Nacht des Begehrens - Kresley Cole - E-Book
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Kresley Cole

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Beschreibung

Auf den Spuren ihrer verstorbenen Eltern reist die junge Halbvampirin Emmaline durch Europa. In Paris begegnet ihr der gut aussehende, wenn auch reichlich ungehobelte Lachlain MacRieve, der Anführer des schottischen Klans der Lykae. Nach hunderten Jahren der Einsamkeit ist Lachlain fest davon überzeugt, dass Emmaline seine Seelengefährtin ist, obwohl er Vampire eigentlich zutiefst verabscheut. Er entführt sie auf seine Burg in Schottland, um sie zu seiner Geliebten zu machen. Emmaline fühlt sich von Lachlains ungezähmter Leidenschaft abgestoßen und verfällt doch mehr und mehr seiner dunklen Verführungskunst ...

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Kresley Cole

Roman

Ins Deutsche übertragen von Bettina Oder

Für Richard, meinen wahren, lebendigen Wikinger

Prolog

Bisweilen legt sich das Feuer, das ihm die Haut von den Knochen frisst.

Es ist sein Feuer. Im geheimsten Winkel seines Verstandes, der immer noch zu rationalem Denken fähig ist, ist er fest davon überzeugt. Es ist sein Feuer, weil er es über Jahrhunderte hinweg mit seinem zerrütteten Körper und seinem vermoderten Geist genährt hat.

Vor langer Zeit – wer weiß, wie viel Zeit sich inzwischen dahingeschleppt hat – hat ihn die Vampirhorde in diese Katakomben tief unter Paris eingesperrt. Er ist mit Ketten an einen Felsen gefesselt. Der Hals sowie Arme und Beine sind an jeweils zwei Stellen an den Stein gekettet, vor ihm: ein Feuer speiendes Tor zur Hölle.

Hier wartet und leidet er. Er wird als Opfer einer Feuersäule dargeboten, die manchmal schwächer wird, aber niemals erlischt – genauso wenig wie sein Leben. Sein Dasein besteht einzig und allein darin, wieder und wieder in den Flammen umzukommen, nur um durch seine Unsterblichkeit stets aufs Neue ins Leben zurückgerufen zu werden.

Immer wieder hat er sich in allen Einzelheiten ausgemalt, wie er Vergeltung üben wird. Die Wut in seinem Herzen zu schüren ist alles, was ihm geblieben ist.

Bis sie kam.

Im Lauf der Jahrhunderte erlauschte er bisweilen unheimliche neue Dinge auf den Straßen über ihm. Zuweilen konnte er riechen, wie sich die Jahreszeiten in Paris veränderten. Aber jetzt hat er sie gewittert, seine Gefährtin – die eine Frau, die nur für ihn geschaffen ist. Die eine Frau, nach der er tausend Jahre lang ohne Unterlass gesucht hatte – bis zum Tag seiner Gefangenschaft.

Die Flammen sind zurückgegangen. In diesem Augenblick weilt sie irgendwo über ihm, dort oben. Es ist genug! Ein Arm spannt sich gegen seine Fesseln, bis das schwere Metall tief in seine Haut schneidet. Erst rinnen einige Blutstropfen, dann läuft es in Strömen. Alle Muskeln seines geschwächten Körpers kämpfen gleichzeitig, um das zu erreichen, was ihm seit einer Ewigkeit versagt blieb. Für sie kann er es schaffen. Er muss … Sein Gebrüll verwandelt sich in ersticktes Husten, als er zwei seiner Fesseln sprengt.

Er hat keine Zeit, ungläubig zu bestaunen, was ihm gelungen ist. Sie ist so nahe, dass er sie fast spüren kann. Er braucht sie. Es gelingt ihm, seinen anderen Arm loszureißen.

Mit beiden Händen packt er das Metall, das tief in seinen Hals schneidet. Er erinnert sich noch undeutlich an den Tag, als der lange, starke Bolzen mit einem Hammer eingeschlagen wurde. Ihm ist bewusst, dass dessen beide Enden mindestens einen Meter tief in den Fels reichen. Seine Kraft schwindet, aber nichts kann ihn aufhalten, jetzt, wo sie so nahe ist. In einer Wolke aus Staub und Gesteinsbrocken löst sich das Metall, durch den Rückstoß fliegt es quer durch den höhlenartigen Raum.

Er zerrt an dem metallenen Band, das seinen Oberschenkel fesselt, bis er es, und auch das zweite um seinen Knöchel, losgerissen hat. Dann wendet er sich den letzten beiden zu, die sein anderes Bein festhalten. Er reißt daran, ohne an sich hinunterzublicken, in Gedanken sieht er sich schon als freier Mann. Nichts. Irritiert zieht er die Brauen zusammen. Er versucht es noch einmal, spannt alle seine Muskeln an, vor Verzweiflung laut stöhnend. Nichts.

Ihr Duft verfliegt schon wieder –es bleibt keine Zeit. Ohne jedes Mitleid betrachtet er sein gefesseltes Bein. Er stellt sich vor, wie er sich in ihr verliert und jeglichen Schmerz vergisst. Er sehnt sich danach, in ihr alles zu vergessen. Mit bebenden Händen packt er sein Bein über dem Knie und versucht, den Knochen zu brechen. Seine Schwäche ist schuld daran, dass ihm dies erst nach einem halben Dutzend Versuchen gelingt.

Seine Klauen durchtrennen Haut und Muskeln, aber der Nerv, der an seinem Oberschenkelknochen entlangläuft, ist so angespannt wie eine Klaviersaite. Sobald er sich ihm auch nur nähert, schießt unvorstellbarer Schmerz hindurch, der in seinem Oberkörper explodiert, und alles um ihn herum wird dunkel.

Zu schwach. Der Blutverlust zu groß. Bald schon wird das Feuer wieder auflodern. Auch die Vampire kehren von Zeit zu Zeit zurück. Sollte er sie genau in dem Augenblick verlieren, in dem er sie endlich gefunden hat?

„Niemals“, stößt er krächzend hervor. Er ergibt sich der Bestie, die in ihm schlummert, der Bestie, die sich mit ihren Zähnen die Freiheit erkämpft, die aus der Gosse trinkt und Abfall durchwühlt, um zu überleben. Er betrachtet die fieberhafte Amputation, als ob er aus der Ferne ein Unglück beobachtete.

