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Sie kann ihm nicht widerstehen. Doch er soll sie töten ...
Psyche weiß, dass alles in Olympus seinen Preis hat. Und als sie Aphrodites Zorn erweckt, verlangt diese einen unbezahlbaren Tribut: ihr Herz. Ausgerechnet Aphrodites Sohn soll es ihr überbringen. Eros ist als gewissenloser Auftragskiller bekannt. Kalt, berechnend und gefährlich. Doch als er Psyche gegenübersteht, bringt er es nicht über sich, sie zu töten. Fasziniert von der wunderschönen jungen Frau, tut er das Einzige in seiner Macht Stehende, um sie zu retten: Er bietet ihr an, sie zu heiraten, um sie vor seiner Mutter zu schützen ...
"Süchtig machend und prickelnd. Ein modernes Retelling einer der klassischen Liebesgeschichten der griechischen Mythologie." OPRAH DAILY
Die verboten heiße Geschichte von Eros und Psyche - Band 2 der DARK-OLYMPUS-Reihe von Bestseller-Autorin Katee Robert
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Seitenzahl: 576
Titel
Zu diesem Buch
Widmung
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Epilog
Danksagung
Die Autorin
Die Romane von Katee Robert bei LYX
Impressum
Katee Robert
Neon Gods
EROS & PSYCHE
Roman
Ins Deutsche übertragen von Anika Klüver
Psyche weiß, wie sie sich auf dem gesellschaftlichen Parkett in Olympus verhalten muss, um nicht die Aufmerksamkeit der Dreizehn auf sich zu ziehen. Doch als sie auf einer Party dem verletzten Eros – Sohn der Erzfeindin ihrer Familie – hilft und seine Wunden versorgt, werden sie zusammen fotografiert, und es wird das Gerücht in die Welt gesetzt, sie hätten eine Affäre. Das weckt den Zorn von Eros’ Mutter Aphrodite. Schon lange sieht sie eine Konkurrentin in Psyche und nutzt diese Gelegenheit, sie aus dem Weg zu räumen. Von ihrem Sohn verlangt sie das Undenkbare: Psyches Herz – im wahrsten Sinn des Wortes. Eros ist als gewissenloser Auftragskiller bekannt. Gefühllos, berechnend und gefährlich. Doch als er Psyche erneut gegenübersteht, bringt er es nicht über sich, sie zu töten. Ihre Art rührt etwas in ihm und erwärmt sein kaltes Herz. Er ist fasziniert von ihr und tut das Einzige in seiner Macht Stehende, um sie zu retten: Er heiratet sie! Und trotz aller Warnungen entfacht Eros ein Feuer in Psyche, das sie nicht mehr löschen kann. Aber als Gerüchte über ihre falsche Ehe aufkommen und Aphrodite weiter auf Rache sinnt, merkt Psyche, dass sie am Ende wohl doch mit ihrem Herzen bezahlen muss …
Für Jenny. Es ist eine Freude, eine ID mit dir zu teilen!
Noch ein Abend, noch eine Party, an der ich auf gar keinen Fall teilnehmen will.
Ich gebe mir Mühe, mich nicht zu verzweifelt an meinem widerlich süßen Getränk festzuklammern, während ich durch den Raum wandere.
Solange ich in Bewegung bleibe, wird sich meine Mutter nicht auf mich einschießen. Man könnte meinen, dass die Ereignisse der letzten paar Monate ausreichen sollten, um sie in ihrem ehrgeizigen Unterfangen innehalten zu lassen, aber Demeter ist einfach zu engagiert. Eine Tochter hat sie erfolgreich unter die Haube gebracht – ja, sie rechnet es sich als Verdienst an, dass Persephone Hades geheiratet hat –, und nun hat sie mich im Visier.
Ich würde mir lieber mein Bein abnagen, als irgendjemanden hier zu heiraten. Jeder Einzelne von ihnen hat eine enge Verbindung zu einem Mitglied der Dreizehn, die Olympus regieren: Zeus, Poseidon, Demeter, Athene, Ares, Hephaistos, Dionysos, Hermes, Artemis, Apollon und Aphrodite. Die einzigen beiden, die fehlen, sind Hades und Hera – Hades, weil er über einen Erbtitel verfügt und nicht einmal Zeus seine Anwesenheit bei diesen Veranstaltungen befehlen kann. Hera, weil unser derzeitiger Zeus unverheiratet ist, was bedeutet, dass der Titel der Hera nicht besetzt ist.
Doch er wird nicht lange unbesetzt bleiben.
Dafür dass das hier ein wirklich großer Raum ist, wirkt er bemerkenswert klaustrophobisch. Nicht einmal die riesigen Fenster, die einen Ausblick auf Olympus bieten, können etwas gegen die Hitze so vieler Körper ausrichten. Ich bin versucht, nach draußen zu gehen und für eine Weile zu frieren, nur um ein wenig frische Luft zu schnappen. Aber dann werde ich gefangen sein, falls jemand beschließt, mich in ein Gespräch zu verwickeln. Im Hauptbereich der Party kann ich wenigstens in Bewegung bleiben.
Der heutige Abend dient nicht offiziell als Heiratsmarkt, aber das würde man nicht meinen, wenn man dabei zusieht, wie Aphrodite eine Person nach der anderen vor unserem neuen Zeus präsentiert, der sich auf dem Thron lümmelt, der einst seinem Vater gehörte. Der Thron ist gewaltig und golden und protzig. Seinem Vater mag er angemessen gewesen sein, aber zu dem Sohn passt er nicht im Geringsten. Ich maße mir kein Urteil an, doch ihm mangelt es an dem gebieterischen Charisma, über das der letzte Zeus verfügte. Wenn er nicht aufpasst, werden ihn die Piranhas von Olympus bei lebendigem Leib fressen.
»Zeus«, trällert Aphrodite. Sie hat sich oft genug zwischen dem Thron und dem Rest des Raums hin und her bewegt, um mir einen ausgiebigen Blick auf ihr knallrotes Kleid zu gewähren, das sich an ihre durchtrainierte Figur schmiegt und einen Kontrast zu ihrer hellen Haut und ihrem blonden Haar darstellt. Dieses Mal zerrt sie einen jungen weißen Kerl mit dunklem Haar hinter sich her. Ich kenne ihn nicht, was bedeutet, dass er ein Freund oder ein entfernter Cousin ist oder die zweifelhafte Gunst genießt, eines von Aphrodites Lieblingsprojekten zu sein. Sie strahlt Zeus an, während sie sich einen Weg durch die Menge bahnt. »Du musst unbedingt Ganymed kennenlernen.«
»Psyche.«
Ich zucke beinahe zusammen, als meine Mutter hinter mir auftaucht. Ich muss meine ganze Selbstbeherrschung aufbringen, um ein passives Lächeln aufzusetzen. »Hallo, Mutter.«
»Du weichst mir aus.«
»Natürlich nicht.« Doch, das tue ich definitiv. »Ich habe mir nur etwas zu trinken geholt.« Ich hebe mein Glas an, um es zu beweisen.
Mutter verengt die Augen. Im Gegensatz zu Aphrodite, die fest entschlossen zu sein scheint, sich an jeden letzten Tropfen Jugend zu klammern, den sie festhalten kann, gestattet meine Mutter es sich, würdevoll zu altern. Sie sieht genau wie das aus, was sie ist – eine weiße Frau in ihren Fünfzigern mit dunklem Haar und tadellosem Stil. Sie hüllt sich in Macht, wie sich andere Leute mit Juwelen schmücken. Wenn die Menschen Demeter anschauen, sind sie sofort entspannt, weil sie eine Aura ausstrahlt, die verspricht, dass sie sich um alles kümmern wird.
So hat sie den Titel überhaupt erst erhalten.
Als es für mich an der Zeit war, mir meine eigene öffentliche Rolle zu erschaffen, ließ ich mich von ihr inspirieren, selbst wenn mein Erscheinungsbild in eine andere Richtung geht. Die persönliche Erfahrung hat mich schon früh gelehrt, dass es besser ist, sich einzufügen, als sich vor eine Menge zu stellen und sich damit selbst zum Ziel zu machen.
»Psyche.« Mutter umfasst meinen Arm und dreht uns zu Zeus’ Thron herum. »Ich werde dich Zeus vorstellen.«
»Ich bin ihm zuvor schon mal begegnet.« Tatsächlich sogar mehrere Male. Wir wurden einander vor zehn Jahren vorgestellt, als Mutter die Rolle der Demeter übernahm. Und seitdem besuchen wir immer wieder dieselben Partys. Bis vor ein paar Monaten war er noch Perseus, der Erbe des Zeus-Titels. Soweit ich es beurteilen kann, ist er nicht einmal ansatzweise so aggressiv, wie sein verstorbener Vater es gewesen ist, aber das bedeutet nicht, dass nicht auch in ihm ein Raubtier schlummert. Er ist in dem funkelnden Schlangennest der Oberstadt aufgewachsen. Dort überlebt man nicht so lange, wenn man nicht wenigstens ein bisschen was von einem Monster in sich hat.
