ihn fühlte sich an, als bekäme ich eine Kugel in die Brust.

„Ja, und dann hab ich mir in den Kopf gesetzt, alles zu versauen, ich weiß. Ich kenne die Geschichte, ich war dabei. Du brauchst sie mir nicht noch mal zu erzählen.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Na ja, da sonst alles nichts gebracht hat, dachte ich, ich versuch’s mal. Ich hatte auch erwogen, dich bewusstlos zu prügeln, aber so was ist ja heutzutage verpönt.“

„Mach ruhig“, sagte ich und setzte mich wieder hin. Das würde ihr auch nichts bringen.

„Oh, das würde ich gerne, das kannst du mir glauben. Aber dann wärst du erst mal ausgeknockt, und ich würde nichts mehr aus dir rausbekommen, daher …“

„Und was willst du aus mir rausbekommen?“

„Was ist passiert, dass du so geworden bist?“

Das war eine Info, die sie ruhig versuchen konnte, aus mir rauszuprügeln, sie würde sie nicht bekommen. Ich schob sie zur Seite und ging zurück in den Hauptraum des Untergeschosses.

„Ich hab wohl einfach nur festgestellt, dass dieser ganze Kram Bullshit ist. Gute Noten bekommen, die brave Tochter sein. Wohin hat mich das gebracht? Nirgendwohin. Und ich war unglücklich. Ich hatte nie einfach mal Spaß, weil ich immer nur gearbeitet oder mich bemüht habe, gute Noten zu bekommen, oder irgendein Event für einen der eine Million Clubs geplant habe, in denen ich Mitglied war. Ich war es einfach leid, okay?“ Ich verstand ja, dass sich alle Sorgen machten, weil ich ständig Party machte und so, aber nur weil ich keine Einsen mehr nach Hause brachte, mussten sie ja nicht gleich einen Herzinfarkt bekommen.

Renee packte mich an der Schulter, um mich davon abzuhalten, die Treppe hochzurennen. Ich versuchte sie abzuschütteln, doch sie riss mich zu sich um, sodass wir einander ansahen.

„Nein, das kann es nicht sein. Du hast dich dein ganzes Leben an die Regeln gehalten. Man legt dann nicht einfach einen Hebel um und dreht sich um hundertachtzig Grad, nur um sich zu ändern. Menschen verändern sich nicht einfach so, es sei denn, irgendetwas bringt sie dazu.“ Dieses Gespräch hatte ich schon x-mal mit ihr geführt, ebenso wie mit meinen Eltern, meinem Exfreund und meinen ehemaligen Freundinnen. Ihnen allen hatte ich das Gleiche gesagt.

„Lass mich einfach in Ruhe.“ Und irgendwann hatte das auch jeder getan.

Renee funkelte mich an; ihre Augen waren stahlblau, wie immer, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. Es würde nicht leicht werden, sie davon abzubringen, etwas aus mir herauszubekommen. Ein sturer Bock war nichts gegen sie.

„Also gut. Dann hol mal den Rest deiner Sachen.“ Sie ließ meinen Arm los und deutete mit einer Kinnbewegung auf die Treppe.

„Also gut“, erwiderte ich und stapfte die Stufen hoch.

3. KAPITEL

Hey, Jos“, rief Darah, die plötzlich in meinem Zimmer stand, als ich gerade meine Klamotten in die Kommode räumte. Sie hatte mir einen solchen Schrecken eingejagt, dass ich das Fall-Out-Boy-Shirt fallen ließ, das ich gerade neu gefaltet hatte.

„Hey.“ Ich hob das Shirt auf und drehte mich um. Ich hatte nie richtig verstanden, wie Darah und Renee sich hatten anfreunden können, denn sie waren verschieden wie Tag und Nacht. Doch von allen Freundinnen, die Renee hatte, mochte ich sie am liebsten. Taylor hatte ich noch nicht kennengelernt, daher konnte ich über sie nichts sagen.

„Findest du dich gut ein?“ Erst jetzt bemerkte ich, dass sie einen Teller Kekse in der Hand hielt. Oh Gott, was würde noch kommen? „Willst du einen? Taylor und ich haben sie gestern Abend gebacken. Es sind Zimtkekse. Die magst du doch am liebsten, oder?“ Ja, das tat ich, aber das spielte gerade keine große Rolle.

„Danke, aber ich hab keinen Hunger.“ Ich faltete das T-Shirt erneut und legte es zu den anderen. Darah seufzte und setzte sich auf mein Bett, den Keksteller stellte sie neben sich ab.

„Hör mal“, begann sie. Da wären wir also wieder. „Ich weiß, dass alle dich unter die Lupe nehmen und ausfragen werden, aber du sollst wissen, dass ich für dich da bin. Ob du nun reden willst oder nicht. Egal, was es ist. Sogar wenn du … keine Ahnung, mitten in der Nacht Eis essen oder einfach nur heulen willst. Ich bin da, okay?“

Sie stand auf und rieb mir die Schulter. Warum mussten nur ständig alle in meine Privatsphäre eindringen? Das fing langsam wirklich an zu nerven. Wenn Darah nicht einer der nettesten Menschen auf Erden gewesen wäre, hätte ich ihre Hand abgeschüttelt und sie angeschnauzt, dass sie mich in Ruhe lassen sollte. Doch sie war die liebste Person, die ich kannte, und sie hatte mir Kekse gebracht, also ließ ich ihre Berührung mit zusammengepressten Zähnen über mich ergehen.

„Okay, also lass uns einfach wissen, wenn du etwas brauchst. Und übrigens, Hunter und Taylor kochen heute Abend, irgendwas Vegetarisches, falls das in Ordnung für dich ist.“ Ich nickte. Früher war ich mit Unterbrechungen auch Vegetarierin gewesen. Damals, als ich im Klimawandelclub gewesen war und eingetragenes Mitglied bei PETA. Die Mitgliedskarte musste immer noch irgendwo in meinem Portemonnaie stecken. Oh Mann, bin ich damals beschäftigt gewesen. Ich habe auch sehr viel weniger geflucht.

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