Kriechend entfernt er sich vom Ort seiner Folter, an dem er sein Bein zurücklässt. Er schleppt sich durch die Schatten der dumpfen, nasskalten Katakomben, bis er einen Durchgang erspäht. Ständig auf der Hut vor seinen Feinden, schiebt er sich durch die Knochen, mit denen der Boden übersät ist, um ihn zu erreichen. Er hat keine Ahnung, wie lange seine Flucht dauern wird, aber er findet den Weg – und die Kraft –, indem er ihrer Witterung folgt. Mit größtem Bedauern denkt er an den Schmerz, den er ihr bereiten wird. Sie wird mit ihm eine Verbindung eingehen, durch die sie sein Leiden und sein Entsetzen fühlen wird wie ihr eigenes.

Doch das ist nicht zu ändern. Seine Flucht gelingt. Er tut, was er tun muss. Kann sie ihn vor seinen Erinnerungen retten, wenn seine Haut immer noch brennt?

Zentimeter für Zentimeter kämpft er sich an die Oberfläche empor und findet sich schließlich in einer dunklen Gasse wieder. Aber ihre Witterung beginnt zu verblassen.

Das Schicksal hat sie ihm im Augenblick der größten Not geschickt, und Gott helfe ihm –und dieser Stadt –, sollte er nicht in der Lage sein, sie zu finden. Er ist für seine Grausamkeit berühmt und berüchtigt, und er wird ihr rücksichtslos freien Lauf lassen – für sie.

Es gelingt ihm nur mit Mühe, sich an eine Mauer gelehnt aufzusetzen. Seine Klauen hinterlassen tiefe Furchen im Pflaster der Straße, während er mit aller Kraft darum kämpft, seinen keuchenden Atem zu beruhigen, damit er ihre Witterung wieder aufnehmen kann.

Brauche sie. Mich in ihr verlieren. So lange gewartet …

Ihr Duft ist fort.

Angesichts dieses Verlusts füllen sich seine Augen mit Tränen, und er beginnt heftig zu zittern. Ein schmerzerfüllter Schrei lässt die Stadt erbeben.

In einem jeden von uns, selbst in guten Menschen, schlummert ein gesetzloses, wildes Tier, das nur im Schlaf zum Vorschein kommt.

Sokrates (469–399 v. Chr.)

1

Eine Woche später …

Auf einer Insel in der Seine, vor dem Hintergrund einer zeitlosen Kathedrale, kamen die Bewohner von Paris zusammen, um sich zu amüsieren. Emmaline Troy suchte sich ihren Weg durch Feuerspucker, Taschendiebe und die chanteurs de rue. Sie schlenderte durch ganze Scharen schwarz gekleideter Gothics, die Notre Dame umschwärmten, als ob die Kirche ihr Mutterschiff wäre, das sie nach Hause gerufen hätte. Und dennoch erregte sie Aufmerksamkeit.

Die menschlichen Männer, an denen sie vorbeiging, wandten ihr langsam die Köpfe zu, um sie zu betrachten, meist mit gerunzelter Stirn – sie spürten etwas, waren sich aber nicht sicher, was. Wahrscheinlich eine genetisch bedingte Erinnerung aus ferner Vergangenheit, in der sie ihre wildeste Fantasie oder ihren düstersten Albtraum wiedererkannten.

Emma war weder das eine noch das andere.

Sie war eine Studentin in Paris – genauer gesagt, eine frischgebackene Absolventin der Tulane University in New Orleans –, einsam und hungrig. Erschöpft, nachdem sie ein weiteres Mal erfolglos nach Blut Ausschau gehalten hatte, ließ sie sich auf eine Bank unter einer Kastanie sinken, den Blick fest auf eine Kellnerin gerichtet, die im Café gegenüber eine Espressomaschine bediente. Wenn doch Blut nur ebenso leicht fließen würde, sinnierte Emma. Ja, wenn es warm und sättigend aus einem nie versiegenden Hahn fließen würde, dann würde sich ihr Magen nicht schon beim bloßen Gedanken daran vor Hunger zusammenkrampfen.

Hungertod in Paris. Noch dazu ohne einen Freund. Konnte es etwas Schlimmeres geben?

Die Liebespaare, die Hand in Hand über den Kiesweg spazierten, schienen sie in ihrer Einsamkeit zu verspotten. Lag das bloß an ihr oder sahen sich Liebende in dieser Stadt noch verliebter an? Vor allem im Frühling. Krepiert doch alle, ihr Bastarde!

Sie seufzte. Es war nicht deren Fehler, dass sie Bastarde waren, die den Tod verdienten.

Der Blick aus ihrem leeren Hotelzimmer und die Vorstellung, dass sie in der Stadt der Lichter einen neuen Blutdealer finden könnte, hatten sie dazu veranlasst, sich in dieses Getümmel zu stürzen. Ihr früherer Dealer hatte sich aus dem Staub gemacht, er hatte Paris verlassen und war nach Ibiza geflüchtet. Er hatte keine vernünftige Erklärung abgeliefert, warum er seinen Job aufgab, sondern nur gesagt, dass in „gä Pari“ mit der „Ankunft des auferstandenen Königs“ so eine „verdammte Riesenscheiße“ im Anmarsch sei. Was auch immer das heißen sollte.

Als Vampir war sie ein Mitglied des Mythos, jener bunten Schar von Lebewesen, die die Menschen zu der Überzeugung gebracht hatten, dass sie ausschließlich in deren Fantasie existierten. Doch auch wenn hier zahlreiche Angehörige der Mythenwelt anwesend waren, war es Emma bislang nicht gelungen, einen Ersatz für ihren Dealer zu finden. Jedes Geschöpf, das sie aufspürte, um es zu fragen, flüchtete vor ihr, nur weil sie ein Vampir war. Sie machten sich eiligst aus dem Staub, ohne zu ahnen, dass Emma nicht einmal ein Vollblutvampir war, geschweige denn, dass sie ein Feigling war, der noch nie im Leben ein anderes Lebewesen gebissen hatte. Wie ihre grimmigen Adoptivtanten so gerne Gott und aller Welt erzählten: „Emma weint schon rosafarbene Tränchen, wenn sie auch nur einen Schmetterlingsflügel streift.“

Emma hatte darauf bestanden, diese Reise zu machen, doch erreicht hatte sie nichts. Ihre Suche nach Informationen über ihre verstorbenen Eltern – ihre Mutter war eine Walküre und ihr unbekannter Vater ein Vampir – war ein kompletter Fehlschlag. Ein Fehlschlag, der seinen triumphalen Höhepunkt damit erreichen würde, dass sie ihre Tanten anrufen musste, damit die sie abholten. Weil sie nicht einmal in der Lage war, sich selbst zu ernähren. Erbärmlich. Sie seufzte. Damit würde sie sicher die nächsten siebzig Jahre lang aufgezogen werden.