Mutters Griff an meinem Arm wird fester, und sie senkt die Stimme. »Tja, dann wirst du ihn erneut kennenlernen. Auf angemessene Weise. Heute Abend.«
Wir schauen zu, wie Zeus Ganymed kaum eines Blickes würdigt. »Es sieht nicht so aus, als wäre er daran interessiert, irgendjemanden kennenzulernen.«
»Das liegt daran, dass er dich noch nicht kennengelernt hat.«
Ich schnaube. Ich kann nicht anders. Ich kenne meine Stärken. Ich bin hübsch, aber ich bin keine so umwerfende Schönheit wie meine Schwestern. Meine wahre Stärke liegt in meinem Verstand, und ich bezweifle ernsthaft, dass Zeus das zu schätzen wissen würde.
Ganz zu schweigen davon, dass ich nicht den Wunsch verspüre, Hera zu sein.
Allerdings spielt das, was ich will, keine Rolle, nicht wahr? Mutter hat jede Menge Pläne, und ich bin von ihren verbliebenen alleinstehenden Töchtern die beste Kandidatin. Auch wenn ich es gerade ein wenig dramatisch wirken lasse, gibt es vermutlich schlimmere Schicksale, als ein Mitglied der Dreizehn zu sein. Als Hera würde Zeus selbst die einzig wahre Gefahr für mich darstellen. Wenigstens hat dieser Zeus nicht den Ruf, seinen Partnern und Partnerinnen Schaden zuzufügen.
Ich ringe mir ein Lächeln ab, während mich meine Mutter durch die Menge in Richtung des protzigen Throns und des Mannes, der darauf sitzt, führt. Wir stehen nur ein paar Schritte hinter Aphrodite und Ganymed, als Zeus uns entdeckt. Er lächelt nicht, aber in seinen blauen Augen leuchtet Interesse auf, und er bewegt einen Finger in Aphrodites Richtung. »Das genügt.«
Das war ein Fehler.
Aphrodite dreht sich zu uns herum. Sie lässt den Blick über mich wandern und blendet mich dann sofort aus, um sich meiner Mutter zuzuwenden. Ihrer Rivalin, auch wenn der Begriff viel zu banal ist, um den ausgeprägten Hass zu beschreiben, den diese beiden Frauen füreinander empfinden.
»Demeter, Liebes. Ich weiß, dass du nicht mit dem Gedanken spielst, dass diese Tochter eine potenzielle Heiratskandidatin sein könnte.« Mit übertriebener Aufmerksamkeit mustert Aphrodite meinen Körper. »Nichts für ungut, Psyche, aber du bist wohl kaum der angemessene Typ, um Hera zu werden. Du … passt einfach nicht in die Rolle hinein. Ich bin mir sicher, dass du das verstehst.« Ihr Lächeln wird zuckersüß, was jedoch nicht dabei hilft, das Gift in ihren Worten abzumildern. »Wenn du möchtest, schicke ich dir liebend gern den Diätplan, den ich allen hoffnungsvollen Heiratskandidaten empfehle, während ich daran arbeite, die passenden Partner für sie zu finden.«
Wow, sie versucht nicht mal, subtil zu sein. Reizend.
Ich habe keine Gelegenheit, etwas zu erwidern, denn meine Mutter umfasst meinen Arm fester und wendet sich mit einem strahlenden Lächeln an die andere Frau. »Aphrodite, Liebes, du bist doch nun wirklich schon lange genug im Geschäft, um einen Wink zu erkennen. Zeus hat dich entlassen.« Sie lehnt sich vor und senkt die Stimme. »Ich weiß, dass Ablehnung schmerzt, aber es ist wichtig, sich nicht unterkriegen zu lassen. Vielleicht kannst du stattdessen an einer neuen Ehe für Ares arbeiten. Das wäre ein Ziel, das deutlich leichter zu erreichen ist.«
Wenn man bedenkt, dass Ares mittlerweile über achtzig sein muss und praktisch schon an die Tore der Unterwelt klopft, ist es kein Wunder, dass Aphrodite meiner Mutter einen zornigen Blick zuwirft. »Eigentlich …«
»Worum geht es hier?«
Die Frage kommt von einer großen Frau, die plötzlich mit einem Selbstvertrauen, das nur ein Mitglied der Familie Kasios an den Tag legen kann, zwischen Aphrodite und Demeter tritt. Eris Kasios, die Tochter des letzten Zeus und die Schwester des aktuellen. Ihr dunkles Haar hebt sich auffallend von ihrer hellen Haut ab, und sie wankt ein bisschen, als hätte sie zu viel getrunken, aber die scharfsinnige Intelligenz in ihren dunklen Augen ist vom Alkohol ungetrübt. Also tut sie nur so, als wäre sie beeinträchtigt.
Sowohl Aphrodite als auch meine Mutter richten sich kerzengerade auf, und ich kann den exakten Augenblick sehen, in dem sie zu dem Schluss kommen, dass es in ihrem besten Interesse ist, höflich zu sein. Aphrodite lächelt. »Eris, du siehst heute Abend so umwerfend wie immer aus.«
Sie sagt die Wahrheit. Eris ist wie üblich in Schwarz gekleidet – ein langes Kleid mit einem tiefen V-Ausschnitt, der fast bis zu ihrem Bauchnabel reicht, und einem Schlitz an einer Seite, der bei jedem Schritt, den sie macht, ein wenig Bein aufblitzen lässt. Ihr dunkles Haar fällt ihr in mühelos erscheinenden Wellen um die Schultern, was nur ein Hinweis darauf ist, wie viel Zeit sie in ihre Frisur investiert hat.
Eris grinst sie an und verzieht die blutroten Lippen dabei auf eine Weise, die bei mir eine Gänsehaut auslöst. »Aphrodite. Es ist wie immer eine Freude.« Sie wendet sich mir zu, und ihr Glas kippt bei der ruckartigen Bewegung ein wenig. Grüne Flüssigkeit, die nach schwarzem Lakritz riecht, schwappt über den Rand und bespritzt sowohl Aphrodites rotes Kleid als auch das grüne Kleid meiner Mutter. Beide Frauen kreischen erschrocken und weichen hastig zurück.
»Ups.« Eris presst eine Hand auf ihre Brust. Ihre Miene ist vollkommen aufrichtig. »Bei den Göttern, das tut mir so leid. Ich muss zu viel getrunken haben.« Sie wankt ein wenig, und meine Mutter tritt eilig vor, um ihren Ellbogen zu packen. Dabei stößt sie beinahe mit Aphrodite zusammen, die das Gleiche versucht.
Niemand will, dass Zeus’ Schwester mitten auf einer Party zusammenbricht und eine Szene macht, die ihn in Verlegenheit bringen und die Feierlichkeiten des heutigen Abends beenden könnte.
Sie sind so sehr damit beschäftigt, dafür zu sorgen, dass sie auf den Beinen bleibt, dass keine von ihnen bemerkt, wie Eris zu mir schaut und … mir zuzwinkert. Als ich sie einfach nur anstarre, bewegt Eris ruckartig das Kinn, um mir eindeutig zu verstehen zu geben, dass ich die Flucht ergreifen soll, solange ich noch die Möglichkeit dazu habe.
Was sollte das denn jetzt?
Ich bleibe nicht, um nachzufragen. Nicht wenn Aphrodite bereits wieder mit diesen mit Widerhaken versehenen Pfeilen, die sie Worte nennt, auf meine Mutter zielt. Und nicht wenn Demeter direkt an die imaginäre Linie tritt, die sich zwischen ihnen auf dem Boden befindet, um sie voneinander fernzuhalten. Wenn sie erst einmal mit einer Auseinandersetzung anfangen, kann das stundenlang so gehen. Die beiden liefern sich gern endlose Wortgefechte.
Ich werfe einen Blick zu Zeus, doch er hat sich abgewandt und spricht leise mit Athene. Nun gut. Wenn Mutter so fest entschlossen ist, mich Zeus angemessen vorzustellen, dann sieht es wohl so aus, als würde das nicht mehr heute Abend passieren.
Oder vielleicht suche ich auch einfach nur nach einem guten Grund, um zu entkommen.
Ich halte mich nicht damit auf, mich um meine Mutter zu sorgen. Mit Aphrodite wird sie schon fertig. Darin hat sie jahrelange Übung. »Verzeihung«, murmle ich. »Ich muss mal auf die Toilette.« Niemand beachtet mich, was ehrlich gesagt ziemlich perfekt ist.
Ich habe mich bereits in Bewegung gesetzt und schlüpfe durch die Menge aus Smokings und prunkvollen Abendkleidern in allen Farben des Regenbogens. Diamanten und andere kostbare Juwelen funkeln unter den Lichtern, die überall im Raum verteilt sind, und ich schwöre, dass ich spüren kann, wie mich die Blicke der Porträts verfolgen, die die Wände säumen. Bis vor einem Monat gab es nur elf von ihnen – und einen leeren Rahmen, der für das Bildnis der nächsten Hera freigehalten wurde. Jedes Porträt stellt eine oder einen der Dreizehn dar. Als müsste irgendjemand daran erinnert werden, wer über diese Stadt herrscht.
Heute Abend starren mich alle zwölf aktuellen Mitglieder der Dreizehn an.
Hades wurde der Reihe hinzugefügt. Sein dunkles Gemälde stellt einen direkten Kontrast zu den helleren Farbtönen der anderen elf dar. Er blickt aus seinem Bilderrahmen ebenso finster in den Raum herunter, wie er die Leute anstarrt, wenn er sich tatsächlich einmal dafür entscheidet, anwesend zu sein. Ich wünschte, dass er heute Abend teilgenommen hätte, wenn auch nur, weil Persephone dann ebenfalls hier wäre. Diese Partys waren so viel leichter zu erdulden, als sie noch an meiner Seite war. Nun, da sie fort ist und mit Hades über die Unterstadt herrscht, ist die Zeit, die ich im Dodona Tower verbringen muss, extrem ermüdend.
Wenn ich Hera bin, wird es noch sehr viel schlimmer sein.
Ich schüttele den Gedanken ab. Sich deswegen Sorgen zu machen, hat keinen Sinn, solange ich noch nicht weiß, wie genau die Pläne meiner Mutter aussehen und wie empfänglich Zeus für sie ist. In der Ecke entdecke ich Hermes, Dionysos und Helena Kasios, die sich um einen hohen Tisch herum versammelt haben. Sie sehen aus, als würden sie irgendein Trinkspiel spielen. Wenigstens genießen sie die Party. Sie haben hier nichts zu verlieren und bewegen sich so selbstverständlich durch die Machtspiele und die sorgfältig verhüllten Drohungen wie Haie durchs Wasser.
Ich kann mich verstellen – tatsächlich bin ich ziemlich gut darin –, aber für mich wird das niemals instinktives Verhalten sein, so wie es das für diese Leute ist.
Ohne aus dem Tritt zu geraten, schiebe ich die Tür auf und gehe in den ruhigeren Flur hinaus. Wir befinden uns außerhalb der Geschäftszeiten und außerdem im obersten Stockwerk des Turms, also ist hier niemand. Gut. Ich eile an den in gleichmäßigen Abständen platzierten Türen vorbei. Jede Einzelne von ihnen wird von Vorhängen eingerahmt, die von der Decke bis zum Boden reichen. Sie jagen mir Angst ein, vor allem nachts. Irgendwie scheine ich nie das Gefühl loswerden zu können, dass sich dahinter jemand versteckt und nur darauf wartet, dass ich vorbeigehe. Ich muss stur geradeaus schauen, selbst als das leise Rascheln hinter mir dafür sorgt, dass mich all meine Instinkte schreiend zum Wegrennen auffordern. Ich kenne den wahren Grund für das Geräusch. Es ist das Echo meiner eigenen Schritte, das durch den Flur zu mir zurückhallt und mir den Eindruck vermittelt, dass mich jemand verfolgt.
Ich kann nicht vor mir selbst davonlaufen.
Ich kann vor keiner der Gefahren davonlaufen, die im großen Ballsaal auf mich warten, den ich gerade hinter mir gelassen habe.
In den Toilettenräumen lasse ich mir Zeit. Ich stütze mich mit den Händen am Waschbecken ab und atme tief ein. Kaltes Wasser würde meinem Gesicht guttun, aber ich werde nicht in der Lage sein, mein Make-up danach wieder in Ordnung zu bringen. Und wenn bei meiner Rückkehr auch nur ein einziges Haar aus der Reihe tanzt, werden mich die Raubtiere sofort umzingeln. Wenn ich zu Hera werde, werden diese Stimmen lauter werden, und ich werde ihnen nicht mehr entkommen können. Schon jetzt bin ich nicht genug für sie, oder besser gesagt bin ich zu viel. Zu still, zu fett, zu unscheinbar.
»Hör auf.« Die Worte laut auszusprechen, erdet mich ein klein wenig.
Diese Beleidigungen entsprechen nicht meinen Überzeugungen. Ich habe hart gearbeitet, damit sie nicht dazu werden. Aber immer wenn ich hier bin und man mir von allen Seiten das unter die Nase reibt, was Olympus als Perfektion betrachtet, hebt die giftige Stimme aus meinen Jugendjahren ihr scheußliches Haupt.
Fünf Atemzüge. Ich atme langsam ein. Und sogar noch langsamer aus.
Als ich beim fünften ankomme, fühle ich mich wieder ein wenig mehr wie ich selbst. Ich hebe den Kopf, vermeide es aber, mein Spiegelbild anzuschauen. Die Spiegel hier sagen nicht die Wahrheit, selbst wenn diese Lügen lediglich in meinem Kopf existieren. Am besten meidet man sie ganz und gar. Ich nehme noch einen letzten Atemzug und zwinge mich dazu, die relative Sicherheit der Toilettenräume zu verlassen und in den Flur zurückzukehren.
Hoffentlich werden meine Mutter und Aphrodite ihren Streit mittlerweile beendet oder ihn wenigstens in eine andere Ecke des Ballsaals verlegt haben, damit ich zur Party zurückkehren kann, ohne wieder in das ganze Theater hineingezogen zu werden. Mich im Flur zu verstecken, bis es Zeit wird zu gehen, ist keine Option. Ich weigere mich, Aphrodite in irgendeiner Weise glauben zu lassen, dass mich ihre Worte auch nur ansatzweise getroffen haben.
Erst nachdem ich zwei Schritte gemacht habe, wird mir klar, dass ich nicht allein bin.
Ein Mann torkelt durch den Flur auf mich zu. Er kommt aus Richtung der Aufzüge. Für einen kurzen Augenblick spiele ich mit dem Gedanken, ihn zu ignorieren und zur Party zurückzukehren, aber das bedeutet, dass er mir folgen wird. Ganz zu schweigen davon, dass hier draußen nur wir beide sind und ich auf keinen Fall so tun kann, als würde ich irgendetwas anderes machen, als ihn zu ignorieren. Er sieht auch nicht gerade fit aus, selbst im schummrigen Licht des Flurs. Vielleicht ist er betrunken, womöglich hat er es mit dem Vorglühen ein wenig übertrieben.
Ich seufze innerlich, knipse meine öffentliche Rolle wieder an und schenke ihm ein winziges Lächeln und ein Winken. »Spät dran?«
»So was in der Art.«
Oh Mist. Ich kenne diese Stimme. Ich gebe mir stets die größte Mühe, dem Mann, dem sie gehört, aus dem Weg zu gehen.
Eros. Aphrodites Sohn. Aphrodites Mann fürs Grobe.
Ich beobachte misstrauisch, wie er näher kommt und aus den Schatten tritt. Er ist ebenso umwerfend wie seine Mutter. Groß und blond. Sein Haar ist auf diese gewisse Weise gelockt, die jedes andere Gesicht niedlich wirken lassen würde. Seine Züge sind jedoch zu männlich, um je als etwas so Harmloses wie »niedlich« beschrieben zu werden. Er ist hochgewachsen und hat einen starken Körper. Selbst sein kostspieliger Anzug kann nicht verbergen, wie breit seine Schultern und wie muskulös seine Arme sind. Der Mann ist für Gewalt gebaut und hat ein Gesicht, das eine Skulptur zum Weinen bringen würde. Das ist ziemlich treffend.
Ich erhasche einen Blick auf einen Fleck auf seinem weißen Hemd und ziehe die Augen zusammen. »Ist das Blut?«
Eros schaut nach unten und flucht leise. »Ich dachte, dass ich alles erwischt hätte.«
Diese Aussage genauer unter die Lupe zu nehmen, hat keinen Zweck. Ich muss hier weg, und zwar schnell. Allerdings … »Du humpelst.« Eigentlich torkelt er eher, aber nicht weil er betrunken ist. Dafür spricht er zu deutlich.
»Tue ich nicht«, erwidert er leichthin. Offenbar fällt ihm das Lügen leicht. Denn er humpelt definitiv, und dieser Fleck auf seinem Hemd ist eindeutig Blut. Ich weiß, was das bedeutet. Er muss direkt hergekommen sein, nachdem er in Aphrodites Namen Gewalt ausgeübt hat. Ich will auf gar keinen Fall in etwas verwickelt werden, mit dem diese beiden zu tun haben.
Trotzdem zögere ich. »Ist das dein Blut?«
Eros bleibt neben mir stehen. Seine blauen Augen sind vollkommen emotionslos. »Das ist das Blut der letzten hübschen Frau, die zu viele Fragen stellte.«
Eros Ambrosia findet mich hübsch.
Diesen nutzlosen, törichten Gedanken verbanne ich sofort aus meinem Kopf. »Ich werde mal so tun, als wäre das ein Witz.« Auch wenn ich es besser weiß. In Olympus gibt es nichts Gefährlicheres, als eine hübsche Frau zu sein, die es schafft, Aphrodite so sehr zu erzürnen, dass sie ihren Sohn vorbeischickt.
Vor allem wenn es sich um eine hübsche Frau handelt, die ihren Plänen, mitzubestimmen, wer die nächste Hera wird, im Weg stehen könnte.
»Das ist es ganz und gar nicht.«
Ich kann nicht beurteilen, ob Eros es ernst meint oder nicht, aber ich sollte besser auf Nummer sicher gehen. Offensichtlich will er nicht reden, und mehr Zeit als unbedingt nötig in seiner Gegenwart zu verbringen, ist eine furchtbare Idee. Ich öffne den Mund, um irgendeine Ausrede vorzubringen, damit ich in die Toilettenräume zurückkehren und mich dort verstecken kann, bis er weg ist. Aber das ist nicht das, was über meine Lippen kommt. »Wenn du da verletzt reingehst, wird irgendjemand beschließen, die Sache zu Ende zu bringen. Du und deine Mutter habt in diesem Raum jede Menge Feinde.« Ich muss ihm doch sicher nicht erklären, dass jede wahrgenommene Schwäche dafür sorgen wird, dass sich diese Feinde wie Wölfe auf ihn stürzen werden, oder?