Sie hörte ein Krachen, und noch bevor sie Zeit hatte, die Kellnerin zu bedauern, der man nun bestimmt den Lohn kürzen würde, ein weiteres Krachen und dann noch eins. Voller Neugier wandte sie den Kopf – gerade als auf der anderen Seite des Weges ein Sonnenschirm fünf Meter hoch in die Luft katapultiert wurde, um anschließend in die Seine hinabzuflattern. Ein Ausflugsschiff ließ sein Horn ertönen und gallische Flüche wurden laut.

Im dämmrigen Licht der Fackeln sah sie einen hochgewachsenen Mann, der Tische, die Staffeleien der Künstler und Bücherstände, an denen jahrhundertealte Pornografie verkauft wurde, umstieß. Touristen schrien und flüchteten angesichts der Spur der Verwüstung, die er hinterließ. Mit einem leisen Aufschrei sprang Emma auf, während sie gleichzeitig den Riemen ihrer Tasche über die Schulter streifte.

Er bahnte sich seinen Weg direkt auf sie zu. Sein schwarzer Trenchcoat flatterte hinter ihm her. Seine Größe und seine unnatürlich geschmeidigen Bewegungen ließen sie daran zweifeln, dass er ein Mensch war. Sein dichtes, langes Haar verbarg einen Großteil seines Gesichts, und Bartstoppeln, die wohl schon einige Tage lang ungehindert hatten wachsen dürfen, verdunkelten seine Wangen.

Mit bebender Hand zeigte er auf sie. „Du“, stieß er knurrend hervor.

Sie warf hastige Blicke über beide Schultern zurück, um zu sehen, wer denn wohl dieses bedauernswerte Du sein könnte, an das er sich wendete. Sie. So ein verfluchter Mist, dieser Verrückte meinte sie!

Er drehte die Handfläche nach oben und winkte sie zu sich heran, so als sei er vollkommen davon überzeugt, dass sie dem Folge leisten würde.

„Äh, i-ich kenne Sie doch gar nicht“, brachte sie mit dünner Stimme hervor. Sie versuchte, sich rückwärts von ihm fortzubewegen, stieß aber sofort gegen die Bank.

Unbeirrt kam er weiter auf sie zu, ohne auf die Tische zu achten, die zwischen ihnen standen. Er stieß sie einfach beiseite wie Spielzeug, statt nur einen Schritt vom direkten Kurs auf sie abzuweichen. In seinen hellblauen Augen brannte grimmige Entschlossenheit. Je näher er ihr kam, umso deutlicher spürte sie seine Wut. Sie war zutiefst beunruhigt. Schließlich galt ihre Art als Raubtier der Nacht und nicht als Beute. Und weil sie im Grunde ihres Herzens eben ein Feigling war.

„Komm.“ Er spuckte dieses eine Wort aus, als ob es ihn Überwindung kostete, und winkte ihr erneut zu.

Mit weit aufgerissenen Augen schüttelte sie den Kopf. Dann setzte sie rücklings mit einem Satz über die Bank hinweg, wobei sie sich in der Luft drehte, sodass sie ihm den Rücken zuwandte, als sie landete. Sie rannte den Kai entlang. Nach über zwei Tagen ohne Blut fühlte sie sich schwach, aber panische Angst beschleunigte ihre Schritte, als sie kurz darauf die Brücke Pont de l’Archevêché überquerte, um die Insel zu verlassen.

Drei Blocks geschafft … vier. Sie riskierte einen Blick zurück und konnte ihn nicht entdecken. Hatte sie ihn abgeschüttelt? Sie stieß einen Schrei aus, als auf einmal laute Musik in ihrer Tasche losplärrte.

Wer zum Teufel hatte denn bloß den „Crazy Frog“-Klingelton auf ihr Handy runtergeladen? Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen. Tante Regin. Die unreifste Unsterbliche auf der ganzen Welt, die aussah wie eine Sirene und sich aufführte wie ein alberner Teenager.

Handys wurden in ihrem Koven ausschließlich in dringenden Notfällen benutzt. Das Klingeln würde bei ihrer Jagd in den finsteren Gassen von New Orleans nur stören, und schon ein Vibrationsalarm würde ausreichen, um das zuckende Ohr einer niederen Kreatur auf sich aufmerksam zu machen.

Sie klappte es auf. Wenn man vom Teufel spricht: Regin die Ränkevolle.

„Hab gerade keine Zeit!“, blaffte Emma sie an. Sie warf einen weiteren Blick über die Schulter.

„Lass alles stehen und liegen. Verschwende keine Zeit mit Packen. Annika will, dass du dich auf der Stelle zum Flugplatz begibst. Du bist in Gefahr.“

„Öh.“

Klick. Das war keine Warnung – das war eine Zusammenfassung dessen, was eben passiert war.

Nach den Einzelheiten würde sie sich erkundigen, sobald sie an Bord des Flugzeugs war. Als ob sie noch einen Grund brauchte, um nach Hause zu fliegen. Schon die Erwähnung einer Gefahr reichte, damit sie zu ihrem Koven zurückflüchtete, zu ihren Tanten, den Walküren, die jeden töten würden, der sie bedrohte, und alles Böse von ihr fernhielten.

Als sie versuchte, sich an den Weg zum Flugplatz zu erinnern, auf dem sie gelandet war, fing es an zu regnen. Zunächst warm und leicht – die verliebten Paare des April lachten, während sie unter Markisen Schutz suchten –, doch bald prasselten eisige Fluten hernieder. Sie gelangte auf eine Avenue voller Menschen und fühlte sich schon sicherer, während sie sich ihren Weg durch den Verkehr bahnte. Sie wich Autos aus, deren Scheibenwischer und Hupen auf Hochtouren liefen. Ihren Verfolger konnte sie nirgends entdecken.

Da sie nur ihre Umhängetasche dabeihatte, kam sie rasch voran. Sie hatte bereits einige Kilometer zurückgelegt, als sie einen öffentlichen Park erblickte und dahinter den Flugplatz. Sie konnte schon die verschwommene heiße Luft um die Triebwerke herum erkennen, die gerade warmliefen, und sah, dass die Blenden an den Fenstern alle heruntergezogen waren. Fast am Ziel!