Eros zieht die Augenbrauen hoch. »Warum kümmert dich das?«
»Es kümmert mich nicht.« Wirklich nicht. Ich bin einfach nur eine Närrin, die nicht weiß, wann Schluss ist. Egal was man sich sonst so über Eros erzählt und egal was davon stimmen mag, er entschied sich ebenso wenig wie ich dafür, das Kind einer der Dreizehn zu sein. »Außerdem bin ich keine totale Soziopathin. Lass mich dir helfen.«
»Ich brauche deine Hilfe nicht.« Er macht kehrt und geht zurück in die Richtung, aus der er gekommen ist, auf den Aufzug zu.
»Ich biete sie dir trotzdem an.« Mein Körper trifft die Entscheidung, ihm zu folgen, bevor mein Gehirn aufholen kann. Meine Beine bewegen sich wie von selbst und tragen mich weiter von der relativen Sicherheit der Party weg. Die Aufzugskabine zu betreten, fühlt sich an, als würde ich einen Punkt überschreiten, an dem es kein Zurück mehr gibt. Ich wünschte, dass ich sagen könnte, dass meine Reaktion übertrieben ist, aber Eros’ Ruf eilt ihm voraus, und er ist … sehr, sehr gewalttätig und sehr, sehr gefährlich. Ich verschränke die Hände vor dem Körper und kämpfe gegen den Drang an zu plappern.
Wir fahren nur ein paar Stockwerke nach unten. Dann führt er mich durch Büros aus Glas und Edelstahl zu einer Tür, die sich unter seiner Hand problemlos öffnet. Erst als sie sich hinter uns schließt, sehe ich, dass wir uns in einem schicken Toilettenraum befinden. Wie der Rest des Dodona Towers ist er minimalistisch eingerichtet. Der Boden ist schwarz gefliest, es gibt ein paar Toilettenkabinen, eine gekachelte Dusche und drei Waschbecken aus Edelstahl. In der Nähe der Tür befindet sich sogar ein kleiner Bereich mit zwei bequem wirkenden Stühlen, zwischen denen ein rundes Tischchen steht.
»Du scheinst dich hier ziemlich gut auszukennen.«
»Meine Mutter hat oft geschäftlich mit Zeus zu tun.«
Ich schlucke schwer. »Oben gab es doch auch Toilettenräume.« Die sich näher an der relativen Sicherheit der Party befanden.
»In diesem hier befindet sich ein Erste-Hilfe-Set.« Er macht sich daran, sich vorzubeugen, um einen der Schränke unter den Waschbecken zu öffnen, und verzieht das Gesicht.
Sofort setze ich mich in Bewegung. Deswegen bin ich hier: um zu helfen, nicht um ihm dabei zuzuschauen, wie er sich abmüht. »Setz dich hin, bevor du umfällst.«
Ich bin überrascht, dass er nicht protestiert, sondern einfach zu den Stühlen humpelt und sich auf einen von ihnen sinken lässt. Zu intensiv über diese Situation nachzudenken, ist ein Fehler, also konzentriere ich mich auf die Aufgabe, herauszufinden, wie schlimm er verletzt ist. Ich muss ihn einfach zusammenflicken und zum Ballsaal zurückkehren, bevor meine Mutter einen Suchtrupp losschickt.
Wenn man bedenkt, dass schon einmal eine ihre Töchter von einer Veranstaltung im Dodona Tower verschwand und dann den Styx überquerte, um sich Hades in die Arme zu werfen …
Ja, ich sollte besser nicht zu lange fortbleiben.
Tatsächlich befindet sich in dem Schrank unter dem Waschbecken ein Erste-Hilfe-Set. Ich schnappe es mir, drehe mich herum und erstarre. »Was machst du da?« Meine Stimme klingt piepsig, aber ich kann nichts dagegen tun.
Eros, der sich gerade das Hemd auszieht, hält mitten in der Bewegung inne. »Stimmt etwas nicht?«
Alles stimmt nicht. Ich bin nun schon seit Jahrzehnten in ähnlichen Kreisen wie dieser Mann unterwegs, aber wann immer ich ihn auf diesen Partys sah, war er stets perfekt herausgeputzt, geschniegelt und eine regelrechte Lichtgestalt. Seine Schönheit ist atemberaubend und beinahe zu perfekt, um echt zu sein.
Jetzt gerade sieht er nicht sonderlich perfekt aus.
Nein, er ist viel zu echt. Ich kann unmöglich die mentale Barriere aufrechterhalten, die ich um Eros herum errichtet habe, um ihn als gefährlichen Playboy abzustempeln, wenn er sein Hemd auszieht und einen Körper enthüllt, den die Götter gemeißelt haben. Die Erschöpfung in seiner Miene macht ihn nur noch attraktiver, was ich später vielleicht schrecklich unfair finden werde, aber jetzt gerade kann ich in diesem Raum nicht genug Sauerstoff auftreiben, um zu atmen.
Panik. Genau das empfinde ich. Reine Panik. Das ist keine Anziehung. Das kann nicht sein. Ich kann mich nicht zu ihm hingezogen fühlen. »Du ziehst dich aus.«
Unter dem weißen Stoff kann ich sehen, dass jemand – wahrscheinlich Eros selbst – notdürftig seine Brust verbunden hat. Er wirft mir ein charmantes Lächeln zu, das an den Rändern nur ganz leicht angestrengt wirkt. »Ich hatte den Eindruck, dass du mich ohne Klamotten sehen wolltest.«
»Ich verzichte.« Die Worte platzen unkontrolliert aus mir heraus. Von meiner mühsam erworbenen öffentlichen Rolle fehlt jede Spur.
»Alle anderen wollen es.«
Seltsamerweise beruhigt mich seine Arroganz. Ich atme einmal tief ein, dann noch einmal und werfe ihm schließlich den Blick zu, den dieser Kommentar verdient. Geplänkel. Mit Geplänkel kann ich dienen. Ich tausche schon mein ganzes Erwachsenenleben lang kunstvolle Beleidigungen mit Leuten wie Eros aus. »Soll ich etwa Mitleid mit dir haben? Oder prahlst du? Sei bitte ein wenig deutlicher, damit ich meine Reaktion entsprechend anpassen kann.«
Er bricht in Gelächter aus. »Clever.«
»Ich gebe mir Mühe.« Ich runzle die Stirn. »Ich dachte, dein Bein wäre verletzt.«
»Das ist nur eine Prellung.« Sein charmantes Lächeln wird nur noch strahlender, falls das überhaupt möglich ist. »Versuchst du etwa, mich dazu zu bringen, dass ich auch noch die Hose ausziehe?«
Da die bloße Tatsache, dass er kein Hemd mehr trägt, schon ausreicht, um bei mir diese unangenehme Reaktion hervorzurufen, will ich ganz sicher nicht, dass er sich noch weiterer Kleidungstücke entledigt. Ich könnte spontan in Flammen aufgehen, und wenn mich die Verlegenheit nicht auf der Stelle umbringt, werde ich Eros damit eine Waffe geben, die er gegen mich einsetzen kann. »Ganz bestimmt nicht.«
Er zieht den Rest des Hemds von seinem Körper und stößt hörbar den Atem aus. »Wirklich schade.«
»Ich bin mir sicher, dass du es überleben wirst.« Ich platziere das Erste-Hilfe-Set auf dem Tisch und beäuge seine Brust. Ein paar der Verbände haben sich bereits gelöst, und an den Stellen, an denen das Blut sein Hemd berührt hat, sind rote Schlieren. Was ist ihm nur zugestoßen? Wurde er in einen Kampf mit einem Rosenstock verwickelt? »Diese Verbände müssen erneuert werden.«
»Nur zu.« Er lehnt sich zurück und schließt die Augen.
Ich will gerade einen bissigen Kommentar darüber abgeben, dass er mich die ganze Arbeit machen lässt, aber die Worte bleiben mir im Hals stecken, als ich einen der Verbände vorsichtig wegziehe und darunter … »Eros, das ist eine Menge Blut.« Aufgrund des Durcheinanders aus Blut und Verbänden kann ich nicht beurteilen, wie ernst die Verletzungen sind, aber ein paar von ihnen bluten noch.
»Du solltest mal den anderen Kerl sehen«, sagt er, ohne die Augen zu öffnen. Damit bestätigt er das, was ich bereits vermutet habe.
Lebt der andere Kerl noch? Es gibt keinen Grund, diese Frage zu stellen. Die Tatsache, dass er überhaupt hier ist, bedeutet, dass er seine Aufgabe erfolgreich erledigt hat, wie auch immer sie ausgesehen haben mag. Ich entferne die restlichen Verbände und lehne mich zurück, um seine Brust zu begutachten. Er hat mindestens ein Dutzend Schnittwunden. »Ich werde das reinigen müssen, sonst werden die neuen Verbände nicht halten.«
Er wedelt mit einer Hand, um mir die Erlaubnis zu erteilen.
Ich gestatte es mir nicht, zu denken, während ich aufstehe und in dem Schrank unter dem Waschbecken herumwühle, bis ich einen Korb mit frischen Waschlappen finde. Ich mache zwei von ihnen nass und nehme auch die trockenen mit zu Eros, um zu versuchen, das Blut so gut wie möglich wegzuwischen. Dafür brauche ich mehrere lange Minuten.
Dann wird mir plötzlich klar, dass ich Eros Ambrosia im Grunde genommen behutsam wasche.
Ich setze mich abrupt auf. »Eros, ein paar dieser Wunden müssen vielleicht genäht werden.« Sie sehen nun längst nicht mehr so schlimm aus wie vor der Reinigung, aber ich bin keine Ärztin. Er hat doch sicher einen Privatarzt, den er beschäftigt, so wie jeder andere Haushalt der Dreizehn. Ich verstehe nicht, warum er diese Person nicht angerufen hat, statt zu versuchen, auf dieser verdammten Party aufzutauchen.
»Ist schon gut. Ich werde bis zum Ende der Nacht durchhalten.«
Ich schaue ihn mit gerunzelter Stirn an. »Das kann nicht dein Ernst sein. Dir ist es wichtiger, an einer Party teilzunehmen, statt einen Arzt aufzusuchen und medizinisch versorgt zu werden?«
»Du weißt besser als jeder andere, warum ich das tun muss.« Damit öffnet er endlich die Augen. Sie wirken nun sogar noch blauer als zuvor, und in ihnen blitzt ein seltsamer Ausdruck auf. Das muss Schmerz sein, denn die Möglichkeit, dass Eros Ambrosia, Sohn der Aphrodite, mich voller Verlangen anschaut, ist nicht vorhanden.
Gegen meinen Willen wandert mein Blick kurz zu seinem Mund. Er hat einen sehr hübschen Mund mit geschwungenen und sinnlichen Lippen. Wirklich schade, dass er ein gefährlicher Mörder ist.
Um mich von solch törichten Gedanken abzulenken, stehe ich auf und gehe zum Waschbecken. Es fühlt sich auf bemerkenswerte Weise nach fließendem Wasser an, aber ich wasche mir gerade das Blut des Mannes von den Händen. Ich werfe einen Blick in den Spiegel und erstarre. Er mustert mich mit einem wirklich seltsamen Ausdruck auf dem Gesicht. Es ist nicht das Verlangen, von dem ich mir bereits eingeredet habe, dass ich es mir nur eingebildet habe. Nein, Eros schaut mich an, als hätte er mich noch nie zuvor gesehen, als hätte ich mich womöglich entgegen seiner Erwartungen verhalten.
Das kann allerdings nicht stimmen. Dass ich in den letzten zehn Jahren auf denselben Partys und in denselben Ballsälen und auf denselben Veranstaltungen gewesen bin wie dieser Mann, spielt keine Rolle. Eros hat absolut keinen Grund, überhaupt über mich nachzudenken. Ich verbringe ganz sicher nicht viel Zeit damit, über ihn nachzudenken. Er mag umwerfend sein, selbst nach den für Olympus üblichen Standards, und makellos genug, um auf jedem Werbeplakat abgebildet zu sein, wenn er das wollte. Aber Eros ist gefährlich.
Ich trockne mir die Hände ab und kehre wieder zu dem Stuhl zurück, der seinem gegenübersteht. Irgendwie fühlt sich das hier ohne das ganze Blut sogar noch intimer an. Ich verdränge den Gedanken und mache mich daran, ihn zu verbinden. Obwohl ich halb damit rechne, dass er meine Hände wegschiebt und es selbst übernimmt, hält er vollkommen still. Er scheint kaum zu atmen, während ich sorgfältig einen Verband nach dem anderen anlege. Er hat insgesamt etwa ein Dutzend Schnittwunden, und auch wenn ich mir immer noch sicher bin, dass er damit zu einem Arzt gehen sollte, sind die meisten von ihnen so klein, dass sie schon fast aufgehört haben zu bluten.
»Du bist ziemlich gut darin.« Seine tiefe Stimme klingt rau. Ich kann nicht beurteilen, ob das ein Vorwurf sein soll oder ob er meine Bemühungen nur kommentiert.
Ich beschließe, es einfach für bare Münze zu nehmen. »Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen.« Gewissermaßen. Es war nicht unbedingt das, was sich die Leute vorstellen, wenn sie an das sogenannte Landleben denken. Es gab kein idyllisches kleines Haus mit einer ausgeblichenen roten Scheune. Meine Mutter mag ihr Vermögen mithilfe ihrer drei Ehen vergrößert haben, aber sie fing wohl kaum mit nichts an. Wir waren ein gewerblicher Hof, und das spiegelte sich im dortigen Aufbau wider.
Er verzieht die Lippen, und in seinen Augen flackert etwas Helles auf. »Bekommt man es auf Bauernhöfen oft mit Stichwunden zu tun?«
»Also gibst du es zu – dass jemand auf dich eingestochen hat.«
Nun lächelt er tatsächlich, auch wenn ich den Schmerz in seiner Miene immer noch sehen kann. »Ich gebe gar nichts zu.«
»Natürlich nicht.« Mir wird klar, dass ich ihm immer noch zu nah bin, also weiche ich schnell zurück und gehe erneut zum Waschbecken, um mir einmal mehr die Hände zu waschen. »Aber um deine Frage zu beantworten, wenn es eine Reihe großer Maschinen gibt, ganz zu schweigen von diversen Tieren, die Anstoß an törichten Menschen nehmen, kommt es eben zu Verletzungen.« Vor allem wenn man so abenteuerlustige Schwestern hat wie ich. Nicht dass ich Eros das erzählen werde. Diese Unterhaltung ist bereits viel zu intim und viel zu seltsam gewesen. »Ich muss zurück.«
»Psyche.« Er wartet, bis ich mich zu ihm herumdrehe. Für einen Augenblick sieht er ganz und gar nicht wie das selbstbewusste Raubtier aus, dem ich bis jetzt immer so geflissentlich aus dem Weg gegangen bin. Er ist einfach nur ein Mann, der erschöpft ist und unter Schmerzen leidet. Eros berührt einen der Verbände an seiner Brust. »Warum hilfst du Aphrodites Lieblingsmonster?«
»Sogar Monster brauchen manchmal Hilfe, Eros.« Ich sollte es dabei belassen, aber seine Frage fühlte sich so unerwartet verletzlich an, dass ich nichts gegen den Impuls, ihn zu besänftigen, ausrichten kann. Nur ein wenig. »Außerdem bist du nicht wirklich ein Monster. Ich sehe keine einzige Schuppe und auch keine nennenswerten Reißzähne.«
»Monster gibt es in allen Formen und Größen, Psyche. Das solltest du mittlerweile wissen, immerhin lebst du in Olympus.« Er macht sich daran, sein Hemd zuzuknöpfen, aber seine Hände zittern so heftig, dass er nur erfolglos daran herumfummelt.
Ich eile zu ihm, bevor ich Gelegenheit habe, mich daran zu erinnern, warum das eine furchtbar schlechte Idee ist. »Lass mich das machen.« Ich lehne mich vor und knöpfe sein Hemd behutsam zu. Dabei streifen meine Finger ein paarmal seine nackte Brust, und ich bin mir sicher, dass ich mir die Zischlaute, die er zusammen mit seinem Atem ausstößt, nur einbilde. Schmerz. Mehr steckt nicht dahinter. Eros reagiert ganz gewiss nicht auf meine Berührung. Als ich mich dem letzten Knopf widme, halte ich den Atem an. Dann weiche ich zurück. »Na bitte.«
Er rappelt sich auf. Ich beobachte ihn aufmerksam, aber er scheint ein wenig sicherer auf den Beinen zu sein als vorhin. Eros zieht sein Jackett an und knöpft es zu, um die schlimmsten Blutflecken zu verbergen. »Danke.«
»Dank mir nicht. Das hätte jeder getan.«
»Nein.« Er schüttelt langsam den Kopf. »Absolut nicht.« Er gibt mir keine Gelegenheit, etwas darauf zu erwidern. Er deutet einfach nur auf die Tür. »Lass uns gehen. Fahr ohne mich nach oben. Ich muss mir erst noch ein neues Hemd besorgen.« Er zögert. »Es wäre nicht gut, wenn man uns gemeinsam zur Party zurückkommen sähe.«
Das wäre es wirklich nicht. Das würde dafür sorgen, dass die Klatschmäuler von Olympus ins Plaudern geraten. Aphrodite und Demeter könnten als Reaktion darauf einen fürchterlichen Wutanfall bekommen und um sich schlagen. Ich will auf gar keinen Fall auf irgendeine Art und Weise mit Eros in Verbindung gebracht werden. »Natürlich.«
Als wir in den Flur hinaustreten, presst Eros seine Hand auf meinen unteren Rücken. Der Kontakt schießt mit der Heftigkeit eines Blitzes durch meinen Körper. Ich stolpere beinahe, und er reagiert umgehend und hält mich am Ellbogen fest, damit ich nicht auf dem Boden lande. »Alles in Ordnung?«
»Ja«, bringe ich hervor. Ich schaue ihn nicht an. Ich kann ihn nicht anschauen. Es war schon schwer genug, diesen bedauernswerten Funken zwischen uns zu ignorieren, während ich ihn verarztet habe. Mir gefällt es nicht, ihm so nah zu sein, weil ich nicht weiß, wie mein Körper reagieren wird, solange er eine Hand auf mein Kreuz gelegt und mit der anderen meinen Ellbogen umfasst hat. Ich sollte definitiv nicht …
Ich hebe den Blick, und Eros schaut auf mich herunter und, Götter, wir sind uns so nah. Das ist ein Fehler. Ich werde mich jeden Moment zurückziehen und eine angemessene Menge Abstand zwischen uns bringen. Dann wird es so sein, als wäre dieses seltsame Zwischenspiel niemals passiert.