Emma war inzwischen davon überzeugt, dass sie ihn abgehängt hatte, weil sie so schnell war. Sie war eine Meisterin in der Kunst, Gegebenheiten anders wahrzunehmen, als sie in Wirklichkeit waren. Im Grunde war sie überaus geschickt darin, sich etwas vorzumachen. Sie konnte sich einreden, dass es ihr freier Wille wäre, Abendkurse zu besuchen, oder dass das Erröten eines Menschen sie nicht durstig machte …

Da ertönte ein bösartiges Knurren. Ihre Augen weiteten sich, aber sie drehte sich nicht um, sondern rannte über das Rollfeld, so schnell sie konnte. Dann spürte sie, wie sich Krallen in einen ihrer Fußknöchel gruben, einen Augenblick bevor sie im Matsch landete und auf den Rücken geworfen wurde. Eine Hand bedeckte ihren Mund, obwohl sie darin geübt war, nicht zu schreien.

„Du darfst niemals vor jemandem wie mir weglaufen.“ Ihr Angreifer klang nicht menschlich. „Du kannst nicht entkommen. Außerdem mögen wir es.“ Seine Stimme war kehlig, rau, wie die eines Tieres, aber sein Akzent klang … schottisch?

Als sie nun durch den Regen hindurch zu ihm hochblickte, musterte er sie mit Augen, die in dem einen Augenblick golden schimmerten und im nächsten in einem unheimlichen Blau flackerten. Nein, definitiv nicht menschlich.

Aus der Nähe konnte sie sehen, dass seine Gesichtszüge ebenmäßig waren, männlich. Eine kantige Kieferpartie und ein entschlossenes Kinn vervollständigten die wie gemeißelt wirkenden Züge. Er war ein schöner Mann, so schön, dass sie fast glaubte, er müsse ein gefallener Engel sein. Es war möglich. Wie könnte ausgerechnet sie irgendetwas für unmöglich halten?

Die Hand, die ihren Mund bedeckt hatte, umfasste jetzt grob ihr Kinn. Er kniff die Augen zusammen und starrte auf ihre Lippen – auf ihre kaum erkennbaren Fangzähne. „Nein“, stieß er mit erstickter Stimme hervor. „Unmöglich …“ Er riss ihren Kopf zur Seite, strich mit seinem Gesicht dicht an ihrem Hals entlang, schnupperte an ihr und knurrte dann wütend. „Verdammt seist du!“

Als sich seine Augen unvermittelt blau färbten, stieß sie einen Schrei aus; sie schien keine Luft mehr zu bekommen.

„Kannst du dich translozieren?“, fragte er mit rauer Stimme, als ob ihm das Sprechen schwerfiele. „Antworte mir!“

Sie schüttelte verständnislos den Kopf. Mit Translokation bezeichnete man die Fähigkeit der Vampire, sich zu teleportieren, also zu verschwinden und wie aus dem Nichts wieder aufzutauchen. Dann weiß er also, dass ich ein Vampir bin?

„Kannst du es?“

„N-nein.“ Ihr hatte es immer an der nötigen Kraft oder Geschicklichkeit gefehlt. „Bitte.“ Sie blinzelte den Regen aus ihren Augen und warf ihm einen flehentlichen Blick zu. „Sie haben die falsche Frau.“

„Ich schätze, ich bin in der Lage, dich zu erkennen. Aber wenn du willst, werde ich auf Nummer sicher gehen.“ Er hob eine Hand – um sie zu berühren? Zu schlagen? Sie kämpfte gegen ihn an, fauchte verzweifelt.

Eine schwielige Hand packte sie im Nacken, seine andere Hand umklammerte ihre Handgelenke, während er sich zu ihrem Hals hinunterbeugte. Sie zuckte zusammen, als sie seine Zunge auf ihrer Haut spürte. Sein Mund war heiß in der kalten, nassen Luft, sodass sie erbebte, bis sich ihre Muskeln verhärteten. Er stöhnte auf, als er sie küsste, seine Hand quetschte ihre Handgelenke zusammen. Unter ihrem Rock liefen Regentropfen ihren Oberschenkel hinunter, deren eisige Kälte sie erstarren ließ.

„Lassen Sie das! Bitte …“ Als das letzte Wort in einem Wimmern endete, schien er aus seiner Trance aufzuwachen. Er zog die Augenbrauen zusammen, als er ihr in die Augen sah, aber ihre Hände ließ er nicht los.

Mit einer einzigen Bewegung seiner Klaue zerfetzte er zugleich ihre Bluse und den hauchdünnen BH darunter. Dann schob er den Stoff zur Seite und entblößte ihre Brüste. Sie wehrte sich, konnte aber gegen seine Kraft nichts ausrichten. Er musterte sie mit gierigem Blick, während der Regen auf sie herabprasselte und ihre nackten Brüste peitschte. Sie zitterte unkontrollierbar.

Seine Schmerzen waren so stark, dass sie ihm Übelkeit verursachten. Er konnte sie auf der Stelle nehmen oder ihren ungeschützten Unterleib aufreißen und sie töten …

Stattdessen riss er sein eigenes Hemd auf und legte ihr seine riesigen Hände auf den Rücken, um sie an seine Brust zu ziehen. Er stöhnte, als ihre Haut die seine berührte. Emma durchfuhr eine Art Stromstoß. Ein Blitz teilte den Himmel.

Seine tiefe Stimme murmelte Worte in einer ihr unbekannten Sprache in ihr Ohr. Sie wusste intuitiv, dass es Koseworte waren, und vermutete schon, dass sie vielleicht den Verstand verloren hätte. Sie erschlaffte, ihre Arme hingen leblos herunter, während er sie zitternd an sich drückte. Seine Lippen fuhren über ihren Hals, ihr Gesicht und sogar über ihre Lider, heiß im strömenden Regen. Da kniete er – und drückte sie fest an sich; da lag sie – schlaff und benommen starrte sie in den Himmel über ihnen, der von Blitzen erhellt wurde.

Er umfasste ihren Kopf behutsam und drehte ihn so, dass sie ihn ansehen musste. Er schien hin- und hergerissen, während er sie beobachtete, offensichtlich von heftigen Emotionen ergriffen. Noch nie zuvor hatte jemand sie mit derartigem … Verlangen angeschaut. Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen. Ob er ihr etwas antun oder sie gehen lassen würde? Lass mich gehen …

Eine Träne rann über ihr Gesicht – eine Spur aus Wärme unter den Regentropfen.