Jeden … Moment …
Ein greller Blitz blendet meine Augen. Ich zucke von Eros zurück und blinzle hektisch. Oh nein. Oh nein, nein, nein, nein. Das darf nicht wahr sein.
Aber es geschieht tatsächlich. Meine Sicht klärt sich langsam und jegliche Hoffnung, an der ich mich festklammern könnte, dass der grelle Blitz von einer zufällig zerborstenen Glühbirne stammte, löst sich in Luft auf. Ein kleiner Mann mit knallrotem Haar und einer Kamera in den Händen steht ein paar Schritte entfernt. Er grinst uns an. »Ich wusste es doch! Ich habe euch zusammen in den Aufzug steigen sehen. Psyche, würden Sie gern kommentieren, warum Sie sich von Zeus’ Party fortgeschlichen haben, um mit Eros Ambrosia allein sein zu können?«
Eros macht einen bedrohlichen Schritt auf den Fotografen zu, aber ich packe seinen Arm und ringe mir ein Lächeln ab. »Wir haben nur ein wenig miteinander geplaudert.«
Der Mann lässt sich nicht beirren. »Ist Eros’ Hemd deswegen falsch zugeknöpft? Und sieht es deswegen auf diesem Bild so aus, als würdet ihr euch jeden Moment küssen?« Bevor ich mir eine Lüge überlegen kann, die Sinn ergeben könnte, ist er bereits verschwunden.
»Wir sind erledigt«, hauche ich.
Eros flucht auf äußerst kreative Weise. »Das fasst es recht gut zusammen.«
Ich weiß, wie das läuft. Noch bevor die Nacht vorüber ist, werden Bilder von mir und Eros auf allen Klatschseiten sein, und die Leute werden anfangen, über unsere verbotene Liebesaffäre zu spekulieren. Ich kann die Schlagzeilen jetzt schon sehen.
Ihre Liebe steht unter einem schlechten Stern! Was werden Demeter und Aphrodite von der heimlichen Beziehung ihrer Kinder halten?
Das wird nicht nur ein fürchterlicher Wutanfall werden. Meine Mutter wird mich umbringen.
Zwei Wochen später
»Bring mir ihr Herz.«
»Meine Brust ist wunderbar verheilt. Danke der Nachfrage.« Ich schaue nicht von meinem Handy auf, während meine Mutter im Zimmer auf und ab tigert. Ihr Rock schwingt rauschend zwischen ihren Beinen umher. So wie ich sie kenne, hat sie ihre Kleidung heute extra ausgewählt, um ihrem dramatischen Umherstolzieren den größtmöglichen Effekt zu verleihen.
Sie ist die perfekte Schauspielerin.
Das Handy lenkt mich nicht so sehr ab, wie ich es mir wünschen würde. In den zwei Wochen seit der Party haben sich die Spekulationen und der Tratsch um mich und Psyche Dimitriou kein bisschen beruhigt. Wenn überhaupt, hat unsere Weigerung, einen Kommentar abzugeben, die Flammen nur noch stärker entfacht. Die Einwohner von Olympus lieben nichts mehr als eine gute Geschichte, und die Vorstellung, dass die Kinder zweier öffentlicher Feindinnen ein Paar sein könnten, ist eine wirklich gute Geschichte. Die Wahrheit spielt keine Rolle, wenn es eine fesselnde Lüge zu erzählen gibt.
Ganz zu schweigen davon, dass dem Fotografen ein herausragender Schnappschuss gelungen ist.
Auf dem Bild stehen wir so nah beieinander, dass es fast eine Umarmung sein könnte, und sie schaut fragend zu mir hoch. Und ich? Den Ausdruck auf meinem Gesicht kann man nur als »hungrig« beschreiben. Ich hätte mich niemals zu so etwas Dummem hinreißen lassen, wie Psyche in jenem Flur zu küssen, aber das wird niemand, der dieses Bild von uns betrachtet, glauben.
»Hör auf, an deinem Handy herumzuspielen, und schau mich an.« Meine Mutter wirbelt auf ihren hohen Absätzen herum und starrt finster auf mich herab. Sie ist fünfzig, und auch wenn sie mich für diese Äußerung bei lebendigem Leib häuten würde, hat sie keine verräterischen Falten oder grauen Haare. Sie gibt ein Vermögen dafür aus, dass ihre Haut glatt und ihr Haar perfekt eisblond bleibt. Ganz zu schweigen von den zahllosen Stunden mit ihrem Personal Trainer, die sie investiert, um einen Körper zu haben, für den Fünfundzwanzigjährige töten würden. Alles im Namen ihres Titels: Aphrodite. Wenn man die Rolle der Kupplerin von Olympus innehat – der Liebeskrämerin –, muss man gewisse Erwartungen erfüllen.
»Eros, leg dieses götterverdammte Handy weg und hör mir zu.«
»Ich höre dir zu.« Mein gelangweilter Tonfall verrät meine schwindende Geduld, aber ich habe jetzt schon genug von dieser Unterhaltung. Wir haben sie in den letzten zwei Wochen bereits ein Dutzend Mal in ähnlicher Form geführt. »Ich habe dir doch längst erzählt, was wirklich passiert ist.«
»Niemanden interessiert, was wirklich passiert ist.« Sie kreischt nun fast, und ihre sonst so sorgfältig gemäßigte, rauchige Stimme wird hoch und schrill. »Sie ziehen deinen Namen durch den Schmutz, indem sie ihn mit der Tochter dieses Emporkömmlings in Verbindung bringen.«
Ich weise sie nicht darauf hin, dass der Titel der Aphrodite über ebenso wenig Erbrecht verfügt wie der der Demeter. Die einzigen Titel in Olympus, die vom Elternteil aufs Kind übergehen, sind Zeus, Hades und Poseidon. Der Rest der Dreizehn erhält seine Titel im Erwachsenenalter, und zwar auf eine Weise, die ebenso einwandfrei wie geheim ist. Meine Mutter kann die Tatsache nicht ertragen, dass sie von der letzten Aphrodite ernannt wurde, während Demeter im Rahmen einer stadtweiten Wahl erkoren wurde.
Das Volk entschied sich für Demeter, und das hat sie meine Mutter nie vergessen lassen.
»Bis zum nächsten Skandal kann es nicht mehr lange dauern. Hab einfach Geduld.«
»Du sagst mir nicht, was ich zu tun habe, Sohn. Ich erteile die Befehle, und du befolgst sie.« Sie bleibt vor mir stehen und starrt mich an. »Das ist dein Schlamassel. Wenn du deinen letzten Auftrag anständig erledigt hättest, hätte man dich nicht mit dieser Frau fotografiert.«
»Mutter.« Ich weiß nicht, warum ich überhaupt mit ihr diskutiere. Sobald meine Mutter einen ihrer Ausraster hat, ist es so gut wie unmöglich, sie abzulenken. Das ist einer der Gründe, weshalb sich die Leute in ihrer Gegenwart so vorsichtig verhalten. Sogar ich muss vorsichtig sein. Der Öffentlichkeit mag sie unsere Beziehung so präsentieren, als wären wir eine liebevolle Mutter und ein treu ergebener Sohn, doch die Wahrheit ist deutlich weniger ansprechend. Ich bin Aphrodites Messer. Sie sagt mir, wohin ich gehen und welche Rache ich ausüben soll, und ich befolge ihre Befehle wie ein verkorkster Spielzeugsoldat. Sie fragt nie nach meiner Meinung und würde ihr ganz sicher auch keinerlei Beachtung schenken. Ich erklärte ihr, dass wir abwarten müssten, um mit Polyphonte zu verhandeln, anstatt die Dinge am Abend der Party zu überstürzen. Doch Aphrodite hat sich durchgesetzt.
Sie setzt sich verdammt noch mal immer durch.
»Ihr Herz, Eros. Zwing mich nicht dazu, noch ein weiteres Mal danach zu verlangen.«
Ich schlucke meine Verärgerung hinunter, auch wenn es mir äußerst schwerfällt. »Du wirst schon ein wenig genauer sein müssen, Mutter. Willst du ihr Herz wortwörtlich haben? Hast du bereits ein silbernes Kästchen dafür ausgesucht? Vielleicht kannst du es auf den Kaminsims neben mein Schulabschlussfoto stellen.«
Sie gibt einen Laut von sich, der verdächtig nach einem Zischen klingt. »Du bist so ein kleiner Scheißer.« Das ist die Aphrodite, die sie niemandem sonst in Olympus zeigt. Nur ich habe das zweifelhafte Privileg, mit eigenen Augen zu bezeugen, was für ein Monster meine Mutter wirklich ist.
Allerdings sollte ich bei diesem Thema vorsichtig sein, denn wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.
Ich sehe keine einzige Schuppe und auch keine nennenswerten Reißzähne.
Bei der Erinnerung an Psyches sanfte Stimme zucke ich beinahe zusammen. Ich hätte sie wirklich für klüger gehalten. Sie müsste eine Närrin sein, um sich zehn Jahre lang in denselben Kreisen wie ich zu bewegen und mich nicht als Monster zu bezeichnen.