Sein Blick änderte sich. „Tränen aus Blut?“, tobte er. Offensichtlich stießen ihn ihre rosafarbenen Tränen ab. Er wandte sich ab, als ob er ihren Anblick nicht ertragen könnte, und fummelte blind an ihrer Bluse herum, um sie zu schließen. „Bring mich zu dir nach Hause, Vampir.“

„I-ich lebe nicht hier“, sagte sie mit erstickter Stimme, erschüttert über das, was eben passiert war, und über die Tatsache, dass er wusste, was sie war.

„Bring mich dahin, wo du wohnst“, befahl er. Erst jetzt, als er vor ihr stand, sah er sie wieder an.

„Nein“, hörte sie sich zu ihrer eigenen Überraschung antworten.

Auch er wirkte überrascht. „Weil du nicht willst, dass ich aufhöre? Gut, ich werde dich gleich hier auf dem Gras auf Händen und Knien nehmen“, er hob sie mühelos hoch, bis sie vor ihm kniete, „bis lange nach Sonnenaufgang.“

Er musste wohl ihre Resignation gespürt haben, da er sie auf die Füße zog und sie mit einem unsanften Schubser aufforderte zu gehen. „Wer begleitet dich?“

Mein Mann!, wollte sie ihn anschnauzen. Der durchtrainierte, muskulöse Kerl, der dir gleich in den Arsch treten wird. Doch sie konnte nicht lügen, nicht einmal jetzt, und außerdem hatte sie sowieso nicht den Mut, ihn zu provozieren. „Ich bin allein.“

„Dein Mann lässt dich alleine reisen?“, fragte er in das Geräusch des prasselnden Regens hinein. Seine Stimme begann langsam menschlich zu klingen. Als sie nicht antwortete, fuhr er mit höhnischem Unterton fort: „Da hast du dir aber einen leichtsinnigen Gefährten ausgesucht. Sein Pech.“

Sie stolperte über ein Schlagloch, und er stützte sie sanft; gleich darauf schien er wütend über sich selbst zu sein, dass er ihr überhaupt geholfen hatte. Doch als er sie nur einen Augenblick später versehentlich direkt vor ein Auto führte, schleuderte er sie zur Seite und machte einen gewaltigen Satz zurück, als der Fahrer laut hupte. Er schlug nach dem Wagen, seine Klauen zerdrückten das Metall wie Stanniolpapier. Das Auto geriet ins Schleudern. Als es endlich zum Stehen kam, plumpste der Motorblock mit einem dumpfen Geräusch auf die Straße. Der Fahrer riss die Tür auf, stürzte sich aus dem Wagen und lief panisch davon.

Vollkommen außer sich, den Mund im Schock weit geöffnet, wich sie zurück – weg von alldem. In dem Moment wurde ihr klar, dass ihr Entführer dreinschaute, als ob er …noch niemals ein Auto gesehen hätte.

Er schritt zu ihr und stand dann hoch aufgerichtet über ihr. „Ich hoffe bloß, dass du nicht noch einmal vor mir davonläufst“, knurrte er. Er packte ihre Hand und zog sie erneut auf die Füße. „Wie weit noch?“

Mit einer matten Bewegung zeigte sie in Richtung Hotel Crillon an der Place de la Concorde.

Er schenkte ihr einen Blick puren Hasses. „Deine Art verfügte schon immer über Geld.“ Seinem Tonfall nach zu urteilen, zielte er darauf ab, sie zu verletzen. „Nichts hat sich geändert.“ Er wusste, dass sie ein Vampir war. Wusste er, wer oder was ihre Tanten waren? Vermutlich schon, wie hätte Regin sonst wissen können, dass sie vor ihm gewarnt werden musste? Wie konnte er wissen, dass ihr Koven wohlhabend war?

Nachdem er sie zehn Minuten lang durch diverse Straßen gezerrt hatte, schoben sie sich am Portier vorbei ins Hotel. Alle starrten sie an, als sie die palastähnliche Hotelhalle betraten. Wenigstens war die Beleuchtung gedämpft. Sie hielt ihre tropfnasse Jacke über ihrer zerrissenen Bluse zusammen und hielt den Kopf gesenkt, dankbar, dass sie ihr Haar über den Ohren in Zöpfe geflochten hatte.

In der Gegenwart dieser Menschen lockerte er seinen schraubstockartigen Griff um ihren Arm. Er musste wohl ahnen, dass sie es nicht riskieren würde, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Schrei niemals, ziehe niemals die Aufmerksamkeit menschlicher Wesen auf dich. Letztendlich waren sie stets gefährlicher als jedes einzelne der unzähligen Geschöpfe der Mythenwelt.

Als er ihr seinen schweren Arm auf die Schultern legte, so als gehörten sie zusammen, sah sie ihn durch die Strähnen ihres nassen Haars an. Auch wenn er hoch aufgerichtet durch die Lobby schritt, die breiten Schultern durchgedrückt, so als ob ihm das Hotel gehörte, studierte er doch alles sehr genau, als ob es für ihn neu wäre. Er verkrampfte sich, als das Telefon klingelte. Bei der Drehtür war es ähnlich. Obwohl er es gut zu verbergen wusste, merkte sie, dass er nicht wusste, wozu der Aufzug diente, und er zögerte, ihn zu betreten. Als sie in der Kabine standen, ließ seine Größe und seine Energie den großzügig bemessenen Raum eng wirken.

Das kurze Stück über den Korridor bis zu ihrem Zimmer schien der längste Weg ihres Lebens zu sein. Sie entwarf und verwarf einen Fluchtplan nach dem anderen. Vor der Tür zögerte sie und trödelte bei der Suche nach der Schlüsselkarte in der zentimetertiefen Pfütze am Grund ihrer Tasche.

„Schlüssel!“, verlangte er.

Sie stieß die Luft aus und reichte ihn ihm. Als er daraufhin die Augen zusammenkniff, glaubte sie schon, er werde noch einmal „Schlüssel!“ knurren, aber er musterte den Türgriff und gab ihr die Karte zurück. „Du machst auf.“

Mit zitternden Händen schob sie sie in den Schlitz. Das mechanische Summen und das anschließende Klicken des Schlosses hörten sich für sie wie Totengeläut an.

Sobald er das Zimmer betreten hatte, untersuchte er jeden Quadratzentimeter, als wollte er sich vergewissern, dass sie tatsächlich allein dort wohnte. Er suchte unter der Brokatdecke des Bettes, dann riss er die schweren Seidenvorhänge zurück, die eine der schönsten Aussichten von Paris freigaben. Er bewegte sich wie ein Tier, Aggression in jeder Regung, doch sie merkte auch, dass er ein Bein schonte.

Als er schließlich langsam auf sie zuhumpelte, weiteten sich ihre Augen, und sie wich zurück. Doch er kam ihr immer näher, musterte sie prüfend, abwägend, bevor sein Blick schließlich an ihren Lippen hängen blieb.

„Ich habe lange Zeit auf dich gewartet.“

Er benahm sich nach wie vor so, als ob er sie kennen würde. Dabei könnte sie einen Mann wie ihn niemals vergessen.

„Ich brauche dich. Ganz gleichgültig, wer du bist. Und ich werde nicht länger warten.“

Bei seinen rätselhaften Worten entspannte sich ihr Körper, wurde weich und nachgiebig. Ihre Klauen krümmten sich, als ob sie ihn an sich ziehen wollte, und ihre Fangzähne zogen sich zurück, in Vorbereitung auf seinen Kuss. In Panik schlug sie ihre Fingernägel in die Wand hinter sich und klopfte mit der Zunge gegen ihren linken Eckzahn. Umsonst, ihre Selbstverteidigungskräfte wurden nicht aktiv. Sie hatte entsetzliche Angst vor ihm. Warum reagierte ihr Körper nicht entsprechend?

Er stemmte seine Hände zu beiden Seiten ihres Gesichts gegen die Wand. Gemächlich beugte er sich vor, sein Mund streifte ihren. Bei diesem kurzen Kontakt stöhnte er auf und drückte fester zu, ließ seine Zunge über ihre Lippen wandern. Sie erstarrte, wusste nicht, wie sie reagieren sollte.

In ihren Mund hinein knurrte er: „Küss mich, Hexe, während ich entscheide, ob ich dein Leben verschone.“

Mit einem Aufschrei drückte sie ihre Lippen kurz auf seine. Als er sich nicht mehr bewegte, wie um sie zu zwingen, die Initiative zu ergreifen, neigte sie den Kopf und streifte seine Lippen noch einmal zart.

„Küss mich so, als ob du an deinem Leben hängst.“

Das tat sie. Nicht weil sie unbedingt leben wollte, sondern weil sie davon überzeugt war, dass er dafür sorgen würde, dass ihr Tod langsam und qualvoll sein würde. Keine Schmerzen. Bloß keine Schmerzen.

Als sie ihre Zunge gegen seine schnellen ließ, wie er es mit ihr gemacht hatte, stöhnte er und übernahm wieder die Führung. Er umfasste ihren Kopf und Hals und hielt sie fest, so als ob er sie auf der Stelle nehmen wollte. Seine Zunge liebkoste die ihre verzweifelt, und sie war schockiert, als sie feststellte, dass es alles andere als unangenehm war. Wie oft hatte sie schon von ihrem ersten Kuss geträumt, obwohl sie doch wusste, dass das nie geschehen würde? Und doch passierte es. In diesem Augenblick.

Sie kannte nicht einmal seinen Namen.

Als sie wieder zu zittern begann, hörte er auf und löste sich von ihr. „Dir ist kalt.“

Sie fror entsetzlich. Das passierte ihr immer, wenn sie nicht genug Blut getrunken hatte. Es war auch nicht gerade hilfreich gewesen, auf den nassen Boden geworfen und bis auf die Haut durchnässt zu werden. Doch sie fürchtete, dass das nicht der Grund war, warum sie zitterte. „J-ja.“

Er ließ seinen Blick über sie wandern, dann sah er sie angewidert an. „Und du bist völlig verdreckt. Überall Schmutz.“

„Aber Sie …“ Unter seinem tödlichen Blick verstummte sie.

Er entdeckte das Badezimmer, zog sie hinein und nickte mit dem Kopf in Richtung der Armaturen. „Säubere dich.“

„Was ist mit meiner Privatsphäre?“, krächzte sie.

Belustigung. „Gibt’s nicht.“ Er lehnte seine Schulter gegen die Wand und verschränkte die muskulösen Arme, als ob er auf eine Darbietung wartete. „Nun entkleide dich für mich und lass mich sehen, was mir gehört.“

Ihm gehört? Vollkommen fassungslos wollte sie gerade Protest einlegen, als er plötzlich den Kopf hob, als habe er etwas gehört. Dann stürzte er aus dem Zimmer. Sie schlug die Badezimmertür hinter ihm zu, schloss sich ein – eine weitere lächerliche Geste – und drehte die Dusche an.

Sie sank zu Boden, hielt sich den Kopf und fragte sich, wie sie diesem Irren bloß entkommen sollte. Das Crillon verfügte über mehr als einen Meter dicke Wände zwischen den Zimmern. Im Nebenzimmer hatte eine Rockband gehaust, und sie hatte nicht einen Ton gehört. Natürlich hatte sie keineswegs vor, nach jemandem zu rufen–SchreinieumHilfe,wennduunterMenschenbist!–, aber sie überlegte sich ernsthaft, ob sie sich wohl durch die Badezimmerwand in die Freiheit graben könnte.

Schalldichte Wände, in der zehnten Etage. Das luxuriöse Zimmer, das ein Zufluchtsort für sie gewesen war und sie vor der Sonne und neugierigen Menschen beschützte, hatte sich in einen goldenen Käfig verwandelt. Sie saß in der Falle, bewacht von einem ihr unbekannten Wesen. Nur Freya wusste, wer oder was er war …

Wie sollte sie entkommen ohne jemanden, der ihr half?

Lachlain hörte das kaum wahrnehmbare Quietschen eines Rads, witterte Fleisch und hinkte zur Zimmertür. Ein alter Mann, der einen Wagen den Korridor entlangschob, schrie bei seinem Anblick erschrocken auf und starrte ihn sprachlos an, als Lachlain sich zwei zugedeckte Teller vom Wagen schnappte.

Lachlain schloss die Tür mit einem Fußtritt hinter sich, entdeckte Steaks auf den Tellern und schlang sie runter. Dann überkam ihn eine Erinnerung, und er schlug mit der Faust ein Loch in die Wand. Er bewegte seine schmerzenden Finger und setzte sich auf den Rand des seltsamen Bettes, an einem seltsamen Ort und in einer seltsamen Zeit. Er war erschöpft, und sein Bein schmerzte, nachdem er den Vampir zur Strecke gebracht hatte. Er zog die gestohlene Hose hoch und untersuchte sein langsam verheilendes Bein. Die Haut daran wirkte eingefallen und verkümmert.