Mit übertriebener Sorgfalt schalte ich mein Handy aus und widme meiner Mutter meine volle Aufmerksamkeit. »Du hast dich für diese Herangehensweise entschieden, also spiel jetzt nicht die Zurückhaltende.«
Jede andere Person würde angesichts meines milden Tonfalls, in dem dennoch die unverhohlene Androhung von Gewalt liegt, zusammenzucken. Aphrodite lacht einfach nur. »Eros, Liebling, du bist wirklich köstlich. Nach der Nummer, die Demeter letzten Herbst mit ihrer anderen Tochter und Hades abgezogen hat, denkt sie allen Ernstes, dass sie mich komplett übergehen und Psyche als die nächste Hera ins Spiel bringen kann. Nur über meine Leiche. Oder besser gesagt über ihre.«
Meine Brust verkrampft sich auf seltsame Weise, doch ich ignoriere es. »Wenn du so wütend auf Demeter bist, dann unternimm etwas gegen sie anstatt gegen ihre Tochter.«
»Tu nicht so dumm.« Sie wedelt abfällig mit den Fingern, als wollte sie den Vorschlag verscheuchen. »Du weißt sehr genau, dass wir sowohl der Mutter als auch der Tochter eine Lektion erteilen müssen. Demeter hat sich in letzter Zeit immer öfter wichtiggemacht und hält sich offenbar für etwas Besseres als die Bäuerin, die sie ist. Das wird dafür sorgen, dass sie einen Gang zurückschaltet.«
Nur meine Mutter würde denken, dass der Tod eines Kindes dafür sorgt, dass jemand »einen Gang zurückschaltet«.
Andererseits würde sie alles tun, um ihre Macht zu erhalten. Aphrodite ist für eine Menge Dinge verantwortlich, aber ihre beliebteste Aufgabe ist das Arrangieren von Hochzeiten unter den Reichen und Bessergestellten in Olympus. Dazu zählen natürlich die Dreizehn und ihre Familien, doch auch jene im weiter gefassten Einflussbereich, die es nie wirklich auf die Partys im Dodona Tower schaffen.
Nun, da Demeter in ihr Territorium eingedrungen ist, ist es kein Wunder, dass meine Mutter kurz vor einer Explosion steht. Sie arrangierte alle drei Ehen des letzten Zeus – der Mistkerl brachte ständig seine Frauen um, was meiner Mutter wunderbar in den Kram passte, da sie Hochzeiten liebt und alles hasst, was darauf folgt. Dem neuen Zeus eine Hera zu sichern, hat für sie oberste Priorität. Und wie es scheint, ist Demeter fest entschlossen, Psyche in die Position der Hera zu katapultieren, ohne Aphrodite hinzuzuziehen.
Ich versuche, mir das vorzustellen, aber mein Verstand lehnt sich gegen den Gedanken auf. Ich kann nur diese Konzentrationsfalte sehen, die sich zwischen Psyches Augen gebildet hat, während sie mich verarztete. Eine Person, die dumm genug ist, dem Sohn ihrer Feindin mit Freundlichkeit zu begegnen, ist mit Sicherheit auch eine Person, die in der Position der Hera bei lebendigem Leib gefressen werden wird.
Ich räuspere mich. »Wie geht es Zeus in letzter Zeit so? Gefällt ihm keine deiner heiratswürdigen Optionen?« Bis vor ein paar Monaten war er noch Perseus, aber Namen sind das Erste, was auf dem Altar der Dreizehn geopfert wird. Einst waren wir Freunde, doch das Leben in Olympus neigt dazu, Leute auseinanderzudrängen. Je älter wir wurden, desto mehr wurde Perseus in die Ausbildung verwickelt, die er absolvieren musste, damit er der nächste Zeus werden konnte. Und ich? Tja, mein Leben nahm eine ähnlich düstere Wendung. Wir sind immer noch Freunde, schätze ich, aber zwischen uns herrscht eine Distanz, die keiner von uns so recht überbrücken kann. Ich weiß nicht einmal, wie ich damit anfangen sollte, es zu versuchen.
Ich lasse den Gedanken ziehen. Perseus ist sein ganzes Leben lang Zeus’ Erbe gewesen. Er wusste, dass er den Titel übernehmen würde, sobald sein Vater sterben würde. Und falls dieses Ereignis nun eben ein wenig früher als erwartet eintreten sollte … Tja, er ist durchaus in der Lage, damit umzugehen. Das ist nicht mein Problem. Es darf nicht mein Problem sein. Schließlich habe ich den Mann nicht umgebracht.
»Wechsle nicht das Thema«, schnauzt sie. »Seit Persephone davongelaufen ist und in wilder Ehe mit Hades lebt, ist Olympus aus dem Gleichgewicht geraten. Und nun denkt Demeter, dass sie eine weitere Tochter mit einer weiteren Erbrolle zusammenbringen kann? Was kommt als Nächstes? Wird sie ihre wilde ältere Tochter an Poseidon verheiraten?« Sie schnaubt. »Das kann sie vergessen. Jemand muss Demeter aufhalten, und wenn niemand sonst den Mut dazu hat, dann werde ich es eben tun müssen.«
»Du meinst, dass ich es werde tun müssen. Du magst nach einem Herz verlangen, aber wir beide wissen, dass ich derjenige bin, der die ganze Arbeit erledigt.« Ich verspüre nicht den Wunsch, dass jemand nach meinem Kopf verlangt, also versuche ich, die Morde auf ein Minimum zu beschränken. Es ist so viel leichter, einen Gegner mit einem gut platzierten Gerücht aus dem Weg zu räumen oder ihn einfach zu beobachten, bis seine eigenen Handlungen die nötige Munition für seinen Ruin bieten. Olympus ist bis zum Rand mit Sünde gefüllt, wenn man an so etwas glaubt, und niemand im strahlenden Kreis der Dreizehn kann von sich behaupten, nicht das eine oder andere Laster zu haben.
Außer offensichtlich Demeters Töchter.
Sie haben sich große Mühe gegeben, sich vom Rampenlicht fernzuhalten, und es funktionierte sogar … zumindest bis vor ein paar Monaten. Seit der alte Zeus beschloss, dass er Persephone für sich haben wollte – was auch immer es ihm brachte –, ist Olympus ganz wild auf die Dimitriou-Schwestern. Schließlich scheint Persephones Geschichte ein episches Ereignis zu sein, von dem man sich noch ewig erzählen wird, die Art von Zeug, auf die sich die Klatschseiten regelrecht stürzen. Zeus trieb sie direkt in Hades’ Arme, was wiederum dazu führte, dass Hades die Schatten der Unterstadt verließ. Das sah niemand kommen.
Zeus und der Rest der Oberstadt tun gerne so, als würde Olympus am Styx aufhören. Hades war so etwas wie ein schmutziges, kleines Geheimnis, von dem nur die Dreizehn und ein paar wenige andere Auserwählte wussten. Nun steht er in der Öffentlichkeit, und das gesamte Machtgleichgewicht von Olympus ist im Wandel begriffen. Es wird Monate dauern, bis sich die Dinge wieder beruhigen, möglicherweise auch länger.
Hades’ Liebesaffäre mit Persephone hat die Faszination der Bewohner von Olympus für die Dimitriou-Schwestern nur verstärkt. Sie sind alle attraktiv, aber keine von ihnen passt hier wirklich rein. Persephone hatte den Blick stets auf den Horizont gerichtet. Ihre Entschlossenheit, einen Weg aus dieser Stadt heraus zu finden, war für jeden ersichtlich, der auch nur über ein klein wenig Auffassungsgabe verfügt. Kallisto, die Älteste, ist so wild, wie meine Mutter es behauptet. Sie gerät ständig in Auseinandersetzungen und sagt Dinge, die sie nicht sagen sollte. Sie weigert sich ganz offen, Olympus’ Machtspiele mitzuspielen, die die Leute ebenso sehr verabscheuen, wie sie sich zu ihnen hingezogen fühlen. Eurydike, die Jüngste, ist hübsch und süß und viel zu naiv für jemanden in dieser Stadt.
Und dann ist da noch Psyche. Sie unterscheidet sich nicht nur körperlich von ihren Schwestern – sie ist auch sonst vollkommen anders. Sie spielt das Spiel und beherrscht es gut, ohne dass man ihr etwas anmerken würde. Sie hat diese unaufdringliche Art an sich, ich habe sie jedoch lange genug beobachtet, um zu bemerken, dass sie nie zufällig handelt. Ich kann es natürlich nicht beweisen, aber ich denke, dass sie über einen ebenso gerissenen Verstand verfügt wie ihre Mutter.
Doch das ist keine Erklärung für das, was an dem Abend von Zeus’ Party passierte. Wenn Psyche wirklich so hinterhältig wie ihre Mutter wäre, hätte sie sich niemals allein in meiner Gegenwart aufgehalten. Sie hätte mich nicht verarztet. Sie hätte nichts von all dem getan, was passierte, nachdem ich sie allein im Flur entdeckt hatte.
Ich habe keinen besonders ausgeprägten Sinn für Moral, aber selbst ich bin der Meinung, dass ihr Tod eine ziemlich miese Belohnung für ihre Freundlichkeit wäre.