Er bemühte sich, die Erinnerung an jenen Verlust zu verdrängen. Aber welche anderen frischen Erinnerungen sollten an deren Stelle treten? Nur die, wie er immer wieder in den Flammen zu Tode gekommen war. Und das, wie er inzwischen wusste, einhundertfünfzig Jahre lang …

Er erschauerte, ihm brach der Schweiß aus und er begann zu würgen. Mit Mühe gelang es ihm, die Nahrung bei sich zu behalten, derer er so dringend bedurfte. Er zog seine Krallen durch einen Tisch neben dem Bett, um zu verhindern, dass er alles zerstörte, was sich in Reichweite befand.

In der Woche, die seit seiner Flucht vergangen war, war es ihm eine Weile ganz gut gegangen. Er hatte sich auf die Jagd nach ihr und seine Genesung konzentriert und schien sich einzugewöhnen – bis ihn ohne Vorwarnung irgendetwas in Wut und Raserei versetzte. Er war in ein vornehmes Haus eingebrochen, um Kleidung zu stehlen – und dann hatte er alles darin kurz und klein geschlagen. Alles, was er nicht kannte und verstand, hatte er zerstört.

Heute Abend war er schwach gewesen, er hatte nicht klar denken können; sein Bein war immer noch dabei, sich zu regenerieren, und doch war er auf die Knie gegangen, als er ihre Witterung endlich wieder aufgenommen hatte.

Aber anstelle der Gefährtin, die er erwartet hatte, hatte er einen Vampir vorgefunden. Einen zarten, zerbrechlichen weiblichen Vampir. Er hatte schon seit Jahrhunderten nichts mehr von einem lebenden Weibchen gehört. Die Männer hatten sie anscheinend all die Jahre an einem geheimen Ort versteckt gehalten. Offensichtlich hatte die Horde doch nicht alle ihre Frauen umgebracht, wie es der Mythos berichtete.

Und, Gott steh ihm bei, seine Instinkte sagten ihm nach wie vor, dass dieses ätherische Wesen mit dem lichten Haar … die Seine sei. Der Instinkt in ihm brüllte danach, sie zu berühren und seinen Anspruch auf sie geltend zu machen. Er hatte so lange gewartet …

Er stützte den Kopf in seine Hände und bemühte sich, nicht wieder blind um sich zu schlagen – die Bestie musste in ihren Käfig zurückbefördert werden. Aber wieso betrog ihn das Schicksal ein weiteres Mal? Er suchte seit über tausend Jahren nach ihr. Und jetzt hatte er sie gefunden, in einer Gestalt, die er derartig hasste und verachtete, dass er sich kaum noch beherrschen konnte.

Ein Vampir. Ihre Art zu leben widerte ihn an. Ihre Schwäche widerte ihn an. Ihr bleicher Körper war zu schmächtig, zu dünn; sie sah aus, als ob sie beim ersten anständigen Fick zerbrechen würde.

Er hatte ein ganzes Millennium lang auf einen hilflosen Parasiten gewartet.

Wieder hörte er das quietschende Rad, das die Tür diesmal sehr viel rascher passierte, aber sein Hunger war zum ersten Mal seit Beginn seines Martyriums gestillt. Mit Nahrung, wie er sie heute Abend zu sich genommen hatte, würde er jede Spur tilgen, die die Folter an seinem Körper hinterlassen hatte. Aber was seinen Geist betraf …

Er war mit der Frau jetzt eine Stunde lang zusammen. Doch es war eine Stunde gewesen, während derer er die Bestie nur zweimal hatte zurückdrängen müssen. Was eine beachtliche Verbesserung darstellte, da seine ganze Existenz eine einzige Qual war, lediglich unterbrochen von Tobsuchtsanfällen. Es hieß, die Gefährtin eines Lykae könne jeden Schmerz lindern. Vorausgesetzt, sie war wirklich seine Gefährtin, dann war jedenfalls klar, was in Zukunft ihre verdammte Aufgabe sein würde.

Aber sie konnte es nicht sein. Sicher war er einer Art Selbsttäuschung verfallen. Diese Vorstellung gefiel ihm. Das Letzte, was er bereut hatte, bevor sie ihn dem Feuer überließen, war, dass er sie niemals gefunden hatte. Vielleicht spielte ihm sein misshandelter Verstand einen Streich. Sicher, das war’s! Er hatte sich seine Gefährtin stets als dralle Rothaarige mit wölfischem Blut vorgestellt, die mit seinen Gelüsten umgehen konnte und an rauer Wildheit Gefallen finden würde – und nicht dieses verängstigte Etwas von Vampir. Sein misshandelter Verstand – natürlich!

Er hinkte zur Tür der Badekammer und fand sie verschlossen vor. Mit einem Kopfschütteln zertrümmerte er kurzerhand den Knauf und betrat einen Raum, der so voller Dampfschwaden war, dass er sie kaum sehen konnte. Sie hockte zusammengekauert an der gegenüberliegenden Wand. Er hob sie hoch. Sein Blick wurde finster – sie war immer noch nass und schmutzig.

„Du hast dich nicht gesäubert?“ Als sie einfach nur auf den Boden starrte, fragte er: „Warum?“

Sie zuckte jämmerlich mit den Schultern.

Er warf einen Blick auf den Wasserfall in der Glaskammer, öffnete die Tür und hielt die Hand ins Wasser. Also, das konnte er jetzt fürwahr gut gebrauchen. Er setzte sie ab und entledigte sich seiner Kleidung.

Sie blickte wie gebannt auf seinen Schwanz. Ihre Augen weiteten sich, und sie schlug die Hand vor den Mund. Man hätte denken können, sie hätte noch nie einen gesehen. Er wartete ab, bis sie ihn ausgiebig bestaunt hatte; lehnte sich sogar zurück gegen die Wand und verschränkte die Arme vor seiner Brust, während sie ihn mit großen Augen ansah.

Unter ihrem gebannten Blick wurde er hart, seine Männlichkeit schwoll immer weiter an – sein Körper zumindest schien zu denken, dass sie zu ihm gehörte –, bis sie ein leises Keuchen ausstieß und den Blick senkte. Sein verletztes Bein erregte ihre Aufmerksamkeit, es schien sie sogar noch mehr zu erschrecken. Das brachte ihn nun doch in Verlegenheit, und er stellte sich unter den Wasserstrahl, um ihrem Starren ein Ende zu bereiten.

Während das Wasser über seinen Körper rann, schloss er vor Behagen die Augen. Zugleich registrierte er, dass seine Erektion davon keineswegs in Mitleidenschaft gezogen wurde. Er spürte, wie die Kleine sich anspannte, als ob sie flüchten wollte, und öffnete die Augen. Wenn er kräftiger gewesen wäre, hätte er gehofft, sie würde es auf einen Versuch ankommen lassen. „Wirfst du der Tür sehnsüchtige Blicke zu? Ich würde dich einfangen, noch bevor du diesen Raum verlassen könntest.“

Sie wandte sich um, sah, dass er noch härter geworden war, und stieß einen erstickten Schrei aus.

„Leg deine Kleider ab, Vampir.“

„D-das werde ich nicht tun!“

„Dann möchtest du wohl angekleidet hier hereinkommen?“

„Lieber als gemeinsam mit Ihnen nackt zu sein!“

Er fühlte sich entspannt unter dem Wasser, ja sogar großmütig nach dem ausgezeichneten Essen. „Dann lass uns einen Handel abschließen. Du gewährst mir einen Wunsch und ich gewähre dir einen.“

Sie blickte ihn an. Eine Locke, die sich aus ihren straff geflochtenen Zöpfen gelöst hatte, hing ihr in die Augen. „Was meinen Sie?“

Er stemmte seine Hände rechts und links neben die Tür und lehnte sich aus dem Wasser heraus nach vorne. „Ich will dich hier drin haben, unbekleidet. Was willst du von mir?“

„Nichts, was mir so viel wert wäre“, flüsterte sie.

„Du wirst auf unbestimmte Zeit mit mir zusammen sein. Bis ich mich entschließe, dich gehen zu lassen. Möchtest du nicht vielleicht deine …Leute informieren?“ Er spuckte das Wort förmlich aus. „Ich bin sicher, du bist für sie von großem Wert, wo du doch quasi eine Rarität bist.“ Genau genommen stellte die Tatsache, dass er sie von ihrer Vampirmischpoke fernhalten würde, nur den Anfang seiner Rache dar. Er wusste, dass diese schon die bloße Vorstellung, wie sie immer und immer wieder von einem Lykae gefickt werden würde, genauso abstoßend finden würde wie sein eigener Clan. Sie knabberte mit einem winzigen Fangzahn an ihrer roten Unterlippe, und sein Zorn entflammte von Neuem. „Ich schulde dir überhaupt nichts! Ich könnte dich gleich hier und dann noch einmal auf dem Bett nehmen.“

„U-und wenn ich zustimme und zu Ihnen da reinkomme, dann tun Sie das nicht?“

„Komm aus freien Stücken und ich werde es nicht tun“, log er.

„Was werden Sie denn dann tun?“

„Ich möchte meine Hände auf dich legen. Dich kennenlernen. Und ich will deine Hände auf mir spüren.“

Mit einer Stimme, die so zart war, dass er sie kaum hören konnte, fragte sie: „Werden Sie mir wehtun?“

„Nur berühren. Kein Schmerz.“

Ihre zarten blonden Brauen zogen sich zusammen, als sie über seine Worte nachdachte. Dann beugte sie sich vor, so als ob ihr das große Schmerzen bereitete, und öffnete ihre Schuhe mit einem seltsam ratschenden Geräusch. Sie stand auf und packte die Ränder ihrer Jacke und der zerrissenen Bluse, schien aber unfähig fortzufahren. Sie zitterte heftig und ihre blauen Augen wirkten starr. Aber sie war einverstanden. Er wusste, dass es dafür keinen Grund gab, den er hätte verstehen können. Ihre Augen schienen so ausdrucksvoll, und dennoch konnte er in ihnen nichts lesen.

Als er drohend näher rückte, schälte sie sich aus ihrer nassen Jacke und der Bluse, zog den zerfetzten BH darunter aus und legte hastig einen schmalen Arm über ihre Brüste. Schüchtern? Dabei hatte er die blutigen Orgien mitangesehen, die die Vampire feierten.

„Bitte. I-ich weiß ja nicht, wer Sie glauben, dass ich bin, aber …“

„Ich denke“, bevor sie auch nur mit der Wimper zucken konnte, riss er ihr ohne weitere Umstände den Rock vom Leib und warf ihn zu Boden, „dass ich wenigstens deinen Namen kennen sollte, bevor ich damit beginne, Hand an dich zu legen.“

Sie zitterte jetzt noch stärker, wenn dies überhaupt möglich war, und legte den Arm fester über ihre Brüste.

Er musterte sie, verschlang sie mit den Augen. Ihre Haut war purer Alabaster, jetzt nur noch von einem seltsamen Höschen bedeckt – schwarze Seide, die eine Art V auf ihrem Körper bildete. Das Vorderteil bestand aus durchsichtiger, tiefschwarzer Seide, die die blonden Locken zwischen ihren Beinen kaum zu verbergen mochte. Er erinnerte sich daran, wie er während des Platzregens und unter den unnatürlichen Blitzen zweimal ihre Haut geschmeckt hatte. Sein Schwanz pulsierte, seine Spitze wurde vor gespannter Erwartung feucht. Andere Männer fänden sie mit Gewissheit unglaublich verführerisch. Vampire ganz sicher. Menschenmänner würden für sie töten.

Ihr bebender Körper war zu zierlich, aber ihre Augen … groß und blau wie der Tageshimmel, den sie niemals zu Gesicht bekommen würde.

„M-mein Name ist Emmaline.“

„Emmaline“, knurrte er. Seine Klauen näherten sich ihr langsam und fetzten ihr die Seide vom Leib.

2

Sie war eine Närrin gewesen, sich darauf einzulassen, gestand Emma sich ein, als die Überreste ihrer Unterwäsche neben ihren Füßen zu Boden sanken.

Warum sollte sie ihm trauen? Dafür gab es keinen Grund, aber welche Wahl hatte sie schon? Sie musste unbedingt Annika anrufen, ihre Ziehmutter. Sie würde vollkommen außer sich sein, wenn ihr der Pilot berichtete, dass Emma nicht am Flugplatz aufgetaucht war.

Aber war dies tatsächlich der Grund dafür, dass sie sich auf seinen Vorschlag eingelassen hatte? Sie musste sich eingestehen, dass der wahre Grund nicht ganz so selbstlos war. Ihr ganzes Leben lang hatten Männer gewisse Wünsche an sie gerichtet. Wünsche, die aufgrund ihrer verborgenen vampirischen Natur nicht zu erfüllen gewesen waren. Doch diesmal war es anders. Dieser Mann wusste, was sie war, und er bat nicht um etwas Unmögliches, sondern er etwa

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