»Eros.« Mutter schnippt mit ihren Fingern vor meinem Gesicht herum. »Hör mit der Tagträumerei auf und erledige diese Aufgabe für mich.« Sie lächelt langsam, und ihre blauen Augen werden eisig. »Bring mir Psyches Herz.«
»Hast du das wirklich durchdacht?« Ich ziehe die Augenbrauen hoch und gebe mir Mühe, meine desinteressierte Miene aufrechtzuerhalten. »Sie ist bei Hunderttausenden in Olympus ziemlich beliebt – zumindest den Follower-Zahlen ihrer Social-Media-Accounts zufolge.«
Ich erkenne meinen Fehler in der Sekunde, in der Aphrodite höhnisch grinst. »Sie ist ein fettes Mädchen mit wenig Stil und ohne Substanz. MuseWatch und andere Seiten folgen ihr nur aus einem einzigen Grund, und zwar weil sie ein Novum ist. Sie kommt nicht einmal ansatzweise an mich heran.«
Ich widerspreche ihr nicht, weil es keinen Zweck hat. Aber die Wahrheit ist, dass Psyche umwerfend ist und über einen Stil verfügt, der auf eine Art und Weise Trends setzt, von der Aphrodite nur träumen kann. Was genau das Problem ist. Meine Mutter hat beschlossen, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. »Mir war nicht klar, dass ihr miteinander in Konkurrenz steht.«
»Das ist auch nicht so.« Sie verscheucht diesen Gedanken, als wäre ich dumm genug, ihr zu glauben. »Hier geht es nicht um mich. Hier geht es um dich.« Sie stemmt die Hände in die Hüften. »Ich will, dass diese Sache erledigt wird, Eros. Du musst das für mich tun.«
In meiner Brust sticht etwas, aber ich ignoriere es. Würde ich an Seelen glauben, hätte ich meine durch meine Handlungen garantiert schon vor langer Zeit geopfert. In dieser Stadt zahlt man für Macht einen Preis und da meine Mutter nun einmal ein Mitglied der Dreizehn ist, hatte ich nie eine Chance auf Unschuld. Wenn man in der Machtstruktur von Olympus nicht ganz oben steht, wird man unter jemand anderes Absatz zerquetscht, während derjenige einen benutzt, um voranzukommen. Ich habe keine Wahl. Ich wurde in dieses Spiel hineingeboren, und die einzige Option besteht darin, der Beste und der Furchterregendste zu sein. Derjenige, der sich darum kümmert, dass die Leute alles tun werden, um Ärger mit ihm zu vermeiden. Das sorgt dafür, dass sowohl ich als auch meine Mutter in Sicherheit sind. Und wenn das bedeutet, dass ich manchmal diese kleinen »Aufgaben« für sie erledigen muss, dann ist das ein recht geringer Preis, den ich gern zahle. »Ich werde mich darum kümmern.«
»Noch vor Ende dieser Woche.«
Das lässt mir nicht viel Zeit. Ich bringe den Unmut, der in mir aufflackert, zum Verstummen und nicke. »Ich habe gesagt, dass ich mich darum kümmern werde, und das tue ich auch.«
»Gut.« Sie wirbelt herum und stolziert aus dem Zimmer. Ihr Kleid bauscht sich einmal mehr dramatisch um sie auf.
Ja, das ist typisch für meine Mutter. Sie verkündet gern Rache und stellt große Forderungen, aber wenn es um die eigentliche Arbeit geht, muss sie plötzlich dringend irgendwo anders hin.
Das soll mir recht sein. Ich bin gut in dem, was ich tue, weil ich weiß, wann ich mich auffällig verhalten und wann ich unter dem Radar bleiben muss. Aphrodite könnte sich selbst dann nicht subtil verhalten, wenn ihr Leben davon abhinge. Ich warte ganze dreißig Sekunden. Dann stehe ich auf und gehe zu meiner Vordertür. Falls sie es sich anders überlegt und zurückkommt, um weiteren Schwachsinn zu verkünden, wird sie wütend sein, wenn sie meine Tür verschlossen vorfindet. Aber ich werde nicht gerne gestört, sobald ich mit der Planung angefangen habe.
Und ehrlich gesagt tut es meiner Mutter ganz gut, wenn man ihr hin und wieder einen Strich durch die Rechnung macht. Sie kontrolliert einen so großen Teil meines Lebens, dass es für mich wichtig ist, wenigstens einen Ort zu haben, der frei von Aphrodite ist – zumindest gelegentlich. Und so sehr mich das auch wurmt, sind meine Möglichkeiten dennoch begrenzt. Meine Mutter ist eine der Dreizehn. Egal wo ich in Olympus wohne, die Tatsache, dass sie sämtliche Karten – sämtliche Macht – in der Hand hält, bleibt bestehen. Und ich bin lediglich ein Werkzeug, auf das sie ganz nach Belieben zurückgreifen kann.
Ich bin kein Heiliger. Ich habe mit dem Weg, den ich im Leben gewählt habe, schon lange meinen Frieden gemacht. Aber ich will verdammt sein, wenn mich das nicht hin und wieder erstickt, vor allem wenn mir Aphrodite einen Befehl erteilt, der mir besonders grausam vorkommt. Psyche hat mir geholfen, und nun hat mir meine Mutter befohlen, sie niederzustrecken.
Ich gehe durch das Penthouse zu dem Zimmer, das ich als meinen Schutzraum betrachte. Ich benutze ihn, um Gegenstände zu lagern, von denen ich nicht will, dass neugierige Gäste – oder Hermes – sie in die Finger bekommen. Sie hat schon mindestens ein Dutzend Mal versucht, in den Raum einzubrechen, aber bislang haben meine Sicherheitsmaßnahmen standgehalten. Allerdings ist mir nur allzu bewusst, dass sie irgendwann Erfolg haben könnte. Trotzdem ist das immer noch die beste Option, die mir zur Verfügung steht.
Sobald ich auch diese Tür verschlossen habe, setze ich mich an meinen Computer und gehe meine Möglichkeiten durch. Das hier wäre so viel einfacher, wenn Aphrodite von mir verlangt hätte, dass ich ein nicht tödliches Exempel an Psyche statuiere. Sie mag sich auf ihre stille Art einen Ruf als Influencerin aufbauen, aber einen Ruf kann man leicht ruinieren. Das habe ich im Laufe der Jahre schon Dutzende Male gemacht und werde es zweifellos auch noch einige Male tun. Dafür braucht man nur etwas Geduld und die Fähigkeit, lange im Spiel zu bleiben.
Aber nein, meine Mutter will wortwörtlich ihr Herz. Sie führt sich auf wie die böse Königin in einem Märchen. Ich schüttle den Kopf und rufe meine Akten über die Dimitriou-Schwestern auf. Ich habe Akten über jedes Mitglied der Dreizehn und ihre direkten Familienangehörigen sowie ihre engen Freunde. In Olympus sind Informationen neunzig Prozent der Schlacht, also arbeite ich hart daran, informiert zu bleiben. Seit der Party vor zwei Wochen habe ich ein besonderes Interesse an Psyche entwickelt, und das kann ich nicht einmal meiner Mutter anlasten.
Psyche hätte mir nicht helfen müssen.
Es wäre sehr viel klüger von ihr gewesen, einfach kehrtzumachen und so zu tun, als hätte sie mich nicht gesehen. Jeder andere hätte das getan. Selbst ein paar der Leute, die ich als Freunde betrachte, hätten diese Entscheidung getroffen. Ich mache ihnen deswegen keinen Vorwurf. In Olympus ist sich jeder selbst der Nächste.
Ich klicke mich durch die aktuellsten Artikel auf MuseWatch. Persephone besuchte letztes Wochenende kurz ihre Familie und sorgte damit für ziemlichen Wirbel, weil sie ihren neuen Ehemann mitbrachte. Das Bündnis zwischen Hades und Demeter ist etwas, das niemand kommen sah, und es nährt die Paranoia meiner Mutter. Sie hatte den letzten Zeus an einer Leine, aber sein Sohn hat den Köder, den sie vor ihm baumeln lässt, noch nicht geschluckt. Das bereitet ihr Sorgen.
Ich halte bei einem Foto inne, das Psyche und ihre Schwestern beim Einkaufen zeigt. Die Dimitriou-Schwestern scheinen sich aufrichtig zu lieben und sich gegenseitig zu unterstützen. Sie mögen sich hin und wieder an den Machtspielen versuchen, aber größtenteils halten sie sich aus allem heraus. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass sie sich für etwas Besseres als den Rest von uns halten. Oder ob der Rest von uns einfach so engstirnig ist, dass wir sie nicht unbedingt mit offenen Armen willkommen hießen, als sie damals auftauchten. Meine Mutter bezeichnet die ganze Familie gern als gesellschaftliche Emporkömmlinge, und mehr als nur ein paar Mitglieder der Inneren Kreise der Dreizehn tun das mittlerweile ebenfalls.
Doch wenn das stimmen würde, hätte Persephone Dimitriou es nicht gewagt, den Styx zu überqueren, um einer Ehe mit Zeus zu entkommen.
Und Psyche hätte ihr nicht geholfen.
Sogar ich bin mir nicht ganz sicher, was in jener Nacht passierte, aber ich weiß, dass Psyche etwas damit zu tun hatte. Und sie spielte nicht die Rolle der Vernünftigen, die ihre Schwester davon überzeugen wollte, dass diese Ehe der gesellschaftlichen Position ihrer Familie zugutekommen würde. Wenn sie irgendeine andere Familie wären, hätte Psyche die Abwesenheit ihrer Schwester ausgenutzt und sich selbst als Kandidatin für die neue Hera vor Zeus präsentiert.
Stattdessen half sie ihrer Schwester. Ebenso wie sie mir half.